Zunächst einmal: Was für ein erfrischender Beitrag! In der »Welt« schreibt der Schriftsteller Rolf Schneider einen Appell, ja fast eine Philippika, gegen das, was seit ungefähr zwanzig Jahren grosse Teile des deutschsprachigen Theaters in Geiselhaft genommen hat: Das sogenannte »Regietheater«, also jene Form der Inszenierung, in der Regisseure ihre privaten Neurosen auf die Bühne stellten, unter bevorzugter Benutzung von Texten, die sich einer solchen Interpretation widersetzten, weswegen man dieselben zerschlagen muss.
Unter dem Titel »Schluss mit dem Theater« (es müsste vielleicht präziser heissen: »Schluss mit dem Theater«) skizziert Schneider ohne Rücksicht auf irgendwelche art-correctness in fast aufklärerischer Manier Beginn, Entwicklung und traurigen Status-quo dieses leider immer noch allzu präsenten Genres.
Das dies zunächst durchaus seine Berechtigung hatte, konstatiert er sehr wohl: Am Anfang stand der verständliche Wunsch von Theaterleuten, zu der kanonisierten und immer wieder gespielten Klassik auf unserer Sprechbühnen, also den Dramen von Aischylos über Shakespeare und Goethe bis Kleist, einen neuen, nämlich zeitgenössischen Zugang zu finden. Und als das Verfahren noch gänzlich neu war, reagierten Rezensenten, zweimal die Arbeitswoche dazu verdammt, eine Premiere abzusitzen, auf derlei Abweichung von der Stadttheaterroutine mit der enthusiastischsten Aufmerksamkeit. Den Zwang des sich fortschrittlich gebenden Zuschauers der 70er Jahre, dies gutfinden zu müssen, sieht Schneider natürlich auch: Das Bildungsbürgertum oder das, was davon übrig ist oder sich dafür hält, mochte sich nicht lumpen lassen und als kunstkonservativ gelten. Als »Avantgarde« musste man schliesslich auf der Höhe der Zeit sein. Es war allerdings schon immer die Ambivalenz der Avantgarde irgendwann zu dem zu mutieren, was man selber einst bekämpfte.
Was ist daraus geworden? Schön entwickelt Schneider die sukzessive Verödung des sich so zeigenden Theaters bis zur Gegenwart: Zuletzt wurde kaum noch eine Geschichte erzählt, stattdessen Situationen vorgeführt. […] Die Inszenierung gedieh zum Happening, zur Installation, zur Performance.
Interessant und provokativ wird der Essay, wenn er den läppischen Provokationsmummenschanz angegrauter Neurotiker bzw. deren Adepten in die politische Dimension rückt:
Die Protagonisten des Regietheaters begreifen sich mehrheitlich als Vertreter von linkspolitischen Gesinnungen. Zu denen gehört, seit je, ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein und dessen Beförderung. Die Produkte des Regietheaters liefern weder Geschichten noch Einsichten in Geschichte noch Impulse für engagiertes Kollektivverhalten. Sie bleiben Emanationen einer einigermaßen reaktionären, nämlich irrationalistisch-spätbürgerlichen Ichbesessenheit, ihr behaupteter Avantgardismus ist, im Wortsinn, die reine Formsache.
Der Appell an Werktreue ist natürlich gut gemeint (und verständlich), bleibt jedoch leider etwas diffus. Es ist ja weiss Gott nicht nur das von ihm entsprechend skizzierte »Regietheater« mit ihrer hohlen Dekonstruktionsmetaphorik, was die einstmals so fruchtbare deutsche Theaterlandschaft immer mehr zur Kulturwüste macht. Es ist das Anbiedern der Regisseure an die sich durch Fernsehen und auch die digitalen Medien veränderten Rezeptionsgewohnheiten der Zuschauer, in dem Inszenierungen beispielsweise durch Videoinstallatiionen und/oder (meistens missglückten) Imitationen von Fernsehformaten zurechtgebogen werden und auch von den Verfechtern durchaus werktreuer Inszenierungen zwischenzeitlich (wenn auch teilweise zähneknischend) aufgenommen wurde.
Von der »Bearbeitung« – ein Euphemismus für Verhunzung – der angeblich überkommenen Sprache eines Stückes ganz abgesehen. Wenn die Sprache antiquiert ist, der Plot nicht mehr zeitgemäss, die Figuren altbacken – warum wird das Stück denn dann noch aufgeführt bzw. nicht – der Ehrlichkeit halber – neu- und umgeschrieben und mit neuem Namen und Autoren versehen? Die Erklärung ist einfach. In ein Stück mit einem bekannten Namen und Autor gehen die Leute eher als in zeitgenössischen Stücken. Man kann das Resultat ruhig so nennen, wie es oft genug daherkommt: Etikettenschwindel.
Aber ich wiederhole mich.
Von neuen Autoren, von Autoren der Gegenwart. Das hat eine lange Tradition, die über den Barock in die Neuzeit (etwa Goethe und Kleist) bis zu Dorsts Merlin reicht. Daran ist überhaupt kein Mangel. Dennoch wird lieber – sprachlich und inhaltlich – Shakespeare zerschlagen. Das ist – nein: w a r – als e i n Impuls legitim, nicht aber, wenn der Impuls Mode, d.h. d i e Strömung wird, die man bezeichnenderweise in US-amerikanisch »mainstream« nennt. Daß sich mit den alten Formen, selbst in der Sprache, sehr wohl Kunstwerke der Gegenwart herstellen lassen, haben etwa im Film sowohl Kurosawa wie Orson Welles bewiesen. Nur ist es vergleichsweise einfach, einen Stoff auf ein eigenes Interesse umzukrempeln, das aber zu verdecken dadurch, daß man ihn immer noch Shakespeare, Goethe oder Aischylos nennt. Die Abweichungen werden in der Oper am deutlichsten, weil die Musik (und mit ihr der Dirigent) da immer noch eine Folie garantiert, um die ein Regietheater-Komponist nicht herumkommt; seine Qualität zeigt sich dann, wenn das überraschend übereins geht, ohne daß an der Faktur eines Werkes etwas geändert wird. »» Der umstrittrene Bieito ist da (nicht immer, aber oft) ein Meister.
Am bittersten schlägt das Regietheater bei Uraufführungen durch; hier gibt es nämlich mit einem Original keinen Vergleich mehr, den ein Publikum ziehen könnte; es will den wohl auch gar nicht mehr ziehen. Die Abweichungen werden zum Event, die Show drängt sich vor, die tatsächlich n i c h t eine der Regisseurs-Selbstdarstellung sein muß, sondern ihrerseits Moden fetischisiert. Autoren sind hier restlos hilflos; die Stituation ähnelt der Hilflosigkeit von Drehbuchautoren oder gar derer, deren Romane die Grundlage für einen Film bieten sollen.
Daß die Tendenz zum Regietheater allerdings rückläufig ist und Rolf Schneiders Attacke ein wenig zu spät kommt, dafür steht seit ein paar Jahren besonders Peter Stein. Und er hat Erfolg, denken Sie an seinen exemplarischen Faust.
Sie haben in einem aber, denke ich, Unrecht. Es geht nicht um Anbiederei; insoweit es an »den« Regisseuren liegt, so deshalb, weil auch sie von den Zeitläuften g e p r ä g t worden sind; sie sind ja mit dem aufgewachsen, was hier Anlaß berechtigter Kritik ist – um es in altem Ton zu benennen: es ist ihre Heimat. Und von Heimat löst es sich nicht oder nur schwer und sehr langsam; wir wissen das aus bittrer politischer Erfahrung; denken Sie an politisch Vertriebene. Sondern es kommt ein Anderes hinzu. Ich habe bei meinen Hörfunk-Produktionen mehrfach vor dem Problem gestanden, daß mir die Besetzungsbüros und Redakteure sagten: »Jemanden, der Versmaß sprechen kann, finden wir nicht so schnell.« Das geht an die Adresse der Schauspieler.
Es muß im Text »ein Regietheater-Regisseur« heißen.
[Man kann bei Ihnen leider seine Beiträge nicht nachträglich direkt-im-Text korrigieren.]
Schneider... Rolf Schneider??
Eckhard Henscheid wettert seit über 20 Jahren immer wieder zwar sehr gekonnt (aber aussichtslos) gegen dies »Theater«.
Hat nicht Eckhard Henscheid längst & mehrmals & trefflich das Nötigste zum »Regietheater« geschrieben?
Aber geholfen hat es wenig. Genauso wie Schneiders Einwände nichts ändern werden.
Kurzer Artikel mit einer geschnittenen Fassung der Rede zum Hören bzw. Sehen.