Im Moment macht das neue Layout der FAZ mächtig Furore. Kommentare werden nun nicht mehr in Fraktur überschrieben und es gibt jetzt wohl täglich ein buntes Bild auf der Titelseite. Dies wiederum führt in anderen Zeitungen zu Kommentaren (und gelegentlich Häme) über den neuen Weg der FAZ. Und vielleicht entdeckt der geneigte Leser ja nach »Original und Fälschung«-Manier noch andere Kleinigkeiten.
Jens Jessen befand diese äusserlichen Änderungen vor einigen Wochen schon als »Normalisierung nach unten«. Er meinte dabei das Niveau und seine Befürchtungen klangen sogar echt. Und irgendwie glauben wir doch alle, dass eine Lockerung des äusseren Erscheinungsbilds auch immer mit einer Lockerung der Sitten zu tun hat; hier: der Qualität.
Es gibt nun einen sehr schönen Vortrag von Gunther Nickel mit dem Titel Kein Einzelfall, abgedruckt im »Titel-Magazin«, der akribisch anhand dreier von der FAZ massgeblich geführten Kampagnen belegt, dass es auch mit Fraktur und ohne bunte Bildchen schon Elemente des Boulevardjournalismus gab, die höchst zweifelhafte Urteile gebar. Leser wurden, so Nickels Urteil, tendenziös informiert und insbesondere die Journalisten Frank Schirrmacher und Hubert Spiegel kümmerten sich nicht um elementare journalistische Sorgfaltspflichten.
Es geht um die medialen Kampagnen gegen die Schriftsteller Martin Walser, Günter Grass und Peter Handke, die Nickel ausgewertet hat. Dabei ging es sehr schnell gar nicht um die literarische Qualität der beanstandeten Bücher (Nickel betont am Anfang die Notwendigkeit von Kritik und skizziert auch, wie die Schriftsteller selber versuchten, die Medien für ihre Zwecke zu nutzen), sondern es ging um die Schriftsteller selber (sozusagen ad hominem), denn im Mittelpunkt der medialen Auseinandersetzung stand […] ihre Integrität, die ihnen in Form von Kampagnen mit unlauteren Mitteln abgesprochen wurde.
Nickel kommt zu dem Ergebnis, dass mindestens Peter Handke moralisch gebrandmarkt worden ist: Die mediale Kampagne gegen ihn hat es vermocht, eine pejorative Urteilsbildung weithin und zu Unrecht durchzusetzen. Und das von Leuten, die seine Bücher gar nicht oder nur sehr oberflächlich gelesen haben.
Die Ausführungen Nickels sind ziemlich erhellend und dokumentieren schön, wie die FAZ ihre Diskursmacht einsetzt. (Ähnliches könnte man sicherlich auch für den »Spiegel« belegen.) Gleichzeitig wird deutlich, wie Medienkampagnen mit aufgebauschten Skandalen generell »funktionieren«. Der Ausblick ist nicht gerade rosig – er gilt unbedingt unabhängig von der speziellen Betrachtung der FAZ: Skandaljournalismus dient […] der Kompensation des schwindenden Einflusses von Journalisten, und er fungiert zugleich als Marketinginstrument, das die Aufmerksamkeitsquote wenigstens hin und wieder ein wenig nach oben bugsiert, auch wenn sie dann immer noch mit keiner Fernsehshow in der Prime time mithalten kann.
AKTUALISIERUNG (Stand 09.10.07)
Auf die eher pomadige Antwort von Wolfgang Schneider wurde hier schon in einem Kommentar hingewiesen. Pomadig deshalb, weil er sich nicht der Mühe unterzieht, Nickels Punkte zu entkräften, sondern nur die geölte FAZ-Behauptungsschiene repetiert.
Wie gut, dass es da noch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung gibt. Da versucht sich jemand als geistreicher Aphoristiker. Die Sentenzen sind kostbar, denn im Netz findet man sie nicht. Es ist auch nicht viel, was herausgegeifert kommt; die 2 Euro lohnen nicht. Und wie gut, dass es der Autor letztendlich vorzieht, anonym zu bleiben, denn seine zwanghafte Originalität neigt zur Peinlichkeit, wie man beispielsweise hier ablesen kann:
»Anderseits hat es so ein Literaturkritiker natürlich auch nicht leicht, der Kritiker muss all die zu kritisierenden Bücher lesen, und dann muss er auch mal Luft holen; und nachdenken, auch wenn das eine unpopuläre Forderung ist, sollte er eigentlich auch – und insofern schadet es kaum, dass manche Kritiker keine Zeit mehr finden, sich auch noch zu verbrüdern mit den Schriftstellern, die sie kritisieren sollen, und dass ein gewisser Gunther Nickel das anscheinend ganz anders sieht, müsste uns nicht unbedingt kümmern, wenn dieser Herr Nickel nicht, außer dass er Funktionär beim sogenannten Literaturfonds ist, auch auf Studenten, auf Literaturstudenten, losgelassen würde – und in diesem Zusammenhang lohnt es sich eben doch, auf einen Vortrag des Herrn Nickel einzugehen, welcher auch im Internet, im ‘Titel-Magazin’, nachzulesen ist; es ist schon insgesamt ein äußerst dürftiger Vortrag, in welchem, mal wieder, die These vertreten wird, dass die bekannten Schriftsteller Günter Grass, Martin Walser und Peter Handke, prominente Zeitgenossen also, welche, wann immer sie etwas zu sagen haben (oder das zumindest glauben), ein Mikrofon und eine Fernsehkamera finden, außerdem jedes Jahr mindestens zwei Preise bekommen – dass ausgerechnet diese weltberühmtesten Schriftsteller der deutschen Sprache die Opfer der Medien seien.«
Tja, ein schöner, langer Satz. Und so sinnfrei. Da hat es offensichtlich ein Leitartikler auch nicht so leicht all das zu kritisierende zu lesen und – das scheint hier vollkommen gescheitert zu sein – nachzudenken. Fragt sich nur, wo denn das Nachdenken so unpopulär ist? Etwa in den Redaktionsstuben der FAZ, Herrn Schneider, Herrn Spiegel (oder dem Ex-Kombattanten Gustav Seibt)?
Dann kommt der Anonymus gleich zum wahren Kritikpunkt: Der Herr Nickel ist ein »Funktionär«! Und es kommt noch schlimmer – der Leser merkt jetzt, es stösst ihn mitten im Zentrum der sachlichen Auseinandersetzung: Der Herr Nickel »wird auf Studenten losgelassen«. (Dieser Formulierung gefällt ihm so gut, dass sie im zweiten Satz gleich noch einmal wiederholt wird.)
Und das, ohne Herrn Schirrmacher (der natürlich kein Herausgeber ist und der nicht auf den ahnungslosen Leser »losgelassen« wird) und die anderen FAZ-Granden gefragt zu haben! Ohne Genehmigung durch das Politbüro des deutschen Konservatismus! Welche Anmassung von Herrn Nickel, einfach Bücher zu lesen und vielleicht noch – wo käme man da hin! – genau zu lesen. Da ist natürlich alles »Blödsinn«, was zu anderen Ergebnissen als dem der Grossinquisitoren führt. Und da Walser, Grass und Handke »prominente Zeitgenossen« sind, darf man sie entstellen und verunglimpfen.
Warum flüchtet man in solche Dysphemismen? Warum so wenig Souveränität, Fehler einzugestehen? Könnte es damit zu tun haben, dass Gunther Nickel einfach in vielem Recht hat?
Alle im Artikel genannten ‘Kampagneopfer’ der FAZ haben eines gemeinsam: sie weilen unter den Lebenden.
Das verleiht ihren Äußerungen und Taten zunächst eine gewisse Authentizität, die vor dem Hintergrund der zweiten und ungleich gewichtigeren Gemeinsamkeit noch an Dimension gewinnt: Walser, Grass, und Handke sind ‘Parteigänger’.
Nach Walsers Abwendung von der ‘Partei’ im Jahre 1965, sprang unmittelbar Grass in die Bresche, mit der Folge, dass sein ‘Werk’ immer mehr die Tendenz hatte, zu einem ‘Organ’ zu werden. (Grass Austritt aus der SPD erfolgte 1993; Grund war damals das ‘Asylrecht’...)
Hier soll es aber weniger um die bisher genannten beiden Autoren gehen, sondern vielmehr um den bisher ungenannten und letztlich auch durch die mediale Manipulation am nachhaltigsten verheizten Peter Handke: Wer die Schlagworte peter handke engagement spd googeln lässt, empfängt aus erster Hand maßgebliches über Handkes ‘Parteibezüge’....
(Handke scheint dem Rufmorden deshalb so prädestiniert ausgesetzt, weil er ‘Parteigänger’ der Poesie ist...)
Ist es denn nicht die ‘Poesie’, der so etwas wie Kalkül völlig abgeht, während jene ***machers unablässig die Quotenknute schwingen und spüren müssen...?
Handkes «Kritik ist politisch’, weil sie anders dimensioniert ist: Natürlich hätte es Alternativen zu einer überstürzten Anerkennungspolitik der EU gegeben...Deren aktive Teilnahme am Völkermord (Srbrenica) ist schließlich keine leichte Hypothek!
Handkes ‘Kritik’ ist ‘politisch, weil sie poetisch ist.
Die Kritikaster tauchen die Pfeile sogleich in das Curare der gezielten Desinformation, um denjenigen endlich in die Kniee zu zwingen, der es wagt, die angemaßte Deutungshoheit über die Wirklichkeit zu hinterfragen. Es gibt aber auch eine andere Wirklichkeit und wenn es die der Serben ist, wie in Handkes Fall, dann kann es nicht aus Gründen einer ‘politischen Korrektheit’ zum Verschweigen dieser serbischen Wirklichkeit kommen!
Die Politik mag Wirklichkeiten herstellen können, aber sie selbst ist keine!
Dieses Manko macht sie durch einen Kampf wett, in dem ihr mittlerweile jedes manipulative Mittel recht zu sein scheint, wenn es darum geht, die Interpretationshoheit über die sogenannte ‘Wirklichkeit’ zu erlangen...
Wenn ‘Wirklichkeit’ ‚Nietzsche gemäß, wirklich in der Kunst bestände, ’nach festen Begriffen zu lügen’, dann könnten wir in einer Art Schlussverfahren zuletzt aber doch auch etwas über die ‘Poesie’ erfahren:
Poesie zielt genau auf die Zersetzung jener scheinbar so ‘festen Begriffe’... Poesie ist subversiv, indem sie d i e Wirklichkeit als ‘fixe Idee’ vorführt; dies ist von jeher und folglich ‘in nuce’ ihr
poetischerpolitischer Anspruch, den ich – überflüssig zu sagen – von Peter Handke am ehesten eingelöst sehe...(impliziten Dank, lieber Herr Keuschnig,
für die ‘Zurkenntnisbringung’ dieses
anregenden Vortrags des Herrn Nickel!)
Poesie ist subversiv – wie wahr!
Ein schönes Bild: Die Kritikaster tauchen die Pfeile sogleich in das Curare der gezielten Desinformation... und man kann ergänzen – sie sind (das ist nicht ganz unerwartet) ziemlich uneinsichtig und reagieren beleidigt (aber der Fairness halber sei dieser Link auch gesetzt).
Anfangs glaubte ich noch, diese Leute hätten einfach nur die Bücher nicht oder nur ungenau gelesen. Aber ich glaube, sie können das Buch oder einen Text ‑zig Mal lesen – ihre Sturheit, die in diesem Sinne Produkt von Dummheit ist – lässt sich nicht mindestens auf die »andere Seite« ein.
Ich war vor rd. zehn Jahren auf einer Lesung von Handkes »Gerechtigkeit für Serbien«-Buch in Frankfurt. Es drohte in Tumulten unterzugehen, da sich auch hier zwei Gruppen unversöhnlich gegenüberstanden; man wurde kontrolliert beim Eingang. Bei der Lesung von Handke war es dann ganz still; er las fast das ganze Buch. Auch die beiden Stellen, in denen er explizit über das Verbrechen von Srebrenica sprach. Die dann anschliessende Diskussion zeigte aber – man hatte das nicht gehört bzw. nicht hören wollen.
Ihren Äusserungen zur Politik und der Wirklichkeit, die sie erzeugt. stimmt ich voll und ganz zu. Hieraus resultiert natürlich, dass das, was heute stimmt, in zehn, fünfzehn Jahren als vollkommen falsch gilt: Politik und die von ihr konstruierte Wirklichkeit bietet letztlich nur ein System auf Zeit. Die »Paradigmen« (ich weiss, ein blödes, effekthascherisches Wort) stehen grundsätzlich immer zur Disposition. Und daher rührt die Angst der Deutungssetzer, dass ihre wie auch immer motivierten Maxime durch so einen wie Handke hinterfragt werden.
Bezeichnend dabei ist für mich, dass das Subversive der Poesie (wie sie beispielsweise von handke formuliert wurde) offensichtlich derart ins Mark getroffen hat, dass man derart waidwund reagiert hat. (Als Handke in »Unter Tränen fragend« – ein Buch, dass ich persönlich nicht so sehr mag – davon sprach, dass die NATO bei den Bombardements 1999 Splitterbomben eingesetzt habe, beschimpfte man ihn – auch und gerade von den »Fernfuchtlern« der FAZ. Das es stimmte und sich später bestätigt wurde, konnte man sicherlich irgendwo im Kleingedruckten lesen; noch heute entblödet sich der damaligen deutsche Aussenminister nicht, diesen Krieg als notwendig zu erachten.)
Aber Handke lässt natürlich auch nichts aus. Im neuen Interview mit André Müller etwa: ...das Schreckliche tritt heute anders auf, säuselnd und süßlich und humanitär und dauernd das Wort »Demokratie« oder auch das schöne Wort »grün« benutzend.
Und ja, so spricht jemand, der enttäuscht ist bzw. sich enttäuscht hat.
Bei allem, was Handke in dem Interview so dahersagt, geht der wichtigste Satz fast unter:
‘Man sagt immer, die poetische Sprache sei künstlich. Aber in Wahrheit ist das die einzige nicht arrangierte Sprache, wenn ein Gefühl da ist’.
Bei Jerzy Lec heute zufällig folgenden Gedanken gefunden: ‘Auch Parteilose sind nicht parteilos. Sie sind für Gerechtigkeit’.
Was man wiederum von den ‘Kritikastern’ nicht so ohne weiteres behaupten kann :)