David Harnasch, ein Juniorschreiber der Achse des Blöden, nimmt seinen Schmähartikel auf den angeblich bloggenden Murat Kurnaz nach der Enttarnung dieses Blogs als Fälschung nicht etwa vom Netz, sondern fügt lapidar hinzu, dass er zur Recherche, ob denn das Blog tatsächlich von Kurnaz stamme, keine Zeit gehabt habe.
Das ist natürlich unlogisch. Hätte er, wie Stefan Niggemeier empfiehlt, recherchiert, hätte er sich das anschliessende geifernde Wortgetümmel ganz sparen können. Aber genau das wollte Harnasch offensichtlich nicht. Es kam ihm gar nicht darauf an, die Authentizität des Blogs zu erfragen (trotz seines Satzes in Parenthese). In wunderbarer Art und Weise bot ihm das gefälschte Blog Anlass, seinen latenten Hass auf Kurnaz abzulassen. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als »blaming the victim«.
Harnasch befindet sich damit übrigens in bester (deutscher) Tradition. Auch Altnazis nach dem Krieg machten weniger den Urhebern der Katastrophe Vorwürfe (hier fanden sie allerhand Entlastendes; auch Selbst-Entlastendes), sondern den Verfolgten, die die Barbarei (oftmals nur durch ein Wunder) überlebten. Sie fühlten sich von diesen Davongekommenen geradezu beleidigt.
Aber gemach: Man sollte, ja muss mit den Anhängern des primitiven Bushismus, die ihre kruden Weltverschwörungstheorien im aufklärerischen Mäntelchen der westlichen Wertevermittlung präsentieren, Mitleid haben. Man sollte ihre Schmähungen, Unwahrheiten, Verdrehungen, politischen »Unkorrektheiten« und peinlichen Affekte geduldig archivieren. Man sollte ihnen ansonsten medial aus dem Weg gehen; das Lesen von Markwort- und Schönbohm- Laudationes dringend unterlassen; Klimaskeptikerskeptiker-Artikeln in »Qualitätsmedien« meiden – und mit der gewonnenen Zeit beispielsweise schöne Reisen machen.
Nach einigen Jahren sollte man dann die Archive wieder öffnen und sie einfach nur zitieren. Jens Jessen hat dies neulich schon in einem sehr stupenden Artikel in der ZEIT gemacht (»Der Krieg der Worte« – und die Zitatensammlung dazu). Der Unterhaltungswert ist enorm; etliche der zitierten müssten sich eigentlich für ihre Lügen und Unterstellungen in Grund und Boden schämen. Schlechte Erziehung und selektive Wahrnehmung verhindern dies wohl. Und irgendwie erwartet man es auch nicht anders.
Wenn ich Sie nicht hätte! Sowohl auf den Kurnaz-Fake, als auch den großartigen Zeitartikel wäre ich ohne Sie nicht gestoßen und dass ich Ihren Anmerkungen (fast) immer zustimme, ist ja keine Neuigkeit mehr.
Noch ein Frage zur Achse des Blöden: Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, dass sich ein vor Jahren lesenswerter Publizist wie Broder auf so ein Primitivniveau begibt?
Broder / Giordano
Ich fürchte, solange man Broders Polemiken irgendwie zugestimmt hat, war man immun für seine Rhetorik. Meine These wäre, dass sich (vielleicht) Broder gar nicht grossartig verändert hat, sondern nur die Stossrichtung seiner Polemiken hat sich auf ein Feld verschoben, welches einem nun unangenehm aufstösst. – Was meinen Sie?
Ein mir präsenteres Beispiel ist Giordano. Dieser Wahrheitsminister hat mir – unbeachtet seines Lebensweges, der natürlich höchsten Respekt verlangt – nie gefallen. Sein apodiktisches Gehabe, seine Selbstgerechtigkeit war mir immer suspekt. Sein Instrumentalisieren seiner Vergangenheit zuwider. Jetzt – im »Kölner Moscheenstreit« – zeigt sich die Kehrseite dieses Charakters überdeutlich. Nicht dass er gegen den Moscheebau ist, stört mich. Hierfür gibt es Gründe (wie auch immer). Aber die Art und Weise WIE ist schon widerlich.
Noch einmal zu Broder: Ich muss gestehen, ihn immer nur sehr wenig gelesen zu haben. Das, was ich las, hat mir meistens nicht gefallen. Seine holzschnittartigen Gut/Böse-Dichotomien sind mir immer unangenehm einfach vorgekommen; Stammtisch anders herum sozusagen. In Bush hat er nun einen kongenialen Götzen gefunden.
Zu Broder: Höchstwahrscheinlich haben Sie recht, denn mir ist der frühe Broder hauptsächlich als „Pardon“ –Schreiber bekannt, dort naturgemäß satirisch, unsachlich und polemisch, aber für mich auf der richtigen Seite, d.h. auf die richtigen Typen eindreschend. Das hat mich damals nicht gestört, ja, mir wohl eher gefallen.
Sein Weltbild hat sich, lt. Wikipedia, nach dem Entebbe-Geiseldrama verschoben und seine heutigen Polemiken langweilen eigentlich nur, weil sie einzig, ziemlich bemüht, auf Provokation aus sind, niveau- und humorlos und nicht mal stilsicher formuliert. Mit dem „Schmock“ Markwort als Laudator für den Börne-Preis haben sich die zwei Richtigen gefunden.
Zu Giordano: Ich halte sein Auftreten, seine selbstgerechte Attitüde, seine, ja sicher, instrumentalisierte Vergangenheit auch für ziemlich unangenehm und seine islamophobischen Ausfälle für mehr als ärgerlich, aber der Mann ist halt so, ein wenig eitel und schon ziemlich alt. Da bin ich nachsichtiger im Urteil.
Ich glaube, dass Leute wie Broder inzwischen aus reiner Provokationslust derartiges schreiben. Das macht sie nicht besser, verschafft aber eigentlich eine sichere Möglichkeit, ihrem Gift zu entkommen: Ignorieren.
Da ist Giordano schon was anderes. Ich kann leider Ihre milden Formulierungen nicht teilen. Gerade gestern war in »Kulturzeit« ein Bericht über ihn (mit einem Gespräch), in dem er ausdrücklich betonte, dass er mit seinen Angriffen nicht nur den »radikalen Islam« bzw. Islamisten (so ungenau das auch ist) meint, sondern den Islam an sich, den Muslim an sich, als eine Gefahr sieht. Er befleissigt sich dabei immer mehr eines Vokabulars, welches in der Tradition von Klemperers »LTI« steht.
Sein Eifer, auf den er stolz ist (er verbuche dieses Engagement am Ende seines Lebens als ein grosses Plus, so sagte er), ist in Anbetracht auf die Wirkung der öffentlichen Figur Giordano relevant. Ich bin zwar sicher, dass man diesen Anwürfen diskusiv begegnet werden muss (also bloss nichts unter den Teppich kehren oder pure Entrüstung). Aber man stelle sich den (berechtigten!)Aufschrei in der Gesellschaft vor, wenn irgendjemand derart pauschalisierend von Juden gesprochen hätte. Hier wird deutlich mit zwerierlei Mass gemessen. Und die Tatsache, dass Giordano dies weidlich auskostet, ist sehr gefährlich. Er ist und bleibt für sein Handeln nach wie vor voll verantwortlich – egal, wie alt er ist (es sei denn, er wäre dement; diesen Eindruck macht er nicht).
Es hat immer geheissen: Wehret den Anfängen! Stimmt’s?
Ich habe mir das kleine Filmchen mit Giordano gestern Abend in der Kulturzeit nochmal, der Beitrag lief schon am Sonntagabend in »TTT«, auch eingedenk unserer kleinen Diskussion hier angeschaut. Es stimmt alles was Sie sagen. Besonders peinlich sein expliziter Hinweis, den Islam in seiner Gesamtheit als Bedrohung westlicher Kultur zu sehen. Ja sicher, und dennoch sah ich einen eitlen alten Mann, das Wallehaar und den obligatorischen Seidenschal präsentierend, der, sichtlich geschmeichelt durch soviel öffentliche Aufmerksamkeit, nun auch nochmal richtig provokant sein wollte.
Dass man dies allerdings auch genauso beschreiben darf, angesichts der Blödheit seiner Thesen sogar muss, ist keine Frage.
Ich werde mir ihre vorgeschlagene Taktik zueigen machen, denke ich. Der Artikel, auf den Sie hier verweisen, behandelt den Konflikt rund um den Irak-Krieg derart exemplarisch, dass sich der Verlauf vieler Debatten daraus ablesen lassen. Danke Herr Keuschnig.
[EDIT: 2007-09-10 09:06]