Im Gegensatz zu den klassischen Menschheitskatastrophen der Vergangenheit (Naturkatastrophen; Seuchen) stehen heute als Resultate bewusster Entscheidungen die Risiken, die von industriellen Grosstechniken ausgehen. Sie brechen nicht schicksalhaft über uns herein, sie sind vielmehr von uns selbst geschaffen…hervorgegangen aus der Verbindung von technischem Nutzen und ökonomischen Nutzenkalkül. Diese Risiken, die nicht an den Grenzen von menschlich geschaffenen, also künstlichen Nationalstaaten Halt machen, sondern globale Auswirkungen haben können, untersucht Ulrich Beck in seinem Buch über die Weltrisikogesellschaft.
Beck lässt keinen Zweifel: Die moderne Gesellschaft krankt nicht an ihren Niederlagen, sondern an ihren Siegen. Die Probleme der von ihm sukzessive entwickelten Weltrisikogesellschaft sind demzufolge nicht Produkte fehlerhaften Handelns, sondern immanent im Handeln in modernen Gesellschaften angelegt. Die Lösung der Probleme der Welt hat wieder neue Probleme geschaffen. Diese Probleme nennt er Risiko:
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Risiko ist nicht gleichbedeutend mit Katastrophe. Risiko bedeutet die Antizipation der Katastrophe. Risiken handeln von der Möglichkeit künftiger Ereignisse und Entwicklungen, sie vergegenwärtigen einen Weltzustand, den es (noch) nicht gibt. Während die Katastrophe räumlich, zeitlich und sozial bestimmt ist, kennt die Antizipation der Katastrophe keine raum-zeitliche oder soziale Konkretion. […] In dem Augenblick, in dem Risiken Realität werden – wenn ein Atomkraftwerk explodiert, ein terroristischer Angriff stattfindet – verwandeln sie sich in Katastrophen. Risiken sind immer zukünftige Ereignisse, die uns möglicherweise bevorstehen, uns bedrohen. Aber da diese ständige Bedrohung unsere Erwartungen bestimmt, unsere Köpfe besetzt und unser Handeln leitet, wird sie zu einer politischen Kraft, die die Welt verändert.
Worum es Beck in diesem Buch geht, sind die nicht mehr durch Versicherungen dauerhaft und vollständig absicherbaren Akte mit umfassenden, globalen Folgen. Seine Diagnose: Das Weltrisiko ist die Realitätsinszenierung des Weltrisikos. […] »Inzenierung« meint dabei nicht, wie in der Umgangssprache, die bewusste Verfälschung der Wirklichkeit durch das Aufbauschen »irrealer« Risiken. Die Unterscheidung zwischen Risiko als antizipierter Katastrophe und der tatsächlichen Katastrophe erzwingt vielmehr eine Beschäftigung mit der Rolle der Inszenierung. Inszenierung steht also für Vergegenwärtigung des Weltrisikos, mit dem (hehren) Ziel, die Katastrophe abzuwenden, indem auf gegenwärtige Entscheidungen Einfluss genommen wird.
In seiner Typologie globaler Risiken liegt der Keim für ein Problem in diesem Buch. Beck unterscheidet drei »Logiken« globaler Risiken: ökologische Krisen, globale Finanzkrisen und terroristische Gefahren. Zwar weist er auf die Differenz zwischen ökologischen und ökonomischen Gefahren einerseits und terroristischen Bedrohungen andererseits hin (bei letzterer wird der Zufall durch Absicht ersetzt). Im weiteren Verlauf gelingt es ihm jedoch nicht, die grundlegende Differenz herauszuarbeiten.
Während ökologische und ökonomische Risiken (Beck befasst sich später fast ausschliesslich mit den ökologischen Gefahren und führt hierzu beispielhaft die Gefahren durch Atomkraftwerke und die Klimaerwärmung an) prozessual mit quasi naturwissenschaftlichen Parametern »funktionieren«, also hier die kulturelle Wahrnehmung des Risikos verschwimmt, ist das bei terroristischen Risiken keineswegs der Fall. Es handelt sich stattdessen eher um Auswüchse direkter Kulturkonflikte. Die parallele Abhandlung ist also höchst schwierig, da das Risiko einer Explosion eines Atomkraftwerks global vermutlich gleich gewichtet wird, während ein Terroranschlag durchaus kulturell anders bewertet werden kann (abgesehen von der Dimension, die beispielsweise ein radioaktiver Unfall für die Menschheit haben kann – und dagegen ein Terroranschlag mit »vergleichsweise« lokaler Auswirkung).
Dennoch ist es ein Gewinn, Ulrich Becks Diagnose der augenblicklichen Lage zu lesen. Sichtbar seine Lust an provokanten Thesen, die (scheinbar) die gängige Rezeption vom Kopf auf die Füsse stellen. Erhellend sind seine Ausführungen zu den terroristischen Risiken:
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Die Globalisierung der Terrorgefahr äussert sich … zunächst als Globalisierung derErwartung möglicher Terrorattentate an fast jedem Punkt der Erde zu jeder beliebigen Zeit. Es ist diese Erwartung, die tiefgreifende Konsequenzen für das Recht, das Militär, die Freiheit, den Alltag der Menschen, die Stabilität der politischen Ordnung überall auf der Welt hat, denn sie zersetzt die Sicherheitsgarantien der nationalstaatlichen Basisinstitutionen.
[…]
Den terroristisch intendierten Katastrophen ist kein in Zeit und Raum lokalisierbarer Akteur und kein klassisches, eindeutiges militärisches Potential zuzuordnen. […] Den Terrortaten fehlt, was für klassische Feinde selbstverständlich ist, die militärische Berechenbarkeit. Der Selbstmordattentäter geht kein Risiko ein, denn seine Aktion ist todsicher. Abschreckung schreckt ihn nicht. Indem er stirbt, macht er sich unbesiegbar. Die Steigerung der Entschlossenheit: Selbstmord als Mittel des Massenmordes und damit der Inszenierung und Globalisierung von deren Erwartung verleiht dem Ohnmächtigen Macht, ja sogar für einen Moment Übermacht gegenüber der grössten Militärmacht der Geschichte. Obwohl militärisch eindeutig unterlegen, kann der Attentäter kurzzeitig ein Gleichgewicht des Schreckens herstellen…
Beck ist allerdings weit entfernt, der Hysterie das Wort zu reden:
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Die Fernsehbilder der aus heiterem Himmel in eine riesige Staubwolke zerfallenden Zwillings-Kathedralen des globalen Kapitalismus faszinierten aufgrund ihrer traumatischen Obszönität: Der Unverwundbarkeitsglaube der grössten Militärmacht der Welt wurde live hingerichtet. […] Diese material-symbolischen Explosionen bewirkten etwas räumlich und zeitlich von ihnen Abgelöstes: die Erwartung des Terrorismus. Und weil Medium und Ziel der Inszenierung die Erwartung ist, verwischt die Grenze zwischen berechtigter Sorge und Hysterie. […] Die Pointe von solchem Terror besteht darin, das Selbstvertrauen der Moderne durch die symbolisch mobilisierende und (de-)konstruierende globale Antizipation des terroristischen Angriffs zu töten – worin er ziemlich erfolgreich ist.
Vehement greift Beck die hysterischen Beschützer des Westens an, die ihre falsche Dichotomie (Freiheit vs. Sicherheit) aufmachen:
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Es ist nicht die terroristische Tat, sondern es sind die globalen Inszenierung der Tat und die auf die Inszenierung folgenden politischen Antizipationen, Aktionen und Reaktionen, die die westlichen Institutionen der Freiheit und Demokratie zerstören. Die auf vielen Ebenen spürbaren Einschränkungen der Freiheitsrechte […] sind nicht einfach Folgen tatsächlicher Katastrophen, zum Beispiel terroristischer Gewaltakte. Sie sind ein Produkt aus solchen Erfahrungen und deren globalisierter Antizipation, sprich dem Versuch, das künftige Eintreten solcher Ereignisse an jedem Ort dieser Welt zu verhindern. Bin Laden und seine Netzwerke gewinnen weltpolitische Bedeutung erst dann, wenn eine ganze Reihe weiterer Bedingungen vorliegen, die ihnen zu weltpolitischer Resonanz und Präsenz verhelfen.
Wenn die Gefahr des Terrorismus als globales, jederzeit mögliches Risiko in den Köpfen der Menschen präsent ist – und das geschieht durch die Medien – dann haben die Terroristen schon reüssiert. Beck streicht die unfreiwillige Komplizenschaft der »Krieger gegen den Terror« gegenüber den Terroristen heraus. Erst dieses inszenierte Risiko verhilft den Terroristen zur Bedeutung, ja, zu Macht. Der eigentliche Anschlag ist (fast) gar nicht mehr notwendig; es reicht die pure Möglichkeit.
Der Terrorismus, der vom Hass auf die westliche Moderne durchsetzt ist (aufgrund der Siege der Moderne [hier nicht ganz unähnlich der Argumentation Enzensbergers]), erzeugt bei den politisch Agierenden eine Priorität der Prävention. Hierdurch wird aber durch die Antizipation des Terrors die ganze Gesellschaft in den Zustand des Konjunktivs versetzt. Beck warnt auch hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Folgen dieser Präventionskultur (»racial profiling«): Die Antizipation intendierter Katastrophen löst Wellen einer verschärften Zuschreibung aus mit der Folge von Aufschaukelungseffekten, die dann in Selbststigmatisierungen münden, die wiederum das Vorurteil der Islamophoben hervorbringt: immer mehr Kopftücher, immer mehr äusserliche Zeichen des Andersseins. Man grenzt sich selbst aus. […] Weil wir anders sind, können uns die Anderen nicht verstehen. Die Folgen sind fatal, denn die Ideologie des Widerstands gegen die »Globalisierung«, der politische Islamismus, gewinnt an Attraktivität. Und mit ihm dann der »einheimische« Nationalismus (den Beck übrigens nicht ausschliesslich rechts verortet, sondern , in anderem Zusammenhang, durchaus auch im linken Protektionismusdenken heftig bekämpft).
Beck wird, wenn es um die Lösung des Terrorismusproblems geht, für seine Verhältnisse konkret: Wer…den Aufstand der Terroristen im Zentrum des Zentrums zu einem reinen Sicherheitsproblem verkürzt, spielt den Terroristen in die Hände. Für ihn liegt der Zulauf der Terroristen vor allem in der Dritten Welt in der eindimensionalen Globalisierung der Gerechtigkeitsfrage begründet. Der Westen tabuisiere und sabotiere die Lösung dieser Frage und daher finde in der radikal ungleichen Welt der Terrorismus in den Augen der von der westlichen Moderne Überrollten und an die Wand Gedrückten als letzte Ideologie des Widerstandes Gehör und oft eben auch verschwiegene Zustimmung. […] Der Westen steht in den Augen der arabischen Öffentlichkeit oft für kulturelle Dekadenz und ökonomischen Imperialismus, dessen fragile Arroganz man mit der Antimoderne des politischen Islamismus beantworten muss.
Diese These, den Betrachtungen beispielsweise von Ted Honderich (»Nach dem Terror«) nicht fern, lässt allerdings ausser Acht, dass es gerade nicht die an die Wand Gedrückten waren, die die Terroranschläge verübten und auch ein gesellschaftlich-ökonomischer Kontext so gut wie gar nicht in den »Erklärungen« der Bekennerschreiben und ‑videos angeführt wird. Der Deutung, die Twin-Towers seien auch als ein Symbol des Kapitalismus angegriffen worden, widerspricht dies nicht, solange es nicht monokausal behauptet wird.
Al-Qaidas Intention ist nicht, eine neue Weltgerechtigkeit zu implementieren (dann hätte man in den Golfstaaten auf der arabischen Halbinsel viel lohnendere und auch nähere »Ziele«), sondern fusst auf Machtphantasien, die religiös verbrämt und unterfüttert werden. Die Ursachen sind in den geopolitischen Konflikten seit den 80er-Jahre zu suchen. Das enthebt natürlich den Westen nicht von der Notwendigkeit, grössere Verteilungsgerechtigkeit in der Welt zuzulassen – und zwar nicht mit geberischer (und damit abermals imperialer) Pose. Die islamisch-wahhabitisch »argumentierenden« Selbstmordterroristen als neue Gerechtigkeitshelden hochzustilisieren, ist im fast wörtlichen Sinne weltfremd; das macht man noch nicht einmal dort, wo dies theoretisch (im Sinne Becks) verfangen könnte – in Afrika.
Hinsichtlich der ökologischen Risiken überrascht Beck zunächst einmal mit der These, dass wir kein sogenanntes »Umweltproblem« hätten, sondern eine tiefgreifende Institutionenkrise der ersten, nationalstaatlichen Phase der Industriemoderne selbst. Ausführlich beschäftigt er sich mit den Risiken der Atomenergie und vor allem der Klimawandel-Diskussion. Das weite Gebiet der Gentechnik und deren ethische Probleme spricht er nicht an. Konkrete Festlegungen werden vermieden. Lange sucht man nach einer Aussage, ob den Thesen der Klimawandel-Experten zu trauen ist oder eher den Beschwichtigern. Aufgrund der weiter unten angesprochenen vehementen Expertenablehnung Becks, überrascht die zögerliche Haltung nicht. Seine Ausführungen über die unterschiedlichen theoretischen und epistemologischen Positionen der ökologischen Weltrisikogesellschaft bleiben eher blutleer. Der Versuch, den Leser damit zu überraschen, dass es gar keine Natur mehr gibt, auf die sich der Natursuchende bezieht, misslingt im Dickicht zwischen strengem und weichen (reflexiven) Realismus und weichem und strengen Konstruktivismus. Wortgetüme wie konstuktivistischer Realismus oder realistischer Konstruktivismus erhellen nicht unbedingt. Vor soviel –Ismen kapituliert irgendwann selbst der geduldigste Leser.
Beck knüpft, wie der Leser ausführlich erfährt, mit Weltrisikogesellschaft an sein Buch von der Risikogesellschaft von 1986 an und erweitert es auf eine global ausgerichtete Schrift über – im wörtlichen Sinn – grenzenlose Risiken. Einzelstaatliche Antworten hält er für unzureichend (Steinzeit-Antworten auf die Fragen des Industriezeitalters). Heftig greift er die bestehende Soziologie in der Beibehaltung eines mikrokosmischen Blickes an, zeiht sie der selbstverschuldeten Borniertheit und der historischen Unmündigkeit. Aber auch die Tatsache, die Risiken als »Nebenfolgen« oder »Restrisiken« sozusagen als unabänderliches Fatum hinzunehmen und nicht als Erfolge der Industrialisierung offen anzunehmen (um mit ihnen dann umzugehen), erregt Becks heiligen Standeszorn. Seine Erregung in der Argumentationsführung ist für den aussenstehenden Leser erstaunlich. Man fragt sich unweigerlich, welche über Jahre angesammelten Konflikte da abgehandelt werden.
Auch mit der gewöhnlichen Kulturkritik geht Beck hart ins Gericht; er widmet ein Kapitel der Dekonstruktion des linearen Fortschrittspessimismus. In den Klägern über den Werteverlust der Moderne macht er den Verlust der eigenen, unreflektierten Weltgewissheiten aus und stimmt ein Hohelied auf den Individualismus an, den er als Quell neuer basisdemokratischer Strukturen entdeckt. Es gibt für ihn keinen Verfall der Werte, sondern stattdessen einen Wandel. Exemplarisch macht er das an der gesellschaftlichen Behandlung des Themas der Homosexualität deutlich. Vor noch nicht einmal 50 Jahren war dies in den meisten Gesellschaften noch ein Straftatbestand – heute ist Homosexualität in modernen Gesellschaften als sexuelle Orientierung akzeptiert.
Wandel begrüsst Beck a priori und sieht ihn als Chance. Mit grosser Geste wendet er sich gegen irgendwie geartete restaurative Gesellschaftsentwürfe à la Di Fabio oder Schirrmacher (ohne sie zu nennen) und postuliert in einem allerdings merkwürdig anmutenden Überschwang die Maxime: Der Kulturpessimismus ist historisch widerlegt. Die Widerlegung behauptet Beck allerdings nur; Belege bringt er dafür nicht. Einverstanden, dass dies nicht Intention dieses Buches ist – aber dann erübrigte sich diese Erwähnung.
Becks Begriff des Weltrisikos wird im Verlauf des Buches ausführlich beleuchtet – allerdings bleibt er dabei eher an der Oberfläche; deskriptiv. Nach dem euphorischen Anfangskapitel folgt ein Hinweis. Der gesellschaftstheoretisch interessierte Leser könne die Lektüre des Kapitel XI nach Kapitel I vorziehen. Ich habe überlegt, ob ich dieser Möglichkeit folgen sollte, habe es dann jedoch verworfen, da ich der (sicherlich altmodischen) Meinung bin, ein Buch sollte chronologisch gelesen werden, zumal Becks Kapitelaufbau eine gewisse Didaktik und Stringenz suggerierte.
So fehlt mir die Erfahrung, wie ich mit dem Buch nach der Lektüre von Kapitel I und Kapitel XI verfahren wäre. Ich vermute jedoch: anders. Ich hätte nämlich gemerkt, dass Beck sich letztlich in den zwischen beiden Kapiteln liegenden 280 Seiten kaum von der Stelle bewegt haben muss. Teilweise lesen sich die Kapitel so, als seien sie für andere Publikationen geschrieben worden und dann irgendwann wieder dem vorliegenden Buch angeklebt. Die Redundanz ist derart gross, dass irgendwann ein Ermüdungs- und Unlusteffekt auftritt, den man, die euphorischen Anfänge noch im Kopf, fast betrauern möchte.
Letztlich dreht sich Beck in der Beschreibung seiner Weltrisikogesellschaft und der Notwendigkeit, kosmopolitische Lösungen für die globalen Risiken zu finden, ständig im Kreis. Ermüdend wird das, wenn er diesen kosmopolitischen Blick noch aufdröselt und zwischen normativem, politischem und methodologischen Kosmopolitismus unterscheidet, ohne konkrete Abgrenzungen vorzunehmen. Da rächt sich Becks eher erzählender Schreibstil. Ähnliches widerfährt einem bei seiner Behandlung von Moderne, Postmoderne und Mehr-Moderne. Aber statt Definitionen für seine Begrifflichkeiten vorzunehmen, schwimmt und laviert der Autor in seinem eigenen, sprachverliebten Duktus, der selbst für den geneigten Leser irgendwann unverständlich wird. Und auf Seite 332 summiert er die Weltrisikogesellschaft urplötzlich nicht (mehr) als Gesellschaft globaler Gefahreneinsicht – man hat also bisher offensichtlich nichts verstanden – und stellt dann auch noch seinen Begriff der Globalität zur Disposition. War man bisher aus den Ausführungen irgendwie der Meinung, Globalität ergebe sich aus der tatsächlich globalisierten Bedrohungs- bzw. Risikostruktur, also einer Art »Risiko für alle« (als Beispiel wird immer wieder Tschernobyl genannt), so überrascht Beck plötzlich mit der allerdings ziemlich kryptischen Formulierung Globalität müsse als Konflikt um die Definition (und die Definitionsverhältnisse!) von Globalität entschlüsselt werden!
Beck erliegt oft – zu oft! – der Versuchung, immer noch eine zusätzliche Meta-Ebene in sein Weltrisikomodell einzubauen. Damit erhellt er jedoch sein Anliegen nicht, sondern verwirrt. Aber viel schlimmer ist, dass er sich mit dieser Wissenschaftlichkeitsflucht um die Kernfrage seiner Weltrisikogesellschaft drückt: Welche Folgen ergeben sich für das so gewünschte (und notwendige) kosmopolitische Handeln? Und: Wie sehen die neuen Institutionen aus (wenn man dem Autor folgt, dass die alten, nationalstaatlichen versagt haben bzw. versagen werden)?
Hier bleibt es seltsam nebulös. Zwar ist von der Pluralität der Stimmen im globalen, gleichberechtigten Risikodiskurs die Rede und vom Recht des Zuhörens. Und bereits früh negierte Beck das gängige Expertentum mit seiner scheinbar unumgänglichen Vorteile-versus-Nebenfolgen-Antinomie scharf (In Sachen Gefahr ist niemand Experte – auch und gerade die Experten nicht.) und verwirft die Illusionen der Experten, zertrümmert ihre Definitionsmacht, in dem er den Laien durch Zurückgewinnung der eigenen Kompetenz gegen das allgemeine Experten und Gegenexpertentum setzt (schliesslich ist er im Katastrophenfall ja mindestens ebenso betroffen; diese nivellierende Wirkung ist für Beck ein Schlüssel für Re-Demokratisierungen) und zweifelt pauschal die Unabhängigkeit von Experten an (mit dem schönen Begriff von Mr. und Mrs. Verflechtung).
Aber was wird dagegen gesetzt? Was bedeutet die schroffe Bemerkung Der Technikglaube hat schon lange ausgedient beispielsweise im Kontext von Risikofolgenabschätzungen bzw. Abstellung von Risiken bezüglich des Klimawandelproblems?
Eine Art kosmopolitische Norm, in der potentiell betroffene Nichtnationale in die eigene Entscheidungsfindung einzubeziehen sind, ist dem Leser durchaus als erster Ansatz verständlich. (Aber war da nicht Hans Jonas mit seinem »Prinzip Verantwortung« [Beck zitiert ihn einmal] schon weiter?) Grosse Sympathie bringt man auch noch einer Politik wider die weltmächtigen Interessen der westlichen Entscheider-Regionen entgegen (im weiteren Verlauf erliegt Beck dann allerdings wieder der eurozentristischen Sichtweise, was er aber mindestens – im Gegensatz zu anderen – erkennt und thematisiert). Und seine Diagnose, dass das Katastrophenrisiko die Armen verfolgt, mag ja stimmen. Aber inwiefern durch das Diktum, kulturelle Wahrnehmungen und Wertungen gewinnen Priorität gegenüber Tatsachenwissen vielleicht Handlungsmaxime abzuleiten wären, wird nicht aufgezeigt. Stattdessen verbleibt ausgerechnet der Verfechter des kosmopolitischen Handelns bei der Feststellung, dass starke Staaten die anderen nicht dominieren dürften.
Beck spricht es nicht an – aber bei aller Vehemenz der Ablehnung des Nationalstaatsprinzips, ist sein Vertrauen in eine global handelnde Institution offensichtlich nicht sehr stark ausgeprägt. Gemeint sind natürlich nicht die VN, die – der Beckschen Logik gemäss – letztlich nur Versammlungen von Nationalstaaten sind (daher sicherlich die Vorbehalte). Das grosse Wort eines »Weltstaats« wird vermieden; Beck redet eher einer (oder mehreren?) kosmopolitischen Gemeinschaft[en] das Wort, spricht lieber blumig von Subpolitik von oben. Es würde natürlich die Intention dieses Buches sprengen, quasi »nebenbei« noch einen Entwurf für eine irgendwie geartete Globalregierung zu entwickeln. Aber ein bisschen konkreter hätte man es sich schon gewünscht. Denn die korrekte Feststellung, dass sich Risiken und die antizipierten Katastrophen nicht an Ländergrenzen halten, könnte man auch dahingehend ergänzen, dass Katastrophen auch nicht unbedingt durch (kulturelle) Wahrnehmungen alleine vermieden oder gar bewältigt werden.
Und wo bleiben die Ausführungen zur kursorisch vorgestellten Subpolitik von unten, den Nationalregierungen die NGOs und damit die »kritische Masse« entgegenzusetzen und diese zusammen mit den Medien (Der politische Ort der Weltrisikogesellschaft sind die Medien) für frischen Wind zu sorgen? Ahnt Beck vielleicht die Gefahren einer Übernahme von – noch dazu globaler – Politik durch oft genug nicht demokratisch legitimierte Organisationen, die dann exakt jenen Alarmismus provozieren und medial produzieren, den er an anderer Stelle im Buch (Stichwort Terrorismusbekämpfung) so gekonnt angreift? Ist ihm nicht exemplarisch das Fiasko von Greenpeace und »Brent Spar« noch in Erinnerung und die damit verbundene gehirnwäscheartige Medienkampagne? Und wie steht es dann in diesen Fällen mit der von ihm so vehement bekämpften Experten/Laie-Dichotomie?
Und da rauft sich der Leser schon die Haare, wenn der Einkaufszettel zum Element der direkten Demokratie hochgejubelt wird und der Massenboykott kritiklos zum neuen Politikstil erhoben werden soll. Und das, obwohl der Autor ökonomische, gar marktregulierende Massnahmen (naturgemäss) kategorisch ablehnt – und zwar sowohl als Anlehnung an Zauberkräfte des Marktes (das, was man verkürzend neoliberal nennt) als auch an das Gegenstück, einer Implementierung staatlicher Planwirtschaft. Und ausgerechnet Beck, der die medialen Inszenierungen von Risiken so aufschlussreich entschlüsselt, verwendet plötzlich die gleichen Instrumente selber? Wer entscheidet denn, wann etwas boykottiert wird und wann nicht? Oder, anders gefragt: Wer trifft die Entscheidung zur Inszenierung? Wenn sein Diktum stimmt, dass das Nichtwissen…das »Medium« reflexiver Modernisierung sei, wie soll dieses Nichtwissen denn »strukturiert« sein? Was ist anderes damit gemeint, als eine Art Verzichtsgesellschaft, die in der Antizipation der Risiken lieber dem »Fortschritt« (dem Technikglauben [s. o.]) entsagt? Dies würde jedoch in fundamentalem Widerspruch zu Becks generell optimistischer Globalisierungssicht stehen.
So schlingert man denn hin- und hergerissen zwischen Wissensmodernisierung und Nichtwissensgesellschaft herum. Stimmt man der Aussage, dass das, was alle angeht auch nur alle lösen können (kosmopolitische Realpolitik) emphatisch zu, so bleibt doch die Ausgestaltung dieser diskursiven Direktpolitik vage und versteckt sich hinter Worthülsen wie global technological citizenship (Beck greift glücklicherweise selten zu Anglizismen); komplexes Weltregieren; soft law (gemeint ist nicht die durch Macht gedeckte Durchsetzung positiven Rechts) oder Risikoweltbürgerrecht.
Sicherheit ist, da hat Ulrich Beck recht, das Primat der modernen Gesellschaft. Mit seiner Charakterisierung einer Weltrisikogesellschaft will er weder Panik erzeugen noch globalisierungskritisch argumentieren noch den gängigen Kulturpessimismus befeuern. Richtig ist, dass die Weltrisiken, von denen einige genannt werden (andere nicht), ein Ende einer elaborierten Distanzierungsmöglichkeit bedeutet. Die aktuellen Diskussionen um Störfälle in Kernkraftwerken führen diesen Paradigmenwechsel exemplarisch vor Augen. Beck sieht diese Globalisierung von Gefahren pragmatisch und eben nicht als Problem an, sondern begreift sie als Herausforderung, manchmal vielleicht sogar als eine Art heilsamen Schock, wenn er in seltsam metaphorischen Worten die anthropologische Sicherheit der Moderne als aus Treibsand bestehend festmacht. Insofern ist sein Buch von einem erfrischenden, gelegentlich überschäumenden und manchmal naiven (Zweck-?)Optimismus. Da stellt man sich den Autor auch schon mal als Coach vor einem Publikum vor, wenn er die Gefahren als Chancen nonchalant umdeutet. Nach der Veranstaltung gibt es dann aber einen veritablen Kater: Man hätte sich die Modelldarstellung geraffter, konzentrierter gewünscht und gerne dann noch einige Problemlösungsideen vorgefunden. Denn bei aller theoretischen Grandezza – wie das anspruchsvolle Programm einer kosmopolitisch agierenden Weltrisikogesellschaft funktionieren soll hätte ich schon ganz gerne gewusst.
(Bemerkung: Kursiv geschriebene Wörter und Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. Die in Schreibmaschinenschrift geschriebenen Stellen sind seinerseits Kursivsetzungen in den zitierten Stellen des Buches.)
Danke für die kritisch erläuternde und hinterfragende Überblicksdarstellung.
Ich neige ja in alter marxistischer Manier dazu, nach den (wohlverstandenen materiellen) Interessen hinter dem Handeln zu fragen. Anscheinend kommt diese Blickrichtung bei Beck aber nicht vor. Oder?
Beck fragt kursorisch nach der Intention, wenn es um die Gefahrendarstellung von Terrorrisiken geht. Das habe ich beschrieben. Bei den ökologischen Risiken bürstet er diese potentielle Frage dahingehend ab, dass er gegen das Experten- und Gegenexpertentum wettert, welches ihm nicht zur Lösung der Probleme (= Risiken) taugt. Das ist zunächst einmal befreiend, weil man sich die Fragen nach den Interessen dahinter sparen kann; wenn diejenigen weg sind, spielt es keine Rolle mehr. Aber was danach kommen soll, fehlt mir dann. Denn in einer »basisdemokratischen« Welt, in der NGOs die Imperative bestimmen und Politik und Regierung getrennt sind (wie das gehen soll, hätte ich gerne gehört) möchte ich auch nicht leben.
Martin Rees
schätzt in seinem Buch »Unsere letzte Stunde« die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit die nächsten 100 Jahre überlebt, mit 50% ein. Dabei ist mit »Überleben« hier nicht das rein physische Überleben des Homo sapiens gemeint, sondern das unserer Gesellschaft und Kultur.
Die Natur des Menschen hat sich nicht geändert, aber die ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Und der Machbarkeitswahn ist relativ neu (seit der Renaissance), der sich aus dem Primat der Wissenschaft ergibt.
Zum Thema passt auch Jared Diamonds »Kollaps«.
Da ist mir der Becksche Ansatz insgesamt lieber. Die Prognose, dass die Menschheit nächsten 100 Jahre nicht überlebt, ist m. E. ziemlich wertlos, da sie von uns nicht mehr überprüfbar ist. Man müsste zusätzlich definieren, was am Untergang unserer Gesellschaft und Kultur schlimm wäre bzw. – umgekehrt – herausarbeiten, was erhaltenswert und was tunlichst abzuschaffen gehört.
Die Sache mit dem Primat der Wissenschaft ist interessant. Beck nimmt eine ambivalente Position ein. Einerseits dekonstruiert er es (wenigstens teilweise), andererseits mache ich in seinem Buch einen gelegentlich fast naiven Fortschrittsoptimismus aus (der allerdings nicht näher spezifiziert wird).