Seit einigen Tagen wird der zu erwartende Anstieg bei Milch und Milchprodukten unter anderem auch eine erhöhte Nachfrage für diese Produkte aus Asien – speziell aus China – angeführt.
Soeben meldete immer noch die ZDF-»heute«-Sendung davon (»Andererseits steigt die Milchnachfrage in Schwellenländern wie China.«) – und auch die Tagesschau schloss sich dem Tenor der Meldung an. Von der »Bild«-Zeitung ist man ja nichts anders gewöhnt. Und die »FTD« erklärt, dass Chinesen mit Käse keine Probleme hätten. Das Gegenteil ist der Fall.
Nun, es wird seit langer Zeit versucht, bei der Ernährung von Kindern auch in Asien Milch und Milchpulver ins Geschäft zu kommen. Den Eltern wird versprochen, die Kinder würden besser wachsen und eher »westliche« Längen erreichen. Die Erfolge sind jedoch eher mässig. Denn in Asien (speziell in China) ist die Laktoseintoleranz sehr weit verbreitet. In China sind beispielsweise ca. 93% der Bevölkerung nicht in der Lage, Milch oder Milchprodukte ohne gesundheitliche Schäden zu konsumieren. Die Karte der Wikipedia illustriert das deutlich (je dunkler die Felder, je höher die Laktoseintoleranz in den entsprechenden Regionen):
Der fast schon affektartige Reflex, ökonomische Nachfrage oder Verknappungen von Produkten mit einem Boom von China und/oder Indien zu verkoppeln, dürfte hier also in keinem Fall zutreffen.
Auch hier dürfte schreibt also wieder einmal einer vom anderen ab. Der Milchwirtschaft gefällt’s: Die »Schuld« für höhere Preise wird delegiert. Wieder mal sind es die Chinesen. Und kein Wissenschaftsjournalist fragt mal…
Milchprodukte in Indien
Es scheint wohl eher zweifelhaft, dass in einem Land wie Indien, wo die Kuh von einem großen Teil der Bevölkerung als heilig verehrt wird, Milchprodukte sich steigender Nachfrage erfreuen dürften.
Mal nachfragen
Nun ja, eine Karte vom Verein für Laktoseintoleranz halte ich noch für keinen unumstößlichen Gegenbeweis dafür, dass Chinesen keine Milchprodukte kaufen. Hier wäre eine Nachforschung wichtig, ob Käse und Butter außer in Spuren überhaupt Laktose enthalten. So weit ich mich erinnere, werden die Bestandteile Casein und Molke (die Laktose enthält) bei der Käseproduktion getrennt. Außerdem könnte es ja sein, dass kleine Mengen verträglich sind. Ich bin weder Lebensmittelchemiker noch Biologe, aber es würde sich in so einem Fall lohnen, mal welche zu fragen.
Denn da gebe ich dir Recht: Bei solch einem Fall, wo zwei Dinge offensichtlich nicht zusammen passen, ist es die Pflicht eines gewissenhaft arbeitenden Journalisten, eine Ungereimtheit nicht Kommentarlos hinzunehmen. Es wäre nötig gewesen, unabhängige Experten zu Rate zu ziehen, ebenso jemanden vom Verein für Laktoseintoleranz. Die hätten vermutlich Zweifel an der Darstellung des Milchindustrie-Verbands (MIV). Mit deren Meinung hätte man den MIV konfrontieren müssen. Dann hätte man sich noch einen passenden, möglichst unabhängigen Wirtschaftsexperten raussuchen können etc.
Zumindest hätte man bei einer derart eklatanten Preissteigerung mal nachfragen müssen. Und zwar bei den richtigen Leuten. Der FTD-Journalist, auf den du verlinkst, zitiert zum Beispiel den Sprecher des MIV als Experten. Und der sagt natürlich, dass Chinesen Milch gut vertragen. Das ist so, als hätte man den Sprecher des Mineralölverbands gefragt, warum die Ölpreise steigen, und der geantwortet hätte: sprunghaft gestiegene Nachfrage in Nordamerika.
Von den großen Medien bin ich, genauso wie du, enttäuscht, dass man das einfach so hingenommen hat. Zum Glück gibt es noch ein paar Kollegen, die zumindest mal nachgefragt haben:
DLF
FAZ
Danke für die Links (die gute, alte FAZ...)
Die Karte habe ich nur der Einfachheit halber angeführt und ist mindestens in Zusammenarbeit mit der »Zeit« entstanden, also nicht ausschliesslich von dem Verein. Sie ist ja auch, wie in der Diskussionsseite der Wikipedia angesprochen, hinsichtlich Japan vermutlich nicht korrekt.
Ich habe beruflich gelegentlich mit Chinesen zu tun und die hatten sich bisher alle ablehend zu mit Käse überbackenen Lebensmitteln geäussert und dies u. a. auch auf ihre Milchphobie geschoben. Da Chinesen zu Hause fast alles essen, was sich irgendwann einmal bewegt hat, ist eine solche Ablehnung schon interessant.
Die Ablehnung von Käse in China ist weitgehend kulturell bedingt; ich bin auch kein Biologe. Wie der Experte im DLF-Gespräch sagt, können Chinesen ja durchaus kleinere Mengen Lactose »verdrücken«. Viele dürften aber in der Vergangenheit Probleme bekommen haben, und lassen es dann lieber sein. Dass (westliche) Milch und Milchprodukte bei der Oberschicht zum Lifestyle gehören, bestreite ich nicht. Alles in allem halte ich das Argument, die Chinesen trinken uns jetzt noch »unsere« Milch weg, weiterhin für Unsinn.
Geradezu abstrus gestern eine Hörfunkkorrespondentin aus China, die, angesprochen auf evtl. Unverträglichkeiten, meinte, dass das doch nur die Wissenschaftler behaupten würden.
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PS: Eine Leserin des FAZ-Artikels schreibt dazu:
Die Lactoseintolleranz wird in Ihrem Artikel falsch dargestellt. Ich habe schon von klein auf viel Mich getrunken und habe sie mit der Zeit immer schlechter vertragen. Nach Ihrem Artikel hätte ich aber auf Grund der Gewöhnung meiner Darmbakterien keine oder kaum Symptome zeigen müssen. Dem ist nicht so!
Auch dass vermentierte Milchprodukte keine Lactose enthalten stimmt nicht. Sie enthalten weniger, und je mehr sie reifen konnten desto besser.
Auch dass Milch in fester Form besser verträglich sei, stimmt so nicht! Meist enthalten Produkte mit viel Milchpulver auch viel Fett. Dadurch werden diese Produkte langsamer verdaut und der Darm hat mehr Zeit Lactase zu bilden. Milchpulver an sich wird genauso schlecht vertragen wie die Milch in flüssiger Form.
Ich möchte hiermit noch einmal nachdrücklich sagen: Man kann sich nicht an Milchzucker gewöhnen, wenn der Körper zu wenig Lactase bildet.
The Chinese and Lactose-Intolerance
You are right to point out that those who are born with lactose-intolerance are a rarity. What I want to add is that being born with lactose-intolerance is also not race-specific.
That said, the only other reason why any person can be intolerant to food that contains lactose, or lack the lactase enzyme (other than being born with it), is because of his/her dietary habits, which are of course very much linked to his/her cultural food practices. That’s why I feel that what you commented on about the Chinese feeding their children additionally with milk in order to give them a more “western” body stature is quite short-sighted.
The Chinese only becomes intolerant to lactose because he might not have the habit of consuming food products that contain lactose in his adult life. The same can, and I believe will indeed happen, to a German if he too does not have the habit of drinking milk regularly. What I’m saying is that if we follow your argument, we can also safely say that a German kid would also need to “get used to”, as you put it, and be “zugefuettert” with milk in order to not become lactose-intolerant in his later life. The myth that the Chinese is born without the lactase enzyme is bogus.
Milk is not necessarily a “western” food product and the act of drinking milk is also definitely not a “western” act.
This table on wikipedia on lactose-intolerance is dangerously misleading:
http://en.wikipedia.org/wiki/Lactose_intolerant#Lactose_intolerance_by_group
It might be correct to state that the Chinese or the Thai or the Native American whom they experimented on are less tolerant to lactose than the “white people of northern Europe and Scandinavian descent”. However, I wonder how the table would look like if they had experimented on say, Germans and Chinese who had BOTH stopped drinking milk since the age of 7.
On a lighter note: the table puts the Germans to shame ;) You are not more tolerant to lactose than the Swiss, Brits and wow, “White Americans”? Perhaps we should also draw a “spice-intolerant” table and maybe we would just have to reverse the ranks.
Meine Bemerkung, dass chinesischen Kinder Milch bzw. Milchpulver »zugefüttert« wurde, entstammte einer Webseite, die ich irgendwie nicht mehr finde. Es war ein Versuch der Milchwirtschaft (ich weiss nicht, welcher – der europäischen oder der chinesischen), Milch in China populärer zu machen.
Es ist allerdings m. E. unbestreitbar, dass das Trinken von Milch in China sehr viel weniger verbreitet war (und ist) als beispielsweise in Europa. Das hat – nach allem was ich hierüber gelesen habe – nur am Rande kulturelle Einflüsse. Eine medizinische Störung lässt sich nicht durch kulturelle »Leugnung« verändern oder steuern. Ich persönlich habe z. B. als Kind über zehn Jahre so gut wie nie Milch, Joghurt, Kakao oder Käse gegessen; ich mochte es eine Zeit lang nicht. Als ich wieder damit anfing, hatte ich gar keine Problem damit. Es gibt aber überall Stellungnahmen von Menschen, die an Lactoseintoleranz leiden, dass dies nicht »abtrainiert« werden kann.
Letztlich ging es mir nur darum zu zeigen, dass die Aussage, die Chinesen seien durch die enorm erhöhte Nachfrage nach Milch und Milchprodukten für den Preisanstieg in deutschland verantwortlich, Unsinn ist. Er ist auch weitgehend aus den Medien inzwischen verschwunden.
derselbe Mechanismus?
Heute habe ich gelesen, daß die Brotpreise steigen müßten, weil ein Drittel des Brotgetreides zur Biospritgewinnung eingesetzt würde.
Daß dieses Problem entstehen könnte, ist bekannt.
Daß es heute bereits diese Dimension habe, halte ich für ein ganz ähnliches Trittbrettfahrer-Szenarium, wie die Milchpipeline nach China.