Am Sonntag wurde in Klagenfurt im Rahmen der »31. Tage der deutschsprachigen Literatur« der Ingeborg-Bachmann-Preis vergeben. Die neun Juroren benennen denjenigen, dem sie den Ingeborg-Bachmann-Preis geben wollen. Jeder liefert eine kurze Begründung. Gibt es beim ersten Mal keine Mehrheit, dann finden Stichwahlen statt.
Im Gegensatz zu den späteren Preisen (sozusagen dem 2. bis 4. Preis) war die Kürung des Hauptpreisträgers in diesem Jahr schnell erledigt. Im ersten Wahlgang erreichte Lutz Seiler 6 von 9 Stimmen.
Aber irgendjemand muss das nicht mitbekommen haben. Und wenn man heute, drei Tage nach der Preisvergabe googelt, so erscheint auf der ersten Seite fast unisono die Information, dass der Preis an Lutz Seiler erst nach »mehreren Stichwahlen« gegangen sei. Das ist nachweislich falsch und betrifft lediglich die nachfolgenden Preisträger.
Das ist natürlich eine Petitesse und sicherlich nicht unbedingt wichtig. Aber es zeigt, wie im heutigen Journalismus offensichtlich alle bei einem abschreiben – und sei es auch noch so falsch.
Die »Helden« im einzelnen (Stand 04.7.07 – 08.30 Uhr):
3 sat – »Kulturzeit« (der Sender, der das Spektakel rd. 17 Stunden im Fernsehen übertragen hat):
Mehrere Stichwahlen waren nötig, bis der Haupt-Preisträger feststand: 2007 erhält Lutz Seiler den mit 25.000 Euro dotierten Bachmann-Preis.
Meine Mail vom 02.7. auf den Irrtum hinweisend, wurde natürlich weder beantwortet, geschweige denn berücksichtigt. Wie käme man dazu!*
Die Süddeutsche Zeitung:
Allerdings waren mehrere Stichwahlen nötig, bis Seiler als Haupt-Preisträger feststand. Er erhielt schließlich sechs von neun Kritikerstimmen.
Spiegel Online:
Er erhielt sechs von neun Kritikerstimmen. Allerdings waren mehrere Stichwahlen nötig, bis mit Seiler der Haupt-Preisträger feststand.
*NACHTRAG: E‑Mail von der »Kulturzeit«-Redaktion am 04.7., 15.36 Uhr: Man habe sich auf die dpa-Agenturmeldung verlassen, was, so lautet die kryptische Formulierung, in solchen Momenten einfach unabdingbar ist. Warum das unabdingbar ist, verstehe ich nicht. Man versprach in jedem Fall, die Sache auf der Webseite zu korrigieren.
NACHTRAG 09.07.07: Seit mindestens 07. Juli ist der SpOn-Artikel entsprechend korrigiert.
Frankfurter Neue Presse:
Mehrere Stichwahlen waren nötig, bis mit dem Berliner Lutz Seiler der Haupt-Preisträger feststand, der 25 000 Euro Preisgeld erhält.
DIE ZEIT News (verbändelt mit dem Tagesspiegel):
Mehrere Stichwahlen waren nötig, bis mit dem Berliner Lutz Seiler der Haupt-Preisträger feststand, der 25.000 Euro Preisgeld erhält.
Fairerweise muss man allerdings sagen, dass in einem Artikel im Feuilleton der Sachverhalt richtig dargestellt ist.
Das es auch besser geht, zeigt Börsenblatt Online und das ORF-Studio in Kärnten: Die Vergabe des Bachmann-Preises stand mit nur einem Wahlgang fest: Lutz Seilers »Turksib« überzeugte sechs der neun Juroren.
Wie gesagt – es ist eigentlich eine Kleinigkeit. Und doch: Was wird einem Tag für Tag so serviert, was eigentlich nur aus einer Quelle abgeschrieben wird – und auch noch falsch oder verdreht dargestellt wird? Und: Wieso zeigt man sich offensichtlich in den Redaktionen derartig resistent, den Fehler zu korrigieren? Wo bleibt da der bei jeder Gelegenheit so beschworene journalistische Ethos und die »tiefen« Recherchen, wenn man einen derart einfachen Sachverhalt schon nicht in der Lage ist, korrekt wiederzugeben?
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht...
Noch schlimmer ist der Themenschneeball
Dabei wäre eine Recherche hier recht einfach gewesen. Man hätte einfach nur mal an die Originalquelle gehen müssen. Es steht gleich im ersten Satz: http://bachmannpreis.orf.at/bachmannpreis/information/stories/204061/
Wäre noch interessant zu erfahren, wer die falsche Information verfasst hat und warum alle ausgerechnet davon abgeschrieben haben. Die Abschreiberitis ist im Online-Jorunalismus aber leider weit verbreitet. Was ebenfalls oft negativ auffällt: Ein großes Magazin bringt ein aufgeblasenes Thema und alle anderen bekommen nun Angst. So wird das Thema übernommen, egal ob es wichtig oder richtig oder sonst irgendwie ins Konzept passt.
Bei Bloggern ist es übrigens nicht anders. Die Copycats von Stefan Niggemeier, Don Alphonso und Co. sind fast so zahlreich wie es so genannte »Medienblogger« gibt. Man erwähnt zwar die Originalquelle und gibt seinen eigenen Senf dazu. Man hat aber keine Lust, mal etwas eigenes zu recherchieren oder sich selbst über ein Thema Gedanken zu machen, das noch keiner vor einem hatte.
Man hatte wohl...
eine dpa-Meldung verwendet (siehe Nachtrag).
Die Frage ist, ob es Aufgabe von Blogs ist, Nachrichten zu recherchieren. Ich bin da unentschlossen, da ich – im Prinzip – das gleiche mache und auch gelegentlich bei Recherchen (gerade auch im Internet) schon hereingefallen bin. Dieses Phänomen des gegenseitigen Anschreibens hat nämlich auch immense AUswirklungen auf das Internet, da die falschen Meldungen »bis auf ewig« neben eventuellen korrekten Darstellungen stehenbleiben...
Interessant ist, dass die „Kulturzeit“-Redaktion in 3sat genau die von Ihnen angesprochene Problematik erkannt und thematisiert hat, gestern z.B oder am 4.12.06.
http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/110482/index.html
http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/101386/index.html
Sehr schwach ist natürlich, dass auf eine Mail nicht wenigstens eine kurze Antwort kommt. Würde ich bei BILD oder Report-München! sicher nicht erwarten, bei 3sat allerdings schon.
Nachtrag
E‑Mail von der »Kulturzeit«-Redaktion am 04.7., 15.36 Uhr: Man habe sich auf die dpa-Agenturmeldung verlassen, was, so lautet die kryptische Formulierung, in solchen Momenten einfach unabdingbar ist. Warum das unabdingbar ist, verstehe ich nicht, da man das Spektakel selbst übertragen hat. Man versprach in jedem Fall, die Sache auf der Webseite zu korrigieren.
Immerhin.
Nachrichtenagenturen sind natürlich auch nicht unfehlbar
Da hängt es vom Thema und den Ressourcen einer Redaktion ab, ob man doch noch einmal nachrecherchieren kann. Wenn dpa eine Meldung über den Ticker schickt, dass der Präsident von Nicaragua gestürzt wird (nur ein Beispiel) und die Tageszeitung keinen Korrespondeten vor Ort hat, noch keine anderen Agentur darüber berichtet hat und die Deadline naht, dann hat die Redaktion nur zwei Möglichkeiten: 1. Die Meldung erst einmal nicht bringen und abwarten oder 2. Die Meldung mit Verweis auf dpa als Quelle veröffentlichen.
Bei so Kleinigkeiten wie dem Ingeborg-Bachmann-Preis würde ich jetzt fast sagen: Schwamm drüber, ob’s der erste oder der dritte Wahlgang war. Hauptsache der Preisträger stimmt. Klar, wehret den Anfängen. Wer sich heute beim Wahlgang irrt, der unterscheidet morgen vielleicht nicht mehr zwischen Terroristen und Islamisten. Aber da würde ich hier nochmal die Kirche im Dorf lassen.
Allerdings hätte in diesem Fall wirklich ein einfaches Telefonat genügt, wenn die Redaktion sich unsicher war. Meistens dürfte aber die Zeit fehlen, so etwas noch einmal nachzurecherchieren. In einer idealen Zeitungswelt mit viel Zeit wäre das sicher drin gewesen. In der Realität leider nicht immer...
Zu Medienbloggern: Deren Meinung wird natürlich auch gesteuert. Was die bekanntesten Blogger schreiben, verbreitet sich meist wie ein Lauffeuer, egal was es ist. Das kann in vielen Fällen sehr nett sein, in den meisten anderen Fällen ist es einfach nur einfallslos.
Schwämmchen drüber
Ich habe mehrfach geschrieben, dass es sich um eine Kleinigkeit handelt. Aber wenn schon bei einer solchen Kleinigkeit Falsches geschrieben wird – wie soll ich dann komplexere Meldungen einordnen? Und wenn eine Redaktion des Senders, der die Veranstaltung überträgt, sich einer dpa-Meldung bedienen muss, dann kommt mir das vor, als liesse ich mir das aktuelle Wetter meines Wohnortes per Webcam anzeigen, statt aus dem Fenster zu schauen. Schwamm drüber, für diesen Fall, okay. Aber: Gerade weil es eine Banalität ist, horche ich auf.
Für mich stellt sich die Frage, welcher Depp das für dpa beobachtet hat. Und um Ihr Beispiel zu übernehmen: Auch bei einer Meldung eines gestürzten Staatschefs muss dpa das ja irgendwo herhaben. Agenturen haben Korrespondenten, die bestimmte Länder »betreuen«, beispielsweise in dem sie den lokalen Rundfunk abhören – oder wiederum Leute haben, die das für sie tun. Was ich immer interessant finde: Bei aussergewöhnlichen Ereignissen wie Naturkatastrophen oder auch Unruhen werden – wenn man die Fernsehnachrichten verfolgt – oft Korrespondenten befragt, die tausende von Kilometern vom Geschehen entfernt sind. Ihnen werden Fragen gestellt, die oftmals derart detaillierte Kenntnisse erfordern würden, dass die Antworten – je nach Korrespondent – entweder vollkommen nichtssagend ausfallen (der bessere Fall; der Journalist gibt zu verstehen, das er eigentlich nichts sagen kann) oder blosse Behauptungen darstellen (ohne nur ansatzweise eine Quelle dafür zu benennen).
Es gibt hinreichend Literatur darüber, die die Berichterstattung in Kriegsgebieten wie dem Irak oder – in den 90er Jahren – in Jugoslawien beschreiben. Die Mehrzahl der Journalisten bleibt/blieb im jeweils dafür vorgesehenen Hotel – und verwertete die zu bestimmten Zeiten veröffentlichten Kommuniques. Wenn’s hoch kam, dann wurde noch unterschieden, welche Seite was geschrieben hat.
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Kurz zu den »bekanntesten Bloggern«: Ich lese das so gut wie nie mehr, weil es für mich selten einen Mehrwert gebracht hat. Wobei die Definition dieses »Mehrwerts« sehr subjektiv ist und eigentlich nichts über eine Qualität dieser Texte aussagt. Den Ruhm, den diese Leute in der Szene haben, resultiert nicht zuletzt aus einem gewissen Pioniermythos.