In jeder Diskussion um Verbesserungen des Bildungssystems in Deutschland fällt nach wenigen Sätzen fast unausweichlich die Behauptung: In keinem anderen Land (der OECD) bestimmen die Herkunft und die finanziellen Mittel die Bildungschancen derart stark wie in Deutschland. Kinder aus Arbeiteraushalten oder anderen »prekären« Milieus haben – so die These – systembedingt schlechtere Chancen auf höhere Schulabschlüsse wie beispielsweise das Abitur oder gar ein Studium. Der Schluss hieraus lautet, dass Haushalte mit grösseren pekuniären Mitteln per se eine bessere Bildung für ihre Kinder erreichen. Dies bedeutet auch, so die gängige Meinung, dass »ärmere« Kinder bedingt durch ihre »Armut« schlechtere Bildungschancen hätten.
Neben den gängigen OECD-Studien wird auch die PISA-Studie hier immer wieder zitiert. Befragt wird diese These und vor allem ihre Erhebungsmethode gar nicht mehr; sie ist derart kanonisiert, dass es offensichtlich ein Faktum zu sein scheint.
Dabei müssten diese Thesen eigentlich verwundern, denn in Deutschland existieren weder Schulgeld noch Zugangsbeschränkungen, die an finanzielle Zuwendungen gebunden wären (lässt man jetzt einmal die wenigen privaten Internatsschulen beiseite). Wie wird eigentlich genau diese Aussage belegt? Und: Stimmt es tatsächlich in dieser Einfachheit, dass die ökonomische Ausrüstung des Elternhauses den Grad der Bildung bestimmt?
Das entsprechende Kapitel in der PISA-Studie (Jahrgang 2003) konstatiert zunächst einmal, dass in der entsprechenden Milieu-Studie ausschliesslich die mathematische Kompetenz überprüft wurde. Diese gilt als repräsentativ für andere Kompetenzfelder, die ansonsten in der Studie gross untersucht werden und durchaus divergierende Ergebnisse befördern. Nehmen wir diese Repräsentationsfähigkeit der mathematischen Kompetenz als gegeben an (was m. E. eigentlich zu einseitig ausgerichtet ist), so stellt sich als zweites die Frage, nach welchen Kriterien der soziale »Stand« definiert wird.
Im Kapitel 9 ist dies erläutert: Es zählt nämlich mitnichten die finanzielle Ausstattung der Familien alleine als Kriterium (dies hätte man ja sehr schnell an Einkommensgrenzen bzw. relative Einkommen in Form eines Wertes festmachen können). Die Angelegenheit ist wesentlich komplizierter: Man bildet aus ökonomischen, sozialen und kulturellen Indikatoren einen Index. Dieser nennt sich Index of Economic, Social and Cultural Status – ESCS.
In der Wikipedia ist nachzulesen, dass dieser ESC-Status sich aus der sozioökonomischen Stellung der Familie, dem erreichten Ausbildungsniveau der Eltern und dem häuslichen Besitz errechnet.
Weiter heisst es dort:
Als Indikatoren für das kulturelle Kapital der Familien werden die nationale Herkunft und die Dauer im Aufenthaltsland erfasst, sowie die Sprache, die im Familienalltag gesprochen wird. Ein anderer Indikator für das kulturelle Kapital der Familie ist das so genannte Humankapital der Eltern, d.h. deren Schulbildung und Berufsausbildung. Als weiterer Indikator ist die kulturelle Praxis der Familie zu nennen. Die kulturelle Praxis beinhaltet Theater- oder Museumsbesuche, den Besitz von Kulturgütern, das kulturelle Leben innerhalb der Familie und auch den Besitz von z.B. Taschenrechnern, Lexika oder sonstiger Bücher. Kinder und Jugendliche verfügen über soziales Kapital, wenn sie in einem Netzwerk sozialer Beziehungen aufwachsen/-wuchsen, welches sie dabei unterstützt sozial anerkannte Ziele, Werte und Einstellungen zu übernehmen. Dieses soziale Kapital wird hauptsächlich in der Familie, der Verwandtschaft, der Nachbarschaft, in religiösen und ethnischen Gruppen, Vereinen, Parteien und Betrieben gebildet. Soziales Kapital spielt eine bedeutsame Rolle bei der Bildung von Humankapital. Als Indikatoren für das soziale Kapital der Familie werden Struktur und Größe der Familie (d.h. Personenzahl, Anzahl der Geschwister, u.a.), der Erwerbstätigkeitsstatus der Eltern und verschiedene Aspekte der Eltern-Kind-Beziehung (unter anderem der Erziehungsstil oder die Unterstützung und Hilfe bei Problemen, Schulaufgaben u.a.) erfasst.
Die Auflistung in der PISA-Studie zeigt nun, dass – stark vereinfacht dargestellt – die Höhe des ESC-Status-Index mit der Art der weiterführenden Schule korreliert. D. h. ein Kind mit hohem »ESCS-Quartil« ist eher auf einem Gymnasium zu finden – Hauptschüler rekrutieren sich in hohem Masse aus Familien mit niedrigerem Quartil. Aus dieser Korrelation lässt sich aber mitnichten eine allgemein gültige Kausalität ableiten.
Der Wert selber spiegelt in keinem Fall ausschliesslich die Einkommensverhältnisse wider.
Er soll eben auch Erziehungshaltung widerspiegeln, die durch die Eltern vermittelt und im Elternhaus gelebt wird. Kinder, die sehr früh mit Büchern und dem Wert des Wissens aus dem Lesen konfrontiert werden, bekommen natürlich andere Wertvorstellungen vermittelt, als diejenigen, die in ihrer Familie nur »Fun« und »Action« erleben. Kinder, die im Umfeld von frühester Zeit ausschliesslich mit »Super-RTL« und/oder, später, der »BILD«-Zeitung aufwachsen, werden später vermutlich grosse Probleme mit dem Verständnis komplexerer Zusammenhänge bekommen. Deren Eltern gewichten aber damit auch die Bedeutung von Bildung anders – sie halten die Hauptschule oft genug als ausreichend.
Wenn das Umfeld jedoch Bildung per se nicht als wichtige und notwendige Tugend begreift, sondern die Schule als lästiges Übel empfindet, welches die Freizeitaktivitäten unnötig behindert, so ist natürlich auch wenig Interesse beim Nachwuchs zu wecken. Wenn Eltern die Wichtigkeit und Notwendigkeit von Schule gar nicht entsprechend thematisieren – dann muss man sich nicht über das Ergebnis wundern.
Der Irrtum der Interpretatoren liegt darin, zu suggerieren, dass das »kulturelle Kapital« a priori und ausschliesslich an finanzielle Mittel gebunden sei. Dies ist nicht der Fall – es gibt bspw. Bibliotheken, Gebrauchtbücherhandel, Download-Möglichkeiten über das Internet für interessante Zeitungsartikel, usw. Mitentscheidend für den Bildungsweg ist also der vermittelte Wert von Bildung und dessen Stellung innerhalb des familiären Kontextes. Dieser ist aber nicht alleine von den Einkommensverhältnissen abhängig. Wenn im Elternhaus die Prioritäten andere sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man das Kind auf eine höhere Schule schickt, auch relativ gering.
Und wenn das Fernsehen als »Erziehungsinstrument« verwendet wird (beispielsweise um Kinder entsprechend »zu versorgen«), so hat dies auch Auswirkungen auf den späteren Bildungsweg von Kindern und Jugendlichen. Studien belegen, wer früh sehr viel und vor allem unstrukturiert fernsieht, hat statistisch betrachtet später eine geringere Bildung.
Der Schluss der PISA-Studie Für Deutschland ist ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und mathematischer Kompetenz festzustellen, der vor allem auch über die Beteiligung und Beteiligungschancen an den unterschiedlichen Schulformen vermittelt wird. klingt anders, als die platte, landläufig suggerierte Formel, dass der »Geldbeutel« über die Bildungschancen entscheidet.
Vielleicht liegt eine der Ursachen auch in der viel zu früh ansetzenden Selektion für die weiterführenden Schulen. Ist es wirklich notwendig, Kinder nach vier Schuljahren, also im Alter von ca. 10 Jahren, eine später schwierig zu revidierende Entscheidung vornehmen zu lassen?
Und: Ist das föderale System der Bundesrepublik, welche durch die sogenannte Föderalismusreform gerade noch einmal die Kompetenzen der Bundesländer stärkte, wirklich so günstig? Ist es erforderlich, dass bei Umzügen in andere Bundesländer die Schüler oft derart unterschiedliche Niveaus antreffen? Wem, ausser der Arroganz einiger Länderregierungschefs, hilft es wirklich sogenannte »Wettbewerbsvorteile« im landesspezifischen Bildungssystem im Vergleich zu anderen Ländern zu generieren?
Nun sind – das scheint belegt zu sein – auch die Unterschiede zwischen den Schulformen (Hauptschule – Realschule – Gymnasium) grösser als dies wünschenswert ist (über die Tatsache, dass es Unterschiede zwischen den Schulformen zu geben hat, dürfte allerdings Konsens bestehen; von den gleichmacherischen Experimenten in den 70er Jahren, die zur allgemeinen Nivellierung des Bildungssystems führten, ist man wohl weitestgehend abgerückt). Insbesondere der drastische Abfall der Hauptschule gibt zu denken. Das anschliessende Kapitel 9.2 über die Migrationsintegration erklärt jedoch einiges; in der Zusammenfassung heisst es dann Die Leistungsdifferenzen zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund sind in Deutschland sehr stark ausgeprägt.... Auch dies ist primär kein Problem, welches dem Schulsystem angelastet werden kann, sondern liegt in den unverantwortlichen Versäumnissen der politischen Eliten aller Parteien, die auf Kosten von Lehrern und Schülern ausgetragen wird.
Der weitergehende Schluss Für Deutschland kann an dieser Stelle eine eher ungünstige Kombination von Chancengerechtigkeit und Kompetenzniveau festgestellt werden... ist schlichtweg falsch: Die »Gerechtigkeit« ist gar nicht untersucht worden – es werden zwei Feststellungen in ein fragwürdiges Verhältnis zueinander gesetzt.
Es bleibt die Frage, ob bei dieser Lesart nicht Ursache mit Wirkung verwechselt wird. Die soziale Herkunft bestimmt auch immer ein Stück weit die Prioritäten für den Bildungs- und Berufsweg der Kinder und Jugendlichen. Dies alleine dem Schulsystem anzulasten, ist falsch – auch wenn durch Tabellen suggeriert wird, die Erhebungen wären international vergleichbar. Inzwischen gibt es erste Kritik.
Die Frage ist, warum die wenig differenzierten Verallgemeinerungen ständig in den Medien fortgeschrieben werden und eine Stimmung erzeugen, die auch die Gefahr einer selbsterfüllenden Prophezeiung in sich bergen. Vielleicht hängt dies mit der in Deutschland gängigen Meinung zusammen, alleine finanzielle Zuwendungen könnten die gewünschten Impulse erzeugen. Die gesamte Sozialpolitik der letzten dreissig Jahre funktioniert nach diesem Prinzip. Die Untersuchungen zeigen inzwischen, dass pekuniäre Zuwendungen jedoch sehr häufig nicht den Effekt dort erzielen, wo er gewünscht wird. Haushalte, in denen Bücher bestenfalls in Form eines Lexikon präsent sind, dürften Erhöhungen von Transferleistungen (bspw. Kindergeld) nicht als Anreiz nehmen, Kinder zum Lesen zu animieren; man wird dann das Geld vielleicht eher für Videospiele oder MP3-Player verwenden.
Nicht umsonst plädiert der Soziologe Paul Nolte von einem Abwenden der rein pekuniären Versorgung der »Unterschichten«: Wir sind zu lange einem Konzept gefolgt, das man als »fürsorgliche Vernachlässigung« bezeichnen könnte. Einer vergleichsweise hohen materiellen Fürsorge der Unterschicht steht eine Vernachlässigung in sozialer und kultureller Hinsicht gegenüber. Das Ziel muss es wieder sein, Kulturen der Armut und der Abhängigkeit, des Bildungsmangels und der Unselbstständigkeit nicht sich selbst zu überlassen, sondern sich einzumischen, sie herauszufordern und aufzubrechen. Es geht um Integration in die Mehrheitsgesellschaft, aber auch – für viele ein heikleres Thema – um die Vermittlung kultureller Standards und Leitbilder.
Die von Nolte propagierten Einmischungskonzepte des Staates sind eben nicht mehr rein finanzieller Natur, sondern greifen unter Umständen direkt in die Erziehung von Eltern hinein. Aus historischen Gründen diese Art von »Fürsorge« des Staates mindestens ambivalent zu betrachten. Der Spagat zwischen allzu starkem staatlichen Einfluss auf die Erziehung einerseits (nebst der Gefahr ideologischer Indoktrination) und dem bisherigen »Laissez-faire« andererseits ist schwierig und eine der Herausforderungen weitsichtiger Sozial- und Bildungspolitik.
In der Politik werden langsam die Stimmen stärker, die für zweckgebundene Verwendungen von Geldern, beispielsweise in Form einer Schaffung entsprechender Infrastruktur eintreten, wie Kindergärten kostenlos anzubieten, Ganztagsschulen zu errichten, Schulbücher wieder kostenlos zu verteilen, mehr Lehrer an Schulen einzustellen, usw. Bundesfinanzminister Steinbrück ist einer der Vorreiter dieses Gedankens; er erwägt sogar, Teile des Kindergeldes für die Finanzierung dieser Massnahmen heranzuziehen.
Die aktuellen Diskussionen um Krippenplätze und die angeblich demografischen Probleme der bundesdeutschen Gesellschaft lassen jedoch die Befürchtung aufkommen, dass mit breit gestreuten finanziellen Zuwendungen der uralte Fehler der Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte unverändert fortgesetzt wird. Es ist ja auch wesentlich populärer, den jeweiligen Privathaushalten mehr Geld zukommen zu lassen, als dieses Geld in entsprechende Infrastruktur zu investieren, die vom Bürger unter Umständen (zunächst einmal) gar nicht wahrgenommen wird. 300 Euro mehr in der Kasse ist »spürbarer« als die Einstellung neuer Lehrer – insbesondere wenn es darum geht, in nächster Zeit als Politiker wiedergewählt zu werden.
Wenn jedoch »Experten« in voreilig gezogenen Schlüssen, die eigentlich einer differenzierteren Betrachtung und Bewertung unterzogen werden sollten, in den Chor der Populisten noch einstimmen, so tragen sie durch diese Art des trivialen Diskurses wesentlich dazu bei, dass die Zustände, die sie anprangern, zementiert werden. Und jeder Journalist, der dies unreflektiert und verkürzt nachplappert, handelt unverantwortlich.
Dein Artikel vermengt mit der Fragestellung nach Migrationshürden und Problemen des Schulsystems meiner Meinung nach zwei Fragestellungen, die nicht monokausal zu beantworten sind. Die erste Frage scheint sehr problematisch, da schlechte Faktenlage, Mischung von Äpfeln und Birnen und die politische Instrumentalisierung eine präzise Beantwortung momentan ausschliessen. Durch Beobachtung der bisherigen Schullaufbahn meiner Kinder (5. und 7.Klasse) erscheinen mir für die zweite Frage folgende Behauptungen tragfähig. Dies mag regional unterschiedlich sein.
Bildung und Einkommen korrelieren so stark, dass sie für die Ursachenforschung praktisch gleichwertig sind. Enormer Ehrgeiz ist das einzige Mittel der Wahl, die Regel zu brechen. Letztendlich landet man immer bei der heiklen Frage, ob die Fähigkeit Bildung zu erwerben, erlernt oder eine genetische Prädisposition ist. Die Frage zu beantworten, masse ich mir nicht an, wenn ich auch eine Tendenz zu erkennen glaube.
Die spätere Selektion macht nicht die Schlechten besser, sondern die Guten schlechter. Das Niveau ist schon auf dem Gymnasium so katastrophal, dass eine spätere Trennung nur ein weiteres Defizit bei den Besseren erzeugte, den Schlechteren aber nur bedingt nutzte.
Natürlich ist der Nutzen von finanzieller Versorgung sinnlos. Man stelle sich doch einfach mal die Frage, warum ein Mensch danach strebt ein gewisses Mass an Bildung zu erreichen? Fast schon pittoresk erscheint der Neugierige, der Wissensdurstige. Schwamm drüber, das ist eine marginale, bedrohte Spezies. Der zweite, entscheidende Faktor ist der Wunsch durch den Umweg über die Bildung zu Einkommen, einen höheren sozialen Status zu erreichen. Je größer diese Kluft gemacht wird, desto geringer wird der Wunsch nach Bildung (dann eben per DSDS).
So gesehen erscheint die vielgeschmähte Gleichmacherei der siebziger Jahre in einem anderen Licht. Aktuell haben wir den genau gegenteiligen Trend. Die Elitebildung in Wirtschaft und Staat, wie Sie z.B. aus den anglo-amerikanschen Ländern und Frankreich bekannt ist, wird massiv zunehmen. Möglicherweise war Deutschland lange Zeit das Industrieland mit den geringsten Unterschieden zwischen »Oben« und »Unten«. Heute sehe ich z.B. im Bologna-Prozess, den ständigen Versuchen das Handwerksmeister-System zu torpedieren und dem gewünschten Aufbau eines Niedriglohnsektors eine deutliche Tendenz neue Klassenschranken (böses Wort) von interessierter Seite aufzubauen. Und, es scheint zu gelingen.
Auch bei der Frage, werde ich wohl nicht herumkommen, ins populistische Horn zu stossen: Bei den Familien, bei denen ein Elternteil zu Hause bleibt, sind die besseren Schüler zu Hause. Dies gilt nicht unbedingt für die höher gebildeten Familien, wo sich die Katze wieder in den Schwanz beisst.
Bildung und Einkommen korrelieren so stark, dass sie für die Ursachenforschung praktisch gleichwertig sind.
Genau diese Kausalität, die aus Korrelationen herausgearbeitet wird, bestreite ich. Ich kenne aus der eigenen Anschauung einige Leute, wo dies definitiv nicht der Fall ist, d. h. Kinder aus »einfachen Arbeiterverhältnissen« werden bspw. sehr früh zur musischen Erziehung oder zum Lesen gebracht (ganz ohne Zwang). Manchmal möchten die Eltern dann in ihren Kindern das verwirklichen, was sie selbst nicht erreichen konnten; hier gibt es u. U. auch Auswüchse (übertriebener Ehrgeiz), die ich persönlich aber nicht kennengelernt habe.
Ich mag da an eine bestimmende genetische Prädispositionen nicht glauben, wenn gleich auch der »soziologische Ansatz« der 70er/80er-Jahren nicht mehr per se aufrecht erhalten werden kann.
Die spätere Selektion macht nicht die Schlechten besser, sondern die Guten schlechter.
Das ist eine interessante Aussage. Ich frage mich dann nur, wie es andere Länder wie bspw. Finnland ein offensichtlich ungleich besseres Schulsystem implementiert haben. Dort gibt es eine »Gesamtschule«, die neun Jahre dauert.
Vermutlich ist die Diskussion um das dreigliedrige Schulsystem in Deutschland aber nur ein Ablenkungsmanöver. Vielleicht kommt es mehr auf die Inhalte (d. h. das vermittelte Wissen) an – und nicht unbedingt so sehr auf die Form.
Man stelle sich doch einfach mal die Frage, warum ein Mensch danach strebt ein gewisses Mass an Bildung zu erreichen?
Genau diese Frage wird ja leider immer weniger gestellt. Das liegt auch daran, dass »Bildung« lange als elitär und unnötig galt. So richtig kann ich nicht erkennen, dass dieses Paradigma sich ändert. Wer heute bei »Wer wird Millionär« eine 125.000 Euro-Frage beantworten kann, gilt schon als »gebildet«.
Bildung wird mit Wissen immer noch verwechselt. Ein Universitätsabschluss hat sicht unbedingt per se etwas mit »Bildung« zu tun. Das dieses angeeignete Spezialwissen zu höherem Einkommen führt, ist natürlich richtig. Was die Politik spätestens ab den 80er Jahren versäumt hat, war klarzumachen, dass »Bildung« (ergo »Wissen«) zum Erhalt des gesellschaftlichen Status der Eltern für die nachfolgende Generation eminent wichtig ist. Nach dem Krieg, sozusagen einem »Ausnahmezustand« galten Formalqualifikationen nichts – die Menschen erhielten ihre Chancen aufgrund anderer Kriterien. Dies fällt in der perfekt durchorganisieften Gesellschaft seit mindestens 30 Jahren weg. Hinzu kommt, dass die Zahl der verfügbaren Jobs seit dieser Zeit kontinuierlich abnimmt (Stichwort: Automation).
Ich glaube, die Elitebildung, die in Deutschland derzeit um sich greift, ist ein Affekt auf eine als Bedrohung empfundende Nivellierung. Ich habe keine Problem mit dem Begriff »Elite«. Eliteförderung ist per se nicht schelcht – wenn parallel dazu auch »andere« Bildungswege gefördert werden. Alleine auf eine Seligmachung durch Eliten zu setzen, ist natürlich Unsinn. Wohin das u. U. führen kann, ist an Frankreich zu erkennen.
Auch ich glaube, dass der Unterschied in Deutschland zwischen den Schichten sehr lange relativ gering war. Das hat zwar den sozialen Frieden erreicht – um den uns viele Länder beneiden. Aber leider ist damit auch eine gewisse Trägheit der Mittelschicht bewirkt worden.
Krippenplätze
Das abdurde in der Diskussion ist für mich: Die Krippenplätze werden jetzt gefördert (damit Frauen früher in Jobs kommen können – nur: wo sind denn diese Jobs?) und auf Druck der CSU werden parallel auch Mütter gefördert, die zu Hause bleiben.
Migrationshintergrund
Ja, es klingen in meinem Beitrag auch die sogenannten »Migrationsprobleme«. Und ja, es ist ein wenig vermischt und das ist eigentlich nicht gewollt. Ich wollte eigentlich das Gegenteil erreichen: Nicht das dauernde Schimpfen bspw. auf die mangelhaften Deutschkenntnisse von Migrantenkindern (die zweifellos nicht zu bagatellisieren sind), sondern auch die Versäumnisse der »einheimischen« Schichten zu thematisieren.
#2
Die hier genannten Schlüsse beruhen auf meinen Beobachtungen und erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Leider habe ich kein Beispiel erlebt, in dem der Teufelskreis durchbrochen wurde.
Und, ich bin fest davon überzeugt, dass die Einführung des Privatfernsehens ein Point of no return war. Kulturpessimismus pur, sozusagen.
Ich schätze Ihren Beitrag und die Diskussion.
Das Beispiel, dass lesende Eltern ein Vorbild sind, und daraus lesende Kinder hervorgehen, greife ich auf. In unserem Haus gibt eine umfangreiche Bibliothek, zu der die Kinder freien Zugang haben. Von Anfang an habe ich Wert gelegt auf kindgerechte und pädagogisch wertvolle Bücher für das jeweilige Alter der Heranwachsenden und auf spannende Leseabende.
Das Interesse der beiden am Lesen hat sich unterschiedlich entwickelt. Während der Sohn in seiner Freizeit kein Buch liest, so hat sich die Tochter zu einer begeisterten Leserin entwickelt, die auch das Angebot der in Wien recht gut ausgestatteten öffentlichen Büchereien reichlich nutzt.
Ein Umstand, der möglicherweise zu diesen Unterschieden beitrug, mag der schulische Umgang gewesen sein. In der Schule, die die Tochter besuchte, gab es Lehrkräfte, die auf anregende Weise über Bücher und Über Literatur zu erzählen vermochten. Oft kam meine Tochter begeistert vom Unterricht heim und erzählte über das Gehörte und Gelesene. Sohnemann fand den Literaturunterricht öde und langweilig (was mich bei Ansehen der geheim aufgenommen Videos nicht verwunderte).
Das ist nur ein Beispiel, wie unterschiedlich sich Kinder aus einer Familie entwickeln können.
Es scheint nur im Verbund von elterlicher und lehrermäßiger Anleitung zu funktionieren.
Läßt eine Partei aus, so wird das Kind beim Lesen keine sonderliche Freude haben.
Das ist wirklich eine interessante Fallbeschreibung. Leider wollen die Personen, denen das zu Denken geben müßte, in Wirklich nicht denken sondern sind nur auf Erreichen politischer Ziele ausgerichtet.
Trivialgesellschaft
Wieder einmal stimme ich mit ihrer Analyse überein. Die einseitige Abstellung darauf, dass eine besseres finanzielle Ausstattung der Eltern zu verbesserter Bildung der Kinder führe, ist viel zu kurz gegriffen. Aus persönlichem Erleben weiß ich, dass der weitaus wichtigere Faktor der kulturelle und Bildungs-Background der Eltern ist. Obwohl meine Eltern, Kriegsgeneration und völlig mittellos als Flüchtlinge in Westdeutschland gestrandet, zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens mehr an das bürgerlich saturierte Leben ihrer Elternhäuser in Schlesien anknüpfen konnten, haben sie dennoch vier Kinder großgezogen und, unter Hintanstellung persönlicher Wünsche und Lebensvorstellungen, allen den Besuch weiterführender Schulen ermöglicht.
Für sie war die Förderung ihrer Kinder wichtiger, als die Befriedigung materieller Wünsche, der Erwerb von Büchern wichtiger als eine Musiktruhe respektive später ein Fernsehgerät, wichtiger als eine Auto oder eine Urlaubsreise. Das alles leisteten sie in einem Umfeld, welches zu Zeiten des „Wirtschaftswunders“ Erfolg am materiellen Zuwachs maß. „Hast du was, dann bist du was“ war die gängige Devise und unsere Eltern hatten nichts und waren nichts. Lesen und Radio hören war unsere Unterhaltung und irgendwie haben wir dabei auch so grundlegende Prinzipien wie: „macht man – macht man nicht“, gewisse Wertvorstellungen halt, verinnerlicht.
An diesen, aus heutiger Sicht, fast idyllischen Nachkriegszeiten gemessen, sind die materiellen Voraussetzungen heutzutage ungleich besser und dennoch sinkt das durchschnittliche Bildungsniveau scheinbar unaufhaltsam. Ich habe natürlich keine wissenschaftlichen Beweise und es mangelt mir auch an einschlägigen statistischen Zahlen, aber ich bin zutiefst davon überzeugt, dass gerade die materielle Sättigung im Zusammenspiel mit den einschlägigen Trivialmedien bei weiten Teilen der Gesellschaft dazu geführt hat, den Wert und die Notwendigkeit von Bildung gering zu schätzen.
Lösungsansätze ( mehr Lehrer, Kindergärten usw.) haben Sie benannt. Dennoch wird jeder finanzielle Aufwand vergebliche Liebesmüh sein, wird der Trivialisierung der Gesellschaft nicht endlich ernsthaft entgegen gewirkt.
Genau!
Das meine ich wörtlich und nicht etwa ironisch.
@blackconti
Danke für den kleinen Exkurs in die Kindheit. Immerhin »darf« man sich inzwischen wieder »trauen«, so etwas zu sagen, nachdem es jahrzehntelang ziemlich verpönt war, die Erziehung und Wertevermittlung seiner Eltern gut zu finden.
Das »Hast du was, dann bist du was« hat sich ja von der Wirtschaftswunderzeit nahtlos in unsere gerettet. Im materiellen Sinne hatten ihre Eltern dann zwar »nichts« und »waren nichts«, aber sie waren gleichzeitig ungleich mehr und stellten mehr dar, als diejenigen, die sich reflexionslos dem Konsum hingaben und die eigene Konzeptionslosigkeit dann in Schlagworten wie zum Beispiel »antiautoritär« verbrämten.
Natürlich ist das alles keine Garantie und, wie rosenherz’ Kommentar zeigt, natürlich auch nicht 100% zu verallgemeinern. Aber ich bleibe dabei, dass auch das Kind, welches die »Angebote« aus der Elternhaus nicht verwendet, eine andere Einstellung bekommt, als Kinder, denen beispielsweise Bücher oder das Lesen als »langweilig« nahegebracht werden.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer findet sich übrigens in der aktuellen Ausgabe der ZEIT: »Geld macht nicht schlau«. Frau von der Leyen möchte Gutscheine für Tagesmütter und Kitas einführen – damit das Geld dann tatsächlich auch für den vorgesehenen Zweck verwendet wird. Leider torpediert die andere, sich christlich nennende Partei aus durchsichtigen Gründen ein solches Vorgehen: Es ist schlicht unpopulär, da so etwas in der heutigen Gesellschaft schnell als Bevormundung betrachtet wird.
Die Trivialisierung der Gesellschaft wäre ein separates Thema, gehört in diesen Kontext aber natürlich hinein. Ich glaube, dass sie grösstenteils politisch gewollt ist – mindestens gewollt war (Stichwort: Einführung der privaten Rundfunk- und Fernsehsender – man hätte sich durch einen einfachen Blick in die USA schlau machen können). Einerseits.
Andererseits ist aber auch zu konzedieren, dass die Beschäftigung der politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme eine derart umfassende Informationsbereitschaft fast voraussetzt, dass die Banalisierung und/oder Trivialisierung des jeweiligen Problems fast immer »in der Luft« liegt – auch bei seriösen Medien. Entweder wird das Problem personalisiert oder es wird auf wenige Schlagworte verkürzt. So fühlte ich mich in den 80er und 90er Jahren oft genug in der Beurteilung der Atomenergie ein bisschen hilflos, da man fast gezwungen war (ist), sich mindestens rudimentäre Kenntnisse der Funktionsweise von Atomreaktoren anzueignen; andernfalls wäre ich mir wie ein Papagei vorgekommen.
Oder aktuell die Berichterstattung über den G8-Gipfel und die (sogenannte) Globalisierung. Ich habe in der Fernsehberichterstattung bisher keinen einzigen Bericht gesehen, der sich nur ansatzweise bemüht hat, die komplexen Felder (G8 im Verhältnis zur UN; Informalität der G8 und der NGOs wie bspw. attac; Alternativen; Interessenlage der G8-Länder, usw) ein bisschen zusammenzufügen. Stattdessen werden – von allen Seiten! – die üblichen Schlagworte abgesondert – und dann geht jeder wieder in sein Lager. Der Idealfall ist dann noch, dass bloss beschreibend berichtet wird, d. h. erst gar keine politische EInordnung dessen erfolgt, was sich dort tut. Dies setzt dann aber wieder voraus, dass der Zuseher sich anderweitig orientiert. Bevor er das tut, schaut er dann doch lieber ein bisschen RTL.
Seufz!
Interessanterweise ist das nicht nur in der Politik so. In meinem Fach – EDV – jagt ein Schlagwort das andere, ein Hype den anderen. Dass die einzelnen Teile zusammengehören und teilweise aufeinander aufbauen, scheint im Zeitalter des übertriebenen Marketings keinen zu interessieren.
Aus persönlichem Erleben weiß ich, dass der weitaus wichtigere Faktor der kulturelle und Bildungs-Background der Eltern ist.
Krieg ist in dem Sinne aber eine Singularität. Wäre die Gesellschaft Ihren normalen Weg gegangen, deine Eltern wären Bildungsbürgertum mit gutem Auskommen gewesen?
Ich sollte also verallgemeinern: Geld hilft Bildung zu traditionalisieren, kann aber über zwei, drei Generationen gerettet werden, auch wenn die äußeren Bedingungen schwierig sind. Man kann es drehen und wenden wie man will, wenn Bildung nicht als Wert an sich gesehen wird, hilft kein wehen und klagen.
@Peter
wenn Bildung nicht als Wert an sich gesehen wird, hilft kein wehen und klagen.
Das ist m. E. eine Kernaussage. Wird »Bildung« nämlich ausschliesslich (oder fast ausschliesslich) als Instrumentarium zur (späteren) Einkommensvermehrung gesehen, dann verliert sie durch u. U. falsche Zweckbezogenheit ihren immateriellen »Wert«. Der Trend zur Befragung insbesondere der geisteswissenschaftlichen Fächer (auch in den Schulen) nimmt aber (leider) zu; Tenor: »Wozu ist das später nützlich?«
@Gregor
Bildung und Einkommen korrelieren so stark, dass sie für die Ursachenforschung praktisch gleichwertig sind.
Genau diese Kausalität, die aus Korrelationen herausgearbeitet wird, bestreite ich. Ich kenne aus der eigenen Anschauung einige Leute, wo dies definitiv nicht der Fall ist, d. h. Kinder aus »einfachen Arbeiterverhältnissen« werden bspw. sehr früh zur musischen Erziehung oder zum Lesen gebracht (ganz ohne Zwang). Manchmal möchten die Eltern dann in ihren Kindern das verwirklichen, was sie selbst nicht erreichen konnten; hier gibt es u. U. auch Auswüchse (übertriebener Ehrgeiz), die ich persönlich aber nicht kennengelernt habe.
Man kann aus einer starken Korrelation zwar nicht auf eine Kausalität eines der beiden Phänomene vom anderen schließen, aber vielleicht auf eine beiden gemeinsame Ursache. Im betreffenden Fall ist es sogar so sehr leicht: Die Zugehörigkeit der Eltern zu einer Schicht der Gesellschaft ist kausal für die Chancen ihrer Kinder und damit sowohl für deren erreichbares Bildungsniveau als auch für das erzielbare Einkommen. Insofern hat Peter da durchaus Recht. Demgegenüber haben die dir bekannten Einzelfälle keine statistische Beweiskraft.
Und deshalb ist es meiner Meinung nach durchaus gerechtfertigt, solchen Korrelationen nachzugehen. Wenn absolute Zahlen beim Vergleich verschiedener Länder vielleicht wirklich nichts taugen, dann aber auf jeden Fall Trends innerhalb eines Landes. Wenn ich richtig informiert bin, hat der Prozentsatz der studierenden Arbeiterkinder stärker abgenommen als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Das ist meiner Meinung nach ein recht eindeutiger Beleg dafür, dass sich die sozialen Unterschiede in Deutschland weiter vergrößert haben.
Am Privatfernsehen hingegen würde ich gar keinen Trend festmachen. Hier ist es ja nur so, dass der sogenannte „Bildungsbürger“ jetzt in seiner eigenen Glotze sehen kann, auf welch niedrigem Niveau die Bedürfnisse der bildungsfernen Schichten durch die „Marktwirtschaft“ befriedigt werden können. Vor der Erfindung des Privatfernsehens hat er das nur nicht wahrgenommen, weil es außerhalb seiner „Welt“ stattfand.
@Köppnick
In der Wikipedia erhält man nur sehr schmale Informationen darüber, wie ein »Arbeiter« heutzutage definiert wird. Es gibt ein Diagramm über die Entwicklung von Arbeitern und Angestellten von 1962 bis 2003. Demnach wären wir im Moment bei einem ungefähren Verhältnis zwischen Arbeitern und Angestellten von 50:50. Legt man aber die Definition des Artikels zugrunde, so kann es eigentlich nicht sein, dass die »Arbeiter« immer noch eine derart grosse Gruppe darstellen sollen. Es gibt andere Statistiken, die zeigen, dass die Industrieproduktion in Deutschland stetig mit immer weniger Arbeitern auskommt.
Der klassische »Arbeiter« (im historischen Kontext) existiert also zunächst einmal gar nicht mehr (wenigstens bei uns). Vielleicht wäre es besser, von »Arbeitnehmern« zu sprechen (wie bei Meyers Lexikondefinition) – eine entsprechende Statistik kann man hier anschauen, wobei aus deren Aussagekraft relativ bescheiden ist.
Natürlich kann man Statistiken aufstellen, die indizieren, dass Arbeitnehmerhaushalte mit niedrigrem Einkommen eine proportional geringere Zahl von Studenten stellen. Dies sagt aber nichts darüber aus, ob auch tatsächlich finanzielle Erwägungen die Ursache dafür sind – oder ob es nicht auch andere Gründe gibt. Und genauso wenig, wie man Einzelfälle verallgemeinern kann, sollte man Korrelationen als Kausalitäten aufbauen. Du spiesst solche Konstruktionen ja gelegentlich selber gerne auf.
@Köppnick
Am Privatfernsehen hingegen würde ich gar keinen Trend festmachen. Hier ist es ja nur so, dass der sogenannte „Bildungsbürger“ jetzt in seiner eigenen Glotze sehen kann, auf welch niedrigem Niveau die Bedürfnisse der bildungsfernen Schichten durch die „Marktwirtschaft“ befriedigt werden können. Vor der Erfindung des Privatfernsehens hat er das nur nicht wahrgenommen, weil es außerhalb seiner „Welt“ stattfand.
Ein Trend lässt sich doch kaum bestreiten. Mit der Einführung des Privat-TV’s begann der Quotenwettbewerb und damit auch der Zwang zur Anpassung, d.h. Trivialisierung, der bis dahin seriöseren öffentlich-rechtlichen Sender. Den Einfluss des Fernsehens auf die Gesellschaft, insbesondere auf Jugendliche, kann man ernsthaft nicht bestreiten und mittlerweile schlägt dieses Primitivniveau voll durch. Es sind nicht nur die „bildungsfernen Schichten“, die diesen Schrott konsumieren. Geradezu grotesk mutet es an, wenn heute genau jene Befürworter und Förderer der Einführung des Privat-TV’s mit Krokodilstränen das kontinuierlich sinkende Bildungsniveau der Jugend bejammern.
Betroffen
»...bestimmen die Herkunft und die finanziellen Mittel die Bildungschancen ... Kinder aus Arbeiteraushalten oder anderen »prekären« Milieus haben – so die These – systembedingt schlechtere Chancen auf höhere Schulabschlüsse wie beispielsweise das Abitur oder gar ein Studium. Der Schluss hieraus lautet, dass Haushalte mit grösseren pekuniären Mitteln per se eine bessere Bildung für ihre Kinder erreichen. Dies bedeutet auch, so die gängige Meinung, dass »ärmere« Kinder bedingt durch ihre »Armut« schlechtere Bildungschancen hätten.«
Das muss ich leider aus eigenem Erleben bestätigen.
Als ich zur Schule ging, wusste man in unseren »Hilfsarbeiter« (Vater) und »Heimarbeiter« (Mutter) – Schicht überhaupt nicht, dass es andere (höhere) Schulen gab als den »Praktischen Zweig«: die unterste Stufe damals.
Jedenfalls ich als Schüler wußte so etwas nicht, es wurde auch weder in der Familie noch im Bekanntenkreis (Kreuzberg, damals noch nicht »schick«) drüber gesprochen, es wurde vorausgesetzt: Praktischer Zweig.
Was das Wort »Gymnasium« heißt, ja dass es sowas gibt, hab ich wohl erst im Alter von 20 oder so erfahren.
Da half dann nur: lesen, lesen, lesen, lernen, lernen, lernen... und vor allem: aus dieser Schicht und aus dieser Familie abhauen, um überhaupt was zu erreichen.
Schön war das alles nicht. Sondern mühsam. Bis heute. Bin jetzt 62.
Das stelle ich nicht in Zweifel
Ich bin etwa ‘eine halbe Generation’ jünger – und kam teilweise in den Genuss anderen Denkens. Bei mir war es die Grundschulklassenlehrerin, die meinen Eltern erklärte, ich solle doch besser auf eine weiterführende Schule gehen; die Hauptschule würde mich evtl. unterfordern.
Es ist aber in der Tat so, dass noch heute in einigen Schichten die Idee präsent ist, dass die Schulausbildung »nicht so wichtig« sei und man schnell einen »seriösen Beruf« lernen solle (mir selber im Bekannten- und Verwandtenkreis oft genug begegnet). Diese Kinder sind durch die bildungsfernen Ansichten ihrer Eltern in verhängnisvoller Weise »vorgeprägt«.
Ich habe aber auch festgestellt: Kinder aus Arbeiterhaushalten, deren Eltern Wert auf eine gute Ausbildung legen und diesen Wert auch kommunizieren und unterstützen, haben natürlich ihre Chancen.