Ein Stück­chen Stoff

Zum Zeit­punkt des In­ter­views von Frank Schirr­ma­cher mit Ali­ce Schwar­zer war das »Kopf­tuch­ur­teil« des Stutt­gar­ter Ver­wal­tungs­ge­rich­tes noch nicht ge­spro­chen. Dort war am 7. Ju­li ei­ner Leh­re­rin Recht ge­ge­ben wor­den, ihr Kopf­tuch auch wei­ter­hin wäh­rend des Un­ter­richts zu tra­gen. Die Rich­ter er­klär­ten das von An­net­te Scha­van vor ei­ni­gen Jah­ren ei­lig ge­flick­schu­ster­te Schul­ge­setz, wel­ches das Kopf­tuch für Leh­re­rin­nen ver­bot (Vor­bild war der »Fall« Fe­resh­ta Lu­din) für un­ver­ein­bar mit dem Gleich­heits­ge­bot, da in an­de­ren welt­li­chen Schu­len in Ba­den-Würt­tem­berg Non­nen in Or­dens­tracht pro­blem­los unter­richten dür­fen.

Das ficht Frau Schwar­zer nicht an. Sie meint am 04. Ju­li im er­wähn­ten In­ter­view mit Schirr­ma­cher (über­schrie­ben mit der mar­ki­gen Fest­stel­lung »Die Is­la­mi­sten mei­nen es so ernst wie Hit­ler«):

    Das Kopf­tuch ist die Flag­ge des Is­la­mis­mus. Das Kopf­tuch ist das Zei­chen, das die Frau­en zu den an­de­ren, zu Men­schen zwei­ter Klas­se macht. Als Sym­bol ist es ei­ne Art „Bran­ding“, ver­gleich­bar mit dem Ju­den­stern.

Die Lek­tü­re die­ses In­ter­views zeigt ei­nen nach wie vor un­ge­bro­che­nen Mis­si­ons­geist von Frau Schwar­zer. Nur halb­wegs ge­schickt ver­sucht sie Be­den­ken ih­rer Ein­sei­tig­keit zu zer­streu­en:

    Der Ein­wand, dies sei ei­ne eu­ro­zen­tri­sti­sche Ein­mi­schung, ist zy­nisch. Im Ge­gen­teil: der Kul­tur­re­la­ti­vis­mus ist in mei­nen Au­gen ein Aus­druck von Ver­ach­tung der an­de­ren. Was die Men­schen­rech­te be­trifft, gilt für uns al­le der glei­che Maß­stab.

Maß­stab be­deu­tet bei ihr ver­mut­lich: Sie sieht im Kopf­tuch per se die Un­ter­drückung der Frau do­ku­men­tiert. Auf die Idee, dies even­tu­ell auch als selbst­be­wuss­ten und frei­wil­li­gen Aus­druck ei­ner be­stimm­ten Hal­tung an­zu­se­hen, kommt sie gar nicht. Mit dem glei­chen Im­pe­tus müss­te sie na­tür­lich auch die Or­dens­tracht di­ver­ser Or­dens­schwe­stern an­grei­fen, denn auch hier ist die Frau ja »un­ter­drückt« – das un­ter­lässt sie aber merk­wür­di­ger­wei­se.

Er­staun­lich, wie in ei­ner sich so li­be­ral ge­ben­den De­mo­kra­tie ein Stück­chen Stoff unver­mutet(?) kämp­fe­ri­sche Kräf­te weckt. Scha­de ist da­bei nur, dass der Bal­ken im eigen­en Au­ge so oft über­se­hen wird.

Da­mit kei­ne Miss­ver­ständ­nis­se auf­kom­men: Die Dis­kus­si­on wird lei­der oft ge­nug von bei­den Sei­ten un­ver­hält­nis­mä­ssig ge­führt. Wenn Frau Lu­dins Aus­sa­ge, sie füh­le sich »kurz vor dem Ho­lo­caust« stim­men soll­te, ist dies ge­nau so ei­ne Ent­glei­sung wie der Ver­gleich des Kopf­tuchs mit dem Ju­den­stern. Die Lö­sung wä­re, der Staat wür­de sei­ne (nicht kon­sequent um­ge­setz­te) welt­an­schau­li­che Neu­tra­li­tät in ei­nen Lai­zis­mus um­wan­deln. Viel­leicht wird dann end­lich ein­mal das »Kruzifix«-Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts umge­setzt und sämt­li­che re­li­giö­se Sym­bo­lik da­hin ver­bannt, wo sie hin­ge­hört: ins Pri­va­te.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ver­ban­nung
    al­len Re­li­giö­sen funk­tio­niert nicht, die Vor­stel­lung ei­ner ab­so­lu­ten Tren­nung von Staat und Re­li­gi­on ist ei­ne Il­lu­si­on. Es schei­tert zu­nächst dar­an, dass re­li­giö­se Or­ga­ni­sa­tio­nen wich­ti­ge Auf­ga­ben in der Ge­sell­schaft wahr­neh­men, an­ge­fan­gen von der Dia­ko­nie, über Le­bens­be­ra­tung, Ju­gend­häu­ser, Be­er­di­gun­gen und und und. Vor al­lem aber ist ja je­der re­li­gi­ös ge­bun­de­ne Mensch qua­si in »Per­so­nal­uni­on« mit dem Staats­bür­ger. Bei je­der sei­ner Ent­schei­dun­gen spie­len ex- oder im­pli­zit im­mer sei­ne re­li­giö­sen An­schau­un­gen ei­ne Rol­le, war­um soll­te er zum Bei­spiel Po­li­ti­ker wäh­len, die An­schau­un­gen ver­tre­ten, die sich mit sei­nen re­li­giö­sen Über­zeu­gun­gen nicht decken?

    Man könn­te das Neu­tra­li­täts­ge­bot des Staa­tes auch an­ders­her­um in­ter­pre­tie­ren. Mit wel­cher Be­rech­ti­gung wird ge­gen ein (de­zent ge­tra­ge­nes) Kopf­tuch ar­gu­men­tiert und an­der­seits ein bauch­frei­es Top in­klu­si­ve ei­nes ge­pirc­ten Bach­na­bels in der Schu­le hin­ge­nom­men? Ein ge­for­der­tes Kopf­tuch­ver­bot ist eher ein Aus­weis ei­ner ge­wis­sen Hilf­lo­sig­keit dar­über, dass man sich mit sei­nen ei­ge­nen mo­ra­li­schen und re­li­giö­sen An­schau­un­gen in ei­nem Rück­zugs­ge­fecht be­fin­det und an­de­re of­fen­bar er­folg­rei­cher im Re­kru­tie­ren ih­rer Schäf­chen sind.

  2. Mit Ver­ban­nung mein­te ich, dass in öf­fent­li­chen Ge­bäu­den (Schu­len, Ge­rich­ten, Äm­tern) kei­ne re­li­giö­sen Sym­bo­le mehr zu fin­den sind und Per­so­nen, die dort ei­ne Tä­tig­keit aus­üben, die­se höch­stens ver­deckt tra­gen. Man den­ke an die Ta­la­re an Ge­rich­ten, die auch ei­ne Art »Ni­vel­lie­rung« sym­bo­li­sie­ren sol­len. Das Kreuz­kett­chen um den Hals mei­ne ich nicht. (Lei­der weiss ich nicht so ge­nau, wie das in Frank­reich klappt.)

    Die Auf­ga­ben, die die Kir­chen in Deutsch­land über­neh­men, wer­den ge­mein­hin über­schätzt. Denn er­stens er­hal­ten sie da­für Steu­er­ein­nah­men (füh­ren al­so das Geld nur so­zu­sa­gen wie­der zu­rück) und zwei­tens über­nimmt der Staat auch noch ko­sten­los die »Ein­trei­bung« des Gel­des – was ziem­lich ein­ma­lig ist. Bei­spiels­wei­se sind Kin­der­gär­ten un­ter kirch­li­cher »Ob­hut« nur Fei­gen­blät­ter; sie wer­den im Schnitt nur zu knapp 10% von den Trä­gern fi­nan­ziert. Al­ten­hei­me sind in sich ge­schlos­sen – nach au­ssen hin oh­ne Ge­win­ne – or­ga­ni­siert. In der Pra­xis er­he­ben sie ähn­li­che Ge­büh­ren wie pri­vat ge­führ­te Stif­te, die gu­te Ge­win­ne ein­fah­ren. Durch ei­ne ex­trem ge­schick­te Ver­schach­te­lung ih­re Or­ga­ni­sa­tio­nen und Steu­er­be­vor­tei­lung er­rei­chen sie ei­nen Sta­tus, der ih­nen m. E. so nicht zu­steht.

    Wür­den die ka­ri­ta­ti­ven Auf­ga­ben gleich vom Staat über­nom­men wer­den, könn­te das Geld sehr viel sinn­vol­ler ein­ge­setzt wer­den (we­nig­stens in der Theo­rie).

    Dem zwei­ten Teil Dei­nes Po­stings stim­me ich un­ein­ge­schränkt zu. Wenn ich Frau Schwar­zers Drang le­se, die Frau­en zu be­frei­en, den­ke ich im­mer dar­an, wor­in denn die­se »Be­frei­ung« be­stehen könn­te. Ist ei­ne string­tan­ga­tra­gen­de Frau, die mir die Far­be ih­rer Un­ter­wä­sche in der U‑Bahn frei­mü­tig zu er­ken­nen gibt (ob­wohl sie mich even­tu­ell gar nicht in­ter­es­siert), a prio­ri frei­er als ei­ne kopf­tuch­tra­gen­de Mus­li­ma?

  3. Be­weg­ten sich ganz be­wusst in ei­ner recht­li­chen Grau­zo­ne und recht­fer­ti­gen das dann mit dem All­ge­mein­wohl und “un­se­ren” kul­tu­rel­len Wer­ten. Mir konn­te kein Kol­le­ge voll­ends ak­zep­ta­bel er­klä­ren, wie das Ver­bot ei­nes Kopf­tuchs auf Ba­sis des ko­di­fi­zier­ten Rechts ju­ri­stisch-tech­nisch zu recht­fer­ti­gen sei und mei­ne Mei­nung, nun, die war schon bei Aus­fer­ti­gung so ein­deu­tig, dass ich mich vor­sichts­hal­ber zu­rück­ge­hal­ten ha­be. Mit Ih­ren Wor­ten: Ich ver­moch­te mei­ne Bal­ken nicht mehr aus­zu­ma­chen, war ein­fach zu sau­er auf das Mach­werk.

    Viel Po­li­tik mit ei­ner zar­ten Pri­se GG ist an jün­ge­ren Maß­stä­ben ge­mes­sen in Sa­chen Le­gis­la­ti­ve eher die Re­gel als ei­ne Aus­nah­me, dar­an wird auch das Fö­de­ra­lis­mus­re­förm­chen ganz si­cher nichts än­dern. In­so­fern ein Ver­gleich zwi­schen un­se­rem Ver­fas­sungs­recht iRd Ge­setz­ge­bung mit der sy­ste­ma­ti­schen Qua­li­täts­kon­trol­le in ei­nem In­du­strie­be­trieb statt­haft ist, er­in­nert mich die Ent­wick­lung an die zur Re­gel ge­wor­de­nen Rück­ruf­ak­tio­nen der welt­weit so ge­rühm­ten deut­schen Au­to­mo­bil­her­stel­ler: Lais­sez fai­re, ça pas­se ou ça cas­se.

    @Köppnick
    Stim­me Ih­nen zu, ei­ne end­gül­ti­ge Tren­nung wird frei­lich nicht rea­li­sier­bar sein, da al­ler vor­han­de­nen An­griffs­flä­che zum Trotz je­der um­fas­sen­de Vor­stoß auf die Sach­la­ge in letz­ter Kon­se­quenz zum An­griff auf das In­di­vi­du­um mu­tie­ren wür­de. Es ist doch der “Glau­be” als sol­ches, man nen­ne es wie auch im­mer, um ge­nau zu sein die in­di­vi­du­el­le Aus­übung des­sen, die un­wei­ger­lich mit in Fra­ge ge­stellt wür­de. Voll­stän­di­ge und zwangs­wei­se Aus­blen­dung ei­nes zen­tra­len Aspekts der Per­sön­lich­keit wür­de al­les ver­fäl­schen, das kann kei­ner ernst­haft wol­len, ist ei­ne schlim­me Vor­stel­lung.

    Je­doch, al­le zu­recht emp­fun­de­ne Sym­pa­thie für eh­ren­amt­li­che Hel­fer kann die in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Ver­quickung von re­li­giö­sen Or­ga­ni­sa­tio­nen mit staat­li­chen Auf­ga­ben in kei­nem bes­se­ren Licht er­schei­nen las­sen. Die ist sel­ten selbst­los und edel, re­gel­mä­ßig als Wirt­schafts­un­ter­neh­men straff or­ga­ni­siert, im Ex­trem­fall in­ter­na­tio­nal auf­ge­stellt mit Mil­li­ar­den­um­satz auf ei­ge­nen Deckel.

    Neh­men wir als ein­fa­ches Bei­spiel ein gro­ßes Dia­ko­nie­zen­trum un­weit von Nürn­berg, ge­le­gen im ma­le­ri­schen Neu­en­det­tels­au, wel­ches seit ge­rau­mer Zeit und ge­wal­ti­gem Auf­wand zum mo­der­nen He­alth Ca­re Zen­trum aus­ge­baut wird, wel­ches seit je­her durch ört­lich zu­stän­di­ge Kir­chen­ober­häup­ter mit ei­ser­ner Hand re­giert wird. In die­ser struk­tur­schwa­chen Re­gi­on sind sol­che In­sti­tu­tio­nen be­deu­ten­de Ar­beit­ge­ber, sind für die Land­be­völ­ke­rung un­ver­zicht­bar, der Ober­chef, völ­lig über­ra­schend kein er­fah­re­ner Ma­na­ger son­dern ein ein­fa­cher Pfar­rer, und das Di­rek­to­ri­um sind sich ih­rer Macht­po­si­ti­on wohl be­wusst und ma­chen scham­los von Aus­nah­me­re­ge­lun­gen (man ist ja be­ken­nen­der Ten­denz­be­trieb) im deut­schen Ar­beits­recht Ge­brauch. Stei­t­fra­gen zwi­schen Vor­den­kern wer­den ge­nau­so wie “un­zu­rei­chen­de Ein­ord­nung” bei ein­fa­chen An­ge­stell­ten ganz selbst­ver­ständ­lich mit der Kün­di­gung quit­tiert. Hal­le­lu­ja! Selbst dann, wenn der Ar­beit­neh­mer un­be­strit­ten gu­te Ar­beit ge­lei­stet hat, auch wenn, und jetzt kommt der ei­gent­li­che Kick, knapp 80% der In­sti­tu­ti­on un­mit­tel­bar vom Fis­kus ge­tra­gen wer­den!

    Was al­so tun? Wes­halb ei­ne an sich schon be­denk­li­che Aus­nah­me­re­ge­lung im Ar­beit­neh­mer­schutz, für die schrei­ben­de Zunft ver­mut­lich un­ver­zicht­bar, auf re­li­giö­se Be­trie­be an­wend­bar ma­chen? Ab wann wird re­li­giö­se Be­tä­ti­gung zum Be­trieb? Wel­che Frei­heit oder wes­sen Recht soll durch die Re­ge­lung ge­schützt wer­den? Aus­druck von Macht­struk­tu­ren, vor lan­ger Zeit eta­bliert, wel­che selbst in der Spe­zi­al­li­te­ra­tur als Ru­di­ment be­han­delt wer­den, die von ih­ren Sach­wal­tern und de­ren ein­fluss­rei­cher Rechts­ver­tre­tung ge­hü­tet wer­den wie der sprich­wört­li­che Aug­ap­fel. Ge­nau hier ist ei­ne par­ti­el­le Dif­fe­ren­zie­rung rea­li­sier­bar und m.E. un­be­dingt er­for­der­lich, hier trä­fe man die­se Struk­tu­ren ge­nau dort, wo es wirk­lich zählt: Macht und Geld.