»SPIEGEL TV Special« zu München 1972 und die Folgen
Es ist wohl etwas anderes, wenn sich ein Regisseur wie Steven Spielberg mit der Thematik des Olympia-Attentats 1972 beschäftigt. Plötzlich ist, in zeitlicher Nähe zum Start seines Filmes „München“, das Thema (medial) in aller Munde. Parallel hierzu rückt natürlich auch der überraschende Wahlsieg der „Hamas“ in den palästinensischen Gebieten, der Konflikt um das iranische Atomprogramm und die Hysterie (auf beiden Seiten) um unsägliche Mohammed-Karikaturen den „Nahen Osten“ bzw. die muslimische Welt in den Fokus.
Der Bericht von „SPIEGEL TV“ (auf „VOX“ gestern ab 21.55 Uhr) folgte dem bekannten Muster: Ausschnitte aus (fiktionalen) Darstellungen (als solche gekennzeichnet), dokumentarischen Filmen oder Fotografien und Befragungen von Protagonisten – dies alles gekoppelt mit nachgestellten Szenen sollten das Racheprojekt der israelischen Regierung nach dem Anschlag 1972 aufzeigen.
Neben drei Mossad-Agenten, die in teilweise führenden Positionen Mordaktionen (sie sprechen selber von „Hinrichtungen“) durchgeführt haben, kommt auch der allgemein als Hauptverantwortliche eingeschätzte „Abu Daud“ zu Wort. Fiktional werden sowohl Ausschnitte aus „München“ als auch aus den Filmen „Ein Tag im September“ und „Die 21 Stunden von München“ gezeigt.
Der Film zeigt deutlich, dass Aktionen wie diese sinnlos sind, da sie die Spirale der Gewalt ins Endlose treiben. Denn sowohl die ehemaligen Mossad-Leute als auch Abu Daud – beide sind von der Legitimation ihrer Vorgehensweise bis zum heutigen Tag überzeugt. In der rein deskreptiven Art werden jedoch die Beweggründe für den Anschlag der Gruppe nur sehr am Rande erwähnt bzw. gar nicht.
So wird die israelische Aktion zwar als Rache dargestellt, aber in den Schilderungen der Mossad-Leute schwingt immer noch eine Portion Stolz mit ob der gelungenen Operation (gelungen = Exekution der Zielperson; bei Fehlern – etwa dem getöteten Araber in Lillehammer – wird als der gravierendere Fehler herausgestellt, dass sich die Mossad-Agenten haben von der Polizei verhaften lassen). Dies wird vom Film nicht befragt – im Gegenteil: durch die Bild- und Schnittfolge der getöteten Israelis entsteht beim Zuseher eine Art dumpfe Befriedigung (auch bei mir, der als Kind dieses Geschehen mitbekommen und atemlos verfolgt hat).
Abu Daud erzählt in dem Film von der Demütigung, dass man palästinensische Sportler zu den Spielen nicht zugelassen habe (was sicherlich nicht der entscheidende Grund war). Man traf sich einige Wochen vorher in Rom und fasste den Plan. Unbekümmert sprach er auch davon, einer grossen Weltöffentlichkeit die palästinensischen Problematik nahezubringen – sie hierfür zu sensibilisieren. Bisher hatten die Organisationen unter dem Dach des „Schwarzen September“ seit ungefähr 1968 ausschliesslich auf israelischem oder arabischen Gebiet Flugzeugentführungen oder Anschläge vorgenommen. Ausser als Randnotiz fanden diese Aktionen wenig Beachtung.
Tatsächlich brachte der Anschlag „die palästinensische Sache“ brachial in die Weltöffentlichkeit. Freilich war der Preis sehr hoch und die „Sache“ in der westlichen Öffentlichkeit eher diskreditiert. Zwei Israelis wurden direkt am Anfang der Aktion ermordet. Und durch die vollkommene Überforderung der deutschen Polizei (es gab keine Eingreiftruppen – diese wurde aufgrund der 1972 gemachten Erfahrungen danach erst gegründet und trug 1977 als „GSG 9“ zur Geiselbefreiung von Mogadischu bei) und der Hilflosigkeit der Behörden und Regierung (israelische Hilfe wurde von der Regierung Brandt abgelehnt) wurden die restlichen neun israelischen Geiseln in Fürstenfeldbruck von den Terroristen ermordet.
Die Ermordung eines Cousins von Arafat einige Monate nach dem Anschlag sorgt für eine Steigerung der Eskalation. Als unmittelbar danach ein Flugzeug entführt wird, erfüllt die deutsche Regierung (ohne Konsultation Israels – dies nimmt man [m. E. mit Recht] heute noch übel) die Forderung und lässt die drei überlebenden Terroristen frei, die daraufhin nach Libyen ausgeflogen und dort wie Helden empfangen werden.
Inzwischen war längst von seiten des israelischen Regierung die Racheaktion („Zorn Gottes“) aufgenommen worden – wie es heisst direkt im Auftrag von Golda Meir. Das staatliche Recht auf Rache wurde als legitim angesehen. Man tötete diverse palästinensische Aktivisten und auch Intellektuelle, die – das erstaunt am meisten – grösstenteils nichts mit dem Anschlag auf München zu tun haben. Ein Anschlag auf Abu Daud schlug fehl, er überlebte und tauchte – unterstützt durch die Staatsicherheit – in der DDR unter.
Der Film stellt die Frage der moralischen Legitimation von Rache ganz am Schluss, um sie mit den Verbrechen, die an den Juden durch Deutsche begangen wurden, in einen Kontext zu setzen. Denn im Gegensatz den Angaben in meiner Programmzeitschrift, folgte sofort im Anschluss ein zweiter Bericht mit dem Titel „Die Nazi-Rächer“, der Rache und Vergeltung jüdischer Aktivisten ab Mai 1945 (bis ungefähr 1946) thematisierte – eine mehr als merkwürdige Überleitung.
So überrascht über den abrupten Wechsel der Thematik blieb der Zuschauer zurück. Mit keinem Wort wurden die möglichen Motive der Palästinenser auch nur erwähnt. Mit keinem Wort wurde erwähnt, warum die Organisation „Schwarzer September“ hiess, und was sich damals abgespielt hat. Das kann natürlich keinesfalls zur Rechtfertigung dienen – hätte jedoch eindringlich zeigen können, wie sinnlos es ist, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten. Somit würde sich die Frage der moralischen Legitimation der Vorgehensweise Israels gar nicht erst stellen: Selbst wenn es legitim oder gar rechtens wäre – es müsste unterbleiben, um nicht ständig neuen Anlass zu geben.
Denn am Schluss beschwor Abu Daud, der ganz sicher ein übler Verbrecher ist, den Kampf seiner Enkel, der Hamas und des ganzen palästinensischen Volkes gegen Israel – so lange ihr Land noch besetzt wäre.
Komisch
Ich war 1972 ja schon 10, aber ich kann mich an überhaupt nichts im Zusammenhang mit diesem Attentat erinnern. Und einen Fernseher hatten wir in der DDR zu dieser Zeit schon lange. Vielleicht wurde das im DDR-Fernsehen auch weitgehend totgeschwiegen, immerhin fand die Olympiade in »Westdeutschland« statt und die Palästinenser waren unsere »Klassengenossen«. Auch die Ereignisse um die RAF herum habe ich kaum wahrgenommen. Eigentlich das erste Mal bewusst damit auseinandergesetzt habe ich mich erst nach der Wende mit dem Buch von Stefan Aust, »Der Bader-Meinhof-Komplex«.
Großer Stellenwert
Ich war ein bisschen älter. Der Hype für die Spiele (für heutige Verhältnisse vollkommen harmlos – aber damals eben als solcher empfunden) im Vorfeld war gewaltig; das Bestreben, sich von der besten Seite zu zeigen gross (das hatte alles mit einem diffusen Aufbruchgefühl nach der Übernahme der Regierung durch Brandt/Scheel zu tun). Der Schock, ausgerechnet die Olympischen Spiele für einen solchen Anschlag auszusuchen, ging tief.
Die Trauerfeier für die Israelis und Brundages »The Games must go on« bekamen wir in der Schule live im Fernsehen zu sehen.
Rückblickend habe ich vor allem noch das Finale der 4 x 100 m der Frauen in Erinnerung: Die letzten Meter zwischen Heide Rosendahl und Renate Stecher. Der Sieg für die Bundesrepublik über die DDR, der mit frenetischem Jubel aufgenommen wurde, decouvrierte für mich damals das Gerede von »Wiedervereinigung«, denn eigentlich hätte es doch egal sein müssen, wer gewinnt.