Die Informationsmaschine läuft mit unerhörter Präzision, mit unerhörter Schnelligkeit. Sie läuft. Das ist aber auch alles. Denn im Grunde genommen ist es Leerlauf. Das kann niemand mehr verdauen, niemand begreifen. Das flutet an, betäubt, affiziert, nimmt gefangen, stiehlt Zeit und raubt Selbständigkeit. Jeder wird mit einer künstlichen Welt beliefert. Denn man glaube ja nicht, dass diese Wortherden, die da geschwätzig und genormt um den Erdball getrieben werden (…) nur noch eine Spur von Wirklichkeit mit sich führen. Das ist alles erbärmlich ausgedroschenes Nachrichtenstroh, das nur noch laut, sehr laut, rascheln kann.
Nein, es ist kein Zitat eines übersättigten twittergeschädigten Internetkonsumenten, der in einem Anfall von Überforderung alle Viere von sich strecken möchte. Das Zitat stammt aus einem Radiobeitrag von Martin Walser mit dem Titel »Die Nachrichten und das Bewusstsein«. Naja, der alte Walser! So denken Sie vermutlich jetzt. Neulich wurde er 85 Jahre alt. Ist doch klar, dass jemand wie er dem zeitgenössischen medialen Strom erliegen muss. Und schon wieder liegt man falsch: Der Beitrag ist vom 29. September 1952. 60 Jahre ist das her. Walser war damals 25 Jahre alt.
Exemplarisch nimmt in dem Beitrag Bezug auf eine Agenturmeldung über den Besuch der Tochter des amerikanischen Präsidenten Truman in München. DPA meldete, Margaret Truman habe gesagt, München sei »eine interessante Stadt«. Walser kommentiert dies:
Was soll das, frage ich. Ist das wirklich wert mitgeteilt zu werden, gelesen zu werden? »Eine der interessantesten Städte«? Margaret Trueman kann reisen wohin sie will , sie kann Städte interessant oder langweilig finden. Aber die Journalisten sollen sie in Ruhe lassen, sollen uns in Ruhe lassen mit solch sinnloser Berichterstattung.
Natürlich ist man Walsers Wunsch nicht gefolgt. Die Aktualität dieses 60 Jahre alten Stoßseufzers ist frappierend und auch ein bisschen desillusionierend. Geändert haben sich nur noch die schiere Menge und die Geschwindigkeit, mit dem der Strom der Banalitäten – auch in den sogenannten Qualitätsmedien – in die Köpfe der Rezipienten geflutet wird.
Vielleicht sollte man sich einfach häufiger die Frage stellen »Was soll das?«
Ein tolles Zitat, besser hätte man Spon nicht beschreiben können. Vielleicht ist die damalige Wahrnehmung der, nach Zeiten von leicht eingeschränktem Pluralismus und anschließender Meinungspädagogik durch die Besatzungsmächte, zum ersten mal seit langem wieder möglichen Meinungsvielfalt geschuldet. Als hätte man sich eine Augenbinde vom Kopf gerissen und ist noch von dem hellen Licht geblendet, dem grellen Licht, nach dem man lange gesucht und sich sphärischer vorgestellt hatte.
Walsers Erkenntnis, das Meinungspluralismus allzu schnell in Banalität umschlägt, finde ich auch ziemlich revolutionär. Andererseits erinnere ich mich daran, wie ich in den 1970er Jahren auf der »Jagd« nach Informationen vor der Kurzwelle gehockt habe und irgendwann nur staunen konnte.
Ich glaube schon, dass es auch qualitative Veränderungen gab, z.B. hinsichtlich Erreichbarkeit und Kommunikationsfähigkeit — wir werden nicht mehr nur mit einer Welt beliefert, wir schaffen unsere virtuellen Welten auch selbst, durch Handlung und Auswahl, mit.
Mit dem Bild wollte ich eigentlich sagen, dass Walser hier, so sehr ich seine genauen Beobachtungen sonst schätze, geirrt haben könnte (ich kann die Lage damals einfach nicht beurteilen). Ob man sich geblendet fühlt, hat halt damit zu tun, wie gut man sich an das Licht gewöhnt hat. So scheint mir das Zitat für die heutige Zeit treffender.
@Peter: Ich glaube nicht, dass das etwas exklusives unserer Zeit ist. Ebenso hätte man das in den 20er Jahren schreiben können, als die Tageszeitungen ihre Rotationspressen anwarfen und auch teilweise mehre Ausgaben pro Tag produzierten – das war an Atemlosigkeit und Abgehetztheit dann der SPON auf Holz, oder wie?
(So sehr Walser recht hat; die Trivialisierungen zu beklagen ist leider oft auch.. trivial. Irgendwann wenn man älter wird, stellt fast jeder diesen umsichgreifenden Niveauverlust fest. – )
@Peter
Da hatte ich Sie tatsächlich falsch verstanden. Walser ist Jahrgang 1927. Ob ihm ob der Informationsfülle die Augen und Ohren übergegangen sind – ich weiss es nicht. Interessante These. Hatte man nicht in Ostdeutschland auch recht früh ein Übersättigungsgefühl, was »Information« anging?
@Phorkyas
Vielleicht ist es inzwischen zu schick, die Banalität der Medien herauszustellen – eben weil es längst dazugehört. Wer heute die Jugend oder die verfallenden Werte kritisiert, bekommt ja oft genug Platon oder Goethe um die Ohren gehauen – die das gleiche von prognostiziert hatten. Ich frage mich dann immer, ob diese Reaktion mehr ist als nur eine Selbst-Überlebensstrategie und dann zur Rechtfertigung zum »Weiter-so« wird.
@Phorkyas
Ich kann mir gut vorstellen, dass die zwanziger Jahre von vielen Zeitgenossen ähnlich rezipiert wurden. Um mal eine steile These zu setzen: Gerade das jüdische Leben dieser Zeit war durch eine bis dahin unbekannte Pluralität gekennzeichnet.
Mir ging es aber eher um die Person Walser, und ein trotz seines Scharfsinns mögliches Irren. Wie Gregor Keuschnig schon schrieb, kann dies sicherlich in der Phase nach einer Diktatur überall passieren. Man muss die Vielfalt aushalten können und von Pluralität zu Nachrichtenstroh ist es manchmal nicht weit.
Bei mehr als Pro und Contra wird es nach meinen Beobachtungen vielen Menschen schon zu schwierig. An anderer Stelle hatte ich schon mal geschrieben, dass man als Deutschlandfunkhörer abends die aktuellen Themen von Vertretern aller Parteien, aller Lobbygruppen und (Pseudo-) Experten zelebriert bekommen hat. Das überfordert häufig und kann schnell zu ablehnenden Schutzhaltungen führen.
Ich vermute einmal, dass Walser hier eine Stimme formte und formulierte, die vielleicht bewusst überzeichnet oder »nur« eine Realität als Ausgangspunkt benutzt (Rhetorik).