Die folgenden Einlassungen sind nicht geplant und ich vermag ihren Abschluss noch nicht abzusehen. Ich möchte an keine vorangegangene Diskussion anschließen oder eine aufwärmen, es scheint mir vielmehr so, dass ein inneres Drängen auf ein äußeren Zustand des Mangels trifft. Ich hoffe über den Anlass hinaus nachgedacht zu haben.
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Ein Sicherheitsdenken, das sogar einvernehmlich geteilte, persönliche Risiken zu bestimmen und auszuschalten versucht, ist notwendig autoritär, weil es den engsten Bestimmungskreis, den sich ein Individuum zu geben vermag, nicht mehr achtet, seine Fähigkeit zu Vernunft wie maßvoller Unvernunft wird ihm dadurch entzogen, seine individuelle Vernunft durch eine gesetzte, unfehlbare, überformt und verdrängt, so wie der Vater seinem Kind, begegnet der Staat dem Bürger, der dadurch seines Erwachsenseins und seiner Mündigkeit verlustig geht. Gestützt und getragen, d.h. geschlossen von der anderen Seite her, wird diese Entwicklung durch Ängste, weniger durch die Furcht vor einer schwierig einzuschätzenden und unsichtbaren Gefahr, die unbewusst oder latent vorhanden waren, die die Gefahr in der realen Welt erst konkretisieren, genauer: überkonkretisieren; aus dem ursprünglichen Angsthaben des Individuums wurde durch Vorgänge von Abspaltung, Verdrängung und Projektion, eine Angst vor etwas. Die daraus resultierende Gefolgschaft ist keine, die sich aus Einsicht ergibt, sie ist eine, die einen Akt von Aufklärung erforderlich macht. Die unbewusste Fesselung an die in der Außenwelt auftretende (so erscheinende) Bedrohung verhindert die Wahrnehmung der jeweils individuellen Zustände von Furcht und Angst und eine Auseinandersetzung mit diesen, sowie eine Einschätzung der vorliegenden Gefahr und dem Risiko praktischen Handelns; das Individuum wendet sich der Sicherheit gebenden oder vermittelnden Instanz zu und gibt, dankbar noch, die eigene Urteilskraft auf.
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Ein innerer Raum (von Gelassenheit) macht die Betrachtung der Innenwelt und ein nicht reaktives Handeln wie die, so notwendige Auseinandersetzung auf individueller Ebene, erst möglich. Er ist denkbar nur, wo Stille ist und muss das Hallen der Affekte, einem Echo vergleichbar, aushalten können; zugleich muss das Individuum vorangegangener Empfindungen eingedenk werden. Sicherheit wird vernünftig und zu einem freien Entschluss erst dort, wo emotionale Stabilität, also eine Spannung zwischen objektivem Sicherheitsgebot und innerer Sicherheit als Möglichkeit von Unvernunft, zugegen ist.
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Die auf Sicherheit bedachte, politische Vernunft, legiert sich mit der Angst der möglicher Weise Betroffenen, sie gerät damit gerade einer vorläufig ungeklärten wie widersprüchlichen Faktenlage wegen – volens, nolens – in immer engere Zirkel der Herrschafts- und Machtausübung hinein, in einem indirekt proportionalen Zusammenhang. Dies sollte sie einsehen und diese Einsicht gegen die Verführung den Zirkel immer enger zu schrauben, wenden. Praktisch bedeutet das, von Einübungen und Disziplinierungsaufforderungen wie falschen Sicherheitsvorstellungen abzusehen und sich über ein klares wie nachvollziehbares Ausstiegsszenario selbst in den Arm zu fahren. Das gesicherte Wissen, sollte dabei leitend sein, wie das Erreichbare und Gebotene, nicht die Vertröstung und das irgendwann zu Erreichende; auch bei der Beurteilung, ob die Anwendung neuer technischer Möglichkeiten, sachlich angebracht und nicht der Verführungskraft der Dynamik geschuldet, ist.
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Wo die politische – und damit auch die auf Sicherheit bedachte – Vernunft ihren Nährboden hat, wird für die Zeit nach dem Ausnahmezustand oder dessen Verlängerung, nicht jedoch für ihn, entscheidend sein. Die Frage nach der Macht, der zukünftigen vor allem, wird sie stets und legitimerweise verfolgen, in wie weit sie ihr erliegt, die Macht um der Macht willen verfolgt oder selbst von Angst geleitet ist, wird sich an ihrer Unnachgiebigkeit wie Unablässlichkeit, zeigen. Wer beschönigt, gibt sich zu erkennen.
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Um Uneinsichtige kümmert sich dieser Tage die Polizei, obwohl – oder gerade weil – Uneinsichtigkeit das Verhalten einer Minderheit ist. Die Konservation des einmal Erkannten, einer Einsicht, nicht bloß einer Meinung, vielleicht: Eigensinn und dessen praktische Folgen, könnten einen Tatbestand bedeuten, wo vormals keiner war. Konformität ist, nicht wieder, sondern mehr denn je, erwünscht, der Anschluss an das System wird zum Gebot der Stunde. Und wer sich fragt, wo die antiautoritären Kämpfer von gestern sind, der mache sich klar, dass das Wort Verharmloser einen neuen Inhalt – allem mangelndem Wissen und dem darauf aufbauenden Sicherheitsdenken zum Trotz – gefunden hat. Der Konservative, zu sich selbst stehende, ist, mit anderen Worten, ein Gesetzes- oder wenigstens: Verordnungsbrecher und progressiv wer sich stumm und widerspruchslos in die Reihe stellt.
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Gedanken, die ich uneingeschränkt nachvollziehen und teilen kann.
Die Macht existiert nicht. Fürs Theoretisieren, den Spuk eines Grafen Öderlands oder dem Gruseln vor einem großen Bruder der alles sieht und alles tut, um nur mehr absolute, endgültige Macht zu erlangen, mags wohl reichen, aber in der politischen Realität sagt er nicht viel. Da finden sich Akteure, die die Macht repräsentativ ausüben immer eingebunden in einen Rahmen von öffentlicher Diskussion und Stimmungslage, welchen sie nur schwerlich verlassen können.
Über ein bisschen Jurastudium meiner Frau erhielt ich den Eindruck, dass selbst im Recht, wo es doch um die allgemeingültigen Normen und Regeln geht, man noch immer darauf reflektieren muss, dass sie von einer Gemeinschaft getragen werden müssen, deren sittliches Empfinden, öffentliche Erregung von Belang sind. – Insofern schwimmen wir immer mit im breiten Strom und können taoistisch gesprochen nur die Hoffnung haben ab und an unser Ruder eintauchen zu dürfen, um unseren Floß einen Stoß in die richtige Richtung zu verleihen, so sich denn überhaupt jemand berufen fühlen mag, diese so allgemein bestimmen zu können. – Aber ob wir es rechtzeitig schaffen abzuspringen, falls das ganze Ding jäh einen Wasserfall hinabzurasen droht? Ob der nun Klimakatastrophe, Pandemie oder Flüchtlingskrise heißt. Die unterschwellig herbeigesehnte Apokalypse ereignet sich ja doch nicht.
Ich stehe ein wenig ratlos davor, warum mein inneres Revoluzzertum so flau geworden ist. Immer Außenseiter und dagegen – aber jetzt, nur Schulterzucken oder finde die Maßnahmen sogar richtig. Ich glaube, ich komme dem digitalen Vexierbild, der schillernden Ambiguität in welche unsere Wirklichkeit sich wandelte, nicht ganz hinterher. Selbst wenn ich das Medienbombardement nicht mitgemacht habe, die 24h Befeuerung in den sozialen Medien, immer in der Spannung, was jetzt mehr Fake ist: die öffentliche Darstellung oder die privaten Kanäle, fühle ich mich nahezu erschlafft und ausgelaugt. Weil es schon lange keine, eine Antwort mehr gibt, keine Wahrheit. Wir haben alles ausgetilgt. Es gilt nur zu handeln, was zu tun. Aber wir werden wahrscheinlich auch im Nachhinein nie wissen, wie groß die Gefahr wirklich war, wie angemessen oder übertrieben die Maßnahmen. Wir sind nun voll angekommen in der postmodernen Irrealität. Unser »real life« ist jetzt ’ne scripted show.
Oder hoffentlich fühlt’s sich nur momentan so an und es geht wieder vorbei. Wer weiß.
Dass es die eine Macht nicht gibt, gebe ich gerne zu, glaube aber, dass aus dem Text oben verständlich ist, dass es um die eines Landes und eines politischen Systems geht. Genauer: Um jene Dynamik, die dazu führt, dass ein Mehr an Macht angestrebt wird, die dazu führt, dass Grundrechte in einer noch nie dagewesenen Breite beschränkt und außer Kraft gesetzt werden und genau, auch darum, dass vor allem eines, nämlich »Schulterzucken« als die einzige weithin sichtbare Reaktion darauf existiert.
Ich glaube nicht, dass »es schon lange keine, eine Antwort mehr gibt, keine Wahrheit«. Es ist allerdings der zu bewältigende Informationstrom größer geworden, wie die hörbare Vielfalt an Stimmen (wichtiger denn je ist die Einschätzung ihres Wie und ihrer Interessen). »Wir haben alles ausgetilgt. Es gilt nur zu handeln, was zu tun.« Das erscheint so. Ich meine, dass vielen Intuition und Spontanität verloren gegangen ist, es liegt ein Mangel an innerer Freiheit vor, also persönlich Unwesentliches zu erkennen und liegen zu lassen. Alles wird geordnet, geplant und durchorganisiert, um es noch irgendwie zu schaffen. Die Hälfte des persönlichen Rucksacks könnte getrost zum Teufel gehen, die andere Hälfte würde an Intensität und die eigene Urteilskraft an Gelassenheit gewinnen.
Die »unterschwellige herbeigesehnte Apokalypse« und die »scripted show« sind korrekte Diagnosen und gehören zusammen, als – durchaus in psychischem Sinn – vorgestellte und bewältigte, vorgestellte Realität.
Urteil und Einsicht lassen vom Revoluzzertum (irgendwann) Abstand nehmen, das immer zwanghaft oder notorisch ist.
Es ist ganz prima, immer die richtigen Signale zu erkennen und im Zweifel sich an freiheitliche Ideale zu halten. Wie gut das funktioniert hat, konnte man 2015 mit der sogenannten Flüchtlingskrise sehen. Damals war es scheinbar unmöglich, den Ansturm auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren. Es wurden Dogmen aufgestellt: Schengen; freie Einreise; Menschenrechte, usw. Das Nichthandeln wurde zur Maxime erhoben.
Nun sind Flüchtlinge naturgemäß etwas anderes als eine Pandemie. Ein Virus ist unsichtbar. COVID-19 wird nun zur Lebensgefahr für die gesamte Bevölkerung, weil es (1.) unbekannt ist (also keinerlei Immunität in Gesellschaften gebildet werden könnte) und sich (2.) demnach explosionsartig vermehrt. Letzteres führt dazu, dass die Gesundheitssysteme, die auf solche Pandemien nicht eingerichtet sind (nicht eingerichtet sein können), unter der schieren Summe der Erkrankten zusammenbrechen würde.
Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Man lässt dem Virus freien Lauf (isoliert bestenfalls ein paar als Hochrisikogruppen festgestellte Personen) oder man versucht, es dahingehend einzudämmen, die Zahl der in je einem Augenblick von dem Gesundheitssystem abhängigen möglichst klein zu halten.
Eine Studie des deutschen BMI hat wohl beide Szenarien durchgespielt. Im ersten käme auf schätzungsweise bis zu 1 Mio. Toten. Bei 83 Millionen. Beim zweiten Szenario schreibt man von 12.000 Toten. Alles natürlich nur Schätzungen.
Dies ist anscheinend die Wahl: 12.000 oder 1.000.000. Garantien gibt es auf beide nicht.
Die Argumentation, dass auch in anderen Fällen Freiheitseinschränkungen dieses Ausmaßes drohen könnten, übersieht, dass die Leute durchaus mitdenken. Sie haben zunächst einmal verstanden, dass wir uns in einer Pandemie befinden. Das sagt nicht nur der Staatsfunk in Deutschland oder Österreich. Das ist weltweit inzwischen mehr oder weniger anerkannt. (Klar, dass es noch einige Ärzte gibt, die Vitamin C verschreiben, aber es gibt auch »Heiler«, die Krebs mit Globuli bekämpfen [und in einem von 10.000 Fällen auch recht bekommen].) Selbst die ganz harten Kerle auf dieser Welt – Trump und Putin – scheinen geläutert.
Wie dies bei anderen Begründungen ausfallen mag, kann ich nicht sagen. Ich glaube, es gibt genug »kritische Masse« in der »Masse«, die ähnliche Szenarien beispielsweise um einen imaginären Klimawandel aufzuhalten, viel kritischer behandeln würden.
Der Staat mag derzeit die Bürger ein bisschen wie Kinder behandeln. Aber wer glaubt, dass sie sich immer so behandeln lassen würden, denkt ähnlich, wie diejenigen, die er kritisiert.
Das ist meine Replik auf diesen Thread. Mehr werde ich mich hier nicht (mehr) beteiligen. Von meiner Seite ist alles gesagt. Ich glaube im übrigen, dass wir viel zu sehr im Modus dieser Lage stecken, um diese erschöpfend und endgültig beurteilen zu können. (Das zeigt sich auch in diesen inflationären »Corona-Tagebüchern«, die mich fast alle langweilen.)
[auf Wunsch des Kommentators entfernt. – G. K.]
Ich schrieb oben, dass ich »an keine vorangegangene Diskussion anschließen oder eine aufwärmen« möchte und daran werde ich mich auch halten.
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