Der aufklärerische Anspruch muss sein, dass die Individuen, die durch ihre Angst zu einer Masse zusammengebunden wurden, ihres Zustands einsichtig werden und die daraus erwachsenden Konsequenzen begreifen. Übermächtige Angst macht nicht nur gefügig, sie lässt die existenziellen Bindungen des Individuums als bedeutungslos erscheinen.
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Die Angst entzieht dem Intellekt seine Kraft, sie schwächt ihn, der Blick wird trübe: Das, was er sonst nicht durchgehen lassen, was er angegriffen und zerrissen hätte, vor dem steht er nun ehrfürchtig und voll Demut da. Infolgedessen bejaht er jene Maßnahmen, die ihm diese Ehrfurcht nehmen und ihn in den vertrauten Zustand rückversetzen.
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Die Sprache kapituliert vor dem Bild und dieses entfaltet dadurch innerpsychische Wirksamkeit.
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In Diktaturen ist die Angst vor Willkür, vor Denunziation, davor Aufzufallen, Verdacht zu erwecken oder Fehler zu machen, allgegenwärtig. Die Psychose vereinigt die Massen auf Führer und Regime. Wie aber reagiert eine Diktatur auf eine Krise? Ihre Reaktion wird immer eine Überreaktion sein, da die Angst, vor allem jene Fehler vor den erhabenen Führern zu machen, groß ist; ein Fehler bedeutet nichts anderes als das Rollen des eigenen Kopfs. Demokratien dagegen, sollten fähig und kräftig genug sein, gelassener zu reagieren, wenn man annimmt, dass dort weniger Angst in der Bevölkerung präsent ist; jedenfalls ist diese kein Mittel der Herrschaftsausübung (Fehler haben in Demokratien überwiegend unblutige Konsequenzen). Eine überreagierende Diktatur bedeutet daher nichts weiter als deren Normalzustand, die Krise kann in ihr, als behauptete oder halluzinierte, sogar zu einem Mittel die Massen zu reagieren, werden; einer Demokratie hingegen muss man im Fall einer Überreaktion eine Funktionsstörung attestieren.
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Mehren die Maßnahmen, die eine Demokratie im Ausnahmezustand setzt, die vorhandene Angst, wie die mediale Berichterstattung, dann bedeutet das eine Schwächung des Arguments und der Sachbezogenheit. Immer unverhältnismäßigere Maßnahmen werden willkommen geheißen und einiges davon wird bleiben, da die Angst langsam abschwillt. Das wirft die Frage auf, was von dem, was aus Gründen der Krise eingeführt wurde, nach ihrer Bewältigung, erhalten bleibt.
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Stellen wir uns vor, es gäbe auf der gesamten Welt nur eine einzige Diktatur, ansonsten Demokratien und einige wenige Monarchien. Stellen wir uns weiter vor, dass zunächst diese eine Diktatur in eine Krise gerät und sich diese Krise, kurz nach deren Bewältigung, auszubreiten beginnt, gleichsam von Staat zu Staat springt. Was wäre, trotz der Krise, die vergnüglichste Sache der Welt für Diktator dieses einen Staats? Ebendies: Wenn die demokratische Staaten, mit zu wenigen Ausnahmen, die Maßnahmen der Diktatur übernehmen, um die nun auftretenden Krisen zu überstehen, dieser aber weder in Geschwindigkeit und Effizienz, noch im Ergebnis gleichkämen. Das Lachen des Diktators rollte um den Globus! Nicht nur wäre gezeigt, dass eine Krise – die sich im Nachhinein als etwas weniger gefährlich, als angenommen, zeigte – nahezu alle Demokratien der Welt dazu brachte mit ihren Grundprinzipien zu brechen und sich den Mitteln und Maßnahmen der Diktatur zu nähern; es wäre auch gezeigt, dass die eigenen Prinzipien in der Not nicht nur keinen Pfifferling mehr wert waren, sie reichten nicht einmal dafür, dass die demokratischen Staaten aus ihnen eine der Krise angemessene Antwort entwickeln konnten. Die Demokratien waren nicht etwa dekadent geworden, sie waren grundsätzlich schwache, instabile Systeme, die im mittelmäßigen Krisenfall sofort Anleihen beim überlegenen System nehmen mussten und sich dadurch in ihrer Substanz bloßstellten. Aber es kam noch schlimmer: Einige der demokratischen Staaten kamen mit der Krise so schlecht zu recht, dass sie Hilfslieferungen der Diktatur anzunehmen nicht herum kamen. Als sich nach dem Abklingen des weltweiten Krisenfalls bei genauer Analyse herausstellte, dass den Demokratien ein Beobachtungsfehler unterlaufen war und die Maßnahmen der Diktatur gar nicht den Ausschlag zur Bewältigung der Krise gegeben hatten, da rollte das Lachen des Diktators erneut um den Globus.
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Die Opposition wacht auf. Schön. Warum hat sie nochmal geschlafen? Dass die Regierung nicht nur im Krisenfall genau darauf hofft, sollte ihr eigentlich bewusst sein.
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Ein kecker Zeitgenosse meinte einmal, dass es kaum einen Unterschied mache, ob der Journalismus wache, schlafe oder döse. Und er fügte hinzu: Dann, wenn man ihn tatsächlich mal brauche, könne man sicher sein, dass sein Zustand komatös sei. Und ich füge hinzu: Mit der Opposition ist es ganz ähnlich, allerdings ist sie wieder rascher auf den Beinen.
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Gefährdung und Gefahr sind von einander zu unterscheiden. Allerdings will eine Regierung, die auf Folgsamkeit und umfassende Geltung der eigenen Erzählung aus ist, genau das nicht. Wer zu überlegen beginnt, ob er selbst in Gefahr ist, schert aus! Bisweilen verhält es sich auch mit der eigenen Psyche so.
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Legt die Regierung Rechenschaft ab, ob die Maßnahmen angemessen und verhältnismäßig sind, die sie zur Bewältigung der Krise vorschlägt? Auch für den Ausnahmezustand?
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Mit Autorität ist auch gemeint, dass die politische Führung eine Heilserzählung durchsetzen will und dabei zu verschleiern versucht, dass sie deswegen auf die politische Pflicht der Abwägung verzichtet hat. Profilierungssucht und Wiederwahl werden über das allgemeine Wohl gestellt. Das ist zwar nicht diktatorisch, aber wünschenswert ist es deswegen noch lange nicht.
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Die Rolle der Medien zeigt sich darin, ob sie der staatlichen Macht auch noch in der siebenundzwanzigsten Nachkommastelle beispringen, oder ob sie sich Relationen und Zusammenhängen verpflichtet fühlen. Dazu gehören Sachlichkeit und Nüchternheit. Man bedenke, dass Staat und Regierung die eigene Macht mehren werden und das technisch Mögliche irgendwann realisiert wird. Fatal ist, dass gerade die kritischen und vernünftigen Bürger durch die Willfährigkeit der Medien von diesen entfremden. Das zerstört den öffentlichen Diskurs.
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Das Verlangen nach absoluter Sicherheit mündet in scheinrationale Autorität.
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Wer eine Krise im normalen Jargon des Betriebs zu fassen versucht, macht sich lächerlich. Wenn der Ernst nicht in die Sprache Eingang findet, wohin dann? Und was denkt sich der Bürger? Dass wir Krise spielen? Oder dass er an einer Kabarettaufführung teilnehmen muss? In anderen Worten: Nicht im Versagen, sondern in der Unangemessenheit der Sprache, liegt die ästhetische Dimension der Krise.
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Sollten einer Demokratie ihre eignen Grundprinzipien bedeutsam sein, dann ist auch in einer Krise – gerade in ihr – deren Konservation und nicht deren leichtfertige Aufgabe angebracht. Was sagt denn ein politisches System über sich selbst aus, wenn es sich anders verhält?
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Die beiden ersten Folgen dieser Notate hatte ich nicht gelesen und oben nicht auf den Autorennamen geschaut, sondern nach den ersten zwei oder drei Sätzen angenommen, daß Gregor Keuschnig hier alte Texte zusammengestellt hatte, um uns zu überraschen und am Ende zu fragen, ob diese unzeitgemäßen Betrachtungen nicht zeitgemäßer und erhellender seien als alles, was da in den Medien heute so abgesondert wird. Zuerst dachte ich an Kant, dann an Freud (Massenpsychologie und Ich-Analyse), an Canetti, einen Momentlang auch an Marx, der ja ein hervorragender Schriftsteller war. Ich habe absichtlich nicht nach oben geschaut, nach der ersten Hälfte dann aber doch gemerkt, daß der Text nicht so alt sein kann. Daß Keuschnig das nicht selbst geschrieben hatte, war mir klar. Also Metepsilonema, tiens...
Genau solche Überlegungen sollte man zumindest vom „seriösen“ Mainstream erwarten, doch so weit ich das von hier beobachten kann gibt’s da nichts. Im Gegenteil, es wird vor dem „Netz“ gewarnt, obwohl (oder weil?) man nur dort so eine nachdenkliche Betrachtung finden kann. Zwar zutiefst depremiert, fühle ich mich nun nicht mehr so allein.
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@Hans Beilhartz
Wenn der Begriff »Mainstream« ein Phänomen beschreibt, dann beinhaltet er schon die Antwort: Das, was Sie suchen, wird von einem großen, relativ gleichförmigen Strom überdeckt.
Beides, der Mainstream und seine Gegenstücke, qualitätvolle und weniger qualitätvolle, sind das, was sie heute sind, erst durch die digitale Welt (»das Internet«) geworden. Der Mainstream entfacht seine Wirkung durch Multiplikation, z.B. den »Abdruck« von Pressemeldungen (oft ohne weitere Prüfung), die Agenturen bereitstellen oder die weltweite Verbreitung von Informationen anderer Natur, etwa Interviews oder Stellungnahmen. Auf der anderen Seite kann heute jeder durch die verfügbaren technischen Mittel, seine Nische, wie auch immer die aussehen mag, vom persönlichen Tagebuch oder YouTube Kanal, bis zu anspruchsvollen Essays, sichtbarmachen und positionieren, beides bedeutet aber ein gewisses Maß an Konformität, je deutlicher, desto mehr. Hinzu kommt, dass »jeder« durch sein Smartphone dieser Informationsflut (potenziell) dauerhaft ausgesetzt ist. Das sind einige technische Aspekte.
Das, was der Mainstream verdrängt, kommt an anderer Stelle wieder empor, diese Feindschaft ist – sozusagen – hausgemacht. Dazu treten dann Phänomene wie die Staatsnähe oder die Nähe zu mächtigen Personen, Lobbyismus, Interssen, persönliche Differenzen, Enttäuschungen, usw.
Trotzdem fesselt das Medium uns alle aneinander: Die derzeitige Krise offenbart wie zuvor schon andere – etwa die Diskussionen um den IS, der Ukrainekonflikt, Syrien –, aber in noch deutlicherem Maß, eine Informationsflut, die vom Einzelnen nicht mehr zu bewältigen ist. Wenn es stimmt, dass mit der Moderne ein Kampf gegen die Ambivalenz begann, der nicht zu gewinnen ist, weil jede Eindeutigkeit stets neue Ambivalenz hervorruft, wir also grundsätzlich vor einer Unabschließbarkeit aller Unterfangen stehen, dann bedeutet die Digitalisierung dieser Problematik eine Beschleunigung der Produktion von Unabgeschlossenem und zugleich eine Erweiterung des Zugriffs darauf. Das Resultat ist, dass wir immer rascher Informationsballen (Meldungen, Schlagzeilen, Videosequenzen, wissenschaftliche Arbeiten...) um den Globus jagen, die in vielen Fällen nicht nur irrelevant sind, sondern auch irrelevante Diskussionen hervorrufen, also Diskussionen, die dieser Unabgeschlossenheit wieder versuchen Herr zu werden, begleitet von der jeweiligen Thematik »entsprechenden« emotionalen Reaktionen. Hier sind mehrere Wirkzusammenhänge miteinander verbunden: Eine Problematik, die eine Person oder Gesellschaft betrifft, fesselt diese, das ist ganz normal; auch etwas wie Neugierde oder Interesse spielt eine Rolle, auch das ist normal; dazu kommen die gerade skizzierten Problematiken der digitalen Moderne und dann noch das Bildmedium selbst, das egal ob Fernseher oder Internet, das Individuum bindet und in eine Hyperaktivitätsspirale hineinführt, die es »nicht mehr« freigibt. Jeder der sich selbst beobachtet kennt das: Man ist stets genötigt, auf den nächsten Link zu klicken, beginnt von einem Tab zum nächsten zu springen, beginnt das eine, hört auf und fängt das nächste Video an, wird nervöser, sprunghafter, wohl auch gereizter; man spürt etwas wie Leere (ich bemerke das dieser Tage wieder sehr deutlich) und leitet selbst immer wieder Informationen weiter oder kreiert neue, die Hyperaktivität ist keineswegs nur rezeptiv (letztlich findet sie auch Eingang in den analogen Alltag). Diese Nötigungen entfallen bei allem, was wir auf Papier lesen oder schreiben, es ist, auch in diesem Sinn, geduldig.
Der Mainstream und seine Gegenstücke stecken in derselben Klemme, wenn man so will und keiner kann sich diesen Dynamiken ganz entziehen (weshalb die digitale Welt Disziplin verlangt, Reife und Misstrauen sich selbst gegenüber; sie für Kinder weitgehend ungeeignet).