Der Is­la­mi­sche Staat: III. Ar­chai­sche Ge­walt?

Die Ver­bre­chen des Is­la­mi­schen Staats wer­den im­mer wie­der als mit­tel­al­ter­li­che Ge­walt be­zeich­net. Aber ist Ge­walt nicht per se mit­tel­al­ter­lich, al­so ar­cha­isch? Das mag nicht zwin­gend in­ner­halb »der Mo­der­ne« gel­ten, aber vom Stand­punkt ei­ner De­mo­kra­tie aus er­scheint es als zu­tref­fend (dis­kurs­ori­en­tier­te Pro­blem­lö­sung, Ge­walt­mo­no­pol und de­ren Tren­nung). — Ge­walt als äl­te­ste, als »tie­ri­sche« Form der Kon­flikt­lö­sung, ei­ne Art not­wen­di­ges Übel.

Das, was mit »mit­tel­al­ter­li­cher Ge­walt« wohl ge­meint ist, ist die Me­tho­dik, die Art der Aus­übung, al­so Kreu­zi­gung, Ent­haup­tung, Stei­ni­gung, usw., sie er­schei­nen uns ar­cha­isch, wir se­hen sie als über­wun­den an. Al­ler­dings könn­te man vom Stand­punkt der Leid­ver­mei­dung und des Mit­leids völ­lig zu Recht ein­wen­den, dass es ei­ner­lei ist, ob je­mand mit ei­nem Schwert er­sto­chen wird oder mit ei­nem ab­ge­ris­se­nem Bein im Schüt­zen­gra­ben ver­blu­tet, wenn es, da Leid ei­ne in­di­vi­du­el­le Ka­te­go­rie dar­stellt, über­haupt ver­gli­chen wer­den kann. Wenn et­was zur Leid­ver­mei­dung bei­trägt, dann der mög­lichst weit­ge­hen­de Ver­zicht auf Ge­walt (ih­re völ­li­ge Un­not­wen­dig­keit, das müss­te die Kri­tik an den Ge­walt­ta­ten des Is­la­mi­schen Staats zu­al­ler­erst fest­stel­len, nicht ob sie dem Mit­tel­al­ter zu­zu­ord­nen sind oder nicht).

Aber viel­leicht kommt hier noch et­was an­de­res zum Vor­schein: Das, was wir als ar­cha­isch emp­fin­den, ist auch das di­rek­te Tö­ten: Die Über­win­dung und die schein­ba­re Rück­sichts­lo­sig­keit, die be­nö­tigt wird, um je­man­dem bei le­ben­di­gem Leib die Keh­le durch­zu­schnei­den: Das ist kein Tö­ten auf Di­stanz, man hört das Rö­cheln des Ster­ben­den, spürt sei­nen Atem auf der ei­ge­nen Wan­ge: Der »Fort­schritt«, die »Er­run­gen­schaf­ten« der Mo­der­ne auf dem Ge­biet der Kriegs­füh­rung, tre­ten da klar her­vor: Das Tö­ten wur­de nicht et­wa er­schwert, son­dern er­leich­tert: Es ist ein Tö­ten auf Di­stanz, das zahl­rei­che (al­le?) Hemm­schwel­len, die bio­lo­gisch, kul­tu­rell und so­zi­al wir­ken, au­ßer Kraft setzt und zwar des­we­gen, weil wir nicht mehr son­dern im­mer we­ni­ger gleich­be­rech­tigt Teil­neh­men­de sind: Das Ge­gen­über wird ab­strak­ter, er­scheint un­per­sön­li­cher, wenn es das über­haupt noch tut. Um je­man­den mit ei­ner Pi­sto­le oder ei­nem Ge­wehr zu er­schie­ßen, muss man ihn noch se­hen, zu­min­dest be­fin­det man sich in (un)mittelbarer Nä­he, in ei­ner ge­mein­sa­men Um­welt. Die Ar­til­le­rie ver­grö­ßert die Di­stanz, man hört meist noch was man tut, sieht viel­leicht so­gar die Ein­schlä­ge, mehr aber nicht. Ähn­lich ver­hält es sich mit Bom­ben, je nach Flug­hö­he, exi­stiert ei­ne ge­wis­se sinn­li­che Wahr­neh­mung da­von, was bom­bar­diert wird (gleich­zei­tig kann man dar­in bloß ein Feu­er­werk se­hen); Droh­nen vi­sua­li­sie­ren das Ge­sche­hen, ver­gleich­bar mit ei­nem Com­pu­ter­spiel, wird die Rea­li­tät vir­tu­ell; Lenk­flug­kör­per mit kon­ven­tio­nel­len oder nu­klea­ren Ge­fechts­köp­fen ver­ur­sa­chen Flä­chen­scha­den, ir­gend­wo in der Fer­ne: Man weiß, dass dort Men­schen sind, mehr aber nicht: Mit­ge­fühl wird sich nicht ein­stel­len, die Si­tua­ti­on ist ab­strakt und die Hem­mung ei­nen Knopf zu drücken, ge­ring.

In dem, das wir als ar­cha­isch (mit­tel­al­ter­lich) be­zeich­nen, tritt uns, die auf Di­stanz ge­hal­te­ne, meist durch Stell­ver­tre­ter aus­ge­üb­te Ge­walt, ge­gen­über und ih­re Di­stanz­lo­sig­keit ver­äng­stigt uns: Viel­leicht, weil sie trotz al­lem wahr ist.

27 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ich wür­de das Wort »mit­tel­al­ter­lich« nur als ein Bild neh­men, und nicht als ei­ne hi­sto­ri­sche Zu­ord­nung. Tat­säch­lich er­in­nert mich die Kriegs­füh­rung des IS eher an ei­ne Mi­schung aus Kreuz­zug und Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg.

    Die Ar­cha­ik, die uns so fremd ist, be­steht auch dar­in, dass es sich bei dem Men­schen, der von An­ge­sicht zu An­ge­sicht ge­tö­tet, er­mor­det wird, um ei­nen »Feind« han­delt und zwar nicht nur im rhe­to­ri­schen Sinn son­dern »re­al«. Die Exe­ku­to­ren ha­ben ein le­ben­di­ges, vi­ru­len­tes Feind­bild. Die in­sti­tu­tio­na­li­sier­te Krieg­füh­rung neu­tra­li­siert den feind­li­chen Sol­da­ten durch Ent­waff­nung und/oder Ge­fan­gen­nah­me. Er wird wie­der zum »Men­schen«, so­bald er »wehr­los« ist. Bei der IS-Krieg­füh­rung spielt das kei­ne Rol­le: Er bleibt ein Feind. Pro­ble­ma­tisch wird die Sa­che, wenn der We­sten sich von die­sem Feind­be­griff »an­stecken« lässt. Die Fra­ge ist al­ler­dings, ob er ei­ne an­de­re Wahl hat.

    (Auch je­mand wie Ernst Jün­ger hat die geg­ne­ri­schen Sol­da­ten nicht als Fein­de, son­dern als Kämp­fer be­trach­tet. Dö­b­lin nann­te dies Jün­gers ari­sto­kra­ti­sche Vor­stel­lung vom Krieg. Sie ist ge­fähr­lich, da sie den Krieg als po­li­ti­sches In­stru­ment er­mög­licht. Der Un­ter­schied ist le­dig­lich, dass es die Feind­schaft nicht per­sön­lich und/oder kul­tu­rell be­stehen bleibt.)

  2. Die Fra­ge stellt sich, ist es Oberst Klein in Kun­dus leich­ter ge­fal­len, ei­ne fa­ta­le Ent­schei­dung zu fäl­len, nur weil er nicht un­mit­tel­bar die ver­meint­li­chen Ta­li­ban ab­schlach­ten muss­te. Und die an­de­re Fra­ge ist, woll­te er über­haupt ent­waff­nen und Ge­fan­ge­ne ma­chen. Die­ses in­hu­ma­ne Den­ken wird mit Be­för­de­rung ge­ahn­det. Ist na­tür­lich neu­zeit­li­che Denk­wei­se und so­mit rich­tig. Ich stau­ne nur.

  3. »Mit­tel­al­ter­lich« ist hier wahr­schein­lich nur ein Er­satz­wort für »iko­no­gra­phisch«, die Macht der Bil­der macht aus ei­ner ver­gleichs­wei­se un­wich­ti­gen Tat ein wirk­mäch­ti­ges Schau­spiel. Man soll­te nicht ver­ges­sen, dass auch die USA den Irak-Krieg 2003 un­ter der De­vi­se »Shock and Awe« ge­führt hat­te, nur bei mas­siv grau­sa­me­ren Fol­gen (und letzt­end­lich Ur­sa­che für den IS).

    Dies nicht auf sich wir­ken zu las­sen, nur weil man es nicht im Bild ge­se­hen hat, ist er­bärm­lich. Wer mo­ra­lisch ar­gu­men­tiert, tut dies heut­zu­ta­ge im­mer vor der Fo­lie des ver­bre­che­ri­schen Krie­ges im Irak mit hun­dert­tau­sen­den To­ten. Vie­len reicht da ei­ne Ge­ste um dies weg­zu­wi­schen, be­grün­det wird es nie. Und der west­li­che Sol­dat vor Ort sieht das Gan­ze auch noch­mal ganz an­ders.

  4. Das Mit­tel­al­ter ist ja, au­ßer ei­ner Chif­fre für Rück­stän­dig­keit, ei­gent­lich ein Schau­er­mär­chen (vom „Na­me der Ro­se“ über Mit­tel­er­de bis zu dem gan­zen Fan­ta­sy-Quatsch von heu­te), und da­mit vor al­lem ei­ne Un­ter­hal­tungs-Kon­ven­ti­on. Die zeit­lich dort un­ge­fähr ver­or­te­ten Vier­tei­lun­gen oder Schei­ter­h­auf­en­to­de aber wa­ren ja noch über­leg­te, das heißt in­sti­tu­tio­nell qua­si-ka­no­ni­sier­te, in ih­rer Grau­sam­keit ab­ge­stuf­te Stra­fen. (Und in ih­rer Öf­fent­lich­keit üb­ri­gens wie­der „Un­ter­hal­tung“.)

    Mir kommt es so vor, als wä­re da für die Is­la­mi­sten (teils ge­gen ih­re ei­ge­ne, un­frei­wil­lig ko­mi­sche Schau­er-Rhe­to­rik) auch kein Feind mehr, nichts For­ma­li­sier­ba­res, kein Ethos – das Un­gläu­bi­ge sel­ber be­stimmt zu sehr ih­re Welt (bis zu sei­nen zweck­reich an­ver­wan­del­ten Dar­stel­lungs- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­me­di­en). Das „Ar­chai­sche“ hier wä­re et­was zu­letzt Ge­gen­stands­lo­ses, oder viel­leicht so­gar Vor­aus­set­zungs­lo­ses: ein Kör­per, der auch kei­ne Ab­erken­nung mehr braucht. Das nur dem We­sten na­ment­li­che Op­fer ist ei­gent­lich auch dem Krie­ger kei­nes mehr, son­dern dient nur als rück-in­stru­men­ta­li­sier­ter Platz­hal­ter in ei­ner in­sze­na­to­risch-im­mer-schon-blas­phe­mi­schen Welt.

    Da­bei ist die Dra­stik als Mit­tel ei­ne viel­leicht durch­aus der west­li­chen ver­wand­ten: Des­we­gen die Angst, die vi­ru­len­te Atom­bom­be wirk­te ein­mal in der Hand von er­klär­te­ren Zau­ber­lehr­lin­gen auf den den um­fas­sen­de­ren Tod hü­ten­den We­sten zu­rück.

    Aber auch die ver­se­hent­lich zer­bomb­ten af­gha­ni­schen Hoch­zei­ten ir­gend­wel­cher Speed­ver­rück­ter Ame­ri­ka­ner, die der Zei­ge­fin­ger juckt, sind da nicht weit. Sie sind ab­surd, durch und durch sinn­los, kon­tin­gent. (Aber wie soll man je­man­den ach­ten, des­sen Kul­tur man nicht ach­tet und des­sen Na­men man nicht ein­mal aus­spre­chen kann? Der Ame­ri­ka­ner wie der Ta­li­ban, weil bei­de sich den letz­ten Kon­ven­tio­nen – Genf! – ent­zie­hen, ist ei­gent­lich „we­ni­ger“ als ein Feind: Er ist nur Hin­ter­halt und Un­ver­ständ­lich­keit und ver­harrt wech­sel­sei­tig hin­ter Schir­men.)

    Zu­gleich scheint mir die­se Nicht­an­er­ken­nung des Ge­gen­übers, die Ge­sichts­lo­sig­keit trotz/mit Face­book, nicht weit von der mo­der­nen west­li­chen Ver­ro­hung, von ei­nem Zu­viel der Mit­tel, vom sinn­lo­sen Ma­te­ri­al­ein­satz, von der Sehn­sucht aber auch nach Schock und Über­bie­tung im ir­ren (Serien-)Mörder, in der zer­stückel­ten oder der an­ge­zün­de­ten, der noch in sei­ner Ma­te­ria­li­tät ge­nich­te­ten Lei­che. (Wie vor Kur­zem in Ber­lin in ei­nem Park oder ge­ra­de in Eng­land: Kann man sich das als be­wuss­te Schän­dung aus­den­ken? Oder hat die­ser Kör­per auch vor­her für nichts ge­gol­ten?)

    Es gibt da, un­ter­füt­tert durch den mo­der­nen, im­mer ra­scher in die In-for­ma­tio­nen und Un­ter­hal­tungs­for­ma­te ein­wan­dern­den Wahn­sinn der Welt, et­was an Nich­tung a prio­ri, et­was un­ter dem Über­druck der über­all nur mehr nach (zu­gleich in­fla­tio­nä­ren) Mil­li­ar­den Zäh­len­den von Ne­ga­ti­on von vorn­her­ein.

    Oder rührt das end­lich wie­der an et­was Un­aus­sprech­ba­res?

  5. @Gregor
    Selbst wenn ich »mit­tel­al­ter­lich« nur als Bild ver­ste­he, haf­tet dem doch die Wer­tung von »über­holt« an (Rück­stän­dig­keit, Schau­er­mär­chen, wie herr.jedermann schreibt). Oder?

    Das was Du als Feind­bild be­schreibst, passt zu je­nem »Den­ken«, ich nen­ne ein­mal kei­ne Na­men, das Ras­sen, Klas­sen oder an­de­re Grup­pen von Men­schen zur Tö­tung frei­gibt, das ist (lei­der) nichts Neu­es; das wur­de selbst­ver­ständ­lich um des Gu­ten (oder Bes­se­ren), ei­ner Uto­pie, wil­len ge­tan. Die­se Tö­tun­gen sind von oben le­gi­ti­miert und ge­wollt, sie sind straf­frei und nicht »pas­siert« wie das im Krieg häu­fig ge­schah (Plün­de­run­gen, Ver­ge­wal­ti­gun­gen, Ge­gen­ge­walt, usf.). Ähn­li­che Di­rek­ti­ven wird es in den Kreuz­zü­gen wohl ge­ge­ben ha­ben, nach dem Mot­to »er­schlagt mög­lichst vie­le« (ist das das­sel­be?), vom Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg weiß ich es nicht, müss­te ich nach­le­sen. — Ei­nen Aus­weg gibt es frei­lich, die Kon­ver­si­on.

    Ich wür­de so­gar sa­gen: Ge­ra­de Ernst Jün­ger muss­te das so se­hen, das passt ja zu sei­ner kämp­fe­ri­schen Li­te­ra­tur, ich neh­me an auch zu sei­nem Welt­bild (Jün­gers ari­sto­kra­ti­sche Hal­tung ließ ihn im­mer­hin auf Di­stanz zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ge­hen, ich wür­de so­gar so weit ge­hen, und sa­gen, dass es je­man­dem, dem es um den Kampf geht, nicht um das Tö­ten ge­hen muss. Mir scheint es da mehr um den Kampf als Selbst­zweck zu ge­hen, na­tür­lich auch um Eh­re, als um den Krieg als Mit­tel der Po­li­tik).

  6. @Joseph Bran­co
    Mei­nem Da­für­hal­ten nach nicht, da ging es im­mer um die Be­wer­tung der Ge­walt­ta­ten, nicht um de­ren Wir­kung oder Ver­mark­tung. Rich­tig und den USA wür­de man et­was an­de­res vor­hal­ten (viel­leicht Grau­sam­keit, aber nicht mit­tel­al­ter­li­che).

    Fo­tos und Vi­de­os ma­chen Ge­walt und Leid kon­kre­ter; wir sind dann wie­der em­pa­thie­fä­hig, weil wie­der Men­schen vor uns »ste­hen« und nicht mehr bloß Zah­len (da­für öff­nen sie wie­der die Mög­lich­keit der Ma­ni­pu­la­ti­on).

  7. @herr.jedermann
    Für die Grau­sam­kei­ten, die nach den Re­geln der Scha­ria ver­übt wer­den, kann man die­se Ab­stu­fung wohl auch ver­an­schla­gen. — Die Ge­walt ge­gen al­les was als un­gläu­big an­ge­se­hen wird, hat an­de­re Ur­sa­chen.

    Man könn­te viel­leicht hin­sicht­lich der un­ver­ständ­li­chen Na­men, eben­sol­cher Kul­tur vom klas­si­schen Frem­den spre­chen, das sich ei­ner De­fi­ni­ti­on ent­zieht und da­durch be­droh­lich wirkt (nur passt die Feind­rhe­to­rik und das Feind­bild nicht da­zu; ei­nen Feind kennt man, man weiß über ihn be­scheid; man könn­te das, was die Un­gläu­bi­gen hier be­deu­ten, mit dem ver­glei­chen, wo­für die Ju­den zur Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus’ stan­den; — könn­te die Aus­lö­schungs­ur­sa­che hier wie dort die­sel­be sein und was könn­te das für un­ser Ver­ständ­nis der is­la­mi­schen Welt be­deu­ten?).

    Ei­ne Schän­dung be­deu­tet im­mer ei­nen Er­halt, sonst kann man die Schän­dung nicht mehr er­ken­nen, man muss eher von ei­nem Ver­nich­tungs­wil­len spre­chen (wo­bei in Mord­fäl­len auch im­mer ver­sucht wird die Lei­che ver­schwin­den zu las­sen).

    Viel­leicht ist es kaum mehr mög­lich Sta­bi­li­tät oder ein sta­bi­les Sinn­ge­fü­ge zu er­rich­ten (und wor­auf an­de­re schon hin­ge­wie­sen ha­ben: Ge­walt, Zer­stö­rung und to­ta­le Macht über an­de­re ha­ben wo­mög­lich mehr Reiz und Ge­winn als wir zu­nähst glau­ben möch­ten).

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  9. @metepsilonema
    Das Bil­der em­pa­thie­fä­hi­ger ma­chen ist ei­ne Bin­sen­weis­heit, aber ge­ra­de des­halb müs­sen die, die letzt­end­lich Ent­schei­dun­gen tref­fen, sich so weit mög­lich da­von be­frei­en und auf Fak­ten­ba­sis han­deln.

    Und doch, ich hal­te den Ame­ri­ka­nern mit­tel­al­ter­li­che Grau­sam­keit vor. Das fängt da­mit an, dass 13-jäh­ri­ge Straf­tä­ter im In­ter­net mit Na­me und Fo­to wie am mit­tel­al­ter­li­chen Pran­ger dar­ge­stellt wer­den. Die Stra­fe dient der Süh­ne, nicht der Lö­sung. Bei der Durch­füh­rung der To­des­stra­fe schau­en die An­ge­hö­ri­gen der Op­fer dem Hen­ker zu, wie auf ei­nem mit­tel­al­ter­li­chen Markt­platz.

    Im Viet­nam­krieg hat­te McNa­ma­ra die Stra­te­gie des Bo­dy Counts aus­ge­ge­ben. Es wur­den nur to­te Kör­per ge­zählt. egal ob Sol­da­ten, Frau­en, Kin­der oder Grei­se. Die Zah­len wur­den dann im Ra­dio ver­le­sen. Und ge­nau­so ha­ben sich vie­le Sol­da­ten auch ver­hal­ten. In der Wi­ki­pe­dia dient zur Il­lu­stra­ti­on des Be­grif­fes üb­ri­gens das Bild »Ed­ward III. zählt nach der Schlacht von Cré­cy die Ge­fal­le­nen«.

  10. Mir scheint Nietz­sche ein gu­ter Rat­ge­ber zum The­ma: ei­ne Mo­ral, die auf die Aus­lö­schung des Geg­ner oh­ne Rück­sicht auf zi­vi­li­sa­to­ri­sche Stan­dards ab­zielt, ist die »stär­ke­re Mo­ral«, weil sie kei­ne ge­ne­ra­li­sier­te Hem­mung auf­weist.
    Die Mög­lich­keit un­ge­hin­der­ten Tö­tens ent­steht doch erst auf­grund des feh­len­den »Is­la­mi­schen Staa­tes«. Die Chif­fre »IS« steht in Wahr­heit für ei­ne Kriegs­ma­schi­ne­rie oh­ne ter­ri­to­ria­le Be­zü­ge. Die Idee die­ser Be­we­gung, ihr Zer­stö­rungs­pro­gramm wie ei­ne Staats­grün­dung aus­se­hen zu las­sen, ist ziem­lich... gut.

  11. @die kal­te So­phie
    Es gibt sehr wohl ter­ri­to­ria­le Be­zü­ge beim IS. An­son­sten hät­te man nicht ein Ka­li­fat aus­ge­ru­fen. Es zeigt im üb­ri­gen wie at­trak­tiv ein Na­tio­nal­staat ist. Soll­te er sich näm­lich hal­ten, d. h. ei­ne funk­tio­nie­ren­de In­fra­struk­tur in sei­nen er­ober­ten Ter­ri­to­ri­en auf­bau­en und füh­ren kön­nen, wird sich frü­her oder spä­ter die Le­gi­ti­ma­ti­ons­fra­ge stel­len.

    Zu­sam­men mit der Schaf­fung ei­nes neu­en Ter­ri­to­ri­ums, wel­ches aus­drück­lich den Gren­zen der ehe­ma­li­gen Ko­lo­ni­al­her­ren wi­der­spricht, wird ei­ne Har­mo­ni­sie­rung des Re­li­giö­sen nicht nur an­ge­strebt, son­dern ge­ra­de­zu er­zwun­gen. Wer nicht für uns ist, ist ge­gen uns – so lau­tet die De­vi­se (nicht ganz un­be­kannt üb­ri­gens). Die­se He­ge­mo­nie wird oh­ne Rück­sicht auf bis­he­ri­ge zi­vi­li­sa­to­ri­sche Stan­dards be­trie­ben – das er­scheint uns neu, weil es uns in den letz­ten 70 Jah­ren nicht vor­ge­kom­men ist. Zu­letzt wü­te­ten auf die­se Art und Wei­se üb­ri­gens die Na­zis in ih­ren er­ober­ten Län­dern.

  12. @Joseph Bran­co
    Ih­re Aus­füh­run­gen sind al­le rich­tig, aber nur weil ei­ne Sei­te ein Un­recht aus­ge­übt hat bzw. aus­übt, ist das Un­recht der an­de­ren Sei­te da­mit nicht le­gi­ti­miert.

  13. Kann ich nicht nach­voll­zie­hen:
    ...dann wird sich frü­her oder spä­ter die Le­gi­ti­ma­ti­ons­fra­ge stel­len...
    Na­tür­lich gibt es beim IS ter­ri­to­ria­le Be­zü­ge, ge­ra­de der Um­sturz vor­ma­li­ger Ter­ri­to­ri­en ist ja der re­vo­lu­tio­nä­re (at­trak­ti­ve) Akt. Spä­ter stellt sich ei­gent­lich nur die Fra­ge in­ter­na­tio­na­ler An­er­ken­nung, und da schei­den sich häu­fig die Gei­ster.
    Ich bin mit hi­sto­ri­schen Ver­glei­chen (Mit­tel­al­ter) nicht ganz ein­ver­stan­den. Des­halb mein Im­puls, den ad­vo­ca­tus dia­bo­li zu ge­ben. Wir be­fin­den uns zur Zeit in ei­ner (hi­sto­risch) bei­spiel­lo­sen Schwe­be, wenn man die sehr sta­bi­le eu­ro­päi­sche Frie­dens­ord­nung den ge­ra­de­zu läp­pi­schen Ver­su­chen, von Eu­ro­pa aus »Welt­po­li­tik« zu ma­chen, ge­gen­über stellt. Ge­nau dar­in be­steht das Är­ger­nis der post-na­tio­na­len Kon­stel­la­ti­on, die mit dem Pro­jekt Eu­ro­pa er­öff­net wor­den ist. Es stellt sich im­mer das­sel­be Di­lem­ma ein: po­li­ti­sches Han­deln na­tio­nal le­gi­ti­mie­ren, und es wie in­ter­na­tio­na­les Recht aus­se­hen las­sen. Das Er­geb­nis ist eben­falls höchst zwei­deu­tig: das Rich­ti­ge sa­gen, und nichts be­wir­ken kön­nen, auf­grund mo­ra­li­scher Über­le­gen­heit?! Das ver­mag doch nur aka­de­mi­sche und pa­sto­ra­le Gei­ster zu fas­zi­nie­ren. Wir sind nicht be­son­ders kon­si­stent, oder?!

  14. @Gregor Keu­sch­nig
    me­tep­si­lo­n­e­ma hat­te in Ab­re­de ge­stellt, dass ame­ri­ka­ni­sche Ad­mi­ni­stra­tio­nen »mit­tel­al­ter­li­che« Grau­sam­keit an­wen­den. Das galt es zu ent­kräf­ten. Viel­leicht noch als Nach­klapp: Bre­zin­ski, von dem hier ge­le­gent­lich die Re­de war, spricht bzgl. eu­ro­päi­scher Staa­ten von tri­but­pflich­ti­gen Va­sal­len.

    Das lang­weilt, ver­ste­he ich ja, muss aber im­mer mal wie­der be­tont wer­den. Wenn zwei Op­po­nen­ten auf mo­ra­li­scher Ba­sis ar­gu­men­tie­ren, ist das ver­trau­te­re Welt­bild leicht über­zeu­gend, vor al­lem, wenn die Al­ter­na­ti­ve so ab­sto­ssend auf­tritt. Ame­ri­ka­ner ha­ben schon vor lan­ger Zeit ge­lernt, dass es für De­mo­kra­tien schwer ist Krieg zu füh­ren oh­ne ei­ne zu­ge­hö­ri­ge Ge­schich­te die den »just war« recht­fer­tigt. Das müs­sen un­se­re Po­li­ti­ker noch ler­nen. Der IS macht letzt­end­lich das glei­che in grün, nicht un­ge­schickt, um das Mo­men­tum auf sei­ner Sei­te zu ha­ben. Ge­nau­so in­ter­es­sen­ge­lei­tet, nur noch deut­lich wi­der­wär­ti­ger und schä­bi­ger.

  15. @Joseph Bran­co
    Der Ver­gleich USA und IS hinkt nicht ein­mal. IS »ar­gu­men­tiert« da­bei nicht mo­ra­lisch, son­dern me­ta­phy­sisch. Das »Pro­blem« des We­stens ist ge­ra­de sein Be­har­ren auf mo­ra­li­sche Stan­dards, die man, wenn man die re­li­gi­ös-me­ta­phy­si­sche Kriegs­füh­rung be­kämp­fen will, gar nicht ein­hal­ten kann.

    Brze­zinskis Spruch von den »tri­but­pflich­ti­gen Va­sal­len« soll­te im Kon­text ge­le­sen wer­den; Zi­ta­te durch die Ge­gend schmei­ßen bringt da we­nig. Die Stel­le im Buch »Die ein­zi­ge Welt­macht« (1997 ge­schrie­ben) lau­tet wie folgt:

    West­eu­ro­pa ist be­reits ein ge­mein­sa­mer Markt, aber weit da­von ent­fernt, ei­ne po­li­ti­sche Ein­heit zu bil­den. Ein po­li­ti­sches Eu­ro­pa muss erst noch ent­ste­hen. Die Kri­se in Bos­ni­en bot hier­für ei­nen trau­ri­gen Be­weis, so­fern es denn ei­nes sol­chen be­durft hät­te. Tat­sa­che ist schlicht und ein­fach, dass West­eu­ro­pa und zu­neh­mend auch Mit­tel­eu­ro­pa weit­ge­hend ein ame­ri­ka­ni­sches Pro­tek­to­rat blei­ben, des­sen al­li­ier­te Staa­ten an Va­sal­len und Tri­but­pflich­ti­ge von einst er­in­nern. Dies ist kein ge­sun­der Zu­stand, we­der für Ame­ri­ka noch für die eu­ro­päi­schen Na­tio­nen.

  16. All­ge­mein über Im­pe­ri­en schreibt er:

    Die­se Im­pe­ri­en grün­de­ten ih­re Macht auf ei­ne Hier­ar­chie von Va­sal­len­staa­ten, tri­but­pflich­ti­gen Pro­vin­zen, Pro­tek­to­ra­ten und Ko­lo­nien; die Völ­ker jen­seits der Gren­zen be­trach­te­ten sie ge­mein­hin
    als Bar­ba­ren.

    und dann über das heu­ti­ge Ame­ri­ka:

    Im Ge­gen­satz da­zu ist der Gel­tungs­be­reich der heu­ti­gen Welt­macht Ame­ri­ka ein­zig­ar­tig. Nicht nur be­herr­schen die Ver­ei­nig­ten Staa­ten sämt­li­che Ozea­ne und Mee­re, sie ver­fü­gen mitt­ler­wei­le auch über die mi­li­tä­ri­schen Mit­tel, die Kü­sten mit Am­phi­bi­en­fahr­zeu­gen un­ter Kon­trol­le zu hal­ten, mit de­nen sie bis ins In­ne­re ei­nes Lan­des vor­sto­ßen und ih­rer Macht po­li­tisch Gel­tung ver­schaf­fen kön­nen. Ame­ri­ka­ni­sche Ar­mee­ver­bän­de ste­hen in den west­li­chen und öst­li­chen Rand­ge­bie­ten des eu­ra­si­schen Kon­ti­nents und kon­trol­lie­ren au­ßer­dem den Per­si­schen Golf. Wie die fol­gen­de Kar­te zeigt, ist der ge­sam­te Kon­ti­nent von ame­ri­ka­ni­schen Va­sal­len und tri­but­pflich­ti­gen Staa­ten über­sät, von de­nen ei­ni­ge all­zu gern noch fe­ster an Wa­shing­ton ge­bun­den wä­ren.

    Schmei­ßen Sie auch? Die Fra­ge ist, wer ist noch Va­sall, wer schon Bar­bar. Ob der IS jetzt mo­ra­lisch oder me­ta­phy­sisch ar­gu­men­tiert, sei da­hin­ge­stellt. Die Par­al­le­le ist das Nar­ra­tiv, um die wah­ren In­ter­es­sen bei den be­nö­tig­ten Un­ter­stüt­zern po­pu­lär zu ma­chen.

  17. @ Dok­tor D. Aus­ge­zeich­net, der Ar­ti­kel von Na­po­leo­ni. Bloß die Be­haup­tung der »staat­li­chen Fi­nan­zie­rung« des IS durch die Sau­dis muss man strei­chen. Es will den Eu­ro­pä­ern nicht in den Schä­del, dass die Ara­ber »nicht be­son­ders in­ter­es­siert« sind an der For­ma­ti­on »Staat«. Erst recht nicht die Sau­dis.
    Bril­li­ant sind die Be­schrei­bun­gen der lo­ka­len Al­li­an­zen mit den Stäm­men des Nord-Irak, die man (s.o.) als die ter­ri­to­ria­len Wur­zeln des IS vor dem Ka­li­fat an­se­hen muss. In der Tat han­delt es sich um Stäm­me, Klans, u.ä. Die­se Bünd­nis­se sind hi­sto­risch ge­nau­so ernst zu neh­men wie der »mo­der­ne Ge­sell­schafts­ver­trag«...

  18. @ die kal­te So­phie und Dok­tor D
    Ge­nau das mein­te ich: Na­po­len­on­is Plä­doy­er für ei­ne (di­plo­ma­ti­sche) An­er­ken­nung nimmt die Ent­wick­lun­gen vor­weg, die ei­ne PLO, IRA oder PKK im Lau­fe der Jahr­zehn­te ge­nom­men ha­ben: Al­le ent­wickel­ten sich min­de­stens in Tei­len von der Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on zur staats­bil­den­den bzw. staatstra­gen­den Macht. Über­se­hen wird da­bei ger­ne, dass die An­er­ken­nung als Re­prä­sen­tanz fast nie zur Be­frie­dung des Kon­flikts führ­te bzw. im­mer neue, an­de­re Hür­den (Ab­spal­tun­gen in­ner­halb der Or­ga­ni­sa­tio­nen) ent­stan­den.

    Na­po­leo­nis Ein­schät­zung hal­te ich – mit Ver­laub – für reich­lich na­iv, et­wa wenn sie da­von spricht, dass die Maß­nah­men des IS in der sun­ni­ti­schen Be­völ­ke­rung auf Zu­stim­mung sto­ßen. Das kann bei be­tont ex­pan­si­ven Or­ga­ni­sa­tio­nen wie dem IS kein Kri­te­ri­um sein. Dass die Na­zis 1939/40 ei­ne brei­te Zu­stim­mung in der Be­völ­ke­rung hat­ten, le­gi­ti­miert nicht de­ren Vor­ge­hen.

    Was Na­po­leo­ni zur »Tra­di­ti­on des eu­ro­päi­schen Ter­ro­ris­mus« schreibt, greift zu kurz. Wenn sie schon Tra­di­ti­ons­li­ni­en in der Ge­schich­te ent­decken möch­te, bö­te sich die Fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­on und de­ren Ja­ko­bi­ner­tum an.

    Die In­kon­se­quenz des We­stens liegt u. a. dar­in, ei­nen ähn­lich to­ta­li­tär-ar­chai­schen Staat wie Sau­di-Ara­bi­en als Ver­bün­de­ten zu he­gen und zu pfle­gen, den IS und an­de­re is­la­misch-fun­da­men­ta­li­sti­sche Re­gime je­doch zu be­kämp­fen.

  19. D’­ac­cord. Ei­ne An­er­ken­nung steht nicht auf der Agen­da, und: es wür­de sich nichts än­dern. Bra­vo! Dar­an er­kennt man wun­der­bar, was die Eu­ro­päi­sche Sei­te des Pro­blems ist. Eu­ro­pa »denkt« die Pro­ble­me im­mer von der Lö­sung »für al­le Be­tei­lig­ten« her, be­zieht al­so Kom­bat­tan­ten, Wi­der­sa­cher, Op­fer und Be­ob­ach­ter auf ein in­te­gra­ti­ves psy­cho­lo­gi­sches Sche­ma. Ei­ne sol­che Lö­sung exi­stiert nicht. Wie­der­ho­le: Das eu­ro­päi­sche Den­ken zielt auf Lö­sun­gen ab, die nicht exi­stie­ren. Dar­in zeigt sich die In­kom­pe­tenz des Idea­lis­mus. Wir sind kom­plex, und wir sind däm­lich wie der nack­te Kai­ser...

  20. @Joseph Bran­co
    Brze­zin­ski ver­gleicht die USA u. a. mit Rom (und de­fi­niert auch die Dif­fe­ren­zen), da­her die ru­sti­ka­le Aus­drucks­wei­se, die er sel­ber als »ana­chro­ni­sti­sche Ter­mi­no­lo­gie« (im Ori­gi­nal) apo­stro­phiert. Ent­schei­dend ist, dass er die­ses Va­sal­len­tum be­klagt und nicht als Wunsch dar­stellt, was das aus dem Kon­text ge­ris­se­ne, hin­ge­schmis­se­ne Zi­tat sug­ge­riert. So ganz glau­be ich ihm das üb­ri­gens nicht, aber das ist ein an­de­res The­ma.

  21. @Joseph Bran­co #8 und #14

    Le­sen Sie bit­te noch ein­mal was ich ge­schrie­ben ha­be: »Rich­tig und den USA wür­de man et­was an­de­res vor­hal­ten (viel­leicht Grau­sam­keit, aber nicht mit­tel­al­ter­li­che). « sie­he #6

    Das ist ei­ne Aus­sa­ge über den Sprach­ge­brauch in der Öf­fent­lich­keit (in­klu­si­ve der Im­pli­ka­tio­nen) und ge­nau um die­sen geht es auch im Aus­gangs­text. Und nicht dar­um, dass die USA tat­säch­lich kei­ne (mit­tel­al­ter­li­chen) Ver­bre­chen ver­üb­ten oder ver­üben (Ver­bre­chen blei­ben üb­ri­gens Ver­bre­chen, egal wie man sie be­zeich­net, mo­dern oder mit­tel­al­ter­lich). Sie füh­ren da ei­ne Dis­kus­si­on ge­gen Wind­müh­len.

    War­um die Ver­bre­chen der USA nicht als »mit­tel­al­ter­lich« be­zeich­net wer­den, sind Me­tho­dik und die Tech­nik, mei­nes Er­ach­tens (sie fal­len da­durch we­ni­ger aus der Zeit, stel­len schein­bar ei­nen ge­ring­fü­gi­ge­ren Zi­vi­li­sa­ti­ons­bruch dar). Sie ha­ben recht, dass das, was ge­dank­lich hin­ter dem Zäh­len der To­ten, der To­des­stra­fe bzw. der Ver­öf­fent­li­chung von Per­so­nen­da­ten im In­ter­net steht, ein ar­chai­sches Den­ken ist (wie ich oben auch schon schrieb: Ge­walt ist das ei­gent­lich im­mer). Ich mei­ne aber, dass die Tech­nik als eben­sol­che an­de­re Wir­kun­gen mit sich bringt, als mit­tel­al­ter­li­ches Tö­ten, sie ver­än­dert den Akt des Tö­tens an sich (ei­ne Ver­öf­fent­li­chung im In­ter­net ist im Zeit­al­ter von Droh­nen­tö­tung, Ge­heim­dien­sten und Glo­ba­li­sie­rung ist fak­tisch et­was an­de­res, als je­man­den am Markt­platz an den Pran­ger zu stel­len; et­was an­de­res, des­we­gen aber nicht schon bes­ser).

  22. In ih­rer Dis­kus­si­on über­se­hen sie, das in dem Text von „ me­tep­si­lo­n­e­ma“ Die Be­grif­fe von Be­stra­fung und Kriegs­hand­lung ver­wischt wer­den. So spricht er von

    „ „Das, was mit »mit­tel­al­ter­li­cher Ge­walt« wohl ge­meint ist, ist die Me­tho­dik, die Art der Aus­übung, al­so Kreu­zi­gung, Ent­haup­tung, Stei­ni­gung, usw., sie er­schei­nen uns ar­cha­isch, wir se­hen sie als über­wun­den an. 

    Die west­li­chen Neu­zeit­li­chen Be­stra­fun­gen, wie Gas­kam­mer To­des­sprit­ze Elek­tri­scher Stuhl Hän­gen, Scha­fott... sind mei­nes Er­ach­tens da auch nicht an­ders zu be­wer­ten. So­wohl hört auch hier der Scharf­rich­ter das Rö­cheln und die Zeu­gen er­le­ben un­mit­tel­bar das Ster­ben des De­lin­quen­ten.
    Das ei­ne ge­wis­se sa­di­sti­sche Ten­denz zu er­ken­nen ist, zei­gen die jüng­sten Hin­rich­tun­gen in ame­ri­ka­ni­schen Ge­fäng­nis­sen, wo von To­des­kämp­fen bis zu ei­ner hal­ben Stun­de ge­spro­chen wird, weil man sich Zu­satz­ko­sten für Be­ru­hi­gungs­mit­tel spa­ren will.
    Bei die­sem bar­ba­ri­schen Hin­ter­grund, emp­fin­de ich ei­ne Hin­rich­tung wie oben be­schrie­ben noch fast … ich schen­ke mir hu­man.
    Man ver­kennt mei­nes Er­ach­tens, dass die Vi­deo­bil­der im In­ter­net si­cher ei­ne ab­schrecken­de Wir­kung ha­ben sol­len. Du Sol­dat, du Kampf­pi­lot, komm mir nicht zu na­he, sonst er­war­tet dich die­ses. Ei­ne Tak­tik die zu­min­dest den un­mit­tel­bar am Ein­satz­ort han­deln­den nach­denk­lich macht.

  23. @Dauersauer
    Fak­tisch wer­den sie in der Öf­fent­lich­keit aber nicht (oder viel­leicht äu­ßerst sel­ten?) als »mit­tel­al­ter­lich« be­zeich­net. Wir kön­nen ger­ne zwi­schen Kriegs­füh­rung und Stra­fe un­ter­schei­den, die me­tho­di­schen Un­ter­schie­de blei­ben mei­nes Er­ach­tens be­stehen. Was mich in­ter­es­siert ist nicht die mo­ra­li­sche Be­wer­tung (wie ich schon oben schrieb, bleibt ein Ver­bre­chen ein Ver­bre­chen, egal wie man es nennt oder wie es ver­übt wur­de), son­dern die Im­pli­ka­tio­nen und Ur­sa­chen der Be­zeich­nung »mit­tel­al­ter­lich«, wie die Ver­än­de­run­gen die die mo­der­nen Tö­tungs­ar­ten mit sich brach­ten (Fort­schrit­te se­he ich da ei­gent­lich kei­ne).

    Ein wei­te­rer Un­ter­schied ist, dass der Is­la­mi­sche Staat sei­ne Ver­bre­chen her­aus­stellt (u.a. durch Vi­de­os) und nicht ver­heim­licht, wie das sonst meist ge­schieht.

  24. Ein wei­te­rer Un­ter­schied ist, dass der Is­la­mi­sche Staat sei­ne Ver­bre­chen her­aus­stellt (u.a. durch Vi­de­os) und nicht ver­heim­licht, wie das sonst meist ge­schieht.

    In der Sa­che sind wir uns ei­nig, nur das wir bei die­sen Bil­dern gleich von Ver­bre­chen re­den, wo doch of­fen­bar ei­ne Ge­richts­ver­hand­lung nach IS Recht (Scha­ria) durch­ge­führt wur­de, zeigt wie sehr wir durch ein­sei­ti­ge Be­trach­tungs­wei­sen ge­prägt wer­den. Ei­ne Über­ge­ord­ne­te In­stanz, die die­se ( archaischen,barbarischen Voll­streckun­gen) un­ab­hän­gig be­wer­tet, gibt es ja nicht. Ich be­fürch­te, die­se Bil­der wer­den ge­gen un­se­re Be­völ­ke­rung in­stru­men­ta­li­siert um dra­sti­scher ge­gen den IS vor­zu­ge­hen. Na­tür­lich sind Kol­la­te­ral­schä­den wie man so schön ver­harm­lo­send sagt, nicht zu ver­mei­den und wer­den ak­zep­tiert.

    »Es ist ja wich­ti­ger die Kul­tur­schät­ze vor die­sen Bar­ba­ren zu schüt­zen, die von tie­ri­schen In­stink­ten ge­lei­tet wer­den.«

    Viel­leicht soll­te man die Men­schen in ih­rem Kul­tur­kreis ein­fach in ru­he las­sen, und nicht stän­dig nach Vor­teil­nah­me schie­len, sei es Stra­te­gi­scher Na­tur oder auf Grund wirt­schaft­li­cher In­ter­es­sen.

  25. Ich be­fürch­te, die­se Bil­der wer­den ge­gen un­se­re Be­völ­ke­rung in­stru­men­ta­li­siert um dra­sti­scher ge­gen den IS vor­zu­ge­hen
    Al­so wä­re es bes­ser, die­se Bil­der gleich­ran­gig mit an­de­ren Ge­walt­bil­dern zu be­han­deln? Und dann ent­spre­chend die­ser Dik­ti­on den IS als »nor­mal« auf­zu­fas­sen und sie viel­leicht mit der ame­ri­ka­ni­schen Re­gie­rung gleich­zu­set­zen? Das wür­de ich für ziem­li­chen Un­sinn und ei­ne ele­men­ta­re Ver­harm­lo­sung die­ser IS-Ver­bre­cher hal­ten.

    Die Idee, die Leu­te »ein­fach in Ru­he zu las­sen« fin­de ich in­ter­es­sant. Ich ten­die­re auch da­zu, glau­be aber, dass dies im Fall des IS aus zwei Grün­den nicht geht. Zum ei­nen wer­den uns auf Dau­er die Flücht­lings­strö­me ein­ho­len. Zum an­de­ren ist der IS ex­pan­siv, d. h. auf Er­obe­run­gen aus­ge­rich­tet.

    - -

    Das Ru­brum »mit­tel­al­ter­lich« hal­te ich für ein rhe­to­ri­sches Hilfs­wort; ein At­tri­but wie sie im Jour­na­lis­mus über­all und im­mer Ver­wen­dung fin­den. Es ist na­tür­lich auch pe­jo­ra­tiv ge­meint. Wenn­gleich das Kopf ab­schnei­den durch­aus et­was ar­chai­sches hat. Man könn­te auch auf das 18. Jahr­hun­dert in Frank­reich ver­wei­sen.

  26. @Dauersauer
    Das Wort Ver­bre­chen im­pli­ziert ei­nen recht­li­chen oder ethi­schen Stand­punkt, wür­de ich sa­gen, auch wenn der dif­fus blei­ben kann (ich be­trach­te das da­her nicht »wert­neu­tral«). Man kann viel­leicht noch über auf Grund von Dieb­stahl ab­ge­hack­te Hän­de dis­ku­tie­ren (Ver­bre­chen, Grau­sam­keit oder Ge­rech­tig­keit?), aber spä­te­stens bei Mas­sen­exe­ku­tio­nen er­lah­men wahr­schein­lich die Recht­fer­ti­gungs­mög­lich­kei­ten, die man aus der Scha­ria oder wo auch im­mer her­aus­kit­zelt.

    Der Be­griff »Kol­la­te­ral­scha­den« ist ein Eu­phe­mis­mus (nur kann ich auf der an­de­ren Sei­te auch nicht sa­gen, dass man den Kur­den oder Je­si­den nicht hät­te hel­fen sol­len; rich­tig ist aber, dass das erst ge­tan wur­de als die Er­eig­nis­se in den Fo­kus der Me­di­en ka­men, die tau­sen­den von To­ten in Sy­ri­en ha­ben lan­ge nie­man­den ge­küm­mert).

    Ich wä­re grund­sätz­lich da­für die Pro­ble­me des Mitt­le­ren Ostens bzw. der Ara­bi­schen Welt auch die­sen zur Lö­sung zu über­las­sen. Al­ler­dings exi­stie­ren wir nicht iso­liert da­von (Flücht­lin­ge, Ter­ror­an­schlä­ge, Ver­bre­chen); da­ne­ben hat »der We­sten« na­tür­lich auch sei­ne In­ter­es­sen und Ver­bün­de­ten. Aber auf Dau­er wird man sich zu­rück­hal­ten müs­sen, schon des­halb weil die Res­sour­cen nicht rei­chen über­all zu in­ter­ve­nie­ren und Krieg zu füh­ren (von an­de­rem ab­ge­se­hen). Die Welt wird un­über­sicht­li­cher und mul­ti­po­la­rer (man könn­te auch sa­gen, dass ih­re Über­sicht­lich­keit zu den Zei­ten des kal­ten Kriegs ei­ne Täu­schung war).

    @Gregor
    Wo­bei, und da sind wir wie­der mit­ten im The­ma, die Guil­lo­ti­ne da­mals als fort­schritt­li­che Art des Tö­tens (»kurz und schmerz­los«) galt.