Auf dem Cover sieht man die leere Schachtel. Im Buch ist sie gefüllt. Ein Dachbodenfund? Ein Geheimgefäß? Bald wird klar: Der Inhalt hat keinen pekuniären Wert. Hier ist nichts zu erlösen. Eine alte Sonnenbrille, eine Haarlocke, ein defekter Krug, eine Stecknadeldose. Eben »Eine Schachtel voll Sachen«, die Armin Stingl zu seiner »kleinen Prosa« inspiriert.
Ein sehr liebevoll gestaltetes Buch. Farbige Abbildungen. Sehr große Schrift, so dass die ein oder andere Prosaminiatur tatsächlich eine ganze Seite beansprucht, aber meist ist es weniger. Kleine Imperative an sich selber gerichtet (»Still, Idiot!«). Wahrnehmungen, die man derart noch nicht gelesen hat. Das schwarze Gesicht eines Dominosteins zum Beispiel. Oder eine Spiegelung auf der Brille. Skurriles, wie der Maler, der seine Stilleben (!) unmittelbar nach Fertigstellung fotografiert und die Gemälde danach vernichtet. Überhaupt die Malaise des Kunstschaffens. Dann phantastisch-traumhafte Assoziationen wie der Fluß, in den man hineinfällt, der aber im Sand verläuft. Albernheiten wie der »große Schabenkongreß« mit etwa »sieben Milliarden Gästen« in »Poelzigs expressionistischer Oper«. Oder ein Lyrikseminar »im Pilzgarten einer Blattschneiderameisenkolonie«. Und ernsthaft-melancholisches. Etwa über den toten Gott über den »wir, die wir selbst nicht trauern können, weil wir ihn nicht kannten«. Oder eine Miniatur über Freunde. Irgendwann erkennt man: Die farbigen Versalien haben eine Bedeutung. Je dunkler, je ernster vielleicht? Aber keine Sorge: Es ist kein finsterer Ernst, eher einer der den Leser aufschauen lässt, das Buch für einen Augenblick zur Seite legend (nur kein Eselsohr!) und nachdenkend.
Alles ist leicht und luftig, zuweilen etwas verspielt. So bekommt man irgendwann einen Schreck, weil scheinbar jemand mit Bleistift im Buch herumgeschmiert hat. Aber nein, es ist Absicht; immer wieder fällt er sich selber ins Wort, belobigt oder befragt sich. Eine Heiterkeit, die trotz allem niemals in Banalität umschlägt.
Die »kleine Prosa« des auch als Lyriker hervorgetretenen, 1961 geborenen Armin Stingl (vor allem »Anhänger der Schwerkraft« von 2009 sei hier ausdrücklich empfohlen) kommt als autofiktionale Miniatursammlung daher. Da macht sich keiner die Mühe des Versteckens. Und es gibt keinen Pointenzwang. Der Leser dankt es. Manchmal ergreift es ihn, etwa wenn von Krankheiten oder der Unausweichlichkeit des Endes sinniert wird. Oder wenn es um einen Soldaten (seinen Vater?) geht von und über den in einer Mischung aus Zärtlichkeit und Unverständnis erzählt wird.
Diese Schachtelsammlung ist sowohl für Wenig- wie auch für Gelegenheits- aber auch Vielleser nicht nur geeignet sondern geradezu belebend. »Wir brauchen keine Sterne. Wir machen es selber hell« lautet der letzte Eintrag. Stingls Büchlein erhellt jeden Frühlings‑, Sommer‑, Herbst- oder Winterabend. Und unwillkürlich beginnt man danach in seinen eigenen Schachteln und Schubladen herum zu suchen.