Es geht ums ganz Große: »Die Lebenslügen der digitalen Gesellschaft« will Astrid Herbold »bissig im Ton und scharf an der Analyse« (Klappentext) entlarven. Rasch wird noch das Attribut »schlagfertig« hinzugefügt und die einzelnen Mythen, die dekonstruiert werden sollen, aufgeführt. Wobei man irgendwann fragt, ob die Autorin nur die Mythen zerstört, die sie selber geschaffen hat. Aber gemach.
Nun sind (oder waren?) die Verheissungen des »globalen Dorfs«, des mobilen Zeitgenossen und der so einfachen Handhabbarkeit des virtuellen Wissens ja durchaus enorm. Technikaffine Entwickler versprechen uns à la longue immer noch das schöne, gute, einfache – das bessere Leben. Aber so manches Versprechen hat sich schon als veritable Luftblase entpuppt. Man glaubt ja längst nicht mehr an das einzig weißmachende Waschmittel. So können, ja müssen, die Entwicklungen der veränderten Kommunikationsgewohnheiten beispielsweise in Unternehmen durchaus befragt werden. Und ob es dauerhaft erstrebenswert ist an fast jedem öffentlichen Ort die intimen Gespräche anderer unfreiwillig mit zu hören, ist eine durchaus diskutable Frage.
Aber mit solchen Kleinigkeiten beschäftigt sich die Autorin von »Das große Rauschen« erst gar nicht. Das Buch ist ein Rundumschlag wider das, was nur entfernt mit »neuen Medien« in Verbindung gebracht werden kann. Dabei ist nicht das chirurgische Skalpell das Arbeitsgerät von Astrid Herbold sondern der Holzhammer.
Von Wikipedia nach youporn
Da werden die digitalen Bildspeicher der Urlaubs- und Gelegenheitsfotografien mit der gleichen Verve karikiert wie familiäre Handykommunikation. Die Reaktivierung des mittelalterlichen Prangers durch mobbende Netzgemeinschaft[en] in ominösen Onlineforen oder diffusen Netzwerken wird heraufbeschworen und der kulturelle Sozialismus einer gratisaffinen Community, die auf Urheberrechte scheißt ist natürlich auch verwerflich. Auch die Schwarmintelligenz bekommt ihr Fett weg. Nachdem diese zunächst von Wikipedia nach »youporn« abgewandert sein soll, erfährt man siebzig Seiten später, dass die Entwickler der ultimativen, zwar unlesbaren, weil mit unzähligen Querverweisen gespickten, aber perfekten Hypertexte auf die selbsternannten ‘Experten’ gar keine Lust mehr haben und ihre große Book-Sharing-Vision ganz gerne ohne Wikipedianer et. al. verrichten möchten.
Lesen war gestern, so die Autorin, die dabei nonchalant die seit Jahren steigenden Verkaufszahlen von Büchern ignoriert (okay, sie konstatiert – natürlich sexualpsychologisch unterfüttert -, dass der deutsche Bildungsbürger das Buch eigentlich nur als Trophäe braucht) und den Kulturkampf Downloads gegen Lesen ausruft. Dass diese Downloads dann auf den Rechnern ein eher stiefmütterliches Dasein fristen und nur selten ausgedruckt oder gar gelesen werden, mag ja stimmen aber lastet man dem Buch auch an, dass es ungelesen in der Ecke liegt?
Wie der Klassiker zu seiner mehr oder weniger kongenialen Verfilmung verhalte sich das Download zum Wikipedia-Zwanzigzeiler, so eines der noch gelungenen Bilder in diesem Buch. Aber hat eine Literaturverfilmung jemals nachweisbar den Verkauf der literarischen Vorlage behindert? Natürlich gibt es eine Häppchenkultur des Partyschwätzers, der mal eben die knappe Inhaltsangabe des Tausend Seiten Romans nachgelesen hat – aber die gab es auch durch Enzyklopädien oder Rezensionen in Zeitungen vorher auch schon. Das Abiturienten und Sachbuchautoren statt sich mit zeitaufwendiger linearer Lektüre zu plagen lieber Hypothesen mit Textbausteinen aus der Volltextsuche verwenden steht für Herbold natürlich auch außer Diskussion. Aber das am Ende noch ein Leser sitzt, der die zusammengebastelten Volltextfetzen mühelos als das erkennt was es ist, kommt ihr merkwürdigerweise nicht in den Sinn. Im weiteren Verlauf des Buches erkennt man: Das ist Programm bei dieser Autorin.
Da wird selbstredend auch über den Internetjournalismus geschimpft – ohne die Konditionen, die in den jeweiligen Redaktionen für die oberflächlichen Berichterstattungen verantwortlich sind, auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Hinzu kommt, dass die von ihr angeprangerten Drei-Wort-Kurzgeschichten beim näheren Ansehen nicht unbedingt »exklusiv« für die Internetkultur stehen. Hier wird besonders deutlich, dass die Autorin vor allem zeitgeistige Ressentiments spazieren führt (das Fahrwasser der modernen InternetexorzistInnen wie beispielsweise Susanne Gaschke bietet angenehmes Surfen) und ihre induktiven Schlüsse unter hartnäckiger Verweigerung von sich ihren Thesen entgegenstehenden Fakten zieht.
Einmal googlen = 11 Watt
Hierzu ist ihr nahezu jedes rhetorische Mittel recht. Was der Verlag als »fulminante Abrechnung« darstellt ist eine alberne Mischung zwischen Elke Heidenreich und dem Jargon einer unablässig zeternden Pubertierenden (was zu zwanghaft originellen Formulierungen führt wie Where have all the Hemmschwellen gone? oder We hate fokussieren und dann tatsächlich auch das inzwischen in diesen Kreisen wohl unvermeindliche nicht wirklich).
Mit Grandezza greift Herbold die Selbstdeklarierung der Branche als »grün« an und bemerkt gar nicht, wie viele offene Türen sie einrennt. Ihre Methode: Alle irgendwann ausgesprochenen Heilsversprechen von möglichkeitstaumelnden (gelegentlich ins esoterisch abdriftenden) Internetidealisten mit den Werbeversprechen der Industrie zusammengemischt anbieten und dann die Realität damit vergleichen. Als Schulaufsatz zur Feststellung der Tricks der Werbeindustrie mag dies noch angehen – als Anspruch die Lebenslügen (von wem auch immer) zu desavouieren, wirkt dies armselig. Jeder Hofnarr hatte mehr Kenntnis vom Gegenstand seines Spotts.
Einmal den eigenen Namen zu googlen verbraucht so viel Energie wie eine 11-Watt-Energiesparlampe in einer Stunde. Die Suchmaschine käme damit – so Herbold – aufs Jahr hochgerechnet…angeblich auf einen ähnlichen Energieverbrauch wie eine Viertelmillion Privathaushalte zusammen. Leider schreibt sie nicht, wie viele Bäume und welche Mengen von Chemikalien für die vorliegende Schmähschrift herhalten mussten. Zu Senkung des exzessiven Energieverbrauchs von Computern kommt sie auf die Idee, die jeweiligen Festplatten der PCs zu externalisieren, was sie dann aber wieder verwirft, weil man eher ungern seine Daten aushäusig lagert. Aber gut, dass man mal drüber geschrieben hat.
Sogar der Körperkult des edlen Bioautomaten Mensch wird als Folge des unzulässigen Vergleichs zum edlen Technikautomaten der privaten Digitalisierung angelastet und das Sportschauen als bestenfalls digitale Gliedmassenanimierung ausgemacht. Das erinnert stark an lustige 80er Jahre-Filmchen, die den Fernsehsportler als ultimative Bedrohung für die Volksgesundheit ausmachte. Offensichtlich hat es Herbold versäumt durch Wälder, Stadtparks oder Uferpromenaden zu spazieren und auch das Studium der stetig steigenden Meldelisten diverser Stadtläufe unterblieb wohl.
Gelegentlich wird die Autorin sogar hämisch und verfällt in den gleichen Zynismus, den sie an anderer Stelle den fröhlich-skeptischen Nachrichtenfreaks vorwirft. Dass der potentielle Kranke den egalitären Wissensweiten des Netzes mehr traut als seinem Arzt ist einerseits weder ausgemacht (man gehe an einem Montag morgen nur einmal in eine beliebige Arztpraxis) noch befragt Herbold die Gründe für den seit Jahren schleichenden Ansehensverlust von Ärzten. Auf jede Frage mindestens drei Antworten lautet ihr vernichtendes Urteil – übersehend, dass auch die Konsultation verschiedener Ärzte gelegentlich zu unterschiedlichen Diagnosen führt und es – tja, so hart ist das Leben – auch selten eine »einheitliche« Fachliteratur gibt. Logisch, dass nebenbei den Betroffenheitsforen mit ihren vernetzten Laienkollektiv[en] und deren floskelhaften Aufmunterungen auch noch ein Tritt mitgegeben wird.
»Systematische Entkabelung«
Natürlich ersetzen »Selbsthilfeforen« keine Therapie. Aber wer hat das behauptet? Und selbstverständlich gibt es Weblogs, in denen enorm viel Unsinn oder auch einfach nur Banales steht. Aber wer nimmt die Zeitung oder das Medium Buch in Haftung für ihre unzähligen schlechten Produkte? Warum wird ein Blogger als geldgeil denunziert, weil er Werbebanner in seinem Blog einbindet und/oder sich früher oder später für eine Rezension bezahlen lässt, ein Journalist aber nicht? Andererseits beklagt sie, dass die wirklich »erfolgreichen« Blogs (wie misst man diesen Erfolg?) von Journalisten geschrieben werden, die dies sozusagen in ihrer Freizeit machen müssen, weil mit dem Medium »Blog« kein Geld zu verdienen sei.
Es mag ja possierlich sein, die Unbillen der Handystörenfriede genüsslich zu beschreiben (man lacht gelegentlich unter Niveau durchaus mit). Aber wo steht geschrieben, dass ich diesem tatsächlich oft genug virulenten Mahlstrom des Schwachsinnigen schutzlos ausgeliefert bin? Gibt es keinen Ausschaltknopf beim Mobiltelefon? Nie sind Kanäle wirklich gekappt behauptet Herbold trotzig und erinnert sich im Stile eines Veteranen an einen USA-Aufenthalt als Teenager, als das Anrufen noch was Besonderes war.
Es gibt für sie auch keinen (virtuellen) Papierkorb für unnütze Dateien. Und ein Unternehmen kann keine Richtlinien für die gezielte und einheitliche Verwendung des Intranetsystems formulieren (ähnlich wie Verfahrensanweisungen für andere Bereiche)? Wo steht geschrieben, dass das Google-Ranking in irgendeiner Form etwas über die Qualität des jeweiligen Fundstücks aussagt? Warum nicht die Oberflächlichkeit einiger Medienerzeugnisse als Chance betrachten gegen den Strom des Trivialen so etwas wie Niveau als Gegenangebot zu offerieren? Unflätige Kommentaren in Onlineforen – können die nicht gelöscht werden?
Wie der Computer kennt sie nur 0 oder 1. Für Zwischentöne ist keine Zeit – da ist sie schon ganz auf der Welle derer, die sie so scharf kritisiert. Es geht ihr letztlich um die systematische Entkabelung. Der analoge Müßiggang als eine Zeitreise in die 50er Jahre? Herbolds Ideal ist der lahme Lineardenker. Das ist jemand, den es allerdings seit dem Mittelalter schon nicht mehr gibt.
Paternalistischer Stil
Herbold zeichnet nicht nur ein Zerrbild, sondern vergreift sich an ihrem Untersuchungsgegenstand, weil sie eine Branche kollektiv in Haftung für ihre eigenen enttäuschten Erwartungen nimmt. Dass sie die archetypischen Schlagwörter der Internetkritiker wie »Killerspiele« und »Kinderpornografie« nur ganz am Rande erwähnt und eine genauere Untersuchung nicht vornimmt dürfte damit zusammenhängen, dass dieses Buch explizit für die Klientel der eher notgedrungen im Mainstream hineintaumelnden Mittdreißiger geschrieben wurde, die sich zunächst einmal nicht als internetaffin bezeichnen würden und durch das Buch mit einer Art Schocktherapie zur Besinnung kommen sollen. Die Autorin agiert und agitiert paternalistisch, in dem sie dem potentiellen Anwender Alternativen abspricht, die verteufelten Gegenstände anthropomorphisiert, als permanente Bedrohung schildert und mit einem für den User gefährlichen Eigenleben versieht. Da beenden dann keine Menschen mehr ihre Liebschaften, sondern verdutzte Datensätze empfangen (oder schicken) eine SMS oder vom Internet vorwärtsgepeitschte Newszyklen okkupieren unsere Aufmerksamkeit.
Da Herbolds Menschenbild das des willenlosen und einer bösartigen Maschinenwelt ausgelieferten Kommunikationsjunkies ist, muß dieser vor der Welt der Unterordner, Mobiltelefone, E‑Mail-Programme und Blogs geschützt und gegebenenfalls einer Art Entziehungskur unterzogen werden. Herbold vernachlässigt das, was sie in ihrem gelungensten Kapitel über die Gefahren der allzu frühzeitigen Computerisierung der Kinderzimmer und Schulen emphatisch einfordert: Den menschlichen Intellekt, die Möglichkeiten und Notwendigkeiten des Unterscheidens und Entscheidens.
Statt Chancen und Risiken aufzuführen und einen sinnvollen und fruchtbaren Umgang mit Suchmaschinen, Speicherprogrammen und Blackberrys (die temporären Orden der Manager) herauszuarbeiten, statt das Goldene Kalb des digitalen Arbeitsmarkts (so sieht Herbold »Kommunikation« in Unternehmen inzwischen degeneriert) zu domestizieren, ergötzt sie sich in ihren Zukunftsaussichten in lächerlichen Geisterbeschwörungen über eine Gesellschaft, deren Mitglieder RFID-Chips implantiert werden, um ständig über die aktuellen Gesundheitswerte auf dem laufenden sein zu können, das komplett durchprogrammierte Bett im Altenheim oder Dinge, die plötzlich Ohren bekommen.
Man spürt gelegentlich die Neil-Postman-Attitüde, die natürlich nur Abklatsch ist. Konsequente Verweigerungshaltungen sind selten fruchtbar. Boykotte scheitern fast immer an den zu guten Vorsätzen. Es müßte längst Konsens sein, dass Veränderungen nicht ausserhalb von Systemen geschehen sollen, sondern in ihnen. Das Entnetzen vom Internet (natürlich inklusive Verweigerung des Mobiltelefons) bleibt schwach, wenn es sich nur um Re-Aktionen, also um reine Affekte handelt, die dann noch mit großem Brimborium als »Ausstieg« heroisiert werden. So ersetzt man den Eskapismus, den man attackiert, durch eine andere Weltflucht. Die wahren Aufklärer sind selten Radikal-Verweigerer und dürfen nicht mit Revolutionären verwechselt werden. Letztere ändern Zustände nur, um sich selbst in ihnen erhöht wiederzufinden.
Trotz gelegentlich bildungsbürgerlicher Paraphrasen (das Salbeiblatt in der Nudelsoße erinnert mich…an einen Urlaub im Schwarzwald oder Ich tippe also bin ich noch) ist der Titel (wohl eher unfreiwillig) die Kurzbeschreibung für dieses Buch: Es ist nur ein großes Rauschen. Nein, nicht mal ein großes.
Die kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Wenn der Verfasser...
... denn auch noch seine Konjuktionen (daß!) auf die Reihe brächte, wäre der Text noch besser lesbar. Aber leider immer noch um 70 Prozent zu lang. Zu viel der Worte und damit der Ehre für so einen Schinken.
Ein Glück, dass wenigstens einer den Blick auf das Wesentliche behält!
Flimmern & Rauschen
Ja, schade für das Rauschen interessierte ich mich eigentlich auch. Und die Enthüllungen der „Lebenslügen“ – das ist ja immer die große Geste. Aber solches uninspiriertes Geschimpfe bedient, glaube ich, ein anderes Bedürfnis. Schon eine längere Zeit kann man ein vages Unwohlsein mit der schönen neuen Medienwelt spüren (von dem dann etwa der „Heidelberger Appell“ so etwas wie der Rahm auf der argumentativ, weil oft um Zusammenhalt, also die Rezepte, nicht wirklich wissend, nicht fett zu machenden Mies-Muschel-Suppe ist).
Allerdings merke ich bei mir selber, dass ich so was manchmal gerne lese, weil ich nämlich auch oft genervt bin von dem ganzen Digi-Gedödel, einer immer selbstreferentielleren Netz-Kultur, die eigentlich gar keine rechte ist (sondern einerseits wiederum höchst fragmentarisch, andererseits nur eine Ausweitung der sattsam bekannten Konsum- und Unterhaltungswelten) und die auch nichts Wegweisenderes in der Hinterhand zu haben scheint, als immer nur neuen Lifestyle und Gadgets und „Anwendungen“ und neu aufgelegten new-Economy-Hype. Was das alles macht aus den Bewusstseinen macht und wie dadurch die Welt zunehmend zu eben reinen Benutzeroberflächen gerät – wer will das wissen? Und ist das außerhalb der akademischen, sich selber zunehmend in immer komplexeren Stellungen absondernden Fragewelt interessant? Ich vermute, solche Bücher werden eben aus solchem Frust heraus geschrieben, um „Stimmungen“ zu formulieren und neue Übersichtlichkeiten zu suggerieren, und sie fallen dann mit dem Hang und dem Bedarf nach knackigen Verkürzungen auf ihre eigene Miesepetrigkeit herein, die sich „kritisch“ zu geben vermeint.
Da fällt mir noch ein: Was ist eigentlich aus den Gedanken Joseph Weizenbaums geworden? Oder Vilem Flussers? Bezeichnenderweise „alte Männer“, die für das Geklingel weniger anfällig waren, aber gewohnt, eine Sache ein paar Ebenen „tiefer“ zu durchdenken. Aber das ist vielleicht selber wieder ein Zeichen für Kultur-Pessismismus. Die Enttäuschung jedenfalls, neben dme Rauschen flimmert auch sie...
Um von hinten anzufangen: Unter »Ausgewählte Literaturhinweise« steht natürlich Flusser (»Medienkultur«) und Weizenbaum (»Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft« und »Computermacht und Gesellschaft: Freie Reden«). Da steht aber auch Lovink und Peter Schaar.
Also was macht sie aus dieser Literatur? Meines Erachtens: Nichts. Sie opfert zu Gunsten des Klamauks ihre Ernsthaftigkeit.
Ein Schreiben aus Frustration – das trifft’s wohl. Natürlich stören einem die Handytelefonierer im Alltag (warum man jetzt im Düsseldorfer U‑Bahn-Netz telefonieren kann, verstehe ich eh nicht). Oder diese Mailkultur, die von einigen dahingehend missverstanden wird, alles nur noch zu ignorieren.
Aber das kommt dann doch daher wie die Oma, die davor warnt noch im Bett zu lesen, weil das sowieso alles Schund sei.
Das ist natürlich kein Kulturpessimismus. Wär’s das doch wenigstens geworden! Tatsächlich liest man das am Anfang ganz schmissig mit, aber dann wird es redundant. Sie setzt dem teilweise esoterischen Idealismus der Web-Avantgarde (der mich genauso anwidert) nur ihr miesepetriges Gebrabbel entgegen.
‘Heilige Nüchterheit’
Ich interessiere mich schon seit geraumer Zeit lediglich für den ‘Rauschfaktor’, aber den vernehme ich lediglich aus dieser Rezension, was grundsätzlich für Sie spricht ;-)
Danke für die ausführliche Rezension. Fast bin ich geneigt, mich da meinem Vorredner anzuschließen, Du hättest einem billigen Buch zuviel Aufmerksamkeit gewidmet.
In freier Verknüpfung mit einer ganz und gar anderen, tagesaktuellen Geschichte allerdings – der Online-Petition, die den Gesetzentwurf zur Sperrung kinderpornographischer Seiten in Frage stellt – scheint es mir mehr als angebracht, solche Pauschalurteile, solch »[k]onsequente Verweigerungshaltungen« genauer unter die Lupe kritischer Lektüre zu halten. Weil man feststellen muss, dass ie unangenehm weit verbreitet sind ...
In aller Freundschaft
Um es auf den Punkt zu bringen: Mit der Online-Petition kann ich wenig bis nichts anfangen. Ich gestehe freimütig: Ich habe nichts dagegen, wenn kinderpornografische Seiten gesperrt werden. Bin ich jetzt ein Paria? Wenn ja, sorry, es interessiert mich nicht.
Wenn diese Sperrungen einfach zu umgehen sind, bedeutet das für mich nicht, dass man die Maßnahme generell nicht durchführen soll. Man müsste sie im Gegenteil versuchen zu perfektionieren. Niemand würde das StGB ablehnen wollen, weil immer noch eingebrochen wird in Deutschland.
Dass diese Angelegenheit medial ausgeschlachtet und mit teilweise falschen Argumenten geführt wird, gefällt mir auch nicht. Ob aber ein Minister oder mehr davon »betroffen« sind – das ist meines Erachtens unerheblich.
Ich verstehe das »Wehret den Anfängen« dahinter schon (siehe Frankreich, aber dazu gäbe es auch etwas zu sagen). Ich frage mich nur, ob der Gegenstand der Entrüstung ein geeigneter ist. Und ob es eine Online-Petition gegeben hätte, wenn man NS-Propaganda, die ja auch ziemlich einfach im Netz zu finden ist, mit ähnlichen Mitteln bekämpft hätte (wobei der Vergleich zugegebenermaßen hinkt: Pädophilie kann ein krankhaftes Suchtverhalten erzeugen; NS-Gesinnung kann man argumentativ begegnen).
Herbolds Buch knüpft an diese aktuellen Themen NICHT an, was ich immerhin bemerkenswert fand. Warum man ein Buch, dass man kritisiert nicht dennoch mit einem gewissen Respekt begegnen soll, verstehe ich nicht. Ich entdecke hinter der Attitüde »lohnt sich nicht, darüber lange zu reden« eine eher gefährliche Diskursverweigerung nach dem Motto ‘Wir wissen’s eh besser’. Die Bewegung gegen die Internetkultur ist m. E. erst am Anfang. Mit Rechthaberposen kommt man da nicht weiter.
Wie so häufig scheint mir das Medium mit dem Inhalt verwechselt zu werden. Das Medium zieht nur den Vorhang auf und erlaubt einen Blick auf die Welt, der vorher (im Guten wie im Bösen) schlicht nicht möglich war. Man mag nicht wissen wollen, welcher Anteil der Kommunikation billigen Sex als Inhalt hat. Ebenso wird ein früher veritabler, von seinem Bekanntenkreis geschätzter Pianist durch YouTube zum profanen Durchschnitt degradiert.
Wer sich da ein Elfenbeintürmchen mit fünf bis sieben zur Anekdote verkommenen Sujets gebaut hat, wird erschrecken vor der bunten brüllenden Welt da draußen, die ebenso durch ihre manchmal verderbte Seite, wie ihre fast schon aggressive Kreativität verschreckt. Diese Rückzugsgefechte habe ich hunderte Male gehört und erzeugen mittlerweile aufgrund ihrer billigen Attitüde nicht mal mehr Mitleid.
Treffend
»Nicht mal mehr Mitleid«...ja. Irgendwie schade. (Weil man zum Zyniker wider Willen wird?)
Erstmal danke für die sehr ausführliche Rezension!
Also ganz ehrlich... so berechtigt manche Kritik am Internet auch ist... aber ich hoffe, daß ich nie so alt werde – alt im geistigen Sinne meine ich – daß ich alles Neue so vehement ablehne...
Ich bin ja nun wirklich kein Mensch und war es noch nie, der jede neue Mode gleich begeistert mitmacht – es hat etliche Jahre gedauert, bis ich mich mit dem Handy angefreundet habe – aber alles Neue verdammen... nein das kann ich nicht nachvollziehen...
Viele Grüße
Klaudia
Zug verpasst
Da hat die Autorin wohl einen Zug verpasst. Der Zug in die Zukunft. Und anstatt zu versuchen diesen doch noch zu erreichen, wird argumentiert wie schlecht es doch in diesem Zug sei.
Es ist nicht zu übersehen, die Autorin schreibt über Dinge die Sie mehr vom hörensagen kennt, als das Sie sie selbst erfahren und sich erarbeitet hat.
Nun, solange Ihre Bücher verkauft werden, muss Sie wenigstens nicht nach Hartz IV nachfragen. Auch ein Erfolg. Und in 10 .. 15 Jahren wird Sie, ob Sie will oder nicht, durch ihre Kinder das Internet kennenlernen. Viel Spass dabei! Und dann gilt: Willkommen im 21. Jahrhundert! Bis dahin gilt: Ja, auch im 20. Jahrhundert war es gemütlich. Ich weiss das, da ich deutlich älter als die Autorin bin. Körperlich.