Augen auf, du bist allein: im Bahnhof von Brighton die saalartige unterirdische Toilette, traumgroß, traumleer, dazu der Mosaikboden, und draußen der Vollmond; Augen auf: die vielen Rothaarigen im letzten Zug zurück nach London, und zuvor, Augen auf: die, wir, paar Alleinigen in der letzten Kinovorstellung, am Nachmittag des Weihnachtsabends in B., Frauen fast nur, und nach dem Film die Kassen des Kinos schon mit Hüllen drüber
Peter Handke: »Gestern unterwegs«; undatiert, aber Weihnachten 1988 zuzuschreiben
Heute war der erste Morgen, an dem ich aufwachte und bis zum Aufstehen einige Minuten zubrachte, ohne direkt daran zu denken, daß ich würde sterben müssen.
Aleksandar Tišma, Tagebücher, aus: Schreibheft Nr. 71; unter dem Datum des 25.12.1994
Ihr Beitrag kommt meinem Ansinnen, eine Art Weihnachtstagebuch zu beginnen, entgegen. Ich finde es spannend, über Jahre hinweg schreibend zu beobachten, was ich an Weihnachten jeweils wahrnehme.
Tismas Tagebucheintrag, stammt er aus den auf deutsch erschienen Tagebuch 1942 – 1951, in dem er sich seiner jüdischen Abstammung bewußt geworden ist?
der Beitrag stammt aus einem Tagebucheintrag vom 25.12.1994. Ich hab’s gelesen im Schreibheft Nr. 71. Ich weiß im Moment nicht, ob diese Tagebücher schon als Buch veröffentlicht sind.
25. Dezember
Ich erlaube mir freundlich, dem »Augen auf ...« – Beitrag noch drei Tagebuchtexte zur Weihnacht hinzuzufügen:
Joao kam nach Hause und sagte, er habe Leibschmerzen. Ich stellte fest, dass es daran lag, dass er eine verdorbene Wassermelone gegessen hatte. Heute haben sie einen Lastwagen Wassermelonen in der Nähe des Flusses ausgekippt. Ich weiß nicht, warum diese unvernünftigen Kaufleute ihre verdorbenen Sachen hier in der Nähe der Favela auskippen; die Kinder sehen es und essen es.
Meiner Ansicht nach treiben die Großhändler in Sao Paulo die dem Volk ebenso Spass, wie Cäsar, wenn er die Christen quälte. Nur, dass der heutige Cäsar dem Cäsar der Vergangenheit überlegen ist. Die anderen wurden aus Glaubensgründen verfolgt. Und wir werden vom Hunger verfolgt! Damals ließen diejenigen, die nicht sterben wollten, davon ab, Christus zu lieben.
Aber wir können nicht davon ablassen zu essen.
Carolina Maria de Jesus, Sao Paulo, Favela do Canindé, 25. Dezember 1958, aus »Tagebuch der Armut. Aufzeichnungen einer brasilianischen Negerin«
Wenn man aber die Soldaten in Reih’ und Glied vor ihren Weihnachtstischen ansieht, wo – auch in Reih’ und Glied – für jeden das Messer, das Stück Seife, Strümpfe, die Zigarren oder Zigaretten aufgebaut sind, so weiß man schlechterdings nicht das mindeste davon wie sie nun das aufnehmen. Man weiß nicht, ob sie sich freuen, ob sie diese Geschenke würdigen oder nicht würdigen, ob sie dankbar sind oder undankbar, ob sie irgendwo in ihrem Inneren etwas Festliches empfinden.
Die Weihnachtsbescherungen, wie sie im Frieden und dort aus Wohltätigkeit eingerichtet sind, kranken schon an der Masse der Teilnehmenden. Aber Soladtenweihnachtsbescherungen sind wirklich ein Mord an der ganzen schönen Idee.
Rudolf G. Binding (dt. Schriftsteller), Westflandern, 25. Dezember 1915.
Der Winter liegt schwer auf mit. Alles ringsum ist so traurig und schweigend. Der Schnee fällt in dichten Flocken„ und nicht unter liebenden Freunden verbringe ich den langen Abend. O wie sehn’ ich mich nach einer Seele, die mich liebt! Die Menschen um mich her sind ohne Teilnahme, und kalt und flüchtig ihre Worte.
August Graf von Platen (dt. Dichter), München, 25. Dezember 1815
Der Feldwebel Arthur Binz, Albat/Krim
Die gestrige Kompanieweihnachtsfeier war zu tumultös und äußerlich. Die gleich zu Anfang gehaltene Rede des Kompaniechefs war zwar schön und gedankenreich, aber die völlige Übergehung des christlichen Gedankens auch beim heutigen Fest wollte mir wieder gar nicht gefallen...
[...]
Der Maler Iwan Korotkow, Leningrad
Ich stand vor einer Bäckerei Schlange, um Brot zu bekommen. Drinnen leuchtete schwach eine Lampe und man gab uns gegen die Brotkarte eine Krume. Ich spürte etwas unter meinen Füßen und ich trat darauf. In jenem Augenblick dachte ich überhaupt nicht daran, daß es ein Mensch sein könnte. Ich dachte, jemand hat dort einen Sack abgestellt. Ich konnte nicht fassen, was da los war. Ich stieg darüber, die anderen folgten mir. Erst als ich draußen war, merkte ich, daß wir einen Menschen mit Füßen getreten hatten. Alle sind auf ihm rumgetrampelt und niemand war sich bewußt, was er tat.
Walter Kempowski, »Das Echolot – Barbarossa 1941«
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Schöne Idee. Leider ist der Blog ja sozusagen klinisch tot, sonst könnte man so etwas grösser »aufziehen«...
Kein klinisch toter Blog zählt 8 Kommentare allein am 24. und 25.12. Und dass zu den Weihnachtsfeiertagen weniger los ist, kann man auch positiv sehen.
@Metepsilonema
Die Hälfte der Kommentare ist ja von mir selber... Und ich rede nicht von den Weihnachtsfeiertagen. Aber ich lass’ das Lamentieren jetzt, weil nichts zu ändern ist. Bald ist Schluss, weil ich In Bälde einfach nichts mehr zu sagen habe.
Kein Aufruf zur Selbstexegese.
Aber den letzten Satz verstehe ich nicht: Bald ist Schluss, weil ich In Bälde einfach nichts mehr zu sagen habe.
In der Tat
Der Satz in unsinnig; entschuldige.
Ich meinte: Bald ist Schluss, weil ich einfach nichts mehr zu sagen habe. Aber ich werde das zu gegebener Zeit noch kommunizieren.
Erstmal guten Rutsch!
Ebenfalls guten Rutsch!
Und überleg Dir Dein Vorhaben nochmal (ich fände es jedenfalls schade).
@G.K.
Also, dass einen dauerhaft sämtliche Mitteilungs-Ambitionen verlassen erscheint mir doch etwas zweifelhaft. Vor allem, wenn man wie Sie ja doch ganz offensichtlich etwas zu sagen hat und das auch kann.
Es sei denn, Sie sind es tatsächlich auf eine grundlegendere Weise müde. Aber da hilft ja eine Auszeit.
Oder aber (Sie hatten mich ja auch seinerzeit auch »Echolot« gebracht«, in dem ich auch immer wieder mal lese) es helfen vielleicht Überlegungen zu (Blog-)Aktivitäten in anderer Form, etwa solchen Sammel-Daten- oder anderswie »weiter tragenden«, übergreifenden Projekten? Das könnten doch gerade Sie mit Ihren vielen Lesern einerseits, einem etwas weniger individualistischen Ansatz des Schreibens und Nachdenkens andererseits noch am ehesten?
(Das ist natürlich jetzt nur so eine spontane Idee. Ich wollte aber zu der Tagebuchsammlung auch was beitragen, hatte dann aber nicht genug Zeit, meine Einfälle bzw. ihre Quellen zu sichten. Ich denke, das lohnte sicher mal überlegt zu werden, dass Medium nach andere Richtungen hin zu nutzen?)
***
(Das von mir – weil ich mal wieder nicht eingeloggt bin – einzugebende verzerrte Wort lautet übrigens gerade »lobts«.)
Wenn ich müde bin, dann Projekten gegenüber. Selbsthosten des Blogs? Eben weil das mit den »vielen Lesern« eine Mär ist, lohnt es schlichtweg nicht. E‑Mailrunde? Vermutlich zu privatistisch. Ein Forum, welches kollaborativ ist und ein gewisses Niveau hat? Gibt es nicht (mehr).
ich glaube, daß mit den »Mitteilungs-Ambitionen« wird überschätzt. Ähnlich wie ich vor dem Blog »exitiert« habe (als rezipierendes und auch – durchaus – kreierendes Wesen), werde ich danach existieren. Vermutlich ist es nur eine Frage der Dosis. Von jetzt auf gleich aufzuhören, geht eher nicht. In abgeschwächter Form es »auslaufen« zu lassen, schon eher. Ich hatte ja vor, die Prognose-Geschichte aus dem vergangenen Jahr zu wiederholen – aber auch damals war die Resonanz so gering, dass es schlichtweg keinen Spaß macht. Die Leute haben wichtigeres vor (was an sich nicht falsch ist).
Allein, allein...
Oder eben auch nicht!
Das finde ich irgendwie passend. (Mail folgt.)
Wieso glauben eigentlich so viele, dass man Mails auf Blogbeiträge schicken soll? Ja, bei Schreibfehlern oder Irrtümern – okay. Aber sonst?
(Wie wär’s »zur Sache«?)
Nachgereicht
Bedenkenswert wären solch übergreifende[n] Projekte[n] schon, allein wenn ich daran denke, dass man – ganz allgemein gesehen – etwas von der »aufgezwungenen« quantitativen Textproduktion wegkommt, und die Zersplitterung reduziert wird. Vielleicht nicht ganz aus Kopf und Aug’ verlieren?
Bestimmt bedenkenswert...
solche Projekte. Aber wie soll das realisiert werden? Ich denke da zunächst an so etwas wie ein Forum (Vorbild und abschreckendes Beispiel wäre da nensch). Und das hatten wir ja schon mal (die Macher von nensch liessen das Forum lieber verkommen, statt es abzugeben bzw. gaben es an jemanden ab, der auch keine Lust mehr hatte und ein halbes Jahr auf VF seinen eigenen Blog betrieb).
Für ein Forum scheint mir der Zug allerdings abgefahren: Die »Freiheiten«, die man auf seinem »eigenen« Blog geniesst, wird man ungern zu Gunsten nicht bekannter und unkalkulierter Risiken aufgeben wollen. Und weiter: Auch bei einem solchen Forum wird es schwer sein, Leute für die produktive Arbeit (sprich: Beiträge) zu gewinnen. Viele (das entnehme ich auch sporadisch bei mir eingehenden Mails) möchten gar nicht an einem Blog (oder Forum) mitarbeiten; sie möchten lieber konsumieren und sehen das dargebotene als mediale Ergänzung. Bei Leuten, die ‑zig Jahre mit Frontalunterricht konfrontiert worden sind, ist das auch verständlich.
Ein Forum wäre – mit entsprechender Software – sicher ein idealer Ort, aber ich fürchte: Vorbei ist vorbei.
Ich dachte an einen Gemeinschaftsblog (o.ä.), und dafür bräuchte man nicht übermäßig viele Leute (die müssen ja auch mit einander können bzw. koordiniert werden). Es stimmt natürlich, dass die persönlich-individuelle Gewichtung (in Teilen) zurückgenommen werden muss (oder auf ein Tagebuch reduziert wird), andererseits könnte man mehr Leser durch ein breiteres Angebot anlocken, und man hat Zeit sich länger mit einer Sache zu beschäftigen, da auch andere Schreiber Artikel liefern. Administrative Arbeiten muss dann nicht jeder für seinen Blog erledigen, sondern werden einmal erledigt; das hilft Zeit zu sparen und zu fokussieren.
Das ist natürlich relativ unkonkret, aber prinzipiell reizte es mich schon.
@Metepsilonema
Interessanter Gedanke. Sowas wie der Der Umblätterer vielleicht, eben bloß nicht fokussiert auf das Feuilleton. Was dann nur noch als Problem bleibt: Wer soll das lesen? Und: Welchen Erkenntnisgewinn ziehen wir daraus (statt weiter jeder in seinem Blog weiterzumachen)?
Ja, so etwas
Wer soll das lesen? Ich frage mich das bei meinem Blog ja auch, insofern ... aber Du hast natürlich recht, man könnte sich den Aufwand sparen, und wie bisher weiter machen. Andererseits bleibt dieses Risiko immer.
Erkenntnisgewinn könnten z.B. gemeinsam verfasste Texte sein, oder gemeinsame Textarbeit (Korrekturvorschläge u.a.), oder man beleuchtet ein Thema von verschiedenen Seiten, durch mehrere Texte...
Gemeinsam.
Genau das wäre doch der Gewinn: man beleuchtet ein Thema von verschiedenen Seiten, durch mehrere Texte... »Aufmerksamkeitskonzentration« ist da vielleicht der falsche Begriff, obwohl sich in den Köpfen der Betreibenden (als auch in denen der Lesenden) sicherlich etwas verschiebt. Ich hatte das auch schon mal mit Herrn Gumbricht anzudenken versucht ... Der Grund ist für mich schlichtweg der, dass man nach wie vor und aller Vernetzheit zum Trotz schwer aufzufinden sein kann.
Erkenntnisgewinn
In der »Zeit« gibt es gelegentlich Artikel über konfrontative Themen, in denen es dann direkt nebeneinander eine »pro« und eine »contra«-Stimme gibt. Man könnte natürlich unabhängig davon auch versuchen, Autoren zu gewinnen, die andere Themenschwerpunkte setzen als man selber. Dennoch muß es einen »Mehrwert« geben, außer, dass alles »gebündelt« auf einer Seite steht statt verstreut in mehreren Blogs/Foren.
Warum Blogs/Foren m. E. schon wieder auf dem Rückzug sind, erklärt sich daraus, dass es in Deutschland (im deutschsprachigen Raum?) immer noch relativ unüblich ist, eigene Gedanken, Kommentare, Fragen, Positionierungen direkt zu kommunizieren. Will sagen: Ein Blog wird als zusätzliche Informationsquelle betrachtet, die konsumiert wird (oder eben nicht). Hinzu kommt, dass die Zeit vieler Leser begrenzt ist, das Angebot an Texten aber stetig wächst; er/sie sind gezwungen, Prioritäten zu setzen und die pendeln sich meistens auf das altbekannte ein. Desweiteren sind diejenigen, die in den Foren herumgeistern sehr oft diejenigen, die man nicht will, weil sie nichts zur Sache zu sagen haben und/oder nur Propaganda betreiben.
Das grösste Problem sind aber die Multiplikatoren (das meinte ich mit dem arg verkürzenden »Wer soll das lesen?«). Wenn man nicht im eigenen Saft schmoren will (was wir genug tun), braucht man Leute, die auf das Geschreibe verweisen, verlinken, usw. Ich hatte im vergangenen Jahr ein paar Mal das Glück von Stefan Niggemeier verlinkt zu werden. Das verschafft für 2, 3 Tage einen enormen Klickzuwachs – aber wesentlich mehr »Stammleser« hat mir das nicht gebracht. Das muss aber nicht an den »bösen« Ignoranten draussen liegen – das kann auch einfach sein, dass mein Zeugs tatsächlich schwach ist. (Im Grunde genommen glaube ich nämlich an so etwas wie einen »Markt«, auf dem sich – auf Dauer – auch das Gute bis zu einem gewissen Grade durchsetzt.)
@Gregor
Dennoch muß es einen »Mehrwert« geben, außer, dass alles »gebündelt« auf einer Seite steht statt verstreut in mehreren Blogs/Foren.
Das stimmt natürlich. Eine bloße Bündelung ist zuwenig. Ich glaube, dass Mehrwert und höhere Leserzahl durchaus Hand in Hand gehen (können). Man braucht eine Idee, oder einen Rahmen, dem alle Autoren zuarbeiten, auch wenn sie – in gewissem Sinne – über das schreiben, was sie interessiert (und was die gemeinsame Klammer wiederum begrenzt). Das brächte mit Sicherheit »Synergieeffekte«, ähnlich wie – gewagter Vergleich – eine Zeitungsredaktion.
Die zugrunde liegende Idee muss selbstverständlich auch für die Leser interessant sein – man könnte das Resultat ein Produkt nennen, stimmig und abgerundet. Hier käme dann der Markt ins Spiel, an den ich auch »glaube« (in dem von Dir beschriebenen Sinn). Also: Rahmen, Idee, Mehrwert und Leser hängen zusammen.
Weil Du von Niggemeier sprichst: Er ist doch durchaus ein gutes Beispiel wie so etwas funktionieren kann (vor allem hinsichtlich der Leser); ich glaube er hat das vor allem erreicht, weil er glaubwürdig (ich lass Deine Kritik von neulich mal beiseite) für etwas steht (man kann das natürlich auch bloß als Marke bezeichnen)
Ob Blogs tatsächlich auf dem Rückzug sind vermag ich nicht zu sagen, ich weiß nur aus meinem Bekannten/Freundeskreis, dass es kaum jemanden gibt der tatsächlich viel schreiben würde (zu allgemeinen Themen, und im Netz – egal ob Kommentare, oder Texte). Was aber nach wie vor gut funktioniert sind Communities (also Foren die stark auf bestimmte Themen – von Mikroskopie über Katzen bis Bergsteigen – fokussiert sind). Gefühlsmäßig würde ich das Fragezeichen hinter dem deutschsprachigen Raum streichen.
Konkret kann ich zu den Multiplikatoren wenig sagen, da müsste ich länger nachdenken; Man müsste an gut besuchte »Orte« kommen, wo potenzielle Leser zu finden sind (z.B. Nachrichtenseiten).
@willyam
Du meinst das, was Gregor mit dem Multiplikatorproblem angesprochen hat?
„Die Welt ist eine Google“
konnte ich im November ’08 lesen ( Ostalb-Kultur vom 18.11.2008, S. 27).
Lieber Herr K., die eigenen Kinder machen es uns täglich vor: ein großer Teil der Kommunikationszukunft ist das Internet.
Die „ältere“ Generation, die sog. „Frontalunterrichteten“ hat es da schon schwerer. Sich zu outen, sich öffentlich zu präsentieren bedeutet eine gewisse Schwellenangst zu überschreiten.
Nutzer älteren Jahrgangs, die konsumieren und sich nicht outen wollen, sog. „Schlüssellochgucker“, werden in einigen Jahren viel dazugelernt haben und die Form von Online-Kommunikation ganz für sich entdecken. Sie ist doch wie eine Welle. Fragt sich dann nur noch, auf welcher möchte ich mitschwimmen?
Das man i.d.R. kein Einzelgänger als Blogger sein will, erscheint mir logisch, da man/frau sich ja austauschen möchte ( empfinde ich als totale Bereicherung in unserer Welt der Soaps und „Zauberer“). Und der Betreiber eines Blogs wünscht sich Multiplikatoren, sonst ist man ja doch wieder alleine, da stimme ich Ihnen ganz zu. Aber ob da ein Zusammenschluß, eine Auflösung der sog. „Vielstaaterei“ die Lösung ist, weiß ich nicht zu beantworten und kann keinen Vorschlag machen (schade).
Auf jeden Fall, bei den Millionen Nutzern braucht man sicher eine starke Plattform ( sprich: starke Lobby), um, wie Sie es schreiben, oft genug verlinkt zu werden, um damit an eine größere Leserschaft zu kommen.
Es wird wie beim Fernsehen sein, die Masse »liest« ihr „Unterschichtenprogramm“, die sehr viel kleinere Menge bleibt bei „ARTE“ oder „3Sat“.
Noch zum Thema „Rückzug der Blogs“: ich las in den letzten Tagen etwas von sog. „Slow-Bloggen“. Kommt anscheindend, wie soll es anders sein, aus Amerika. Ist da etwas dran?
Und nun schalte ich diese Mühle aus, das Wetter ist zu schön, um weiter am PC zu hocken.
Herzliche Grüße
von
mir
[EDIT: 12:34]
@Metepsilonema
Niggemeier ist Journalist – das darf man nicht vergessen. er hat mit dem Bloggen nach seiner Tätigkeit als Redakteur der FAZ angefangen, verfügte also (1.) um ein gewisses »Netzwerk« und (2.) weiss er einfach, wie man schreibt.
Ich hatte im Sommer ja das Bild von der »Do-It-Yourself«-Bewegung auf das Bloggen verwendet. Dieses Bild fortgeschrieben heißt das: Niggemeier war der Geselle, der sich selbständig gemacht hat. Der Geselle hat aber sein Handwerk gelernt. Ich wäre – um sozusagen im Bild zu bleiben – derjenige, der sich selbständig gemacht hat ohne vorher Geselle gewesen zu sein (in Deutschland geht das glaube ich nicht, aber theoretisch eben). Die Unterschiede halte ich für fundamental: Der »ungelernte« Blogger wird immer sehr schnell an Grenzen stoßen – und zwar sowohl an Grenzen der Akzeptanz (bei anderen) als auch Grenzen bspw. der Recherche. Nur so wäre aber die Bloggerei irgendwann »relevant«: Wenn die Blogger recherchieren würden. Ansonsten bleibt nur der Katzenblog.
Journalisten haben in Bezug auf Blogs die gleiche Haltung wie Mediziner auf Heilpraktiker: Sie mögen sie nicht und greifen sie immer da an, wo sie eh anzugreifen sind. In den meisten Fällen trifft das auch zu. Aber in dem sowohl in der »breiten Masse« als auch innerhalb der »kritischen Masse« die Akzeptanz aufgrund von Fornmalqualifikationen bzw. Formalvoraussetzungen fehlen, wird der Blogger immer nur in Ausnahmefällen gefunden werden.
Ein Gemeinschaftsblog würde daran nichts ändern – sondern die Sache nur auf eine breitere Basis stellen. Ich glaube, wenn man nensch zu seiner Zeit aktiv beworben und Multiplikatoren gefunden hätte, hätte sich das Forum etablieren und gute Autoren gewinnen können. Dieser Zug ist m. E. dahingehend abgefahren, dass man zwar noch in Feeds auftauchen würde, aber die Leute längst nur noch selektiv lesen, weil es einfach zuviel ist, was sie im www präsentiert bekommen.
Entscheidend ist, dass die Leser bleiben. Dafür muss man weg von den normalen Präsentationsformen (dieser Blog ist ist absolut stinknormal; Buchrezensionen gibt es massig bei Amazon, dafür braucht man das hier z. B. nicht). Als Privat-Blogger und mangels Formalqualifikation habe ich weder Zeit noch Möglichkeiten andere, heute gewünschte Präsentationsformen zu kreieren oder auf einer Welle zu schwimmen (ohne, dass es sofort peinlich würde).
Das würde sich m. E. nicht grossartig ändern, wenn man mit mehreren einen kollaborativen Blog betreiben würde. Es sei denn, die anderen sind »Profis«. Dann brauchen die aber wieder keine Amateure.
Ich habe zwar damit begonnen, aber wir dürfen nicht den Fehler machen, ausschließlich mit dem Journalismus zu vergleichen, und zwar in dem Sinn, dass man ihm auf seinem ureigenen Gebiet ebenbürtig sein will. Das wird nicht funktionieren, aber das muss es gar nicht. Blogger haben den großen Vorteil, dass sie (im Regelfall) nicht etwas Bestimmtes liefern müssen (wie eine Rezension in einer Zeitung stilistisch und auch inhaltlich aussehen wird, ist relativ klar; es gilt eben genau nicht dasselbe zu liefern, sondern etwas anderes; Deine Rezensionen sind ein gutes Beispiel, sie würden in dieser Form nicht in einer Zeitung stehen, aber nicht weil sie qualitativ schlecht sind; ich erinnere mich an einen Kommentator, der feststellte, dass in Deinen Rezensionen der Autor viel mehr als gewöhnlich zur Sprache kommt, und dass er das sehr gut findet), sondern relativ große Freiheit besitzen. Das »Do-it-Yourself« ist schon stimmig, aber noch kein Qualitätskriterium; es ist immer wieder erstaunlich was »Laien« zustande bringen, und das steht »Profis« schon mal wenig nach. Kein Eigenlob, keine falsche Hoffnung, kein schönreden, aber man sollte nicht vorschnell aufgeben, oder falsche Ziele verfolgen (Und wenn Du an nensch zurückdenkst, das hätte einer professionellen Zeitung den Rang auch nicht abgelaufen, aber es war eine allgemeine Diskussionsplattform, wie sie Demokratien brauchen. Vielleicht ein Ziel?).
Zur Recherche: In einem Gemeinschaftsprojekt bliebe dafür mehr Zeit (Zumindest was das Lesen von Büchern und Artikeln betrifft; von Bloggern vor-Ort-Recherchen zu erwarten halte ich für eine zu hohe Erwartung). Und was Blogger allemal können, ist aus Feldern berichten mit denen sie tagtäglich zu tun haben (Beruf etc.).
Wenn ich kurz versuche meine eigenen Lesepräferenzen zu reflektieren, dann will ich gerade nicht (nur) Blogs lesen, die wie Zeitungen »daherkommen«. Und der den Texten gleichwertige Aspekt ist für mich immer die – ja! – öffentliche Diskussion, auch schon bei Nensch.
Gutes Bloggen ist Handwerk
... und was Handwerk bedeuten kann, hast Du, Gregor, schon rezensiert. Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass mehrere Köpfe gemeinsam mehr zustande bringen als sie als Einzelne zu leisten imstande sind. Ich merke das immer wieder in der Uni, sei es in Colloquien oder an den Forschungsschwerpunkten der Lehrenden: Zersplitterung bedeutet in diesem Fall eine gewisse Schwächung. Will man Meinungen bilden, muss man sie für’s Erste an einem Ort (sei er auch virtuell) konzentrieren, bündeln.
Sicherlich kannst Du dagegenhalten, dass Niggemeier Journalist ist. Sein einzig tatsächlicher Vorteil ist allein das Netzwerk. Erinnere Dich im Gegenzug an die Präsenz von PI: Der Blog wurde (oder wird; wer durchschaut’s?) von einem Grundschullehrer initiiert. Kein Netzwerk, sondern Meinungsmacht. Beide liefern etwas, das einem bestimmten Publikumssegment fehlte: aus der jeweiligen Perspektive »kritische« Berichterstattung, die Forum und Repräsentanz bietet.
Es gibt, meine ich inzwischen, genug Leute, die wissen, wie man schreibt; der eigene Blog verführt allerdings zu einer gewissen Kompromisslosigkeit, weil man auf seinem Blog seine Sache durchziehen kann – man macht sie ja schließlich, weil man sich nirgends vertreten, nirgends aufgehoben fühlt. Ich wundere mich inzwischen nicht mehr, dass ich nur vereinzelte Rückmeldungen erhalte; naiv wie ich zu Beginn gewesen bin, dachte ich, das Interesse an postmoderner Ethik sei bestimmt riesig. Ist’s aber nicht. Ergo: Größere Reichweite erfordert Kompromissbereitschaft, ohne dabei auf Qualität zu verzichten. Das ist vielleicht eher der Drahtseilakt ... ?
@willyam
Du betonst zwei Punkte, die meines Erachtens essentiell sind (ich hatte das schon in Digitale Nazissten angedeutet):
1. Mehrere Leute bringen gebündelt mehr zusammen als Vereinzelung (es gibt dazu auch die Gegenthese der »Schwarmintelligenz«).
2. Die »Vereinzelung« in den Blogs führt zu einer gewissen Kompromisslosigkeit (sehr schön formuliert; ich sage eher: zur schleichenden Asozialität, was bspw. Gegenstimmen oder Gegenargumente angeht).
Beides spricht für eine Bündelung von Kräften, die dann ejdoch aber auch nicht parallel nebeneinander (eine pure Verschmelzung), sondern miteinander interagieren müssen (wobei die Frage ist, ob dies sozusagen »öffentlich« oder in einer virtuellen Redaktion unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattzufinden hat).
Die Nachteile, die ich als Deutscher natürlich sofort problematisiere, sehe ich in der bereits angesprochenen Kompromissbereitschaft, die durch eine grössere Reichweite, die angestrebt wird, erforderlich ist.
Das Entscheidende ist aber das, was Du bei Niggemeier ansprichst und als einzigen Vorteil fast ein bisschen abschwächend erwähnst: das Netzwerk. Das ist in der heutigen Zeit und um überhaupt eine Breitenwirkung zu erreichen, enorm wichtig und notwendig. (Was natürlich irgendwann zu den »Zielen« [man kann sich dieses Managerjargon nicht immer ersparen] führt...)
Meine Erfahrungen sowohl mit Nensch als auch mit diesem Blog hier: Mit meinen Texten ist in dieser Hinsicht kein Staat zu machen. Dass sie dem ein oder anderen gefallen, ist schön. Aber auch die Verlinkung über Niggemeier und Perlentaucher hat dauerhaft weder zu einer Steigerung der Zugriffszahlen noch zu intensiveren Diskussionen geführt (Ausnahmen waren dann meist nur die verlinkten Texte).
Als Deutscher?
Diesen Satz verstehe ich nicht: Die Nachteile, die ich als Deutscher natürlich sofort problematisiere, sehe ich in der bereits angesprochenen Kompromissbereitschaft, die durch eine grössere Reichweite, die angestrebt wird, erforderlich ist. Was haben Deutsche und Kompromissbereitschaft für Schwierigkeiten miteinander?
Was mein Verhältnis zum Netzwerken anbelangt: das ist in der Tat »abgeschwächt«. Ich beobachte diese »Praxis« dann und wann und habe mich ausreichend davon überzeugen können, dass das nichts für mich ist. Sei’s für den »erfolgreichen« Betrieb von Kulturinstitutionen, sei’s auf akademischen oder blogzentrierten Konferenzen, sei’s auf XING oder facebook: zu viel Verbiegerei, zu viel geheucheltes Interesse. Und alle sind gleich »Freunde«. Gespräche kommen oft nur dadurch zustande, dass man sich »Kontakte« erhofft – und finden ab dem Augenblick keine Fortsetzung mehr, ab dem man nichts zu bieten hat. Austausch = Tausch; ohne »assets« geht nix.
Aber um nochmal gegen Deine Skepsis zu halten: Ein gutes Netzwerk kann auch durch Zusammenschluss entstehen. Es ist (oder sollte sein) mehr als die Summe seiner Mitglieder – sofern man, wie Du richtig forderst, für Interaktionen und Rückkopplungen offen ist.
Meiner Erfahrung
nach (und dem, was man mir so aus dem Ausland sagt), neigen Deutsche zum überschwänglichen Problematisieren (man sehe nur die gestrigen Fernsehsendungen nach dem Rettungspaket II – die Chancen wurden gar nicht bzw. kaum genannt, stattdessen nur die Nachteile und Probleme). Nur das meinte ich.
Mit Netzwerk meine ich auch etwas anderes als XING oder facebook. Beides sind nur Imitationen von Netzwerken; die richtigen »Netze« werden nicht in der Öffentlichkeit gesponnen, sondern eher im »Verborgenen« bzw. wesentlich informeller.
Ja, Du hast natürlich Recht. Nichtsdestotrotz (oder gerade aus dem Grund?) meine Überzeugung: dass man Netzwerke nicht in und/oder für ein gemeinsames Projekt übernimmt, sondern dem Neuen mit einer Offenheit gegenübersteht, die ihm Raum zum Wachsen eines eigenen Netzwerks lässt. Gerade weil ein gemeinsames Projekt ja zu Perspektivänderungen führen könnte, die das bisherige Netzwerk sprengen bzw. nicht ansprechen. (Meine Formulierungsgabe hat sich heute freigenommen, befürchte ich ...)