Vor einigen Monaten erschien im Verlag »Jung und Jung« Peter Handkes kleines Buch mit dem Titel »Die Geschichte des Dragoljub Milanović«. Handke behandelt hier auf 40 Seiten das Schicksal eines ehemaligen Fernsehdirektors, der von einem serbischen Gericht zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, weil er das Gebäude entgegen einer angeblich existierenden Anordnung nicht evakuiert hatte. Bei einem NATO-Bombenangriff 1999 wurden 16 Menschen getötet. Handke, der in jungen Jahren Jura studiert hatte, behandelt sowohl die rechtliche wie auch die persönliche Situation von Milanović. Er besucht ihn zwei Mal im Gefängnis und es gelingt eine innige Schilderung von Beistand. Und natürlich wird auch der NATO-Krieg gegen Jugoslawien thematisiert und – für Handke neu – mit Zynismus kommentiert.
Man könnte nun Carl Wilhelm Mackes Besprechung dieses Buches auf »culturmag.de« auf sich beruhen lassen und unter Nörgelei statt Aufklärung einordnen. Da ist jemand bemüht sein Unbehagen in vermutlich gebotener Kürze zu artikulieren. Außer ein paar nichtssagenden Meinungsaffekten hat Macke nichts zu bieten. Er beginnt mit der gönnerhaften Attitüde, jeder habe »alles Recht der Welt…als freier Schriftsteller….ein rechtskräftiges Urteil anzugreifen«. Diese Erkenntnis tendiert für den Leser gen Null, bereitet aber immerhin rhetorisch gewisse Einwände vor. Obwohl: Einwände? Wenn es denn wirkliche Einwände wären. Mit Argumenten beispielsweise.
Stattdessen entdeckt Macke »manchmal…hohl klingende Töne« in der Prosa, sagt aber nicht, wo es hohl klingt. Er beklagt, Handke »oder der Verlag« hätten »mehr biografisches Material zu der doch sehr zweifelhaften Berufskarriere des Dragoljub Milanović« recherchieren und aufführen sollen. Leider tritt Macke nicht in die Bresche und lässt den Leser im Unklaren, womit die Zuweisung »zweifelhaft« gerechtfertigt ist. Zumal er zu Beginn konstatiert Milanović sei mit »sehr dünnem Beweismaterial« verurteilt worden. Legitimiert denn die »Zweifelhaftigkeit« einer Berufskarriere (von wem nach welchen Kriterien festgestellt?) ein denkbares Fehlurteil?
Selbst das Lob ist vergiftet, so zum Beispiel über die »wunderbaren Satzgirlanden«, mit denen Handke – unschwer erkennbar – Meister Eckart paraphrasiert (diesen Hinweis verschweigt Macke); das ist übrigens zu Beginn erwähnt und rundet die Erzählung. Und merkwürdig, wie der Rezensent (Rezensent?) zunächst davon schwärmt, dass dieses »schmale Plädoyer« (quantitativ oder qualitativ?) »gut geschrieben« sei um kurz darauf von einer »fragwürdigen Verteidigungsschrift« zu sprechen. Am Ende hebt Macke dann mit einem Danilo Kiš-Zitat zu der Polemik an, Handke hätte, wenn er schon nicht die Wahrheit sagen könne, besser geschwiegen und fragt sich, warum er nicht nach dieser »klugen Einsicht« gehandelt habe.
Ich verkneife mir die billige Retourkutsche, dass man, wenn man derart wenig zu einem Buch zu sagen hat, vielleicht selber besser geschwiegen hätte. Dafür ist der Mittelteil des kurzen Textes zu ernst. Macke verfällt hier in das gängige Klischee vom Serbenfreund Handke und geht noch weiter, indem er ihm Sympathien für den »extrem nationalistischen Teil der öffentlichen Meinung« Serbiens unterstellt. Die ungelenke Formulierung soll verkleistern, dass Macke Handke ideologische Nähe zu nationalistischen Politikern Serbiens unterstellt. Fast en passant nährt er die Mär, Serbien sei für Handke ein »sauberes, unschuldiges Land«. Beide Annahmen sind Unsinn. Es gibt zahlreiche Äußerungen Handkes, die solche Unterstellungen ad absurdum führen.
Macke verbreitet ein verzerrtes, tendenziöses Bild. Aus Unkenntnis? Kein Wort von Handkes sprachkritischem Impetus, der ein wesentliches Element des Engagements für Jugoslawien in der Tradition des Essays »Die Tautologien der Justiz« darstellte. Kein Wort über Handkes Arkadien eines friedlichen multiethnischen Miteinander, welches er im Post-Tito-Jugoslawien verwirklicht sah (und irrte). Kein Wort darüber, dass und wie in den Medien der Slowenien‑, Kroatien‑, Bosnien- und Kosovo-Nationalismus als repräsentabel gilt und galt. Und kein Wort von Handkes neuerlicher Hinwendung zum epischen Erzählen und der Abkehr vom sprachkritischen Schreiben. Es gibt tatsächlich großartige epische Stellen – auch in diesem kleinen Buch über den Häftling Milanović. Aber all das passt nicht so gut in die schön dekorierte Puppenstube der Ressentiment-getränkten Allgemeinplätze.
Ergänzende Informationen:
Eine verkürzte Version der Erzählung von Peter Handke, erschienen in »Die Presse« vom 05.08.2011.