Wolfgang Schäubles Ausraster ereignen sich in Zyklen. Nicht nur Sabine Leutheusser-Schnarrenberger neulich fest, dass der Bundesinnenminister offensichtlich besessen ist von der Idee, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen und hierfür notfalls sogar das Grundgesetz zu ändern. Ein entsprechender (erneuter) Vorstoss wurde jedoch nach fast einhelliger Ablehnung über die Parteigrenzen hinweg schnell wieder ad acta gelegt. Wiedervorlage bei Schäuble vermutlich in 3–4 Jahren.
Ein anderer Ausraster: Schäuble liess Ende letzten Jahres wissen, das Internet sei das »Trainingscamp für Terroristen«. Befeuert werden solche Ideen von präpotenten Sicherheitsexperten wie Kai Hirschmann (Zitat: …es [das Internet] ist eine Kaderschmiede, eine Art virtuelle Universität…). Der Antrag der Generalbundesanwältin, den Computer eines vermeindlichen »Islamisten« heimlich auf belastendes Material hin durchsuchen zu lassen, wurde allerdings jetzt vom Bundesgerichtshof verworfen.
Die Reaktionen Schäubles zeigen, dass sich ausgerechnet der Bundesinnenminister nicht auf den aktuellen Stand der Rechtssprechung befindet. Der BGH lehnte die geheime Ermittlung zunächst ab, weil hierfür die gesetzlichen Grundlagen fehlen. Und Schäuble meint wohl, wenn er diese nachhole, d. h. ein Gesetz schaffe, welches diese Methoden erlaube, dann sei dem Urteil genüge getan. Die weitergehende Begründung des BGH zeigt aber auch dem juristischen Laien, dass eine Regelung, die die Vorgehensweise der Generalbundesanwältin rechtfertigen würde, in etlichen Punkten wiederum grundgesetzwidrig wäre.
Wenn Schäuble also nun ein Gesetz auf den Weg bringt, welches die versteckte Online-Durchsuchung ermöglicht, wird eine entsprechende Klage vor dem Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz sicherlich in wesentlichen Punkten wieder einkassieren.
Die Praxis zeigt leider, dass insbesondere die letzten Innenminister selten einer rationalen Logik folgen. Besondere Highlights der vergangenen Jahre war das Luftsicherungsgesetz und der »Grosse Lauschangriff«. Beide wurden nach jahrelangen Diskussionen von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe einkassiert. Vorher wurde in ungezählten Diskussionen versucht, das Unmögliche zu rechtfertigen.
Der Prozess des fortgesetzten Ignorierens klarster Argumente ist auch hier zu erwarten. Schäuble wird (s)einem irrationalen Aktionismus folgen, um dabei einige der potentiellen Wähler zu beruhigen, die man durch hysterische Äusserungen erst verunsichert hat.
NACHTRAG 09.02.2007
Soeben hier auf ein Schäuble-Interview mit der TAZ aufmerksam geworden.
Nur ein paar Zitate:
Nein, ich öffne grundsätzlich keine Anhänge von E‑Mails, die ich nicht genau einschätzen kann. Außerdem bin ich anständig, mir muss das BKA keine Trojaner schicken.
[...]
Außerdem ist ein Laptop ja auch leicht zu verstecken, vielleicht wird er bei einer Durchsuchung gar nicht gefunden.
[...]
Ich kenne und respektiere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Privatsphäre. Aber wir müssen auch sehen, dass dieser Schutz in der Alltagswirklichkeit praktikabel bleibt. Verbrecher und Terroristen sind klug genug, so etwas auszunutzen. Die tarnen ihre Informationen dann zum Beispiel als Tagebucheintrag. So leicht dürfen wir es denen nicht machen.
[...]
...wir werden prüfen, ob eine Verfassungsänderung nötig ist.
[...]
Orwell’sche Visionen halte ich deshalb für ziemlich übertrieben. Wir wollen nicht den gläsernen Menschen, und Sie können sicher sein, dass wir uns immer im Rahmen der geltenden Rechtsordnung halten.
Da bin ich aber beruhigt: Wir halten uns an die gängige Rechtsprechung – die wir vorher so verbogen haben, dass sie irgendwann vom BVerfG wieder einkassiert werden muss.
Ich habe erhebliche Zweifel, dass dieser Mann seinem Amt gewachsen ist.
Michael Glos’ Ausraster kann man inzwischen kaum noch zählen. Gestern kam er auf die tolle Idee, eventuelle Werksschliessungen deutscher Airbus-Werke dahingehend zu verhindern, der Muttergesellschaft, dem Rüstungskonzern EADS, mit dem Entzug von Aufträgen zu drohen. (H)Eilig springt SPD-Generalsekretär Heil bei – naja, von dem erwartet man ja eh’ nichts Vernünftiges.
Vielleicht sollte Glos aber vor solchen Aussagen in der Öffentlichkeit einmal nachdenken. Erstens bestehen wohl schon Verträge mit EADS, die nicht ohne entsprechende Strafen einfach so gekündigt werden können. Zweitens hat die Bundesrepublik kaum eine Alternative – die gesamte Rüstungsmaschinerie ist wohl mehr oder weniger auf EADS aufgebaut. Ich kann schlecht der Mercedes-Werkstatt drohen, ein BMW-Lenkrad einbauen zu lassen. Und drittens: Selbst wenn ein »Umschalten« auf einen neuen Lieferanten funktionieren sollte – Glos würde damit nur Arbeitsplätze bei den Wettbewerbern in den USA fördern.
Und wie sich diese Idee mit dem wirtschaftliberalen »Geist« des Herrn Glos verträgt, weiss ich auch nicht. Ich weiss nur, dass Drohungen, die sich beim näheren Hinsehen als unhaltbar entpuppen, vollkommen kontraproduktiv sind. Sie dokumentieren in Wirklichkeit nur Hilflosigkeit.
Schäubles Reaktionen verwundern mich, denn ich halte ihn für einen der intelligentesten Politiker der Bundesrepublik. Da er Jurist ist, verwundert sein beständiges Anrennen gegen das BVG umso mehr. Vielleicht verfügt er ja über mehr Informationen als Otto Normalbürger, warten wir mal seine Autobiografie nach seinem Ausscheiden aus der aktuellen Politik ab.
Die Äußerungen von Glos finde ich so schlecht nicht. EADS wird in allen Ländern vom Staat hofiert und die Manager nutzen das aus, um die Standorte gegeneinander auszuspielen. Deshalb ist es doch vernünftig, den Herren klar zu machen, dass es ihrem Konzern nur so gut geht, weil sie übermäßig Staatsknete kassieren. Diese Wirtschaftskonstrukte begreife ich sowieso nicht. Rüstungsbetriebe sollte man nicht privat betreiben sondern besser verstaatlichen. Ansonsten werden hier sinnlos Extraprofite erzielt, die wir alle bezahlen dürfen.
Schäuble ist nach dem Attentat ein anderer geworden. Seine sporadischen Vorschläge, die Bundeswehr im Innern einzusetzen, sein Vorstoss, das Luftsicherungsgesetz wieder zu beleben, obwohl es vom BVerfG gestoppt wurde – und gestern seine vollmundigen Ankündigungen... Zwischendurch seine Lüge, von der Schreiber-Spende nichts gewusst zu haben. Alles Indizien, dass er mit seinen Aufgaben mehr oder weniger überfordert war bzw. ist.
Seit Kohl ist der Bundesinnenminister immer ein eher »harter Hund«, der im Zweifel schon einmal die Sicherheit über Rechtsstaatlichkeit stellt. Schily war ein Beispiel dafür. Die Kanzler haben das ganz gerne, weil sie damit ein bisschen am rechten Rand fischen können. Selbst die Innenminister der sozial-liberalen Koalition (allesamt FDP-Politiker) hatten gelegentlich zu zweifelhaften Methoden gegriffen. Das hatte damit zu tun, dass man den medialen Kampagnen vorgreifen wollte, die die Gefahr einer Verlotterung des Rechtssystems herbeiphantasierten. So kam es u. a. zum Radikalenerlass.
Die Äusserungen von Glos sind aus den beschriebenen Gründen unsinnig. Deutschland hat es versäumt, sich in der EADS einzukaufen (die Beteiligungsverhältnisse sieht man hier) und dies Daimler-Chrysler überlassen.
Staatliche Behörden sind im übrigen ähnlich unflexibel und ineffizient wie multinationale Konzerne.