Ein Schrei, mein Schrei wird mir bringen, was nicht durch das Meine ist. Diese Worte fuhren in Bernards Kopf herum, wirbelten durcheinander, bildeten, mit anderen gemeinsam, verschiedenste Kombinationen, offensichtlich sinnlose und solche die es weniger waren, setzten sich fest und lösten sich wieder, nur um erneut ihren Platz zu beanspruchen. Bernard wusste nicht woher sie kamen, doch sie waren da, wühlten ihn auf und trotz ihrer Inkongruenz und Unverlässlichkeit verstand er was sie zu sagen hatten, was er zu sich selbst sagte, was sich aus dem Unbewussten in die Form der Sprache ausgoss. Ohne dass es ihm jemand befohlen hatte, nicht einmal er selbst, versuchte sein Körper alles, was ihm an Macht und Kraft zur Verfügung stand, in die Formung eines Schreis zu stecken, sich mit allen Mitteln bemerkbar zu machen und doch schwieg er und bemühte keine Geste: Bernard schrie und nichts regte sich.
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…er sah, dass er gut war – eine verwegene Paraphrase der Selbstbekräftigung Gottes zu seiner erschaffenen Welt (»sah, dass es gut war«). Das macht diese Prosa-Miniatur zu einem existentialistischen Stückchen: Der Schrei ist das Zeichen für einen neuen Anfang, der sich im trotzigen die Welt braucht mich konstituiert, ohne dass das vorher melancholisch-resignative des (scheinbar) vergeblichen Lebens in den Tag hinein ausgeblendet oder einfach nur übertüncht wird.
Dabei ist dann die Erkenntnis, dass da niemand ist, der uns hält, keine Bedrückung mehr, sondern Ansporn und Verpflichtung: beinahe alles liegt an uns.
Bernards Schrei ist Initiation zum »Leben ändern«. Dass der Großteil seines Lebens vorbei ist, gilt nicht mehr. Die Ungeheuerlichkeit und die Konsequenzen dieses neu zu findenden wird nicht mehr thematisiert. Aber vielleicht gibt es eine Fortsetzung.
@Gregor
Schön, danke. Fortsetzung ist keine geplant, aber wer weiß: Die Überarbeitung oben war es ja auch nicht.
Schade, diese Grabesstille.
mete schrieb, und nichts regte sich.
Woran liegt’s?
[musste grad meine Diss zerhäxeln – jetzt fertig? – kann nicht mehr denken, d.h. eigentlich Normalzustand – Erleichterungsschrei wäre schön, aber sitze nur hier und schreib mal wieder das Internet voll – gelobe aber mir die neue Version zu Gemüte zu führen und nicht mehr im Telegrammstil zu posten – stopp]
Erst heute habe ich mir Ihre wunderbare Erzählung vornehmen können und bin sprachlos, ob dieser schönen Erzählweise und der Aussage des Inhalts. Ein Text, den ich mir, mit Verlaub, ausgedruckt habe, um ihn
a) öfters zur Hand zu haben, zwecks Nachlese und wiederholtem Genuss und
b) um sie einem sehr engen (blinden) Freund vorzulesen ( Theologe und Jurist, mittlerweile i.R.). Ich weiß, wie sehr er Texte dieser Art mag, besucht er immer noch philosophische Vorlesungen an der Uni.
Man müsste viele Stellen zitieren, um deren Wirkung zu verstärken, festzuhalten. Allein Bernards Erkenntnis im Autobus: „Wir machen die Worte reden!“. Und dann dem Ende der Geschichte zu „... begriff er, dass es nicht zu spät war, ...“.
( es sind viel zu wenige Beispiele jetzt ... ich könnte damit Seiten füllen, alles herausgenommen aus ihrem Text).
Metepsilonema, Sie sprechen mit Ihrer Sprache Gefühle und Sinne an, vereinen mit ihr Mensch und Umwelt auf eine ganz besondere Weise.
Zum Beispiel der Gang vom, in meinen Augen, mehrstöckigen Kaufhaus hinaus in die Natur bis hin zu dem Busch, der „so reif und schwer war, wie es die Lebewesen und Dinge in dieser Jahreszeit waren.“
Ich danke für diese wunderbare geistige Nahrung und Anregung und jeder-jede, der/die sich diese Erzählung entgehen lässt, hat selbst schuld!
Liebe lou-salome,
ich bedanke mich und bin sprachlos des enthusiastischen Zuspruchs wegen – etwas später vielleicht mehr!
Liebe lou-salome,
ich möchte Ihren Kommentar nicht durch irgendwelche Einwürfe zerreden, er vermittelt Ihren Leseeindruck und ist für sich stimmig – interessieren würde mich allerdings, wie der Text Ihren Freund gefallen hat (vielleicht besser per email?). Vielen Dank!
Gerne werde ich Ihnen den Leseeindruck des Freundes mitteilen ( wenn er mir grünes Licht gibt)! Da er allerdings in einiger Entfernung weg wohnt, waren wir, seitdem ich obige Erzählung gelesen hatte, noch nicht wieder bei ihm. Ich werde eine Mail schicken und den Text anhängen, dann kann er vorab lesen. ( Bin übrigens auch sehr gespannt, ich schätze seine Meinungen sehr).
Schade ist die Stille um diesen Schrei. Die Szene der Literaturliebhaber ist doch gar nicht so klein.
Liebe Grüße an Sie, metepsilonema!
Lieber mete,
vor kurzem las ich den Text noch einmal sorgfältig. Leider schrieb ich nicht sofort etwas dazu, so dass ich jetzt nur nachträglich Eindrücke formulieren kann. 1) Mochte ich einige der Satzperioden, schon der Einstieg in den Text (Es hat beinahe etwas altehrwürdiges wie bei Hermann Broch, den mir der Blogo angedreht hat – auf jeden Fall saß ich öfter da und dachte: das hätte ich jetzt auch gerne geschrieben) 2) Dachte ich über die Einheit von Ort und Zeit nach: Das Setting ist wohl eine Fußgängerzone oder ähnliches – da frage ich mich, ob es da z.B. wahrscheinlich ist, dass eine Putzfrau ihr Spülwasser auf die Straße gießt – durchaus möglich, kann sein, dass ich das selbst schon mal sah, aber vielleicht nicht dann, wenn gerade Hauptgeschäftszeit ist? (Danach könnte man den Text z.B. abklopfen?)
3) Habe ich die Änderungen, die der Text erfahren hat, nicht nachhalten können, aber das Ende hast du vor allen Dingen geändert, oder? Da weiß ich nicht, ob mir das alte eventuell mehr zusagte. Dieses hier ist vielleicht glatter, runder – aber vielleicht auch etwas fluffig? Hatte das alte nicht noch etwas expressiv, metepsilonematisches, das den Leser etwas irritierter entließ?
So long,
Phorkyas
Ungefragt
...metepsilonematisches
Es wird der Tag kommen, an dem dieses Wort Einlass in die diversen Germanistenwörterbücher gefunden hat.
—
Zu 2: Habe ich selber schon gesehen; mittags in der Altstadt.
@lou-salome
Sein Einverständnis vorausgesetzt, natürlich. Und bitte keine Eile! Ich kann warten und freue mich über jede Rückmeldung – ebenfalls viele Grüße!
@Phorkyas
Zu 1: Freut mich!
Zu 2: Theoretisch möglich und ich meine es auch schon erlebt zu haben und es muss ja auch nicht gerade Hauptgeschäftszeit sein.
Zu 3: Was meinst Du mit fluffig (das Wort sagt mir nichts)? Was mich schon beim Einstellen der ersten Version nachdenklich gemacht hat und was Gregor angesprochen hat, war, dass das Ende sehr »überraschend« (in seiner Wendung) und etwas »unlogisch« (wenig überzeugend) daher kam. Außerdem habe ich noch die Themen erweitert und umgearbeitet, der Beginn ist aber so gut wie unverändert geblieben. Interessant zu wissen wäre woher die Irritation gekommen ist (durch die Sprache vermittelt oder durch die Konstruktion des Ganzen – ein irritierter Leser ist ja nicht unbedingt gut, die kann auch an negativen Aspekten hängen)?
»fluffig« (im Sinne von weich) war völlig falsch. Zum ersten Ende: überraschend oder abrupt, das war es möglicherweise auch – was bei mir jedoch dazu führte, dass ich mich in Grübeleien darüber verhakte, war, dass es zweideutig schien, ob der Schrei nun erfolgt war oder imaginär... Ich kann jetzt nicht sagen, ob die Irritation da wirklich besagen sollte, dass da etwas nicht »stimmte«, oder nur, dass mich persönlich etwas in Reflexionen stürzte – vielleicht sind mir Texte mit Widerhaken lieber?
Ich hatte gehofft diese Imaginarität erhalten zu haben. Aus meiner Sicht war das Ende zuvor zu wenig ausgearbeitet. Wobei fraglich ist, ob ein Text, den man als ungenügend ausgearbeitet empfindet, zur Reflexion anregen kann (oder zur weiteren Auseinandersetzung)?
Wobei fraglich ist, ob ein Text, den man als ungenügend ausgearbeitet empfindet, zur Reflexion anregen kann [..]?
Ich hätte es jetzt genau anders herum gedacht, der »unfertige« Text (Fragmente wie bei Kafka), die bleiben als Splitter hängen und fordern, dass sie weitergedacht werden.
Aber vielleicht lässt sich das auch in der Allgemeinheit gar nicht sagen – »Gladius Dei« von T. Mann beschäftigt mich z.B. noch ab und zu, gerade weil sich bei mir vieles gegen diesen Text stemmt! – die ganzen antisemitischen Klischees und dann feiert MRR auch noch diese Prosa? Da ist noch etwas von Irritation geblieben.. und darum bin ich noch nicht fertig mit diesem Text. Ja, vielleicht wäre es das: Mit einem zu runden, zu fertigen Text könnte der Leser zu leicht fertig werden. – Dann steckt er ihn in sein Schublädchen und braucht sich weiter nicht zu kümmern – Und ein Schrei, das ist wohl das Gegenteil dieser Gemütlichkeit, da sollte es ordentlich rütteln im Karton (und das tut dein Text auch, meiner Meinung nach – das Problem war ja vielleicht auch einfach, dass mich das Ende beim zweiten Mal ja nicht mehr überraschen konnte).
OT: Sind die Guillemets in den Kommentarfeldern wieder deaktiviert?
Fragmente, Splitter, o.ä., sicherlich, zumindest wenn sie für sich »stimmig« sind. Ich meinte mit ungenügend ausgearbeitet, dass genau diese Stimmigkeit fehlt – man merkt, dass etwas nicht passt, dass »Fehler« vorhanden sind (besser kann ich es gerade nicht ausdrücken). Mit ziemlicher Sicherheit lässt sich das nicht allgemein entscheiden, weil der Hintergrund des Lesers eine wichtige Rolle spielt.
@Phorkyas
Es ist schon ein Unterschied, ob die Splitter, Fragmente gewollt fragmentiert sind oder nicht. Bei Kafka ist das ja – meines Wissens – nicht immer so ganz sicher. Vieles wurde ja auch ein bisschen zurechtgebogen.
Ist es nicht fast immer so, dass das Fragmentarische, Skizzenhafte mehr Raum für die eigene Deutung bzw. Rezeption lässt? Wohl gemerkt: Das ist zu unterscheiden von einer allegorischen Prosa, die einen »doppelten Boden« (MRR) hat, der sich auch erst erschließen muss, die aber in sich stimmig ist.
–
OT: Die Guillemets erscheinen nur in der Kommentarvorschau nicht; im Kommentar selber dann wieder.
OT: Die automatische Konvertierung in Guillemets funktioniert nur dann, wenn im eingegebenen Text das gemeine »Zollzeichen« ([Umschalt][2]) verwendet wird. Aus Word-Dokumenten herüberkopierte Textteile mit typographischen »Gänsefüßchen« wie im Kommentar #6 bleiben hingegen unangetastet. Die automatische Zeichenkonvertierung bei der Anzeige ist relativ tricky und geht nicht ohne regelbestätigende Ausnahmen ab...
@metepsilonema:
Wenn einem eigene Idiosynkrasien einen Strich durch die Rechnung machen oder man irritiert ist über Putzwasser, das in die Fußgängerzone gekippt wird (auch hier war aber meine Irritation eher darüber, dass ich mir nicht ganz sicher war, ob es nicht auch doch »richtig« ist, weil ich genau einen solchen Vorgang schon beobachtet hatte), dann wäre es wohl vermessen einen Text als nicht »stimmig« einzustufen. Manchmal, da geb’ ich dir recht, gibt’s aber durchaus das Gefühl, dass da objektiv noch etwas hakt am Text. Dann stellt man einen Satz um oder ein Wort und auf einmal merkt man, das es jetzt passt – aber wie objektivierbar, das ist, ist mir auch nicht ganz klar.
(Allerdings könnte doch auch die Unfertigkeit eines Fragments hergestellt werden – bzw. die Unabgeschlossenheit kann bewusst Programm sein: weil jede Abschließung oder Entscheidung den Text in die eine oder andere Richtung zu vollenden, diesen unweigerlich entwerten würde.)
Hmm.. mit der Genre-Diskussion habe ich mich vielleicht schon zu sehr vom Text entfernt. Hier liegt ja eine geschlossen-stimmige Erzählung(?) vor.
(Wobei ja »Das Urteil« – einer der Texte, die mich am meisten beeindruckten – auch unheimlich stimmig ist, aber all diese präzisen, eigentlich kohärenten Teilstücke lassen sich nicht mehr zu einem stimmigen Ganzen fügen – die Deutung geht baden)
OT@Ralph Stenzel: Ich hatte, wie Gregor bemerkt, in die Kommentarvorschau geguckt und dachte daher irrtümlicherweise, diese Option sei wieder deaktiviert.. Eine halbe Sekunde später, als mein Kommentar erschien, wurde mir das dann auch klar.
OT@Phorkyas: Rein philosophisch gesprochen gibt es hier keine Option im Sinne einer echten Auswahl: Selbstverständlich erscheint beim Drücken einer Taste stets jenes Zeichen, das von der landesspezifischen Tastaturbelegung her vorgegeben wird. Und natürlich stehen die mittels [Umschalt][2] produzierten Zollzeichen auch weiterhin unverändert im abgespeicherten Artikel- oder Kommentartext drin!
Die Konvertierung in die französischen Guillemets ist ein bei der Darstellung jedesmal aufs Neue in Echtzeit angewendeter Taschenspielertrick. Datenhaltung (= Abspeicherung) und Formatierung (= Darstellung) sind streng getrennt, voneinander unabhängig und eben deshalb sehr flexibel zu handhaben. Daher sind mir aus Word-Dokumenten reinkopierte Gänsefüßchen ein prinzipielles Greuel, doch diesbezüglich Überzeugungsarbeit leisten zu wollen habe ich längst aufgegeben...
OOT@Ralph Stenzel: Aus Word-Dokumenten reinkopierte G»ansef»u»schen w»urde es bei mir nicht geben, eher solche mi»sbrauchte.
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