Bil­dung und bil­den. Ge­dan­ken.

Im Un­ter­schied zu Wis­sen und In­for­ma­ti­on, die als sta­tisch oder fest­ge­fügt an­ge­se­hen wer­den, as­so­zi­iert man „bil­den“ und „Bil­dung“ mit ei­nem Vor­gang kon­ti­nu­ier­li­cher Ver­än­de­rung. Es ist sinn­voll, von ei­nem der­zei­ti­gen Stand des Wis­sens aus­zu­ge­hen, je­doch nicht von ei­ner ak­tu­el­len, zeit­ge­mä­ßen Form von Bil­dung, die im­mer über das blo­ße Sam­meln und Ord­nen in ei­ner Art Setz­ka­sten, ei­ner Kar­tei oder ei­nem Le­xi­kon, hinaus­geht, aber oh­ne den Er­werb von Wis­sen nicht denk­bar ist: Bil­dung liegt ei­ne be­stimmte Art und Wei­se der Hand­ha­bung von In­for­ma­ti­on und Wis­sen zu Grun­de, die sie erst kon­sti­tu­iert. Die In­hal­te des Bil­dungs­pro­zes­ses, die Art und Re­le­vanz des be­tei­lig­ten Wis­sens, kön­nen (und soll­ten) un­ter dem Aspekt des Ver­falls und der Er­neue­rung be­trach­tet wer­den.

Es liegt na­he, Bil­dungs­pro­zes­se als vor­läu­fi­ge, nie ab­ge­schlos­se­ne For­mung und Ge­stal­tung auf­zu­fas­sen. Aber was ver­än­dert sich ei­gent­lich, wor­in nimmt es sei­nen Aus­gang und wel­chen Zie­len dient es? In wel­chen Re­la­tio­nen muss ein Wis­sens­er­werb ste­hen, um Bil­dung ge­nannt zu wer­den? Und was macht das zwei­te ge­gen­über dem er­sten be­son­ders?

Of­fen­heit und Er­war­tung
Die Pro­zess­haf­tig­keit von Bil­dung legt na­he, dass Men­schen glei­cher­ma­ßen Sub­jekt und Ob­jekt des Bil­dungs­pro­zes­ses sind: Sie ver­än­dern sich ste­tig durch das, was sie nicht sind: Bil­dung setzt Of­fen­heit und Neu­gier­de ge­gen­über der Welt und ih­ren Er­schei­nun­gen vor­aus, zu de­nen ein Ele­ment von Pas­si­vi­tät hin­zu­tritt, das ei­nen Frei­raum auf­spannt, der es er­mög­licht, das An­de­re, Welt und Men­schen, so zu er­tra­gen und an­zu­se­hen, wie sie sind: Erst ihr So­sein, das durch die be­reits vor­han­de­ne Bil­dung mit kon­stru­iert wird, bringt es in ei­ne – we­der zur Gän­ze ob­jek­ti­ven, noch wah­ren – Re­la­ti­on zum ei­ge­nen Selbst, was ei­nen Re­fle­xi­ons­pro­zess an­stößt, aus dem das Ich und sein Ver­hält­nis zur Welt oder Tei­len von ihr, ver­än­dert her­vor­geht. Wer­den die­se Ver­än­de­run­gen, auch wenn sie Müh­sal be­deu­ten, zu­nächst Ver­wir­rung oder Ver­stö­rung aus­lö­sen, als letzt­lich po­si­tiv an­ge­se­hen, wird man sein Be­mü­hen ver­stär­ken oder we­nig­stens nicht ver­min­dern: Die Of­fen­heit für an­de­res, wird durch den Bil­dungs­pro­zess wei­ter ver­stärkt, hält ihn am Lau­fen, ist zu­gleich aber Vor­aus­set­zung für ihn und muss schon vor­han­den ge­we­sen sein.

Frei­wil­lig­keit
Ne­ben der not­wen­di­gen Of­fen­heit sind die Stei­ne, die das Un­ter­neh­men Bil­dung mit an­sto­ßen, we­sent­lich Hoff­nung und Er­war­tung, Vor­ur­teil und Vor­schuss: Die­se schwa­chen Grund­be­din­gun­gen und die zu ent­wickeln­de Of­fen­heit, ver­wei­sen auf ein Mo­ment von Frei­heit: Bil­dung hat hier­in, ei­nen er­sten Be­rüh­rungs­punkt mit Ethik und Mo­ral: Den Amo­ra­li­sten kann (und soll) man nicht zwin­gen, wie man den Bil­dungs­pro­zess nur an­re­gen, die ei­ge­ne Fas­zi­na­ti­on zu trans­por­tie­ren ver­su­chen, aber nicht ver­ord­nen kann. Letzt­lich bleibt es je­dem selbst über­las­sen, den ent­schei­den­den Schritt zu wa­gen. – Wie­der­um wird deut­lich: Es muss ir­gend­ei­ne Art von Vor­ver­ständ­nis, von Er­war­tung ent­wickelt wer­den, und der Auf­bruch wird sich für je­den, hin­sicht­lich Per­sön­lich­keit und Le­bens­er­fah­rung, an­ders dar­stel­len.
Die Frei­wil­lig­keit sich zu bil­den, die Ent­wick­lung die­ses Wol­lens, hat weit­rei­chen­de Kon­se­quen­zen: Ei­ne au­to­ri­ta­ti­ve Ver­mitt­lung von Bil­dung und ih­rer In­hal­te wi­der­spricht der ihr ei­ge­nen Of­fen­heit, weil der Bil­dungs­pro­zess durch sei­nen Fo­kus auf das An­de­re, ei­ne ge­wis­se Selbst­re­la­ti­vi­tät be­an­spru­chen muss; sie wi­der­spricht aber auch ih­rer Pro­zess­haf­tig­keit und Un­ab­ge­schlos­sen­heit, dem ihr in­ne­woh­nen­den Ele­ment von Frei­heit und ih­rer Be­dingt­heit in per­sön­li­chen Er­war­tun­gen und Be­dürf­nis­sen.
Ei­nem ganz ähn­li­chen Miss­ver­ständ­nis sitzt auch der be­rühm­te Ha­bi­tus des Bildungs­bürgers auf, der, ob­gleich „ge­bil­det“, die­se Bil­dung als Ab­gren­zung zu an­de­ren, we­ni­ger ge­bil­de­ten Men­schen hin, an­sieht: Der Un­ge­bil­de­te soll es auch blei­ben.

Der Ur­sprung, das War­um des Wag­nis­ses Bil­dung, bleibt auf ei­ner all­ge­mei­nen Ebe­ne sche­men­haft, un­deut­lich und fast noch schwie­ri­ger ist aus­zu­ma­chen, war­um ein unab­geschlossen blei­ben­der Pro­zess ei­ne re­gel­rech­te Lei­den­schaft, ei­nen Hun­ger zu ent­fa­chen ver­mag.

Zie­le und Wi­der­sprü­che
Man kann den Bil­dungs­pro­zess als ei­nen evo­lu­tio­nä­ren auf­fas­sen: In stän­di­ger Weiter­entwicklung und vor al­lem Ver­än­de­rung, liegt al­les schon am Pro­zess selbst: Er för­dert ei­ne Hal­tung von Of­fen­heit und ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit der Welt in all ih­rer Viel­falt, aber es fehlt – ana­log zum Evo­lu­ti­ons­pro­zess der le­ben­di­gen Welt – ein klar auszu­machendes Ziel, ei­ne Li­nie, die man über­schrei­ten könn­te oder ei­ne letz­te Stu­fe, die zu er­rei­chen wä­re. Bil­dung führt statt­des­sen zu im­mer neu­en Ver­än­de­run­gen, Stabili­sierungen und De­sta­bi­li­sie­run­gen und setzt das Selbst wie­der und wie­der in ei­ne an­de­re Re­la­ti­on zur Welt: Der Zu­fall spielt ei­ne un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le, im Vor­der­grund steht ein mit Dau­er des Pro­zes­ses im­mer deut­li­cher wer­den­der Wil­le, ei­ne Hal­tung, ein Be­stre­ben.
Der Bil­dungs­pro­zess bleibt auf sich selbst be­zo­gen, mä­an­dert, fast un­ent­schlos­sen, hier­hin und dort­hin und be­för­dert im­mer wie­der sei­ne Be­dingt­heit frei­er Ent­schei­dung ans Licht: Es gibt nichts, was not­wen­dig aus Bil­dung fol­gen müss­te und ein sol­ches Ver­ständ­nis er­klärt mit ei­nem Mal al­le Wi­der­sprü­che und Miss­ver­ständ­nis­se, al­le Ver­ir­run­gen ge­lehr­te­ster Köp­fe.
Und doch steht man, ge­nau­so rasch, wie­der vor ei­nem Zu­sam­men­hang, der das Ge­gen­teil an­neh­men lässt: Der Bil­dungs­pro­zess sen­si­bi­li­siert mit zu­neh­men­der Dau­er für ethi­sche Pro­ble­me und Fra­ge­stel­lun­gen, die sie sich aus dem Um­gang des Selbst mit sei­ner Um- und Mit­welt er­ge­ben: Der Raum den es dem Nicht­selbst wäh­rend des Bil­dungs­pro­zes­ses zur Ver­fü­gung stellt, ist ein grund­le­gend ethi­sches Mo­ment, das sich frei­lich erst er­weist, wo es hand­lungs­wirk­sam wird.
Das Un­not­wen­di­ge, Un­ab­ge­schlos­se der Un­ter­neh­mung Bil­dung be­wahrt es vor Miss­brauch und über­zo­ge­nen Er­war­tun­gen, an­de­rer­seits ent­täuscht es den­je­ni­gen der sich End­gül­ti­ges er­war­tet: Viel­leicht ist Bil­dung „nur“ ei­ne Quel­le, die aus der ste­ten Konfron­tation mit der Welt fließt und an­re­gen­de An­stö­ße für an­de­re Be­lan­ge und Be­rei­che, be­reit hält. Auch das ist nicht we­nig. Und selbst hin­sicht­lich der Of­fen­heit von Bil­dung zeigt sich, dass sie die­se zwar er­zeugt, aber ihr Aus­maß nicht wei­ter be­stimmt: Ei­ne uneinge­schränkte För­de­rung führ­te zu ih­rer Re­la­ti­vie­rung und Auf­lö­sung.

Hand­lung und Ge­fähr­dung
Ob Bil­dung nur der theo­re­ti­schen Vor­be­rei­tung von Hand­lun­gen dient oder sie erst ge­ge­ben ist, wenn die Ver­än­de­run­gen des Selbst und sei­ner Re­la­ti­on zur Welt auch hand­lungs­wirk­sam wer­den, dar­über lässt sich lan­ge strei­ten. Aber ir­gend­ei­ne prak­ti­sche Re­le­vanz oder Aus­wir­kun­gen von Bil­dung wird es ge­ben, denn nicht zu Letzt er­kennt man ei­nen ge­bil­de­ten Men­schen nicht nur dar­an, dass er viel weiß, son­dern et­was dar­stellt, in sei­nem Sein und sei­nen Hand­lun­gen.
Ge­ra­de in der Er­war­tungs­hal­tung, dass Bil­dung wirk­sam wird, bei al­ler Vor­läu­fig­keit des Pro­zes­ses, liegt das Schei­tern oder das Ver­sa­gen von Bil­dung heu­te, be­grün­det: Je ra­scher die An­häu­fung und die Re­pro­duk­ti­on von Wis­sen er­folgt; um­so de­tail­lier­ter und kom­ple­xer es wird; je schnelllebi­ger der Le­bens­rhyth­mus, je Viel­fäl­ti­ger und in­kon­si­sten­ter Selbst und Per­spek­ti­ven wer­den, de­sto in­sta­bi­ler und brü­chi­ger wird der Bil­dungs­pro­zess und de­sto we­ni­ger ver­mag er über­haupt ir­gend­wel­che Er­war­tun­gen zu er­fül­len, in ei­ner Zeit in der es schwie­rig ge­wor­den ist Ord­nung und Be­zie­hun­gen zur in­ne­ren und äu­ße­ren Welt über­haupt noch auf­recht zu er­hal­ten: Wie aus dem Mär­chen, er­schei­nen uns „die Al­ten“, de­nen es noch mög­lich war, weil sie in ei­ner an­de­ren Zeit her­an wuch­sen: Nicht dass der Ver­such auf­zu­ge­ben wä­re, aber die Schwie­rig­kei­ten sind grö­ßer denn je.

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An­mer­kung: Der Text wur­de durch die­se Dis­kus­si­on auf Tain­ted Ta­lents an­ge­sto­ßen.

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  1. Pingback: Bildung und bilden. Gedanken. « Makulatur

  2. Sehr schö­ner Ge­dan­ken­flug, me­tep­si­lo­n­e­ma! Be­son­ders der letz­te Ab­schnitt (»Hand­lung und Ge­fähr­dung«) hat es in sich. Fühl­te mich dar­an er­in­nert, wie ich schon vor lan­ger Zeit re­gel­recht ge­zwun­gen wur­de, nach Al­ter­na­ti­ven zur ab­surd be­schleu­nig­ten und frag­men­tier­ten Wis­sens­re­pro­duk­ti­on zu su­chen, ei­ne an­de­re Hal­tung zu ge­win­nen, um noch halb­wegs hand­lungs­fä­hig zu blei­ben. Im 18. Jahr­hun­dert sprach man ja auch gern von »Her­zens­bil­dung«. Das be­deu­te­te: sich vom Wis­sens­stoff und der Er­fah­rung tief af­fi­zie­ren zu las­sen, da­mit die In­for­ma­tio­nen sich zur wei­sen Hand­lung wan­deln. We­ni­ger ist da­bei si­cher­lich mehr.

  3. Die Zu­schrei­bung neh­me ich ger­ne an – dan­ke!

    Das Wir­ken, vor al­lem die Tie­fe geht mit der zu­neh­men­den Ge­schwin­dig­keit si­cher­lich ver­lo­ren; und wahr­schein­lich auch ein Ge­fühl von Le­ben­dig­keit.

  4. Sehr schö­ner Text; wirk­lich ein »Ge­dan­ken­flug«, wie Mi­cha­el Platt­ner schreibt. Er­in­nert durch­aus an Slo­ter­di­jks »Du mußt dein Le­ben än­dern« und die hier­in ver­stecke Ver­pflich­tung zur Selbst­bil­dung und da­mit zur »stän­di­gen Kon­fron­ta­ti­on mit der Welt«.

    Aber was sagt man den­je­ni­gen, die sich dem ver­weh­ren? Und sei es auch nur aus Be­quem­lich­keit (und dem­zu­fol­ge mit zucken­den Ach­seln und Hän­de in den Ta­schen).

  5. Auch Dir, dan­ke. Zu Dei­ner Fra­ge: Das hängt da­von ab, wie weit sie sich auf Ar­gu­men­te oder über­haupt et­was ein­las­sen. An­son­sten muss man sie, wenn man auf Sei­ten der Frei­heit steht, ge­wäh­ren las­sen.

    Ob­wohl, man soll­te die Macht emo­tio­na­ler Er­fah­run­gen nicht un­ter­schät­zen, auch die wei­sen uns We­ge, viel­leicht häu­fi­ger als uns lieb ist.

  6. Das hie­ße – po­le­misch for­mu­liert – es gä­be ein Recht auf Dumm­heit? Wenn ja: Wel­che Aus­wir­kun­gen hat dies auf ein de­mo­kra­tisch or­ga­ni­sier­tes Ge­mein­we­sen? Ein Ge­mein­we­sen, dass häu­fig »Bil­dung« als »eli­tär« be­greift.

  7. Dumm­heit ist kein Ver­schul­den, das ist man oder nicht. In­so­fern, ja.

    Aber hier geht es eher um et­was wie Be­mü­hen: Mir scheint die Grund­si­tua­ti­on nicht als wei­ter auf­lös­bar, man kann sich da­für ent­schei­den et­was zu er­zwin­gen oder nicht, für oder ge­gen Frei­heit.

    Et­was an­de­res sind die de­mo­kra­ti­schen Im­pli­ka­tio­nen und theo­re­tisch könn­te man sa­gen, dass sich nur die­je­ni­gen be­tei­li­gen dür­fen, die auch ein Be­mü­hen in Rich­tung Bil­dung und Po­li­tik zei­gen. Dann könn­te sich noch je­der ent­schei­den, müss­te aber die staats­bür­ger­li­chen Kon­se­quen­zen tra­gen.

  8. @metepsilonema
    Das wä­re dann tat­säch­lich die Kon­se­quenz. Aber das ver­bie­tet sich ja mit dem Ega­li­täts­grund­satz. In­so­fern muss der »An­sporn« auf ei­ner an­de­ren Ebe­ne lie­gen. Oder man löst sich da­von und agiert nur für das ei­ge­ne See­len- bzw. Wis­sens­heil.

  9. Das wä­re schön @Gregor, für das ei­ge­ne Wis­sens­heil zu wer­ken. Ei­ni­ge von die­sen je­ni­gen sind al­ler­dings noch nicht aus­ge­stor­ben – zum Glück!

  10. @Gregor
    Mit An­sporn meinst Du den An­sporn sich zu bil­den? Nun, der hängt schon in der Ebe­ne der Per­son, wenn­gleich der Pro­zess Bil­dung die­se dann über­schrei­tet. Die öf­fent­li­chen Be­lan­ge wür­de ich da­von aber tren­nen: Man kann ge­bil­det sein, aber mit Po­li­tik nichts (mehr) am Hut ha­ben, al­so, wie Du schreibst, nur für das ei­ge­ne See­len­heil agie­ren (was viel­leicht auch im­mer stär­ker ge­schieht).

  11. @metepsilonema
    Slo­ter­di­jks Le­bens­än­de­rungs-Pro­gramm, wel­ches sich ja auch aus dem In­di­vi­du­um her­aus er­ge­ben soll, in­klu­diert ja sehr wohl ei­ne Art Ver­pflich­tung, die Re­sul­ta­te Ex­er­zi­ti­en dem Ge­mein­wohl an­zu­die­nen bzw. sich »ge­mein« zu ma­chen. Das muss nicht zwin­gend ein po­li­ti­sches En­ga­ge­ment sein. Ich glaub(t)e aus Dei­nem Auf­satz ei­ne ähn­li­che Ver­bind­lich­keit her­aus­ge­le­sen zu ha­ben. Zwar ge­schieht die Bil­dung auf Ba­sis der Frei­wil­lig­keit (wie auch sonst) – aber nicht gänz­lich oh­ne Ehr­geiz (oder, um es neu­tra­ler zu for­mu­lie­ren, In­ten­ti­on).

    Da­her über­rascht am En­de ein biss­chen die Aus­sa­ge über das »Schei­tern oder das Ver­sa­gen« von Bil­dungs­pro­zes­sen heu­te. Muß es nicht eher hei­ßen, dass »Bil­dung« im­mer dann schei­tert, wenn sie sich all­zu sehr auf die Ak­ku­mu­la­ti­on von Wis­sen ver­läßt? Muss nicht »Bil­dung« neu de­fi­niert wer­den? Nie­mand wird mehr die um­fas­sen­de Bil­dung von und über die Welt ei­nes Leib­niz ha­ben kön­nen. (Viel­leicht war dies da­mals wie heu­te auch nur ei­ne Schi­mä­re: In­dem Leib­niz fast al­les kom­men­tier­te und wen­de­te, hat­te es den An­schein ei­ner um­fas­sen­den Ge­lehr­sam­keit.)

  12. @Gregor
    Du hast Dich auch nicht ver­hört, aber ich glau­be nicht, dass man das auf all­ge­mei­ner Ebe­ne wei­ter spe­zi­fi­zie­ren kann: Wenn Bil­dung ei­ne Hal­tung von Of­fen­heit er­for­dert und för­dert, ist da­mit nicht ge­sagt wie und wo sie sich kon­kre­ti­siert, schon des­halb nicht, weil der Bil­dungs­pro­zess für je­den an­ders ver­läuft. Das­sel­be gilt für die In­ten­ti­on, hier spie­len per­sön­li­che Be­lan­ge und Mo­ti­va­tio­nen ei­ne gro­ße Rol­le und ich glau­be fast, dass die In­ten­ti­on zu­nächst oft un­for­mu­liert bleibt und sich erst wäh­rend des Pro­zes­ses in den Vor­der­grund schiebt. Zwei hi­sto­ri­sche Bei­spie­le mit sehr un­ter­schied­li­cher Äu­ße­rung von Bil­dung wä­ren Goe­the und Hei­ne.

    Ob Bil­dung ver­sagt, hängt na­tür­lich da­mit zu­sam­men, was man von ihr er­war­tet oder an sie her­an trägt – letzt­lich hängt das wie­der zum Teil vom per­sön­li­chen Rah­men des Be­tref­fen­den ab. Was ich auch mein­te, war, dass ge­bil­de­te Men­schen »al­ter Schu­le« ei­ne Ab­ge­run­det­heit auf­wei­sen, die mit um­fas­sen­der Bil­dung zu­sam­men­hängt, aber nicht das­sel­be ist; und dass sie et­was wie Ori­en­tie­rung in oder ei­nen Be­zugs­punkt (ei­ne Be­zie­hung) zur Welt, trotz der Un­ab­ge­schlos­sen­heit des Pro­zes­ses, ge­fun­den ha­ben. Et­was, das wir, wie mir scheint, heu­te kaum mehr schaf­fen (mein Ein­druck). Wo­bei »wir«, die Ge­ne­ra­tio­nen meint, die in der Me­di­en- und di­gi­ta­li­sier­ten Welt groß ge­wor­den sind und wer­den.

  13. Wel­che Kon­se­quen­zen hat das für ei­ne Ge­sell­schaft, wenn Dein Ein­druck stim­men wür­de? Oder ist die­ses Ver­mis­sen von Welt­läu­fig­keit schon ei­ne Fra­ge des Al­ters? Das wür­de mich eher wun­dern, weil Du ei­ni­ges jün­ger bist.

    Tat­säch­lich ist es doch eher ein »Pri­vi­leg« des Al­ters in der auf­kom­men­den Ju­gend die sich selbst zu­ge­schrie­be­nen Tu­gen­den zu ver­mis­sen. Oder wird die­ser Pro­zess in­zwi­schen nicht zu­letzt durch die me­dia­le Durch­drin­gung der Welt be­schleu­nigt? Wer heu­te 60 Jah­re alt ist, hat zum Bei­spiel drei Ge­ne­ra­tio­nen Bü­ro­kom­mu­ni­ka­ti­on mit­ge­macht: Fern­schrei­ber, Fax-Ge­rät, Computer/E‑Mail. Fast scheint es so, als wür­den die Evo­lu­tio­nen in­zwi­schen ih­re Kin­der fres­sen.

  14. »Fast scheint es so, als wür­den die Evo­lu­tio­nen in­zwi­schen ih­re Kin­der fres­sen.« (Gre­gor Keu­sch­nig #12)

    Es war noch nie so ein­fach, so schnell und ge­zielt In­for­ma­ti­on zu be­zie­hen – per Maus­klick. Hät­te ich als Stu­dent nur die Mo­nu­men­ta Ger­ma­niae Hi­sto­ri­ca on­line zur Ver­fü­gung ge­habt! Die gro­ße Ge­fahr: es bleibt beim Maus­klick. Der nimmt ei­nem noch nicht die Lese‑, Denk- und Schreib­ar­beit ab. Das mei­nen aber heu­te vie­le Schü­ler, Stu­den­ten und Dok­to­ran­den – und Leh­rer.

  15. @Gregor
    Es hat si­cher­lich Kon­se­quen­zen für die ein­zel­nen In­di­vi­du­en, für ihr Le­bens- und Exi­stenz­ge­fühl; ei­ne Ge­sell­schaft kann man wahr­schein­lich auch an­ders or­ga­ni­sie­ren, es kommt dar­auf an von wel­chem ge­sell­schaft­li­chen Sy­stem wir spre­chen, ob­wohl es na­tür­lich sein kann, dass Men­schen, de­nen et­was We­sent­li­ches ab­geht, sich im­mer we­ni­ger mit ih­rer Ge­sell­schaft (Ge­mein­schaft) iden­ti­fi­zie­ren (dann wä­re das Sy­stem wie­der egal).

    Ei­ne Fra­ge des Al­ters nur in­so­fern, dass man heu­te als Kind oder Ju­gend­li­cher in ei­ner Welt her­an wächst, die we­der Du noch ich in die­sem Al­ter in die­ser Form er­lebt ha­ben. Und ich glau­be, dass das auch Aus­wir­kun­gen hat: Dass die Ge­stal­tung von Ord­nung und Be­zie­hung zur Welt schwie­ri­ger zu ver­wirk­li­chen wer­den oder viel­leicht un­mög­lich, weil z.B. In­for­ma­tio­nen in ei­ner Fül­le ver­füg­bar sind und sich mit ra­sen­der Ge­schwin­dig­keit ver­än­dern und wach­sen. Nicht die (mög­li­cher­wei­se) feh­len­de Denk­ar­beit ist das Pro­blem, es fin­det sich kein An­ker und kei­ne Sta­bi­li­tät mehr: Man muss sich vor­se­hen nicht im Treib­sand un­ter zu ge­hen.

  16. »Es war noch nie so ein­fach, so schnell und ge­zielt In­for­ma­ti­on zu be­zie­hen – per Maus­klick. [...] Die gro­ße Ge­fahr: es bleibt beim Maus­klick. Der nimmt ei­nem noch nicht die Lese‑, Denk- und Schreib­ar­beit ab.«
    Und noch schlim­mer, laut ei­ner Stu­die aus den USA: »Denkt ein Mensch, er kön­ne ei­ne In­for­ma­ti­on je­der­zeit im In­ter­net wie­der­be­schaf­fen, be­müht sich das Ge­hirn nicht, die­se auch ab­zu­spei­chern.« Nach dem Mot­to: Wir ler­nen, nicht zu ler­nen.

  17. @Gregor
    Dan­ke für den Link. Aber ich mein­te nicht die Ra­se­rei selbst, son­dern ih­re Aus­wir­kun­gen, die Ver­än­de­run­gen, die Wech­sel­haf­tig­keit – es ist schwie­rig Sta­bi­li­tät, Ru­he und Be­zie­hun­gen zur Welt zu ent­fal­ten, wenn sie sich stän­dig än­dert (oder un­se­re Vor­stel­lun­gen da­von): Ge­nau das be­nö­tigt man aber für den Bil­dungs­pro­zess und er­war­tet man wie­der­um von ihm (vor­läu­fig zu­min­dest). Und auch in die Rich­tung in die Jan deu­tet: Dass es auf un­ser Er­in­ne­rungs­ver­mö­gen oder ge­ne­rell un­ser Ge­hirn Aus­wir­kun­gen ha­ben muss. Oder den den Fluch der Un­ter­bre­chung. Dass man das in frü­he­ren Jahr­hun­der­ten viel­leicht ähn­lich emp­fun­den hat, kann schon sein, aber wa­ren die Aus­wir­kun­gen ähn­lich oder die­sel­ben?

    [»Die un­ge­heu­er­lich­ste Kul­tur, die ein Mensch sich ge­ben kann, ist die Über­zeu­gung, daß die an­de­ren nicht nach ei­nem fra­gen« – in­ter­es­sant die­ser Satz, er kommt mir ge­ra­de wie die Vor­weg­nah­me un­se­rer Ge­gen­wart vor: Kei­ner hat mehr ein Au­ge für sei­ne Nach­barn oder Be­kann­te.]

  18. @metepsilonema
    »Aber ir­gend­ei­ne prak­ti­sche Re­le­vanz oder Aus­wir­kun­gen von Bil­dung wird es ge­ben, denn nicht zu Letzt er­kennt man ei­nen ge­bil­de­ten Men­schen nicht nur dar­an, dass er viel weiß, son­dern et­was dar­stellt, in sei­nem Sein und sei­nen Hand­lun­gen.«

    Kann man das wirk­lich heu­te noch so sa­gen? Ha­ben nicht das 3. Reich oder Ser­bi­en z.B. an­de­res ge­lehrt? Da­mit spre­che ich der Bil­dung ja nicht die Re­le­vanz ab, aber kann man heu­te wirk­lich Bil­dung so ein­deu­tig de­fi­nie­ren bzw. ihr ei­ne prak­ti­sche Re­le­vanz oder Be­deu­tung zu­schrei­ben? Wenn man Ger­hard Roth liest, kommt da doch sehr viel Skep­sis rü­ber, be­denkt man die ge­rin­gen Chan­cen, die er der Än­de­rung von Ver­hal­ten und Ein­stel­lun­gen von Men­schen gibt.

  19. @metepsilonema
    Mir ging es auch um die Aus­wir­kun­gen, die je­mand wie Goe­the (und ak­tu­el­le eben Schirr­ma­cher) eben an der Ra­sanz fest­ma­chen, die sie nicht mehr bän­di­gen kön­nen bzw. die sich in die In­ter­ak­tio­nen ver­fe­sti­gen.

    Da­mals wie heu­te dach­te man, dass die Aus­wir­kun­gen noch nie so schlimm wa­ren wie jetzt. Auch Goe­the dach­te an ei­nen »Pa­ra­dig­men­wech­sel« (wie man das heu­te nennt). Die Re­stau­ra­ti­on woll­te sich dem ent­ge­gen­stem­men – fast er­folg­los. Die Mo­der­ne fraß im­mer ih­re Kin­der. Die Com­pu­ter­pio­nie­re fei­er­ten den 30. Ge­burts­tag des IBM-PC wie sich Ve­te­ra­nen an ei­ne längst ver­gan­ge­ne Zeit er­in­nern. Ich ha­be al­ler­dings den Ein­druck, dass der Rhyth­mus sich be­schleu­nigt hat; die Zy­klen wer­den kurz­le­bi­ger.

    Die Schall­plat­te hat­te 30, 40 Jah­re. Die CD war­tet schon auf ih­re Ab­lö­sung (ein viel­leicht dum­mes Bei­spiel, aber es fällt mir kein an­de­res ein). Ähn­lich geht es mit dem Bil­dungs­ka­non, der sich nicht mehr al­le 3, 4 Ge­ne­ra­tio­nen ver­än­dert, son­dern in­ner­halb ei­ner Ge­ne­ra­ti­on mehr­mals.

    @Norbert
    Ich bin zwar nicht an­ge­spro­chen ge­be je­doch zu be­den­ken, dass die­se Fra­ge kei­ne spe­zi­fi­sche des 20. oder 21. Jahr­hun­derts ist. Es ist so­zu­sa­gen sä­ku­la­re Theo­di­zee-Fra­ge, die letzt­lich nicht be­ant­wort­bar ist, weil es ei­gent­lich kei­ne Al­ter­na­ti­ve gibt.

  20. @Gregor

    Gut, dann ha­be ich dich miss­ver­stan­den. Dass man da­mals wie heu­te dach­te, dass es nie so schlimm war, ist ei­gent­lich lo­gisch, da man die Zu­kunft nicht kann­te. Ich glau­be aber, dass nicht nur die Ra­sanz schuld ist, son­dern auch Vir­tua­li­tät, Un­ter­bre­chung, In­for­ma­ti­ons­men­ge und nicht zu­letzt, dass sich all dies schon von frü­her Kind­heit an aus­wirkt (das war frü­her nicht der Fall oder we­ni­ger in­ten­siv, von den Halb­werts­zei­ten ein­mal ab­ge­se­hen).

    @Norbert
    Die Leh­re aus Ser­bi­en und dem Drit­ten Reich könn­te sein, dass Bil­dung nichts fest­legt, dass sie das Un­mensch­li­che nicht per se ver­hin­dert – aber steht das im Wi­der­spruch da­zu, dass Bil­dung (vor­läu­fig) prak­ti­sche Re­le­vanz ha­ben kann oder soll?

    Kön­nen Sie viel­leicht et­was zu Roths Ar­gu­men­ta­ti­on schrei­ben?

  21. In sei­nem neu­en Buch »Bil­dung braucht Per­sön­lich­keit. Wie Ler­nen ge­lingt«, 2011, schreibt G. Roth lei­der nicht, was er un­ter Bil­dung ver­steht. Dem Buch kann man aber ent­neh­men, dass er Bil­dung mit un­se­ren Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen iden­ti­fi­ziert, was na­tür­lich et­was dürf­tig ist. Sei­ne Haup­the­se lau­tet: « dass Leh­ren und Ler­nen stets im Rah­men der Per­sön­lich­keit des Leh­ren­den und des­Ler­nen­den statt­fin­den, al­so der höchst in­di­vi­du­el­len Art des Wahr­neh­mens, Den­kens, Füh­lens, Wol­lens, Han­delns so­wie der Bin­dungs- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keit ei­nes Men­schen. Mit an­de­ren Wor­ten: Die Art, wie je­mand lehrt und lernt, wird be­stimmt durch sei­ne Per­sön­lich­keit.« (S. 35).
    Mit mei­nem Ein­wand be­zog ich mich al­ler­dings auf sein frü­he­res Buch: »Per­sön­lich­keit, Ent­schei­dung und Ver­hal­ten. War­um es so schwie­rig ist, sich und an­de­re zu än­dern«, 2007. In die­sem Buch führt Roth aus, dass die ent­schei­den­den Schü­be zur Ent­wick­lung des Ge­hirns in der vor­ge­burt­li­chen Ent­wick­lung. dem letz­ten Teil der Schwan­ger­schafts­ent­wick­lung und in den er­sten Le­bens­jah­ren st­tfin­den. Nach Roth ent­schei­det sich in die­sem frü­hen Sta­di­um ein Groß­teil der­Per­sön­lich­keit und da­mit de­ren In­tel­li­genz (au­ßer dem ge­ne­ti­schen An­teil), de­ren Mo­ti­va­ti­on, die Ge­füh­le wie Em­pa­thie, das So­zi­al­ver­hal­ten usw. Roth be­legt dies mit zahl­rei­chen Er­kennt­nis­sen aus der For­schung und mit neu­en neu­ro­lo­gi­schen Er­kennt­nis­sen. Sein pes­si­mi­sti­sches Fa­zit aus den Er­kennt­nis­sen die­ser For­schung, es ge­lingt, wenn über­haupt, nur sehr schwer und mit er­heb­li­chem Auf­wand, die be­reits früh an­ge­leg­ten Dis­po­si­tio­nen und neu­ro­lo­gi­schen Prä­gun­gen zu ver­bes­sern oder zu ver­än­dern. Ich hof­fe, dass die­se knap­pe Zu­sam­men­fas­sung mei­nen Kom­men­tar aus­rei­chend er­läu­tern.

  22. @Norbert
    Dan­ke. Roth be­han­delt an­schei­nend Ler­nen und Bil­dung zu­gleich, was zu­min­dest in un­se­rem Kon­text nicht das­sel­be ist. Dass die Per­sön­lich­keit ein gro­ße Rol­le spielt, wür­de aber wie­der »pas­sen«.

    Ich mag Roth nicht ganz zu­stim­men: Vie­le so­zia­le Prä­gun­gen und Be­ein­flus­sun­gen, auch dra­ma­ti­sche Er­leb­nis­se und Er­fah­run­gen, fin­den doch auch noch lan­ge spä­ter statt und ha­ben ih­ren Ein­fluss (zu­min­dest scheint mir das aus mei­ner per­sön­li­chen Er­fah­rung her­aus so zu sein).

    Ein we­nig selt­sam auch, dass er die Ent­wick­lung des Ge­hirns mit In­tel­li­genz, Mo­ti­va­ti­on, Em­pa­thie, So­zi­al­ver­hal­ten so eng zu­sam­men bringt – war­um soll­te sich un­ser So­zi­al­ver­hal­ten nicht spä­ter durch Lern­pro­zes­se ver­än­dern? Ge­ra­de die Lern­fä­hig­keit zeich­net doch un­se­re Spe­zi­es aus? War­um soll­ten Mo­ti­va­tio­nen von Ge­burt an de­ter­mi­niert sein?

    Führt Roth Bei­spie­le an? Ich den­ke, dass et­wa mu­si­ka­li­sche Be­ga­bung und Ta­lent, sich nicht nur in den er­sten Le­bens­jah­ren oder der vor­ge­burt­li­chen Pha­se ent­wickeln, son­dern zu­min­dest in der ge­sam­ten Kind­heit (und auch spä­ter noch).

  23. @metepsilonema

    Ja, mir ging es ge­nau­so, dass ich die­se star­ke früh­kind­li­che Prä­gung nicht glau­ben woll­te. Man kann­te das ja schon frü­her durch den Spruch: »Was Häns­chen nicht lernt.....« Aber G. Roth bringt tat­säch­lich ei­ne Fül­le von For­schungs­er­kennt­nis­sen aus der Lern­psy­cho­lo­gie, der Psy­cho­lo­gie und den Neu­ro­wis­sen­schaf­ten, die be­le­gen, dass sehr viel be­reits in den er­sten Jah­ren de­ter­mi­niert ist. Na­tür­lich kann man noch et­was ver­bes­sern. Ein Bei­spiel soll das il­lu­strie­ren. Die In­tel­li­genz­for­schung hat ei­gent­lich schlüs­sig nach­ge­wie­sen, dass In­tel­li­genz zu ca. 50% ge­ne­tisch be­stimmt ist, der Rest durch die Ein­wir­kun­gen der för­dern­den Um­welt wie Fa­mi­lie etc. Man hat in vie­len Stu­di­en fest­ge­stellt, dass ca. 20% der In­tel­li­genz durch För­de­rung ver­bes­sert wer­den kön­nen. Das hört sich we­nig an, ist aber der ent­schei­den­de Un­ter­schied. Geht man da­von aus, das nor­ma­ler­wei­se je­des Kin­de, das auf­wächst ei­nen IQ von 90 hat, dann brin­gen die 20% För­de­rung die Kin­der ge­nau dort­hin, wo die mei­sten Ab­itu­ri­en­ten bzw. Stu­den­ten den IQ ha­ben, näm­lich bei 110. Wenn je­doch durch schlech­te fa­mi­liä­re und an­de­re Be­din­gun­gen das Kind kei­ne För­de­rung be­kommt und so­gar ne­ga­ti­ven Ein­flüs­sen aus­ge­setzt ist, dann kön­nen die­se 20% we­ni­ger ge­nau zu ei­ner Per­son an der Gren­ze zur gei­sti­gen Be­hin­de­rung füh­ren.
    G. Roth führt auch ge­ra­de in de´n Be­rei­chen Em­pa­thie, psy­chi­sche Dis­po­si­tio­nen vie­le Bei­spie­le aus der kli­ni­schen For­schung an, wo konn­te zwar Ju­gend­li­che, die z.b: un­fä­hig zu Em­pa­thie wa­ren, in lang­wie­ri­gen För­der­maß­nah­men et­was em­pa­thie­fä­hi­ger ma­chen, aber es gab kla­re Gren­zen und man er­reich­te nie das Maß an Em­pa­thie, was z.B. ein Kind mit sta­bi­ler Bin­dung im Klein­kind­al­ter er­wirbt. Das ist zu­ge­ge­benrma­ßen nicht das letz­te Wort der For­schung, aber man hat schon sehr va­li­de Er­geb­nis­se.

  24. @Norbert

    Frühkindlich/Kleinkindalter: Wel­cher Al­ters­ab­schnitt ist da ge­meint? Viel­leicht hängt es auch nur dar­an.

    Man kann die Sa­che mit dem IQ auch an­ders her­um se­hen: Wenn al­le gleich gut ge­för­dert wer­den, dann ist der ge­ne­ti­sche Un­ter­schied ent­schei­dend.

  25. @metepsilonema

    Wenn dich das The­ma in­ter­es­siert, es ist ge­ra­de ein Geo-Kom­pakt-Heft »In­tel­li­genz, Be­ga­bung, Krea­ti­vi­tät« er­schie­nen, u.a. mit Ar­ti­keln über die In­tel­li­genz­ent­wick­lung und mit ei­nem In­ter­view mit Ger­hard Roth.

    Wenn al­le gleich gut ge­för­dert wer­den, dann ist der ge­ne­ti­sche Un­ter­schied ent­schei­dend.

    Das stimmt, ver­lei­tet aber zu Spitz­fin­dig­kei­ten. »Gleich gu­te« För­de­rung be­deu­tet bei un­ter­schied­li­che Be­gab­ten näm­lich un­ter­schied­li­che För­de­rung. ;-)

  26. @metepsilonema
    Zur För­de­rung und In­tel­li­genz hat Köpp­nick schon rich­tig ge­schrie­ben, dass es kei­ne gleich gu­te För­de­rung bei un­ter­schied­li­chen Be­ga­bun­gen gibt.
    Rich­tig ist aber, dass die ge­ne­tisch de­ter­mi­nier­te In­tel­li­genz ei­ne ganz ent­schei­den­de Aus­wir­kung auf die ge­sam­te In­tel­li­genz hat. Dies ist durch die Zwil­lings­for­schung hin­rei­chend be­legt. An­son­sten gibt es auch heu­te noch in der In­tel­li­genz­for­schung ei­ni­ge Un­ge­wiss­hei­ten, ob­wohl im Prin­zip die For­schungs­er­geb­nis­se sehr va­li­de sind.

    Die Be­zeich­nung früh­kind­li­ches oder Klein­kind­al­ter wird syn­onym be­nutzt. Früh­kind­lich meint in der Re­gel von der Schwan­ger­schaft bis ca. 2 – 3 Jah­re. Die Ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gin Sa­bi­na Pau­en spricht aber vom Ba­by und Klein­kind in den er­sten Le­bens­jah­ren, hier wie­der­um bis 2/ Jah­re.
    Wie Sie si­cher wis­sen, gibt es für ganz be­stimm­te Lern­pha­sen so­ge­nann­te Zeit­fen­ster, zum Bei­spiel für das Fremd­spra­chen­ler­nen oder das Lau­fen­ler­nen oder Spre­chen­ler­nen etc. Die­se Zeit­fen­ster sind durch­aus in­di­vi­du­ell, wenn al­so die För­de­rung nicht in­ner­halb die­ses Zeit­fen­sters, son­dern ver­spä­tet ein­setzt, sind De­fi­zi­te un­aus­weich­lich und nur noch be­grenzt kor­ri­gier­bar.
    Die Psy­cho­lo­gin Ta­nia Sin­ger führt zur Zeit La­bor­ex­pe­ri­men­te zu die­sem The­ma durch und ist da op­ti­mi­sti­scher, was nach­träg­li­ches Ler­nen be­trifft. Aber die­se For­schungs­rei­hen lau­fen über Jah­re, so dass erst re­la­tiv spät die Er­geb­nis­se vor­lie­gen.
    Letz­ten Sonn­tag war im ZDF-Nach­stu­dio ei­ne in­ter­es­san­te Sen­dung zu dem The­ma. Man kann sie sich in der ZDF-Me­dia­thek noch ein­mal an­se­hen.

  27. @Norbert/Köppnick

    Dan­ke für den Hin­weis.

    Was heißt nicht gleich gut? Si­cher wird die För­de­rung nicht hun­dert­pro­zen­tig die­sel­be sein, aber Ta­len­te im Lei­stungs­sport, die früh ge­nug ent­deckt wer­den, ge­nie­ßen wohl ei­ne sehr ähn­li­che.

    Ich glau­be das so nicht (bzw. nicht für al­le Lern­vor­gän­ge). Ge­hen wir ein­mal da­von aus, dass Mu­si­ka­li­tät an­ge­bo­ren ist (auch wenn das so wahr­schein­lich nicht stimmt): Aber al­le me­cha­nisch-tech­ni­schen Fer­tig­kei­ten, die für das Er­ler­nen ei­nes In­stru­ments be­nö­tigt wer­den, wer­den selbst bei frü­he­ster För­de­rung spä­ter er­lernt und trai­niert (al­so nach dem 2. Le­bens­jahr). Es muss al­so noch Zeit­fen­ster ge­ben, die wei­ter »hin­ten« lie­gen.

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