Zum 9. November eine Erzählung von Durs Grünbein in der aktuellen Zeit; angeblich autobiografisch. Man wundert sich über die doch sehr hölzerne, uninspirierte und bleierne Sprache. Und so voller Klischees. Eine merkwürdige Blässe schlägt einem da entgegen, die auch nicht mit Lakonie verwechselt werden kann. Selbst die anfangs so penetrante Selbstinszenierung des Widerständigen ist nur hohles Wortgeklingel. Ich muss an ‘Schulaufsatz’ denken.
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Leider im Moment nicht online Dagegen dieses wunderbare »Road-Telling« von Henning Sussebach über den Deutschen und das Auto: Eine Liebe verschwindet. Zwar befragt Sussebach nicht direkt die seit Wochen kursierenden alarmistischen Szenarien und Zahlen, die natürlich nicht grundlos von der Automobilindustrie in die Medien geblasen werden (was davon ist notwendige Korrektur infolge massloser Überproduktion?), aber seine Methode, des Deutschen liebsten Fetisch anhand exemplarischer Begegnungen zu erfassen, ist bestes Feuilleton.
Der faradaysche Käfig für die durchschnittlichen 40 Tageskilometer als letztes Refugium. Wie selbstverständlich ist das inzwischen akzeptiert. Sussebach zitiert einen Verkehrspsychologen, der konstatiert, »dass unsere Umwelt nicht mehr nach dem Bedarf des Menschen gestaltet ist, sondern nach dem Bedarf des Menschen im Automobil«. Da passt die Aussage, dass wer auf dem Land an der Bushaltestelle sitzt entweder Kind oder Kauz ist.
Fast genial die Passage über den sakral daherkommenden Daniel Goeudevert, der sich als weintrinkender Wasserprediger entpuppt. Und draußen jagt ein BMW einen Mercedes der einen Audi jagt. Eine Liebe verschwindet? Nein, so schnell nicht.
Rübermachen, Rüberkommen...
Ich könnte mir vorstellen, Ihr Eindruck des Schulaufsatzmäßigen käme von dem allzu präsenten Bewusstsein der eigenen Bedeutung her, die dem guten Autor schon den einen oder anderen Text verhagelte. Es muss ja auch mindestens stets für’s Schulbuch genügen, also beispielhaft sein, mit den Fälligkeiten des Datums, es sollte alle zu nennenden Wesentlichkeiten enthalten, usw.
(Allerdings: Letztens gab es ein DLF-Feature über die Frage, was deutsche Schüler eigentlich so erfahren über 1989. Mehrmals kam es mir so vor, als die die O‑Töne eigentlich gar nicht für glaubhaft gehalten werden können, derart abstrus war dieses »Wissen« – pure Kolportage. Und da könnte dann so ein erwartbarer Text vielleicht doch das Richtige sein?)
Den gleichen Effekt erlebe ich bei Ingo Schulze. Vielleicht ist er ja wirklich ein guter Schriftsteller, und seine Art Blickwinkel das anzugehen, war mir auch anfangs mal sympathisch. Mittlerweile klingt auch er für mich seltsam fade, allzu voll von dem Bewusstsein des Weittragenden seiner Verstrickung mit dem Thema, die ihn dann künstlerisch allzu sehr an die Erwartbarkeiten fesseln.
Tellkamp würde ich eigentlich gerne lesen, weil er sprachlich UND metalitätsmäßig da ganz anders rüberzukommen scheint. Aber das Thema, das Thema...
Wahrscheinlich bin ich da ein Ignorant, aber mich INTERESSIERT es einfach nicht genug...
Ja, man merkt im Grünbein-Aufsatz deutlich, wie wichtig und gravitätisch er sich dabei vorkommt. Es gibt nur sehr wenige treffende Bilder; vieles ist hölzern. Schulze sehe ich ähnlich, obwohl ich die letzten beiden Bücher schon nicht mehr gelesen habe.
Bei Tellkamp ist es mir so gegangen, dass ich anfangs auch Vorbehalte hatte. Diese verflüchtigten sich jedoch nach wenigen Seiten. Man muss sich nicht für die Thematik interessieren, um die Ästhetik dieses Buches zu mögen (allerdings hilft es).
Es gibt dieses blöde Diktum, was Reich-Ranicki einmal im Literarischen Quartett ausgegeben hatte: »Es interessiert mich nicht« war sein Mantra. Ein Roman über einen Kellner, so sinngemäss, interessiere ihn nicht, weil ihn Kellner nicht interessierten. Ein Schriftsteller müsse sein Interesse wecken, d. h. er müsse so schreiben, dass ihn plötzlich auch die Befindlichkeiten eines Kellners interessierten. Ein bisschen ist ja was dran an dieser zugegebenermassen sehr einfachen Sicht (ausser die Eingangsthese: »Es interessiert mich nicht« ist noch nicht einmal ein Geschmacksurteil, sondern Ausdruck bräsiger Arroganz, weil man die eigenen Befindlichkeiten zum Maßstab erhebt).
Im Selbst-Widerspruch
Rasch das noch... weil ich da durchaus sehe, wie schwach meine Begründung eigentlich ist:
Ganz früh, als Wolfgang Hilbig erst mit seiner noch nicht so meisterlichen Prosa bei Fischer heraus kam, hatte ich angefangen ihn zu lesen – und mein Bezug (seinerzeit) zwischen seinen Sätzen und dem bewussten Thema (auch damals, anderswie latent hysterisiert) ist mir heute schon nicht mehr ganz klar.
Die Atmosphäre der Bedrückung durch Unfreiheit ist nahezu sinnlich, körperlich spürbar, im Gegensatz zu dem lichten Gedanken-Bauten und der Hellsicht dieser Literatur; und zugleich ist sie, obwohl die politischen Bezüge offensichtlich sind (und zugleich hoch verdichtet aufgelöst), als Literatur – Verzeihung für das hochtrabende Wort, aber ich weiß gerade kein anders – »existenziell«, das meint nahegehender, anonmyer und beispielhafter zugleich. Im Nachhinein – auch in Bezug auf Tellkamp – ist das eine für mich selber nun irritierende Einsicht, mich ausdrücklich nicht mehr zu interessieren.
Hätte man mir damals vorab »erzählt«, worum es geht, hätte ich Hilbigs Bücher vielleicht wegen dem »Thema« niemals zu lesen angefangen. Und ich wüsste auch nicht, was mir fehlt.
Fast OT
Für mich gilt – glaube ich: Wenn man mir zu genau »erzählt«, wovon Bücher handeln, dann verliere ich auch sehr oft ganz schnell das Interesse. Daher öden mich Rezensionen an, die in blosse Inhaltsangaben abgleiten. Leider stelle ich dann aber bei mir fest, dass ich ähnlich vorgehe. Also viel zu stark am Inhalt festhaltend. Aber lasse ich das aus, dann wirkt eine solche Besprechung all zu hermetisch. Bleibt nur noch die Methode à la Heidenreich: »Lesen!«