Und wieder flammt die Diskussion um eine Professionalisierung (die immer auch eine Monetarisierung sein soll) von Buchbloggern auf. Im März entdeckte Karla Paul in einer »Key-Note« die »Naivität des Feuilletons samt derer Redakteure« in Bezug auf Literaturblogger und empfahl diesen, endlich aus der »Flauschzone« auszutreten und sich entsprechend zu vermarkten. »Der Kauf ist nur einen Klick entfernt und die Leser vertrauen Euch längst weit mehr als jedem Journalisten«, so lautet denn die Parole und am Ende wurde der schwammige Appell vorgebracht »Vollprofis für die leidenschaftliche Hingabe« an Literatur zu sein.
Wie diese Professionalisierung genau aussehen soll, blieb im Dunkeln; Visionäre kümmern sich ja eher selten darum, wer den Müll runterbringt. Pauls Kämmerlings-Schelte ist aber nicht nur suggestiv, sondern abgeschmackt. Sie läuft darauf hinaus, das Feuilleton durch die Bloggerszene ersetzen zu wollen. Die Bedeutung des Feuilletons sinke ohnehin, so Paul. Der Befund ist zwar richtig, aber die Gründe hierfür liegen nicht darin, dass es Blogs gibt, sondern das innerhalb der Kulturseiten der klassischen Medien die Kriterien zu Gunsten eines eher trivialeren Literaturverständnisses aufgeweicht wurden. Pauls Argumentation hinkt auch dahingehend, weil sie (auch richtigerweise) feststellt, dass Blogger nicht in Strukturen des Feuilletons arbeiten. Insofern wäre ja eine direkte Konkurrenz (auch in punkto finanzieller Mittel) gar nicht vorhanden.
Als Beleg für den Niedergang des Feuilletons werden irgendwelche Clickbait-Zahlen von Portalen wie »Lovely Books« angeführt, die mit Literatur etwa so viel zu tun haben wie die Apotheken-Umschau eine seriöse Gesundheitszeitschrift ist. Besonders lächerlich wird es immer dann, wenn der Begriff der Literatur unterschiedslos für alle Genres angewendet wird. Man erkennt diesen Furor an dem schnell aufkommenden Elitevorwurf sehr leicht. Literatur sei für alle da, ereiferte sich Paul. Das stimmt zweifellos. Aber nicht jedes Buch, das sich Roman nennt und ein buntes Cover hat, ist deshalb schon Literatur. Der Spott von Oliver Jungen vom Sommer diesen Jahres beim Besuch einer Veranstaltung in Köln mit dem Titel »LitBlog-Convention« kommt zwar vom hohen Ross, ist aber nicht ganz falsch: »Romane haben für diese Szene nichts mit Stil und also Literatur zu tun, sondern allein mit Handlung, die am besten auch nur minimal variiert wird […] Je mehr es nach nutzergeneriertem Content aussieht, umso besser.»1
Wer aber Unterschiede nivelliert, wer Differenzen tilgt, wer Saša Stanišić, Esther Kinsky oder Christoph Ransmayr mit Charlotte Link, Frank Schätzing oder Paulo Coelho auf eine Stufe stellt und somit alle Genres gleich behandelt, dessen Urteil ist beliebig und wertlos. Denn gerade in der Differenzierung innerhalb den jeweiligen Genres liegt der Mehrwert für den potentiellen Leser. Kritisieren bedeutet dem Wort nach unterscheiden. Einen Jussi Adler-Olsen-Roman mit Thomas Pynchon zu vergleichen, ist Unsinn. Niemand würde ein Dessert mit der Vorsuppe vergleichen wollen. Adler-Olsen muss (zunächst einmal) innerhalb des Genres der Kriminalliteratur eingeordnet und kritisiert werden. Andernfalls hat man entweder keine Ahnung von Literatur oder hält Bestseller-Listen für Qualitätsausweise.
Ute Nöth hat nun in einem aktuellen Text nun tatsächlich Vermarktungsvorschläge für Buchblogger formuliert. Wie Paul geht sie selbstverständlich davon aus, dass jemand, der über Bücher Leseeindrücke und Urteile verfasst, ein Anrecht auf Bezahlung dafür hat. Das ist per se schon einmal sehr interessant und deckt sich auch mit dem Anspruch der meisten Schreibschulabsolventen, die nach dem Abschluss glauben, dass sie für ihre Texte nicht nur ein Recht auf Publikation, sondern auch auf monetäres Auskommen erworben haben. Aber nicht jeder Absolvent eines Hochschulstudiums kommt anschließend in seinen Wunschberuf. Prekäre Verhältnisse gibt es bei Journalisten, Rechtsanwälten, Lehrern und auch BWL-Absolventen. Garantien gibt es schon lange nicht mehr. Warum sollte dies bei Schreibern anders sein?
Aber man lasse sich auf Nöths Ideen ruhig ein. Blogger könnten, so Idee, beispielsweise »gegen Bezahlung« Autoren interviewen. Dies machen ja durchaus auch die professionellen Literaturkritiker. Gehen wir einmal davon aus, dass der Blogger/die Bloggerin ein umfassendes Wissen über das Werk des zu befragenden Autors hat, so würde die Bezahlung vom jeweiligen Verlag bzw. dem Veranstalter (dessen Interessen meist mit denen des Verlags identisch sind) geleistet. Die Neutralität, oder, um es griffiger zu formulieren: die Möglichkeit der kritischen Befragung, wären eingeschränkt. Das gilt natürlich nicht nur für den Blogger; auch der professionelle Kritiker wird auf diese Weise befangen. Wie der aktuelle Fall Scheck / Kracht zeigt, wird dies auch im Feuilleton inzwischen argwöhnisch betrachtet. Auch die Reiseveranstaltungen, die Verlage mit Kritikern und Autor inszenieren, bekommen inzwischen einen Hautgout. Die Glaubwürdigkeit des professionellen Kritikers als halbwegs neutrale Instanz schwindet spürbar. Sollen Blogger also Kritikern nacheifern und sich zu Sprechpuppen von Autoren und Marketingabteilungen von Verlagen degradieren lassen? Läge nicht gerade in der Unabhängigkeit ein Alleinstellungsmerkmal zum »Betrieb«?
Ähnliche wäre die Lage, wenn Blogger Texte (für Geld) auf Verlagsblogs schreiben würden. Auch hier kann dann irgendwann keine seriöse Auseinandersetzung mit einem Verlagsprodukt stattfinden. Abgesehen davon bliebe die Frage warum Verlage auf BloggerInnen zurückgreifen sollen, die, wie Nöth zu Beginn ihres Textes schreibt, eigentlich kaum miteinander vernetzt sind und relativ wenige Leser haben. Auch der Punkt, dass Blogger Verlage beraten sollen, zeugt von gesundem Selbstbewusstsein.
Nöths Vermissen einer »Königsklasse« der Blogger ist auch nicht ganz korrekt. Tatsächlich gibt es Versuche, Literaturblogs mit klassischen Medien und Rezensionsplattformen zur verknüpfen. Das bekannteste Beispiel ist der »Metablog« lit21.de, der vom Perlentaucher kuratiert wird und Beiträge von derzeit genau einhundert Medien anteasert. Neben den üblichen Verdächtigen trifft man durchaus auf interessante, nicht überall zu findende Angebote. (Interessant ist hier allerdings auch, welche Blogs und Plattformen nicht verlinkt werden.)
Es mag auf Dauer ärgerlich sein, wenn intensiv ausgearbeitete Texte zu Büchern nicht in der Art und Weise belohnt werden, wie dies mit den leider gefühlt immer schlampiger werdenden Rezensionen im Feuilleton geschieht. Es sei am Rande erwähnt, dass das professionelle Kritikertum nicht immer ein Spaß ist. Um auf der Höhe zu bleiben, müssen die Romane der großen Verlage mindestens angelesen werden. Ein Pensum von 200 oder mehr Büchern im Jahr dürfte dabei keine Seltenheit sein; die meisten Kritiker lesen allerdings die Bücher nicht bis zum Schluss. Blogger betreiben ihre Seiten zumeist semi-professionell; es ist zwar unter Umständen längst mehr als ein Hobby, vielleicht sogar eine Berufung, aber der Impuls, hiermit Geld zu verdienen, ist womöglich nicht die Ursache für den Blog gewesen. Ihre »Durchdringung« des Neuerscheinungsmarktes ist nie derart wie beim professionellen Kritiker. Hierin liegt allerdings – auch wenn es zunächst paradox klingt – ein Vorteil: Indem man eben gerade nicht den Marketing-Angeboten der Verlage zu folgen hat, kann man sich auf bestimmte Autoren oder Genres konzentrieren. Einige Blogger machen dies (ob einem das Genre passt oder nicht, spielt dabei ja keine Rolle).
Paul und Nöth sprechen eher die Blogger an, die sich – wie auch immer – in die Höhle der Löwen begeben wollen. Hierzu gab und gibt es in den letzten Jahren einige Aktionen. Ich denke vor allem an das Buchpreisbloggen. Hier wird die Nähe zum Feuilleton – ob man will oder nicht – manifest. Leipzig hat allerdings nach nur einer Saison das Buchpreisbloggen eingestellt. Und wenn man die letzten beiden Sessionen zum Deutschen Buchpreis Revue passieren lässt, bleibt das Bild von eher hektisch agierenden SchreiberInnen, die versuchen, möglichst viele Bücher in der kurzen Zeit zwischen Long- und Shortlist und der Preisverkündung zu besprechen. Die Frage stellt sich aber, warum man von den Büchern, die im Feuilleton rauf und runter rezensiert werden, auch noch eine eher pflichtschuldige Rezension eines Bloggers lesen soll, der vielleicht gar nicht die nötige Muße hatte und »nur« seinen Stapel »abarbeitet« (das kennt man ja von den »Profis« zur Genüge).
Dennoch gehen die Versuche einzelner Blogger sich in das Establishment des Betriebs einzuweben weiter. Mit der »Blogbuster«-Aktion werden sie zur Jury, die von ihnen ausgewählte Manuskripte an eine (sogenannte) Fachjury weiterleiten. Dort wird dann der Sieger, der »Preis der Literaturblogger« heißt, ausgelobt. Eine Art Talent- bzw. Anfängerwettbewerb. Als gebe es nicht schon genug Neuerscheinungen jedes Jahr. Auf Facebook wird die Aktion sogar gesponsert; einige der Blogger plaudern inzwischen aus dem Nähkästchen, was in einem laufenden Wettbewerb etwas ungewöhnlich erscheint.
Dass Blogger dauerhaft an den Betrieb andocken und ihren Lebensunterhalt verdienen können, erscheint in Anbetracht der Marktstrukturen schwierig. Ein alter Witz geht dahin, dass es bald mehr Neuerscheinungen im Jahr geben wird als Leser. Man könnte die Pointe ähnlich in Bezug auf Rezensionsschreiber und potentielle Leser setzen. Mit einer Professionalisierung, die auf Kommerzialisierung setzt, die vorrangig Klickzahlen- und Reichweitenoptimierung betreibt um Everybody’s Darling zu sein, wird man am Ende nur einer oder eine unter den vielen »Zirkulationsagenten« (Enzensberger) sein. Damit ist übrigens nicht gemeint, dass man ehrenrührig dokumentieren muss, wenn man vom Verlag ein Leseexemplar erhalten hat. Das ist ein normales Prozedere und jeder seriöse Schreiber wird sich davon nicht beeinflussen lassen. Aber die Idee, Verlage sollen Blogger darüber hinaus »unterstützen« und mit ihnen »1:1‑Absprachen […] treffen«, ist – pardon – pervers. Der Blogger als Marketingmaschine dient nur dem Verlag. Die einzig akzeptable Professionalisierung der Blogger liegt darin, sich mit den Autoren und Themen zu beschäftigen, über die man sich in vielen Lesejahren einen gewissen Fundus erworben hat, der den Feuilletonisten womöglich fehlt. Die Kernkompetenz liegt nicht im Generalisieren, sondern im Spezialisieren und dem Verfassen von instruktiven, leidenschaftlichen und kenntnisreichen Kritiken. Hier entstehen am Ende vielleicht auch Nischen für den ein oder anderen bezahlten Beitrag, für den man seine Seele dann nicht verkaufen muss.
Oliver Jungen in der F.A.Z. vom 06.06.2016: "Wie entsteht ein Mega-Bestseller?" ↩
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Wenn »der Blogger« im Regelfall kein Profi ist, formal-fachlich wie monetär, dann stellt sich die Frage, warum er diesem Zustand, der ihn weitgehend frei von äußeren Zwängen hält, aufgeben sollte. Wenn man seine Nische und seinen Rhythmus gefunden hat, dann fällt mir – neben monetären Aspekten – eigentlich nur die Reichweite ein, die ein hinreichender Grund sein kann; sicherlich findet man leichter mehr Leser, wenn man einen Blog z.B. unter dem Schirm der FAZ betreibt (aber wahrgenommen wird man dann bereits anders). — Ich halte eine Bündelung mehrerer Autoren auf einer Plattform, die sich im besten Fall auch für das Schreiben von Kommentaren nicht zu schade sind, für einen viel interessanteren und fruchtbringenderen Ansatz, als den eh schon zum Überdruss vorhendenen Lauf der Dinge.
Naja, die FAZ braucht natürlich keinen Rezensions- oder Literaturblog, weil die dafür ein Feuilleton haben. Mit den Bloggern deckt man andere Themenfelder ab. Die Reichweite ist immer ein Problem – auch im klassischen Feuilleton. Mir hat man mal erzählt, seit bei Onlinepublikationen die Klicks gezählt werden, backt das Feuilleton kleine Brötchen. Es entsteht allenfalls ein Markt für Trivial- und Unterhaltungsromane und da ist man ganz schnell auf das Niveau von dem, was Oliver Jungen ansprach.
Ein Literaturforum wäre in der Tat sehr interessant. Aber wenn jeder sein eigener Herr bzw. seine eigene Dame sein kann, wird dies nicht praktiziert. Hinzu kommt, dass einige Buchblogger derart miteinander vernetzt sind, dass sie sich gegenseitig kommentieren. Geld kann damit auch nicht per se verdient werden, es sei denn, man betreibt Werbung oder finanziert sich über Amazon-Verkäufe. (Letzteres ist ein mühsames Geschäft. Inzwischen buhlt sogar der Perlentaucher, dass man über seine Webseiten Bücher kaufen soll.)
Ich weiß nicht, ist das nicht oft eher ein »der eigene Herr und Dame sein müssen«?
Viele Blogger sind, obwohl sie alle für sich sind, gut miteinander vernetzt. Sich in einem Forum neuen bzw. ergänzenden Regeln zu fügen, wird nicht als besonders attraktiv empfunden. Ich kann das verstehen.