In den 70er Jahren wurde im deutschen Fernsehen die Serie »Catweazle« ausgestrahlt. Ein Zauberer – eben jener Catweazle – wurde vom 11. Jahrhundert in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts »versetzt«. Die Komik bestand darin, dass er all die uns selbstverständlich gewordenen Errungenschaften der Technik (Strom, Telefon, Autos) anfangs für Teufelszeug hielt, versuchte mit Zaubersprüchen zu bannen und später dann zur Magie erklärte.
Marcel Reich-Ranicki muss sich am Samstag bei der Gala zum Deutschen Fernsehpreis wie Catweazle gefühlt haben. Was dort für preiswürdig befunden wurde, hat ihm vermutlich einen Kulturschock grösseren Ausmasses beschert. Wie es heisst, wollte der für sein Lebenswerk preiswürdig empfundene Reich-Ranicki irgendwann einfach gehen. Damit er nicht zu sehr leiden musste, zog man seine Preisvergabe vor. Der Rest ist bekannt.
Reich-Ranickis Aficionada, Elke Heidenreich, die sich hinsichtlich der Laudatio übergangen fühlte, liess in einem selten dummen Text in der FAZ ihrer Wut freien Lauf. Heidenreich schämt sich ihres Senders und entblödet sich nicht, sich als Opfergabe zu präsentieren. Sie sollte sich lieber einmal ihrer Pseudoliteratursendung schämen.
Wie dem auch sei: Reich-Ranicki und Heidenreich ernteten von vielen Zustimmung und Applaus.
Reine Geschmackskritik
Dass das Fernsehprogramm auch und vor allem der öffentlich-rechtlichen Medien in vorauseilender Anbiederung sich immer mehr den dubiosen, aber teilweise erfolgreichen Angeboten der sogenannten Privatsender nähert, ist eine Binsenweisheit. Um sich hier vollends austoben zu können, gibt es Sparten- und Nischensender oder Sendezeiten von 00.30 Uhr oder später. ARD und ZDF sind längst quotenorientierte Marktteilnehmer geworden, die mit dem ein oder anderen geschickt platzierten Stück noch Qualitätsfeigenblätter produzieren.
Reich-Ranickis hat also letztlich nur das ausgesprochen, was Legionen von Fernsehkritikern seit geraumer Zeit immer wieder feststellen. Da die Zuschauer aber in den seltensten Fällen Fernsehkritiken lesen, kommt ihnen der catweazlende Reich-Ranicki (und seine Touchwood Heidenreich) wie eine Offenbarung vor. Dabei machen beide nichts anderes als das, was sie seit Jahrzehnten schon machen: Sie üben Geschmackskritik. Eine Geschmackskritik ohne jedes Argument und fern jedes ästhetischen Anspruchs.
Hinzu kommt, dass Reich-Ranickis Urteil ohne überflüssige Differenzierungen auskommt. DAS Fernsehprogramm ist SCHLECHT – so schallt es uns entgegen (ausser das »arte«-Programm). Diese Meinung ist ausgesprochen populär, etwa so, als würde man pauschal über Politiker, Journalisten oder Wirtschaftsbosse herziehen. Reich-Ranicki und vor allem Heidenreich sind Populisten. Die neigen zu Vereinfachungen.
Man sollte aber pauschalen Urteilen immer mit Skepsis begegnen, das lohnt sich meistens. Im konkreten Fall wäre zu fragen, was Reich-Ranicki vom Fernsehen erwartet oder welche »arte«-Sendungen er gesehen hat. Etwa die Diskussionsrunden mit Thomas Kausch? Oder welche Sendungen auf »3sat« das Programm nach unten ziehen (mir fielen ja welche ein, so ist das nicht).
Reich-Ranicks Rede offenbart zunächst nur: Mir gefällt diese Veranstaltung nicht und mir gefallen diese Preisträger nicht. Er schliesst von der Veranstaltung auf das Programm an sich. Er spricht vom »Blödsinn«; Frau Heidenreich findet nur Vokabeln wie »verblödet« oder »kulturlos« – letztlich alles nur Behauptungen. In dem beide nur Geschmackskritik mit dem Holzhammer äussern (die meine Oma auch hätte äussern können), begeben sie sich auf das gleiche Niveau wie diejenigen, die sie kritisieren. Denn Geschmacksurteile sind auch immer ein bisschen tautologischer Natur. Etwas gefällt nicht, weil es nicht gefällt. Das erinnert an »früher war alles besser« – und das soll es auch. Damit enthebt man sich von der Notwendigkeit, sein Urteil argumentativ stützen zu müssen. Argumentieren war übrigens noch nie eine Stärke von Reich-Ranicki.
Schmierentheater – von (fast) allen Seiten
Die Reaktionen des Betriebs sind nach dem ersten Schock auch entsprechend. Die Schwächen der vorgebrachten Polterei werden offenbar. Der Komiker Bastian Pastewka versucht wenigstens eine argumentative, ein bisschen ehrpusselige Verteidigungsrede (er scheint jedoch zu sehr involviert). Andere reagieren reagieren pampig (Pro7, RTL) oder arrogant (WDR-Intendantin Piel); Schächter (ZDF) sagt sicherheitshalber gar nichts.
Aus der versprochenen einstündigen Sendung wird auch nichts – es sind 30 Minuten. Gottschalk und Reich-Ranicki diskutieren über das Fernsehprogramm. Bleibt zu hoffen, dass die Sat-Anlage von Gottschalk bis Malibu funktionierte und sich Reich-Ranicki noch ein paar Folgen DSDS angesehen hat. Aber Bücher hat er ja auch oft genug kritisiert, ohne sie gelesen zu haben.
Danach wird es zur Versöhnung kommen. Reich-Ranicki, der den Fernsehpreis wie weiland Catweazle den »Zauberknochen« (das Telefon) von sich geworfen hat, wird ihn annehmen und alle haben sich wieder lieb. Dieses Schmierentheater hat dann wieder Chancen, einen nächsten Fernsehpreis zu gewinnen.
Reich-Ranicki hat mit seiner Schimpferei der seriösen Fernsehkritik einen Bärendienst erwiesen. Das werfe ich ihm nicht vor; er ist 88 Jahre alt und wollte einfach nach Hause. Aber um Nektar aus der »Standpauke« zu saugen, taugt dieser Pauschalangriff nicht (und erst recht nicht das erbärmliche Gemaule von Frau Heidenreich).
Vorschläge für neue Strukturen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen liegen vor. Beispielsweise von Christian Bartels, der eine Zusammenlegung der Dritten Programme und Neuordnungen vorschlägt, die allerdings eher in Richtung verstärkter, aber dann wirklicher Nischenprogramme gehen. Ein 3sat-Programm ohne Kochshows rund NDR-Talkshow Übernahmen beispielsweise. Man könnte Endlos-Sonntagsnachmittagsübertragungen vom Biathlon, Skilanglauf oder (im Sommer) von pharmazeutisch aufgepeppelten Radsportlern in einen separaten Sportkanal verschieben und den gesetzlich vorgeschriebenen Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen endlich einmal wieder in den Mittelpunkt stellen. Man könnte eine Art »TV-Quartett« zur Primetime ausstrahlen, in dem wirkliche Fernsehkritiker (z. B. Stefan Niggemeier, Hans Hoff) seriös über Programme diskutieren. Oder die rund einhundert öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme straffen.
Über die Form könnte man wieder zu neuen, besseren, kreativeren Inhalten kommen, ohne immer mehr Geld fordern zu müssen. Es gilt nicht, den Zuschauer permanent zu belehren, sondern Angebote zu machen, die sich deutlich vom Affektfernsehen einiger privater Angebote unterscheiden. Wer meint, das hätte keinen Erfolg, kann auch gleich die »Bild«-Zeitung zum Vorbild für alle anderen Zeitungen deklarieren.
Ergänzung 16.10.08: Frau Heidenreich nimmt weiter Preise an, wie man hier nachlesen kann. Von dem Sender, dessen sie sich einige Tage vorher noch schämte, fordert sie jetzt einen besseren Sendeplatz für ihre Sendung. Was für eine Heuchelei, die in »business as usual« mündet.
Ergänzung 24.10.08: Frau Heidenreich wurde vom ZDF gefeuert. Dieser Schritt ist zwar logisch, aber dumm. Sie wird jetzt zur Märtyrerin. Stefan Niggemeier meint, das ZDF habe sich ein Armutszeugnis ausgestellt. Kann man so sehen. Friedrich Küppersbusch sieht das ein bisschen anders. Und Marcel Reich-Ranicki wendet sich gegen Heidenreich. Sie habe gegen Gottschalk intrigiert. Wer Heidenreichs Text liest, kann sich das sehr gut vorstellen.
Ich erwarte vom Fernsehen unterhalten zu werden; und das machen, naja probieren, die auch. Aber das Niveau gleitet ab, und alle finden sich ganz toll dabei. Plötzlich sind alle Stars. Da ist hier der Star aus der Sendung eingeladen, und da kommt wieder der Star aus dieser Sendung.
Naja, ein Star ist ein Stern – da gibt es Millionen am Himmel; aber nur wenige leuchten sehr hell.
lg
Sandra
»Unterhalten« und »Niveau« müsste definiert werden.
Diese Definition ist doch simpel...
Ja, bei ihm ist (war) immer alles simpel... (Was seine Popularität begründet. Letztlich sind die Grautöne nur »störend«.)
Das ist fein beobachtet
Ich kann leider nix zum Artikel beisteuern, denn alles ist gesagt und alles entspricht voll meiner Sicht dieser aufgeregten Angelegenheit; auch und gerade, was die Qualität von Touchwood Heidenreich angeht. Drum lass’ ich nur (nur? sorry) Loriot sprechen: Das ist fein beobachtet.
Loriot ist immer gut. (Er fehlt. Sehr.)
Ja doch, das Fernsehprogramm ist schlecht, meistens sogar grottenschlecht und noch öfter unerträglich – eine Binsenweisheit. Peinlich ist allerdings auch so ein „Eklat“, wie ihn MRR beim Fernsehpreis inszeniert hat. Jedenfalls schien mir MRR noch nicht so vertrottelt, als dass er nicht gewusst hätte, zu welcher Veranstaltung er eingeladen worden war. Schließlich fand die Veranstaltung „Deutscher Fernsehpreis“ ja nicht zum erstenmal statt und das Niveau ist bekannt. Die „Entrüstung“ MRR’s war geplant, ein kalkulierter Auftritt eines eitlen Selbstdarstellers. Wenn man mit so einem Preis nichts zu tun haben will, so lehnt man ihn halt im Vorfeld ab und das wars. MRR hat bekommen was er wollte, ein Rascheln in der Medienlandschaft und aktuelle Publicity für den Film über – genau – MRR.
Ich glaube, MRR hat nicht so genau gewusst, worauf er sich da einlässt. Schlimm waren ja auch nicht unbedingt die Preisnehmer, sondern die »Performance« und die Art und Weise.
gesellschaftliche Schmiere für Millionen
Es bleibt doch ein Unding, dass die Leute, die da arbeiten nicht sehen wollen, was für eine Scheiße sie produzieren – wenn es Scheiße ist, nutzt auch kein sachlicheres, entblödenderes Vokabular, man muss es erst mal eine Zeit lang unentwegt Scheiße nennen (dürfen)!
MRR war Jahre lang einer von ihnen und hat sich immanent geäußert: Es geht nämlich anscheinend nur, wenn auch das im Fernsehen passiert, in Bildern (der gestikulierende Greis als seine eigene Marke), und vor eben der Riege der „Prominenten“, deren aufmerksamkeits-parasitäre Existenz sich zirkelschlüssig den Betriebsidiotismen verdankt, die wir, die Zuschauer, in diesem Rahmen produzieren. (Denn auch wir wollen anscheinend auch für jede Petitesse Glamour und ein bisschen Hollywod-Nacht.)
Vielleicht ist das alles gar nicht so viel anders, wie eine Neuordnung der Finanzmärkte nicht ohne Exzess-Fall, also argumentativ-mindestwertige Pleiten passiert. (Und mit populären Forderungen nach einer Begrenzung der Managergehälter, als wollte nicht jeder Piefke auch seine Million. Was machen die mit meiner GEZ??? Zahl ich wirklich für all diese Zombies???)
Tatsächlich scheint mir der Patient schon tot, da er sich aus seinen Betriebsgewissheiten ja gar nicht mehr befreien kann und das von außen schon gar nicht mehr erlaubte. Lutz Hachmeister etwa sagt seit Jahrenzehnten, was man tun könnte – und er hat intimen Zugang auch zu den Landesfürsten (Intendanten). Die „Professionalisierung“ (= „Herunterdemokratisierung“ [Botho Strauß] = Kannibalisierung der Inhalte bei gutem Benchmarking) einer ehemals einem betulichen Bildungsauftrag verhafteten Denkweise ist nicht mehr umzukehren hin zu einem „Guten“. Was sollte das sein? Auch das Gut-Gemeinte verhindert die Kunst.
(Manchmal juckt es mich, von den Zynismen zu erzählen, die ich einmal als Hiwi in der einen oder anderen Redaktion mitkriegte... aber das wäre auch kein „Argument“. Und diese magazinierte „Kultur“ aus Gemeinplätzen wie sie eine tägliche „Kulturzeit“ produziert, der oft in kaum einer Sendung einmal etwas Festhaltenswertes gelingt, ist einfach nur überflüssig. Jedenfalls wäre mein „Anspruch“ auch da längst ein anderer. Keiner weiß doch mehr, was „Qualität“ noch ist.)
Und ist es nicht so, dass eine argumentative Aufbereitung der Funktionalismen von dem, was man da allabendlich geliefert bekommt, kaum zu machen ist? Wenn einer Tele Favelas sehen will, interessiert ihn keine Kritik – und was soll sie ihm nützen? Und wer denkt denn überhaupt an diese Millionen im televisionären Outback bei den Sendern, von denen jeder weiß, dass es sie nicht geben muss? Und wenn andere sich für informiert halten, wenn sie Kurz-Meldung-Verlesungen mit dem üblichen Bildhintergrund händeschüttelnder Seriendarsteller der politischen Bühnen sehen (oder eben all die anderen Aufsager und „Talking Heads“ der so genannten Öffentlichkeit) – was ist dann Information? Das alles steckt in der Kiste selber. (Die Idee mit der Magie des Catweazle... habe ich leider nie gesehen... scheint mir da nicht so unpassend; Fernsehen ist primär Träumen, und zwar mit offenen Augen, Fernsehen ist Lebensersatz – alles andere wären nur Nebeneffekte. Und folgerichtig gibt es für manche eben nur Nischenprogramm.)
Ich glaube, es stimmt etwas mit der Rezeption dieses Mediums nicht. Das Medium ist seine Botschaft und kann es gar nicht besser wissen. Insofern ist dann so eine interne Sollbruchstelle wie MRR in so einer Gala, die ja tatsächlich ein Skandal in sich selber ist, vielleicht doch die richtige Stelle für den Unmut. Dass er eine dubiose Figur wäre, okay, aber da irgendwas besser zu wissen wäre gar nicht seine Aufgabe. Immerhin ist er nicht aufgetreten als ein debiler Prominenter, sondern als sein eigenes (besseres?) polterndes Selbst. Und das ist schon was! Dass er dafür sorgen kann, dass es eben da auch mal auffällt, wo die Scheiße produziert wird. Von keinem dieser Leute im Zaum ihrer verinnerlichten Spielregeln wäre da irgendwas zu erwarten gewesen. Und dann wird das auch noch Tageschau-relevant, „verbreitere Nachricht“, deutschlandweit! (An mir etwa wäre sonst auch „die Gala“ vorbeigegangen.)
Und man fasst es ja nicht, Millionen sitzen immer noch allabendlich staunend offenen Auges davor...
Der Charme von Catweazle liegt darin, dass für ihn unsere Selbstverständlichkeiten Teufelszeug sind. Er kann es nicht anders machen, als sich vor dem elektrischen Licht verkriechen. Dröselt man die (Kinder- und Jugendserie) auf und reduziert sie nicht auf die Lächerlichmachung dieser Figur, so könnte sie den naiven Blick auf die technisierte Welt (immerhin auch schon fast 40 Jahre alt) öffnen und vieles als »Wunder« entdecken. Das war aber nie gemeint. Ich glaube, diese Interpretation wäre ein Missverständnis, oder, besser noch: ein Kollataralverständnis, was in diesem harmlosen Spass nicht intendiert war.
MRR zeigt sich als Betroffener; tatsächlich nicht debil. Er bleibt sich treu (fällt Geschmacksurteile). Schaut man sich einige Preisträger des Fernsehpreises an, ist das mitnichten Blödsinn (ausser vielleicht DSDS und die unsägliche Frau Ferres). Vieles ist biederes Mittelmass, aber nicht so erschreckend, wie es scheint. Für jemanden, der jedoch kaum schaut, ist das natürlich ein Kulturschock.
Was ich an dem Vorfall interessant finde, ist die Vereinnahmungstechnik. Man kann MRR nicht für verrückt erklären. Ignorieren kann man ihn auch nicht. Also umarmt man ihn, um ihn damit gefügig zu machen. Man macht es nicht zu Nutze, dass der Mann so alt ist; die Konfrontation war zwar echt (glaube ich), aber billig (ohne Risiko und ohne Konsequenzen). Mit Gottschalk über das Fernsehen reden, das ist so ergiebig, als würde ein Blinder einem Tauben etwas vorlesen.
Zur »Qualität« habe ich eine leicht andere Meinung. Zwar ist der Begriff dehnbar, aber warum man nicht wenigstens versucht, qualitativ höhere Sendungen zu besseren Zeiten zu senden, erschliesst sich mir nicht. Die Quoten wären gleich (oder besser); nur der Fetisch »Marktanteil« nicht. Darauf sollte man scheissen. Nicht immer, aber durchaus auch einmal mehr.
Die Sendung war vorproduziert, sodass man erstens den Skandal vorher öffentlich machen (Quote!) und dann zweitens überlegen konnte, ob und wie man ihn zeigt, die Aufzeichnung umschneidet etc. pp. Das sagt eigentlich schon sehr viel über das heutige Medium »Fernsehen« aus, es ist nicht authentisch. Wo es authentisch ist (Reality-TV), ist es billig. Ich habe mir die Sendung aufgenommen und bis zu MRRs Auftritt in Teilen (den Rest im schnellen Vorlauf) angesehen. Diese Selbstbeweihräucherung der Medienleute fand ich abstoßend und Gottschalks Anbiederung an MRR widerlich. Da sie ja vor dessen Rede stattfand und man dort nichts nachgedreht hat, allein das schon kafkaesk. Aber nach den Ankündigungen in den Medien über den Skandal, ohne den ich die Sendung überhaupt nicht angesehen hätte (Quote, genau!), war MRRs Auftritt bestürzend. Mein Eindruck: Ein alter Mann, schon leicht verwirrt – und sowohl übertragen als auch wortwörtlich im völlig falschen Film. Und bei seinem Ausbruch schwenkte die Kamera auch ins Publikum, zu den Selbstbeweihräucherern. Dort alles zu sehen zwischen ein bisschen Betroffenheit über das Gestammelte und ein bisschen Mitleid mit dem alten Mann.
Stefan Niggemeier fragt hier, ob durch das Entfernen »wichtiger« Elemente (die grausigen), die wesentlich zur Verärgerung von MRR beigetragen haben dürften, nicht generell ein falsches Bild entsteht. Er gebraucht das Wort Wahrhaftigkeit. Ich glaube das nicht, weil ich mir bei einem Flugzeugabsturz mit 150 Toten so etwas auch ohne die Toten gesehen zu haben, vorstellen kann. Der eigentliche Eklat war dann wohl nicht geschnitten.
Gottschalk hatte am Donnerstag bei »Schmidt & Pocher« von seinem »Freund« Reich-Ranicki gesprochen. Dass er nicht weiss, was eine Laudatio ist hat man gemerkt, aber – o Wunder – der alte Mann zeigte sich mit T.G. milde (was für mich die Verwirrtheit zeigte).
Quotenmässig wurde es wohl erst nach dem Tatort-Krimi besser. Natürlich ist MRR eitel – er ist es immer gewesen. Warum sollte sich das ändern? Im vergangenen Jahr war die Übertragung glaube ich live. Das wollte man den Zuschauern irgendwie doch nicht mehr zumuten.
Man kann gegen das Fernsehen ja einiges sagen. Aber bis Sonntag mittag hielt sich auf tagesschau.de und SpOn die Aussage, die Fernsehpreis-Figur, die MRR abgelehnt hatte, sei »seiner Tochter« übergeben worden. Das Problem wurde leider nicht ausreichend thematisiert. Das wäre dann die wirkliche Sensation gewesen. Reich-Ranicki hat nämlich keine Tochter.
hier ein link zu Catweazle
http://en.wikipedia.org/wiki/Catweazle
ja viel amüsanter als all das reichs-kanickel [so nenn ich diesen
lukacs für arme leut schon seit jahren] zeug und der Tohuwabohu darum. dass er eitel ist, ein bisschen davon gehört schon zu der sache. was man ihm nicht verzeihen kann ist geistige Faulheit und die niedrigesten giftigkeiten und zerstoerungs Manöver. dass der auch im polnischen geheimdienst war sieht man ihm an. von walter benjamin und vielen anderen grossen deutsch-jüdischen Kritikern zu MRR – so raecht sich die Geschichte in dem Sie ihnen einen Provinz Literatur Pabst beschert. Ein bisschen unfair von mir geb ich zu, aber der ist schön abgebrüht. apropos Geschmack: über was sonst kann man sich eigentlich streiten. siehe adorno dazu.
Die Ablehnung der Massenkultur ist natürlich Adorno geschuldet. Obwohl MRR dem akademischen Betrieb mindestens genau so skeptisch gegenüber steht. Er konnte aufgrund der Nazis kein Studium aufnehmen und hat es auch später auch nicht getan. Die Ehrendoktorangebote hat er angenommen
Hier noch einmal der Streit mit Löffler. »Das kann ich nicht beurteilen«, sagt MRR und beurteilt es dann. Ab 7:45 wird er dann extrem ausfällig. Leider ist das Video zusammengeschnitten. Am Ende ist sie den Tränen nahe. Und dieser Mann ereifert sich über den »Blödsinn« im deutschen Fernsehen.
Schöner Text Gregor, sehr geordnet, ich hätte gerne noch weiter gelesen.
Über Elke Heidenreich schimpfst Du für meinen Geschmack etwas zu viel, sie hat durchaus auch Sachen (eher Details) angesprochen, die sonst unter den Tisch gefallen sind. Etwa die arrogante und trotzige Reaktion Schreyls und der DSDS-Produzentin, die für sich genommen Bände sprechen. Oder die Bemerkung Gottschalks, er wünsche dem Ausreißer-Format noch mehr Ausreißer (die sicher nicht satirisch gemeint war, und wenn wäre sie unzutreffend): Angesichts der schwere der dort gezeigten Schicksale ein ziemlicher Hammer.
»Man könnte eine Art »TV-Quartett« zur Primetime ausstrahlen, in dem wirkliche Fernsehkritiker (z. B. Stefan Niggemeier, Hans Hoff) seriös über Programme diskutieren.«
Ohja, bitte... das würde ich lieben!
Außerdem sollten die ÖR einfach die Formate der Privaten übernehmen (Casting/Reality) und mit Niveau füllen: also etwa eine Bewerber-Show für einen Posten als Intendant am Theater (könnte einem kleineren Provinztheater auch direkt die Kassen füllen) oder ein Gesangswettbewerb bei dem man auch mal Klassik singt und was über Musikgeschichte erfährt oder ein Wettrennen durch die Kulturhauptstädte Europas usw. .
Ja, ich gebe zu, dass mir gelegentlich bei der Heidenreich der Gaul durchgeht. Dass sie in ihrer Sendung auch einmal ein gutes Buch empfiehlt, hält mich nicht davon ab, ihre Methodik und ihren Zahnarztgattinen-Geschmack zu kritisieren. Wenn sie sich für ihren Sender schämt, dann soll sie die Konsequenzen ziehen und nicht über die Niveaulosigkeit von Sachen schimpfen, von denen sie keine Ahnung hat.
Was die Übernahme der Formate durch die ÖR angeht, bin ich skeptisch (und zwar nicht nur aus sicherlich vorhandenen rechtlichen Gründen). Teilweise hat man das ja gemacht (mit den der Pilawa-Quizsendung z. B.). Die Idee mit der Suche nach einem Theaterintendanten klingt allerdings flott. Das wäre etwas für Lokalsender: Die Kandidaten stellen sich in einer Casting-Show dem Publikum. Wobei: Es muss nicht immer gut sein, was die Mehrheit des Publikums wählt (womit wir dann wieder beim Thema sind).
Der Catweazel-Vergleich gefällt mir sehr. Vielleicht hat ja Löwenzahn, ein weiters Tv-Relikt der 70/80 Jahre, die Lösung der beschriebenen Problematik schon vor Jahrzehnten gefunden:
»Abschalten!«
Als Ergänzung.
Sonst sehe ich mich in meiner »Nicht-Fernsehhaltung« bestärkt (auch wenn das zugegebenermaßen billig ist).
Ja, ich habs gelesen.
Ich weiss nicht, ob eine Anti-Fernsehhaltung billig ist. Sie ist en vogue – und hat durchaus seine Berechtigung. Einer meiner besten Freunde hat seit Jahren keinen Fernseher mehr; er hört viel Radio (DLF etc). Er war überrascht, als ich ihm neulich sagte, wie ein deutscher Politiker im deutschen Fernsehen auftritt. Er kannte ihn natürlich vom Ton her, aber nicht vom bewegten Bild. Das macht vielleicht noch einen Unterschied (vielleicht).
Ich behaupte, dass ich einiges verpassen würde, wenn ich bestimmte Sachen nicht im Fernsehen mitbekomme – und dann im Print vertiefe. Ich bin sicher, dass das in zwanzig Jahren nicht mehr der Fall sein wird. Dann schaff’ ich es wohl ab.
Ich habe meist – das gilt vor allem für Spielfilme -, nach dem Fernsehen den Eindruck, dass die damit verbrachte Zeit »verloren« ist, ich sie also besser nützen hätte können. Nach dem Lesen eines Artikels, oder eines Buches, stellt sich dieses Gefühl selten ein. Ich führe das darauf zurück, dass Lesen ein aktiverer Prozess ist, oder Fernsehen zumindest sehr leicht in Passivität umschlägt (Wieviele Menschen schlafen tagtäglich vor ihren Fernsehgeräten ein?). Daraus zu folgern, dass Fernsehen per se schlecht ist, wäre natürlich Unsinn. Außerdem bleibt (bei mir) das Geschriebene Wort länger »hängen«.
Ich stehe dem Medium »Film« kritisch gegenüber, lehne es aber nicht völlig ab, z.B. gehe ich immer wieder gerne ins Kino, was etwas ganz anderes ist als vor dem Fernseher zu liegen.
Durchaus gewinnbringend könnte sich das Fernsehen »on demand« via Internet erweisen: Man ruft (und bezahlt) dann tatsächlich nur das was man will, bzw. was interessiert.
Nachrichten, Informationssendungen, Diskussionsrunden, Dokumentationen, etc. sind anders zu beurteilen, ich sehe das grundsätzlich nicht negativ, aber erfahre immer wieder, dass der tatsächliche »Gewinn« schmal ausfällt.
Das bewegt Bild macht mit Sicherheit einen Unterschied. Mir ging es vor einiger Zeit ähnlich wie Deinem Freund (leider erinnere ich mich an den Kontext nicht mehr).
Der Gewinn fällt ja wirklich immer schmaler aus. Früher habe ich Dokumentationen auch sehr oft und gerne gesehen. Inzwischen ist das meistens heruntergebrochen zum Abfilmen von Hartz-IV-Empfängern, Verkehrsrowdies, saufenden Jugendlichen oder alleinerziehenden Müttern. Deren Hintergründe werden meistens nicht vollständig vermittelt, sondern nur die gerade opportune Botschaft eingetrichtert. Das ist alles sehr komplexitätsreduzierend geworden.
Im Kino bin ich ewig nicht mehr gewesen. Der Eindruck, den man dort von einem Film bekommt, ist allerdings dauerhafter als durch das Fernsehen. Zu Hause ist man oft weniger konzentriert bei der Sache (im Kino hat man oft die Erkältungen anderer Leute dazu).
Ich glaube auch, dass das Fernsehen in einigen Jahren auf »on demand« umschalten wird.
Es ist auch eine Frage der verfügbaren Zeit.
Da ich wenig Zeit zur Verfügung habe, oder mir das zumindest einbilde, wägt man ab, wie man seine Zeit zufriedenstellend (ich versuche ein möglichst neutrales Wort zu verwenden, wobei das natürlich eine persönliche Entscheidung ist) verbringt (»nützt«).
Mir ging es mit den »Universum« Dokumentationen ähnlich. Vor vielen Jahren empfand ich sie als informativ, mittlerweile sind sie zu einer seltsamen Mixtur aus Unterhaltung, »Mystik«, schönen Bildern, »Pseudowissenschaftlichkeit« uvm. verkommen. Vielleicht haben sich aber auch meine Qualitätsmaßstäbe geändert.
Letzteres trifft sicher zu. Die bereits gesehenen Sendungen und andere Informationsquellen haben dein Wissen erweitert. Dieser Wissenszuwachs ist größer als der durchschnittliche Wissenszuwachs der Fernsehzuschauer. Der ist nämlich null, weil auf der einen Seite Wissende den Planeten verlassen und auf der anderen Seite ständig Unwissende nachrücken.
Die am schlimmsten von diesem Phänomen Betroffenen sind Lehrer: Jedes Jahr aufs Neue dasselbe erzählen. Wenn ich Lehrer wäre, würde ich mich auch frühpensionieren lassen. Nach zwei Jahren Unterricht. Spätestens dann hätte ich nämlich die deprimierende Erkenntnis gewonnen, dass man von mir verlangt, so etwa 40 Jahre lang dasselbe zu erzählen, was weit unterhalb meines eigenen Niveaus liegt. ;-)
Helge
In der SZ vom 31.10.08 ist ein schönes Interview mit Helge Schneider; Helge geht auch auf Reich-Ranicki ein: er ist mit MRR einer Meinung, mehr oder weniger.