Irgendwie bekomme ich ja beim neuesten Spielzeug ChatbotGPT keinen Zugang. Umso dankbarer bin ich Wolfgang Scherreiks, der ein spontanes »Interview« mit der Maschine zu Peter Handke geführt hatte und mir erlaubt, es hier abzudrucken:
W.S.: »Eine Frage, ChatGPT, was zeichnet das Werk Peter Handkes aus?
GPT: »Das Werk von Peter Handke zeichnet sich durch verschiedene Merkmale aus, wie z.B.:
Sprachliche Experimente: Handke hat in seinem Werk eine eigene Sprache und eine einzigartige Literaturform entwickelt, die durch sprachliche Experimente und formalistische Ansätze gekennzeichnet ist.
Themenrelevanz: Handke befasst sich in seinem Werk mit Themen wie Identität, Existenzialismus, Landschaft und Landschaftserleben, sowie mit den politischen Ereignissen in Jugoslawien in den 1990er Jahren.
Kontroverse Diskussionen: Handkes Werk hat oft kontroverse Diskussionen ausgelöst, insbesondere aufgrund seiner Haltung zu den politischen Ereignissen in Jugoslawien.
Sinnsuche und Philosophie: In seinem Werk geht Handke auf die Suche nach dem Sinn des Lebens und verweist auf Philosophien und literarische Traditionen.
Minimalismus: Handkes Prosa ist oft minimalistisch und reduziert, was eine intensive Auseinandersetzung mit der Sprache und ihren Möglichkeiten erfordert.
Es ist wichtig zu beachten, dass Handkes Werk höchst umstritten ist und polarisierende Reaktionen hervorruft, und dass nicht alle seine Werke die gleichen Merkmale aufweisen.«
W.S.: »Was ist denn genau umstritten in Peter Handkes Werk?«
GPT: »Peter Handkes Werk ist umstritten aufgrund seiner politischen Haltung und Aussagen, insbesondere im Kontext der politischen Ereignisse in Jugoslawien in den 1990er Jahren. Handke hat öffentlich Kritik an den NATO-Bombardements in Jugoslawien geäußert und eine Solidaritätserklärung mit den Serben unterzeichnet, was bei vielen als Unterstützung des Regimes von Slobodan Milošević interpretiert wurde. Zudem hat er sich in seinem Werk und in öffentlichen Äußerungen kontrovers über Themen wie den Krieg in Jugoslawien, die NATO-Intervention und die serbischen Akteure geäußert, was zu heftigen Diskussionen geführt hat. Seine Äußerungen haben auch Kritik und Empörung in Teilen der jugoslawischen Exilgemeinschaft hervorgerufen, die seine Aussagen als Verharmlosung der Gewalt gegen die Kosovo-Albaner und als Verleugnung der Gräueltaten des serbischen Regimes während des Krieges interpretieren. Es ist wichtig zu beachten, dass Handkes Haltung und Äußerungen umstritten und höchst kontrovers sind, und dass es unterschiedliche Interpretationen und Perspektiven darauf gibt.«
W.S.: »Wo genau in Peter Handkes Werk finden sich denn die umstrittenen Äußerungen?«
GPT: Die umstrittenen Äußerungen von Peter Handke finden sich in einer Reihe seiner öffentlichen Auftritte und Äußerungen, insbesondere in Interviews und politischen Reden. Zudem sind einige seiner literarischen Werke, insbesondere seine politischen Essays, als umstritten bekannt.
Zum Beispiel ist sein Essay *Die Wiederholung’ (1986) ein kontroverses Werk, in dem er eine Solidaritätserklärung mit den Serben unterzeichnet und die NATO-Bombardements in Jugoslawien kritisiert. Sein Drama ‘Publikumsbeschimpfung’ (1966) wurde ebenfalls kontrovers diskutiert, da es als provokativ und subversiv gilt und Handkes politische Haltung und Äußerungen deutlich zeigt.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Handkes umstrittene Äußerungen nicht Teil aller seiner Werke sind und dass er auch Werke verfasst hat, die keine politischen Themen oder Äußerungen enthalten. Daher sollte jedes Werk einzeln betrachtet werden, um ein Verständnis für die umstrittenen Äußerungen zu erlangen, die Handke in einigen seiner Werke gemacht hat.«
W.S.: »Sollte man das Werk Peter Handkes und seine öffentlichen Äußerungen nicht besser trennen?«
GPT: »Ja, es ist üblich und angemessen, das literarische Werk eines Autors von dessen öffentlichen Äußerungen und politischen Haltungen zu trennen. Obwohl Handkes öffentliche Äußerungen und politische Haltungen sein literarisches Werk beeinflusst haben können, sollte das literarische Werk an sich auf seine eigenen Meriten beurteilt werden, unabhängig von den öffentlichen Äußerungen des Autors.
Es ist wichtig, die künstlerische Integrität eines Werkes zu respektieren und es aufgrund seiner formalen und thematischen Merkmale zu beurteilen, anstatt es zu verurteilen oder zu loben aufgrund der politischen Ansichten oder Äußerungen des Autors.
Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die politische Haltung oder öffentlichen Äußerungen des Autors eng mit dem Inhalt seines Werkes verbunden sind, und in diesen Fällen ist es schwieriger, das literarische Werk von den öffentlichen Äußerungen des Autors zu trennen. In jedem Fall sollte eine Beurteilung des Werkes jedoch auf einer sorgfältigen Analyse und Interpretation seiner formalen und thematischen Merkmale basieren.«
So weit die Stellungnahmen des Chatbots. Man ist zunächst geneigt, hier eine gewisse Neutralität festzustellen, auch wenn die sieben Mal verwendete Vokabel »umstritten« die einzige Charakterisierung des Werkes darstellt. Aber gut, auch Feuilletonisten sind nicht immer sehr tiefschürfend.
Bei näheren Hinschauen aber gibt es Uneindeutigkeiten und auch Fehler. Eine »Solidaritätserklärung mit den Serben« gibt es von Handke in diesem Sinn nicht. Die Maschine übernimmt hier die Wertung diverser Journalisten.
Aber auch mit den Fakten kennt sich die Maschine nicht aus. Als die Frage nach den Stellen für Handkes »umstrittenen« Aussagen, versagt CPT vollständig. Genannt wird »Die Wiederholung«. Die Jahreszahl der Erstveröffentlichung wird noch korrekt mit 1986 angegeben. Aber schon das Genre »Essay« ist falsch, denn es handelt sich um eine Erzählung, in der eine Figur erzählt, die ihren verschollenen Bruder in Slowenien sucht und die Familiengeschichte rekapituliert. Diese Erzählung war nie »umstritten« im Sinne der politischen Gemengelage der jugoslawischen Bürgerkriege, schon weil sie 1986 entstand, die Spannungen aber erst Anfang der 1990er Jahre begannen.
Wie CPT darauf kommt, bleibt mir ein Rätsel. Zwar hatte ich verschiedentlich »Die Wiederholung« als das erste »Jugoslawienbuch« Handkes bezeichnet, aber nicht in dem Sinne der politisch-ästhetischen Auseinandersetzungen, sondern eher als den Beginn, sich mit Slowenien, einem Slowenien IN Jugoslawien, Handkes verklärtem Arkadien, zu befassen. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet meine Texte als Referenzen gelten.
Auch die Äußerungen zur »Publikumsbeschimpfung« sind unscharf bis falsch. Das Theaterstück zeigt mitnichten Handkes »politische Haltung« an.
Ich weiß nun nicht, ob man dies als Hoffnungsschimmer werten soll – man muss eben doch die Bücher gelesen haben. Oder als einen weiteren Absturz. Wobei vermutlich die Maschine lernen wird. Zu den Fragen wird man womöglich in einem Jahr andere Antworten erhalten. Dazu werde ich dann vielleicht Genaueres schreiben.
Genauso unnötig wie so viele andere Dinge, die wir dem technologischen Fortschritt verdanken.
Es gibt eine einzige Frage, die ich dem Chatbot gern stellen würde: Haben Sie eigentlich eine eigene Meinung?
Naja, die Meinung zur »Meinung« ist ja – auch bei Handke – durchaus ambivalent. Mein Eindruck ist ja, dass die Meinung im Journalismus (und auch im Feuilleton) zu sehr dominiert.
Natürlich plappert eine solche Maschine nur das, was sie findet oder was man ihr eingegeben hat. Insbesondere der erste Teil der Antwort ist aber das, was zum Beispiel in einem Schüleraufsatz (Gymnasium; Oberstufe) als Referenzrahmen ausreicht. Man muss dann die Bücher nicht mehr lesen. Im Sportjournalismus könnten solche Bots bald Standard werden; die Maschine wird mit Resultaten gefüttert und erstellt dann den fertigen Text.
Man kann das natürlich abtun, aber damit erkennt man unter Umständen nicht die Brisanz.
(»Überflüssig« ist so vieles. Nur: Wer definiert das?)
Zwei Dinge fallen mir spontan ein.
Vor Jahren habe ich einmal eine Unterhaltung mit Eliza geführt. Der »Trick« war rasch durchschaut: Es war das ständige Rückfragen der Software zu von mir benutzten Semantemen, das die (Illusion einer) »Unterhaltung« in Gang hielt. Die Interaktion aber war da: Das Simulakrum eines Gegenübers – und damit eine zumindest schwache Faszination (weil Menschen grundlegend dialogische Wesen sind).
Das bringt mich, zweitens, mal wieder auf Philip K. Dick.
Ich möchte das, wodurch seine Literatur so anhaltend fasziniert, hier vereinfachend dystopisch nennen. (Man denke nur einen Moment an Siri und Alexa... und dann an Dicks sprechende Türschlösser und Werbedrohnen und ... in mentaler Stasis gelagerte Tote.)
Und dieses heutzutage überall leicht aufzufindende dystopische Moment (allein der dystopische Effekt einer Moderne, die Zukunft mit Technik verwechselt, aber bereits jedem ein Tamagotchi untergejubelt hat, das angeblich ’smart’ sei; eine Dystopie der zunehmend von Maschinen[-Logiken] durchsetzten Alltags- und Arbeitswelt, der Trend ‘von der Person zur Funktion’, überhaupt zu Abstrahierungen; die Dystopie der unaufhörlichen Zunahme von Komplexität in der Welt gegen die gleichzeitig wachsende ‘prometheische Scham’: Der Eindruck vieler Menschen, sich immer weniger auszukennen ...) dieses Moment also scheint mir mit dieser sagenhaften neuen Technik gleichzeitig beruhigt, wie eine große neue Unsicherheit einzuführen – in der bislang vage bleibenden Ahnung der Gefahr. (Und alle Warnungen werden natürlich nichts nutzen.)
Da ist ein neuer Weltgeist des eigentlich abgelebten, statistisch gewordenen Wissens, das aber schon als schiere Masse und Verfügbarkeit dazu verführt, wesentliche Dinge zu verwechseln. Eine neuer, trotz und samt seiner Irrtümer mächtiger Unschärfe-Geist wird zum Akteur. Und Unschärfe – im Meinen, im suchenden Formulieren, in der Sprache selbst: in der Argumentation (etwa in dieser hier) – ist eigentlich eine genuin menschliche Eigenschaft. Das gibt doch zu denken.
Bin gespannt auf die demnächst generierten Romane und Gedichte.
Gerade heute hatte ich Besuch von dem Rollladen-Mann (Mitte 50). Er hatte Ende November festgestellt, dass der Motor der Rolllade irreparabel defekt war. Nach zehn Jahren. Die Systeme, die seine Firma verarbeitete, hatten andere Motoren als diejenigen, die verbaut waren (wir wohnen erst seit drei Jahren in der Wohnung). Es musste also ein Ersatzmotor bei einem anderen Anbieter bestellt werden; Lieferzeit ungewiss. Heute nun, nach etwas mehr als zwei Monaten ging es an den Einbau. Nach anderthalb Stunden Fensterakrobatik bei ‑4 Grad (erster Stock) war es geschafft. Wie lange der Motor hält? Naja, vielleicht wieder zehn Jahre, meinte er. Und danach? Gibt es die Dinger dann noch nachzukaufen? Ja, vielleicht. Es sei ja keine Smart-Home-Rolllade, die mit dem Handy bedient werde und in der allerlei technik verbaut wäre. Da änderten die Hersteller schon mal rasch Soft- wie Hardware; mit Überraschungen für den Kunden. Und dann kam ungefragt wie aus der Pistole geschossen: »Bei mir zu Hause nur Gurte«.
In der Tat verwechseln wir Zukunft mit Technik. Und doch treffen wir uns hier alle auf einer virtuellen Plattform und kommunizieren.
Es gibt Menschen, die ich ernst nehme, die sagen, solche Chatbots würden noch einmal alles ändern. Nach dem Internet sozusagen. Textproduzenten würden überflüssig werden. Da kommt bei mir der Gedanke an das Schachspiel auf. Die ersten Computer, die ich hatte, konnte ich, ein lausiger Spieler, noch mit etwas Glück besiegen. Ab »Mephisto« und einer bestimmten Spielstärke war damit Schluß. Inzwischen ist kein Mensch mehr in der Lage, die entsprechenden Schachprogramme zu schlagen. Zwei Menschen, die sich gegenüber sitzen (oder dies auch nur virtuell tun), simulieren praktisch die Vor-Computer-Zeit. Am Ende einer Partei bekommen sie binnen Sekunden vom Computer erzählt, was sie wann hätten spielen müssen. Profischachspieler sagen, sie brauchen keine menschlichen Partner mehr – nur noch den Computer. Der Sekundant von einst bereitet Varianten mit dem Computer vor, will Züge erfinden, die der Gegner nicht analysiert hatte und die dann zu Fehlern führen.
Nein, ich bin nicht neugierig auf computergenerierte Gedichte, Erzählungen oder Romane. Das ist seltsam, weil ich immer dafür plädiere, den Autor und seine Biographie wenn möglich erst einmal auszublenden und nur den Text selber zu sehen, zu lesen, zu verstehen. Am Ende ist es dann irgendwann doch relevant, wer der Autor ist bzw. etwas mehr zu ihm zu erfahren. Ein Computerprogramm, das einen Roman schreibt, mag den Plot beherrschen. Aber kann es auch literarisch sein? Es sind doch nur Simulationen von Literarizität?
Als ich oben das Wort Meinung gebrauchte, dachte ich u. a., daß es bei Leuten wie Handke (und seit Platon!) verpönt ist. Ich verwende es trotzdem, umgangssprachlich. Ich könnte den Bot auch fragen: Hast du von dir selbst aus was zu sagen? Lothar Struck hat schon die Antwort gegeben: Nein, ist alles zusammengesucht. Menschen suchen natürlich auch alles zusammen, ein bißchen langsamer, aber sie verbinden und transformieren es eigenständig – sofern sie sich eine »Meinung« bilden wollen.
Derzeit ist es ganz interessant, diesen Dialog zu sehen, weil man wissen will, ob so ein »Dialog« denn funktionieren kann. Inhaltlich ist er absolut uninteressant. Und ich fürchte, computergenerierte Romane sind genau so uninteressant.
Natürlich ist da auch wieder die Frage: Wer bestimmt, was interessant ist? Antwort: Ich. Und du.
Ich habe lange Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Das wird jetzt – überflüssig, ja. An den Unis verwenden die Studenten Übersetzungsmaschinen für Texte und geben sie als »eigene« ab. Menschliches Übersetzen wird überflüssig. Die (Selbst-)Perfektionierung der Übersetzungssoftware ist atemberaubend, atemberaubend schnell. Dazu die Sprachassistenten. Fremdsprachenlernen können wir uns in Zukunft sparen. Außer fürs Übersetzen von Literatur. Viele Texte werden von Maschinen geschrieben werden. Schon jetzt werden Bewerbungsschreiben u. dgl. von Maschinen gelesen und vorsortiert, d. h. auch: bewertet.
Schon seit prädigitalen Zeiten können wir uns das Rechnen sparen, leicht handhabbare, tragbare Rechenmaschinen gibt es längst. Trotzdem lernen Kinder in der Grundschule immer noch Rechnen. Finde ich gut, obwohl überflüssig: bald wird man sagen dürfen: WEIL überflüssig. Noch früher wurde diskutiert, ob es denn notwendig und sinnvoll sei, Latein zu lernen, das brauche man doch nicht. Mittlerweile kann man bei fast allem fragen, ob das denn notwendig sei.
Wobei man natürlich auch fragen könnte, ob Kommunikation nicht selber eine unaufhörliche Reihe von Versuch, Irrtum und Annäherung ist – ein algorithmischer Prozess.
Es ist ja gerade dieses Black-Box-Ding der Oberflächen, die man gar nicht mehr durchdringen muss, die zunehmend alles bedingende Technik, die dann zuletzt auch unser unzureichendes/unterkomplexes Weltverständnis bedingt; Virtualität ist ja ein prominenter Teil des großen Als-ob. Siehe auch den alten Kampf um die Betriebssysteme, ‘Gurte’ (DOS/Windows) gegen ‘advanced electronics’ (Apple): Mit einem rudimentären Zugang zur Maschinenraumebene konnte ich mir früher noch oft helfen, um eine zerschossene Datei zu retten. Bei APPLE schon meist nicht mehr, weil ich nicht dran kam oder wegen dem verhinderten Zugang gar nicht erst lernen konnte, erfinderisch zu werden: Die freundliche Benutzeroberfläche als ‘Verblendungszusammenhang’.
Und noch apropos Zukunft: Gedichte aus dem Computer sind ja eigentlich auch ein alter Hut.
Aber wenn nun auch Literarizität ein ‘Programm’ ist? Ein parametrisches, die-und-die wiedererkennbare Effekte produzierendes Sprachspiel, auf dessen Regeln (plus der jeweils als ’neu’ und ästhetisch reizvoll geschätzten Abweichungen) wir uns geeinigt haben ... das sich aus eben diesen Gründen dann auch wieder simulieren lässt? Siehe allein die von Baßler herausgearbeiteten Zutatenliste zum mid-cult.
(Oder siehe die Diskussion gerade um Judith Zander: ‘Das Grundlegende / Die Grundlegende’. Könnte man für einen müßigen Einfall der Dichterin handeln, an dem die etwas Wacheren dann aufmerken: Ah ja, Lyrik ... wie crazy! Schon die Kleinschreibung macht es vielleicht als Pseudo-Sinngewinn flüchtig produktiv. Aber müsste so was nicht längst als läppisch gelten? Welche Lit-Preise könnte ein trainierter Algorithmus mit so was gewinnen?)
Soll sagen: Bei all den Programmen und Memen, den mächtigen Verallgemeinerungen, die uns leben, gibt es an der Eigenständigkeit menschlicher Verbindungen doch auch Zweifel.
Wenn aber alles Programme sind, auch die ästhetischen Unterscheidungen, müsste es wieder auf etwas Anderes ankommen. Aber auf was? Etwas ‘Objektiveres’ (bei dem die Abstraktionen selbst miteinander kommunizieren)? Oder doch wieder auf etwas genuin Menschliches? Oder gibt es das vielleicht gar nicht? Ist schon unser alter Hochmut als ‘Tiere mit einem Taschentuch’ (Shakespeare) die illusionäre Verkennung? Oswald Wiener hielt auch ‘Kreativität’ (nur) für einen ‘Mechanismus’.
Da bin ich wieder bei der Unschärfe (die der Sprache [‘Grenzen meiner Welt’] wie die der Parameter, die die Beobachtung bestimmt, die diese Welt konstituieren). Könnte eine KI die eigenen Unschärfen erkennen? Würde sie das, sozusagen, in Potenz setzen und eine neue Chance auf ein tatsächlich dialogisches Moment hin öffnen? Oder bleibt uns nur, die Fehler der KI-Ergebnisse gegen sie zu wenden? Oder werden wir, nach und nach durch die Praxis mit ChatGPT am niedrigeren Niveau neu geeicht, sie schlicht irgendwann nicht mehr erkennen?
Wenn ich manchmal Google-Translate benutze, um ein hereinkopiertes Wortmaterial zur Weiterverarbeitung auf dem Schirm zu haben, bin ich oft überrascht, wie schlecht die Übersetzung zum Teil immer noch ist. Mit meiner Art des Lesens meine ich oft, im Ergebnis das Ungelenke oder eben Starre der Maschine als eine Art Schizo-Effekt wahrzunehmen: So redet doch kein Mensch! Dabei ‘macht’ es unscharf trotzdem Sinn und zwingt einen manchmal sogar zu einem poly-kontextuellen, also letztlich dichterisch inspirierten Lesen.
Wahrscheinlich wird es wie mit allem Neuen sein: Für gewisse Zwecke wird die Maschine sich eignen (und immer besser werden), und für andere werden die Ansprüche eher steigen und spezieller werden, weil die Maschine noch lange philologisch blind bleiben wird. Auch die steigenden Wortklassen- und Definitionszwänge für eine KI steigern die Komplexität – zumindest für die Rezipienten – ja irgendwann ins nicht mehr Handhabbare. Dann dichten Dichter und Algorithmen nur noch für sich selbst. Interessant für den nach neuen Ästhetiken ausschauenden Leser, wenn die Maschine irgendwann wirklich halluziniert.
Vielleicht findet sich so / der neue Rimbaud? Oder endlich ein Shakes-Pierre?
@Leopold Federmair
In vielen Protokollen von GPT, die ich so sehe (wie gesagt, ich komme nicht in das Programm, weil man überlastet sei), nimmt sich die Maschine in den Antworten noch ziemlich zurück, insbesondere wenn es um Bewertungen geht, die direkt abgefragt werden. Ich habe das »Interview« hier vor allem abgedruckt um zu sehen, wie die Fragen in einem oder zwei Jahren beantwortet werden. Kann es hier einen Selbstlerneffekt geben? Die Grammatik einer Sprache ist zum großen Teil gewissen Regeln unterworfen – aber das Werk eine Dichters (zumal, wenn es derart umfangreich ist) – das dürfte schwieriger zu umfassen sein. GPT wird also immer auf das zurückgreifen, was vorhanden ist. Und auch hier werden Algorithmen am Ende bestimmen, welche Quellen einfließen und welche nicht.
Das Beispiel mit dem Kopfrechnen ist treffend. Häufig erlebt man, dass 30jährige bei leichtesten Rechenaufgaben versagen. Für Wirbel sorgte Anfang des Jahres eine Frage in der populären Quizsendung »Wer wird Millionär?«. Sie war mit 16.000 Euro dotiert und lautete: »Wenn meine 100 Euro Aktie um 300 Prozent steigt, muss sie danach um wie viel Prozent wieder fallen, um den Ausgangswert zu haben?« Zur Auswahl standen folgende Antwortmöglichkeiten: 66%, 75%, 150%, 300%. Der Kandidat war aufgeregt (verständlich) und nahm den sogenannten Zusatzjoker, d. h. aus dem Publikum sollen diejenigen aufstehen, die die Lösung kennen. Er wählt dann einen, der aufgestanden ist, aus und diskutiert mit ihm. (Der Kandidat ist frei, die Antwort zu übernehmen oder auch nicht.) Aus dem Publikum (es sollen nach Pressemeldungen 100 Leute gewesen sein), meldeten sich vier Personen. Der Kandidat wähle aus und derjenige wusste die richtige Antwort. Für Furore sorgte, dass es nur 4 von 100 waren, die eine solche Aufgabe lösen konnten bzw. sich sicher waren.
@herr.jedermann
Ich glaube eben nicht, dass Literarizität so etwas wie ein »Programm« ist, welches am Ende »nur« entdeckt und geschrieben werden muss. Schach folgt Regeln, die Züge entfalten bestimmte Konstellationen, die keinen Ausbruch aus diesen Regel erlauben. So wird ein Turm nie diagonal ziehen können und folglich braucht der Computer dies nicht einzukalkulieren. Literatur ist aber ein Dschungel; die Gesetze, die hier herrschen, werden wir nie ergründen (nur durch Korrelationen, die wir als Kausalitäten nehmen müssen). Sicher, Kleinschreibung oder besonders skurrile Wortwahl können Literarizität unter Umständen erzeugen, bekräftigen oder aber auch nur simulieren. Am Ende steht dann aber so etwas wie eine Überlieferung, in der sich zeigt, was erhalten wurde und was nicht. Das ist bisweilen ungerecht, aber auch hier gibt es eben keine Moral – wie im Dschungel.
(Die Zander-Sache habe ich nicht verfolgt, außer, dass die Autorin die Neid-Karte spielte, weil sie gerade diesen Preis bekommen hatte. Die ewige Frage, ob Lyrik verständlich sein muss oder mindestens soll, ist eher ermüdend. Für mich wird es immer mehr fragwürdig, nach welchen Kriterien Literaturpreise vergeben werden – und von wem. Werden da bestimmte Reiz-Reaktions-Schemata angesprochen?)
Vielleicht ist meine eher abwehrende Haltung von / über maschinengeschriebene Literatur am Ende auch nur wieder eine Fortschreibung in der Reihe der menschlichen Kränkungen. Wozu ist dann überhaupt noch der Mensch nützlich? Ist er nur mehr ein Tier, der für seine eigene Reproduktion existiert?
Ein paar der Themen, die Sie so wunderbar umkreist habe, möchte ich gerne wieder aufnehmen:
Die Rollladen – gewissermaßen als physische Grenze des Virtuellen und Nichtphysischen: wie die Smarthomesteuerungen aufgeschmissen wären, wenn der Motor nicht mehr will, so ist auch unser Geist, immer noch auf den Körper angewiesen, der ihn durch die Gegend trägt.
Gerade wo ich mit Software mein Geld verdiene, geht eine gewisse nostalgische Wärme von Dingen aus, die rein mescanisch-elektrischer Natur sind: wie meine Siebträgermaschine oder mein Plattenspieler. Ganz ohne Bluetooth und WLAN mit mechanischen Kippschaltern. Die Technikskepsis, die mir begegnet, hier, in der S‑Bahn (https://phorkyas.wordpress.com/2023/02/10/auftritt/) oder von anderen Eltern, die ihre Kinder auch möglichst lange von Smartphone und Tablet fern halten wollen, teile ich.
Aber ich habe auch eine gewisse Skepsis vor der Dystopie. »1984«, »Schöne neue Welt«, »Bladerunner«, »Matrix« – ein gewisser Sog der Düsternis, aber irgendwie schien’s mir doch auch immer fern unserer Lebensrealität. So als hätten sich die Kassandra-Rufer ebenso zu sehr an den Möglichkeiten der Technik betrunken, wie ihre Propheten, die glaubten der Mensch sei schon bereit fürs Metaverse oder den Upload in die Cloud. Fast so wie das Christentum mit der Diffamierung des »Fleisches« gegen den Körper hetzte, aus dem der Geist entspringt, der sich so gern darüber erheben möchte, scheinen sich die Computerpropheten über alle physischen und mathematischen Grenzen ihrer Rechnereien hinaus in den Himmel der Allmöglichkeiten beamen zu wollen, und schlagen eher eine Delle in ihr Hirn als ins Universum.
Gewisse Irritationen muss man wohl aber zulassen: So schreibt Turing anschließend zu seinem Vorschlag des »Imitation games«:
»The original question, ‘Can machines think!’ I believe to be too meaningless to deserve discussion. Nevertheless I believe that at the end of the century the use of words and general educated opinion will have altered so much that one will be able to speak of machines thinking without expecting to be contradicted.«
Von der Perspektive der abstrakten Symbol-Manipulation her betrachtet, ist die Frage, ob eine Maschine denken könne, wohl auch in etwa so, als würde man fragen, ob ein Boot schwimmt. Lange war unsere Programmierung so eingeschränkt, dass wir den Computer zweifelsfrei nur als Instrument wie ein Fernrohr oder ein Fahrrad wahrnahmen.
Langsam ist es uneindeutiger, ob unsere Algorithmen schon stark genug sind, als dass sich sich schon ihres eigenen »Verstandes« bedienen kann. In so begrenzten Problemfeldern wie Schach oder Go, ist die Maschine schon davongeeilt. – Wobei ich diese eine Verlustpartie von Alphago, sehr interessant fand: Es gab da diesen einen berühmten Zug von Lee Sedol, nach dem die KI völlig den Faden verlor und dem sie wohl nur eine 1 / 10.000 Chance zugerechnet hatte. Selbst wenn die späteren Versionen von AlphaZero noch stärker sind, so dass diese Schlupflöcher noch schwieriger aufzuspüren wären, zeigt es doch, dass.. das Spiel der Maschine aus unserer unwissenden Warte vielleicht gottgleich erscheinen mag, weil wir sie so gut wie nie in solche Situationen bringen könnten, die sie nicht handhaben kann, aber ganz ausschließen lässt es sich vermutlich nicht. (Was ja auch gewisse Sicherheits-Implikationen für den Straßenverkehr hat, wenn man dort ähnliche Algorithmen ein Auto steuern lässt, durch die Vielfalt der Situationen und Entscheidungen, die täglich und in Sekundenbruchteilen geschehen, aber ein viel größerer Schbaum abgegrast werden kann – und so solche »Tilt«-Situationen sehr viel wahrscheinlicher werden.)
»So als hätten sich die Kassandra-Rufer ebenso zu sehr an den Möglichkeiten der Technik betrunken, wie ihre Propheten…«
Das ist ein treffendes und schönes Bild. Ich bin auch weit entfernt von dystopischen Szenarien. Ich befürchte aber, dass Chancen, Herausforderungen und Gefahren nicht klug miteinander abgewogen und entsprechende Schlüsse daraus gezogen werden. Stattdessen wird eine Seite den Takt und die Richtung vorgeben – und dann wird man später Defizite erkennen, die man eigentlich hätte vorher einkalkulieren können.
Und dann kommen die Medien dazu – ihr Hang zur Polarisierung, Idealisierung oder Skandalisierung (je nachdem, was gerade angesagt ist). Zwischentöne bringen keine Aufmerksamkeit. Utopien werden zu Dystopien und umgekehrt. Egal – Hauptsache man ist »dabei«.
Chatbots sind – so scheint mir, dem in diesem Metier unbedarft-ahnungslosen Beobachter – noch einiges entfernt von einer reflexiven Textformulierung. Denn sie werden immer davon abhängig bleiben, was sie vorfinden, sie werden dieses Vorgefundene gewichten und zwar wieder in dem Maße, wie sie es vorfinden. Wie der Mensch – der sein Weltbild aus dem formt, was ihm begegnet. Aber ein Mensch kann abwägen, relativieren, Erfahrungen außerhalb seiner Welt abstrahieren und, mit gutem Willen, einfließen lassen. Kann das eine Maschine? Ich habe da Zweifel.
Kleine Zwischenfrage (falls das hier erlaubt ist): Habe vor ein paar Tagen mit wachsender Begeisterung »Das Gewicht der Welt« gelesen und mochte dabei vor allem das ‘Romanhafte’ der Fragment-Form (die persönlich-autobiographischen Beobachtungen, die wiederkehrenden ‘Figuren’, der Schauplatz Paris, sozusagen das innere Zusammenhängen der Aufzeichnungen). Habe nun ganz oberflächlich in die anderen Journale geschaut und den Eindruck erhalten, dass dieses Romanhafte dort weniger präsent ist und dass das offen Autobiographische etwas zurücktritt. Können Sie diesen Eindruck vielleicht bestätigen oder war ich vorschnell mit dem Urteil?
@p.anselm
Zwar erläutern Sie, was Sie mit »romanhaft« meinen, aber es ist mir leider nicht ganz klar. Allen »Journalen« Handkes ist gemein, dass sie ausschnitthaft, vom Autor für die jeweiligen Bücher zum Teil auch noch redigiert sind. Sieht man die zur Verfügung stehenden Original-Notizbücher Handkes ein, so stellt man fest, dass die Abwechslung von Beobachtungen, Schreibübungen, Lektüreeindrücken und persönlichen Befindlichkeiten munter miteinander abwechseln. In Die Geschichte des Bleistifts finden sich noch viele Notate, die vor allem auch zeitlich im Gewicht der Welt hätten stehen können. Später nimmt die Konzentration auf das Werkstatthafte deutlich zu; man kann beobachten, wie weit die Überlegungen für zukünftige Erzählungen gehen. Persönliches außerhalb der Reflexion über das eigene Schreiben und Anschauen nimmt ab. (Zu unterscheiden ist hier privates. Das gibt es in den Notizbüchern nur höchst selten; in den Journalen fast nichts. Das ist Absicht.)
Natürlich hängen die jeweiligen Notate miteinander zusammen. Eine Romanabsicht ist aber nicht intendiert.