Gestern wieder „Lesen!“ im ZDF mit Elke Heidenreich, der Frau mit dem „grossen Herz für schlechte Bücher“ (Iris Radisch).
Diese Sendung zeigt das Elend der Vermittlung von Literatur durch / im Fernsehen. In dreissig Minuten nudelt Frau Heidenreich ihre höchstpersönliche Auswahl von Büchern herunter. Es sind meist um die 20 – dezidierte Besprechungen sind da natürlich nicht möglich. Hauptsache „Lesen“! (Der längste Part der Ruhe in der Sendung ist das Vorlesen aus einem Hörbuch – diesmal Scott Fitzgerald.)
Ihre Kriterien bleiben dabei im Dunkeln bzw. sind (vermutlich) an einer vulgär-ästhetischen Linie zwischen Unterhaltungsroman und politisch-korrekter Milieuprosa festzumachen. Nicht umsonst hat sie für die Zeitschrift »Brigitte« eine Buchedition »erlesen«.
Der Gast (diesmal Hape Kerkeling) kommt so gut wie gar nicht zu Wort, dient allenfalls als Stichwortgeber, um unablässig den paternalistischen Sermon der Gastgeberin zu produzieren. Einer seiner Vorschläge („Das tibetische Buch vom Leben und Sterben“) wurde flugs als „Innerlichkeitsbuch“ abgefertigt.
Der mit Pathos vorgebrachte „Lesen!“-Imperativ überrascht mich immer wieder neu (als sei dies schon alleine genügend Programm). Zeigt doch die „Bearbeitung“, die Bücher in dieser Sendung erfahren, dass Heidenreich eigentlich das Gegenteil eines Lesers darstellt: Sie ist nicht mehr neugierig, sie weiss immer alles besser und schon im voraus und sie lässt sich immer nur das bestätigen, was sie ohnehin schon kanonisiert hat.
Wer Wolfgang Koeppens „Trilogie des Scheiterns“ als Lektüre vorstellt, die sich „so runterlesen lässt“, ist für mich nicht mehr seriös. Gerade bei Koeppen muss man Wort für Wort und ganz genau lesen – dann erschliesst sich die Kraft seiner Sprache (die in der Tat enorm und – ja, leider – immer noch weit unterschätzt wird). Da werden sich die LeserInnen beim Heidenreich-Kaffeekränzchen noch gewaltig wundern, wen sie denn da empfohlen hat.
Wer schlechte Bücher runtermacht, erzielt, dass weniger gelesen wird.
Wer schlechte Bücher nicht erwähnt, dergl.
Wer gute Bücher schlecht macht, wie Reich, sollte den Mund halten.
Wer schlechtere Bücher gutredet, hat gut getan, dann wird gelesen, solche Leser bilden sich dann allmählich selber ein Urteil, aber der Anfang ist gemacht, bravo Elke!
Lesen an sich...
rechtfertigt alles?
Wer schlechte Bücher runtermacht, erzielt, dass weniger gelesen wird.
Wäre es schlimm, wenn weniger schlechte Bücher gelesen würden? (Jetzt abgesehen von der schwierigen Definitionsfrage.)
Und: Glauben Sie an einen Emanzipationsprozess des Lesers?
Oder: Sollte man nicht besser an ihn glauben?
ich tu mir halt immer schwer mit der kategorisierung in »schlechte« und »gute« bücher.
und jede rezension über ein buch ist immer nur eine persönliche meinung. als das seh ich sie auch. nicht mehr, aber auch nicht weniger. es gibt bücher, die lieben andere menschen, mir haben sie nichts gesagt. umgekehrt gibt es bücher, die ich liebe (zuletzt zum beispiel »engelszungen« von dimitrev dinev), die keine bestseller geworden sind.
mein eigenes buch finde ich (und eigentlich die meisten kinder, denen es vorgelesen wurde) sagenhaft gut, aber es verkauft sich schlecht *grinst*. der verlag hats elke heidenreich zwar geschickt, aber vorgestellt wurde es nicht.
ich glaube, die sendung »lesen!« sollte man einfach als das sehen, was es ist. nämlich unterhaltung. lust auf bücher krieg ich in erster linie durch empfehlung von freunden und freundinnen, durchs schmökern im internet oder in der buchhandlung.
Gut / Schlecht
Richtig. Urteile wie »gut / schlecht« sind normalerweise immer falsch oder ungerecht oder beides. Sie stammen eher aus dem Vokabular eines Reich-Ranicki.
Dennoch bin ich der Meinung, dass man sehr wohl Schwächen eines Buches in Besprechungen oder Rezensionen aufzeigen darf; wenn’s geht, begründet. Heidenreich rezensiert aber in ihrer Sendung keine Bücher, sondern stellt ihren Geschmack zur Schau. Das mag den Verlagen bzw. Büchern helfen, die vorgestellt werden, aber sehr viele Aspekte von Literatur kommen bei ihr gar nicht vor (bspw. neuere, deutschsprachige Literatur).
Vor vielen Jahren gab es mal eine Sendung nach der »Bestenliste« (mit Hubert Winkels). Hier wurde in Filmen, Gesprächen, Kritikerdiskussionen die Bücher der sogenannten Bestenliste vorgestellt (wie gesagt, es ist keine Bestsellerliste). Da kam eine Menge ‘rüber; vor allem nicht nur Mainstreamliteratur. Leider ist die Sendung irgendwann eingestellt worden.
Jetzt gibt’s im deutschsprachigen Fernsehen eigentlich nur noch den Literaturclub. Ansonsten eben Rezensionen in diversen Zeitungen und – vor allem -: Querverweise von Autoren (Bücher / Autoren, die sie in ihren Büchern erwähnen oder Bezug darauf nehmen).
Knackpunkt?
Was ist der wirkliche Knackpunkt? Eher die Art von Frau Heidenreich, oder liegt es vielmehr am »Elend der Vermittlung von Literatur durch/im Fernsehen«, für das mindestens genau so sehr der Sender verantwortlich ist?
»Lesen!« bekommt gerade mal 30 Minuten Platz im Programm. »Literaturclub« dagegen 75 Minuten. Schon deshalb müssen bei beiden Sendungen grundverschiedene Konzepte herhalten.
Du bist, glaube ich, Vielleser und kennst dich auch recht gut in der Literatur aus. Solche »Kenner« sollen gar nicht mit »Lesen!« angesprochen werden – sie lesen ja sowieso. Sondern solche, die eher wenig lesen, die bei einem 75-minütigen »Literaturclub« spätestens nach 5 Minuten gelangweilt wegzappen und die mit nichts anderem als ein paar kurz vorgestellten Mehr-Oder-Weniger-Mainstream-Büchern zu packen sind.
Kurz: Die Sendung wendet sich an Nicht-Leser, nicht an Leser. Genau darauf ist sie zugeschnitten. Der noch neugierige Leser zappt weg. Darf er auch.
Wenn ZDF und Heidenreich wollten, könnten sie sicher eine mindestens doppelt so lange Sendung produzieren, die wesentlich mehr in die Tiefe geht und die Sowieso-Leser anspricht. Wollen sie aber gar nicht.
Knackpunkte
die Art von Frau Heidenreich, oder liegt es vielmehr am »Elend der Vermittlung von Literatur durch/im Fernsehen«, für das mindestens genau so sehr der Sender verantwortlich ist?
Beides. Der Sender hat damit nichts zu tun. Die Leute sind so ahnungslos, was Literatur angeht, wie man nur sein kann. Sie buchen die 30 Minuten unter Literatur; die ARD macht das mit „Druckfrisch“ von Dennis Scheck. In den 70er Jahren gab es sehr interessante Formate – eben bis vor einigen Jahren noch die Bestenliste. Ein ähnliches Format könnte man m. E. problemlos einrichten; von mir aus auch in 30 Minuten Sendungen. Das macht man nicht – aus vielerlei Gründen.
»Lesen!« bekommt gerade mal 30 Minuten Platz im Programm. »Literaturclub« dagegen 75 Minuten. Schon deshalb müssen bei beiden Sendungen grundverschiedene Konzepte herhalten.
Das ist nicht zwingend. Man könnte auch eine 30 Minuten Sendung machen, in der sich zwei oder drei Leute über zwei Bücher unterhalten bzw. diese kontrovers diskutieren. Noch einmal: Heidenreich nudelt in 30 Minuten rd. 20 Bücher durch (Gesamtausgabe Scott-Fitzgerald und Koeppens Trilogie inklusive). Ausser dem profanen Hinweis, diese Bücher zu lesen, bleibt keine Zeit. Allenfalls für drei Bücher und das Hörbuch gibt es etwas mehr Platz.
Womit ist einem „Nicht-Leser“ (dazu komme ich noch) gedient? Ihn an die Hand zu nehmen, um ihm im Dickicht der Neuerscheinungen dann 20 Bücher auf den Tisch zu knallen – oder ihm zwei oder drei Bücher aufzuzeigen, die von u. U. noch divergiert argumentierenden vorgestellt werden?
Heidenreichs Vorstellungen sind meist Inhaltsangaben mit nichtssagenden Äusserungen wie „müssen Sie lesen“ oder „ganz grossartig“. Der Informationswert für den „Nicht-Leser“ ist null.
Abstossend ist es geradezu, wenn tags darauf (manchmal auch schon vorher) in den Buchhandlungen des nicht so guten Geschmacks eigens Büchertische mit den Empfehlungen dekoriert werden, wo denn dann der Jünger seine Bibel käuflich erwerben kann (ich weiss, das ist polemisch und vielleicht sogar bösartig). Man kann zu Reich-Ranicki stehen, wie man will (ich sehr kritisch), aber das „Literarische Quartett“ zeigte immer mehrere Aspekte eines Buches; Heidenreich ist – dem Zeitgeist geschuldet – eindimensional. Dabei ist noch nicht einmal schlimm, was sie vorstellt – schlimmer ist, wie und vor allem was sie niemals vorstellt oder in Nebensätzen en passant fertigmacht.
»Kenner« sollen gar nicht mit »Lesen!« angesprochen werden – sie lesen ja sowieso.
Warum? Der Buch- bzw. Neuerscheinungsmarkt ist derart komplex und unübersichtlich – also ich bin über jeden Tip dankbar.
bei einem 75-minütigen »Literaturclub« spätestens nach 5 Minuten gelangweilt wegzappen und die mit nichts anderem als ein paar kurz vorgestellten Mehr-Oder-Weniger-Mainstream-Büchern zu packen sind.
Ich weiss nicht, ob Du den Literaturclub schon mal gesehen hast (die Heidenreich hat ihn vor sehr vielen Jahren auch schon moderiert – sie kann also auch anders, obwohl ihre Diskussionsbereitschaft recht eingeschränkt war) – langweilig ist der nie. Die „Frechheit“ liegt natürlich in den 75 Minuten. Aber – sehr sehr oft reicht die Sendezeit für die Aspekte, die von den Diskutanten kommen, nicht aus. Man bespricht 4 Bücher (am Ende gibt es noch von jedem einen kurzen Tip). Zieht man die Vorstellung des wechselnden Gastes ab, bleiben rd. 65 Minuten für diese vier Bücher. Das ist doch schon mal was. Aber zuviel?
Und wer sagt, dass die Leute a priori so gestrickt sind, dass sie nur mit „Mainstream“-Büchern „zu packen“ sind? Das ist ungefähr so, als würde man dafür plädieren, nur noch „Bild“ und „Focus“ zu produzieren, weil die „SZ“ oder „Die Zeit“ eh zu kompliziert seien.
Die Sendung wendet sich an Nicht-Leser, nicht an Leser. Genau darauf ist sie zugeschnitten. Der noch neugierige Leser zappt weg. Darf er auch.
Der neugierige, potentielle Leser zappt weg – wie kann er dann zum Leser werden? Wer lässt sich von fünfzig Sekunden Geschwafel über Koeppen, wovon 30 Sekunden sich auf das Foto von ihm beziehen, was 50 Jahre alt ist („mit Arno-Schmidt-Kassengestell“), zur Lektüre von seinen Büchern überzeugen? Nehmen wir einmal an, die Leute kaufen diese Bücher ob der Empfehlung. Reicht das schon? Oder sollte man nicht vielleicht einmal überlegen, wer sich dann durch die drei Bände liest.
Wird nicht jemand wieder zum Nicht-Leser, der auf falsche, oberflächliche, lieblose Tips rekurriert hat?
Wenn ZDF und Heidenreich wollten, könnten sie sicher eine mindestens doppelt so lange Sendung produzieren, die wesentlich mehr in die Tiefe geht und die Sowieso-Leser anspricht. Wollen sie aber gar nicht.
Das genau ist das zweite Elend.
Versteh’ mich nicht falsch. Ich bin kein Apologet einer Nur-Hochkultur. Aber es ist schon alles so seicht und so weich – warum dann also eine Literatur-Sendung, die das fortsetzt?
Eigentlich ist es wie mit dem öffentlichen Nahverkehr: Strecken werden zuerst nicht mehr so stark frequentiert. Die potentiellen Fahrgäste müssen sich zu sehr an einen engen Fahrplan richten. Sie steigen auf das Auto um. Es gibt weniger Fahrgäste. Der Verkehrsbetrieb setzt den Fahrplan wieder weiter aus – es gibt noch weniger Fahrgäste. Schliesslich wird die Linie eingestellt. Begründung: Es gab keine Fahrgäste mehr.
Übrigens willkommen!
Etwas spät mein Kommentar. Aber hier geht’s ja nicht um frische Milch.
Ich las gerade ein paar alte Artikel hier durch und blieb am »Lesen!.Kaffekränzchen« hängen.
Kurze Geschichte:
Gestern (Karfreitag) sah ich ein Buch beim Buchhändler im Fenster, das mich interessierte: Kurzgeschichten von Hermann Harry Schmitz.
Dann sah ich, dass auf dem Umschlag oben drüber stand, es ist ein BRIGITTE-Buch, »erlesen von Frau Heidenreich« o.s.ä..
Ich entschloss mich, bei Amazon nach einer vernünftigen Ausgabe zu suchen. Meiner Frau erklärte ich: so ein Buch möchte ich nicht in meinem Regal haben, und erzählte ihr etwas über den Kaffekränzchen-Geschmack der Dame E.H. ...
Und heute les ich hier den Artikel über die nette Dame.
Ich freu’ mich immer, wenn ich mit meinem Geschmack nicht alleine bin.
Offener Brief an das Zweite Deutsche Fernsehen
Innovative Buchbesprechung statt spätabendliche Kaffeefahrt
Eine Forderung für das Nachfolgesendungsformat von »lesen!«
Sehr geehrte Programmleitung des ZDF,
nachdem mit Entlassung von Elke Heidenreich der Sendeplatz ihrer Büchersendung »lesen!« frei geworden ist, bietet sich für das ZDF die einzigartige Gelegenheit, ein junges und dynamisches neues Buchsendungsformat an ihre Stelle zu setzen.
Die Zeit einer spätabendlichen „literarischen Kaffeefahrt“ muss vorbei sein, in denen Bücher von Prominenten nur in die Kamera gehalten und gelobt werden, wobei insbesondere Bücher aus dem Ausland oder Bestseller in der Heidenreich-Sendung häufig ihren Sendeplatz bekamen. Was bei Heidenreich in den ersten Sendungen noch als recht frisch erschien, zeigte sich zuletzt nur noch als eine reine Werbeveranstaltung für bestimmte Bücher mit Starallüren-Charakter. Dies bedauern wir sehr. Wir befürchten gar, dass das neue Format sogar noch flacher, noch weniger analytisch und kritisch mit Literatur umgeht als “lesen!” und weiterhin „Starallüren“ hervorhebt.
Nachdem das ZDF bereits mit der kurzfristigen Ersatzsendung von Christine Westermann und aspekte-Moderator Wolfgang Herles nach der überraschenden Beendigung der Zusammenarbeit mit Elke Heidenreich die Chance vertan hat, ein frisches Format – etwa mit einem Moderator unter 35 Jahren und aufregender junger Literatur – anzubieten und stattdessen auf eine lustlose Anpreisung von Büchern wieder durch bekannte Fernsehleute setzte, ist es nun höchste Zeit, endlich ein innovatives Buchsendungs-Format zu entwickeln und wieder mehr Kultur statt schlichte Anpreisung zu wagen.
Denn junge Literatur in Deutschland und Europa ist sehr vielfältig. Sie ist es wert, gelesen und entdeckt zu werden. So ist es z.B. auch wert, etwa anhand von Einspielern auf die vitale und innovative junge Buchszene einzugehen und zu zeigen, dass das Buch ein generationenübergreifendes Kulturmedium darstellt. Literatur lebt von der Begeisterung der Menschen, und nicht allein durch die Anpreisung von Autorennamen und Buchtiteln. Junge Literaten wünschen sich, dass das ZDF von dem Konzept letztlich einer Werbeveranstaltung für bestimmte Bücher wieder wegkommt und dieses Feld demzufolge lieber anderen Sendern überlässt.
Stattdessen soll wieder der ernsthaftere Austausch über Plots und innovative Ideen von Büchern geführt werden. Wir fordern, dass in der neuen Sendung wieder Bücher „besprochen“ werden, und nicht nur über sie „gesprochen“ wird. Der Bundesverband junger Autoren und Autorinnen sieht es an der Zeit an, etwas Neues und Ungewöhnlicheres auszuprobieren und damit junger Literatur auf diesem besonderen Sendeplatz mit einem innovativen, modernen und von Spontaneität überzeugten Format eine Plattform zu bieten.
Wir bitten Sie, die Chance eines innovativen und überzeugenden Sendungsformats nun zu nutzen und nicht wieder zu übergehen. Gehen Sie weg von dem Starallüren-Charakter, der von diesem Sendeplatz in den letzten Jahrzehnten erst durch Marcel Reich-Ranicki und zuletzt durch Elke Heidenreich stets ausgegangen war und setzen Sie z.B. einen unbekannten jungen Moderator mit einem neuen Sendekonzept an ihre Stelle.
Ferner bitten wir Sie, Ihre Praxis der Ausstrahlungsfrequenz und der zuletzt späten Sendezeit zu überdenken und damit Ihrem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag zur gebührenden Förderung von Kultur wieder im vollen Umfang nachzukommen.
Für konkrete Anregungen scheuen Sie sich nicht, den Kontakt zu uns zu suchen. Der BVjA steht Ihnen als Diskussionspartner für die Belange junger Autoren und zeitgenössischer Literatur immer gerne zur Verfügung.
Bonn, im Januar 2009
gez.
Bundesverband junger Autoren und Autorinnen