Dennoch: Was zwischen zwei Deckeln steht, genießt einen höheren Ruf als eine immer noch als eher »schnöde« eingeschätzte Internetpräsenz. Wilfried Huismann ist noch einen anderen Weg gegangen: zunächst war da ein Film, »Der Pakt mit dem Panda«, der die Praktiken des allseits bekannten und beliebten WWF (»World Wide Fund For Nature«) kritisch befragte. Im Sommer 2011 erstmals ausgestrahlt erzeugte er beträchtliches Aufsehen (eine Verlinkung auf den Film unterlasse ich; jeder möge entsprechende Suchmaschinen konsultieren). Die Wiederholungen einige Monate später in Dritten Programmen der ARD sorgten für zusätzliche Furore. Der WWF reagierte mit einem »Faktencheck« (s. auch hier, hier und hier), um dem Autor Fehler nachzuweisen. Huismann antwortete im Januar 2012 auf die bis dahin geäußerten Vorwürfe auf seiner Webseite. Zum Film erwirkte der WWF mehrere Einstweilige Verfügungen (hier Nr. 1, hier Nr. 2 und hier Nr. 3).
Das Buch zum Film
Überraschend, dass der Autor nun ein »Schwarzbuch WWF« nachlegt. Es ist nicht immer identisch mit dem Film, lehnt sich jedoch eng daran an. Einige der im Film genannten und monierten Passagen finden sich auch hier; zum Teil nur geringfügig abgewandelt. So etwa die Aussage eines Naturschutzaktivisten in Indonesien, dass auf einer 15.000 ha Plantage nur ein Wald von 80 ha als Naturreservat geblieben sei. Laut Nr. 1 und Nr. 3 darf dies nicht mehr behauptet werden, weil es nicht stimme. Die Aussage, der WWF kooperiere mit dem Sojaproduzenten »Wilmar International« – per Nr. 3 untersagt – wurde nur leicht verändert (S. 130: Niemand vernichtet in Asien mehr Regenwald als Wilmar; trotzdem pflegt der WWF mit diesem Konzern eine Kooperation.) Auf seiner Webseite schreibt Huismann jetzt: »Mit Wilmar und den anderen großen Palmölproduzenten arbeitet der WWF […] im Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO) zusammen.«
Im Schlusskapitel des Buches über den bedrohten Lebensraum des Kanume-Stammes in Papua ist die im Film verwandte Formulierung »Die Ureinwohner des Landes wissen noch nicht, dass ihre Zeit abgelaufen ist« (Nr. 3, Punkt g) in Er [Häuptling Kasimirus Sanggara] kann nicht glauben, dass seine Zeit abgelaufen ist abgeändert (S. 243). Und statt im Film »Im Stammesgebiet der Kanume sollen eine Million Hektar Ölpalmen hinkommen« heißt es im Buch: Hier sollen eine Million Hektar mit Ölpalmen vollgepflanzt werden (S. 240).
Folgerichtig gab es auch gegen das »Schwarzbuch« gerichtliche Aktivitäten des WWF. Man erreichte aber nur einen Teilerfolg; die aktuelle Auflage kann im Handel verbleiben. Nachbesserungen haben erst in der nächsten Auflage zu erfolgen (unter anderem die oben genannten Stellen); zum Teil vergleichten sich Autor, Verlag und der WWF. Erstaunlich in diesem Zusammenhang, dass große Buchhandelsketten in vorauseilendem Gehorsam das Buch aus dem Sortiment nahmen. Zwar war es ausdrücklich nicht der gesamte Buchhandel (wie die FAS suggerierte), aber wenn »Giganten« wie Amazon, Libri oder auch Thalia das Buch nur aus einem bloßem Verdacht heraus nicht mehr anbieten, ist dies ein beunruhigendes Zeichen. Andererseits verschafft der WWF gerade durch seine gerichtlichen Klagen dem Buch die Publicity, die er eigentlich vermeiden möchte.
Die 10%-Regel
Kooperiert der WWF nun mit Monsanto? Ab wann ist etwas eine »Kooperation«, wann »Zusammenarbeit« und worin besteht der Unterschied zum »Dialog«? Welche Rolle nimmt der WWF im Verhältnis zu den Produzenten im »Runden Tisch«, dem »RSPO« wirklich ein? (»Oxfam« und »Conservation International« haben auch Mitglieder im »Executive Board«.) Verkauft der WWF seine Seele, wenn er im Rahmen des Schlagwortes einer »Green Economy« Zertifikate für »nachhaltigen« Anbau an Konzernen vergibt, die Anbauflächen vorher gerodet hatten? (Abgesehen davon wäre es interessant, die Frage nach der »Seele« selber zu stellen.) Kann man Anbau aus gen-verändertem Saatgut oder eine Lachszucht mit enormen Antibiotika-Mengen im Futter als »nachhaltig« bezeichnen? Wie verhält es sich mit Jason Clay, WWF-Vizepräsident, und seinem unbedingten Plädoyer für die Gentechnik (siehe hier und hier; Anmerkungen 52 + 54, S. 247), um die Ernährung der Weltbevölkerung in der Zukunft zu sichern? Spricht er als Funktionär für den WWF (er wird auf der Webseite als »Senior Vice President Market Transformation« aufgeführt) oder vertritt er, wie die Organisation glauben machen möchte, nur eine Minderheitenmeinung? Man wird doch wohl noch fragen dürfen.
Laut Studien (auch des WWF) sind heute noch 30% der Erdoberfläche mehr oder weniger unberührte Naturräume, in denen vor allem indigene Völker leben. Huismann schreibt in seinem Buch, dass, um einen Teil dieser Biotope zu erhalten, der WWF bereit sei, einen weitreichenden Kompromiss einzugehen. Man opfere große Waldflächen …, solange ein Rest von etwa 10 Prozent der Eroberfläche als geschützte Naturräume erhalten bleiben – in Form von Nationalparks. Diese 10%-Regel – sehr attraktiv für multinationale Konzerne – habe der WWF von der Weltbank übernommen, so Huismann, der dies mit einem Schreiben von 1997 nachweisen will (S. 233). Gerade hier hätte ich eine etwas genauere Definition der Begriffe »Erdoberfläche« und »unberührte Naturräume« gelesen: Tatsächlich können ja auch Wasserflächen »unberührt« sein (dort lebten dann allerdings kaum die angesprochenen indigenen Einwohner). Dennoch: Auf den »Faktencheck«-Seiten des WWF habe ich zu dieser brisanten Enthüllung keinerlei Hinweise gefunden.
Huismann konzediert: Der WWF tut beides: Er schützt Wälder und hilft gleichzeitig den Konzernen, sich Land unter den Nagel zu reißen, das ihnen vorher nicht gehört hat und auf dem Menschen leben und arbeiten. Diese Menschen, die ihren Lebensraum niemals zerstören würden und in Harmonie mit der Natur leben (bitte jetzt nicht die Kitschbilder des »guten Wilden« aus der Mottenkiste holen), »stören«, werden umgesiedelt und oftmals – überspitzt formuliert – teil-versklavt. Sie dürfen ihr ehemaliges Land fast nur noch als Arbeiter auf der entstehenden Plantage oder zu wenigen festgesetzten Zeiten betreten. Allein in Afrika sind 14 Millionen Menschen gegen ihren Willen umgesiedelt worden. Dies hat beileibe nicht alleine der WWF zu verantworten, aber er hängt eben auch einem »elitären Naturschutzmodell« (eine Formulierung des indischen Naturschützers Ullash Kumar) an.
Es gehört zu den interessantesten Kapiteln im Buch, wie Huismann die medialen Kampagnen der 1960er Jahre in Bezug auf die Serengeti und die ostafrikanischen Nationalparks aufgreift. Einer der federführenden Protagonisten in Deutschland war der Frankfurter Zoodirektor und Fernsehfilmer Bernhard Grzimek. Mit suggestiven Mitteln wurde dem europäischen Wohlstandsbürger erklärt, dass es von Menschen unberührter Reservate bedarf, um die Wildtiere zu schützen. »Serengeti darf nicht sterben« hieß die Kampagne nebst Film, die das Bild von der Natur als menschenfreie[m] Ort transportierte – und bis heute fortschreibt. In Ostafrika wurden beispielsweise die Massai häufig gegen ihren Willen und mit Trinkgeldern abgespeist vertrieben. Und dies nur, damit dort ein Nationalparktourismus in fast neokolonialem Stil etabliert werden konnte.
Während der WWF suggeriert, dass die Elefantenpopulation bedroht sei, sieht die Wirklichkeit in einigen Regionen anders aus. Danach gibt es nämlich nicht zu wenige und daher schützenswerte Elefanten, sondern zu viele. (S. 121) Dieser Entwicklung wird längst in der Ergänzung zum Safari- und Nationalparktourismus im Rahmen eines Jagdtourismus Rechnung getragen. Der weiße Jäger kehrt zurück. Und so können gut betuchte Damen und Herren (die Gleichberechtigung fordert womöglich auch hier ihren Tribut) in ost- und südafrikanischen Nationalparks beispielsweise für 30.000 US-Dollar einen Elefanten erschießen (aber auch andere Wildtiere stehen auf Wunsch zum Abschuss bereit). Die Trophäenbilder von Königen mit toten Tieren kennen ja inzwischen sogar Leser/innen aus Yellow-Press-Magazinen.
VetternwirtschaftlichBei dieser Form der Trophäenjagd denke ich sofort an den wohl wichtigsten deutschen Wissenschafts- und Naturjournalisten des 20. Jahrhunderts, Horst Stern. Immer noch unvergessen, wie die ARD am Heiligen Abend 1971 um 20.15 Uhr seine Sendung »Sterns Stunde – Bemerkungen über den Rothirsch« ausstrahlte. Stern räumte in seiner unnachahmlichen Art gleich mit mehreren liebgewordenen Vorurteilen auf. Es gab (und gibt immer noch) zu viel Rotwild in deutschen Wäldern, welches paradoxerweise im Winter sogar noch gefüttert wird. Dieses Wild verbeißt junge Bäume; die entsprechende Pflege, damit die saftigen Rinden nicht abgeschält werden, kostet viel Geld. Da die natürlichen Feinde (Bär, Luchs, vor allem aber der Wolf) aus den deutschen Wäldern vertrieben und/oder ausgerottet waren, bedarf es der konsequenten Jagd. Dies passiert jedoch viel zu selten. Und wenn dann gejagt wird, geschieht es mit einem Brimborium, das Stern unnachahmlich pointiert wie folgt beschrieb:
»Jedes Jahr einmal treffen sich die Jäger eines aus vielen Kleinrevieren bestehenden Rotwildrings und halten Erntedankfest. Sie nennen es Trophäenschau. Jagdbiologisch und als genetische Wildbestandsaufnahme sind diese Knochenschauen ganz zweifellos wichtig. In der Stimmung sind sie eine Mischung aus Kirchweih und Heiligenverehrung. Der hierarchische Privilegiencharakter der Rotwildjagd wird deutlich. […] Die nicht geringste wirtschaftliche Bedeutung der Rotwildjagd ist die vetternwirtschaftliche. Die großen Tiere drücken die kleinen im Kampf um Beute und Trophäe and die Wand.«
Welch’ verblüffende Parallele. Nur, dass es in Huismanns Buch nicht um den deutschen Wald geht. Sondern um afrikanische Nationalparks.
Huismann berichtet von der Gründung des WWF, einer Protestbewegung von oben. Es handelte sich von Anfang an um ein sogenanntes Elitenprojekt. Ausgiebig arbeitet er sich an Prinz Bernhard der Niederlande, der den WWF von 1962 bis 1976 führte und seine Verstrickungen während des Nationalsozialismus, ab. Die verhältnismäßig hohe Anzahl südafrikanischer Mitglieder in den 1970er/1980er Jahren im geheimbündischen »Club der 1001« soll ein gewisses ideologisches Kontinuum suggerieren. Es fand sich sogar, so Huismann, mit Sheik Salim Bin Ladin der altere Bruder Osama Bin Ladins auf der Clubmitgliederliste. Als gäbe es den älteren Bruder. Überflüssig auch seine Polemik von der Allianz aus Geld- und Blutadel, die sich hier zeigen soll. 1981 übernahm dann Prinz Philip, Duke of Edinburgh, die Spitze. Dekorativ stellt Huismann einen blöden Ausspruch von ihm als Motto vorab (»Im Falle meiner Reinkarnation würde ich gerne als tödliches Virus zurückkehren, um etwas zur Lösung des Problems der Überbevölkerung beizutragen«). Wenn Verachtung Empörung erzeugen soll, wird sie fast immer schwach. Das zeigt sich in diesem Kapitel deutlich.
Legitimation von NGOs
Spöttisch schreibt Huismann an einer Stelle, dass es beim WWF so etwas Altmodisches wie Wahlen nicht gebe. Das mag sein, ist aber als Argumentation unbrauchbar, da fast alle NGOs nur äußerst limitiert als demokratische Institutionen agieren. Huismann führt dieses Dilemma leider nicht weiter aus; es dient ihm lediglich als rhetorische Volte. Interessant wäre es ja, generell sowohl die innerorganisatorischen Strukturen als auch die gesellschaftliche und mediale Bedeutung von WWF, Greenpeace, BUND oder auch anderen, nicht dem Natur- und Umweltschutz verpflichteten NGOs, zu befragen. Warum werden Studien, Gutachten und Presseerklärungen von bestimmten Nichtregierungsorganisationen per se mit einem hohen Wahrheitsgehalt und damit auch Aufmerksamkeitspegel versehen? Warum sind Medien bereit, bestimmten zivilgesellschaftlichen, privaten Akteuren einen hohen Status im Diskurs zuzuerkennen – anderen jedoch eher nicht? Entscheidet hier die Größe? Die Prominenz und/oder die Vernetzung der Repräsentanten der Organisationen? Gerade in einem Buch über den WWF, der ja ausdrücklich keine »Graswurzelbewegung« darstellt (wie so manch andere Organisation einmal gestartet ist), hätte man hierzu gerne mehr gelesen. Der WWF ist ja nicht zuletzt aufgrund permanenter Zitatpräsenz derart bekannt.
Die häufig geäußerte These, dass NGOs keiner demokratischen Legitimation bedürfen, solange sie keine »keine kollektiv bindenden Entscheidungen treffen können«, ist in einer Gesellschaft, in der Entscheidungen auch fast immer ökonomische Perspektiven gerieren, unzureichend. Im Falle des WWF (aber nicht nur hier) ist es auch falsch. Wie Huismann belegt (und nicht bestritten wird), wird die Marke »WWF« (»die mit dem Panda«) gezielt als Werbe-Signal verwendet, um Konsumenten in eine bestimmte Richtung zu informieren bzw. – am Ende – zu beeinflussen. Produkte mit entsprechender »Zertifizierung« einer gut beleumundeten Organisation erhalten einen gravierenden Wettbewerbsvorteil gegenüber Erzeugnissen, die (aus welchen Gründen auch immer) nicht entsprechend gekennzeichnet sind. Damit ist jedoch im Falle des WWF wenig über die eigentliche Produktqualität des Erzeugnisses gesagt (wie beispielsweise einem Bio-Siegel). Wenn es denn stimmt, dass das Handeln von NGOs »solange legitimiert ist, wie es ihnen gelingt, die Bürger von der Notwendigkeit ihres Bestehens und ihrer Arbeit zu überzeugen«, kann man sofort die Aufregung des WWF um die Recherchen von Huismann verstehen.
Ungeachtet der gerichtlichen Streite bleibt die Behauptung, der WWF agiere auf Augenhöhe mit dem Jetset der globalen Unternehmen, unwidersprochen. Noch vor einem Jahr bezeichnete man sich als »Partner der Wirtschaft« [Seite 4]. Hier offenbart sich der eigentliche Dissens dieser Organisation, die im Gegensatz beispielsweise zu Greenpeace einen eher kooperativen, diskursiven Umgang mit den potentiellen »Gegnern« pflegt. Die Frage ist dabei weniger, ob eine brachiale Politik der Radikalverweigerung für eine NGO auf Dauer zählbare Erfolge bringt (außer, die eigenen Anhänger in ständiger Mobilisierung zu halten). Huismanns Beispiele sollen zeigen, wie der WWF Kompromisslinien schon vor jeder Diskussion antizipiert. Er deckt auf, dass die Organisation nicht nur Spenden aus der Industrie erhält, sondern auch von der Bank HSBC 100 Millionen US-Dollar. Dabei ist es ausgerechnet die HSBC, die, so Huismann, der größte Financier der Sojaproduzenten sein soll. Belegt wird das nicht. Es passt jedoch in das Credo des Buches: die »gute Marke« WWF dient allzu bereitwillig bestimmten Konzernen als grüner Ablasshandel. Für kleinste Entgegenkommen – so wird suggeriert – gibt es Zertifizierungen und Honorierungen. Der WWF sei durch diese Form der Spenden nicht mehr unabhängig. Damit wird, so Huismann, die größtenteils hervorragende Arbeit von WWF-Mitarbeitern beispielsweise in Deutschland gleich mit diskreditiert.
Das Märchen von der »Versöhnung« zwischen Ökonomie und Ökologie
In Wirklichkeit versucht der WWF die »Versöhnung« zwischen Ökonomie und Ökologie. Explizit sagt dies im Buch nur Héctor Laurence, Sojaunternehmer und langjähriger Präsident des WWF Argentinien (FVS) (S. 184–186). (Verzweifelt versucht der WWF nachzuweisen, dass es den WWF Argentinien nicht gibt bzw. der »FVS« nicht als Partner zu interpretieren sei. Merkwürdig dabei, dass von der WWF-Webseite bei »Argentinia« direkt ein Link auf den FVS gesetzt ist.) Laurence lud 2003 zum Forum der 100 Millionen ein, einem Runden Tisch zum Ausbau der Sojaindustrie. Er selbst leitete sowohl die Delegation der Naturschützer als auch die der Unternehmer. Ein dreistes Beispiel für eine Perversion von Naturschutz. Am Ende wurde übrigens beschlossen, in Argentinien den Anbau von 100 Millionen Tonnen Soja und Mais für die Energiegewinnung zuzulassen.
Und hier dann das zweite Déjà-vu in Bezug auf Horst Stern, der immer wieder darauf hingewiesen hat, dass diese »Versöhnung« eine Schimäre ist. 1990 schrieb Stern in einem Aufsatz mit dem trockenen Titel »Baum oder Zahl«:
»Es ist mir immer verborgen geblieben, wie ein Minus, das man mit einem Minus multipliziert, ein Plus ergeben kann, und darauf läuft es in meinem Verständnis von Natur im Grunde ja hinaus, wenn man zerstörte Natur mit einem zutiefst gestörten menschlichen Verhalten ihr gegenüber multipliziert und sich davon Gewinn für beide, Mensch und Natur, verspricht. Und ist ein Verhalten nicht tief gestört, das die Bilanzierungskünste des Marktes auf Ökosysteme anwenden will und Landschaftsruinen demnächst womöglich behandeln möchte wie Abschreibungsobjekte, auf welche Ökosteuern nachzuzahlen sind, wenn eine steuerbegünstigte schonende Nutzung der Natur zu Ausbeutung und Zerstörung geriet? Und was dann? Geldströme zu ihrer Neubelebung einleiten in die gestörten Kapillarnetze von Tieren und Pflanzen?« Und resignierend bilanziert Stern: »Die Natur, soweit sie diesen Namen noch verdient, ist ja heute schon den nordamerikanischen Indianern vergleichbar, denen man, nachdem man sie in die Gefahr des Verschwindens brachte, Reservate von fragwürdigem Wert zuwies. Die ’soziale Akzeptanz’ des Indianers durch die übrige Gesellschaft steigerte man dadurch nicht. Man machte ihn zu einem besuchens- und bestaunenswerten Exponat in einem Freilandmuseum für Völkerkunde; anstatt ihn – mit allen sozialen Chancen – zu integrieren, grenzte man ihn aus.«
Das alles ist also schon immer kompliziert gewesen. Und hierin liegt auch die Versuchung, Natur- und Umweltschutz an Organisationen zu delegieren, die mit schönen Bildern, wuchtigen PR-Maßnahmen, griffigen Parolen und prominenten Persönlichkeiten die Illusion vermitteln, alles werde gut. Die Hauptsache dabei: Niemand braucht wirklich sein Leben ändern. Huismanns Buch zeigt diese Haltung anhand der forcierten sogenannten »Biosprit«-Produktion (dabei ist alleine das Wort »Biosprit« ein Widerspruch in sich). Vordergründig scheinen die Probleme gelöst, in Wirklichkeit frisst der Anbau die Ackerflächen weg und sorgt dafür, dass die Lebensmittelpreise weltweit steigen und Grundnahrungsmittel in weniger entwickelten Regionen der Welt unerschwinglich werden, weil es für die Industrie lukrativer ist Pflanzen für die Energiegewinnung anzubauen. Es ist zu befürchten, dass Huismanns Aussage, dass Biodiesel in vielen Ländern der Welt zu einer neuen Welle struktureller Gewalt geführt hat, nur leicht übertrieben ist.
So ist Naturschutz längst zur Ersatzhandlung verkommen. Wir trennen den Müll, dämmen die Häuser, fahren Autos, die Verbrauchswerte angeben, die höchstens unter Laborbedingungen möglich sind, lassen uns von schwermetallgiftigen Sparlampen heimleuchten und kaufen uns bei Flügen mit einer virtuellen CO2-Abgabe los. Der Staat subventioniert die sogenannte Elektromobilität, ohne gleichzeitig zu berücksichtigen, woher der Strom kommt. Wenn dann auch noch irgendein Logo auf unseren Einkäufen prangt, sind wir glücklich. Beim Möbelkauf achten wir auf das FSC-Siegel, dessen Kriterien, wie Huismann am »FSC-Mix«-Label aufzeigt, zum Teil ziemlich verwässert sind (was den Verlag nicht gehindert das, am Ende des Buches just dieses »FSC Mix«-Siegel abzudrucken).
Natur ist nicht korrumpierbar
Aber es gibt keinen richtigen Weg, das Falsche zu tun. Dass die Natur nicht korrumpierbar ist, wird erfolg- und wortreich verdrängt. Aber mehr ist einfach nicht drin. Das haben in Deutschland auch längst die Grünen erkannt. Grenzen des Wachstums? Verzicht? Das ist den Wählern, die die Partei deutlich jenseits von 5% in Regierungsverantwortung hieven soll, nun wirklich nicht zuzumuten. Das bevorzugte Organ, an das sich die biobewegten Parolen richten, ist nicht das Gehirn des Bürgers, sondern dessen Gewissen.
Und mittendrin eine Organisation wie der WWF. Nicht als Verhinderer und zäher Kämpfer, sondern als konzilianter Mitspieler, der sich mit kleinen Zugeständnissen zufrieden gibt und, so der Vorwurf, einen organisierten Ablasshandel mit Nachhaltigkeitszertifikaten betreibt und damit Unternehmen kostengünstig grün wäscht (S. 140). Verständlich, dass man sowas ungern hört; die Botschaft ist unangenehm. Man hatte sich eingerichtet zu wissen, wer »gut« und wer »böse« ist. Wenn jetzt »Böse« mit den »Guten« hinter und sogar vor den Kulissen interagieren, wird das so mühsam »versöhnte« Weltbild erschüttert. Und man weiß ja, wie beliebt der Überbringer der schlechten Botschaft im Allgemeinen ist.
Der WWF gefangen in einem auf Dauer ungewinnbaren faustischen Pakt mit der Industrie oder ein geschickter Natur-Lobbyist? Huismanns Buch zeigt wie hehre Ziele durch Anpassungsprozesse an sogenannte Sachzwänge konterkariert werden können bis von den vormals mit Verve vertretenen Absichten kaum noch etwas übrig bleibt. Der WWF stellt dies anders dar. Er arbeite lösungsorientiert und nicht konfrontativ. Die Frage bleibt, wie weit die Lösungen dann gehen. Inzwischen sind Begriffe wie »nachhaltig« oder »grün« in ihrem inflationären Gebrauch längst zu wohlfeilen Beruhigungspillen geworden – ob mit oder ohne WWF. Im Rahmen der in Deutschland beschworenen Energiewende werden wir noch erleben, wie sich »grüne« Weltbilder (»erneuerbare Energien« vs. »Landschafts- und Naturschutz«) gegenseitig auf die Füße treten werden.
Aber dieses Schwarzbuch ist weit mehr als nur eine Ansammlung von Verwerfungen durch den WWF, die vielleicht nicht immer so stimmen und auch längst nicht exklusiv dieser Organisation zugeordnet werden können. Das Buch zeigt (womöglich ungewollt) die Unmöglichkeit einer wie auch immer gedachten »Übereinkunft« zwischen Naturschutz und unserem Lebensstil. Entweder man wählt mit einem Projekt das eine oder das andere. Alles andere gerinnt früher oder später zur bloßen Symbolpolitik. Mit der Natur lassen sich keine Kompromisse schließen. »Greenwashing« bleibt auch Unsinn, wenn die Industrie ein Mehrfaches bezahlen würde; Zerstörung bleibt Zerstörung. Huismann übersieht, dass der WWF längst das praktiziert was man pragmatisch als »Umweltpolitik« bezeichnet – und das in kollaborativem Stil. Das Wort »Umweltpolitik« spricht Bände. Es fehlt nämlich der Einschub »schutz«. Das ist nicht mehr vorgesehen. Aber eine solche Politik, die nur in Haushaltsgrößen und Machbarkeiten denkt, wird immer Gefahr laufen, den eigentlichen Gegenstand ihres Handelns aus dem Auge zu verlieren.
Wenn in einem kleinen Reservat in Indonesien nur noch zwei Orang Utans leben, die zudem dem Hungertod nahe sind, ist es nicht nur blanker Zynismus darauf hinzuweisen, dass diese beiden ohne entsprechende Intervention auch schon längst tot seien. Diese Aussage demonstriert anschaulich eine Sicht auf den Naturschutz, der am Ende nur noch Feigenblattcharakter hat. Natürlich kann man wissen, dass Orang Utans große Reviere benötigen und sich dabei nicht an die Vorgaben der grün-lackierten Pseudo-Umweltschützer halten. Aber es geht gar nicht um die zu schützenden Tiere oder Pflanzen. Es geht um eine Zahl. Exemplarisch wird damit der Alibicharakter solcher »Naturreservate« deutlich. Auf diese eindringliche Passage wird man in der zweiten Auflage des Buches wohl verzichten müssen; ein Vergleich zwischen Autor, Verlag und WWF sieht dies vor. Es lebe der Kompromiss.
Horst Stern beendete 1975 seinen zweiteiligen Film über Spinnen mit einer Episode, die als Metapher auf die heutigen Verhältnisse gesehen werden kann. Auf einem US-amerikanischen Raumflug in den 1970er Jahren nahm man für Experimente in der Schwerelosigkeit auch Spinnen mit. Da, so Stern ironisch, bei Raumfahrtprojekten inzwischen aufgrund von öffentlichem Druck auch gespart werden müsse, gab es als Nahrung für die Spinnen nur zwei Fliegen. Als man feststellte, dass die Spinnen am Verhungern waren, wollte man sie mit Rinderfilet füttern. Man hatte nicht berücksichtigt, dass Spinnen nur lebende Nahrung annehmen. Die Tiere starben. »Sie, meine Damen und Herren, wissen es nun besser«, sagte Stern und trat ab.
Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem »Schwarzbuch WWF«; teilweise ist die Seitenzahl der 1. Auflage angegeben. Die Zitate von Horst Stern sind aus dem »Horst Stern Lesebuch«, herausgegeben von Ulli Pfau, dtv 1992.
Kommentare sind willkommen. In Anbetracht der rechtlichen Dimensionen, die im Thema angelegt sind, behalte ich mir jedoch evtl. Eingriffe ausdrücklich vor, beispielsweise bei der Setzung bestimmter Links.
Danke, ich habe bereits überlegt das Buch zu kaufen.
Zum Legitimationsproblem der NGOs: Ich denke, sie verhalten sich grundsätzlich wie Unternehmen, brauchen daher wie diese nicht zwingend eine demokratische Legitimierung. Problemtisch wird es allerdings, wenn sie versuchen dezidiert Einfluss auf demokratische Entscheidungen zu nehmen, ohne dass die entsprechenden institutionellen Wege respektiert werden (lobbying).
Naja, etliche NGOs wollen ja gerade durch ihre mediale Präsenz Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Sie sitzen häufig als »Experten« an den Konferenztischen. Am Ende betreiben sie »Lobbying« wie Industrievertretungen auch. Dabei wirken sie in der Öffentlichkeit aber immer etwas glaubwürdiger als bspw. die Politik oder Wirtschaft. Das kann man aber – wie ein solches Buch exemplarisch zeigt – durchaus befragen.
Ja, das muss einerseits auf thematischer Ebene, andererseits auf der der Vorgangsweise geschehen. Außer Acht lassen sollte man auch nicht die Daseins- und damit Zweckbegründung der jeweiligen NGOs.