A.d.L.e.R: Aus dem Leben einer Rikschafahrerin – Nr. 13
Der Wecker klingelt. Ich stelle ihn aus. Ich wache auf. Ich drehe mich um. Gleich werde ich aufstehen und Frühstück machen. Soll ich heute rausfahren, oder soll ich nicht? Mal sehen. Diese Entscheidung werde ich nach dem Frühstück treffen. Ein Himmelreich für ein Angestelltenverhältnis. Das Wetter ist unzuverlässig, von der Kundschaft nicht zu reden. Fahre ich raus, stehe dann bloß wieder rum, werde missmutig davon und verliere meine Zeit, oder bleibe ich zu Hause, schreibe den nächsten AdLeR und kümmere mich um den Haushalt? (Bei mir siehts aus wie bei Hempels unterm Sofa.)
Ich frühstücke reichhaltig und in Ruhe. Dabei frage ich mich, ob ich heute rausfahren soll oder nicht. Ich finde keine Antwort und verschiebe die Frage zum zweiten Mal auf nach dem Frühstück, das ich geniessen möchte. Das Geniessen ist freilich nicht so einfach mit dieser Frage im Hinterkopf. Wie mans macht, macht mans verkehrt. Auf jeden Fall werde ich, wenn ich nicht rausfahre, ein schlechtes Gewissen haben wegen meiner Faulheit. Denn wenn ich mir schon frei nehme, will ich natürlich nicht auch noch zu Hause arbeiten, der Haushalt kann warten. Ich werde von meinem Sofa aus mit hochgelegten Füßen an jene Kollegin denken, die über den Daumen gerechnet siebenmal in der Woche Tag und Nacht draußen ist.
Nach dem Frühstück konsultiere ich drei verschiedene Wettervorhersagedienste, die für den heutigen Tag folgendes anbieten: Es wird nicht regnen, es kann regnen, es wird regnen. Man müsste die Trefferquoten der einzelnen Dienste statistisch analysieren und könnte dann eine Wahrscheinlichkeitsrechnung aufstellen, wann sich welcher Dienst irren wird. Allerdings können sich Wahrscheinlichkeitsvorhersagen über Irrtümer von Wettervorhersagediensten gleichermaßen als richtig oder falsch erweisen. Wenn es regnet, bin ich aus dem Spiel, meine Rikscha hat kein Dach. Bleibe ich zu Hause, wird es nicht regnen. Fahre ich raus, werde ich des Regens wegen abbrechen müssen. Die Konsultation der Wettervorhersagedienste hat mir nicht weitergeholfen. Ich weiß immer noch nicht, ob ich rausfahren soll oder nicht.
Ich mache noch schnell Notizen für den nächsten AdLeR und erläutere danach meiner Partnerin alle Kriterien, nach denen die Entscheidung für oder gegen das Rausfahren zu treffen ist. Mögliches Kundenaufkommen nach Feiertagen, Bundesländerferien, Events, Wetter und allgemeiner Stimmung. Umsätze der vergangenen Tage. Wie viel ich vielleicht verdienen könnte. Wie viel Zeit ich möglicherweise verlieren würde. Was ich sonst noch zu tun habe. Wie ich mich fühle, (wenn man down ist oder angespannt, steigt garantiert niemand ein). Früher riet mir meine Partnerin noch so oder so, heute seufzt sie nur noch. Ich seufze auch. Ich fürchte das drückende Warten auf Kundschaft, wenn die Minuten, halben Stunden, Stunden verrinnen, und fürchte gleichermaßen von zu Hause aus daran zu denken, wie draußen das Geschäft läuft. Wir seufzen gemeinsam. Das Abwägen im Gespräch hat mich der Entscheidungsfindung nicht näher gebracht. Am Ende kann man nichts über die Zukunft sagen, weil sie sich noch nicht ereignet hat, und dass die Sonne morgen aufgehen wird, ist bloß eine Hypothese. Deshalb ist auch jetzt nicht vorhersagbar, was sich ereignen wird, nach dem ich den Schlusspunkt unter diesen Text gesetzt haben werde, ob ich also heute noch rausfahren werde oder nicht.
Einen virtuellen Osterhasen für den-/diejenige/n, der erkennt, auf wen hier angespielt wird...
Der geneigte Leser stellt schmerzhaft fest: Der Gastgeber dieses Blogs scheut keine Trivialität, Aufmerksamkeit zu erheischen. Und sei es mit einem eigentlich den Intellekt seiner Leser beleidigenden Ratespiel...
[klingt sehr nach einem Russen mit O. (von einem Russen mit G.) – den ich leider immer noch nicht gelesen habe..]
Nein, einen Russen meine ich nicht...
nachdem’s Herr Oblomov nicht war, der auf den Anfang gut gepasst hätt, weiß ich nicht wer der/die statistklgläubige Herr/Dame sein könnte (zeitgenössisch? Bundesbank? oder literarisch? angestaubt?)
[EDIT: 2011-04-24 22:42]
Kafkas Verwandlung?
Aber sie erwähnt doch mit keinem Wort, dass sie sich als Insekt fühlt!
Eben. Darum ist Kafka nicht richtig.
Na ich hoffe mal, Du bist nicht raus gefahren, hast die Beine hoch gelegt, ein gutes Buch gelesen und Dich trotzdem gefreut, wenn die Sonne raus kam. Du weißt doch, auf die schlechten und unentschlossenen Tage folgen immer auch gute. Und an denen muß mal gut drauf sein, damit es läuft. Also genieß das Leben und ärgere Dich nicht über die unentschlossenen Wetterfrösche.
See you on the road.
Das Kalkwerk
Nicht direkt passend. Aber Das Kalkwerk ist für mich der Inbegriff des Zauderns und Zögerns geworden.
Ja, das Kalkwerk ist ein grandioses Buch. Aber das ist hier nicht gemeint.
Das, was ich suche, deutet sich schon im Titel an...
Wittgenstein
Dass die Sonne morgen aufgehen wird, ist eine Hypothese; und das heißt: wir wissen nicht, ob sie aufgehen wird. – Tractatus logico-philosophicus, 6.36311
Genau!
und frohe Ostern.