Wirtschaftsminister Michael Glos war ein Spiegelbild der Institution des Wirtschaftsministers; ein Rest alte Bundesrepublik. Glos war jahrelang ein Strippenzieher, Friedens- oder Unruhestifter (je nach Bedarf) in der CDU/CSU-Fraktion und eine Art U‑Boot der CSU in Bonn und später Berlin. Das konnte der Mann, dessen Äusserungen manchmal von ein oder zwei Maß Bier beeinflusst schienen, ganz gut. Zum Wirtschaftsminister wurde er weil Stoiber hinwarf und der Parteienproporz eingehalten werden musste. Er, der Ungediente, wollte lieber Verteidigungsminister werden. (Und ich mal Busfahrer.)
Es macht nichts, dass der neue Wirtschaftsminister, Freiherr zu Guttenberg, kein »Fachmann« ist. Das sind die Minister bis auf wenige Ausnahmen nie. Im Wirtschaftsministerium ist das am wenigsten notwendig. Der Schaden, den man dort anrichten kann, ist minimal. Das jemand wenig oder keine Ahnung von der Materie kann, kann bei diesen Entwicklungen fast ein Vorteil sein. Vielleicht zeigt zu Guttenberg öfters mal auf des Kaisers’ neue Kleider. Viel Hoffnung braucht man da allerdings nicht haben; der Mann hat das elaborierte »Wie-sage-ich-mit-vielen-Worten-nichts« extrem gut drauf. Aus ihm könnte also noch was werden.
Vorbei die Zeiten, als ein Wirtschaftsminister die Infrastruktur einer Wirtschaft erschaffen musste wie Ludwig Erhard. Spätestens nach Karl Schiller hätte man das Amt abschaffen können, alleine schon um uns Figuren wie Bangemann, Haussmann, Möllemann oder Rexrodt im Ministerstatus zu ersparen (Müller und Clement waren auch nicht besser; viele nutzten das Ministeramt als Sprungbrett für ihre Wirtschaftskarriere). Aber das Postministerium hielt ja auch noch bis 1997.
Da inzwischen fast jede politische Entscheidung vorauseilend an ökonomische Parameter ausgerichtet wird (die Lobbyisten agieren inzwischen derart ungeniert, dass man sich nur wundern kann ob dieser Dreistigkeit), ist das Wirtschaftsministerium längst Relikt einer vergangenen Zeit und so überflüssig wie ein Kühlschrank in der Antarktis. Die Mitarbeiter liessen sich bequem auf andere Ressorts verteilen. Einen Wirtschaftsonkel braucht dieses Land längst nicht mehr. Und um den »Ball des Sports« zu eröffnen, sollten sich auch andere finden lassen. Ein Wirtschaftsminister ist ein Anachronismus.
Ist es nicht so,
dass man nicht über die Bedeutung eines Ressorts urteilen kann, ohne die jeweilige Person in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen?
In der Tat hat das Wirtschaftsministerium ‑Sie nennen genügend Beispiele- in den letzten 15(?) Jahren nicht allzu viel Profilschärfe gezeigt. Allerdings halte ich die Frage, ob es sich um eine strukturelle Schwäche des Ministeriums handelt, oder ob schwache Minister zum Status Quo geführt haben, für nicht ganz so eindeutig zu beantworten (wobei Lafontaines damaliges Superministerium vermutlich schon zu einer strukturellen Schwächung beigetragen hat).
Grundsätzlich kann ich mir durchaus vorstellen, dass ein profilierter oder sich profilierender Minister (w/m) dem BMWi wieder zu mehr Glanz bzw. v.a. Bedeutung und Daseinsberechtigung verhelfen könnte. Letztere sehe ich beispielsweise mit Blick auf den Mittelstand – so tritt in Baden-Württemberg (wie auch in anderen Ländern) das WM nach außen seit vielen Jahren als Mittelstandsministerium auf; ob es diesem Anspruch gerecht wird, wird natürlich kontrovers diskutiert. Das Ressort ist auch hier seit geraumer Zeit in der Hand eines »kleinen« Koalitionspartners, dessen Gestaltungsspielräume eingeschränkt sind und der es nicht immer gleich kompetent besetzen kann.
Für Ihre These, ein WM sei nicht mehr vonnöten, spricht indes die (mit Blick auf Lafontaine bereits angesprochene) Tendenz, potenziell wirtschaftspolitische Bereiche anderen Ressorts zuzuordnen, wie sie erneut auf Landesebene zu beobachten ist: bspw. liegt in NRW die Innovation beim WIssenschaftsministerium und in BaWü der Verkehr beim Innenministerium. Für beide Zuordnungen gibt es nachvollziehbare Gründe; man hätte es sich aber auch anders vorstellen können.
Hihi, »ein Kühlschrank in der Antarktis« trägt zur Erderwärmung bei, am meisten, wenn man die Tür offenstehen lässt, damit die Kälte ausströmen kann ;-)
Mich erstaunt an der Chose nur der außerordentliche Dilettantismus aller Beteiligten, ich habe die ersten Nachrichten fast nicht geglaubt.
Ich bin nicht sicher, ob die Sache von Glos nicht genau so eingefädelt war, um zum Schluss noch Seehofer (der sich ja inzwischen wie ein Polit-Terminator geriert) und Merkel einen mitzugeben. Da zeigt sich der Strippenzieher. Da es um ihn nicht mehr ging (er will ja nichts mehr werden), hat er beide aufs Eis geführt. Dafür mag ich ihn dieses Mal, obwohl er natürlich niemals Wirtschaftsminister hätte werden dürfen.
#1 @ heinzkamke – Gut!
Sie sprechen da einen interessanten Punkt an: Kann ein eigentlich mehr oder weniger obsoltes Ressort durch die Persönlichkeit des Amtsinhabers gewinnen? Am ehesten vermag ich das am Beispiel des Bundespräsidenten zu bejahen (Heinemann; von Weizsäcker). Umgekehrt würde die These bedeuten, dass durch schwache Amtsinhaber die Bedeutung des Ministeriums immer weiter sinkt, was zur Folge hat, das der/die neue(n) Amtsinhaber wieder schwächer werden, usw. Eine Spirale der schleichenden Bedeutungslosigkeit sozusagen. Ich neige dazu, Ihnen zuzustimmen!
In diesem Sinn weitere »überflüssige« Ministerien (im Bund): Bildung und Forschung (Forschung könnte dem Innenministerium zugeschlagen werden; Bildung wird in den Ländern gemacht); Wirtschftliche Zusammenarbeit (»Entwicklungshilfe«) und Verkehr und Bau. Auch hier lässt sich Ihre These sehr gut anwenden und bestätigen.
Irgendwie auch beängstigend,
diese These von der schleichenden Bedeutungslosigkeit – zumal mir grade keine guten Beispiele einfallen (obwohl ich diese in meinem ersten Kommentar unterstellte, ich weiß), in denen ein neuer Minister die Bedeutung seines Hauses deutlich verbesserte.
Immerhin: man kann die Ressortzuschnitte verändern und so scheinbar neue Ministerien außerhalb der Spirale schaffen (zB Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement als Teil-Nachfolger des Ministers für Arbeit und Sozialordnung Riester).
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bzgl. »Strippenzieher« Glos: volle Zustimmung.
BMWi
Die Bedeutungslosigkeit des BMWi ist, wie mein Vorredner schon bemerkt hat, vor allem von Lafontaine verursacht. Seit Ende der 50er gab es eine mehr oder weniger geheime Arbeitsteilung von Auswärtigem Amt und BMWi in Bezug auf die (auch schon damals) immer wichtiger werdenden Europakompetenzen. Die Integration des Binnenmarktes war damals das vorrangigste Ziel der EWG und so wurden logischerweise viele Kompetenzen an das BMWi gegeben. Ein Anhaltspunkt dafür war die sogenannte Abteilung E, eine ganze Abteilung des Wirtschaftsministeriums für die Europapolitik. Das AA behielt aber Kompetenzen bei konstitutionellen Fragen, also Vertragsverhandlungen, Beitrittsverhandlungen und der Gestaltung der europäischen Institutionen. 1998 wurde dann auf Geheis von Lafontaine die Abteilung E vom BMWi auf das Finanzministerium übertragen – das ist bis heute so. Steinbrück hatte gegenüber Glos also immer einen administrativen Vorteil. Auch ist der Gegenstand seines Ministeriums (die Finanzen des BUNDES) abgrenzbarer von den Länderministern als Glos’ Wirtschaftsministerium. Weiterhin hat Steinbrück im Kabinett (wie seine Kollegin Zypries) ein suspensives (verzögerndes) Vetorecht. Die eingeschränkte Gestaltungsmacht plus die eigene Inkompetenz und Unlust lassen Glos’ Schritt verständlicher werden (obgleich es kein stilgerechter Rücktritt war).
Ungeklärt ist trotzdem, ob die horizontal fragmentierte Kompetenzverteilungen in Hinsicht auf Europakompetenzen (9 Ministerien haben eigene Europareferate) die Position der Bundesregierung nicht schwächt und ob man das nicht reformieren sollte. Schröder wollte einen Staatsminister für Europafragen im Kanzleramt installieren (eigentlich eine gute Idee). Dies scheiterte jedoch daran, dass die Europakompetenzen des AA auch hätten abgegeben werden müssen – und das hat der kleine Koalitionspartner (damals die Grünen mit Außenminister Fischer) logischerweise verhindert.
Danke für diese
interessanten Anmerkungen; einige Details waren mir nicht bekannt.
Das Glos’ Rücktritt nicht stilgerecht war, ist natürlich richtig. Menschlich fand ich das allerdings verständlich, zumal er sich schon im November über mangelnde Berücksichtigung durch die Kanzlerin öffentlich beklagte.
Ich denke mal, wenn der Kapitalismus notgedrungen zu seiner planwirtschaftlichen Phase übergeht, wird er sich alle zehn Finger nach einem starken Wirtschaftsminister lecken.
Nach einem Planwirtschaftsminister wohl eher, oder?
Oder umgekehrt:
Fakt ist, dass es in der Regierung nur noch Wirtschaftsminister – oder besser der Wirtschaft brav dienende Mister – gibt.
Das Problem ist das Primat der Wirtschaft in unserer Gesellschaft. Es gibt in diesem Sinne immer weniger Politik, aber immer mehr Verwaltung im Interesse gewisser Wirtschaftskreise.