Eigentlich macht man das nicht: Über ein Buch schreiben, was man nicht gelesen hat. Aber manchmal reicht es auch, nur einen Teil gelesen zu haben, um festzustellen, dass das Leben viel zu kurz ist, sich weiter mit dem Gelesenen zu beschäftigen.
So ging es mir mit Kai Diekmanns Äusserungen aus seinem Buch »Der große Selbstbetrug«, welches nun – in durchaus kurioser Form – vorgestellt wurde. Michael Naumann erbarmte sich, begab sich in die Höhle des Löwen (des Löwen?) und bürstete den gegelten Autor ein bisschen gegen den Strich. Das ist vermutlich ganz schön hanseatisch abgelaufen und vielleicht wird es Naumann gelingen, bis zu den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft noch ein, zwei Mal in der »Bild«-Zeitung erwähnt zu werden. Das ist doch was.
Diekmann glaubt die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Eine Abrechnung mit den 68ern treibt ihn wohl um. Besser noch: Eine Abrechnung mit den »Gutmenschen«. Das ist – so hat das neulich Stefan Niggemeier ganz treffend formuliert – aus der Sicht rechtsradikaler Spinner auch ein Synonym für »linker Nazi«. Eine wesentlich andere Meinung scheint Diekmann nicht zu hegen, was nicht unbedingt für ihn spricht. Aber wer erwartet eigentlich von einem Chefredakteur der »Bild«-Zeitung Differenzierungsvermögen. Das ist eher eine Ausschlussbedingung. Ungefähr so, als könnte man Papst werden, wenn man geschieden ist.
Vermutlich sieht sich Diekmann in der Nachbereitung von Udo di Fabios restaurativ-intellektuellem Gesellschaftsentwurf »Die Kultur der Freiheit« und/oder Schirrmachers »Minimum«. Beide entdecken die Strahlkraft vergangener »Gartenlaube«-Idyllen in Grossfamilien wieder, die es – das kann man empirisch belegen – so nie gegeben hat (ausser vielleicht bei einigen Bildungsbürgern und in Romanen). Insbesondere di Fabio sieht seit 1968 nicht nur eine Atomisierung von Werten, beispielsweise der viel geschmähten Sekundärtugenden, sondern auch eine Bevormundung des Staates in die Lebensentwürfe der Bürger, die diesen wiederum träge machen. Dies gilt es zu durchbrechen. Hierfür findet di Fabio den Begriff der »Freiheit«. Die Regulierungskräfte des Staates sind für ihn Instrumente der Zementierung der Unselbständigkeit der Individuen, die sich dann lieber den Strukturen ergeben, statt Neues und Unbekanntes zu riskieren. »Freiheit« bedeutet für ihn, sich aus der selbstgewählten Unmündigkeit zu befreien – und dies wird dann notfalls dem Bürger verordnet. Das dies nicht auf Begeisterung stösst, ist klar: Einem Bergsteiger, der mitten auf der Tour der Rucksack abgenommen bekommt, wird zwar die Gewichtserleichtung spüren, aber wenn er auf seinen Rucksack nicht mehr zurückgreifen kann, beginnen die Probleme.
Bei allem Unverständnis, welches den Leser bei di Fabio überkommt und bei allem Kopfschütteln über Schirrmachers Angst, das Unausgesprochene zu benennen – beide verbindet eine nicht zu leugnende Intellektualität (freilich auf unterschiedliche Art). Von einfachen Schlagworten halten sich beide Autoren – klug genug! – fern. Ihnen gemein (und nicht nur ihnen) ist allerdings das tiefe Unbehagen der Kulturrevolution, die (undeutlich, weil verkürzend) mit dem Begriff der 68er definiert wird.
Kai Diekmann kann sich natürlich nicht mit den oben genannten Autoren messen. Seine Philippika gegen die »Gutmenschen«, jene säkulare Form des pietistisch-abseitigen Frömmlers, ist grundsätzlicher Natur. Hier schreibt sich offensichtlich jemand seinen Frust von der Seele. Jahrzehnte aufgestaute Wut. So, als wolle sich jemand gegen die rächen, die ihm auf dem Schulhof immer auf das Pausenbrot gespuckt haben. Endlich hat Diekmann das Klima vorgefunden, in dem er sich sicher wähnt. Die Restauration beginnt spätestens seit dem Abgang von rot-grün. Diekmann hat dies mit den anderen Springer-Zeitungen und in seltsamer Allianz mit dem »Spiegel« herbeigeschrieben. Die Überraschung war, dass das Volk dann fast nicht so abgestimmt hätte, wie man es ihm eingehämmert hat. So was aber auch.
Wer will, kann im Online-Lexikon Wikipedia eine interessante Diskussion lesen – auf der »Gutmensch«-Seite. Der Begriff ist (siehe oben) umstritten. Einige bringen ihn mit dem nationalsozialistischen »Stürmer« in Verbindung; ein Studium hierüber wäre sicherlich notwendig, aber den »Stürmer« gibt’s noch nicht online. Andere wiederum halten ihn für ein eher harmloses Attribut. Das ist er aber mit Sicherheit nicht.
Ist es nicht merkwürdig, dass heutzutage ein »guter Mensch« ein Depp ist? Dass jemand, der an »das Gute im Menschen glaubt« (lassen wir im Moment einmal weg, dass es sich um eine kindische Metapher handelt) als weltfremder Spinner gelten muss? Und das solche lackierten Wichtel wie Diekmann sich als Welterkenner und Weltenversteher ausweisen können, ohne dass ihnen schallendes Gelächter entgegen dröhnt? (Enorm lustig auch dieses Interview von Diekmann, in dem er sich als detailversessenen Journalisten outet; ein Brüller.)
Und dann wird ganz schnell der »Gutmensch« zur Plage, weil – Überraschung! – dessen Weltsicht auch die Berichterstattung inzwischen bestimme. Das ist wenigstens konsequent, denn sein Blatt ist zuverlässig von jeder toleranten und weltoffenen Berichterstattung meilenweit entfernt. Stattdessen masturbieren Geisteszwerge wie Herr Wagner da herum, aber – dem »Bildblog« sei Dank – inzwischen ist es niemandem guten Willens (!) mehr möglich, zu sagen, er hätte davon nichts gewusst.
Ach ja: Wie Diekmanns journalistische Imperative aussehen, kann man am Beispiel des WamS Kommentators Alan Posener sehen, der auf seinem Blog Diekmann stark kritisierte – und dessen Text ganz schnell gelöscht wurde.
Michael Naumann ist ein kluger Mensch. Er nannte Diekmanns Buch eine »Selbstenthüllung auf 254 Seiten«. Er hat dieses Buch gelesen. Er hat bestimmt recht. Und man sollte die (notwendige) Diskussion um die 68er ganz sicher anderen Leuten überlassen als Diekmann et. al. Das haben die verdient.
PS: Was ist eigentlich das Gegenteil des »Gutmenschen«? Der »Bösmensch«? Der »Broder«?
Wer hilft?
Hilfe naht
Ein weiteres Gegenteil von »gut« ist außer »böse« auch noch »schlecht«. Da kann man dann nicht bloß »Schlechtmensch« ableiden, sondern auch als Gegenteil von »du bist ein Guter« bülden: »Du bist ein Schlechter.« Von solchen Menschen wimmelt es in der toitschen Geschichte.
Heinrich Zille sagte: „Man kann einen Menschen mit einer Axt erschlagen, aber man kann ihn auch mit einer Wohnung erschlagen.« Heute kann man nicht bloß eine Fliege, sondern auch einen Menschen mit einer Zeitung, nein, mit dieser Zeitung erschlagen.
Danke
für die Hilfe. Dann darf man Diekmann und Konsorten in Zukunft wohl als »schlechte Menschen« bezeichnen – und sie müssten sich bestätigt fühlen.
Was ein bisschen tröstet (falls man des Trostes bedürftig ist): Zeitungen wie diese gibt es ja nicht nur in Deutschland, sondern bspw. auch in Grossbritannien (besonders gefürchtet!), der Schweiz und – natürlich – auch in Österreich. Ich frage mich, wogegen dort gewettert wird, wenn dieses »Gutmenschen«-Phänomen inklusive Selbsthass so typisch deutsch sein soll.
Die Überraschung war, dass das Volk dann fast nicht so abgestimmt hätte, wie man es ihm eingehämmert hat.
Wieso „fast“? Die Abstimmung ergab doch eine klare linke Mehrheit, also genau entgegengesetzt der hämmernden Propaganda. Das Ergebnis der Verfälschung des Wählerwillens bekommt die SPD nun zunehmend zu spüren.
Ansonsten fällt mir zu Dieckmann immer nur ein, dass er einen ganz, ganz kleinen Schniedel haben soll, den er auch auf dem Klagewege nicht vergrößern konnte. Niveaulos? Ja sicher, aber bei der Erwähnung von BILD und seinen Machern werde ich zum Bösmenschen.
Das mit dem Wählerwillen...
ist so eine Sache. Nicht jeder, der SPD oder Grüne gewählt hat, hat damit automatisch ein Mandat für eine Linkskoalition abgegeben – und nicht jeder der seinerzeit die Linke gewählt hat, wäre für eine Koalition SPD/Grüne gewesen.
Umgekehrt ist es natürlich auch unsinnig, wenn immer gesagt wird, »der Wähler« habe die Grosse Koalition gewählt. Das könnte man nur sagen, wenn tatsächlich Koalitionen zur Wahl stünden und nicht Parteien.
Die linke Mehrheit existiert praktisch seit 1998. 2005 war sie allerdings erstmals im Bund auf parlamentarischer Ebene nur noch zusammen mit der Linkspartei vorhanden. Da vorher feststand, dass es mit Schröder keine Koalition mit der Linkspartei gab, kann von einem Wählerwillen für SPD/Grüne/Linke nur arithmetisch die Rede sein.
Mit »fast« meine ich die »Blockbildung«: CDU/FDP und SPD/Grüne. Wir kennen alle die teilweise gezielten Falschprognosen. Ich fand es um so erstaunlicher, dass es so knapp war.
Meines Erachtens ist unser Verhältniswahlrecht auf Dauer schädlich. In zu erwartenden Dreierkoalitionen wird das Regieren mit einer zweiten Kammer, die meistens noch andere Mehrheiten hat bzw. Partikularinteressen vertritt, zur Qual. Aber das ist ein anderes Thema.
Im Prinzip hatte ich natürlich verstanden, was Sie mit „fast“ meinten. Trotzdem bleibt es eine Tatsache, dass die, nach Definition des CDU/FDP-Blocks, „linken“ Parteien im Parlament eine satte Mehrheit darstellen. Aus genau diesem Grunde erscheint mir auch die defensive Selbstbescheidung der SPD, genauso wie die auftrumpfende Selbstzufriedenheit der Kanzlerpartei ziemlich merkwürdig. Zumindest der Machtanspruch der CDU steht doch auf äußerst tönernen Füssen und auch die aktuellen Umfragetrends z.B. Lokführerstreik, Hartz IV, Afghanistaneinsatz oder soziale Gerechtigkeit deuten eher auf eine Verstärkung der linken Mehrheit hin. Das die SPD dieses günstige Meinungsumfeld nicht offensiv nutzt, sondern sich statt dessen mit der Begründung „gesamtstaatlicher Verantwortung“ selbst blockiert, macht ja das Dilemma der linken Mehrheit aus.
Aber Sie haben recht, im Zusammenhang mit den Schlechtmenschen von BILD ist dies nun ein ganz anderes Thema.
Dilemma der SPD
Das Dilemma der SPD ist, dass sie mit der Agenda-Politik Schröders eine Richtung eingeschlagen hat, die zwar einige in der Partei für pragmatisch und vernünftig halten (sozusagen dem Kapitalismus ein menschliches Antlitz zu geben [man darf nicht vergessen, dass etliches, was Schröders Agenda-Politik ausmacht, vorher seit Jahren gefordert wurde – von beiden Parteien]), aber in der Breite der Basis nie eine Mehrheit gefunden hat. Etliche, die 2005 dann doch die SPD gewählt hatten, wählten nicht für Schröder sondern gegen Merkel und den Professor.
Das kommt mir im Moment so vor, als sei der Treck der SPD ohne den- bzw. diejenigen unterwegs, die sie auf den Weg gebracht haben. Umkehren geht nicht mehr – weitermachen auch nicht. Was Beck versucht ist Pfahl im Fleisch einer ungeliebten Regierung zu sein und auf vordergründig populäre Empfindungen zu reagieren. Politik – in meinem Verständnis – bedeutet aber nicht unbedingt, dem Volk nach dem Maul zu reden, sondern ein umfassendes Angebot zu machen, was dann zur Disposition steht.
Ziemlich sicher scheint mir zu sein, dass die Trends der Umfragen nicht auf kurzfristige Stimmungsschwankungen, sondern auf ein tiefsitzendes Unbehagen bei der Mehrheit der Bevölkerung wegen zunehmender Ungerechtigkeit in der Gesellschaft hindeuten. Hier versucht nun Beck mit untauglichen Mitteln (man erkennt die vordergründige Absicht und ist verstimmt) Punkte zu sammeln. Es wird der SPD nichts nutzen, solange sie sich nicht erkennbar vom CDU/FDP-Block absetzt, also genau das von Ihnen gewünschte umfassende Angebot zur Disposition stellt. Solange sich die SPD wegen der Berührungsangst zur Links-Partei als linientreuere CDU geriert, wird sie, bis zur Unkenntlichkeit entstellt, den Nimbus der linken Volkspartei vollständig einbüssen.
Nicht zu fassen, sind doch die arithmetischen Mehrheitsverhältnisse völlig eindeutig.
Um jetzt ein bisschen zu provozieren:
Ja, die arithmetischen Verhältnisse sind eindeutig. Aber ist die SPD überhaupt noch »links« oder simuliert sie das nur noch? Die Verwässerung in Richtung CDU/FDP begann ja eigentlich schon vor Schröders erster Wahl 1998 und der »neuen Mitte«. Um bestimmte Kräfte, die eigentlich konservativ wählen, nicht zu verprellen, die aber des Einheitskanzlers überdrüssig waren, stand Schröders »Angebot« des vielen, was man besser machen will (und eben nicht vieles anders – das kam erst später, aber anders als gedacht). Viele konnten einfach den Dicken nicht mehr sehen und Schröder versprach nicht allzuviel Änderungen (und wenn, dann nur Gutes – ich erinnere an die eine Mark Senkung der Rezeptgebühr pro Medikament!)
Mit den Grünen als Alibilinke (die allerdings sofort ihre Jungfernschaft mit dem Kosovokrieg verloren) hatte Schröder ein schönes Regieren. Er hat – wenigstens was die Innenpolitik anging – in den ersten vier Jahren für seine Ansprüche betrachtet nicht viel falsch gemacht. Einige richtige Punkte, wie bspw. die Abschaffung der 630-Mark-Jobs, hat er flugs wieder zurückgenommen. Aussenpolitisch gab es auch »keine Experimente«; mit dem Kosovo-Krieg und Afghanistaneinsatz hat man den Wünschen der Amerikaner voll entsprochen. Die SPD galt bis weit ins bürgerliche Lager lange als bessere CDU.
Um die Provokation auszuweiten.
Welche Partei, vor allem der Volksparteien, ist denn noch wie vor ein paar Jahrzehnten? Es ist doch längst so, dass besonders jene Parteien die einen Wählerauftrag bekamen bzw. bekommen wollen, eine bunte Mischung darstellen. Man fischt gut und gerne in den Gewässern der Konkurrenz – in Europa ein durchaus verbreitetes Phänomen. Die Frage ist nur, ob das so sein muss, weil durch bestimmte Zwänge unserer globalisierten Welt auferlegt, oder es nur recht und billig ist.
@Metepsilonema
In der Tat wird der Begriff »Volkspartei« fast nur noch zur Floskel, da jede Partei versucht, Partikularinteressen irgendwie in ihr Konzept hineinzupressen. Das verwässert dann natürlich die Programmatik – unter Umständen bis zur Unkenntlichkeit.
Das Problem besteht m. E. zum grossen Teil darin, dass alle zu stark in diesen Parteienkategorien denken. Das wird durch die Medien noch befördert. Der kindliche – manchmal gefährliche – Wille zur »Geschlossenheit« zeigt das an. Was fehlt ist der Mut, sich im Parlament Mehrheiten zu suchen, die abseits parteipolitischer Kampflinien liegen. Das sieht man in den skandinavischen Ländern etwas anders, und die werden im Zweifel nicht schlechter regiert.
Das schlimmste Urteil über eine politische Partei im medialen Zirkus lautet »zerstritten«. Das ist dann schon der Fall, wenn es einige wenige Abgeordnete gibt, die einem Mehrheitsbeschluss widersprechen. Der Hang geht dazu, dass sich diese dann dem Beschluss zu beugen haben – was nachweislich gegen das Grundgesetz verstösst. Statt diese Minderheit »auszuhalten« wird im öffentlichen Raum diskutiert, ob bzw. wie diese Minderheitenmeinung gefügig gemacht werden kann oder – wenn sie stark ist – eingebunden werden soll.
Das hat man dann davon, wenn man »Volksparteien« für alle möglichen Gruppen attraktiv macht und nur quantitativ denkt. In Deutschland gibt es in jeder Partei einen oder mehrere Parteidissidenten, die als nützliche Idioten fungieren. Generell bleibt das Problem, dass man einen bunten Haufen nicht mehr so einfach »auf Linie« bringen kann.
Ideologie und Quantität
@Gregor
Parteien vertreten bestimmte Ideologien, die beispielsweise mit Attributen wie »progressiv«, »konservativ« u.ä. kurz charakterisiert werden können. Diese Weltsichten widersprechen einander (mitunter) und aus ihnen kann man bestimmte »standardisierte« Lösungsmöglichkeiten für Probleme ableiten (aus einem Thesengebäude werden Handlungsmaximen abgeleitet). Die Parteidisziplin hat ihren logischen Ursprung in der Inkongruenz der Lösungsvorschläge, die aus jeweils unterschiedlichen Denkrichtungen Stammen.
Andererseits: Wie Du richtig feststellst, hemmt die Parteidisziplin die Möglichkeit praktikable Lösungsvorschläge aus anderen Ideologien anzunehmen, und untergräbt die allererste Pflicht der Abgeordneten, nämlich die Verantwortung ihrem jeweiligen Wählerkreis gegenüber.
Wir leben vielleicht in einer Zeit in der diese linearen, ideologisch vorprogrammierten Lösungswege nicht mehr so gut funktionieren, und daher muss man sich (auch) beim politischen Gegner bedienen. Ein anderer Grund ist natürlich, dass die Politik zum Markt wird, man möchte daher möglichst viele »Kunden« ansprechen.
Das quantitative Denken ist in der Demokratie fest verankert – man stimmt ab! Die Wahlwerbung (emotionalisiert), der »Stimmenfang«, die Parteidisziplin, alle diese Quantitäten kann man eigentlich nicht gänzlich wegbekommen, im Gegenteil die Demokratie begünstigt sie. Das ist einer ihrer Pferdefüße.
Aber vielleicht bekommt man, was man verdient...
Wenn das Denken in politischen Parteien jedoch nur noch darin ebsteht, die grösstmöglichte Quantität von Wählern anzusprechen, kehrt sich die Intention von politischen Parteien um: Hin zu »Erfüllungsgehilfen« für Mehrheiten. Es wird suggeriert, dass Politiker und politische Parteien jederzeit Exekutoren der Volksmeinung sein sollen.
In Deutschland wird dies im Rahmen der Diskussion um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr immer wieder gebracht: Da die Mehrheit der Bevölkerung dagegen sei, im Parlament der EInsatz jedoch verlängert wurde, gebe es – so die Argumentation – eine Legitimationskrise des Parlaments. Das Problem ist, dass eine Partei, die sich losgelöst von den politischen Zusammenhängen immer nur an die Mehrheitsmeinung des Volkes hängt (die unter anderem – aber nicht nur – in solchen Organen wie der »Bild«-Zeitung ihr Sprachrohr findet), immer mehr Relevanz zugesprochen bekommt (Stimmen). Das wiederum trägt dazu bei, dass andere Parteien, zu deren Lasten dies geht, ihr Fähnchen im WInd hängen, usw. Politik wird dann nach Umfrageresultaten gemacht.
Aber Du hast schon Recht: Man bekommt das, was man verdient... Sozusagen Kollektivhaftung.
Demokratische Einheitsfront?
Ein anderes Wort für Bösmenschen oder Schlechtmenschen (Schlichtmenschen?) wäre „Feinde“.
Das Problem dabei aber ist, dass die Feinde, die man sich als solche aussucht und damit anerkennt ein Licht wiederum von dieserart Verhältnis auf einen selber werfen: Zeige mir, gegen wen Du ätzt und... (bitte selber vervollständigen).
Natürlich macht Gregor Keuschnig es richtig: Er bleibt höflich, sortiert seine Argumente und nennt die Kanaillen noch „Herr“. Aber bleibt man ihnen so nicht auch verhaftet, bestätigt ihre Existenz?
Wegschreiben wird diese Widerlinge keine Bloggermühe. Aber sind sie die Restaufmerksamkeit eh einer Minderheit noch wert? (Selbst „Bild-Blog“ wird nie mehr sein, als ein Sysiphoshafter Stachel im Fleisch, das darüber ab und an einmal zucken mag).
Ich frage mich also – und, um mich damit zu outen: Obwohl ich die Superiorität der Höflichkeit anerkenne, entspricht sie im Umgang mit nötigenden Feinden nicht meinem Temperament -, ich frage mich also, ob man nicht langsam mit dieser Art Feindschaft mal etwas anders umspringen sollte?
„Feindschaft ist wesentlich“ hat Carl Schmidt mal irgendwo geschrieben, und sie damit als Bestandteil des Streits um die richtige Sache auch des Staats markiert. Wo aber, es sei denn man sähe den Stau im Status Quo von all den üblichen Bedächtigen in ihrem unangefochtenen Weitermachen schon also solche an, wo aber ist eigentlich die Front?
Ach, was nützt
eine Unhöflichkeit? Ich würde das tun,was ich bei anderen Blogs und auch den Medien ankreide: Die Hysterisierung; die Verächtlichmachung, die das Argumentieren so oft überflüssig machen soll. Ob ich Diekmann nun »lackierten Wichtel« nenne oder ihn als Arschloch beschimpfen würde – was ändert’s? Stört sich ein Herr Diekmann an meinen Verbalinjurien?
Ja, man müsste mit seinen Feinden anders umgehen. Der »Bildblog« hat das versucht: Er hat die »Leserreporter-Aktion« versucht, auf Diekmann und sein Privatleben umzupolen. Der Erfolg war wohl gering und man fand das auch nicht fein. Warum letzteres, weiss ich nicht. Wenn jemand dauernd Tiefschläge verteilt, darf man sich nicht entsprechend wehren? Ich habe das Helmut-Schmidt-Wort von den groben Keilen noch im Ohr, die gelegentlich zu den groben Klötzen rubriziert werden sollen.
Ich sehe Diekmann hier weniger als »Bild«-Agitator, sondern als Steinchen im Mosaik der Restaurationsversuche des deutschen Neokonservatismus. Diesmal die billigste Version. Eva Herman hat noch eine »Mission«. Diekmann schimpft wie »Klein Zaches«. Ein Wechselbalg in der demokratischen Kultur. Man muss solche Leute aushalten. Leider.
das »helmut-schmidt-wort« ist von geothe
Im neuen Jahr Glück und Heil,
Auf Weh und Wunden gute Salbe!
Auf groben Klotz ein grober Keil!
Auf einen Schelmen anderthalbe!
@wennschondennschon
Oha! Danke für die Aufklärung!
K&K
Findet sich auch bei Georg Herwegh, »Aus den Bergen«:
Jeder Mensch hat seinen Stern,
Jeder Hofrat seinen;
Jeder Pudel seinen Kern:
Laßt auch mir den meinen!
Ward mir leider nicht zuteil,
Daß ich euch ergötze,
Aber denkt: ich bin ein Keil,
Weil ihr grobe Klötze.
...
War anscheinend damals schon ein bekannter Spruch, vielleicht schon vor Goethes Zeit.
Ja.
Fand Klötze/Keile dank Gutenberg gerade auch u.a. bei Shakespeare.
Herwergh...
war doch nach Goethe, oder?
Shakespeare natürlich deutlich vorher (der Geheimrat schätzte Shakespeare).
Najaaa.
Herwegh und Goethe teilweise parallel, wobei ich tatsächlich auf die Schnelle nur auf die Jahreszahlen geachtet und dabei völlig vergessen habe, dass man im Allgemeinen nicht als fertiger Schreiberling geboren wird, sondern erst mal erwachsen wird. Den Pudelkern hat Herwegh jedenfalls mit Sicherheit von Goethe. Bei Shakespeare weiß ich nicht, was da möglicherweise bei der Übersetzung passiert ist. Mehr dazu könnten wahrscheinlich Literaturwissenschaftler sagen.
Nichtsdestotrotz, Helmut Schmidt hat es gesagt, andere ebenfalls, und wenn man sich an jener Stelle nicht für »Auge um Auge« entschieden hätte, stünde es vielleicht auch in der (deutschsprachigen Ausgabe der) Bibel.
Wir schweifen vom Thema ab. Oder auch gar nicht so sehr. Die Sache mit dem Wort »Gutmensch« ist Etymologie live, direkt in der Entwicklungsphase. Ich find’s spannend.
Gute und böse Menschen.
Das Wort »Gutmensch« ist eine beißend-polemische, eigentlich schon verächtliche Bezeichnung für einen (übermäßig?) politisch-korrekten, und zugleich etwas naiv wirkenden Menschen. Das Gegenteil – der Bösmensch? – wäre dann jemand, der der politischen Unkorrektheit huldigt. So ungefähr jedenfalls.
Aber da das Wort »Gutmensch« überzeichnend und polemisch ist, ist die Bildung des Gegenteils ohnehin nicht sonderlich sinnvoll.
Naja, wer mit »Gutmensch« als Kampfvokabel agiert, muss sich fragen, wo er selber steht. Daher meine nicht nur rhetorische Frage.
Die Wikipedia-Diskussion zeigt, wie dieser Begriff interpretiert werden kann. Insofern ist seine Verwendung immer auch entlarvend. Und – wie gesagt – wenn ein »guter Mensch« als Schimpfwort gilt, dann muss man sich einmal die Koordinaten ansehen und vor allem von wem so »argumentiert« wird.
@Gregor
Wo redliche Absichten diskreditiert werden sollen hast du zweifelsohne recht (etwa, wo das Wort »Gutmensch« als »Argument« geführt wird), aber wenn ich einen meiner Freunde wohlwollend-ironisch als »Gutmenschen« (im Sinne von Weltverbesserer) bezeichnete (was ich nicht tue), weil er mir gerade seine neusten Ideen für eine bessere Welt unterbreitet hat, dann sehe ich nicht wo das entlarvend sein soll. Im Gegenteil, das ist doch vielmehr ein Anstoss die eigenen Ideen kritisch in den Blick zu bekommen.
Wer Missverständnisse vermeiden will (z.B. in der Öffentlichkeit), trotzdem aber an ironischer Zeichnung (und die halte ich keinesfalls für obsolet) interessiert ist, bedient sich am besten des besagten Wortes gar nicht, es gibt zweifellos andere, bessere.
Aber ein wenig Bauchweh habe ich schon, denn bisweilen scheint es so zu sein, dass man manche Wörter überhaupt nicht mehr verwenden kann (egal wie man das tut), ohne sich verdächtig zu machen.
Das Wort »Gutmensch« wird längst als »Kampfbegriff« benutzt, wie man beispielsweise hier nachlesen kann.
Im Prinzip hast Du recht: Es ist schlimm, dass bestimmte Wörter in ihrer Verwendung »eingeschränkt« sind, weil sie Konnotationen enthalten bzw. pejorativ verwendet werden. Aber kann auch kreativ machen...
Verwendung des Begriffs »Gutmensch« entlarvend?
>Die Wikipedia-Diskussion zeigt, wie dieser Begriff interpretiert >werden kann. Insofern ist seine Verwendung immer auch entlarvend.
>Und – wie gesagt – wenn ein »guter Mensch« als Schimpfwort gilt, dann
>muss man sich einmal die Koordinaten ansehen und vor allem von
>wem so »argumentiert« wird.
Ich benutze den Begriff »Gutmensch« ironisierend selber (guter Mensch ist wieder was Anderes) und halte mich nichtsdestoweniger für einen politisch unkorrekten Idealisten. Das ist kein Widerspruch und schon gar nicht entlarvend, denn wie auch bei Wikipedia erwähnt, wird der Begriff »mit unterschiedlicher Intention und Häufigkeit, im gesamten politischen Spektrum« benutzt. Wieso Du da jetzt eine einzige Spektralfarbe rausgreifst (welche, steht ja nicht ausdrücklich da, aber offensichtlich eine Teilmenge der bösen Menschen), verstehe ich nicht.
Gewisse Worte führen in Deutschland bei den meisten Journalisten (und nicht nur dort) sofort zu einer Einsortierung in gewisse Schubladen, die zwar in 50–90% aller Fälle gerechtfertigt sein mag, aber damit eben doch sehr häufig falsch ist.
@stripe
Naja, zu »50–90%«...
Die Intention, auf die ich abziele steht sehr wohl in meinem Beitrag. Noch einmal: Bezugnehmend hierauf.
Und er wird von Diekmann pejorativ benutzt. Nicht nur von ihm, sondern auch von Broder und seiner Achse des Blöden, äh: Bösen. Wenn Journalisten Begriffe zu politischen Kampfbegriffen ursurpieren können – da gebe ich Dir recht – natürlich die »Begriffe« nichts dafür. Es wäre eigentlich ihre Aufgabe, diese Begriffe zu entkernen, d.h. wieder offen und frei zu machen. Das machen sie genau nicht – weil es ihnen ihre Arbeit erleichtert.
PC und PI
@Gregor
Der PI-Blog ist ein Phänomen, das sich aus der ausufernden PC ableiten lässt. Der PC wohnt die Tendenz inne, Probleme moralisierend zu beseitigen, zu tabuisieren, ohne sie zu lösen; mitunter werden Personen die Probleme ansprechen ins Abseits, z.B. ins rechte Eck’, gestellt (hier geht es nicht um berechtigte, oder unberechtigte Zuweisungen, das Problem ist vielmehr, dass ein dringend benötigter, öffentlicher Diskurs verunmöglicht wird). Dort wo Probleme existieren, was nicht mehr heißt, als dass sich bestimmte Menschen von einem Sachverhalt, z.B. der Migration, betroffen fühlen, und dafür politisch Lösungen wollen, nicht angesprochen und differenziert behandelt, sondern verschwiegen werden, regt sich alsbald Widerstand (gegen das Tabu im Allgemeinen). Da wo es vorher schick war Konflikte zu verschweigen und Schönwetter zu »predigen«, ist jetzt vielerorts das Pöbeln angesagt. Die Tendenz zur »Tabuisierung« schlägt in ihr Gegenteil um. Geschmacklos ist für die Art und Weise dieses Pöbelns noch ein viel zu schönes Wort. Was wir benötigen ist eine differenzierte Auseinandersetzung, keine Pöbelei, aber auch kein Tabu. Es gilt einen klaren Blick zu gewinnen.
Die PC mag durchaus guter Absicht entstammen, aber wie wir alle wissen, ist gut gemeint oft das Gegenteil von gut.
Ich will zum Abschluss noch Bassam Tibi, der sich für einen Euroislam, für Aufklärung und ein Zusammenleben unter dem Dach der Moderne einsetzt, und sich selbst als Linken der 68iger-Generation bezeichnet, aus seinem Buch »Europa ohne Identität«, zitieren. In dem betreffenden Kapitel, das mit der mit dem Satz »Von den aufklärerischen zu den Maulkorb Linken« überschrieben ist, steht geschrieben: »Die Linke meiner Zeit war der kritischen Theorie von Adorno, Horkheimer und Habermas, das heißt der kulturellen Moderne verpflichtet. [...] Damals waren wir als Aufklärer gegen alle Tabus, wollten diese abbauen und für die Denkfreiheit sowie Transparenz kämpfen. Anders die Linken von heute: Sie sind von einem anderen Schlag, sie führen im Namen der Political Correctness nur Restriktionen und Denkverbote ein, schränken somit bestehende Freiheiten ein.«
Es ist nicht sonderlich redlich sich über den – zurecht verabscheuenswerten Hass – zu beschweren, aber auf dem anderen Auge blind zu sein, d.h. nicht sehen zu wollen (?), dass da Probleme sind, die man lösen, die man ansprechen muss. Man soll den Hass Hass nennen, aber wer großspurig über den »Hass aus der Mitte der Gesellschaft« schreibt, aber sich nicht die Mühe macht, zwischen Fremdenhass und Fremdenangst, oder ‑abwehr zu differenzieren, ist in meinen Augen auch nicht sonderlich glaubhaft. Wie gesagt, es gibt keine Rechtfertigung für Fremdenhass, aber sehr wohl für einen aufrichtigen Diskurs. Wir brauchen ihn.
@Gregor
Ich hab das Gefühl, wir reden ein wenig aneinander vorbei, deshalb
kurz zusammengefasst mein Standpunkt zum Begriff »Gutmensch«:
Gewisse Begriffe disqualifizieren mit Sicherheit den Benutzer sofort
(z.B. wird »Judens.u« wohl kontextunabhängig immer nur von Nazis benutzt).
Die meisten aber (und dazu gehören auch Gutmensch, Gleichschaltung, Berufsverbot, Autobahn:-) sagen für sich allein noch nichts über den Benutzer aus, und sein Standpunkt erschließt sich erst aus dem Zusammenhang dessen, was er sonst noch so sagt oder schreibt.
Deshalb ist es die Aufgabe ALLER Demokraten, diesen Sachverhalt zu kommunizieren und nicht durch vorschnelle Zuweisung zu irgendeiner Ecke Fronten zu schaffen oder Gräben zu vertiefen, die in dieser Ausprägung vielleicht gar nicht vorhanden waren.
Das Verwerfliche an Kai Diekmann ist bestimmt nicht, dass er den Begriff
Gutmensch in seinem Buch pejorativ benutzt (klar, der Begriff wird von
fast allen NUR pejorativ benutzt), sondern wie er in seiner Funktion
bei der Bild-Zeitung handelt. Um das schlecht zu finden, braucht man gar kein Buch von ihm zu lesen, was auch immer drinsteht und wie sehr auch immer der Inhalt seinem Handeln in der Praxis widersprechen mag (da stimme ich Dir natürlich zu).
Wer von »Gutmenschen« redet, wird oft eher rechts als links im politischen Spektrum stehen, aber das allein ist ja noch kein Zeichen für einen schlechten Menschen. Dass der Begriff »Gutmensch« für Linke etwas verletzend klingt, liegt meiner Meinung nach vor allem an der Ironie darin. Die war man bisher eher von der Generation der 68er und Post-68er (oft Grüne) gewohnt und weniger von den Etablierten. Insofern ist dieser Begriff auch ein (gutes) Zeichen dafür, dass der Wert Humor inzwischen auch auf der rechten Seite der Gesellschaft angekommen ist;-)
Zum Theme »Kampfbegriff«: Das Wort ist für mich nicht genau definiert.
Letztlich kann man entweder jeden Begriff, der den politischen Gegner negativ darstellen will, als Kampfbegriff bezeichen, oder aber umgekehrt nur ausgesprochene Schimpfworte als Kampfbegriff deuten. Im ersteren Fall sind solche Kampfbegriffe also legitim (solange sie auch einen politischen Inhalt haben, und der ist bei »Gutmensch« zweifellos auch vorhanden), im zweiten niemals.
Wenn jemand nur den Begriff »Gutmensch« verwendet, kann das entweder daran liegen, dass er in der Kürze der Zeit die Dinge leicht verständlich auf den Punkt bringen muss, oder dass er eben keine besseren Argumente hat und das zu kaschieren sucht. Dann stößt es mich aber so oder so ab, ob mit oder ohne die Vokabel »Gutmensch«.
Zum FAZ-Artikel: Auch Niggemeier unterscheidet immerhin zwischen Broder (den er zwar auch nicht ausgesprochen zu mögen scheint) und den Extremisten von PI.
Ich hab jetzt leider nicht die Zeit, mich in den PI-Blog einzuarbeiten, insofern kann ich nichts sagen (die Kommentare zum Artikel kritisieren allerdings unter Anderem, dass er Blogger und deren Kommentatoren in einen Topf wirft; das scheint mir beim Linken zu Kommentaren auf fremden Blogs ohnehin ein Problem zu sein, oft werden die Blogger selbst mit den Kommentaren identifiziert). Hoffentlich hab ich mich mit der Selbstbeschreibung »politisch inkorrekt« nicht auch schon disqualifiziert:-)
Ansonsten: Den Beitrag von Metepsilonema kann ich zu 99% unterschreiben.
Übrigens taucht auch im Artikel von Niggemeier (ohne Ironie) der Begriff
der »gut gemeinten« Medienregeln auf.
@stripe + @Metepsilonema
Danke für die Kommentare.
Ich glaube zunächst nicht, dass ein Blog wie PI aus der Tatsache überbordender PC kommt; wenigstens nicht monokausal. Die Schergen, die auf PI schreiben und/oder kommentieren haben jeglichen Respekt verloren; das ist mehr als »political correctness«. Sie verstehen geschickt auf der Klaviatur des gewollten Tabubruchs hin sich als Wahrheitsverkünder aufzuspielen. Und es gibt genug Leute, die dem folgen.
Solche Situationen hat es immer schon gegeben. Zu Zeiten der Roten Khmer in Kambodscha wurde man beispielsweise schon als Brillenträger ermordet, weil man als Intellektueller galt. Warum eine Gesellschaft derart pervertiert, warum der Lynchmob das Kommando übernehmen kann – das wird immer schwer zu erklären sein.
Und natürlich besteht die Gefahr, dass Begriffe, Worte, Phrasen, die instrumentalisiert wurden, plötzlich eben in einer Art Affekt nicht mehr benutzbar sind. Wenigstens zeitweise.
Als ich die »LTI« von Viktor Klemperer gelesen hatte, war ich für einige Zeit »abgetaucht«. Ich durchforschte fast zwingend Artikel, Filme, Nachrichten, Prosa nach eventuellen »LTI«-Worten. Die ganz eindeutigen Begriffe fand man natürlich nicht. Aber auch so etwas wie »fanatisch« (bei Sportreportagen) oder »Einstellung« oder »hundertprozentig« oder – wie bei Schriftstellern wie Handke und Botho Strauß – die »Dauer« – all diese Worte untersuchte Klemperer und stellte sie in Verbindung mit der nationalsozialistischen Sprache. (Von »Heimat« und »Volk« ganz zu schweigen.)
Dabei wird/wurde übersehen, dass diese Begriffe (1.) schon vor den Nationalsozialisten zur Umgangssprache gehörten und (2.) erst der Kontext, in dem diese Begriffe stehen, relevant gewesen war. Hier war Klemperer, der sehr viel miterlebt hatte und fast ermordet worden wäre, gelegentlich weit über das Ziel hinausgeschossen. Man darf allerdings nicht vergessen, dass er Philologe war. Für ihn waren diese von den Nationalsozialisten verwandten Begriffe »verbrannt«. Und zwar für immer.
ich stimme stripe zu, dass man diese Usuupierung hin zum Schlechten in keinem Fall mitmachen darf. Es gibt eine Menge Leute (Schriftsteller, Journalisten, Publizisten), die etliche Begrifflichkeiten den Nazis nach 60 Jahren sozusagen »entreissen« wollen. Auf den Kontext kommt es eben an.
Wie man am aktuellen »Fall« von Eva Herman sehen kann, funktioniert der Affekt bei einigen Wörtern noch sehr gut. Um eine eigentlich hausbackene Frau, die dem »Gartenlaube«-Idyll des Kaiserreichs anhängt, zu desavouieren, werden die von ihr verwandten Worte zu »Kampfbegriffen« umgedeutet. Das ist sehr einfach, weil es von der argumentativen Auseinandersetzung vollkommen entbindet. Wer einmal den Güllegeruch hatte, bekommt ihn nicht mehr aus den Kleidern.
@Gregor
Ich glaube zunächst nicht, dass ein Blog wie PI aus der Tatsache überbordender PC kommt; wenigstens nicht monokausal. Die Schergen, die auf PI schreiben und/oder kommentieren haben jeglichen Respekt verloren; das ist mehr als »political correctness«. Sie verstehen geschickt auf der Klaviatur des gewollten Tabubruchs hin sich als Wahrheitsverkünder aufzuspielen. Und es gibt genug Leute, die dem folgen.
Du hast ganz recht, da gibt es einige die hervorragend auf der Klaviatur spielen können, aber – ein entscheidendes aber – sie würden niemals dermaßen viel Gehör bekommen, wenn nicht schon der Titel der Komposition alles über ihren Inhalt sagen würde (nämlich den Tabubruch per se), und dieser Titel, denn er allein schafft es schon alle Unzufriedenen anzulocken, wäre ohne PC nicht möglich. Und – zweites aber – man hat ein geschärftes Gehör, und zwar deshalb weil man sensibel geworden ist, schon allzu oft auf ein Tabu gestossen ist, sich immer wieder geärgert hat, und da ist nun jemand der sich traut; er sagt »die Wahrheit«, spricht aus was auf der »Seele brennt«. Man kann seinem Ärger Luft machen und es denen da oben, die sowieso immer alles schönreden, zeigen. Ob nun monokausal oder nicht, durch die PC ist der Bedarf an »Frustabbau« gewaltig gestiegen.
Zum Rest Deines Kommentars ein andermal, die liebe Zeit...
ZEIT-Artikel
Der Artikel »Schwierige Wahrheit« von Sabine Rückert (10.05.2007) zeigt recht schön warum vorgefertigte Denkmuster, nennen wir sie Schablonen, wie sie auch die PC bereithält, problematisch sind. Vielleicht können wir den Artikel als Diskussionsgrundlage nutzen.
@Metepsilonema
Es liegt in der Natur der Sache, dass Tabus irgendwann die »heroischen« Tabubrecher herbeiholen. Das geht ja bis in die Niederungen der Auschwitz-Leugner. Ich kann mir bis heute nicht vorstellen, was solche Leute umtreibt (Sie haben ja sogar ‘Historiker’ in ihren Reihen). Aber: Sie erhalten (meines Erachtens unberechtigt) Publicity.
Daher betrachte ich – das ist meine Erfahrung – jemand, der »nur« ein Tabu bricht, immer mit einer grossen Portion Skepsis: Macht er das nur des Effekts wegen (Buch verkaufen wollen; Ruhm einstreichen) oder gibt es da noch andere Beweggründe.
Der von Dir verlinkte Artikel zeigt in der Tat sehr schön den anderen, den fürsorglichen Affekt. Nach der Tat Ostern 2006 war ja in den deutschen Medien die Empörung überbordend. Und auch in Blogs hat man sich schon wieder reichlich geschämt. Auf einem Blog (der inzwischen nicht mehr existiert) wurde vorsichtig angefragt, ob die Tat nicht vielleicht eine »normale Keilerei« unter Betrunkenen gewesen sein könnte (was natürlich keinesfalls ein solches Ausmass rechtfertigt). Das Blog erhielt sonst kaum Kommentare, aber hierzu äusserten dann doch einige ganz dezidiert ihren »Abscheu«, so etwas überhaupt zu denken... Die üblichen Muster halt: Flugs stand der Blogger als Mittäter und Rassist da. Nur, weil er einen Sachverhalt, den er genau so wenig im Detail kannte, wie alle anderen (wer hatte schon die Polizeiakten gelesen?), vorsichtig hinterfragt und die mediale »Gleichschaltung« in der Vorverurteilung als rassistischen Akt nicht mitmachen wollte.
@Gregor
»LTI« habe ich nicht gelesen, kann daher nichts dazu sagen. Generell: Worte/Wörter haben ein Bedeutungsfeld und einen, ich nenne ihn »emotionalen Kontext«, also etwas das implizit mitschwingt. Da Sprache nichts festes ist, sich entwickelt und verändert, und immer auch in einem historischen Rahmen zu sehen ist, glaube ich dass es prinzipiell möglich ist, dass »missbrauchte« Worte wieder vernünftig vertwendet werden können. Bedeutung und emotionaler Kontext sind wandelbar, und erst sie geben den bloßen Buchstaben, das was sie wertvoll und brauchbar macht. Solche Wandlungen können selbstverständlich viel Zeit benötigen.
Um Deine Beispiele um eines zu vermehren: Es war lange Zeit unmöglich sich (wissenschaftlich) mit germanischer Mytholgie zu beschäftigen, da diese ebenfalls von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde. Mittlerweile ist das möglich. Und das ist gut so, denn es wäre auf der anderen Seite – man sollte das nicht übersehen – doch traurig, wenn wir unseren Sprachgebrauch und unser Handeln (in gewisser Hinsicht) von den damaligen Machthabern abhängig machten.
Andersherum gefragt
Warum sind Tabus notwendig bzw. nützlich? Das ist mir nicht ganz einsichtig. Wenn sie dazu beitragen, Tabubrecher auf den Plan zu reufen, sollte man sie vielleicht vermeiden (warum diejenigen noch zusätzlich ermuntern?). Ansonsten vertraue ich (naiverweise wahrscheinlich) auf das Argument – Deine Skepsis wäre dann vielleicht gar nicht mehr notwendig.
Tabus
Ob bzw. warum Tabus notwendig sind vermag ich nicht zu sagen (Freud hat hierüber einiges geschrieben, was ich allerdings nicht präsent habe). Ich glaube, dass Tabus weniger dekretiert werden, als das sie sozusagen entstehen (meist aus »göttlichen« Imperativen; inzwischen auch durchaus weltlich). Sie stiften Gemeinschaften – und grenzen dabei u. U. auch aus. Sie sind aber vielleicht in bestimmten Bereichen notwendig, auch wenn sie wohl »ihre Zeit« haben.
Ich glaube, dass selbst der grösste »Revolutionär« immer auch in Tabus bzw. Regeln einer gewissen Entität gefangen ist. Er mag auf einem Gebiet dann »Tabubrecher« sein – auf zahlreichen anderen ist er meistens konform.
Vielleicht ist Tabu auch ein falscher Begriff. Ich halte es beispielsweise nicht für falsch, religiöse Gefühle von Menschen nicht über Gebühr zu beleidigen. Zwar darf man (und muss man u. U. auch) Religion kritisieren und auch – wenn möglich – dekonstruieren, aber in der Art und Weise wie im Moment bestimmte angelsächsische Autoren mit der Axt herumlaufen und sich bewusst den »Tabubruch« auf die Fahne schreiben, dass man eben keine Rücksicht mehr auf die Religiosität anderer Menschen nimmt – das ist einfach nur billig. Oberflächlich betrachtet begehen diese Leute einen »Tabubruch« – in Wirklichkeit verletzten sie jedoch primitive Anstandsregeln.
Ähnliches könnte man auch viele andere Bereiche anwenden. In Deutschland gibt es eine Diskussion, den Inzestparagrafen abzuschaffen. Hintergrund ist ein Geschwisterpaar in Sachsen, welches inzwischen vier Kinder hat (näheres hier [sorry für die Quelle, aber auf die Schnelle habe ich nichts anderes gefunden]). Es sieht so aus, als werde dieser »Fall« vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden werden müssen. Wenn man das dort »kippt«, also nicht verfassungsgemäss findet, stellt sich die Frage, ob damit ein Tabu beseitigt wird (und ob dies wünschenswert ist) oder einfach nur eine Diskriminierung.
Inzest
Ich wollte keinen Rundumschlag gegen Tabus starten, aber wenn sie eine vernunftgemäße Diskussion behindern, also bestimmte Dinge per se dem Argument nicht zugänglich sein dürfen, halte ich sie für obsolet. Sie mögen durchaus, vielleicht gerade im sozialen Bereich, den Du ansprichst, ihre Bedeutung haben. Das Problem entsteht dort, wo die Benimmregel (»Das tut man nicht.«) die Argumentation ersetzen soll.
Tabus in der politischen Diskussion kommen wohl aus einer latent vorhandenen, »modischen« Grundströmung – sie sind einfach Usus. Sie vergehen und andere entstehen.
Die Inzest-Diskussion ist sehr interessant (nebenbei: in der aktuellen ZEIT-Ausgabe gibt es ein ausgezeichnetes Dossier dazu), vor allem wenn man beachtet wie ein gesellschaftliches Übereinkommen, eine Art Verhaltenskodex, individuelle Rechte (sexuelle Selbstbestimmung) beschneidet. Wenn es stimmt, dass Kinder aus »inzestösen« Beziehungen häufiger von Erbkrankheiten betroffen sind, ist das eine einleuchtende Erklärung für die Entstehung dieses Tabus; weniger einleuchtend allerdings als Argumentation für seine Beibehaltung. Die harte Strafe im vorliegenden Fall erscheint mir problematisch, da ich ihre Begründung nicht sehe.
Tabus & Inzest
Tabus (und religiöse Vorschriften) sind notwendig, um Ge- und Verbote zu setzen, die man, ohne in jedem EInzelfall denken zu müssen, einhalten kann. Daraus kann man dann auch die Vor- und Nachteile erkennen: In vielen Fällen (und zum Zeitpunkt des Aufstellens der Regeln) ergibt sich ein sinnvolles Handeln, in Einzelfällen und je weiter sich die Gesellschaft von den Entstehungsbedingungen entfernt, desto Sinn-loser werden die Regeln (empfunden).
Zu dem Pärchen hier ein PDF mit dem Fall, einem Bild und weiteren Informationen. In Frankreich gibt es keinen Inzestparagraphen, und ich bin mir relativ sicher, dass das Urteil vom BVG kassiert werden wird. Es ist einfach nicht mehr zeitgemäß.
Inzest – @Köppnick
Ich muss erst von Metepsilonema angesprochene ZEIT-Dossier lesen.
Was mich ein bisschen stört ist, dass der Begriff des »nicht mehr zeitgemäss« (nicht nur bei Dir) im Rahmen einer solchen Diskussion fällt. Das ist für mich eigentlich nie ein Argument, sondern eher eine Konstruktion, um etwas vom Sockel zu stossen, was einem nicht passt.
Die Argumentation des Anwalts, der Inzestparagraph greife in das »Recht auf sexuelle Selbstbestimmung« ein, ist Unsinn. Mit dem gleichen Argument könnte man beispielsweise Pädophilie oder Sex mit Minderjährigen rechtfertigen.
In dem Kasten im Artikel der »Welt« wird immerhin ausgeführt, dass das Inzesttabu die Wahrscheinlichkeit von Erbkrankheiten verringern soll.
@Gregor
Nein, ich glaube nicht dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung Unsinn ist, denn Homosexualität unter Brüdern ist z.B. nicht strafbar (soweit ich weiß). Das wäre eine eindeutige Asymmetrie. Und natürlich gilt für die sexuelle Selbstbestimmung, wie für alles andere, dass sie die Rechte anderer nicht einschränken, oder verletzten darf.
@Metepsilonema
Ich habe nicht geschrieben, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung generell Unsinn ist. Ich habe geschrieben, dass es in diesem Zusammenhang m. E. Unsinn ist, weil es – wie Du ja selber in Deinem letzten Satz schreibst – durchaus gewisser Einschränkungen unterliegt.
Natürlich liegen all diese Einschränkungen (oder auch Freigaben) letztlich kulturellen Standards bzw. Übereinkünften zugrunde. Diese Vorstellungen unterliegen a la longue Veränderungen. So ist es theoretisch durchaus möglich, dass man irgendwann den heutigen Abscheu um die Päderastie gar nicht mehr versteht. Oder es gibt wieder eine Zeit der Restauration.
@Gregor
»Nicht mehr zeitgemäß« sollte nichts weiter aussagen, als dass sich unsere ethisch-moralischen Anschauungen geändert haben und die Gesetze dem hinterher hinken. Im betreffenden Fall ist es sogar noch leichter zu begründen: Das Inzestverbot könnte der empirischen Beobachtung entstammen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Fitness der Kinder und dem Verwandtschaftsgrad der Eltern gibt. Partnerschaft, Sexualität und Kinderkriegen waren früher nicht voneinander zu trennen. Heute kann man alles drei getrennt voneinander leben. Die jungen Eltern sind wohl beide nicht sehr helle, anders lässt es sich nicht erklären, dass nach den ersten Verurteilungen wegen Inzest weitere Kinder entstanden sind. Aber inzwischen hat er sich sterilisieren lassen. Also wird es kein 5. Kind geben.
Moral & Recht
Hier liegt ein entscheidender Punkt. Moral und Recht sind nicht dekungsgleich, bzw. sollten sie das nicht sein, da in einer Gesellschaft mit einheitlichem Recht durchaus, verschiedene moralische Vorstellungen vorhanden sein können (das ist doch eines der Probleme mit dem Inzestparagraphen). Das »das tut man nicht« rechtfertigt keine Strafe, und wer sich moralisch überlegen fühlt hat nicht automatisch Recht.
Eine Einschränkung muss durch Argumente begründet werden – man muss seinen Sexualtrieb unter Kontrolle halten, nicht weil sich das nicht schickt, sondern weil ich Rechte und Wohlergehen anderer Menschen verletze (im Falle einer Vergewaltigung).
@Gregor: Ich habe den Zusammenhang mitgedacht, aber nicht mitgeschrieben.
@Köppnick
Die Tatsache, dass sich die moralischen Vorstellungen in der Gesellschaft in einem bestimmten Punkt ändern, ist per se noch kein Argument, dem nachzugeben. Das beste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Todesstrafe. In den USA sind konstant zwischen 60% und 70% der Bürger für die Todesstrafe. Das variiert höchstens einmal kurzfristig, wenn es ein gravierendes Fehlurteil gegeben hat. Diese Mehrheitsbilligung sagt aber nicht über die moralische Rechtfertigung einer solchen Strafverfolgung aus.
Nehmen wir das theoretische Beispiel, es gäbe in Deutschland einen Volksentscheid um die Wiedereinführung der Todesstrafe (durch die EU-Mitgliedschaft ist so etwas [die Todesstrafe] in Wirklichkeit nicht möglich). Und dies unmittelbar nach einem Kindesmord. Ich bin ziemlich sicher, dass ein geschickt formulierter Entwurf über 50% Zustimmung in der Bevölkerung finden würde.
Wäre das für den Gesetzgeber moralisch bindend?
Bei Inzest ist die Angelegenheit diffiziler. Neben dem kulturellen Kontext galt es m. W. bisher als wissenschaftlich ausgemacht, dass die Wahrscheinlichkeit, dass inzestuöse Kinder behindert sind, einfach grösser ist (was vielleicht erklärt, dass Inzest unter Homosexuellen nicht strafbar sein soll, wie Metepsilonema ausführt). Es kann ja sein, dass es hierüber neue Erkenntnisse gibt (aus den Ländern, die diesen Inzestparagrafen nicht mehr haben). Das würde jedoch voraussetzen, hiernach systematisch geforscht zu haben.
Warum sich im konkreten Fall der Mann hat sterilisieren lassen, erschliesst sich mir nicht. Ich muss aber das Dossier in der ZEIT noch lesen. Vielleicht mache ich dann einen eigenen Thread hierzu auf.
@Metepsilonema
Den «Sexualtrieb unter Kontrolle’ halten ist ein sehr »schwammiger« Begriff. Diesen könnte man auch auf das angesprochene Pärchen anwenden – wobei dann wieder als Gegenargument sie sexuelle Selbstbestimmung angeführt wird. Päderasten argumentieren sehr oft bei Kindern in fortgeschrittenem Alter (z. B. > 13 Jahre), dass diese es auch »wollten«. Aus guten Gründen lässt man so etwas nicht gelten.
@Gregor
Der Inzestparagraph lässt sich durch die hochproblematische Abwägung (»lebenswertes« mit »nicht lebenswertem« Leben) nicht rechtfertigen, da der Gesetzgeber das generell verneint – er müsste hier also dieselbe Konsequenz walten lassen.
Die Sterilisation wurde wahrscheinlich durchgeführt um Straffreiheit zu erlangen, wobei nicht bedacht wurde, dass der Beischlaf geandet wird, und nicht ob diesem die Geburt eines Kindes folgt
Natürlich könnte man das auf das Pärchen anwenden, nur hier wurde nicht gegen das Einverständnis und auch nicht zum Schaden eines der beiden Beteiligten gehandelt. Und für Kinder gilt, dass sie eben Kinder sind, und keine Erwachsenen, folglich ist ihre Zustimmung (selbst wenn sie diese tatsächlich gegeben haben) nicht wie die eines Erwachsenen zu werten.
@Metepsilonema
Ich habe nun mit einer Verspätung den Artikel in der ZEIT gelesen. ich halte ihn in vielen Dingen für ziemlich schlechten Journalismus, weil er im Stile der 70er Jahre sehr eindeutig Partei ergreift – nämlich für das Ehepaar. Er bringt, was für Finger ungewöhnlich ist, denn sie ist auch Feuilletonmitarbeiterin, falsche Literatur-Analogien, was aber vielleicht noch verkraftbar wäre.
Ich finde es höchst problematisch an diesem Einzelfall ein Exempel zu statutieren. Meines Erachtens werden die beiden (insbesondere die wohl geistig behinderte Frau) von allen möglichen Seiten instrumentalisiert. Ich bin gespannt, wie das Urteil ausfällt.
Ich sehe mich ausser Stande über dieses Thema einen Beitrag zu schreiben. Wenn Du möchtest, gebe ich Dir Contributor-Rechte und Du kannst dann etwas schreiben. Ich glaube, Du bist hierfür besser geeignet. Auch, weil Du wohl von der biologischen Seite viel mehr Ahnung hast. Mehr vielleicht erst einmal per Mail?
@Gregor
Interessant wie unterschiedlich man einen Artikel beurteilen kann. Mir hat er einen guten Überblick über die Problematik verschafft (von der ich, außer dem kurzen von Dir verlinkten Artikel nichts wußte), vielleicht daher mein Urteil.
Ja, den Rest per Mail. Danke für die Contributor-Rechte.
@Metepsilonema / Chronistenpflicht zum Inzest
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist heute gesprochen worden. Kurz gesagt: « Inzest bleibt verboten«. Die detaillierte Entscheidung gibt es hier beim Bundesverfassungsgericht. Der Vorsitzende des Zweiten Senats, der das Urteil gesprochen hat, Winfried Hassemer (er ist auch Vizepräsident des BVerfG), hat ein Sondervotum abgegeben. Er stimmt dem Urteil der Mehrheit nicht zu. Auch dies ist im Link zum Gericht ausgeführt.
Danke
An mir nagt mein schlechtes Gewissen. Ich habe aber noch nicht darauf vergessen.