Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtung soll der durch Stellvertreter geführte Dialog stehen, in dem diese eine sehr kleine Teilmenge der von den Auswirkungen des Dialogs Betroffenen, darstellen, also nicht mit ihnen ident sind: Um als (berechtigter) Stellvertreter zu gelten, muss man durch die Betroffenen qua Amt, qua Wahl oder auf irgendeinem anderen Weg legitimiert worden sein; diese Legitimation wird immer von Einzelnen oder Gruppen in Frage gestellt werden, der Dialogs wird Angriffen ausgesetzt sein, gegen die sich die beteiligten Personen behaupten müssen; ihre Kraft erhält diese Behauptung aus der Notwendigkeit des Dialogs und der Nachteile (»Kosten«) die ein Scheitern oder Nichtzustandekommen bedeuten würden.
Stellvertreterdialoge gibt es in den Bereichen der Kultur, der Religion und der Politik, Beispiele sind etwa jener über das iranische Atomprogramm, die Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern, ein historisches Beispiel ist jener über die Beilegung des Nordirlandkonflikts oder, etwas weniger prominent, der (angebliche oder tatsächliche) interkulturelle und interreligiöse Dialog des König Abdullah Zentrums1. Aber trifft der Begriff Dialog überhaupt auf alle der genannten Beispiele zu? Muss man nicht gerade im Hinblick auf das Atomprogramm von Verhandlungen sprechen? Was unterscheidet die Verhandlung vom Dialog? Ein Dialog beinhaltet, eventuell neben anderen Gegenständen der Verhandlung, immer die Notwendigkeit und damit auch die Verpflichtung, ein gemeinsames Selbstverständnis zu entwickeln. — Die Verhandlungen mit dem Iran kann man also getrost als solche bezeichnen: Verhandlungen sind zwar ein dem Dialog vergleichbarer (mitunter einseitiger) Prozess, aber auf einer weniger fundamentalen Ebene; man »kennt einander« oder aber: Eine Annäherung ist gar nicht notwendig.
Der Ausgang eines Dialogs liegt im Wollen aller Beteiligten, das, im Gegensatz zum dialogischen Prozess selbst, eine grundsätzlich irrational bestimmte, formale Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Positionen und Beteiligten begründet und ohne diese kann er nicht stattfinden; er ist ein Treffen innerhalb eines klar bestimmten (bestimmbaren), eventuell institutionalisierten Rahmens, auf den sich alle Beteiligten jederzeit berufen können, der von allen akzeptiert ist und durch seine abwesende Anwesenheit, sein stetes Durchscheinen nicht nur prägend ist, sondern die Konzentration auf den Gegenstand des Dialogs erlaubt. Ganz im Gegensatz dazu, ist der Dialog selbst immer von Offenheit, Unabgeschlossenheit und Unsicherheit gekennzeichnet, ansonsten bräuchte man ihn nicht zu führen; das dialogische Regelwerk ist kein Garant für ein bestimmtes Ergebnis oder eine ebensolche inhaltliche Bestimmung, sondern Voraussetzung; daneben benötigt ein Dialog immer ein Stück weit Vertrauen, auch angesichts der Tatsache, dass er nicht von allen Beteiligten ernsthaft geführt, also missbraucht wird, etwa aus Gründen des Ansehens oder von Tarnung. Ob ein Dialog missbraucht wird, kann man erahnen, etwa an den Bedingungen und am Rahmen, mit Sicherheit feststellen lässt es sich aber erst, wenn man den Dialog auch führt und sich auf ihn einlässt.
Das Wollen, das den Ausgangspunkt des Dialogs begründet, hat eine (nicht zwingend, aber häufig rational bestimmbare) Ursache in der Notwendigkeit eines Zwischen, eines Austausches, vom Verstehen des Anderen, vom Ungenügen (der Unvollständigkeit) der eigenen Position (und sei es nur die Erkenntnis, dass man ohne den oder die anderen keine Lösung erreichen kann oder die Nachteile und Risiken [»Kosten«] eines Alleingangs zu groß sind); diese Konstruktion des Zwischen, man könnte von einer Plastik sprechen, an der gemeinsam gearbeitet wird, ist allerdings kein Selbstzweck, sondern der Versuch einer Hoffnung zur Realität zu verhelfen: Man möchte einen idealeren Zustand von Welt erreichen (der, wie auch der Weg dorthin, jeweils kein Konsens sein muss, und über beides wird im Bedarfsfall zu »verhandeln« sein, aber: die gegenwärtige Situation ist für alle unbefriedigend). — Die gefühlte oder tatsächliche Sicht auf eine bessere Zukunft ist ein (artikulierter) Wille nach Veränderung; das Zwischen ist die (theoretische) Vorstufe für praktisches (reales) anderes, mit positiven Auswirkungen für alle beteiligten Seiten und eine Ursache für den Dialog (jedenfalls die meist konkretere und konkreter benannte, etwa: man muss über dieses oder jenes einen Dialog führen). — Die Nachteile und Risiken eines Verbleibens im gegenwärtigen Zustand, werden selbstverständlich nicht nur von den Stellvertretern gesehen und angesprochen; sie sind vielmehr Teil des täglichen Lebens der Betroffenen (die dialogische Notwendigkeit ist eine kollektive und kommt von unten; sie ist sozial wie politisch und wird bei entsprechend breitem Druck auf höherer Ebene durch Stellvertreter formuliert und ausgeführt; ein Dialog der ohne Erdung nach unten erfolgt, ruft Skepsis beim Gegenüber hervor).
Dialoge setzen Standpunkte voraus; sie sind Relativierungen auf dem Fundament der kulturellen Moderne, zumindest sinngemäß »moderne Unterfangen«, und erkenntnistheoretisch einer realistischen (nicht notwendig naiven), intersubjektiv vermittelbaren Sicht der Welt verpflichtet: Ihre Erkennbarkeit und ihre subjektunabhängige Existenz werden ebenso vorausgesetzt wie ihre sprachliche Fassbarkeit und Kommunizierbarkeit, wie die von Eigenschaften, Unterschieden, Positionen, Problemen, Definitionen, usw. (jedoch ist auch das, was man bloß erahnen, kann, was unaussprechbar bleibt, gerade im interreligiösen Dialog ein Thema). Die an einem Dialog Beteiligten haben folglich Schnittmengen und stehen einander nicht unvermittelbar gegenüber (wovon auch die Konflikte zeugen): Dialoge sind vor allem eine Frage des Wollens und des Müssens (der Notwendigkeit, des Zwangs) und wenn, dann besteht nur in der Vernunftfähigkeit der Beteiligten ein grundlegendes Problem (wer mit wem reden will und »kann« ist zweitrangig); trotzdem benötigen sie einen ausformulierten Rahmen als Orientierung und Regelwerk.
Die Ansprüche an die Stellvertreter sind hoch: Die Fähigkeiten von Reflexion und Selbstreflexion sind unabdingbare Voraussetzungen, wie eine grundsätzliche, an die Grenzen gehende Offenheit und das Vermögen das Eigene in Frage stellen und nicht als das allein Wahre ansehen zu können; daneben die Gültigkeit von Argumenten, die Fähigkeit sich auf andere einlassen zu können, aber auch Verzeihen, Ehrlichkeit, das Bemühens um ein Zwischen, einen Vorschuss an Vertrauen, usf., weshalb Dialoge manchmal über Dritte vermittelt oder von ihnen gefördert (jedoch nicht geführt) werden. Kann man bereits an dialogische Erfahrungen und Errungenschaften anknüpfen, fallen Begründung und Beginn leichter; an der beschriebenen »Situationalität« ändert sich aber nichts. — Da Dialoge das Zusammenführen oder Annähern der jeweiligen »Basen« als Ziel haben, bedeutet er immer einen Verlust an Macht für die Autoritäten (die ihn mitunter führen) und einen Gewinn an »Basisdemokratie«, besser: an basaler Verständigung, an Verstehen, an Verständnis, an Menschlichkeit.
In einem anderen Sinn kann man Dialoge auch als postmoderne Unterfangen beschreiben, weil sie (nicht im Sinne einer gezielten Überwindung) eine grundsätzliche und voraussetzungslose Gleichheit der Beteiligten als Vorbedingung benötigen, also Gleichzeitigkeit von eigentlich Ungleichzeitigem verwirklicht und keine moralische Vorentscheidung getroffen wird (Gleichwertigkeit), außer der Gewalt gegenüber (selbst für etwas wie eine begründete Überheblichkeit ist kein Platz). Demokratisch ist der Dialog seinem verhandelnden, rationalen, argumentierenden und kommunizierendem Wesen nach; er ist ein evolutiver Prozess, in kleinen Schritten: vor und zurück, hin und her, durchaus auch erratisch, aber immer und im Gegensatz zur Evolution, einen besseren Zustand vor Augen: Allerdings entzieht sich der Dialog jeder Abstimmung, er ist ein exklusives, vertrauensvolles, fragiles und zwangfreies Gespräch in einem kleinen Kreis, das sich erst danach (faktisch) einer Art Plebiszit unterzieht, die Reaktion »der Massen« auf Verlautbarung der Ergebnisse, deren Tragbarkeit für alle sich im Gewaltverzicht (und weiteren Verbesserungen) in der nahen Zukunft zeigen wird. Der Dialog ist eine Gegenbewegung zur Gewalt, ein Mittel der Konfliktlösung aus innerem Antrieb (nur wenn die meisten einer betroffenen Gruppe von Menschen Gewalt vermeiden wollen und ihr ein »normales« Leben vorziehen, wird der Dialog erfolgreich sein und überhaupt erst beginnen; er kann daher nur mit denen geführt werden, die Gewalt [ab einem gewissen Punkt] vermeiden wollen, das ist eine Grenze und Grundbedingung zugleich).
Die Stellvertreter müssen während des Dialogs ihre Autorität (ihren Anspruch) erhalten (sie kann ihnen durch Ereignisse oder Zwischenergebnisse entzogen werden, wenn sie nicht adäquat reagieren, z.B. auf Akte von Gewalt); einen Dialog zu beenden ist einfach, außer der Druck ist entsprechend hoch; abgebrochene Gespräche können danach aber erst wieder aufgenommen werden, wenn die beiderseitige Notwendigkeit dazu besteht (eventuell durch andere Stellvertreter); darüber hinaus kann es taktische Gründe geben (allerdings sollte Taktik in einem Dialog keine Rolle spielen, weil er selbst die entscheidende Instanz ist und eine taktische Entscheidung die Probleme, die in beiderseitigem Einverständnis existieren, bloß verschleppt); ein Dialog findet eher zwischen Feinden als Freunden statt (letztere haben ihn schlicht nicht notwendig, ihre Basis ist eine andere und ohnehin geteilt).
Ein Dialog wird durch eine Einigung, ein Zwischen, das den idealeren Zustand von Welt erreichbar (umsetzbar) macht, beendet: Die Selbstverständnisse sind geteilte, verstanden und verschmolzen, ein Ausgleich, der Vergessen und Erinnerung einschließen kann, erreicht; Differenzen können bestehen bleiben, solange sie das Wesentliche nicht gefährden (manchmal kann das sogar Vorteile haben, wenn diese Differenzen z.B. die Loyalität unzuverlässiger Gruppen sicherstellen). Dennoch: Dialoge sind, selbst in ihrem Gelingen, nur ein Beginn, ein Aufbruch, bestenfalls.
An den Fragen ob dieser Dialog ehrlich gemeint ist, ob man ihn führen und was mit dem Zentrum passieren soll, nahmen diese Betrachtungen ihren Ausgang. ↩
Interessante Sicht. Ich würde den »Dialog« weniger emphatisch sehen. Eher als unverbindliches Austauschen von Argumenten statt als Medium zum »Zusammenführen oder Annähern«. Dialoge wären m. E. gerade davon geprägt, den anderen nicht unbedingt zu überzeugen, sondern eher nach Gemeinsamkeiten inmitten vorhandener Uneinigkeiten zu suchen und diese fruchtbar zu machen. Der Dialog setzt den gegenseitigen Respekt der anderen Sichtweise voraus. Er versucht nicht zu »bekehren«. Daher halte ich die Definition, der Dialog bewege etwas »in kleinen Schritten« für problematisch. Außer einem Im-Gespräch-bleiben bewegt eigentlich der Dialog nichts.
Verhandlungen werden erst daraus, wenn die beiden Partner sich eines bestimmten Falls annehmen und diesen lösen wollen. Die Verhandlungen mit dem Iran wären ein solches Beispiel. Ein bloßer Dialog wäre einer Seite nicht genug gewesen, da er keine Verbindlichkeit zur Folge gehabt hätte.
@Gregor
Hm, so habe ich das auch gemeint: Ein Dialog bedeutet den anderen nicht überzeugen zu wollen (nicht zu können, weswegen man suchen muss und sich einander in kleinen Schritten näher kommt, wie sonst?); er ist eine wechselseitige Entwicklung, zu etwas Neuem hin.
Konkreter an Beispielen: Die Verhandlungen mit dem Iran sind etwas anderes als der Nordirlandkonflikt oder der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, da in den beiden letzteren Fällen ein gemeinsames Auskommen, ein gemeinsames Selbstverständnis gefunden werden muss (noch vor einer Verhandlung über eine Zweistaatenlösung); zwischen dem Iran und dem Westen werden wohlverstandene Interessen verhandelt, denen keine prinzipielle Annäherung vorangehen muss (Differenzen hinsichtlich unterschiedlicher Werte oder strategischer Interessen müssen nicht thematisiert werden).
Es stimmt schon, dass Dialoge auch unverbindlicher geführt werden können (z.B. jene zwischen Protestanten, Katholiken oder orthodoxen Christen, aber gerade hier geht es um Selbstverständnisse, um eine Annäherung, auch »des Unten«, um [geringere] Notwendigkeiten des geteilten Verständnisses »Christentum« [vermute ich]).
Verhandlungen müssen nicht nachdrücklich wechselseitig sein; ein guter Verhandler schlägt viel für seine Seite heraus (das würde man über einen Dialog nicht sagen). —- Tendenziell benötigen Dialoge wohl mehr Zeit.
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Mir steckt da zu viel drinn: vom Gespräch, wo sich Freundschaften anbahnen, bis zum internationalen Parkett der Politiker macht der »Dialog« doch eine Vielzahl von Veränderungen durch. Seine Funktion, seine Bedingungen sind stark verschieden. Einräumen möchte ich aber eine gewisse »Transversalität« des Menschlichen, selbst im Großen, Beispiel Iran, Russland, etc. findet man Phänomene, die sich auch in der kleinsten Hütte abspielen könnten. Allerdings, und dieser Einwand ist nur meiner Überzeichnung geschuldet, werden wir inzwischen mit so viel »Interpretationen von Dialogen« zugetextet, das sich ganz allmählich das sozialpsychologische Grundwissen in Nichts auflöst. Zurück bleibt eine »ahnungsreiche Presse«, die das Gras wachsen hört.
#1: »diese Konstruktion des Zwischen, man könnte von einer Plastik sprechen, an der gemeinsam gearbeitet wird« – Diese Definition von Dialog gefällt mir; vor allem auch deshalb, weil hier der Verbindlichkeitscharakter des Gemeinsamen auf eine ästhetische Ebene gehoben wird.
Der Verbindlichkeitscharakter des Dialogs scheint mir das Grundproblem des Blogposts zu bilden. Metepsilonema berücksichtigt nicht ausreichend, daß der Verbindlichkeitscharakter eines Dialogs zugleich auch seine Grenzbestimmung ist. Anders ausgedrückt: Wo es im Dialog um Verbindlichkeit geht, wechselt er seine Gestalt und wird zu einer Verhandlung. Zu einer Verhandlung gehört die normative Perspektive des Dritten. Diese gibt es im Dialog nicht. Sie ist, um mit Tomasello zu sprechen, durch Zweitpersonalität geprägt. Ich und Du wechseln im Dialog die Perspektiven, ohne daß ein Dritter eingreift bzw. ohne daß ein Dritter eingreifen muß.
Im Dialog geht es deshalb nicht ums Rechtbehalten, sondern um ein voraussetzungsloses, wechselseitiges Verstehen der Position des jeweils Anderen. Sobald ein Dritter hinzukommt, beginnen die üblichen taktischen Spiele der Rhetorik, mit denen man versucht, einen Mehrheitsstandpunkt herauszubilden. Der Dritte muß dabei beileibe kein physisch anwesender Dritter sein. Dieser Dritte kann einfach in einer gemeinsamen Norm bestehen, an die sich zwei Disputanten zu halten versuchen. Dann argumentieren sie. Aber der Dialog ist dann vorbei.
zu #4: Ja und Nein. Ausdrückliche Zustimmung: der demokratische Idealismus wird irgendwie nicht mit dem Umstand fertig, dass aus Dialogen Verhandlungen werden, wenn’s um’s Regieren oder Koalieren geht. Das Ideal wird ständig überzeichnet. Dabei ist der »freie Dialog« durchaus ein Pate des demokratischen Grundverständnisses. Aber darauf könnte man keinerlei Struktur aufbauen. Es ist und bleibt ein »schöner Gedanke«, also ein ästhetisches Analogon.
Widersprechen möchte ich Dir bei der Personalisierung von Normen. Der »Dritte« muss beileibe eine Realperson sein, denn Normen überschreiten immer die Personen-bezogene Ebene. Allerdings haben Normen immer so eine Aura von »Über-Ich«, das mag man mit einem dezidierten Standpunkt schon mal verwechseln...
zu #5: Meintest Du »Der »Dritte« muss beileibe (k-)eine Realperson sein«? Irgendwie scheint mir der Satz nicht stimmig zu sein. Ich sehe momentan den Widerspruch zu mir nicht.
zu #5: Ich glaube, ich habs jetzt verstanden. Mein Argument war, daß die dritte reale Person und die dritte normative Position zusammenfallen können: z.B. in der Person eines Richters. Die dritte Person muß aber nicht personengebunden sein. Sie kann auch einfach nur als Berufungsinstanz fungieren. Auf jeden Fall haben wir es in diesen Fällen nicht mehr mit Dialogen zu tun.
Wenn es allerdings um einen dezidierten Standpunkt geht, bedarf es tatsächlich, wie Du schreibst, einer leibhaftigen Realperson, die ihre eigenen Interessen vertritt. Aber auch hier haben wir es nicht mehr mit einem Dialog zu tun.
Der Dialog ist die intime Zweisamkeit, zwischen Mutter und Kind, zwischen zwei Liebenden, zwischen zwei Freunden, – und sogar zwischen zwei Fremden. Denn wo immer mich der Fremde als Fremder interessiert, und nicht als Vertreter irgendeiner Fremdgruppe, beginne ich einen Dialog.
Ja, das hab ich gemeint. Wenn Instanzen auf den Plan treten, ist die Personen-Ebene mit der Funktion des Amtes etwa identisch. Ein Richter...
Übrigens ist genau diese Funktion ein ständiger Schatten des spätmodernen politischen »Dialogs«. Irgendwie scheinen alle Teilnehmer Immitationen eines Richters zu sein, weil in den seltensten Fällen Entscheidungen zu treffen sind. In der Regel werden »Werturteile« begründet oder dargelegt. Das kommt der richterlichen Funktion schon sehr nahe. Sind wir Demokraten, frag’ ich mich manchmal, oder sind wir schon alle Richter... Ich bin jedenfalls ein entschiedener Gegner des »Schreibtisch-Demokraten«, wie er sich in der normativen Diskurstheorie abzeichnet. Das ist zuviel des »Guten« bzw. ein Missbrauch gesellschaftlicher Kontexte zugunsten eines Hypermoralismus, der sich als verbindliche Ethik anbieten möchte.
zu #8: d’accord
Die tragende Begriffsperson in @mete’s Artikel ist der Stellvertreter. Das macht den Beitrag so bemerkenswert. Denn die entscheidende Erfahrung des Demokratie-Teilnehmers ist die Beobachtung von Stellvertretern. Welche Interessen werden wie vertreten?! Der Demokrat regiert nicht, er beobachtet, sympathisiert, distanziert sich, regt sich auf, etc. Der Konnex zwischen der demokratischen Grundposition des Menschen und seinen Dialog-Erfahrungen ist tausendjähriges Problem. Was ist ein Demokrat, wie ist man Demokrat, wenn immer »die Anderen« regieren?! Soweit ich weiß, gibt es darauf keine überzeugende Antwort. Suggestiv ist die These von @mete natürlich schon: die Stellvertreter aller Provenienzen sind auch nur Dialog-Menschen. Sie machen das, was jeder auf der persönlichen Ebene schon erfahren bzw. geübt hat. Aber provokativ gesprochen: Wenn dem so ist, wo wäre denn das Problem mit dem überstrapazierten Modell »Demokratie«...? Müsste nicht alles längst in bester Ordnung sein? Gibt es nur das klitzekleine Legitimitäts-Problem, oder war da noch etwas?
@Detlef Zöllner, #4
Den Unterschied zwischen Verhandlung und Dialog würde ich an der Konkretheit von Verhältnissen und Gegenstand festmachen: Der Dialog mag notwendig sein, weil man bestimmte Umstände (z.B. gewalttätige Konflikte) lösen möchte (was aber nichts über das wie aussagt und nichts über die Normen, nur dass man das alleine nicht bewerkstelligen kann oder will; das Verbindliche des Dialogs ist eigentlich außerhalb des Dialogs angesiedelt, der Dialog ist eine Voraussetzung um über eine Lösung überhaupt verhandeln zu können); er hat jedoch keinen Gegenstand (oder kann ihn noch nicht fassen), weil die Verhältnisse und die Personen (die Dialogführenden) nicht ausreichend ergründet und verstanden sind. Bei Verhandlungen ist das sehr wohl der Fall, weswegen man sich an einen Tisch setzen und beginnen kann (!). — Dialoge sind Phänomene von Nähe und Begegnung (sonst stellt sich nicht einmal die Möglichkeit, geschweige denn die Notwendigkeit, mein Gegenüber wechselseitig ergründen und verstehen zu wollen).
Dialoge können auch unverbindlicher sein oder nur aus Interesse geführt werden, das kommt im Text vielleicht etwas zu kurz (allerdings habe ich die Gültigkeit ja eingeschränkt). — Es geht nicht darum recht zu haben, genau.
Ich möchte den Dialog auch nicht auf zwei Personen beschränkt wissen, schlicht und einfach weil Fremdheit oder auch die Notwendigkeit wechselseitigen Kennenlernens, mehrere Personen zugleich betreffen kann (ob der Dialog auf Familienebene geführt wird oder zwischen verschiedenen Religionen ist eigentlich egal); natürlich: Mit der steigenden Anzahl an Teilnehmenden nimmt die Intimität der Atmosphäre ab (nicht notwendig aber das Vertrauen, das viel wichtiger ist).
@ die_kalte_Sophie, #10
Ich sage nur, dass es Situationen gibt in denen der bloße Eigennutz für den Dialog spricht (siehe auch dort).
International sind Dialoge natürlich eine Appeasement-Politik, die dem Waffengang vorzuziehen ist, aber besagter Autor versucht ja nicht, die Dschihadisten zu überzeugen, sondern die eigene Regierung. Da habe ich »psychologisch« meine Schwierigkeiten, weil die Fronten dann zweigeteilt sind. Die einen schießen, die anderen plädieren für zurück schießen oder lassen Waffen liefern, und die Peaceniks sind für Verhandlungen ganz ohne Schießen. Das wären schon wieder drei Parteien, wie bei Zöllner. Also, ein Dialog der Gewehre und ein normativer Dritter. Besteht nicht im Europäischen Westen überhaupt die Neigung, alle gewaltsamen Konflikte durch Verhandlungen (Dialoge) ersetzen zu wollen. Ich meine, außenpolitische Probleme in Weltinnenpolitik zu übersetzen? Nicht dass damit eine falsche Strategie gewählt wird, ich meine nur, sind die Optionen nicht längst durch das Wohlstandsgefälle resp. die allgemeine Zivilisations-Erfahrung eingeschränkt?! Das Schießen fällt uns doch sehr schwer inzwischen...
#11: Ich halte die Zwei-Personen-Perspektive deshalb für sehr wichtig, weil sie die Gruppendynamik unterläuft: also die Wir-Ihr-Perspektive. Deshalb auch mein Hinweis auf die zwei Fremden. In der Gruppe können dieselben Individuen durchaus fremdenfeindliche Ressentiments entwickeln, während sie einem fremden Menschen gegenüber, dem sie allein begegnen, sich sehr human verhalten. Ich-Du konterkariert Wir-Ihr.
Dialoge können also durchaus Verhandlungen anbahnen. Aber die Verhandlungen selbst sind dann keine Dialoge mehr. Dann dominieren Gruppeninteressen, die mühsam durch eine dritte Personperspektive unter Kontrolle gehalten werden müssen.
@die_kalte_Sophie
Das Schießen fällt uns doch sehr schwer inzwischen…
Ohne mich einmischen zu wollen – hierzu ein kurzer Widerspruch: Das Schießen fällt »uns« leichter, als man denkt: Irak 1991, Jugoslawien 1999, Afghanistan 2001, Irak 2003 (gut – ohne Europäer), Libyen 2011... Die Liste ist nicht vollständig und ich sage auch nicht, dass das alles per se falsch gewesen sein muss: Aber die These, dass »der Westen« nur friedliche Dialog- und Verhandlungspolitik macht, ist nicht zu halten. – Im punkto Russland/Ukraine ist das natürlich anders. Hier würde ein bewaffneter Konflikt unter Umständen atomar eskalieren.
Aber bitte diskutiert weiter am Thema. Sorry für die Abweichung.
Kein Ding. Ich hab für die Europäisch gesinnten Deutschen gesprochen. Die kommen auf der Liste nur vereinzelt vor, immer in zurück gezogener Position. Mein »Westen« ist mal der alte Westen, und mal der neue, zweiteilige Westen. Ich gehe davon aus, dass die Zweiteiligkeit Europa/U.S.A. sich vertiefen wird, wobei »Europa« nur für eine grob gezeichnete »gemeinsame« Außenpolitik der Nationalstaaten steht. Mehr wird ja nicht draus. Ist vermutlich eine Generationenfrage. Ich vermute, der Philo-Amerikanismus (um das mal auf den Kopf zu stellen) ist für die Jugend nicht mehr ganz so selbstverständlich wie für die älteren Semester.
@Detlef Zöllner, #14
Zustimmung zum zweiten Absatz; zum Fremden und der Gruppendynamik: Ein Dialog kann auch zwischen drei (oder mehr) Fremden stattfinden, z.B. den Angehörigen verschiedener Religionen (ich möchte nicht behaupten, dass das dieselbe Situation ist wie in einem Dialog zu zweit, aber den beschriebenen gruppendynamischen Effekt sehe ich da nicht zwingend, weil die Distanz zueinander in etwa gleich groß ist).
zu #17: Natürlich können auch drei oder vier (aber nicht viel mehr) miteinander einen Dialog führen. Wichtig ist die Ich-Du-Perspektive, die dann auch in der Gruppe durchgehalten werden muß. Die Gesprächspartner dürfen sich nicht in Gruppen zu einem Wir zusammenfinden, wenn es ein Dialog bleiben soll. Die rekursive Verschränkung von Perspektiven: »Ich weiß, daß Du weist, was ich weiß« bzw. »Ich möchte wissen, was Du denkst, und ich gehe davon aus, daß Du wissen möchtest, was ich denke« hat ihre Grenze. Mehr als vier bis fünf verschiedene Perspektiven können wir nicht präsent halten. Schon wegen dieser kognitiven Beschränkung fangen wir irgendwann an, die verschiedenen Standpunkte in Gruppen zusammenzufassen. Und dann denken wir unweigerlich im Wir-Ihr-Modus.
@Detlef Zöllner
Genau: Nach oben hin ist rasch eine Grenze erreicht.