Zu Axel Cäsar Springer wurde einiges geschrieben, gesagt und gefilmt. Schließlich feiert man seinen 100. Geburtstag. Zwar würden einem bei näherem Nachdenken mehrere Persönlichkeiten einfallen, deren Geburtstag zu feiern attraktiver wäre (Werner Finck, Gottfried Benn, Novalis) – aber der 2. Mai 2012 ist nun zum Axel-Springer-Gedächtnistag ausgerufen worden. Ich nehme, dass der/die Interessierte alles notwenige aus dem Biographiedschungel Springers herausgefischt hat. Die Welle wird in einem kleinen Nach-Tsunami Ende Juni noch einmal zurückkommen: Dann wird der 60. Geburtstag der BILD gefeiert.
Springer war also 40, als er den analogen Dauer-Shitstorm BILD erfand und in die deutsche Medienlandschaft presste. Dabei gab es die sogenannten Boulevard-Zeitungen in Europa schon Jahrzehnte vorher. Sie waren mitnichten Springers Erfindung. Wenn überhaupt, so wollte Springer den medialen Reduktionismus auf das nicht geschriebene Wort befördern. In der Wirtschaftswunderzeit hatte man wenig Muße lange Artikel zu lesen. Hierin liegt eine gewisse Leistung: Man konzipierte ein Blatt, an dem bereits der Name Programm war. Das alles geschah zunächst vollkommen unpolitisch: Eine photographierte, täglich erscheinende Gartenlaube mit Klatsch und Tratsch.
Erst Ende der 50er Jahre änderte sich dies. Springer war in einer seltsamen Mischung aus Egomanie, Naivität und christlichem Sendungsbewusstsein nach Moskau gefahren und wollte dem dort amtierenden Regierungschef Chruschtschow seinen Plan zur Wiedervereinigung Deutschlands präsentieren. Dieser zeigte wenig Interesse – man erinnere sich: der Kalte Krieg war bereits in voller Blüte. Es gab eine kurze Audienz, mehr nicht. Diese Kränkung hat Springer wohl sein ganzes Leben nicht überwunden. Er verordnete BILD einen strengen antikommunistischen Kurs. Adenauers Zögern beim Mauerbau 1961 (der Alte wollte den Weltfrieden nicht für Berlin riskieren) beförderte Springers paranoiden Kommunistenhass. Man hätte ihn sich gut bei McCarthy vorstellen können, der bis 1956 in den USA vermeintliche Kommunisten vor (s)ein Tribunal zerrte. Dabei rannte Springer in Deutschland noch halboffene Türen ein: Die Goebbels-Propaganda war noch in aller Ohr. Springer hatte nur die rassistischen Töne unterdrückt. Das Feindbild blieb; BILD begann das niemals ganz verdorrte Pflänzchen weiter zu gießen.
Immer wieder wird Axel Springer als »Visionär« bezeichnet, was die deutsche Einheit angeht. Nichts ist falscher als das. Springers Gegnerschaft zur Ostpolitik von Egon Bahr und Willy Brandt zu Zeiten der sozialliberalen Koalition zeigt, dass er die Intention dieser Politik nicht verstanden hatte. Damit war er übrigens in guter, linker Gesellschaft. Deren Ahnungslosigkeit zeigte sich allerdings erst 1989/90. Springer hatte von strategischen Politikentwürfen keine Ahnung. Die Formel »Wandel durch Annäherung« interpretierte er als ein Gemeinmachen, ja als Anpassungsprozess der demokratischen Bundesrepublik mit den unterdrückerischen Regimen des »Ostblocks«. Nichts war falscher als dies: Die Akzeptanz von zwei deutschen Staaten war eine vorübergehende Maßnahme. Brandt/Bahr hatten das Ziel nie aus den Augen verloren. Springer dagegen vertrat einen »Hau-drauf«-Stil, den er sich vielleicht in seiner Rolle als Verleger erlauben konnte. In politischen Zusammenhängen konnte er nicht denken.
Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn nicht die publizistische Macht seines Imperiums (und insbesondere der BILD) derart groß geworden wäre. BILD war seit Anfang der 60er Jahre ein politisches Kampfblatt geworden. Bis heute wähnt man sich dort, für das »Volk« zu sprechen. Springer hat – mehr als man heute bereit ist zuzugeben – dazu beigetragen, dass die »Meinung« zur satisfaktionsfähigen Währung wurde. Es ist von erbärmlicher Offenheit, wenn Edmund Stoiber die BILD-Zeitung als ein Stück direkter Demokratie bezeichnet. Aus diesem Satz spricht eine fast ungeheuerliche Verachtung für all diejenigen, die sich bewusst dem Einfluss dieses simplifizierenden, alles politische trivialisierenden Blattes durch Ignoranz entziehen. Denn man darf nicht vergessen: Selbst wenn die optimistischen Zahlen des Springer-Verlags stimmen, erreicht selbst die BILD-Zeitung nur eine Minderheit. Aber Stoiber ist mit diesem vorauseilenden Gehorsam der Akzeptanz des Sprachrohrs BILD als »Bürgerzeitung« nicht alleine. Legendär das Schröder-Wort von »BILD, BamS und Glotze« als die einzige Ingredienzien, die er zur Politik brauche.
Springer zeigt: Es ist es nicht gut, wenn Journalisten ihre publizistischen Privilegien dazu einsetzen, Politik zu betreiben. Selbst seriöse Journalisten gerieren sich zuweilen als »Vierte Gewalt«. Eine gefährliche Anmaßung, denn unter dem Schutz der grundgesetzlich geschützten Pressefreiheit sind dann eben auch Propaganda, Unwahrheiten und verbogene Fakten zunächst Tür und Tor geöffnet.
Es gibt fast unzählige Bücher zum Verhältnis der 68er (die ja eigentlich 67er sind) und Springer. Fest steht: Die Schüsse auf Ohnesorg hatte Springer nicht zu verantworten, sondern – wenn es denn so stimmt, was man weiss – schoss die Staatssicherheit mit. Beim Anschlag auf Rudi Dutschke sieht die Lage anders aus. (Interessant am Rande, dass viele von denjenigen, die behaupten Ego-shooter-Spiele hätten keinerlei Einfluss auf die Spielenden im »real life« am lautesten rufen, wenn es um die Verantwortung Springers unter anderem in dieser Sache geht.) Springer hat die 68er-Bewegung und die sukzessive Durchdringung der deutschen Gesellschaft mit deren Gedankengut (später dann deren »Marsch durch die Institutionen«) auf das Schärfste bekämpft. Verhindert wurden diese Entwicklungen nicht. Und das, obwohl BILD et.al. in den 70er und 80er Jahren eine noch potentere Macht waren als heute. Es wäre höchst interessant, wenn man die Kampagnen, die BILD in dieser Zeit losgestoßen hatte, entsprechend analysieren würde: Welche haben gezündet? Welche nicht und warum?
Ich behaupte, dass BILD heute nicht mehr derart beim Publikum verfängt wie zu ihren Hochzeiten. Die Leute sind skeptischer geworden. Selbst ein BILD-Leser glaubt nicht mehr alles, was im Blatt steht. BILD funktioniert eher wie moderne Werbung: Entscheidend ist, was dann doch irgendwo haften bleibt. Die Gefahr liegt nicht mehr unbedingt in den billigen Überschriften, den dreisten Lügen über Promis oder dem geistlosen Geschreibsel eines Herrn Wagner. Hierzu gibt es inzwischen Regulative (nicht zuletzt den BILDblog). Gefährlich ist die sukzessive Institutionalisierung von BILD, die mit großem strategischem Geschick von Kai Diekmann betrieben wird. Einen Vorgeschmack bekam man in der Affäre um den Anruf des damaligen Bundespräsidenten Wulff auf Diekmanns Mailbox. BILD wartete Wochen ab, um den Text dann scheibchenweise an FAZ, SZ und Spiegel zu lancieren. Genaues wussten die Redakteure auch nicht; sie waren auf BILD angewiesen. Der Brisanz wegen übernahmen sie kritik- und recherchelos die Dosen, die ihnen verabreicht wurden. Ich werde so schnell nicht vergessen, wie der Spiegel-Chefredakteur in einer TV-Talkshow saß und ein BILD-Mann ihm die Richtigkeit dessen bestätigte, was im Spiegel zitiert wurde. Der Coup, der, Springers Diktion einmal paraphrasierend, als Sündenfall angesehen werden muss, zeigte: BILD ist »angekommen«. Selbst seriöse Medien lassen sich inzwischen bereitwillig vor ihren Karren spannen, wenn sie selber hieraus Vorteile ziehen. BILD gilt auf einmal als Speerspitze der Pressefreiheit. Ein Paradoxon und eine Perversion von »Wandel durch Annäherung«.
Axel Springer wäre vermutlich stolz auf Kai Diekmann gewesen. Zwei »seiner« Journalisten können sogar einen Henri-Nannen-Preis gewinnen – der ultimative Ritterschlag in der Zunft. Was dazu wohl all die BILD-Opfer sagen, die in den letzten Jahrzehnten von diesem Organ denunziert und gedemütigt wurden?
Guter Beitrag. Aber das hier geht doch total am Thema vorbei:
»Interessant am Rande, dass viele von denjenigen, die behaupten Ego-shooter-Spiele hätten keinerlei Einfluss auf die Spielenden im »real life« am lautesten rufen, wenn es um die Verantwortung Springers unter anderem in dieser Sache geht.«
Hat denn Herr Bachmann ein Ego-Shooter-Spiel gespielt? Soweit mir bekannt ist, war das nicht der Fall. Herr Bachmann hat sich mit rechtem Gedankengut beschäftigt, seine Waffen und Schusskünste in rechtsradikalen Kreisen erworben. Waren die bisherigen Amokläufer, die in Verbindung mit Ego-Shootern gebracht werden, durch die rechte Szene zu ihren Taten angestachelt? Auch das ist mir nicht bekannt.
Warum stellen Sie also diesen Zusammenhang her? Eine Gemeinsamkeit aller Amokläufer der neueren Zeit ist übrigens nicht, dass sie Ego-Shooter gespielt haben, sondern erstens der Zugang zu Waffen und zweitens mangelnde Intelligenz und soziale Kompetenz. Wie viele Ego-Shooter Spieler haben in diesen Spielen schon mit einer M4 oder M16 geschossen und könnten diese in der Realität nicht einmal laden und entsichern.
Ich bin nun wahrlich kein Befürworter dieser Spiele, im Gegenteil. Aber wer versucht die wahren Hintergründe der Amok-Läufer durch den Hinweis auf Ego-Shooter zu verharmlosen, macht sich an zukünftigen Amok-Taten mitschuldig.
Und nochmal zum eigentlichen Thema: sicherlich hat Springer zum Aufheizen der Stimmung gegen bspw. Herrn Dutschke beigetragen. Die individuellen Hinter- und Beweggründe der Tat von Herrn Bachmann aber damit überdecken zu wollen, halte ich für sehr gefährlich.
Tim
Es geht mir gar nicht um den zitierten Fall, sondern um die grundsätzlich immer wieder auftauchende Argumentation über die Beeinflussbarkeit durch Medien generell. Entscheiden wird dies meist nach Bedarf: Passt es in den Kram, wird eine Beeinflussung unterstellt – passt es nicht, wird sie negiert. Dabei kann das weder verallgemeinert noch vollständig negiert werden. (Im übrigen: Wo rede ich von Amokläufen?)
Wobei der Vergleich dennoch hinkt: schließlich wurde Springer ja nach den Schüssen auf Dutschke vorgeworfen, dem Täter sozusagen bei der Motivfindung geholfen zu haben – und zwar durch hetzerische Berichterstattung, also auf der inhaltlichen Ebene. In der Diskussion um sogenannte Killerspiele lautet der Vorwurf in der Regel, diese würden ganz allgemein, quasi durch Einübung, die Gewaltbereitschaft der SpielerInnen erhöhen – ganz unabhängig vom konkreten Inhalt der Spiele (der ja i.d.R. eben keinen Bezug zu politischen oder gesellschaftlichen Zuständen herstellt). Aber nun genug davon, ansonsten Hut ab vor einem sehr pointierten Artikel.
Die Hetze damals, vor etwa 45 Jahren, durch die Berliner Presse (mehr noch durch Springers B.Z. & Morgenpost & WELT als durch BILD; letztere war in Berlin gar nicht so groß) war wirklich schrecklich. Ich hatte das damals als »Twen« alles gesammelt, die Hetze und auch die kleinen Zeitungen (»883«, Extradienst, u.v.a.) und Flugblätter gegen Springer – habe aber leider beim Umzug 1999 alles weggeworfen, niemand (den ich kenne) wollte das viele alte bedruckte Papier haben.
Umso mehr erstaunte mich der kürzlich von Springer gestartete Versuch der Reinwaschung à la »wir waren 1968 gar nicht so schlimm wie’s heute dargestellt wird«. Doch, sie waren. Besonders Springers B.Z.
Sie haben gehetzt gegen »Gammler«, Studenten, Langhaarige, Linke, »Kommunisten« (»Geht doch rüber!«) und die meisten Berliner Bürger habens mitgemacht. Die Naziprogaganda vom »russischen Untermenschen« war wohl tatsächlich noch in vielen Köpfen; die meisten Älteren erinnerten sich ja noch und wurden bis ’45 ja in dieser Form »erzogen«. Sie kannten’s nicht anders und Springer (& CDU) nutzten voll diese noch beim Publikum vorhandene antikommunistische Weltsicht, die ja von Adenauer (und den Amis) weiter gepflegt wurde.
Schon zuvor, als Schüler in den Fifties, haben ein Freund und ich Propagandamaterial (von Ost wie von West, kleine Heftchen, Flugblätter) gesammelt und ich erinnere mich, wie wir Steppkes uns mal darüber naiv unterhielten und meinten: Das wird später sicher mal sehr wichtig und auch ulkig zu lesen sein. Natürlich ist das alles längst weg, vergessen, denn man hatte kurz darauf als Pubertierender oder Berufsanfänger ganz andere Sorgen und Interessen. Zum Beispiel in der Jazzkneipe am Thresen den Bierzapfer vertreten, weil der zum Springerhochhaus ging um dort aktiv die Auslieferung zu stoppen... Welch Gejohle und Besäufnis, als er siegreich wiederkam.
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Ja, ja, Opa erzählt vom Krieg. Ich weiß....
Der eigentlich recht augenfällige Unterschied ist, dass Bild so tut, als ob sie eine Zeitung ist, also Fakten zu Geschichten verarbeitet. Videospiele hingegen sind Spiele, welche sich dadurch auszeichnen, dass innerhalb ihres eigenen Systems Regeln gelten, die nicht auf das Leben übertragbar sind. Die Fähigkeit, diesen Unterschied zu erkennen, nennt man Rahmungskompetenz. Dass die Bildleser inzwischen merken, dass Bild nicht zu den richtigen Zeitungen gehört, wie sie argumentieren, beweist, dass sie Rahmungskompetenz entwickeln: Nicht alles, was in Bild steht, darf ernst genommen werden. Nicht jeder Jugendliche mag rahmungskompetent sein, weswegen Egoshooter im Gegensatz zu Bild i.d.R. ab 18 sind.
Ansonsten, da kann ich den Vorrednern beipflichten, ein gelungener Artikel. Das Verhalten der vermeintlich seriösen Zeitungen in der Wulff-Affäre ist hochnotpeinlich. Diekmanns wildeste Träume sind da wohl in Erfüllung gegangen.
Zwei Dinge würde ich noch anmerken:
Wieso haben sie den Drang verspürt, die Videospieldebatte in diesen thematisch ansonsten ganz anders gelagerten Artikel anzusprechen? Bzw. wieso mussten sie, um auf die von Ihnen angebotene Stossrichtung einzugehen, einbringen, dass sich Linke ihrer Meinung nach ihre Ideologie je nach Thema zurechtlegen? Mit diesem Verweis, der ja andeuten soll, dass die Linke weder in Sachen Springer noch in Sachen Egoshooter richtig liegen kann, weil sie ihrer Meinung nach da ja unterschiedliche Positionenvertreten vertreten, pauschalisieren sie wie Bild auch.
Interessant ist in diesem Zusammenhang folgender Artikel:
Schröders Kommentar kann man auch als zynische Beschreibung der Realität aus seiner Sicht lesen, nicht wie bei Stoiber als demütige Anerkennung der Macht von Bild.
@Thankmar
Soweit kommt es noch, dass man sich für einzelne Sätze rechtfertigen muss.
Das alles hat mit »links« und »rechts« oder gar mit einer »Videospieldebatte« rein gar nichts zu tun. Grundsätzlich geht es darum, ob Menschen Einflüssen durch Medien unterliegen oder nicht. Oft genug sind diese Wirkungen ja beabsichtigt. Die Unterhaltungsindustrie lebt davon. Die Werbung auch. Und nicht umsonst spricht man bei der intensiven Darstellung von Freitoden in (fiktionalen) Filmen oder sogar in Nachrichten (Enke) vom »Werther-Effekt«.
Wer denn sagt, Springer habe bei Dutschke mitgeschossen muss konstatieren, dass andere Medien ggf. zu ähnlichen bzw. äquivalenten Taten inspirieren können. Wer heute noch (immer noch) sagt, BILD et. al. seien »Hetzblätter« gewesen, gesteht diesen Erzeugnissen eine gewisse Wirkung zu. (Ich teile diese Einschätzung übrigens.) Es geht nicht darum, dass nach der Lektüre von BILD 500 Leute Mordpläne gegen Dutschke geschmiedet hatten oder nur drei. Einer hat eben gereicht. Dass dieser von der Springerpresse inspiriert wurde, hatte er ja selber zugegeben.
Es ist nicht zu leugnen, dass andere Medien Reaktionen hervorrufen, die naturgemäß nicht gewollt sind. Wer das rundherum bestreitet bzw. für »sein« Medium eine Sonderstellung beansprucht , ist entweder naiv oder verblendet.
Was Sie zu Schröders Kommentar sagen, ist eine Möglichkeit der Interpretation. Inzwischen glaube ich daran nicht mehr – ich fürchte, dass war vollkommen ernst gemeint.
@ Gregor Keuschnig
Noch einmal: Ich finden den Artikel in seiner Gesamtaussage gelungen und zutreffend. Aber der entscheidende Punkt ist, dass der Satz im Text ein solcher Fremdkörper ist, dass er einem sofort auffällt und vor allem, wie man sieht, vom eigentlichen Artikel ablenkt.
Zu ihrer Antwort:
Erstens:
Sie subsummieren alles unter Medien, Fiktionales und Nichtfiktionales. Das halte ich hinsichtlich der Wirkung für eine entscheidende Pauschalisierung, zu der ich bereits alles nötige geschrieben habe.
Zweitens:
»Linke« steht nicht im Artikel, aber Sie unterstellen, dass die, »die am lautesten rufen, wenn es um die Verantwortung Springers unter anderem in dieser Sache geht« diejenigen wären, die bei Ego-Shootern Wirkungen verneinen. Beides keine Positionen von, sagen wir mal, wertkonservativen Menschen. Sondern den anderen. Den Zusammenhang stellen sie durch ihre Formulierung her. Das wäre, wenn es nur um die Wirksamkeit gehen würde, nicht nötig gewesen.
Drittens:
muss ich mich insofern entschuldigen, als dass ich ihr Argument reflexartig enger gedacht habe, als sie es gemeint haben.
Medien, auch Videospiele wirken, natürlich. Ernstzunehmende Kritiker der Generalverdammung von Videospielen werden das nicht abstreiten. Die Frage ist, wie sie wirken und wie mit der Wirkung umgegangen wird. Generelle Aussagen über die Wirkungen von Medien können nach meiner Überzeugung nicht gemacht werden können, sondern immer nur individuelle. (s. Rahmungskompetenz)
@Thankmar
Medien wirken je längst unabhängig ihres jeweiligen Realitätsgehalts. Ob sich Werther nun in einem Roman umbringt oder Enke in der Realität – die Wirkungen, die erzeugt werden können, sind ähnlich bzw. gleich. Einzig der Stempel der Authentizität mag im ein oder anderen Fall die entsprechende Wirkung noch zu beschleunigen. Längst ist aber die starre Trennung zwischen Fiktion und Realität wenn nicht aufgehoben, so doch weitgehend durchlässig (zum Teil absichtsvoll, wie bspw. in sogenannten »Doku-Dramen«).
Medien wirken – ob BILD, Videospiele, Spendengala, Pressefoto oder Wahlkampfspot. Damit meine ich nicht die evtl. beabsichtigten Intentionen, die ja bspw. bei der Spendengala oder dem Wahlkampfspot eindeutig zu definieren und auch zu durchschauen sind. Verfechter von Videospielen vertreten ja die These, dass die Spielerei ausschließlich der Unterhaltung dient und danach wieder zum »normalen« Leben übergegangen wird. Diese Wirkungslosigkeit per se bestreite ich – übrigens nicht nur bei Videospielen, sondern auch bei BILD, bestimmten Propagandawerken oder auch einfach nur suggestiv gemachten Filmen. Die eigentlich trivial inszenierte Serie »Holocaust«, die in den 70er Jahren in Deutschland gezeigt wurde und eine Familie und deren Leiden in Nazideutschland zeigte, hat mehr Leute für die Thematik des industriellen Judenmordes sensibilisiert als ‑zig Bücher und Lehrfilme vorher. Was derart positive Folgen haben kann, kann natürlich auch »missbraucht« werden.
Es ist ein beliebtes Vorgehen je nach Gesinnung die Verantwortung für Wirkung durch mediale Prozesse dem Individuum alleine zuzuweisen. (De jure stimmt das natürlich und ich bin auch dagegen, immer anderen, »der Kindheit« oder bösen Mitschülern die Schuld zuzuweisen.) Das meinte ich mit dem – zugegeben holzschnittartigen – Duktus des »Linken«. Springer hat dann auf Dutschke geschossen und ist ein Hetzblatt – »Rambo« oder »Ein Mann sieht rot« aber sind tolle Filme (ich greife zur Übertreibung um die Sache in der gebotenen Kürze deutlich zu machen [und behaupte nicht, dass Sie das gesagt haben]) .
Ist es nicht bezeichnend, dass bis auf eine Ausnahme die anderen Kommentatoren meinen Text mit einem »Ja, aber...« versehen haben und auf den einen Satz in Parenthese rekurrierten? (Dabei geht es nicht darum, dies zu kritisieren – es ist eine Feststellung.) Das mag jetzt an der holprigen, vielleicht überfallartigen Position dieses Satzes liegen – das wäre dann tatsächlich mein Fehler. Grundsätzlich aber wollte ich auf ein Missverhältnis von Argumentation und entsprechender Konsequenz hinweisen, wie es mir oft begegnet – insbesondere wenn es um BILD geht. der Springer-presse wird nach wie vor viel zugetraut – anderen Medien begegnet man sehr viel lässiger, ja: nachlässiger. Das Urteil wird dem jeweiligen Standpunkt angepasst. Ich finde das interessant und danke für die bisher eingegangen Kommentare.
Und noch ein „Ja, aber“ Kommentar …
Meine Meinung zu BILD? Ich hasse dieses in meinen Augen antidemokratische, rechte, hetzerische und lügende „Organ der Niedertracht“ (Max Goldt).
Ich finde den Artikel gelungen. Sie fassen präzise zusammen und liefern mir neue Denkanstöße. Vielleicht ist es auch nur die in mir schlummernde Hoffnung, dass Sie recht haben wenn Sie behaupten „Die Leute sind skeptischer geworden.“
„Ist es nicht bezeichnend, dass bis auf eine Ausnahme die anderen Kommentatoren meinen Text mit einem »Ja, aber…« versehen haben und auf den einen Satz in Parenthese rekurrierten?“ Ja, natürlich ist das Bezeichnend. Aber nur weil der Satz (inhaltlich) absolut deplaziert ist, sodass er Ihrem sonst sehr gelungenen Artikel einen Makel verleiht. Nun haben Sie ihren Gedankengang erläutert, damit kann ich Leben und ich respektiere Ihre Meinung. Viel schwerer wiegt, dass Sie meiner Meinung nach Äpfel mit Birnen vergleichen.
Auf der einen Seite stehen die gewalthaltigen Videospiele, Filme, Bücher?, Comics?, Nachrichten? durch deren Konsum man angeblich abstumpft und Gewaltbereiter wird (die Diskussion hierzu möchte ich nicht aufwärmen). Auf der anderen Seite steht eine „Zeitung“, die direkt dazu aufgefordert hat etwas gegen die Studenten zu unternehmen „Sie rief Tage vor dem Attentat zum „Ergreifen“ der „Rädelsführer“ auf.[25]“ Eine Aufforderung zu einer realen Handlung. Ich habe schon einige Computerspiele gespielt und noch in keinem ist mir die Aufforderung begegnet ich solle das, was ich im Spiel tue und „erlebe“ auch auf die Realität anwenden. Im Gegenteil, bei vielen liest man (teilweise auch scheinheilige) Sätze wie „Don’t try this at home“. Nicht ohne Grund steht die Anstiftung zu einer Straftat in diesem Land auch unter Strafe.
„Soweit kommt es noch, dass man sich für einzelne Sätze rechtfertigen muss.“ Bitte was? Natürlich! Ok, vielleicht ist rechtfertigen das falsche Wort; wie wärs mit erklären? Gesagtes und geschriebenes hat doch keinen Wert wenn man dafür nicht einsteht oder einstehen kann. Dann verkommen Sätze nur zu hohlen Phrasen und das möchte ich Ihnen bei Leibe nicht unterstellen.
Natürlich wirken Medien auf Menschen, dass ist ihre elementarste Grundaufgabe. Wie genau, nun darüber kann man sich streiten. So gesehen ist Ihr Artikel gut gelungen. Dass sich die Leser mit Ihrem Artikel auseinandersetzen und Kommentieren zeigt doch deutlich seine und Ihre Wirkung.
Wer hat denn bei der RAF mitgeschossen?
@Hans
Naja, Sie haben Ihre Affekte absondern können. Wenn’s hilft. Ansonsten habe ich alles zu dem Thema gesagt.
@Christian Himberger
In den 70ern wurde bis hinein in den linksintellektuellen Mainstream der Gewaltdiskurs auch öffentlich geführt (man denke an die Diskussion um Gewalt gegen Sachen als eine Art »Zwischenlösung«).
»Gewalt gegen Sachen« ist ein Kampfbegriff aus der Law-and-Order-Fraktion, mit dem sich Sachbeschädigung oder Vandalismus gleich viel gefährlicher anhören.
@hilti
Es mag auch ein »Kampfbegriff« (gewesen) sein. In der Gewaltforschung spielt er aber durchaus eine Rolle. Nebenbei: »Law-and-Order-Fraktion« ist ebenfalls ein »Kampfbegriff«.
Schöner Artikel. Die Anekdote um Chruschtschow war mir neu.
Der Seitenhieb auf Shooter war für mich aber ebenfalls nicht angebracht – schliesslich unterscheiden sich diese Medien grundsätzlich voneinander – noch viel mehr als die Bild Zeitung sich von einem Kriminalroman unterscheidet.
Der typische GTA Spieler weiss durchaus, dass dieses Spiel nicht der Realität entspricht und kann abschätzen, was mit ihm passiert, wenn er eine andere Person aus deren Auto zerrt und damit wegfährt. Der typische Bild-Leser aber wird inzwischen einen realen Groll gegen Griechenland haben. Die Zeitung selbst erhebt den Anspruch, dass ihre Geschichtli der Realität entsprechen und im Gegensatz zu Spielen nicht nur der reinen Unterhaltung dienen.
@proforma + evtl. andere
Ich bitte meine Äußerungen zu diesem Vergleich in den Kommentaren mit in evtl. eigene Kommentare mit einschließen zu lassen. Ich habe keine Lust, immer das Gleiche zu schreiben.
Ich will in die Mediendiskussion nicht einsteigen, aber mir fiel der Satz auch auf. Ich habe ihn aber, wie ich den Kommentaren entnehme, im Sinne des Autors verstanden, als Kritik selektiver bzw. willkürlicher »Argumentation«.
Schöner Artikel voller Optimismus, den ich gerne glauben würde.
Wobei, mein Onkel hat vor ein paar Jahren mal von sich gegeben: »Also eins muss ich mal sagen... die Bildzeitung manipuliert schon ganz schön!«
Ich habe ihm La Ola Wellen gewidmet. Ich wusste das zwar schon mit 14, aber auch langsam lernende Menschen muss man unterstützen ;)
@Robin Urban
Ich weiss nicht, ob es nur Optimismus ist. Wenn man sich so einige Kampagnen von BILD – besonders in den letzten Jahren – ansieht, so muss man doch sagen, dass ihnen vieles nicht gelungen ist.
@Gregor Keuschnig
Ich will die Diskussion nicht wieder anfangen und nur feststellen, nachdem ich in der Woche leider keine Zeit mehr hatte, dass der einzige Dissens wahrscheinlich darin liegt, das ich durch aus der Meinung bin, dass man nachdem Ego-Shooter gespielt hat, sich sofort auch im anderen Leben anderen Dingen zuwenden kann. Außer Adrenalin (wie es meinetwegen auch nach dem Fussball oder was durch die Blutbahnen pumpt) bleibt da nix. Was für mich nach wie vor daran liegt, dass Videospiele als Spiel, Bild als Zeitung, nicht als Fiktion wahrgenommen wird.
Aber das lässt sich nicht ausdiskutieren, da werden wir bei unseren Standpunkten bleiben.