Der fa­ta­le Fehl­schluss

In je­der Dis­kus­si­on um Ver­bes­se­run­gen des Bil­dungs­sy­stems in Deutsch­land fällt nach we­ni­gen Sät­zen fast un­aus­weich­lich die Be­haup­tung: In kei­nem an­de­ren Land (der OECD) be­stim­men die Her­kunft und die fi­nan­zi­el­len Mit­tel die Bil­dungs­chan­cen der­art stark wie in Deutsch­land. Kin­der aus Ar­bei­ter­aus­hal­ten oder an­de­ren »pre­kä­ren« Mi­lieus ha­ben – so die The­se – sy­stem­be­dingt schlech­te­re Chan­cen auf hö­he­re Schul­ab­schlüs­se wie bei­spielsweise das Ab­itur oder gar ein Stu­di­um. Der Schluss hier­aus lau­tet, dass Haus­hal­te mit grö­sse­ren pe­ku­niä­ren Mit­teln per se ei­ne bes­se­re Bil­dung für ih­re Kin­der er­rei­chen. Dies be­deu­tet auch, so die gän­gi­ge Mei­nung, dass »är­me­re« Kin­der be­dingt durch ih­re »Ar­mut« schlech­te­re Bil­dungs­chan­cen hät­ten.

Ne­ben den gän­gi­gen OECD-Stu­di­en wird auch die PI­SA-Stu­die hier im­mer wie­der zi­tiert. Be­fragt wird die­se The­se und vor al­lem ih­re Er­he­bungs­me­tho­de gar nicht mehr; sie ist der­art ka­no­ni­siert, dass es of­fen­sicht­lich ein Fak­tum zu sein scheint.

Da­bei müss­ten die­se The­sen ei­gent­lich ver­wun­dern, denn in Deutsch­land exi­stie­ren we­der Schul­geld noch Zu­gangs­be­schrän­kun­gen, die an fi­nan­zi­el­le Zu­wen­dun­gen ge­bun­den wä­ren (lässt man jetzt ein­mal die we­ni­gen pri­va­ten In­ter­nats­schu­len bei­sei­te). Wie wird ei­gent­lich ge­nau die­se Aus­sa­ge be­legt? Und: Stimmt es tat­säch­lich in die­ser Ein­fach­heit, dass die öko­no­mi­sche Aus­rü­stung des El­tern­hau­ses den Grad der Bil­dung be­stimmt?

Das ent­spre­chen­de Ka­pi­tel in der PI­SA-Stu­die (Jahr­gang 2003) kon­sta­tiert zu­nächst ein­mal, dass in der ent­spre­chen­den Mi­lieu-Stu­die aus­schliess­lich die ma­the­ma­ti­sche Kom­pe­tenz über­prüft wur­de. Die­se gilt als re­prä­sen­ta­tiv für an­de­re Kom­pe­tenz­fel­der, die an­son­sten in der Stu­die gross un­ter­sucht wer­den und durch­aus di­ver­gie­ren­de Er­geb­nis­se be­för­dern. Neh­men wir die­se Re­prä­sen­ta­ti­ons­fä­hig­keit der ma­the­ma­ti­schen Kom­pe­tenz als ge­ge­ben an (was m. E. ei­gent­lich zu ein­sei­tig aus­ge­rich­tet ist), so stellt sich als zwei­tes die Fra­ge, nach wel­chen Kri­te­ri­en der so­zia­le »Stand« de­fi­niert wird.

Im Ka­pi­tel 9 ist dies er­läu­tert: Es zählt näm­lich mit­nich­ten die fi­nan­zi­el­le Aus­stat­tung der Fa­mi­li­en al­lei­ne als Kri­te­ri­um (dies hät­te man ja sehr schnell an Ein­kom­mens­gren­zen bzw. re­la­ti­ve Ein­kom­men in Form ei­nes Wer­tes fest­ma­chen kön­nen). Die An­ge­le­gen­heit ist we­sent­lich kom­pli­zier­ter: Man bil­det aus öko­no­mi­schen, so­zia­len und kul­tu­rel­len Indi­katoren ei­nen In­dex. Die­ser nennt sich In­dex of Eco­no­mic, So­cial and Cul­tu­ral Sta­tus – ESCS.

In der Wi­ki­pe­dia ist nach­zu­le­sen, dass die­ser ESC-Sta­tus sich aus der so­zio­öko­no­mi­schen Stel­lung der Fa­mi­lie, dem er­reich­ten Aus­bil­dungs­ni­veau der El­tern und dem häus­li­chen Be­sitz er­rech­net.

Wei­ter heisst es dort:

    Als In­di­ka­to­ren für das kul­tu­rel­le Ka­pi­tal der Fa­mi­li­en wer­den die na­tio­na­le Her­kunft und die Dau­er im Auf­ent­halts­land er­fasst, so­wie die Spra­che, die im Fa­mi­li­en­all­tag ge­spro­chen wird. Ein an­de­rer In­di­ka­tor für das kul­tu­rel­le Ka­pi­tal der Fa­mi­lie ist das so ge­nann­te Hu­man­ka­pi­tal der El­tern, d.h. de­ren Schul­bil­dung und Be­rufs­aus­bil­dung. Als wei­te­rer In­di­ka­tor ist die kul­tu­rel­le Pra­xis der Fa­mi­lie zu nen­nen. Die kul­tu­rel­le Pra­xis be­inhal­tet Thea­ter- oder Mu­se­ums­be­su­che, den Be­sitz von Kul­tur­gü­tern, das kul­tu­rel­le Le­ben in­ner­halb der Fa­mi­lie und auch den Be­sitz von z.B. Ta­schen­rech­nern, Le­xi­ka oder son­sti­ger Bü­cher. Kin­der und Ju­gend­li­che ver­fü­gen über so­zia­les Ka­pi­tal, wenn sie in ei­nem Netz­werk so­zia­ler Be­zie­hun­gen auf­wach­sen/-wuch­sen, wel­ches sie da­bei un­ter­stützt so­zi­al an­er­kann­te Zie­le, Wer­te und Ein­stel­lun­gen zu über­neh­men. Die­ses so­zia­le Ka­pi­tal wird haupt­säch­lich in der Fa­mi­lie, der Ver­wandt­schaft, der Nach­bar­schaft, in re­li­giö­sen und eth­ni­schen Grup­pen, Ver­ei­nen, Par­tei­en und Be­trie­ben ge­bil­det. So­zia­les Ka­pi­tal spielt ei­ne be­deut­sa­me Rol­le bei der Bil­dung von Hu­man­ka­pi­tal. Als In­di­ka­to­ren für das so­zia­le Ka­pi­tal der Fa­mi­lie wer­den Struk­tur und Grö­ße der Fa­mi­lie (d.h. Per­so­nen­zahl, An­zahl der Ge­schwi­ster, u.a.), der Er­werbs­tä­tig­keits­sta­tus der El­tern und ver­schie­de­ne Aspek­te der El­tern-Kind-Be­zie­hung (un­ter an­de­rem der Er­zie­hungs­stil oder die Un­ter­stüt­zung und Hil­fe bei Pro­ble­men, Schul­auf­ga­ben u.a.) er­fasst.

Die Auf­li­stung in der PI­SA-Stu­die zeigt nun, dass – stark ver­ein­facht dar­ge­stellt – die Hö­he des ESC-Sta­tus-In­dex mit der Art der wei­ter­füh­ren­den Schu­le kor­re­liert. D. h. ein Kind mit ho­hem »ESCS-Quar­til« ist eher auf ei­nem Gym­na­si­um zu fin­den – Haupt­schü­ler re­kru­tie­ren sich in ho­hem Mas­se aus Fa­mi­li­en mit nied­ri­ge­rem Quar­til. Aus die­ser Kor­re­la­ti­on lässt sich aber mit­nich­ten ei­ne all­ge­mein gül­ti­ge Kau­sa­li­tät ab­lei­ten.

Der Wert sel­ber spie­gelt in kei­nem Fall aus­schliess­lich die Ein­kom­mens­ver­hält­nis­se wi­der.

Er soll eben auch Er­zie­hungs­hal­tung wi­der­spie­geln, die durch die El­tern ver­mit­telt und im El­tern­haus ge­lebt wird. Kin­der, die sehr früh mit Bü­chern und dem Wert des Wis­sens aus dem Le­sen kon­fron­tiert wer­den, be­kom­men na­tür­lich an­de­re Wert­vor­stel­lun­gen ver­mittelt, als die­je­ni­gen, die in ih­rer Fa­mi­lie nur »Fun« und »Ac­tion« er­le­ben. Kin­der, die im Um­feld von frü­he­ster Zeit aus­schliess­lich mit »Su­per-RTL« und/oder, spä­ter, der »BILD«-Zeitung auf­wach­sen, wer­den spä­ter ver­mut­lich gro­sse Pro­ble­me mit dem Ver­ständ­nis kom­ple­xe­rer Zu­sam­men­hän­ge be­kom­men. De­ren El­tern ge­wich­ten aber da­mit auch die Be­deu­tung von Bil­dung an­ders – sie hal­ten die Haupt­schu­le oft ge­nug als aus­rei­chend.

Wenn das Um­feld je­doch Bil­dung per se nicht als wich­ti­ge und not­wen­di­ge Tu­gend be­greift, son­dern die Schu­le als lä­sti­ges Übel emp­fin­det, wel­ches die Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten un­nö­tig be­hin­dert, so ist na­tür­lich auch we­nig In­ter­es­se beim Nach­wuchs zu wecken. Wenn El­tern die Wich­tig­keit und Not­wen­dig­keit von Schu­le gar nicht ent­spre­chend the­ma­ti­sie­ren – dann muss man sich nicht über das Er­geb­nis wun­dern.

Der Irr­tum der In­ter­pre­ta­to­ren liegt dar­in, zu sug­ge­rie­ren, dass das »kul­tu­rel­le Ka­pi­tal« a prio­ri und aus­schliess­lich an fi­nan­zi­el­le Mit­tel ge­bun­den sei. Dies ist nicht der Fall – es gibt bspw. Bi­blio­the­ken, Ge­braucht­bü­cher­han­del, Down­load-Mög­lich­kei­ten über das In­ter­net für in­ter­es­san­te Zei­tungs­ar­ti­kel, usw. Mit­ent­schei­dend für den Bil­dungs­weg ist al­so der ver­mit­tel­te Wert von Bil­dung und des­sen Stel­lung in­ner­halb des fa­mi­liä­ren Kon­tex­tes. Die­ser ist aber nicht al­lei­ne von den Ein­kom­mens­ver­hält­nis­sen ab­hän­gig. Wenn im El­tern­haus die Prio­ri­tä­ten an­de­re sind, ist die Wahr­schein­lich­keit, dass man das Kind auf ei­ne hö­he­re Schu­le schickt, auch re­la­tiv ge­ring.

Und wenn das Fern­se­hen als »Er­zie­hungs­in­stru­ment« ver­wen­det wird (bei­spiels­wei­se um Kin­der ent­spre­chend »zu ver­sor­gen«), so hat dies auch Aus­wir­kun­gen auf den spä­te­ren Bil­dungs­weg von Kin­dern und Ju­gend­li­chen. Stu­di­en be­le­gen, wer früh sehr viel und vor al­lem un­struk­tu­riert fern­sieht, hat sta­ti­stisch be­trach­tet spä­ter ei­ne ge­rin­ge­re Bil­dung.

Der Schluss der PI­SA-Stu­die Für Deutsch­land ist ein en­ger Zu­sam­men­hang zwi­schen so­zia­ler Her­kunft und ma­the­ma­ti­scher Kom­pe­tenz fest­zu­stel­len, der vor al­lem auch über die Be­tei­li­gung und Be­tei­li­gungs­chan­cen an den un­ter­schied­li­chen Schul­for­men ver­mittelt wird. klingt an­ders, als die plat­te, land­läu­fig sug­ge­rier­te For­mel, dass der »Geld­beutel« über die Bil­dungs­chan­cen ent­schei­det.

Viel­leicht liegt ei­ne der Ur­sa­chen auch in der viel zu früh an­set­zen­den Se­lek­ti­on für die wei­ter­füh­ren­den Schu­len. Ist es wirk­lich not­wen­dig, Kin­der nach vier Schul­jah­ren, al­so im Al­ter von ca. 10 Jah­ren, ei­ne spä­ter schwie­rig zu re­vi­die­ren­de Ent­schei­dung vor­neh­men zu las­sen?

Und: Ist das fö­de­ra­le Sy­stem der Bun­des­re­pu­blik, wel­che durch die so­ge­nann­te Föder­alismusreform ge­ra­de noch ein­mal die Kom­pe­ten­zen der Bun­des­län­der stärk­te, wirk­lich so gün­stig? Ist es er­for­der­lich, dass bei Um­zü­gen in an­de­re Bun­des­län­der die Schü­ler oft der­art un­ter­schied­li­che Ni­veaus an­tref­fen? Wem, au­sser der Ar­ro­ganz ei­ni­ger Län­der­re­gie­rungs­chefs, hilft es wirk­lich so­ge­nann­te »Wett­be­werbs­vor­tei­le« im lan­desspezifischen Bil­dungs­sy­stem im Ver­gleich zu an­de­ren Län­dern zu ge­ne­rie­ren?

Nun sind – das scheint be­legt zu sein – auch die Un­ter­schie­de zwi­schen den Schul­for­men (Haupt­schu­le – Re­al­schu­le – Gym­na­si­um) grö­sser als dies wün­schens­wert ist (über die Tat­sa­che, dass es Un­ter­schie­de zwi­schen den Schul­for­men zu ge­ben hat, dürf­te al­ler­dings Kon­sens be­stehen; von den gleich­ma­che­ri­schen Ex­pe­ri­men­ten in den 70er Jah­ren, die zur all­ge­mei­nen Ni­vel­lie­rung des Bil­dungs­sy­stems führ­ten, ist man wohl wei­test­ge­hend abge­rückt). Ins­be­son­de­re der dra­sti­sche Ab­fall der Haupt­schu­le gibt zu den­ken. Das an­schliessende Ka­pi­tel 9.2 über die Mi­gra­ti­ons­in­te­gra­ti­on er­klärt je­doch ei­ni­ges; in der Zu­sammenfassung heisst es dann Die Lei­stungs­dif­fe­ren­zen zwi­schen Ju­gend­li­chen mit und oh­ne Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund sind in Deutsch­land sehr stark aus­ge­prägt.... Auch dies ist pri­mär kein Pro­blem, wel­ches dem Schul­sy­stem an­ge­la­stet wer­den kann, son­dern liegt in den un­ver­ant­wort­li­chen Ver­säum­nis­sen der po­li­ti­schen Eli­ten al­ler Par­tei­en, die auf Ko­sten von Leh­rern und Schü­lern aus­ge­tra­gen wird.

Der wei­ter­ge­hen­de Schluss Für Deutsch­land kann an die­ser Stel­le ei­ne eher un­gün­sti­ge Kom­bi­na­ti­on von Chan­cen­ge­rech­tig­keit und Kom­pe­tenz­ni­veau fest­ge­stellt wer­den... ist schlicht­weg falsch: Die »Ge­rech­tig­keit« ist gar nicht un­ter­sucht wor­den – es wer­den zwei Fest­stel­lun­gen in ein frag­wür­di­ges Ver­hält­nis zu­ein­an­der ge­setzt.

Es bleibt die Fra­ge, ob bei die­ser Les­art nicht Ur­sa­che mit Wir­kung ver­wech­selt wird. Die so­zia­le Her­kunft be­stimmt auch im­mer ein Stück weit die Prio­ri­tä­ten für den Bil­dungs- und Be­rufs­weg der Kin­der und Ju­gend­li­chen. Dies al­lei­ne dem Schul­sy­stem an­zu­la­sten, ist falsch – auch wenn durch Ta­bel­len sug­ge­riert wird, die Er­he­bun­gen wä­ren in­ter­na­tio­nal ver­gleich­bar. In­zwi­schen gibt es er­ste Kri­tik.

Die Fra­ge ist, war­um die we­nig dif­fe­ren­zier­ten Ver­all­ge­mei­ne­run­gen stän­dig in den Me­di­en fort­ge­schrie­ben wer­den und ei­ne Stim­mung er­zeu­gen, die auch die Ge­fahr ei­ner selbst­erfüllenden Pro­phe­zei­ung in sich ber­gen. Viel­leicht hängt dies mit der in Deutsch­land gän­gi­gen Mei­nung zu­sam­men, al­lei­ne fi­nan­zi­el­le Zu­wen­dun­gen könn­ten die ge­wünsch­ten Im­pul­se er­zeu­gen. Die ge­sam­te So­zi­al­po­li­tik der letz­ten drei­ssig Jah­re funk­tio­niert nach die­sem Prin­zip. Die Un­ter­su­chun­gen zei­gen in­zwi­schen, dass pe­ku­niä­re Zu­wen­dun­gen je­doch sehr häu­fig nicht den Ef­fekt dort er­zie­len, wo er ge­wünscht wird. Haus­hal­te, in de­nen Bü­cher be­sten­falls in Form ei­nes Le­xi­kon prä­sent sind, dürf­ten Er­hö­hun­gen von Trans­fer­lei­stun­gen (bspw. Kin­der­geld) nicht als An­reiz neh­men, Kin­der zum Le­sen zu ani­mie­ren; man wird dann das Geld viel­leicht eher für Vi­deo­spie­le oder MP3-Play­er ver­wen­den.

Nicht um­sonst plä­diert der So­zio­lo­ge Paul Nol­te von ei­nem Ab­wen­den der rein pe­ku­niä­ren Ver­sor­gung der »Un­ter­schich­ten«: Wir sind zu lan­ge ei­nem Kon­zept ge­folgt, das man als »für­sorg­li­che Ver­nach­läs­si­gung« be­zeich­nen könn­te. Ei­ner ver­gleichs­wei­se ho­hen ma­te­ri­el­len Für­sor­ge der Un­ter­schicht steht ei­ne Ver­nach­läs­si­gung in so­zia­ler und kul­tu­rel­ler Hin­sicht ge­gen­über. Das Ziel muss es wie­der sein, Kul­tu­ren der Ar­mut und der Ab­hän­gig­keit, des Bil­dungs­man­gels und der Un­selbst­stän­dig­keit nicht sich selbst zu über­las­sen, son­dern sich ein­zu­mi­schen, sie her­aus­zu­for­dern und auf­zu­bre­chen. Es geht um In­te­gra­ti­on in die Mehr­heits­ge­sell­schaft, aber auch – für vie­le ein heik­le­res The­ma – um die Ver­mitt­lung kul­tu­rel­ler Stan­dards und Leit­bil­der.

Die von Nol­te pro­pa­gier­ten Ein­mi­schungs­kon­zep­te des Staa­tes sind eben nicht mehr rein fi­nan­zi­el­ler Na­tur, son­dern grei­fen un­ter Um­stän­den di­rekt in die Er­zie­hung von El­tern hin­ein. Aus hi­sto­ri­schen Grün­den die­se Art von »Für­sor­ge« des Staa­tes min­de­stens am­bi­va­lent zu be­trach­ten. Der Spa­gat zwi­schen all­zu star­kem staat­li­chen Ein­fluss auf die Er­zie­hung ei­ner­seits (nebst der Ge­fahr ideo­lo­gi­scher In­dok­tri­na­ti­on) und dem bis­he­ri­gen »Lais­sez-fai­re« an­de­rer­seits ist schwie­rig und ei­ne der Her­aus­for­de­run­gen weit­sich­ti­ger So­zi­al- und Bil­dungs­po­li­tik.

In der Po­li­tik wer­den lang­sam die Stim­men stär­ker, die für zweck­ge­bun­de­ne Ver­wendungen von Gel­dern, bei­spiels­wei­se in Form ei­ner Schaf­fung ent­spre­chen­der Infra­struktur ein­tre­ten, wie Kin­der­gär­ten ko­sten­los an­zu­bie­ten, Ganz­tags­schu­len zu er­rich­ten, Schul­bü­cher wie­der ko­sten­los zu ver­tei­len, mehr Leh­rer an Schu­len ein­zu­stel­len, usw. Bun­des­fi­nanz­mi­ni­ster Stein­brück ist ei­ner der Vor­rei­ter die­ses Ge­dan­kens; er er­wägt so­gar, Tei­le des Kin­der­gel­des für die Fi­nan­zie­rung die­ser Mass­nah­men her­an­zu­zie­hen.

Die ak­tu­el­len Dis­kus­sio­nen um Krip­pen­plät­ze und die an­geb­lich de­mo­gra­fi­schen Pro­ble­me der bun­des­deut­schen Ge­sell­schaft las­sen je­doch die Be­fürch­tung auf­kom­men, dass mit breit ge­streu­ten fi­nan­zi­el­len Zu­wen­dun­gen der ur­alte Feh­ler der So­zi­al­po­li­tik der letz­ten Jahr­zehn­te un­ver­än­dert fort­ge­setzt wird. Es ist ja auch we­sent­lich po­pu­lä­rer, den je­wei­li­gen Pri­vat­haus­hal­ten mehr Geld zu­kom­men zu las­sen, als die­ses Geld in ent­sprechende In­fra­struk­tur zu in­ve­stie­ren, die vom Bür­ger un­ter Um­stän­den (zu­nächst ein­mal) gar nicht wahr­ge­nom­men wird. 300 Eu­ro mehr in der Kas­se ist »spür­ba­rer« als die Ein­stel­lung neu­er Leh­rer – ins­be­son­de­re wenn es dar­um geht, in näch­ster Zeit als Po­li­ti­ker wie­der­ge­wählt zu wer­den.

Wenn je­doch »Ex­per­ten« in vor­ei­lig ge­zo­ge­nen Schlüs­sen, die ei­gent­lich ei­ner differ­enzierteren Be­trach­tung und Be­wer­tung un­ter­zo­gen wer­den soll­ten, in den Chor der Popu­listen noch ein­stim­men, so tra­gen sie durch die­se Art des tri­via­len Dis­kur­ses wesent­lich da­zu bei, dass die Zu­stän­de, die sie an­pran­gern, ze­men­tiert wer­den. Und je­der Jour­na­list, der dies un­re­flek­tiert und ver­kürzt nach­plap­pert, han­delt un­ver­ant­wort­lich.

16 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Dein Ar­ti­kel ver­mengt mit der Fra­ge­stel­lung nach Mi­gra­ti­ons­hür­den und Pro­ble­men des Schul­sy­stems mei­ner Mei­nung nach zwei Fra­ge­stel­lun­gen, die nicht mo­no­kau­sal zu be­ant­wor­ten sind. Die er­ste Fra­ge scheint sehr pro­ble­ma­tisch, da schlech­te Fak­ten­la­ge, Mi­schung von Äp­feln und Bir­nen und die po­li­ti­sche In­stru­men­ta­li­sie­rung ei­ne prä­zi­se Be­ant­wor­tung mo­men­tan aus­schlie­ssen. Durch Be­ob­ach­tung der bis­he­ri­gen Schul­lauf­bahn mei­ner Kin­der (5. und 7.Klasse) er­schei­nen mir für die zwei­te Fra­ge fol­gen­de Be­haup­tun­gen trag­fä­hig. Dies mag re­gio­nal un­ter­schied­lich sein.

    • Der Wert sel­ber spie­gelt in kei­nem Fall aus­schliess­lich die Ein­kom­mens­ver­hält­nis­se wi­der.

      Bil­dung und Ein­kom­men kor­re­lie­ren so stark, dass sie für die Ur­sa­chen­for­schung prak­tisch gleich­wer­tig sind. Enor­mer Ehr­geiz ist das ein­zi­ge Mit­tel der Wahl, die Re­gel zu bre­chen. Letzt­end­lich lan­det man im­mer bei der heik­len Fra­ge, ob die Fä­hig­keit Bil­dung zu er­wer­ben, er­lernt oder ei­ne ge­ne­ti­sche Prä­dis­po­si­ti­on ist. Die Fra­ge zu be­ant­wor­ten, mas­se ich mir nicht an, wenn ich auch ei­ne Ten­denz zu er­ken­nen glau­be.

    • Viel­leicht liegt ei­ne der Ur­sa­chen auch in der viel zu früh an­set­zen­den Se­lek­ti­on für die wei­ter­füh­ren­den Schu­len.

      Die spä­te­re Se­lek­ti­on macht nicht die Schlech­ten bes­ser, son­dern die Gu­ten schlech­ter. Das Ni­veau ist schon auf dem Gym­na­si­um so ka­ta­stro­phal, dass ei­ne spä­te­re Tren­nung nur ein wei­te­res De­fi­zit bei den Bes­se­ren er­zeug­te, den Schlech­te­ren aber nur be­dingt nutz­te.

    • Nicht um­sonst plä­diert der So­zio­lo­ge Paul Nol­te von ei­nem Ab­wen­den der rein pe­ku­niä­ren Ver­sor­gung der »Un­ter­schich­ten«

      Na­tür­lich ist der Nut­zen von fi­nan­zi­el­ler Ver­sor­gung sinn­los. Man stel­le sich doch ein­fach mal die Fra­ge, war­um ein Mensch da­nach strebt ein ge­wis­ses Mass an Bil­dung zu er­rei­chen? Fast schon pit­to­resk er­scheint der Neu­gie­ri­ge, der Wis­sens­dur­sti­ge. Schwamm drü­ber, das ist ei­ne mar­gi­na­le, be­droh­te Spe­zi­es. Der zwei­te, ent­schei­den­de Fak­tor ist der Wunsch durch den Um­weg über die Bil­dung zu Ein­kom­men, ei­nen hö­he­ren so­zia­len Sta­tus zu er­rei­chen. Je grö­ßer die­se Kluft ge­macht wird, de­sto ge­rin­ger wird der Wunsch nach Bil­dung (dann eben per DSDS).

      So ge­se­hen er­scheint die viel­ge­schmäh­te Gleich­ma­che­rei der sieb­zi­ger Jah­re in ei­nem an­de­ren Licht. Ak­tu­ell ha­ben wir den ge­nau ge­gen­tei­li­gen Trend. Die Eli­te­bil­dung in Wirt­schaft und Staat, wie Sie z.B. aus den an­glo-ame­ri­kan­schen Län­dern und Frank­reich be­kannt ist, wird mas­siv zu­neh­men. Mög­li­cher­wei­se war Deutsch­land lan­ge Zeit das In­du­strie­land mit den ge­ring­sten Un­ter­schie­den zwi­schen »Oben« und »Un­ten«. Heu­te se­he ich z.B. im Bo­lo­gna-Pro­zess, den stän­di­gen Ver­su­chen das Hand­werks­mei­ster-Sy­stem zu tor­pe­die­ren und dem ge­wünsch­ten Auf­bau ei­nes Nied­rig­lohn­sek­tors ei­ne deut­li­che Ten­denz neue Klas­sen­schran­ken (bö­ses Wort) von in­ter­es­sier­ter Sei­te auf­zu­bau­en. Und, es scheint zu ge­lin­gen.

    • Die ak­tu­el­len Dis­kus­sio­nen um Krip­pen­plät­ze
      Auch bei der Fra­ge, wer­de ich wohl nicht her­um­kom­men, ins po­pu­li­sti­sche Horn zu sto­ssen: Bei den Fa­mi­li­en, bei de­nen ein El­tern­teil zu Hau­se bleibt, sind die bes­se­ren Schü­ler zu Hau­se. Dies gilt nicht un­be­dingt für die hö­her ge­bil­de­ten Fa­mi­li­en, wo sich die Kat­ze wie­der in den Schwanz beisst.
  2. Bil­dung und Ein­kom­men kor­re­lie­ren so stark, dass sie für die Ur­sa­chen­for­schung prak­tisch gleich­wer­tig sind.
    Ge­nau die­se Kau­sa­li­tät, die aus Kor­re­la­tio­nen her­aus­ge­ar­bei­tet wird, be­strei­te ich. Ich ken­ne aus der ei­ge­nen An­schau­ung ei­ni­ge Leu­te, wo dies de­fi­ni­tiv nicht der Fall ist, d. h. Kin­der aus »ein­fa­chen Ar­bei­ter­ver­hält­nis­sen« wer­den bspw. sehr früh zur mu­si­schen Er­zie­hung oder zum Le­sen ge­bracht (ganz oh­ne Zwang). Manch­mal möch­ten die El­tern dann in ih­ren Kin­dern das ver­wirk­li­chen, was sie selbst nicht er­rei­chen konn­ten; hier gibt es u. U. auch Aus­wüch­se (über­trie­be­ner Ehr­geiz), die ich per­sön­lich aber nicht ken­nen­ge­lernt ha­be.

    Ich mag da an ei­ne be­stim­men­de ge­ne­ti­sche Prä­dis­po­si­tio­nen nicht glau­ben, wenn gleich auch der »so­zio­lo­gi­sche An­satz« der 70er/80er-Jah­ren nicht mehr per se auf­recht er­hal­ten wer­den kann.

    Die spä­te­re Se­lek­ti­on macht nicht die Schlech­ten bes­ser, son­dern die Gu­ten schlech­ter.
    Das ist ei­ne in­ter­es­san­te Aus­sa­ge. Ich fra­ge mich dann nur, wie es an­de­re Län­der wie bspw. Finn­land ein of­fen­sicht­lich un­gleich bes­se­res Schul­sy­stem im­ple­men­tiert ha­ben. Dort gibt es ei­ne »Ge­samt­schu­le«, die neun Jah­re dau­ert.

    Ver­mut­lich ist die Dis­kus­si­on um das drei­glied­ri­ge Schul­sy­stem in Deutsch­land aber nur ein Ab­len­kungs­ma­nö­ver. Viel­leicht kommt es mehr auf die In­hal­te (d. h. das ver­mit­tel­te Wis­sen) an – und nicht un­be­dingt so sehr auf die Form.

    Man stel­le sich doch ein­fach mal die Fra­ge, war­um ein Mensch da­nach strebt ein ge­wis­ses Mass an Bil­dung zu er­rei­chen?
    Ge­nau die­se Fra­ge wird ja lei­der im­mer we­ni­ger ge­stellt. Das liegt auch dar­an, dass »Bil­dung« lan­ge als eli­tär und un­nö­tig galt. So rich­tig kann ich nicht er­ken­nen, dass die­ses Pa­ra­dig­ma sich än­dert. Wer heu­te bei »Wer wird Mil­lio­när« ei­ne 125.000 Eu­ro-Fra­ge be­ant­wor­ten kann, gilt schon als »ge­bil­det«.

    Bil­dung wird mit Wis­sen im­mer noch ver­wech­selt. Ein Uni­ver­si­täts­ab­schluss hat sicht un­be­dingt per se et­was mit »Bil­dung« zu tun. Das die­ses an­ge­eig­ne­te Spe­zi­al­wis­sen zu hö­he­rem Ein­kom­men führt, ist na­tür­lich rich­tig. Was die Po­li­tik spä­te­stens ab den 80er Jah­ren ver­säumt hat, war klar­zu­ma­chen, dass »Bil­dung« (er­go »Wis­sen«) zum Er­halt des ge­sell­schaft­li­chen Sta­tus der El­tern für die nach­fol­gen­de Ge­ne­ra­ti­on emi­nent wich­tig ist. Nach dem Krieg, so­zu­sa­gen ei­nem »Aus­nah­me­zu­stand« gal­ten For­mal­qua­li­fi­ka­tio­nen nichts – die Men­schen er­hiel­ten ih­re Chan­cen auf­grund an­de­rer Kri­te­ri­en. Dies fällt in der per­fekt durch­or­ga­ni­sief­ten Ge­sell­schaft seit min­de­stens 30 Jah­ren weg. Hin­zu kommt, dass die Zahl der ver­füg­ba­ren Jobs seit die­ser Zeit kon­ti­nu­ier­lich ab­nimmt (Stich­wort: Au­to­ma­ti­on).

    Ich glau­be, die Eli­te­bil­dung, die in Deutsch­land der­zeit um sich greift, ist ein Af­fekt auf ei­ne als Be­dro­hung emp­fun­den­de Ni­vel­lie­rung. Ich ha­be kei­ne Pro­blem mit dem Be­griff »Eli­te«. Eli­te­för­de­rung ist per se nicht schelcht – wenn par­al­lel da­zu auch »an­de­re« Bil­dungs­we­ge ge­för­dert wer­den. Al­lei­ne auf ei­ne Se­lig­ma­chung durch Eli­ten zu set­zen, ist na­tür­lich Un­sinn. Wo­hin das u. U. füh­ren kann, ist an Frank­reich zu er­ken­nen.

    Auch ich glau­be, dass der Un­ter­schied in Deutsch­land zwi­schen den Schich­ten sehr lan­ge re­la­tiv ge­ring war. Das hat zwar den so­zia­len Frie­den er­reicht – um den uns vie­le Län­der be­nei­den. Aber lei­der ist da­mit auch ei­ne ge­wis­se Träg­heit der Mit­tel­schicht be­wirkt wor­den.

    Krip­pen­plät­ze
    Das ab­dur­de in der Dis­kus­si­on ist für mich: Die Krip­pen­plät­ze wer­den jetzt ge­för­dert (da­mit Frau­en frü­her in Jobs kom­men kön­nen – nur: wo sind denn die­se Jobs?) und auf Druck der CSU wer­den par­al­lel auch Müt­ter ge­för­dert, die zu Hau­se blei­ben.

    Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund
    Ja, es klin­gen in mei­nem Bei­trag auch die so­ge­nann­ten »Mi­gra­ti­ons­pro­ble­me«. Und ja, es ist ein we­nig ver­mischt und das ist ei­gent­lich nicht ge­wollt. Ich woll­te ei­gent­lich das Ge­gen­teil er­rei­chen: Nicht das dau­ern­de Schimp­fen bspw. auf die man­gel­haf­ten Deutsch­kennt­nis­se von Mi­gran­ten­kin­dern (die zwei­fel­los nicht zu ba­ga­tel­li­sie­ren sind), son­dern auch die Ver­säum­nis­se der »ein­hei­mi­schen« Schich­ten zu the­ma­ti­sie­ren.

  3. #2
    Die hier ge­nann­ten Schlüs­se be­ru­hen auf mei­nen Be­ob­ach­tun­gen und er­he­ben kei­ner­lei An­spruch auf Voll­stän­dig­keit. Lei­der ha­be ich kein Bei­spiel er­lebt, in dem der Teu­fels­kreis durch­bro­chen wur­de.

    Und, ich bin fest da­von über­zeugt, dass die Ein­füh­rung des Pri­vat­fern­se­hens ein Point of no re­turn war. Kul­tur­pes­si­mis­mus pur, so­zu­sa­gen.

  4. Ich schät­ze Ih­ren Bei­trag und die Dis­kus­si­on.
    Das Bei­spiel, dass le­sen­de El­tern ein Vor­bild sind, und dar­aus le­sen­de Kin­der her­vor­ge­hen, grei­fe ich auf. In un­se­rem Haus gibt ei­ne um­fang­rei­che Bi­blio­thek, zu der die Kin­der frei­en Zu­gang ha­ben. Von An­fang an ha­be ich Wert ge­legt auf kind­ge­rech­te und päd­ago­gisch wert­vol­le Bü­cher für das je­wei­li­ge Al­ter der Her­an­wach­sen­den und auf span­nen­de Le­se­aben­de.
    Das In­ter­es­se der bei­den am Le­sen hat sich un­ter­schied­lich ent­wickelt. Wäh­rend der Sohn in sei­ner Frei­zeit kein Buch liest, so hat sich die Toch­ter zu ei­ner be­gei­ster­ten Le­se­rin ent­wickelt, die auch das An­ge­bot der in Wien recht gut aus­ge­stat­te­ten öf­fent­li­chen Bü­che­rei­en reich­lich nutzt.
    Ein Um­stand, der mög­li­cher­wei­se zu die­sen Un­ter­schie­den bei­trug, mag der schu­li­sche Um­gang ge­we­sen sein. In der Schu­le, die die Toch­ter be­such­te, gab es Lehr­kräf­te, die auf an­re­gen­de Wei­se über Bü­cher und Über Li­te­ra­tur zu er­zäh­len ver­moch­ten. Oft kam mei­ne Toch­ter be­gei­stert vom Un­ter­richt heim und er­zähl­te über das Ge­hör­te und Ge­le­se­ne. Soh­ne­mann fand den Li­te­ra­tur­un­ter­richt öde und lang­wei­lig (was mich bei An­se­hen der ge­heim auf­ge­nom­men Vi­de­os nicht ver­wun­der­te).
    Das ist nur ein Bei­spiel, wie un­ter­schied­lich sich Kin­der aus ei­ner Fa­mi­lie ent­wickeln kön­nen.

  5. Es scheint nur im Ver­bund von el­ter­li­cher und lehr­er­mä­ßi­ger An­lei­tung zu funk­tio­nie­ren.
    Läßt ei­ne Par­tei aus, so wird das Kind beim Le­sen kei­ne son­der­li­che Freu­de ha­ben.
    Das ist wirk­lich ei­ne in­ter­es­san­te Fall­be­schrei­bung. Lei­der wol­len die Per­so­nen, de­nen das zu Den­ken ge­ben müß­te, in Wirk­lich nicht den­ken son­dern sind nur auf Er­rei­chen po­li­ti­scher Zie­le aus­ge­rich­tet.

  6. Tri­vi­al­ge­sell­schaft
    Wie­der ein­mal stim­me ich mit ih­rer Ana­ly­se über­ein. Die ein­sei­ti­ge Ab­stel­lung dar­auf, dass ei­ne bes­se­res fi­nan­zi­el­le Aus­stat­tung der El­tern zu ver­bes­ser­ter Bil­dung der Kin­der füh­re, ist viel zu kurz ge­grif­fen. Aus per­sön­li­chem Er­le­ben weiß ich, dass der weit­aus wich­ti­ge­re Fak­tor der kul­tu­rel­le und Bil­dungs-Back­ground der El­tern ist. Ob­wohl mei­ne El­tern, Kriegs­ge­nera­ti­on und völ­lig mit­tel­los als Flücht­lin­ge in West­deutsch­land ge­stran­det, zu kei­nem Zeit­punkt ih­res Le­bens mehr an das bür­ger­lich sa­tu­rier­te Le­ben ih­rer El­tern­häu­ser in Schle­si­en an­knüp­fen konn­ten, ha­ben sie den­noch vier Kin­der groß­ge­zo­gen und, un­ter Hint­an­stel­lung per­sön­li­cher Wün­sche und Le­bens­vor­stel­lun­gen, al­len den Be­such wei­ter­füh­ren­der Schu­len er­mög­licht.

    Für sie war die För­de­rung ih­rer Kin­der wich­ti­ger, als die Be­frie­di­gung ma­te­ri­el­ler Wün­sche, der Er­werb von Bü­chern wich­ti­ger als ei­ne Mu­sik­tru­he re­spek­ti­ve spä­ter ein Fern­seh­ge­rät, wich­ti­ger als ei­ne Au­to oder ei­ne Ur­laubs­rei­se. Das al­les lei­ste­ten sie in ei­nem Um­feld, wel­ches zu Zei­ten des „Wirt­schafts­wun­ders“ Er­folg am ma­te­ri­el­len Zu­wachs maß. „Hast du was, dann bist du was“ war die gän­gi­ge De­vi­se und un­se­re El­tern hat­ten nichts und wa­ren nichts. Le­sen und Ra­dio hö­ren war un­se­re Un­ter­hal­tung und ir­gend­wie ha­ben wir da­bei auch so grund­le­gen­de Prin­zi­pi­en wie: „macht man – macht man nicht“, ge­wis­se Wert­vor­stel­lun­gen halt, ver­in­ner­licht.

    An die­sen, aus heu­ti­ger Sicht, fast idyl­li­schen Nach­kriegs­zei­ten ge­mes­sen, sind die ma­te­ri­el­len Vor­aus­set­zun­gen heut­zu­ta­ge un­gleich bes­ser und den­noch sinkt das durch­schnitt­li­che Bil­dungs­ni­veau schein­bar un­auf­halt­sam. Ich ha­be na­tür­lich kei­ne wis­sen­schaft­li­chen Be­wei­se und es man­gelt mir auch an ein­schlä­gi­gen sta­ti­sti­schen Zah­len, aber ich bin zu­tiefst da­von über­zeugt, dass ge­ra­de die ma­te­ri­el­le Sät­ti­gung im Zu­sam­men­spiel mit den ein­schlä­gi­gen Tri­vi­al­me­di­en bei wei­ten Tei­len der Ge­sell­schaft da­zu ge­führt hat, den Wert und die Not­wen­dig­keit von Bil­dung ge­ring zu schät­zen.

    Lö­sungs­an­sät­ze ( mehr Leh­rer, Kin­der­gär­ten usw.) ha­ben Sie be­nannt. Den­noch wird je­der fi­nan­zi­el­le Auf­wand ver­geb­li­che Lie­bes­müh sein, wird der Tri­via­li­sie­rung der Ge­sell­schaft nicht end­lich ernst­haft ent­ge­gen ge­wirkt.

  7. @blackconti
    Dan­ke für den klei­nen Ex­kurs in die Kind­heit. Im­mer­hin »darf« man sich in­zwi­schen wie­der »trau­en«, so et­was zu sa­gen, nach­dem es jahr­zehn­te­lang ziem­lich ver­pönt war, die Er­zie­hung und Wer­te­ver­mitt­lung sei­ner El­tern gut zu fin­den.

    Das »Hast du was, dann bist du was« hat sich ja von der Wirt­schafts­wun­der­zeit naht­los in un­se­re ge­ret­tet. Im ma­te­ri­el­len Sin­ne hat­ten ih­re El­tern dann zwar »nichts« und »wa­ren nichts«, aber sie wa­ren gleich­zei­tig un­gleich mehr und stell­ten mehr dar, als die­je­ni­gen, die sich re­fle­xi­ons­los dem Kon­sum hin­ga­ben und die ei­ge­ne Kon­zep­ti­ons­lo­sig­keit dann in Schlag­wor­ten wie zum Bei­spiel »an­ti­au­to­ri­tär« ver­bräm­ten.

    Na­tür­lich ist das al­les kei­ne Ga­ran­tie und, wie ro­sen­herz’ Kom­men­tar zeigt, na­tür­lich auch nicht 100% zu ver­all­ge­mei­nern. Aber ich blei­be da­bei, dass auch das Kind, wel­ches die »An­ge­bo­te« aus der El­tern­haus nicht ver­wen­det, ei­ne an­de­re Ein­stel­lung be­kommt, als Kin­der, de­nen bei­spiels­wei­se Bü­cher oder das Le­sen als »lang­wei­lig« na­he­ge­bracht wer­den.

    Ein klei­ner Hoff­nungs­schim­mer fin­det sich üb­ri­gens in der ak­tu­el­len Aus­ga­be der ZEIT: »Geld macht nicht schlau«. Frau von der Ley­en möch­te Gut­schei­ne für Ta­ges­müt­ter und Ki­tas ein­füh­ren – da­mit das Geld dann tat­säch­lich auch für den vor­ge­se­he­nen Zweck ver­wen­det wird. Lei­der tor­pe­diert die an­de­re, sich christ­lich nen­nen­de Par­tei aus durch­sich­ti­gen Grün­den ein sol­ches Vor­ge­hen: Es ist schlicht un­po­pu­lär, da so et­was in der heu­ti­gen Ge­sell­schaft schnell als Be­vor­mun­dung be­trach­tet wird.

    Die Tri­via­li­sie­rung der Ge­sell­schaft wä­re ein se­pa­ra­tes The­ma, ge­hört in die­sen Kon­text aber na­tür­lich hin­ein. Ich glau­be, dass sie gröss­ten­teils po­li­tisch ge­wollt ist – min­de­stens ge­wollt war (Stich­wort: Ein­füh­rung der pri­va­ten Rund­funk- und Fern­seh­sen­der – man hät­te sich durch ei­nen ein­fa­chen Blick in die USA schlau ma­chen kön­nen). Ei­ner­seits.

    An­de­rer­seits ist aber auch zu kon­ze­die­ren, dass die Be­schäf­ti­gung der po­li­ti­schen, öko­no­mi­schen, so­zia­len und öko­lo­gi­schen Pro­ble­me ei­ne der­art um­fas­sen­de In­for­ma­ti­ons­be­reit­schaft fast vor­aus­setzt, dass die Ba­na­li­sie­rung und/oder Tri­via­li­sie­rung des je­wei­li­gen Pro­blems fast im­mer »in der Luft« liegt – auch bei se­riö­sen Me­di­en. Ent­we­der wird das Pro­blem per­so­na­li­siert oder es wird auf we­ni­ge Schlag­wor­te ver­kürzt. So fühl­te ich mich in den 80er und 90er Jah­ren oft ge­nug in der Be­ur­tei­lung der Atom­ener­gie ein biss­chen hilf­los, da man fast ge­zwun­gen war (ist), sich min­de­stens ru­di­men­tä­re Kennt­nis­se der Funk­ti­ons­wei­se von Atom­re­ak­to­ren an­zu­eig­nen; an­dern­falls wä­re ich mir wie ein Pa­pa­gei vor­ge­kom­men.

    Oder ak­tu­ell die Be­richt­erstat­tung über den G8-Gip­fel und die (so­ge­nann­te) Glo­ba­li­sie­rung. Ich ha­be in der Fern­seh­be­richt­erstat­tung bis­her kei­nen ein­zi­gen Be­richt ge­se­hen, der sich nur an­satz­wei­se be­müht hat, die kom­ple­xen Fel­der (G8 im Ver­hält­nis zur UN; In­for­ma­li­tät der G8 und der NGOs wie bspw. at­tac; Al­ter­na­ti­ven; In­ter­es­sen­la­ge der G8-Län­der, usw) ein biss­chen zu­sam­men­zu­fü­gen. Statt­des­sen wer­den – von al­len Sei­ten! – die üb­li­chen Schlag­wor­te ab­ge­son­dert – und dann geht je­der wie­der in sein La­ger. Der Ide­al­fall ist dann noch, dass bloss be­schrei­bend be­rich­tet wird, d. h. erst gar kei­ne po­li­ti­sche EIn­ord­nung des­sen er­folgt, was sich dort tut. Dies setzt dann aber wie­der vor­aus, dass der Zu­se­her sich an­der­wei­tig ori­en­tiert. Be­vor er das tut, schaut er dann doch lie­ber ein biss­chen RTL.

  8. Seufz!
    In­ter­es­san­ter­wei­se ist das nicht nur in der Po­li­tik so. In mei­nem Fach – EDV – jagt ein Schlag­wort das an­de­re, ein Hype den an­de­ren. Dass die ein­zel­nen Tei­le zu­sam­men­ge­hö­ren und teil­wei­se auf­ein­an­der auf­bau­en, scheint im Zeit­al­ter des über­trie­be­nen Mar­ke­tings kei­nen zu in­ter­es­sie­ren.

  9. Aus per­sön­li­chem Er­le­ben weiß ich, dass der weit­aus wich­ti­ge­re Fak­tor der kul­tu­rel­le und Bil­dungs-Back­ground der El­tern ist.

    Krieg ist in dem Sin­ne aber ei­ne Sin­gu­la­ri­tät. Wä­re die Ge­sell­schaft Ih­ren nor­ma­len Weg ge­gan­gen, dei­ne El­tern wä­ren Bil­dungs­bür­ger­tum mit gu­tem Aus­kom­men ge­we­sen?

    Ich soll­te al­so ver­all­ge­mei­nern: Geld hilft Bil­dung zu tra­di­tio­na­li­sie­ren, kann aber über zwei, drei Ge­ne­ra­tio­nen ge­ret­tet wer­den, auch wenn die äu­ße­ren Be­din­gun­gen schwie­rig sind. Man kann es dre­hen und wen­den wie man will, wenn Bil­dung nicht als Wert an sich ge­se­hen wird, hilft kein we­hen und kla­gen.

  10. @Peter
    wenn Bil­dung nicht als Wert an sich ge­se­hen wird, hilft kein we­hen und kla­gen.
    Das ist m. E. ei­ne Kern­aus­sa­ge. Wird »Bil­dung« näm­lich aus­schliess­lich (oder fast aus­schliess­lich) als In­stru­men­ta­ri­um zur (spä­te­ren) Ein­kom­mens­ver­meh­rung ge­se­hen, dann ver­liert sie durch u. U. fal­sche Zweck­be­zo­gen­heit ih­ren im­ma­te­ri­el­len »Wert«. Der Trend zur Be­fra­gung ins­be­son­de­re der gei­stes­wis­sen­schaft­li­chen Fä­cher (auch in den Schu­len) nimmt aber (lei­der) zu; Te­nor: »Wo­zu ist das spä­ter nütz­lich?«

  11. @Gregor
    Bil­dung und Ein­kom­men kor­re­lie­ren so stark, dass sie für die Ur­sa­chen­for­schung prak­tisch gleich­wer­tig sind.
    Ge­nau die­se Kau­sa­li­tät, die aus Kor­re­la­tio­nen her­aus­ge­ar­bei­tet wird, be­strei­te ich. Ich ken­ne aus der ei­ge­nen An­schau­ung ei­ni­ge Leu­te, wo dies de­fi­ni­tiv nicht der Fall ist, d. h. Kin­der aus »ein­fa­chen Ar­bei­ter­ver­hält­nis­sen« wer­den bspw. sehr früh zur mu­si­schen Er­zie­hung oder zum Le­sen ge­bracht (ganz oh­ne Zwang). Manch­mal möch­ten die El­tern dann in ih­ren Kin­dern das ver­wirk­li­chen, was sie selbst nicht er­rei­chen konn­ten; hier gibt es u. U. auch Aus­wüch­se (über­trie­be­ner Ehr­geiz), die ich per­sön­lich aber nicht ken­nen­ge­lernt ha­be.

    Man kann aus ei­ner star­ken Kor­re­la­ti­on zwar nicht auf ei­ne Kau­sa­li­tät ei­nes der bei­den Phä­no­me­ne vom an­de­ren schlie­ßen, aber viel­leicht auf ei­ne bei­den ge­mein­sa­me Ur­sa­che. Im be­tref­fen­den Fall ist es so­gar so sehr leicht: Die Zu­ge­hö­rig­keit der El­tern zu ei­ner Schicht der Ge­sell­schaft ist kau­sal für die Chan­cen ih­rer Kin­der und da­mit so­wohl für de­ren er­reich­ba­res Bil­dungs­ni­veau als auch für das er­ziel­ba­re Ein­kom­men. In­so­fern hat Pe­ter da durch­aus Recht. Dem­ge­gen­über ha­ben die dir be­kann­ten Ein­zel­fäl­le kei­ne sta­ti­sti­sche Be­weis­kraft.

    Und des­halb ist es mei­ner Mei­nung nach durch­aus ge­recht­fer­tigt, sol­chen Kor­re­la­tio­nen nach­zu­ge­hen. Wenn ab­so­lu­te Zah­len beim Ver­gleich ver­schie­de­ner Län­der viel­leicht wirk­lich nichts tau­gen, dann aber auf je­den Fall Trends in­ner­halb ei­nes Lan­des. Wenn ich rich­tig in­for­miert bin, hat der Pro­zent­satz der stu­die­ren­den Ar­bei­ter­kin­der stär­ker ab­ge­nom­men als ihr An­teil an der Ge­samt­be­völ­ke­rung. Das ist mei­ner Mei­nung nach ein recht ein­deu­ti­ger Be­leg da­für, dass sich die so­zia­len Un­ter­schie­de in Deutsch­land wei­ter ver­grö­ßert ha­ben.

    Am Pri­vat­fern­se­hen hin­ge­gen wür­de ich gar kei­nen Trend fest­ma­chen. Hier ist es ja nur so, dass der so­ge­nann­te „Bil­dungs­bür­ger“ jetzt in sei­ner ei­ge­nen Glot­ze se­hen kann, auf welch nied­ri­gem Ni­veau die Be­dürf­nis­se der bil­dungs­fer­nen Schich­ten durch die „Markt­wirt­schaft“ be­frie­digt wer­den kön­nen. Vor der Er­fin­dung des Pri­vat­fern­se­hens hat er das nur nicht wahr­ge­nom­men, weil es au­ßer­halb sei­ner „Welt“ statt­fand.

  12. @Köppnick
    In der Wi­ki­pe­dia er­hält man nur sehr schma­le In­for­ma­tio­nen dar­über, wie ein »Ar­bei­ter« heut­zu­ta­ge de­fi­niert wird. Es gibt ein Dia­gramm über die Ent­wick­lung von Ar­bei­tern und An­ge­stell­ten von 1962 bis 2003. Dem­nach wä­ren wir im Mo­ment bei ei­nem un­ge­fäh­ren Ver­hält­nis zwi­schen Ar­bei­tern und An­ge­stell­ten von 50:50. Legt man aber die De­fi­ni­ti­on des Ar­ti­kels zu­grun­de, so kann es ei­gent­lich nicht sein, dass die »Ar­bei­ter« im­mer noch ei­ne der­art gro­sse Grup­pe dar­stel­len sol­len. Es gibt an­de­re Sta­ti­sti­ken, die zei­gen, dass die In­du­strie­pro­duk­ti­on in Deutsch­land ste­tig mit im­mer we­ni­ger Ar­bei­tern aus­kommt.

    Der klas­si­sche »Ar­bei­ter« (im hi­sto­ri­schen Kon­text) exi­stiert al­so zu­nächst ein­mal gar nicht mehr (we­nig­stens bei uns). Viel­leicht wä­re es bes­ser, von »Ar­beit­neh­mern« zu spre­chen (wie bei Mey­ers Le­xi­kon­de­fi­ni­ti­on) – ei­ne ent­spre­chen­de Sta­ti­stik kann man hier an­schau­en, wo­bei aus de­ren Aus­sa­ge­kraft re­la­tiv be­schei­den ist.

    Na­tür­lich kann man Sta­ti­sti­ken auf­stel­len, die in­di­zie­ren, dass Ar­beit­neh­mer­haus­hal­te mit nied­ri­grem Ein­kom­men ei­ne pro­por­tio­nal ge­rin­ge­re Zahl von Stu­den­ten stel­len. Dies sagt aber nichts dar­über aus, ob auch tat­säch­lich fi­nan­zi­el­le Er­wä­gun­gen die Ur­sa­che da­für sind – oder ob es nicht auch an­de­re Grün­de gibt. Und ge­nau­so we­nig, wie man Ein­zel­fäl­le ver­all­ge­mei­nern kann, soll­te man Kor­re­la­tio­nen als Kau­sa­li­tä­ten auf­bau­en. Du spiesst sol­che Kon­struk­tio­nen ja ge­le­gent­lich sel­ber ger­ne auf.

  13. @Köppnick
    Am Pri­vat­fern­se­hen hin­ge­gen wür­de ich gar kei­nen Trend fest­ma­chen. Hier ist es ja nur so, dass der so­ge­nann­te „Bil­dungs­bür­ger“ jetzt in sei­ner ei­ge­nen Glot­ze se­hen kann, auf welch nied­ri­gem Ni­veau die Be­dürf­nis­se der bil­dungs­fer­nen Schich­ten durch die „Markt­wirt­schaft“ be­frie­digt wer­den kön­nen. Vor der Er­fin­dung des Pri­vat­fern­se­hens hat er das nur nicht wahr­ge­nom­men, weil es au­ßer­halb sei­ner „Welt“ statt­fand.

    Ein Trend lässt sich doch kaum be­strei­ten. Mit der Ein­füh­rung des Privat-TV’s be­gann der Quo­ten­wett­be­werb und da­mit auch der Zwang zur An­pas­sung, d.h. Tri­via­li­sie­rung, der bis da­hin se­riö­se­ren öf­fent­lich-recht­li­chen Sen­der. Den Ein­fluss des Fern­se­hens auf die Ge­sell­schaft, ins­be­son­de­re auf Ju­gend­li­che, kann man ernst­haft nicht be­strei­ten und mitt­ler­wei­le schlägt die­ses Pri­mi­tiv­ni­veau voll durch. Es sind nicht nur die „bil­dungs­fer­nen Schich­ten“, die die­sen Schrott kon­su­mie­ren. Ge­ra­de­zu gro­tesk mu­tet es an, wenn heu­te ge­nau je­ne Be­für­wor­ter und För­de­rer der Ein­füh­rung des Privat-TV’s mit Kro­ko­dils­trä­nen das kon­ti­nu­ier­lich sin­ken­de Bil­dungs­ni­veau der Ju­gend be­jam­mern.

  14. Be­trof­fen
    »...be­stim­men die Her­kunft und die fi­nan­zi­el­len Mit­tel die Bil­dungs­chan­cen ... Kin­der aus Ar­bei­ter­aus­hal­ten oder an­de­ren »pre­kä­ren« Mi­lieus ha­ben – so die The­se – sy­stem­be­dingt schlech­te­re Chan­cen auf hö­he­re Schul­ab­schlüs­se wie bei­spiels­wei­se das Ab­itur oder gar ein Stu­di­um. Der Schluss hier­aus lau­tet, dass Haus­hal­te mit grö­sse­ren pe­ku­niä­ren Mit­teln per se ei­ne bes­se­re Bil­dung für ih­re Kin­der er­rei­chen. Dies be­deu­tet auch, so die gän­gi­ge Mei­nung, dass »är­me­re« Kin­der be­dingt durch ih­re »Ar­mut« schlech­te­re Bil­dungs­chan­cen hät­ten.«

    Das muss ich lei­der aus ei­ge­nem Er­le­ben be­stä­ti­gen.
    Als ich zur Schu­le ging, wuss­te man in un­se­ren »Hilfs­ar­bei­ter« (Va­ter) und »Heim­ar­bei­ter« (Mut­ter) – Schicht über­haupt nicht, dass es an­de­re (hö­he­re) Schu­len gab als den »Prak­ti­schen Zweig«: die un­ter­ste Stu­fe da­mals.
    Je­den­falls ich als Schü­ler wuß­te so et­was nicht, es wur­de auch we­der in der Fa­mi­lie noch im Be­kann­ten­kreis (Kreuz­berg, da­mals noch nicht »schick«) drü­ber ge­spro­chen, es wur­de vor­aus­ge­setzt: Prak­ti­scher Zweig.
    Was das Wort »Gym­na­si­um« heißt, ja dass es so­was gibt, hab ich wohl erst im Al­ter von 20 oder so er­fah­ren.
    Da half dann nur: le­sen, le­sen, le­sen, ler­nen, ler­nen, ler­nen... und vor al­lem: aus die­ser Schicht und aus die­ser Fa­mi­lie ab­hau­en, um über­haupt was zu er­rei­chen.
    Schön war das al­les nicht. Son­dern müh­sam. Bis heu­te. Bin jetzt 62.

  15. Das stel­le ich nicht in Zwei­fel
    Ich bin et­wa ‘ei­ne hal­be Ge­ne­ra­ti­on’ jün­ger – und kam teil­wei­se in den Ge­nuss an­de­ren Den­kens. Bei mir war es die Grund­schul­klas­sen­leh­re­rin, die mei­nen El­tern er­klär­te, ich sol­le doch bes­ser auf ei­ne wei­ter­füh­ren­de Schu­le ge­hen; die Haupt­schu­le wür­de mich evtl. un­ter­for­dern.

    Es ist aber in der Tat so, dass noch heu­te in ei­ni­gen Schich­ten die Idee prä­sent ist, dass die Schul­aus­bil­dung »nicht so wich­tig« sei und man schnell ei­nen »se­riö­sen Be­ruf« ler­nen sol­le (mir sel­ber im Be­kann­ten- und Ver­wand­ten­kreis oft ge­nug be­geg­net). Die­se Kin­der sind durch die bil­dungs­fer­nen An­sich­ten ih­rer El­tern in ver­häng­nis­vol­ler Wei­se »vor­ge­prägt«.

    Ich ha­be aber auch fest­ge­stellt: Kin­der aus Ar­bei­ter­haus­hal­ten, de­ren El­tern Wert auf ei­ne gu­te Aus­bil­dung le­gen und die­sen Wert auch kom­mu­ni­zie­ren und un­ter­stüt­zen, ha­ben na­tür­lich ih­re Chan­cen.