Da zeigt die CDU wieder ihre alte, hässliche 50er-Jahre-Fratze – und das während sich in Berlin Merkel, von der Leyen & Co. um eine moderne CDU bemühen.
Bei der Beerdigung des ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, belässt es der amtierende Ministerpräsident Günther Oettinger nicht bei allgemeinen, floskelhaften Reden, sondern verklärt denjenigen, der kaum wie ein anderer als Prototyp des »furchtbaren Juristen« gilt. Die Zitate, die seit gestern Nachmittag in den Agenturen zu lesen sind, sprechen eine deutliche Sprache.
Oettinger postuliert wahrheitswidrig Hans Filbinger war kein Nationalsozialist (er trat 1937 der NSDAP bei) um dann über 60 Jahre nach der Verurteilung die Opfer des als Richters tätigen in übler Weise zu verhöhnen:
Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.
Das ist eine eindeutige Lüge – es sei denn, man macht sich den Zynismus zu eigen, dass jeder Mensch eh’ sterben muss, und es daher gleichgültig sei, ob früher oder später. Oettinger kommt mit dem seit Jahrzehnten strapazierten, unzählige Male widerlegten »Befehlsnotstand«:
Er hatte nicht die Entscheidungsmacht und nicht die Entscheidungsfreiheit, die seine Kritiker ihm unterstellen.
Wie entscheidungsmächtig und ‑stark Filbinger tatsächlich war, ist hinreichend dokumentiert (übrigens auch in entlastender Hinsicht). Aber alle historische Forschung wischt Oettinger mit seinem Furor mit einem Federstrich weg, in dem er behauptet, Für uns Nachgeborene ist es schwer bis unmöglich, die damalige Zeit zu beurteilen. Genau das macht Oettinger dann trotzdem – und zwar für FIlbinger, den er fast als Widerstandskämpfer hochstilisiert und damit eine eklatante Geschichtsfälschung betreibt.
Von den illustren Ehrengästen (u. a. Lothar Späth [Filbingers Nachfolger] und Bundesinnenminister Schäuble) ist kein Wort des Widerspruchs bekannt.
Es wird interessant sein zu beobachten, ob diese Äusserungen Oettingers Konsequenzen haben werden, oder ob man schnell wieder zur Tagesordnung übergehen wird.
Ja, es wird interessant,
nach Konsequenzen zu schauen.
Ich erwarte Null sichtbare Konsequenzen.
Träfe das ein – die sichtbare Null würde sehr wohl einen harten Inhaltskern haben.
Dieser besteht in der partiellen Rehabilitation der faschistischen Vergangenheit, in der offenen, schrittweisen Wiedereingliederung/Reimplantation von Elementen faschistischer Substanz in unseren deutschen Alltag.
Konsequenzen
Sichtbare Konsequenz wäre eine Entschuldigung oder Klarstellung. Das wird – vermute ich stark – kommen, obwohl Oettinger in seltsamem Autismus im Moment noch sagt, dass da nichts zu ändern sei (sinngemäss).
Eine Wiedereingliederung/Reimplantation von Elementen faschistischer Substanz in unseren deutschen Alltag sehe ich überhaupt nicht – die öffentliche Ablehnung ist ziemlich einhellig; auch in der CDU. Man kann davon ausgehen, dass viele erst einmal abwarten wollen, um Oettinger einen möglichst gesichtswahrenden Ausgang aus der Affäre zu verschaffen.
Oettinger ist allerdings ein Vertreter des eher rechtskonservativen Flügels der CDU, worauf seine Mitgliedschaft bei einer »Landsmannschaft« ein Indiz liefert.
»Eine Wiedereingliederung von Elementen faschistischer Substanz in unseren deutschen Alltag sehe ich überhaupt nicht« – da kann ich nur sagen: Dein Wort in Gottes Ohr! Ich befürchte diese Wiedereingliederung schon.
Übrigens: von Filbinger zu sagen, er sei kein Nazi gewesen, macht die Sache ja nur schlimmer: dann war er ein besonders übler Opportunist, oder einer von der Sorte besonders sadistischer Juristen, die Freude daran haben, das bestehende Recht besonders strikt und im Zweifel gegen den Angeklagten anzuwenden. Antinazis als Juristen haben damals versucht, im Rahmen des damals bestehenden Rechts, das für sie Unrecht war, noch etwas für die Leute herauszuholen, oder sie haben den Dienst quittiert.
Weiß der Teufel ( nein, nicht der Erwin), was Oettinger sich dabei gedacht hat, und gedacht haben wird er sich was bei seiner Rede. Sie wird ihm noch sauer aufstoßen. Zu schrill ist der Chor, der ihm da empört entgegen schlägt.
Einfach die Geschichte klittern, das geht nun wirklich nicht. Sich mit Biedermannsmiene ans Rednerpult stellen und nachweisbare Fakten leugnen, bzw sie gar ins Gegenteil verdrehen, nein, da hilft letztlich auch keine Entschuldigung, so die denn abgegeben würde. Rücktritt wegen erwiesener Blödheit wäre die einzig angemessene Reaktion, wäre...
Es geht weiter
Die windelweiche Erklärung von Oettinger spricht von »Missverständnissen«, was natürlich Unsinn ist. Denn die sogenannnte Trauerrede ist vieles – nur nicht missverständlich. Sie ist eindeutig. Laut Oettinger war Filbinger ein Gegner des NS-Regimes.
Diese Deutung ist vollkommen neu – bisher tat es von seiten der »Verteidiger« geheissen, Filbinger hätte mehr oder wenig nicht anders handeln können (Stichwörter: Befehlsnotstand oder Weisungsgebundenheit). Beide Interpretationen – Oettingers’ und die der bisherigen Verteidiger – sind falsch.
Oettingers Rede kann nicht missverstanden werden. Und er hat die Möglichkeit, sich zu entschuldigen eigentlich verpasst; da stimme ich Ihnen zu. Es bleibt eigentlichnur noch der Rücktritt – wenn ihm nicht noch was ganz besonderes auffällt. EIn deutscher Ministerpräsident, der ungestraft Lügner genannt werden kann (Hochhuth am Freitag in der SZ), ist auf Dauer untragbar, nein: unerträglich.
Interessant ist, dass gelegentlich mit der »Totenruhe« argumentiert wird – man soll doch den toten Ex-MP ruhen lasse. Nimmt man das wörtlich, dann dürfte es keine historischen Diskurse geben, denn die meisten derjenigen, worum es dort geht, sind ja tot.
Lieber Gregor Keuschnig,
eine Entschuldigung würde ich zwar als etwas »Sichtbares« betrachten aber durchaus als KEINE Konsequenz.
Eine Klarstellung? Was ist unklar, das klarzustellen wäre?
Sehe ich Gespenster?
Die These vom Antifaschismus des Filbinger könnte man selbst als ein Schrittchen der »Wiedereingliederung/Reimplantation von Elementen faschistischer Substanz in unseren deutschen Alltag« betrachten.
Es lassen sich mühelos weiterer Beispiele finden, darunter auch mächtige. Wenn wir einer Meinung sind, daß Rassismus zur faschistischen Substanz gehört, so sehe ich den massenhaft goutierten Rassismus z. B. der Website »PI« voll uns ganz die von mir konstatierte und befürchtete Tendenz erfüllen.
Entschuldige, wenn ich damit Eulen nach Athen trage, daß ich auf die aktuellen Heise-Artikel dazu verweise:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24739/1.html
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24792/1.html
Broder gibt den provozierenden Außenseiter aus aufklärerischen, antifaschistischen usw. Traditionen. In Fakt aber steht er einem »Europa erwache!« näher.
Heise-Artikel sind gelegentlich reichlich alarmistisch geschrieben – und in genau dieses Horn möchte ich nicht stossen. Der Alarmismus, der erzeugt wird, trägt nämlich irgendwann zu einem nicht unmassgeblichen Teil zu einer Verdrossenheit bei, da sie ein Unterlegenheitsgefühl und dann irgendwann Gleichgültigkeit erzeugt (aktuelles Beispiel dürfte die Diskussion um den sogenannten »Klimawandel« [ein Euphemismus] sein – auch hier wird aufgrund der fortschreitenden publizistischen Hysterienpenetration das Gegenteil dessen erreicht, was man eigentlich möchte). Aber das wäre ein anderes Thema.
Eine Reimplementieren faschistischen Gedankenguts in die Gesellschaft würde bedeuten, dass Oettingers Rede kanonisiert würde. Das ist ja keineswegs der Fall – ausser derzeit bei der baden-württembergischen CDU (was jedoch zunächst einmal verständlich ist – man erinnere sich an die originäre Flilbinger-Affäre 1978 und wie lange es dauerte, bis die Mauern brachen). Kein Mensch von klarem Verstand kann die Thesen Oettingers übernehmen. Vielen von denen, die ihm jetzt zustimmen, sähen ihre Karriere gefährdet, das Pferdchen zu schnell zu wechseln.
Ich glaube, dass aktuell eine Entschuldigung nicht mehr ausreichend ist – wie sie auch immer ausfällt. Klarstellung hätte bedeuten können, dass Oettinger betont hätte, er habe auf die beiden »positiven Fälle« rekurriert – zugegebenermassen ein Drahtseilakt.
Ich glaube allerdings auch nicht an einen Rücktritt, obwohl eine Rechtsstaatspartei wie die FDP, mit der Oettinger in BW koaliert auf Dauer eine solche Kröte nicht gut schlucken kann.
Viel interessanter finde ich, was jemanden wie Oettinger geritten hat, derartiges zu verlautbaren. Es ist kein Affekt gewesen. Er hätte sich klar sein müssen, welche Wellen das schlägt. Ich glaube nicht, dass dies ein »populistischer Akt« gewesen ist – vermutlich ist es ein Ausfall – er hat schlichtweg das gesagt, was er meint, ohne auf die Wirkung Wert zu legen. Man sollte ihm dankbar sein, dass man jetzt so gut über seine Gesinnung Bescheid weiss.
Ausfall
hat ja im Deutschen mehrere Bedeutungen.
Im Sinne eines Scheinangriffs, der die Linien und Reaktionsfähigkeit des Gegners testet und damit die eigenen Möglichkeiten erweitert, das könnte sein. Hohmann, Günzel – es gibt ja immer wieder solche mehr oder weniger wohlkalkulierten »Ausreißer«.
An den von mir verlinkten Heise-Artikeln finde ich nichts Alarmistisches; eher das Gegenteil.
Richtungsstreit
Man muss wahrlich nicht oft mit Schirrmacher übereinstimmen, aber seine Replik auf Oettingers Rede und Herumgewurstel ist nicht schlecht – siehe hier.
Schirrmacher hält es nicht für ausgeschlossen, ob Oettinger von seinem Redenschreiber hintergangen wurde. Der Eindruck drängt sich jedenfalls auf, hier habe ein polemisch geschulter Kopf einmal versuchen wollen, wie weit man gehen kann. Das halte ich für vollkommen ausgeschlossen; hierfür war die Brisanz der Angelegenheit im Vorfeld viel zu offensichtlich. Oettingers Versuch, Filbinger reinzuwaschen geschah m. E. auch nicht als Versuch, im »rechten Lager zu fischen«, wie dies die SPD mutmasst (wenigstens nicht in diem Sinne einer plumpen Anbiederung). Das war keineswegs »Kalkül« – was sollte denn hier kalkuliert werden?
Hier hat einfach jemand seine Anschauung frank und frei und ohne Rücksichten verlautbart. ‘Wenn nicht jetzt, wann sonst’ – das schien das Motto zu sein. Oettinger ist, daran besteht kein Zweifel, ein Vertreter des eher rechtskonservativen Spektrums der CDU. Er will sich auf Dauer in der CDU als ein Wertkonservativer etablieren und profilieren; seine Ambitionen sind offensichtlich nicht befriedigt. Eine Merkel-CDU, die gesellschaftlich progressiv agiert, ist ihm auf Dauer nicht geheuer.
Viel interessanter als der Fall Filbinger: Oettinger hat einen existentiellen Richtungsstreit in der CDU losgestossen. Mit offenem Ende – denn die Positionen von Merkel sind in der Partei nicht unumstritten. Hohmann und Günzel waren Provinzpolitiker – ihre Eskapaden konnte man schnell beenden (sie spielen keine Rolle mehr). Oettinger ist ein anderes Kaliber. Man darf nicht vergessen: Er hat sich bei der Mitgliederbefragung innerhalb der baden-württembergischen CDU damals gegen die Merkel-Vertraute Schavan durchgesetzt und dort mit schmutzigen Mitteln gegen die CDU-Politikerin agiert. Die CDU steht – das zeigt diese Affäre – vor einer Zerreissprobe. Vielleicht nicht heute (wenn man das Porzellan zsuammengefegt hat) – aber ganz sicher dann, wenn bei den nächsten Landtagswahlen die Stimmenanteile für die CDU nicht signifikant ansteigen oder gar schwinden sollten.