Der klei­ne Un­ter­schied

Horst See­ho­fer gab das Amt Bun­des­mi­ni­sters für Er­näh­rung, Land­wirt­schaft und Ver­brau­cher­schutz auf, weil er Mi­ni­ster­prä­si­dent in Bay­ern wur­de. Zur Neu­be­set­zung des Mi­ni­ste­ri­ums in Ber­lin ein paar Zi­ta­te aus un­se­ren Qua­li­täts­me­di­en aus den letz­ten Ta­gen:

DIE ZEIT:
Ai­gner ist über die An­fra­ge von Horst See­ho­fer, ob sie sei­ne Nach­fol­ge in Ber­lin an­tre­ten wol­le, nach ei­ge­nem Be­kun­den zu­nächst »zu­sam­men­ge­zuckt«. Sie ha­be »erst mal schlucken und nach­den­ken« müs­sen, sag­te sie am Frei­tag im ARD-»Morgenmagazin«. »Aber mich freut das na­tür­lich wahn­sin­nig, dass Horst See­ho­fer in mich das Ver­trau­en setzt.«

Die Welt:
Die­sen Po­sten wird künf­tig die ober­baye­ri­sche Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Il­se Ai­gner über­neh­men – See­ho­fer zog sie dem von der CSU-Lan­des­grup­pe fa­vo­ri­sier­ten Agrar­staats­se­kre­tär Gerd Mül­ler vor.

Reu­ters (30.10.):
Die CSU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Il­se Ai­gner wird neue Agrar- und Ver­brau­cher­schutz­mi­ni­ste­rin im Bund.
CSU-Chef Horst See­ho­fer sag­te am Don­ners­tag in Mün­chen, die von ihm als Nach­fol­ge­rin aus­ge­wähl­te 43-jäh­ri­ge Ober­baye­rin ver­fü­ge über gro­ße po­li­ti­sche Er­fah­rung und ken­ne das Ber­li­ner Par­kett in- und aus­wen­dig.

ZDF – heute.de (30.10.):
See­ho­fer zeig­te sich aber mit dem Er­geb­nis zu­frie­den: »Wenn das kein Neu­an­fang ist, weiß ich nicht, was man noch ma­chen soll.« Ai­gner, bis­her vor al­lem als Bil­dungs­po­li­ti­ke­rin be­kannt und bis Mitt­woch auch als Ge­ne­ral­se­kre­tä­rin im Ge­spräch, sei »mit der Land­wirt­schaft groß ge­wor­den und wird ei­ne gu­te Mi­ni­ste­rin ab­ge­ben«, sag­te See­ho­fer.

Und jetzt noch ein­mal für all die Herr- und Frau­schaf­ten, die die­se Ar­ti­kel ver­fasst ha­ben, der Satz aus dem Grund­ge­setz, Ar­ti­kel 64, Ab­satz 1:

Die Bun­des­mi­ni­ster wer­den auf Vor­schlag des Bun­des­kanz­lers vom Bun­des­prä­si­den­ten er­nannt und ent­las­sen.

Mir war neu, dass Horst See­ho­fer jetzt auch Bun­des­kanz­ler ist.

19 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. »Vier­te Ge­walt«
    Aber Herr Zeit­ge­nos­se!

    Se­hen Sie nicht die Viel­falt der Stim­men?! Die Di­ver­si­tät der Gei­ster?! Die freie Mei­nungs­bil­dung un­ter den Vie­len in un­ab­hän­gi­gen Me­di­en, die der Mei­nungs­bil­dung die­nen?

    Kein Wäh­ler hat mehr die Il­lu­si­on, dass ihm an­ders­wie als an sei­nem An­teil am Por­porz via GG ir­gend­et­was an der Ent­schei­dungs­fin­dung ge­hört.

    (Ge­stern im Deutsch­land­funk ei­ne Sen­dung über den Nie­der­gang der Jour­na­li­stik al­lent­hal­ben: „Re­cher­chiert“ wird nur noch im In­ter­net, die Kol­le­gen schie­len im­mer erst auf ih­re ei­ge­nen Leit­me­di­en, al­le schrei­ben sonst lie­ber von al­len ab, weil es dem Share­hol­der Mehr­wert bringt – nicht dem an der Mei­nungs­bil­dung In­ter­es­sier­ten. Da könn­te man an ih­re Zi­tat­aus­wahl glatt als ge­gen­tei­li­gen Be­weis an­füh­ren, selbst im Un­ter­be­lich­tet­sein der Zi­tier­ten.)

  2. Ich ha­be dei­nen Text li­ne­ar von vorn nach hin­ten ge­le­sen und wuss­te bis kurz vor En­de nicht, wor­auf du hin­aus willst. Aha, nor­ma­ler Par­tei­en­pro­porz, bei dem in die­sem Fall wie so häu­fig der Schwanz mit dem Hund we­delt. Sei froh, dass wir nicht schon fol­gen­de Schlag­zei­len le­sen muss­ten:

    Bahn­chef Meh­dorn ent­lies Mi­ni­ster Tie­fen­see, weil der sich un­zu­läs­sig in sei­ne Ar­beit ein­ge­mischt hat­te. BDI-Chef Thu­mann ver­ein­bar­te mit der Kan­ze­rin die De­mis­si­on von Wirt­schafts­mi­ni­ster Glos. Jo­sef Acker­mann schlug sich selbst als Fi­nanz­mi­ni­ster vor und sag­te in ei­nem In­ter­view: »Ich weiß am be­sten, was in die­ser schwe­ren Fi­nanz­kri­se für michDeutsch­land das Rich­ti­ge ist.« Fried­rich Merz sah in ei­ner Talk­show kein Pro­blem dar­in, dass er gleich­zei­tig Ab­ge­ord­ne­ter, Mit­glied in et­wa 10 Auf­sichts­rä­ten ist und in der So­zie­tät ar­bei­tet, die bei den Vor­gän­gen um die IKB-Bank be­tei­ligt war.

    Äh, ich mer­ke ge­ra­de, Letz­te­res stimmt ja so­gar, sie­he in der ZDF-Me­dia­thek die Talk­show von May­brit Ill­ner mit Merz und La­fon­taine.

  3. Die Viel­falt der Stim­men? Seit Ta­gen wur­de so ge­tan, als er­nen­ne ein Herr See­ho­fer den Mi­ni­ster (die Mi­ni­ste­rin) in Ber­lin. Ich se­he ei­ne Kanz­le­rin, die sich of­fen­sicht­lich duckt und sich dem Par­tei­en­pro­porz wil­lig er­gibt (jetzt bloss nichts mehr ris­kie­ren).

    Dass die Jour­na­li­sten nur noch im In­ter­net re­cher­chie­ren, ist ja be­kla­gens­wert. Aber das sie nicht mehr wis­sen, wie ele­men­ta­re Re­geln un­se­res po­li­ti­schen Sy­stems funk­tio­nie­ren, ist schon graus­lig.

    Wenn ich jetzt bö­se wä­re, wür­de ich sa­gen, dass mich die »Vier­te Ge­walt« am A.... Aber nein, das sagt man ja nicht.

    Ich er­tap­pe mich nach sol­chen Vor­gän­gen im­mer da­bei, auf all die­se Pseu­do­in­for­ma­ti­on pfei­fen zu wol­len. In Ro­ger Wil­lem­sens Buch »Der Knacks« gibt es ei­ne Stel­le, in dem er von ei­ner Art Klau­sur schreibt, in der er 1986 steck­te. Ir­gend­wann »tauch­te« er wie­der auf und die Men­schen woll­ten wis­sen, was er zu Tscher­no­byl sag­te. Er konn­te je­doch da­zu nichts sa­gen, weil er da­von nichts wuss­te. Die Ent­rü­stung auf sei­ten der Fra­ger war ziem­lich gross: Wie man sich denn nicht in­for­mie­ren kön­ne, usw.

  4. Glos stand wohl wirk­lich zur Dis­po­si­ti­on. Aber die CSU hat wohl nicht ge­nü­gend Per­so­nal, um den auch noch zu er­set­zen (höch­stens Herrn Hu­ber – dann blie­be we­nig­stens der Bier­kon­sum in Ber­lin kon­stant).

    Die Sen­dung mit Merz ha­be ich nur teil­wei­se ge­se­hen. Sei­ne Bei­rats- und Auf­sichts­rats­po­sten sind be­kannt und do­ku­men­tiert. Al­les ist le­gal. Kei­ne Re­gie­rung jed­we­der Cou­leur hat hier Gren­zen ge­zo­gen oder gar das Ak­ti­en­ge­setz ge­än­dert.

    Bzgl. der Reiz­wor­te »Meh­dorn« und noch mehr »Acker­mann« kom­me ich mir manch­mal vor wie im Kas­per­le­thea­ter, als ich fünf oder sechs Jah­re alt war. Da be­kam dann der Räu­ber im­mer vom Kas­per ei­nes auf dem Deckel, nach dem die Kin­der wie wild ge­schrie­en hat­ten als der Räu­ber auf­tauch­te. Ei­gent­lich hat sich nichts ge­än­dert.

  5. Ich ha­be die Sen­dung voll­stän­dig ge­se­hen. Zu Be­ginn woll­te ich nur wis­sen, wel­che in­tel­lek­tu­el­len Ka­pa­zi­tä­ten La­fon­taine hat. Mit man­chen sei­ner doch ver­ein­fa­chen­den Aus­sa­gen an an­de­ren Stel­len ha­be ich näm­lich ein Pro­blem. Mei­ne Zwei­fel hat er in die­ser Sen­dung aus­ge­räumt, denn die war ni­veau­vol­ler als vie­le an­de­re Po­lit-Talk­shows in letz­ter Zeit, ich ha­be al­so bis zum Schluss zu­ge­se­hen. Was ich an La­fon­tai­nes Aus­sa­gen (und an de­nen von Sahra Wa­gen­knecht in ei­ner an­de­ren Sen­dung) in letz­ter Zeit be­mer­kens­wert fand, dass auch die Lin­ken die (Über)Lebensfähigkeit des Ka­pi­ta­lis­mus nicht in Fra­ge stel­len, ob­wohl doch jetzt ein ge­eig­ne­ter Zeit­punkt da­für wä­re.

    Ich zweif­le nicht dar­an, dass al­le Hand­lun­gen von Fried­rich Merz le­gal wa­ren – sonst wä­re er als An­walt ja auch un­trag­bar und/oder im Ge­fäng­nis. Das ist aber mei­ner Mei­nung nach nicht der Punkt. Die ge­setz­li­che Le­ga­li­tät ist im­mer der Mi­ni­mal­kon­sens in ei­ner Ge­sell­schaft. Aber wenn der von al­len er­füllt wird, dann schaut man nach wei­te­ren Kri­te­ri­en, nach de­nen man ver­gleicht und sich die (Volks)Vertreter her­aus­sucht, de­nen man sein Ver­trau­en schenkt. Und ge­nau dar­auf hat La­fon­taine hin­ge­wie­sen: Der all­ge­gen­wär­ti­ge Lob­by­is­mus in der Po­li­tik macht die Po­li­ti­ker nicht be­son­ders ver­trau­ens­wür­dig. Was Fried­rich Merz be­trifft: Wenn ei­ner in so vie­len Wirt­schafts­po­si­tio­nen sitzt und gleich­zei­tig ein Po­li­ti­ker in der er­sten Rei­he ist, dann wird man im­mer den­ken, dass er un­mög­lich in je­der ein­zel­nen sei­ner Po­si­tio­nen so viel lei­sten kann, und er des­halb nur in die­sen Äm­tern ist, weil er Po­li­ti­ker ist und man sei­nen Ein­fluss in der Po­li­tik aus­nüt­zen will.

    Fried­rich Merz hat in der Sen­dung das Ge­gen­ar­gu­ment ge­bracht, dass es von Nach­teil wä­re, wenn in der Po­li­tik nur noch Nur-Be­rufs­po­li­ti­ker wä­ren, die von nichts an­de­rem ei­ne Ah­nung ha­ben. Dem könn­te man aber auch oh­ne Ge­schmäck­le be­geg­nen, in dem man die Le­gis­la­tur je­des Po­li­ti­ker zeit­lich be­grenzt, et­wa so, wie es beim ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten üb­lich ist. Den nö­ti­gen Sach­ver­stand kön­nen dann Ex­per­ten in die Par­la­men­te brin­gen, in dem sie die Hin­ter­grün­de und Pros und Kon­tras je­der mög­li­chen Ent­schei­dung er­läu­tern.

  6. Es ist zwei­fel­los schwie­rig: Ei­ner­seits will man kei­nen Be­ruf­po­li­ti­ker, weil die Leu­te dann ir­gend­wann dro­hen, auf der Stra­sse zu ste­hen. An­de­rer­seits kön­nen »Sei­ten­ein­stei­ger« ih­re Ver­gan­gen­heit nicht wie ein al­tes Hemd aus­zie­hen. Ver­bie­tet man, dass Po­li­ti­ker in der Wirt­schaft in Bei­rä­ten oder Auf­sichts­rä­ten sit­zen, schiebt man Lob­by­is­mus in den Un­ter­grund. Ge­hen die Lob­by­isten wie selbst­ver­ständ­lich in den Mi­ni­ste­ri­en ein und aus, ist es auch falsch.

    Auch La­fon­taine sitzt in ei­nem Auf­sichts­rat: Der KFW-Bank. Mich wun­dert, dass nicht ein­mal re­cher­chiert wird, wie sein je­wei­li­ges Ab­stim­mungs­ver­hal­ten war.

    Skep­tisch ma­chen mich Aus­sa­gen wie vom Bau­ern­prä­si­dent, der die neue Mi­ni­ste­rin »be­grüsst«, weil sie die Nö­te der Bau­ern kennt. Of­fi­zi­ell ist sie aber für Ver­brau­cher­schutz zu­stän­dig – und die In­ter­es­sen der Bau­ern und Ver­brau­cher sind oft ge­nug di­ver­gie­rend.

  7. @Gregor

    Auch La­fon­taine sitzt in ei­nem Auf­sichts­rat: Der KFW-Bank. Mich wun­dert, dass nicht ein­mal re­cher­chiert wird, wie sein je­wei­li­ges Ab­stim­mungs­ver­hal­ten war.

    La­fon­taine lässt über ei­nen Mit­ar­bei­ter fol­gen­des ver­brei­ten:

    Os­kar La­fon­taine ge­hört dem Ver­wal­tungs­rat der KfW an. Dort hat er als ein­zi­ger ge­gen den Zu­schuss von 10 Mil­li­ar­den Eu­ro für die ma­ro­de IKB ge­stimmt. Eben­so hat er dem Ver­kauf der weit­ge­hend ri­si­ko­be­frei­ten IKB an die Heu­schrecke Lo­ne Star wi­der­spro­chen. Scha­de, dass Herr La­fon­taine sich im 35-köp­fi­gen Ver­wal­tungs­rat nicht durch­set­zen konn­te.

    Die zwei­te Aus­sa­ge ist schön ge­re­det, da La­fon­taine bei der ei­gent­li­chen Ab­stim­mung nicht zu­ge­gen war. Aber, glaubst du man hät­te von in­ter­es­sier­ter Sei­te die süf­fi­san­te Ver­brei­tung von Fehl­trit­ten aus­ge­las­sen, wä­ren sie pas­siert?

    Zu dem ei­gent­li­chen The­ma: Die Jour­na­li­sten sind ver­mut­lich der fal­sche An­sprech­part­ner, da See­ho­fer fak­tisch ent­schie­den hat. Das dif­fu­se Mer­kel wä­re der rich­ti­ge Adres­sat, hät­te Sie nicht be­wusst die­ses »Recht« ab­ge­ge­ben. Man hät­te sich weh­tun kön­nen.

  8. @Peter
    Na­ja, die Jour­na­li­sten sind schon die rich­ti­gen An­sprech­part­ner, da sie das ystem, was See­ho­fer prak­ti­ziert hat (und ja durch­aus Be­stand­teil ei­ner Ko­ali­ti­ons­ver­ein­ab­rung ist – sie­he un­ten) ver­in­ner­licht ha­ben und über das Grund­ge­setz stel­len. Na­tür­lich hat Mer­kel kein In­ter­es­se dar­an, gro­sse Ka­bi­nett­ver­än­de­run­gen vor­zu­neh­men. Aber To­tal­aus­fäl­le wie Glos und Tie­fen­see will sie noch mit­schlep­pen; ab März läuft so­wie­so nichts mehr, dann ist Wahl­kampf.

  9. Aus­er­wähl­te
    Die Ab­spra­che, wel­che Par­tei wel­che Mi­ni­ster stel­len darf ist wohl in­for­mel­ler Be­stand­teil der Ko­ali­ti­ons­ver­ein­ba­rung.
    Ein Kanz­ler der sein for­ma­les Recht wahr­nimmt und ei­nen Mi­ni­ster ei­ner an­de­ren Par­tei feu­ert (und ihn ge­gen ei­nen der ei­ge­nen Par­tei aus­tauscht), wür­de mit Si­cher­heit die Ko­ali­ti­on aufs Spiel stel­len.

    Es ist ja auch nach­voll­zieh­bar, dass ei­ne Par­tei die ei­ne Ko­ali­ti­on ein­geht auch Mi­ni­ster stel­len möch­te – und dass der Kanz­ler dann nicht kur­ze Zeit spä­ter das Ka­bi­nett mit den ei­ge­nen Ge­folgs­leu­ten um­bil­den kann.

    Al­ler­dings tei­le ich die Be­ob­ach­tung, dass der Ein­fluss der Kanz­ler auf ihr Ka­bi­nett in den letz­ten Jah­ren noch wei­ter zu­rück­ge­gan­gen ist. So könn­te sich Frau Mer­kel wohl nicht er­lau­ben, Tie­fen­see zu feu­ern. Im Ge­gen­teil – sie hat sich be­eilt ihm den Rücken zu stär­ken.

    Mich stört an der Be­nen­nung et­was an­de­res.

    Was wis­sen wir denn über das Pro­fil der Frau? Wel­che Zie­le hat sie als Ver­brau­cher­schutz­mi­ni­ste­rin? Auf ih­rer Web­site steht je­den­falls noch nicht ein­mal, dass sie vor­ge­schla­gen wur­de. Ge­schwei­ge denn, wie sie zur Ver­brau­cher­po­li­tik steht.

    See­ho­fer hat ei­ne sehr »in­du­strie­freund­li­che« Ver­brau­cher­po­li­tik ge­macht. Bei­spie­le? Ta­bak­wer­bung, Am­pel­kenn­zeich­nung, In­for­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz... (war me­di­al al­les nicht so wich­tig – an­ders als See­ho­fers Ka­ba­le und Lie­be)

    Es ist doch ir­gend­wie merk­wür­dig, dass wir in ei­ner »Herr­schaft des Vol­kes« nicht in­for­miert wer­den, wel­che Zie­le die Mit­glie­der un­se­rer Re­gie­rung durch­set­zen wol­len. Dass un­se­re Me­di­en nicht nach­fra­gen. Dass wir das als nor­mal emp­fin­den.

    Es ist doch in Ord­nung, wenn man glaubt, dass es un­mög­lich ist, al­le Men­schen an Ent­schei­dun­gen par­ti­zi­pie­ren zu las­sen und wenn man des­halb ei­ne Aus­wahl trifft.
    Aber wie ist der Zu­stand der De­mo­kra­tie, wenn die Aus­er­wähl­ten dann nicht ein­mal er­ah­nen las­sen, was sie mit der ih­nen ver­lie­he­nen Macht an­stel­len wol­len?

    Wenn es kei­nen in­ter­es­siert, was man in­halt­lich ver­tritt, wird man na­tür­lich leich­ter ein »Op­fer« der Lob­bys. Wenn die Mi­ni­ste­rin nie ge­fragt wur­de, was sie ge­gen ge­sund­heits­schä­di­gen­de Le­bens­mit­tel un­ter­neh­men möch­te, wie soll sie dann ge­gen­über der In­du­strie be­grün­den, dass so et­was über­haupt not­wen­dig wä­re?

  10. @Rudi Blitz­ab­lei­ter
    Die Ab­spra­che, wel­che Par­tei wel­che Mi­ni­ster stel­len darf ist wohl in­for­mel­ler Be­stand­teil der Ko­ali­ti­ons­ver­ein­ba­rung.
    Ei­ne Ko­ali­ti­ons­ver­ein­ba­rung kann nie über das Grund­ge­setz ste­hen.

  11. »Ge­stern im Deutsch­land­funk ei­ne Sen­dung über den Nie­der­gang der Jour­na­li­stik al­lent­hal­ben«

    Die Jour­na­li­stik ist die Wis­sen­schaft, die den Jour­na­lis­mus un­ter­sucht. Ich glau­be in dem Kom­men­tar ist der an­geb­li­che Nie­der­gang des Jour­na­lis­mus ge­meint aber nicht der der Jour­na­li­stik.

    (ist mir halt so auf­ge­fal­len)

  12. Aus­er­wähl­te
    Hal­lo Gre­gor,
    es gibt Ar­ti­kel im Grund­ge­setz bei de­nen die Dif­fe­renz zwi­schen Wort­laut und Rea­li­tät für un­se­re De­mo­kra­tie schwer­wie­gen­der ist.

    Ar­ti­kel 38 zum Bei­spiel: »Die Ab­ge­ord­ne­ten des Deut­schen Bun­des­ta­ges wer­den in all­ge­mei­ner, un­mit­tel­ba­rer, frei­er, glei­cher und ge­hei­mer Wahl ge­wählt.«

    Da­mit Du es nicht wie­der als Dumm­heit ab­tust, zi­tie­re ich da­zu ein­fach mal Hans Her­bert von Ar­nim:
    »die Mit­glie­der des Bun­des­ta­ges sind in Wahr­heit gar nicht vom Volk ge­wählt, ob­wohl das Grund­ge­setz dies zwin­gend vor­schreibt. Die Volks­wahl ist zum for­ma­len Ab­nicken längst fest­ste­hen­der Re­sul­ta­te de­ge­ne­riert.« (Die Deutsch­land­ak­te, S.175)
    Mo­na­te vor der Wahl kann man min­de­stens 75% der nach der Wahl im Bun­des­tag sit­zen­den Volks­ver­tre­ter vor­her­sa­gen. Für vie­le ist es völ­lig ir­rele­vant, ob sie ge­wählt wer­den oder nicht. Sie sit­zen so­wie­so drin.
    In­ter­es­san­te De­mo­kra­tie, wenn die Mehr­heit der Volks­ver­tre­ter schon vor der Wahl weiß, dass sie »ge­wählt« ist.

    Auch wenn es mit der Prio­ri­sie­rung noch ha­pert. Mich freut, dass Du Dich kri­tisch mit der po­li­ti­schen Rea­li­tät aus­ein­an­der­setzt. :-)

    Grü­ße
    Ru­di

  13. Ein an­de­res Feld
    Von Ar­nims Buch ist harsch kri­ti­siert wor­den; ich ken­ne es nicht. Die Vor­be­hal­te schei­nen sich je­doch zu be­stä­ti­gen, denn die zi­tier­te Aus­sa­ge ist Blöd­sinn. Sie müs­sen na­tür­lich ge­wählt wer­den. Auf­grund der Li­sten­plat­zie­rung ist ei­ne Pro­gno­se, ob sie in das Par­la­ment kom­men, auch wenn sie nicht mit der Erst­stim­me di­rekt ge­wählt wer­den soll­ten, al­ler­dings re­la­tiv gut mög­lich. Das hat mit dem Ver­hält­nis­wahl­recht zu tun. Das müss­te von Ar­min ei­gent­lich ken­nen.

    Ich ver­fech­te seit lan­gem schon das Mehr­heits­wahl­recht, ge­be je­doch (auch auf­grund der Dis­kus­si­on im Th­read) zu, dass dies in un­se­rem fö­de­ra­len Sy­stem schwie­rig um­zu­set­zen ist.

  14. Pro­porz
    Mei­nes Er­ach­tens ist es völ­lig nor­mal, dass die je­wei­li­gen Mi­ni­ster durch die Par­tei­en be­nannt wer­den. Es han­delt sich schließ­lich um die Po­sten, auf die sie laut Ko­ali­ti­ons­ver­ein­ba­rung ei­nen An­spruch ha­ben. Der Bun­des­kanz­ler kann – rein macht­tak­tisch – hier nicht mit­re­den, weil er da­mit die je­wei­li­ge Par­tei ge­gen sich auf­bringt. Sein (oder: ihr) Ziel muss es sein, die Ko­ali­ti­ons­par­tei­en ein­zu­bin­den, da­mit die­se sei­ne bzw. ih­re Mehr­heit ab­si­chern. Sie könn­ten ihm bzw. ihr ja auch die Ge­folg­schaft ver­wei­gern und dann hät­te sich die Kanz­ler­schaft er­le­digt. Der Bun­des­kanz­ler ist nun mal von der Bun­des­tags­mehr­heit ab­hän­gig und des­halb ha­ben die Par­tei­en auch ei­ne ge­wis­se Macht. Der oben zi­tier­te Ver­fas­sungs­ar­ti­kel ist dann mehr als ein Ve­to­recht zu ver­ste­hen: Kei­ne Ko­ali­ti­ons­par­tei kann ei­nen Mi­ni­ster ge­gen den Bun­des­kanz­ler durch­set­zen, weil er oder sie zu­stim­men muss.

  15. In der Re­gie­rungs­zeit Schrö­der stand ein Mi­ni­ste­ri­um zur Dis­po­si­ti­on. Es soll­te von den Grü­nen ver­wal­tet wer­den. Es war die­ses (spä­ter so ge­nann­te) »Ver­brau­cher­schutz­mi­ni­ste­ri­um«. Zu­nächst war Bär­bel Höhn im Ge­spräch (die war in NRW noch Mi­ni­ste­rin). Schrö­der lehn­te dies je­doch ab; die Da­me war ihm wohl zu re­so­lut. Statt­des­sen kam Kün­ast.

    Der Ge­dan­ke mit dem »Ve­to-Recht« ist nicht schlecht. So wird es der­zeit aus­ge­legt. Ob­wohl es an­ders ge­dacht war.

    Ich fand die Art und Wei­se der Be­richt­erstat­tung hier­über mehr als merk­wür­dig.

  16. An­ders ge­dacht?
    Gre­gor,

    ich bin mir nicht si­cher, ob es wirk­lich mal an­ders ge­dacht war. Hät­te man dem Bun­des­kanz­ler ganz al­lein die­se Be­fug­nis zu­spre­chen wol­len, die Mi­ni­ster zu be­stim­men, hät­te man das Amt an sich stär­ker ma­chen müs­sen. Das heißt, der Bun­des­kanz­ler müss­te re­la­tiv un­ab­hän­gig von ei­ner Par­la­ments­mehr­heit am­tie­ren dür­fen. Weil er aber nur dann Bun­des­kanz­ler sein kann, wenn ihn ei­ne Par­la­ments­mehr­heit da­zu macht, muss er auch die­se Mehr­heit ein­wer­ben durch Zu­ge­ständ­nis­se.

    Wä­re der Bun­des­kanz­ler di­rekt vom Vol­ke ge­wählt, könn­te er auch ge­gen die par­la­men­ta­ri­sche Mehr­heit Mi­ni­ster so er­nen­nen, wie er es für rich­tig hält. Ob das aber das bes­se­re Mo­dell ist, weiß ich nicht. Ei­ner­seits könn­te man die Mi­ni­ster­ses­sel vor al­lem nach Fä­hig­keit und nicht nach Pro­porz be­set­zen. An­de­rer­seits müss­te man aber die­se Per­so­na­li­en ein­fach hin­neh­men. Sie wä­ren noch viel we­ni­ger durch das »Volk« be­stimmt als sie jetzt schon sind. Es gä­be ei­ne ge­wis­se Will­kür des Bun­des­kanz­lers in die­sen Per­so­nal­fra­gen.

  17. Par­tei­en­macht
    Ich kann es auf die Schnel­le nicht be­wei­sen: Aber letzt­lich ist der Bun­des­kanz­ler (ei­ni­gen wir uns auf das »neu­tra­le« Wort) der­je­ni­ge, der Mi­ni­ster auch ent­las­sen kann – und zwar als ein­zi­ger. Par­la­ment, Par­tei­gre­mi­en, Bun­des­prä­si­dent – al­le macht­los. In­so­fern ist es lo­gisch, dass der BK auch die Mi­ni­ster er­nennt. Und zwar auch al­lei­ne. Wo­bei die Er­nen­nung durch den Bun­des­prä­si­den­ten wohl eher pro­to­kol­la­ri­schen Cha­rak­ter hat (ab­ge­lehnt wor­den ist noch nie je­mand).

    Bei Fest­le­gung des Grund­ge­set­zes war auch nicht un­be­dingt klar, dass die Par­tei­en ei­ne der­art ex­po­nier­te Rol­le spie­len (sie wir­ken ja, nach dem GG, nur mit – in Wirk­lich­keit be­stim­men sie ja fast al­les durch­drin­gend). Da­her glau­be ich, dass die­ser Ar­ti­kel mehr als nur ein Ve­to­recht be­inhal­te­te. Das es in­zwi­schen so ge­kom­men ist, strei­te ich nicht ab.

  18. #13
    Das Mehr­heits­wahl­recht führt da­zu, dass sich das po­li­ti­sche Sy­stem auf 2 Par­tei­en re­du­ziert, die sich mehr oder we­ni­ger re­gel­mä­ßig an der Macht ab­wech­seln. Da sich die Mei­nun­gen aber nicht auf ei­ne Ja-Nein-Aus­sa­ge in ei­ner ein­zi­gen po­li­ti­schen Fra­ge re­du­zie­ren las­sen, führt das da­zu, dass man die un­ter­schied­li­chen Strö­mun­gen dann nicht in meh­re­ren, son­dern in ei­ner bzw. zwei Par­tei­en ver­sam­melt hat. Statt der Kun­ge­lei­en zwi­schen Par­tei­en fin­den sie dann in­ner­halb ei­ner ein­zi­gen statt. Es könn­te sein, dass dann der Ein­fluss des Vol­kes auf die Po­li­tik ge­rin­ger wird, weil sie we­ni­ger ziel­ge­nau »ihr Pa­ket« wäh­len kön­nen.

    Als ab­schrecken­des Bei­spiel kann die SED die­nen. Bei 2 Mil­lio­nen Par­tei­mit­glie­dern bei nur 16 Mil­lio­nen DDR-Bür­gern wa­ren nach Ab­zug des so­zia­li­sti­schen Par­tei-Bla­blas sehr ver­schie­de­ne Mei­nun­gen un­ter ei­nem Dach ver­sam­melt. Das er­klärt üb­ri­gens auch die Kon­ser­va­ti­vi­tät vie­ler äl­te­rer DDR-Bür­ger und Ex-Ge­nos­sen. Im We­sten hät­ten sie pri­ma CDU­ler ab­ge­ge­ben, nur in der DDR war die herr­schen­de, Kar­rie­re ga­ran­tie­ren­de und Staats-kon­ser­vie­ren­de (=kon­ser­va­ti­ve) Par­tei eben die SED.

    Vor ei­ni­ger Zeit ha­be ich ei­ne Ana­ly­se der Re­pu­bli­ka­ni­schen Par­tei der USA ge­le­sen (ich fin­de die­sen Ar­ti­kel lei­der nicht mehr). Grund­aus­sa­ge: Prak­tisch gibt es drei oder vier Flü­gel in die­ser Par­tei, die sich ei­gent­lich nichts zu sa­gen ha­ben und nur zum Zweck des Macht­er­halts zu­sam­men­kle­ben.

  19. Na­ja, der Ver­gleich mit der SED hinkt er­heb­lich. Und das es bei nur zwei Par­tei­en nicht blei­ben muss, zeigt sich der­zeit in Gross­bri­tan­ni­en.

    Kun­ge­lei­en und Flü­gel­kämp­fe hat es in den de­mo­kra­ti­schen Gross­par­tei­en in Deutsch­land (SPD / CDU) im­mer ge­ge­ben. Die SPD hat­te Go­des­berg; die CDU di­stan­zier­te sich in den 50er Jah­ren schon vom Ah­le­ner Pro­gramm. Am stärk­sten wa­ren die Kämp­fe (und Ver­wer­fun­gen) aber in der FDP, die in den 50er Jah­ren noch stramm rechts auf­trat und sich dann lang­sam zur CDU hin an­ver­wan­del­te, spä­ter dann so­zi­al-li­be­ral wur­de (1969 den Ko­ali­ti­ons­part­ner wech­sel­te und mit der SPD ko­alier­te), be­vor sie dann 1982 wie­der zur CDU ging und sich in­zwi­schen gänz­lich als markt- und wirt­schafts­li­be­ra­le Par­tei pro­fi­liert (und als Ap­pen­dix der CDU/CSU). Das hat sie nicht dar­an ge­hin­dert von al­len Par­tei­en am läng­sten in der Bun­des­re­gie­rung ge­ses­sen zu ha­ben.

    Es ist pro­ble­ma­tisch, po­li­ti­sche Sy­ste­me und Par­tei­en aus Prä­si­di­al­de­mo­kra­tien mit de­nen von par­la­men­ta­ri­schen De­mo­kra­tien zu ver­glei­chen. Frank­reich und die USA sind mit Deutsch­land nicht zu ver­glei­chen; in Frank­reich spie­len Par­tei­en ver­gleichs­wei­se kaum ei­ne Rol­le, da al­les auf ei­ne (bzw. zwei) Per­so­nen zu­ge­schnit­ten ist. Das Pro­blem, war­um ein Mehr­heits­wahl­recht in Deutsch­land schwie­rig ist, be­steht im Fö­de­ra­lis­mus, der ei­ne funk­tio­nie­ren­de zwei­te Kam­mer er­setzt.