Horst Seehofer gab das Amt Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf, weil er Ministerpräsident in Bayern wurde. Zur Neubesetzung des Ministeriums in Berlin ein paar Zitate aus unseren Qualitätsmedien aus den letzten Tagen:
DIE ZEIT:
Aigner ist über die Anfrage von Horst Seehofer, ob sie seine Nachfolge in Berlin antreten wolle, nach eigenem Bekunden zunächst »zusammengezuckt«. Sie habe »erst mal schlucken und nachdenken« müssen, sagte sie am Freitag im ARD-»Morgenmagazin«. »Aber mich freut das natürlich wahnsinnig, dass Horst Seehofer in mich das Vertrauen setzt.«
Die Welt:
Diesen Posten wird künftig die oberbayerische Bundestagsabgeordnete Ilse Aigner übernehmen – Seehofer zog sie dem von der CSU-Landesgruppe favorisierten Agrarstaatssekretär Gerd Müller vor.
Reuters (30.10.):
Die CSU-Bundestagsabgeordnete Ilse Aigner wird neue Agrar- und Verbraucherschutzministerin im Bund.
CSU-Chef Horst Seehofer sagte am Donnerstag in München, die von ihm als Nachfolgerin ausgewählte 43-jährige Oberbayerin verfüge über große politische Erfahrung und kenne das Berliner Parkett in- und auswendig.
ZDF – heute.de (30.10.):
Seehofer zeigte sich aber mit dem Ergebnis zufrieden: »Wenn das kein Neuanfang ist, weiß ich nicht, was man noch machen soll.« Aigner, bisher vor allem als Bildungspolitikerin bekannt und bis Mittwoch auch als Generalsekretärin im Gespräch, sei »mit der Landwirtschaft groß geworden und wird eine gute Ministerin abgeben«, sagte Seehofer.
Und jetzt noch einmal für all die Herr- und Frauschaften, die diese Artikel verfasst haben, der Satz aus dem Grundgesetz, Artikel 64, Absatz 1:
Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.
Mir war neu, dass Horst Seehofer jetzt auch Bundeskanzler ist.
»Vierte Gewalt«
Aber Herr Zeitgenosse!
Sehen Sie nicht die Vielfalt der Stimmen?! Die Diversität der Geister?! Die freie Meinungsbildung unter den Vielen in unabhängigen Medien, die der Meinungsbildung dienen?
Kein Wähler hat mehr die Illusion, dass ihm anderswie als an seinem Anteil am Porporz via GG irgendetwas an der Entscheidungsfindung gehört.
(Gestern im Deutschlandfunk eine Sendung über den Niedergang der Journalistik allenthalben: „Recherchiert“ wird nur noch im Internet, die Kollegen schielen immer erst auf ihre eigenen Leitmedien, alle schreiben sonst lieber von allen ab, weil es dem Shareholder Mehrwert bringt – nicht dem an der Meinungsbildung Interessierten. Da könnte man an ihre Zitatauswahl glatt als gegenteiligen Beweis anführen, selbst im Unterbelichtetsein der Zitierten.)
Ich habe deinen Text linear von vorn nach hinten gelesen und wusste bis kurz vor Ende nicht, worauf du hinaus willst. Aha, normaler Parteienproporz, bei dem in diesem Fall wie so häufig der Schwanz mit dem Hund wedelt. Sei froh, dass wir nicht schon folgende Schlagzeilen lesen mussten:
Bahnchef Mehdorn entlies Minister Tiefensee, weil der sich unzulässig in seine Arbeit eingemischt hatte. BDI-Chef Thumann vereinbarte mit der Kanzerin die Demission von Wirtschaftsminister Glos. Josef Ackermann schlug sich selbst als Finanzminister vor und sagte in einem Interview: »Ich weiß am besten, was in dieser schweren Finanzkrise für
michDeutschland das Richtige ist.« Friedrich Merz sah in einer Talkshow kein Problem darin, dass er gleichzeitig Abgeordneter, Mitglied in etwa 10 Aufsichtsräten ist und in der Sozietät arbeitet, die bei den Vorgängen um die IKB-Bank beteiligt war.Äh, ich merke gerade, Letzteres stimmt ja sogar, siehe in der ZDF-Mediathek die Talkshow von Maybrit Illner mit Merz und Lafontaine.
Die Vielfalt der Stimmen? Seit Tagen wurde so getan, als ernenne ein Herr Seehofer den Minister (die Ministerin) in Berlin. Ich sehe eine Kanzlerin, die sich offensichtlich duckt und sich dem Parteienproporz willig ergibt (jetzt bloss nichts mehr riskieren).
Dass die Journalisten nur noch im Internet recherchieren, ist ja beklagenswert. Aber das sie nicht mehr wissen, wie elementare Regeln unseres politischen Systems funktionieren, ist schon grauslig.
Wenn ich jetzt böse wäre, würde ich sagen, dass mich die »Vierte Gewalt« am A.... Aber nein, das sagt man ja nicht.
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Ich ertappe mich nach solchen Vorgängen immer dabei, auf all diese Pseudoinformation pfeifen zu wollen. In Roger Willemsens Buch »Der Knacks« gibt es eine Stelle, in dem er von einer Art Klausur schreibt, in der er 1986 steckte. Irgendwann »tauchte« er wieder auf und die Menschen wollten wissen, was er zu Tschernobyl sagte. Er konnte jedoch dazu nichts sagen, weil er davon nichts wusste. Die Entrüstung auf seiten der Frager war ziemlich gross: Wie man sich denn nicht informieren könne, usw.
Glos stand wohl wirklich zur Disposition. Aber die CSU hat wohl nicht genügend Personal, um den auch noch zu ersetzen (höchstens Herrn Huber – dann bliebe wenigstens der Bierkonsum in Berlin konstant).
Die Sendung mit Merz habe ich nur teilweise gesehen. Seine Beirats- und Aufsichtsratsposten sind bekannt und dokumentiert. Alles ist legal. Keine Regierung jedweder Couleur hat hier Grenzen gezogen oder gar das Aktiengesetz geändert.
Bzgl. der Reizworte »Mehdorn« und noch mehr »Ackermann« komme ich mir manchmal vor wie im Kasperletheater, als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Da bekam dann der Räuber immer vom Kasper eines auf dem Deckel, nach dem die Kinder wie wild geschrieen hatten als der Räuber auftauchte. Eigentlich hat sich nichts geändert.
Ich habe die Sendung vollständig gesehen. Zu Beginn wollte ich nur wissen, welche intellektuellen Kapazitäten Lafontaine hat. Mit manchen seiner doch vereinfachenden Aussagen an anderen Stellen habe ich nämlich ein Problem. Meine Zweifel hat er in dieser Sendung ausgeräumt, denn die war niveauvoller als viele andere Polit-Talkshows in letzter Zeit, ich habe also bis zum Schluss zugesehen. Was ich an Lafontaines Aussagen (und an denen von Sahra Wagenknecht in einer anderen Sendung) in letzter Zeit bemerkenswert fand, dass auch die Linken die (Über)Lebensfähigkeit des Kapitalismus nicht in Frage stellen, obwohl doch jetzt ein geeigneter Zeitpunkt dafür wäre.
Ich zweifle nicht daran, dass alle Handlungen von Friedrich Merz legal waren – sonst wäre er als Anwalt ja auch untragbar und/oder im Gefängnis. Das ist aber meiner Meinung nach nicht der Punkt. Die gesetzliche Legalität ist immer der Minimalkonsens in einer Gesellschaft. Aber wenn der von allen erfüllt wird, dann schaut man nach weiteren Kriterien, nach denen man vergleicht und sich die (Volks)Vertreter heraussucht, denen man sein Vertrauen schenkt. Und genau darauf hat Lafontaine hingewiesen: Der allgegenwärtige Lobbyismus in der Politik macht die Politiker nicht besonders vertrauenswürdig. Was Friedrich Merz betrifft: Wenn einer in so vielen Wirtschaftspositionen sitzt und gleichzeitig ein Politiker in der ersten Reihe ist, dann wird man immer denken, dass er unmöglich in jeder einzelnen seiner Positionen so viel leisten kann, und er deshalb nur in diesen Ämtern ist, weil er Politiker ist und man seinen Einfluss in der Politik ausnützen will.
Friedrich Merz hat in der Sendung das Gegenargument gebracht, dass es von Nachteil wäre, wenn in der Politik nur noch Nur-Berufspolitiker wären, die von nichts anderem eine Ahnung haben. Dem könnte man aber auch ohne Geschmäckle begegnen, in dem man die Legislatur jedes Politiker zeitlich begrenzt, etwa so, wie es beim amerikanischen Präsidenten üblich ist. Den nötigen Sachverstand können dann Experten in die Parlamente bringen, in dem sie die Hintergründe und Pros und Kontras jeder möglichen Entscheidung erläutern.
Es ist zweifellos schwierig: Einerseits will man keinen Berufpolitiker, weil die Leute dann irgendwann drohen, auf der Strasse zu stehen. Andererseits können »Seiteneinsteiger« ihre Vergangenheit nicht wie ein altes Hemd ausziehen. Verbietet man, dass Politiker in der Wirtschaft in Beiräten oder Aufsichtsräten sitzen, schiebt man Lobbyismus in den Untergrund. Gehen die Lobbyisten wie selbstverständlich in den Ministerien ein und aus, ist es auch falsch.
Auch Lafontaine sitzt in einem Aufsichtsrat: Der KFW-Bank. Mich wundert, dass nicht einmal recherchiert wird, wie sein jeweiliges Abstimmungsverhalten war.
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Skeptisch machen mich Aussagen wie vom Bauernpräsident, der die neue Ministerin »begrüsst«, weil sie die Nöte der Bauern kennt. Offiziell ist sie aber für Verbraucherschutz zuständig – und die Interessen der Bauern und Verbraucher sind oft genug divergierend.
@Gregor
Lafontaine lässt über einen Mitarbeiter folgendes verbreiten:
Die zweite Aussage ist schön geredet, da Lafontaine bei der eigentlichen Abstimmung nicht zugegen war. Aber, glaubst du man hätte von interessierter Seite die süffisante Verbreitung von Fehltritten ausgelassen, wären sie passiert?
Zu dem eigentlichen Thema: Die Journalisten sind vermutlich der falsche Ansprechpartner, da Seehofer faktisch entschieden hat. Das diffuse Merkel wäre der richtige Adressat, hätte Sie nicht bewusst dieses »Recht« abgegeben. Man hätte sich wehtun können.
@Peter
Naja, die Journalisten sind schon die richtigen Ansprechpartner, da sie das ystem, was Seehofer praktiziert hat (und ja durchaus Bestandteil einer Koalitionsvereinabrung ist – siehe unten) verinnerlicht haben und über das Grundgesetz stellen. Natürlich hat Merkel kein Interesse daran, grosse Kabinettveränderungen vorzunehmen. Aber Totalausfälle wie Glos und Tiefensee will sie noch mitschleppen; ab März läuft sowieso nichts mehr, dann ist Wahlkampf.
Auserwählte
Die Absprache, welche Partei welche Minister stellen darf ist wohl informeller Bestandteil der Koalitionsvereinbarung.
Ein Kanzler der sein formales Recht wahrnimmt und einen Minister einer anderen Partei feuert (und ihn gegen einen der eigenen Partei austauscht), würde mit Sicherheit die Koalition aufs Spiel stellen.
Es ist ja auch nachvollziehbar, dass eine Partei die eine Koalition eingeht auch Minister stellen möchte – und dass der Kanzler dann nicht kurze Zeit später das Kabinett mit den eigenen Gefolgsleuten umbilden kann.
Allerdings teile ich die Beobachtung, dass der Einfluss der Kanzler auf ihr Kabinett in den letzten Jahren noch weiter zurückgegangen ist. So könnte sich Frau Merkel wohl nicht erlauben, Tiefensee zu feuern. Im Gegenteil – sie hat sich beeilt ihm den Rücken zu stärken.
Mich stört an der Benennung etwas anderes.
Was wissen wir denn über das Profil der Frau? Welche Ziele hat sie als Verbraucherschutzministerin? Auf ihrer Website steht jedenfalls noch nicht einmal, dass sie vorgeschlagen wurde. Geschweige denn, wie sie zur Verbraucherpolitik steht.
Seehofer hat eine sehr »industriefreundliche« Verbraucherpolitik gemacht. Beispiele? Tabakwerbung, Ampelkennzeichnung, Informationsfreiheitsgesetz... (war medial alles nicht so wichtig – anders als Seehofers Kabale und Liebe)
Es ist doch irgendwie merkwürdig, dass wir in einer »Herrschaft des Volkes« nicht informiert werden, welche Ziele die Mitglieder unserer Regierung durchsetzen wollen. Dass unsere Medien nicht nachfragen. Dass wir das als normal empfinden.
Es ist doch in Ordnung, wenn man glaubt, dass es unmöglich ist, alle Menschen an Entscheidungen partizipieren zu lassen und wenn man deshalb eine Auswahl trifft.
Aber wie ist der Zustand der Demokratie, wenn die Auserwählten dann nicht einmal erahnen lassen, was sie mit der ihnen verliehenen Macht anstellen wollen?
Wenn es keinen interessiert, was man inhaltlich vertritt, wird man natürlich leichter ein »Opfer« der Lobbys. Wenn die Ministerin nie gefragt wurde, was sie gegen gesundheitsschädigende Lebensmittel unternehmen möchte, wie soll sie dann gegenüber der Industrie begründen, dass so etwas überhaupt notwendig wäre?
@Rudi Blitzableiter
Die Absprache, welche Partei welche Minister stellen darf ist wohl informeller Bestandteil der Koalitionsvereinbarung.
Eine Koalitionsvereinbarung kann nie über das Grundgesetz stehen.
»Gestern im Deutschlandfunk eine Sendung über den Niedergang der Journalistik allenthalben«
Die Journalistik ist die Wissenschaft, die den Journalismus untersucht. Ich glaube in dem Kommentar ist der angebliche Niedergang des Journalismus gemeint aber nicht der der Journalistik.
(ist mir halt so aufgefallen)
Auserwählte
Hallo Gregor,
es gibt Artikel im Grundgesetz bei denen die Differenz zwischen Wortlaut und Realität für unsere Demokratie schwerwiegender ist.
Artikel 38 zum Beispiel: »Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.«
Damit Du es nicht wieder als Dummheit abtust, zitiere ich dazu einfach mal Hans Herbert von Arnim:
»die Mitglieder des Bundestages sind in Wahrheit gar nicht vom Volk gewählt, obwohl das Grundgesetz dies zwingend vorschreibt. Die Volkswahl ist zum formalen Abnicken längst feststehender Resultate degeneriert.« (Die Deutschlandakte, S.175)
Monate vor der Wahl kann man mindestens 75% der nach der Wahl im Bundestag sitzenden Volksvertreter vorhersagen. Für viele ist es völlig irrelevant, ob sie gewählt werden oder nicht. Sie sitzen sowieso drin.
Interessante Demokratie, wenn die Mehrheit der Volksvertreter schon vor der Wahl weiß, dass sie »gewählt« ist.
Auch wenn es mit der Priorisierung noch hapert. Mich freut, dass Du Dich kritisch mit der politischen Realität auseinandersetzt. :-)
Grüße
Rudi
Ein anderes Feld
Von Arnims Buch ist harsch kritisiert worden; ich kenne es nicht. Die Vorbehalte scheinen sich jedoch zu bestätigen, denn die zitierte Aussage ist Blödsinn. Sie müssen natürlich gewählt werden. Aufgrund der Listenplatzierung ist eine Prognose, ob sie in das Parlament kommen, auch wenn sie nicht mit der Erststimme direkt gewählt werden sollten, allerdings relativ gut möglich. Das hat mit dem Verhältniswahlrecht zu tun. Das müsste von Armin eigentlich kennen.
Ich verfechte seit langem schon das Mehrheitswahlrecht, gebe jedoch (auch aufgrund der Diskussion im Thread) zu, dass dies in unserem föderalen System schwierig umzusetzen ist.
Proporz
Meines Erachtens ist es völlig normal, dass die jeweiligen Minister durch die Parteien benannt werden. Es handelt sich schließlich um die Posten, auf die sie laut Koalitionsvereinbarung einen Anspruch haben. Der Bundeskanzler kann – rein machttaktisch – hier nicht mitreden, weil er damit die jeweilige Partei gegen sich aufbringt. Sein (oder: ihr) Ziel muss es sein, die Koalitionsparteien einzubinden, damit diese seine bzw. ihre Mehrheit absichern. Sie könnten ihm bzw. ihr ja auch die Gefolgschaft verweigern und dann hätte sich die Kanzlerschaft erledigt. Der Bundeskanzler ist nun mal von der Bundestagsmehrheit abhängig und deshalb haben die Parteien auch eine gewisse Macht. Der oben zitierte Verfassungsartikel ist dann mehr als ein Vetorecht zu verstehen: Keine Koalitionspartei kann einen Minister gegen den Bundeskanzler durchsetzen, weil er oder sie zustimmen muss.
In der Regierungszeit Schröder stand ein Ministerium zur Disposition. Es sollte von den Grünen verwaltet werden. Es war dieses (später so genannte) »Verbraucherschutzministerium«. Zunächst war Bärbel Höhn im Gespräch (die war in NRW noch Ministerin). Schröder lehnte dies jedoch ab; die Dame war ihm wohl zu resolut. Stattdessen kam Künast.
Der Gedanke mit dem »Veto-Recht« ist nicht schlecht. So wird es derzeit ausgelegt. Obwohl es anders gedacht war.
Ich fand die Art und Weise der Berichterstattung hierüber mehr als merkwürdig.
Anders gedacht?
Gregor,
ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich mal anders gedacht war. Hätte man dem Bundeskanzler ganz allein diese Befugnis zusprechen wollen, die Minister zu bestimmen, hätte man das Amt an sich stärker machen müssen. Das heißt, der Bundeskanzler müsste relativ unabhängig von einer Parlamentsmehrheit amtieren dürfen. Weil er aber nur dann Bundeskanzler sein kann, wenn ihn eine Parlamentsmehrheit dazu macht, muss er auch diese Mehrheit einwerben durch Zugeständnisse.
Wäre der Bundeskanzler direkt vom Volke gewählt, könnte er auch gegen die parlamentarische Mehrheit Minister so ernennen, wie er es für richtig hält. Ob das aber das bessere Modell ist, weiß ich nicht. Einerseits könnte man die Ministersessel vor allem nach Fähigkeit und nicht nach Proporz besetzen. Andererseits müsste man aber diese Personalien einfach hinnehmen. Sie wären noch viel weniger durch das »Volk« bestimmt als sie jetzt schon sind. Es gäbe eine gewisse Willkür des Bundeskanzlers in diesen Personalfragen.
Parteienmacht
Ich kann es auf die Schnelle nicht beweisen: Aber letztlich ist der Bundeskanzler (einigen wir uns auf das »neutrale« Wort) derjenige, der Minister auch entlassen kann – und zwar als einziger. Parlament, Parteigremien, Bundespräsident – alle machtlos. Insofern ist es logisch, dass der BK auch die Minister ernennt. Und zwar auch alleine. Wobei die Ernennung durch den Bundespräsidenten wohl eher protokollarischen Charakter hat (abgelehnt worden ist noch nie jemand).
Bei Festlegung des Grundgesetzes war auch nicht unbedingt klar, dass die Parteien eine derart exponierte Rolle spielen (sie wirken ja, nach dem GG, nur mit – in Wirklichkeit bestimmen sie ja fast alles durchdringend). Daher glaube ich, dass dieser Artikel mehr als nur ein Vetorecht beinhaltete. Das es inzwischen so gekommen ist, streite ich nicht ab.
#13
Das Mehrheitswahlrecht führt dazu, dass sich das politische System auf 2 Parteien reduziert, die sich mehr oder weniger regelmäßig an der Macht abwechseln. Da sich die Meinungen aber nicht auf eine Ja-Nein-Aussage in einer einzigen politischen Frage reduzieren lassen, führt das dazu, dass man die unterschiedlichen Strömungen dann nicht in mehreren, sondern in einer bzw. zwei Parteien versammelt hat. Statt der Kungeleien zwischen Parteien finden sie dann innerhalb einer einzigen statt. Es könnte sein, dass dann der Einfluss des Volkes auf die Politik geringer wird, weil sie weniger zielgenau »ihr Paket« wählen können.
Als abschreckendes Beispiel kann die SED dienen. Bei 2 Millionen Parteimitgliedern bei nur 16 Millionen DDR-Bürgern waren nach Abzug des sozialistischen Partei-Blablas sehr verschiedene Meinungen unter einem Dach versammelt. Das erklärt übrigens auch die Konservativität vieler älterer DDR-Bürger und Ex-Genossen. Im Westen hätten sie prima CDUler abgegeben, nur in der DDR war die herrschende, Karriere garantierende und Staats-konservierende (=konservative) Partei eben die SED.
Vor einiger Zeit habe ich eine Analyse der Republikanischen Partei der USA gelesen (ich finde diesen Artikel leider nicht mehr). Grundaussage: Praktisch gibt es drei oder vier Flügel in dieser Partei, die sich eigentlich nichts zu sagen haben und nur zum Zweck des Machterhalts zusammenkleben.
Naja, der Vergleich mit der SED hinkt erheblich. Und das es bei nur zwei Parteien nicht bleiben muss, zeigt sich derzeit in Grossbritannien.
Kungeleien und Flügelkämpfe hat es in den demokratischen Grossparteien in Deutschland (SPD / CDU) immer gegeben. Die SPD hatte Godesberg; die CDU distanzierte sich in den 50er Jahren schon vom Ahlener Programm. Am stärksten waren die Kämpfe (und Verwerfungen) aber in der FDP, die in den 50er Jahren noch stramm rechts auftrat und sich dann langsam zur CDU hin anverwandelte, später dann sozial-liberal wurde (1969 den Koalitionspartner wechselte und mit der SPD koalierte), bevor sie dann 1982 wieder zur CDU ging und sich inzwischen gänzlich als markt- und wirtschaftsliberale Partei profiliert (und als Appendix der CDU/CSU). Das hat sie nicht daran gehindert von allen Parteien am längsten in der Bundesregierung gesessen zu haben.
Es ist problematisch, politische Systeme und Parteien aus Präsidialdemokratien mit denen von parlamentarischen Demokratien zu vergleichen. Frankreich und die USA sind mit Deutschland nicht zu vergleichen; in Frankreich spielen Parteien vergleichsweise kaum eine Rolle, da alles auf eine (bzw. zwei) Personen zugeschnitten ist. Das Problem, warum ein Mehrheitswahlrecht in Deutschland schwierig ist, besteht im Föderalismus, der eine funktionierende zweite Kammer ersetzt.