Den Wandel des Soldatenbildes innerhalb der europäischen Geschichte (inklusive eines bundesrepublikanischen Schwerpunkts) hat Claude Haas in der letzten Ausgabe der Zeit erhellend dargelegt. Und dort wo er geendet hat, gilt es weiter zu gehen. Man muss seine Betrachtung, die etwas abrupt schließt, und wesentliche Fragen aufwirft, fortspinnen, und erweitern, generalisieren: Wie ist das soldatische „Handwerk“, dieser Beruf in Zeiten eines weitgehend geeinten Europa, jenseits eindeutiger Bedrohungs- und Konfliktszenarien, zu beurteilen? Wollen wir es beurteilen? Wir, d.h. die Politik muss es, sollte es. Die Frage warum man am Hindukusch steht, benötigt eine klare Antwort. Man ist sie den Hinterbliebenen schuldig, und dem Bürger.
Kriege führen, für den Frieden (Popper). Gehen wir davon aus, dass es gerechte Kriege gibt, lassen wir Verteidigungsszenarien und die Abwehr von Aggression außen vor, und ebenso Kriege als bloße Fortführung, als Mittel der Politik, der Macht. Welche Aufgaben haben Soldaten dann zu erledigen, welche gerechten Kriege auszufechten, wenn wir davon ausgehen, dass sie dafür in ihrer Heimat nicht benötigt werden? Bürgerkriege, Separationsbewegungen, terroristische Vereinigungen, Völkermord, Grenzkonflikte und vieles mehr erfordern Einspruch und Hilfe derer, die helfen und einsprechen können: Wer zusieht und nicht hilft, trägt Mitschuld oder zumindest Verantwortung.
Und damit sind wir bei der alles entscheidenden Frage: Wie sehr hängt das demokratische Selbstverständnis Europas (des Westens) von seinen Soldaten ab, wie weit benötigt Europa bzw. der Westen Soldaten für seine zivilisatorische Erzählung? Und falls ja: Ist er im Rahmen demokratisch-westlicher Erzählungen besonders? Hat seine Rolle als Held ausgedient, oder muss man sie ehrlicherweise wieder reaktivieren?
Beginnt man die Dinge dergestalt zu betrachten, erhält man den Eindruck, dass der Soldat jemand ist, den man zwar braucht, aber gerne schnell wieder vergisst, und um den man am besten wenig Aufhebens macht, weil man nicht recht weiß wie man mit ihm (und den Toten) umgehen soll.
Wir besitzen Konzepte, Ideen, von denen wir denken, dass sie auch für andere nützlich sein können, etwa zur Friedens- und Wohlstandsförderung die wir »exportieren« (verbreiten), und an die wir selbst glauben, auch aus eigener Erfahrung. Dafür benötigen wir Soldaten, damit sie Hilfe leisten, bzw. Hilfeleistung erst ermöglichen, und diese Hilfe steht unter dem Einfluss eben jener zivilisatorischer Ideen.
Wir benötigen Soldaten also für die sogenannten gerechten Kriege, für Stabilisierung, Hilfe, Unterstützung und auch Verteidigung. Und sie tun dann nichts anderes, als einen zivilisatorischen „Glauben“ – natürlich einen argumentierten, einen fundierten -, aber trotzdem einen Glauben, Vertrauen, eine Hoffnung, zu verbreiten. Letztlich spinnt der Soldat in seinem Wirken, ob im Kongo oder in Afghanistan, die westlich-demokratische Erzählung fort, ja er verteidigt sie sogar.
Der Soldat tritt mit seinem Leben für das Fundament unseres Gemeinwesens im Sinne seiner Hoffnungen und Erwartungen ein. Demokratie ist ein Versprechen wider Gewalt und Willkür, für Stabilität, Frieden und Wohlstand. Selbstverständlich leben wir nicht im Paradies, aber bei all ihren Schwächen, kennen wir doch keine bessere Staatsform. Steht der Soldat nicht für unser aller Glauben, unser Versprechen und unseren Altruismus? Konkretisiert und reproduziert er unsere Erfahrung nicht dadurch, dass er sein Leben in die Waagschale wirft? Gewiss: Er tut das nicht alleine, nicht ohne Entwicklungs- und administrative Hilfe, aber in wie vielen Krisenregionen wäre sie ohne militärische Unterstützung und Sicherung möglich? Sollte das alleine nicht zu einer Neubewertung, jenseits von Nichtbeachtung und Heldentum führen?
Die deutschen Soldaten sind für Deutschland gefallen (wenn man dieses Wort gebrauchen möchte), aber eben nicht ausschließlich – genauso für Ideen europäischer, westlicher, menschlicher Natur. Sie kämpfen nicht gegen den Feind, zumindest nicht ausschließlich, und ihr Auftrag ist immer auch der eines Helfenden und eines Schiedsrichters.
Das anzuerkennen und sich dessen bewusst zu sein, und zu werden, wäre eine Möglichkeit politischen Handelns, ohne auf das eine oder andere Extrem zu verfallen, vielleicht ein neuer Weg, oder zumindest der Anstoß einen solchen zu finden. Wie Anerkennung und Bewusstsein aussehen werden, lässt sich vorher nicht bestimmen, und wer wollte das auch? Aber es wird sich zeigen, sofern man will, und dazu bereit ist.
Soldat und Mensch
Das Soldatentum in Deutschland war aus sehr guten Gründen nach 1945 gründlich diskreditiert. Nicht unbedingt in der breiten Bevölkerung (das kam erst später – durchaus und im Rahmen der 68er auch bei den Kreisen, die ansonsten mit 68ern nicht viel anfangen konnten), aber in der politischen Klasse. Das ist sehr deutlich an der Diskussion um die deutsche Wiederbewaffnung Mitte der 50er Jahre zu sehen, an der die SPD fast zerbrochen wäre, letztlich jedoch diesen Schritt mit umgesetzt hat. Dabei war die »Armee«, die Deutschland sich zulegen durfte und sollte durchaus im Rahmen der damaligen Besatzungsstrukturen eingebettet und sollte höchstens langfristig in eine Art transatlantische Armee eingebunden sein. Selbst als ich bei der Bundeswehr »diente« (Anfang der 80er Jahre), galt die Bundeswehr allgemein als »Kanonenfutter«, was nicht zuletzt mit dem nuklearen Bedrohungspotential begründet wurde. Damals galt es als schick, den Wehrdienst zu verweigern; der »Zivi« hatte in der Bevölkerung eine höhere moralische Autorität als der Wehrdienstleistende; ausgenommen von denjenigen, die in den 20er und 30er Jahren geboren wurden. Hier gab es die meiste Anerkennung, derer man sich manchmal durchaus schämte.
Die Bundeswehr versuchte das soldatische Prinzip des Befehls und Gehorsams einerseits mit dem des sogenannten demokratischen Bürgers andererseits in Einklang zu bringen. Dies begann schon damit, dass es theoretisch die Möglichkeit gab, den (Zwangs-)Wehrdienst mit der Waffe zu verweigern, wenn es fundamentale (und nachprüfbare!) Gewissenskonflikte gab. Die Bedingungen für diese Verweigerung wurden sukzessive liberalisiert; heute ist dies fast mit der obligatorischen Postkarte möglich.
Für die Verbliebenen galt das Wort vom »Staatsbürger in Uniform« als Devise. Die Praxis sah – naturgemäss – leicht anders aus. Befehle konnten und können nicht verweigert, befragt oder gar diskutiert werden (es gab/gibt sehr eng definierte Ausnahmen, beispielsweise wenn der Befehl fundamentalen Rechtsprinzipien widerspricht – so etwas schien damals jedoch schwer vorstellbar). Wenn ein Vorgesetzter in einer Übung befahl durch den Schlamm zu robben, obwohl zwei Meter weiter die Erde trocken ist, musste man das erst einmal machen. Die Möglichkeit der Beschwerde gab es allerdings – die Konsequenzen vermag sich jeder vorzustellen. Dennoch habe ich aus persönlicher Anschauung niemals Drangsalierungen beobachtet, die die Würde des einzelnen Soldaten tangierten. Der Hauptfeldwebel »meiner Kompanie« hatte dennoch auf den Personalakten immer einen großen Vermerk, ob es sich bei dem jeweiligen Soldaten um einen versuchten Verweigerer handelte. Wenn es dann einen außergewöhnlichen Dienst gab (z. B. am Wochenende war ein Wachsoldat ausgefallen), wurde aus diesem »Reservoir« der Ersatzmann »gezogen«. Na ja.
Den Wehrdienst als »Friedensdienst« zu bezeichnen – auf diese Idee wäre von den Wehrpflichtigen damals kaum jemand gekommen. Es galt es fast unvermeidliches Übel und wurde ohne Verve durchgeführt, »abgerissen« sozusagen. Interessant dabei: Auch in der Mitte der 70er Jahre aufkommenden Friedensbewegung wurde seltsamerweise immer eine Trennung zwischen »Soldat« und »Mensch« praktiziert. Ich weiss nicht, ob dies in anderen Ländern auch so war/ist oder ob es sich um ein spezifisch deutsches Phänomen handelt: Der Soldat galt – im schlimmsten Fall – als »arme Sau«, der einem repressiven Apparat folgt, obwohl er vielleicht selbst anderer Meinung ist (bzw. vorher einer Gehirnwäsche unterzogen wurde). Diese Konstruktion der Trennung zwischen Funktion und Mensch sorgte dafür, dass die Bundeswehr in der Bundesrepublik seltsam unwidersprochen blieb (die radikalpazifistischen Elemente bei den Grünen waren früh auf dem Rückzug). Gleichzeitig verschaffte die Aufspaltung Mensch versus Soldat die Möglichkeit, den Menschen im Soldaten noch als Ansprechpartner zu erhalten. Also durchaus ein dialogisches System. Und indirekt entsprach dies dem »Staatsbürger in Uniform« und damit der gültigen politischen Diktion. Der »böse Soldat« konnte in seiner Freizeit der »gute Mensch« bleiben. Das ging solange gut, solange die Bundeswehr ausschließlich im eigenen Saft schmorte und selbst als interventionalistische Armee bspw. bei Blauhelm-Einsätzen nicht infrage kam. Da war es dann ganz hilfreich, sich auf die Geschichte zurückziehen zu können.
Diesen rein defensiven Auftrag gab man nach dem Ende des bipolaren Konfliktes und der Souveränität der Bundesrepublik in den 90er Jahren (noch unter Kohl) auf. Begründet wurde dies mit den Erwartungen der Verbündeten. Kohl als geschichtsbewusster Kanzler tat sich ziemlich schwer, ausgerechnet in Ex-Jugoslawien mit der Bundeswehr als friedensstabilisierende Einheit mitzuwirken. Eine wirkliche Wahl dürfte er nicht gehabt haben. Die Einsätze wurden demzufolge als Friedenseinsätze halb verklärt, halb bemäntelt. Deutschland war im Grunde – ein sehr positiver Aspekt – nicht mehr militarisiert. Das zeigte sich 1991, als die USA Kuwait von der irakischen Besatzung befreiten (und das oligarchische System wiederherstellten; weitgehend vergessen übrigens die historische Einmaligkeit, dass Bush senior dies völkerrechtlich einwandfrei einfädelte) und 1998/99. Ausgerechnet unter Rot-Grün wurde der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen. Auch hier wurden moralische Gründe genannt, die bis zu Fälschungen der Faktenlage einhergingen. Die Bundesrepublik beteiligte sich an einem zumal noch völkerrechtswidrigen Kriegseinsatz unter dem Mäntelchen der Humanität.
Dass dabei die Grünen eine zentrale Rolle spielten, mag nur anfangs überraschen. Missionarischer Paternalismus ist ein Urelement der Grünen. Noch vor Jahresfrist stimmten in Umfragen die Mehrheit der Grünen-Wähler für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Selbst unter den CDU/CSU-Anhängern gab es nicht eine solch große Mehrheit. Bushs Demokratisierungsmission und der Interventionalismus großer Teile der Grünen sind Verwandte im Geiste. Darüber täuscht auch nicht der Irakkrieg. Der Maßstab ist Jugoslawien und Afghanistan.
Die Intervention in Afghanistan hatte zwei Gründe: Zum einen sollten die Trainingsmöglichkeiten, die die Taliban-Regierung potentiellen Terroristen bot, beseitigt werden. Zum anderen sollte die Taliban-Regierung selber beseitigt werden. Es gab also sowohl sicherheitspolitische als auch machtpolitische Gründe. Louise Richardson meint, dass man aus sicherheitspolitischen Gründen nicht in Afghanistan hätte einmarschieren müssen. Gezielte militärische Schläge gegen Terrorcamps oder ähnliches hätten es auch getan. Das ist m. E. richtig, wenn es auch streng völkerrechtlich sehr schwierig gewesen wäre, dies zu rechtfertigen. Die Taliban-Regierung hätte man mit Geheimdienstmethoden natürlich auch beseitigen können, aber ob dies dauerhaft erfolgreich gewesen wäre, bleibt offen. So entschloss man sich zur Intervention. Deutschland (Schröder als Kanzler) konnte und wollte sich einer Teilnahme nicht entziehen. Um nicht eingestehen zu müssen, dass man sich innerhalb eines aggressiven militärischen Aktes befand, wurde der Einsatz der deutschen Soldaten (wie schon in Jugoslawien) als Friedensmaßnahme verklärt. Die Soldaten sollten beim Brunnen- oder Schulbau helfen, bzw., so der medial-naiv vermittelte Blick »robust« bewachen.
Stillschweigend war man davon ausgegangen, dass die Afghanen (die es als homogene und vor allem als dezentrale Entität so gar nicht gibt) dies auch wollen. Man machte den Fehler fast aller Revolutionäre, dass man die gemeinsame Gegnerschaft (die Taliban Regierung war in breiten Kreisen der Bevölkerung aufgrund ihrer steinzeitlichen Ansichten nicht beliebt) mit einer gemeinsamen Zukunft verwechselte. Man hatte die Bevölkerung gegen die Taliban auf ihre Seite – aber welche Form das neue Gesellschaftmodell haben sollte war nicht ausgemacht. Hier wurden die Fehler begangen, die sich heute bitter rächen. Der Soldat wurde in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt durch die Medien als bewaffneter Aufbauhelfer verkitscht. (Der langjährige ZDF-Auslandskorrespondent Ulrich Tilgner hatte seine Mitarbeit beim ZDF aufgegeben, weil er kritische Berichte, die nicht in diesen Rahmen passten, nicht senden durfte.) Um dies moralisch zu untermauern wurde das Wort von der Freiheit, die man am Hindukusch verteidige, geschwungen. Dies stimmte nur, wenn man die westliche Brille aufsetzte. Es war (und ist) ein imperialer Blick.
Der deutsche, amerikanische, britische, norwegische, kanadische Soldat: Er verteidigt in Afghanistan nicht unsere Werte. Er stülpt sie diesen Leuten über. Eine wirkliche Wahl haben sie nicht. Proforma gibt es zwar Wahlen, aber auch das entspricht nicht unbedingt den sozialen und politisch gewachsenen Strukturen. Statt diese in langfristigen Prozessen mit einzubinden, wurde unser Demokratie- und Menschenrechtsverständnis, welches sich über mehr als 300 Jahre sukzessive entwickelt hat in einem Crashkurs übertragen. Ich glaube, dass der Bevölkerung dort die westlichen Helfer und Soldaten wie Außerirdische vorgekommen sein müssen (bzw. noch vorkommen), die zwar alle nur ihr Bestes wollen, aber dies in eindeutig hierarchischer Manier oktroyieren.
Ein Werteuniversalismus kann – wenn es ihn überhaupt gibt – nicht von oben verordnet und schon gar nicht mit Waffengewalt umgesetzt werden. Die Soldaten, die dort Dienst tun, werden von politisch zu kurz denkenden Entscheidungsträgern verheizt. Auch die Missionare, die im 16. Jahrhundert ihr Werk begangen, glaubten, das Beste für die »Wilden« zu tun. (Übrigens durchaus mit Erfolg: Südamerika ist perfekt christianisiert.)
Viele Anti-Interventionalisten begründen ihre Meinung nun mit den steigenden Opferzahlen. Nichts ist absurder. Auch sie mißbrauchen die Soldaten für ihre Meinung. Es gab und gibt durchaus sinnvolle Auslandseinsätze. Sie müssen jedoch mit den entsprechenden lokalen Eliten des Landes koordiniert sein. Ansonsten bricht das Land bzw. der erreichte Status nach dem Abzug wieder zusammen.
Es gehört zu den Risiken des Soldaten, beim Einsatz ums Leben zu kommen. Man sollte dies pragmatisch sehen und nicht in scheinheiliger Trauerrhetorik verfallen, die dann daraufhin einen sofortigen Abzug fordert. Wäre der Einsatz der Soldaten in Afghanistan geboten, käme es nicht auf die Anzahl der getöteten Soldaten an. Wäre es danach gegangen, wären die US-Truppen niemals an D‑Day in der Normandie gelandet und die Rote Armee hätte sich der Wehrmacht ergeben müssen.
Die Diskussion um den Afghanistan-Einsatz ist nie geführt worden. Die Lage nach dem 11. September 2001 wurde ausgenutzt; die deutsche Regierung nahm schon deshalb daran teil, um sich vom durchaus zu erwartenden Einsatz im Irak absentieren zu können.
Ein Soldatentum, welches den Helden braucht, ist m. E. nicht mehr wünschenswert. Die Soldaten sind auch nicht »gefallen«, sie sind »getötet« worden (hier zeigt der ZEIT-Artikel Interessantes auf). Denkfabriken innerhalb der EU legen nahe, wozu Soldaten in der nächsten Zukunft »gebraucht« werden. Sie sollen u. a. dazu dienen, unsere Rohstoffversorgung zu sichern, wenn dies notwenig ist. Diese Diskussion werden – leider – gar nicht geführt: Der Soldat von morgen – ist er der Menschenrechtskrieger des westlichen Wertesystems oder einfach nur Söldner des kapitalistisch-freiheitlichen Lebensstils?
Eigentlich hatte ich gehofft, dass es dann doch ein paar mehr Meinungen zu diesem Beitrag gibt, aber es wohl deutlich, dass diese Plattform hier ziemlich tot ist.
»Noch vor Jahresfrist stimmten in Umfragen die Mehrheit der Grünen-Wähler für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Selbst unter den CDU/CSU-Anhängern gab es nicht eine solch große Mehrheit.«
Das ist (für mich) schwer zu glauben. Eine Fußnote und ein »Beweis« wäre vielleicht hilfreich (?)
Danke.
Das steht hier und ist vom September 2009 (die zeitliche Einordnung ist also etwas grob).
Es ist nur auf den ersten Blick schwer zu verstehen. In Wirklichkeit sind die Grünen immer schon stark paternalistisch gewesen.
Danke.
In letzter Zeit war in der Presse immer (?) die Rede davon, dass 70 bis 80% der Deutschen GEGEN den Afghanistan-Einsatz deutscher Soldaten sind; auch ich kenne niemanden, der für diesen Unsinn ist. Seltsam, diese Zahlen in der »tagesschau«.
Dass »Die Grünen« sich stark gewandelt haben, ist leider traurig und wahr. Ist’s das Alter? Auch ich werd ja nicht jünger und inzwischen les ich tatsächlich auch mal die FAZ, was in meinen jüngeren Jahre unmöglich war, denn es war ja »reaktionäres Gesülze!« Aber einem Krieg zustimmen? das werd’ ich in diesem Leben (hoffentlich) nicht mehr.
Naturgemäss ändern sich Zahlen der Zustimmung / Ablehnung immer aufgrund spezifischer Ereignisse. Der Link zeigt, dass im September 2009, nach dem Kundus-Bombardement die Zustimmung noch bei 57% war und dabei überproportional viel Zustimmung bei den Grünen. Das mag sich in den letzten Monaten geändert haben (durch die Erläuterungen der näheren Umstände des Vorfalls und/oder durch die steigende Anzahl toter Soldaten) (im Dezember sieht es tatsächlich mit 69:27 schon anders aus).
Im übrigen glaube ich gar nicht, dass sich die Grünen so stark gewandelt haben – höchstens, was das pazifistische Moment angeht. Im Prinzip hatten sie immer einen stark missionierenden Trieb, der sich durchaus auch am Rande der Arroganz und Intoleranz bewegt(e). So tritt man in Afghanistan für Frauenrechte ein (grundsätzlich natürlich richtig), will dies jedoch vor Ort hierarchisch durchsetzen. In Europa engagieren sie sich beispielsweise gegen die in einigen Ländern forcierten sogenannten Burka-Verbote.
Politik bedeutet übrigens noch lange nicht, dass, wenn 70–80% gegen oder für etwas sind, dies auch entsprechend umgesetzt werden muss. Und das nicht nur aus den oben erwähnten sehr emotional steuerbaren Schwankungen heraus. Aber das ist ein anderes Thema.
Kommentarmangel
Die Wortmenge muss man erstmal verdauen – Ihren zweiten Kommentar darauf habe ich auch noch nicht vollstaendig gelesen, ich bin nur ueber folgende Saetze gestolpert:
Viele Anti-Interventionalisten begründen ihre Meinung nun mit den steigenden Opferzahlen. Nichts ist absurder. Auch sie mißbrauchen die Soldaten für ihre Meinung.
Eine Instrumentalisierung von Menschenleben ist immer verwerflich (der schoene Satz von Kant, dass ein Mensch nur Zweck an sich, nie Mittel zum Zweck sein duerfe?) – Noch verwerflicher wenn dann nur das besorgniserregende Ansteigen einer Zahl als Argument dienen soll, da stimme ich zu.
Allerdings finde ich es problematisch, dass dies wiederum fuer eine Immunisierungsstrategie benutzt werden kann. Diese rhetorische Figur habe ich vor kurzem irgendwo in Reinform gesehen – glaub ich habe es wiedergefunden: Eine Diskussion im Vorfeld gab es nicht (das schreiben Sie ja auch). Nun ist man schon drin und dann: »In Afghanistan muss ein legitimer militärischer Gegner bekämpft, d.h. wo nötig VERNICHTET werden. Wer das, noch dazu ohne jegliche sicherheitspolitische und militärische Kompetenz, als politisch morlalisch verwerlfich einstuft, gefährdet das Leben deutscher Soldaten.« (krachlederte da ein Lt874,
Es gibt natuerlich Faelle, in denen eine militaerische Intervention notwendig ist (ob sie allerdings in genau diesen Faellen stattfindet? s. Voelkermord in Ruanda?) – Die militaerische Verteidigung oder gar der Export irgendwelcher abstrakter Ordnungen oder Werte, mit diesem Gedanken habe ich noch so meine Probleme,.. werde spaeter mal in den Zeit-Artikel schauen..
Immunisierungsstrategie
Ich bin auch gegen Immuniserungen und wollte dieser auch nicht das Wort reden. Ich habe Respekt vor Leuten, die diesen Einsatz abgelehnt haben und immer noch ablehnen – sie haben nachvollziehbare Gründe. Aber ich wehre mich gegen die unterschwellige Strömung: ‘jetzt haben wir schon wieder vier Tote und müssen da sofort raus.’ Das findet man übrigens sowohl in vielen Blogs als auch bei der SPD und Teilen der Grünen, die plötzlich nichts mehr davon wissen wollen, nach dem Motto: Wir konnten doch nicht wissen, dass die anderen dort zurückschießen.
Die Kriegs- und Vernichtungsrhetorik ist eine militärische; man sollte sie zum Maßstab machen. Sie taucht m. E. immer dann auf, wenn man praktisch schon verloren hat. Sie ist Produkt einer (rhetorischen) Hilflosigkeit. Als Soldat dort würde ich mir viel mehr Sorgen aufgrund dieser Äusserungen machen als aufgrund der Abzugsforderungen. Das Prinzip ist altbekannt: Wer den Einsatz befragt wird als Dolchstoßer gegen die Soldaten rubriziert. In Wahrheit gefährden diejenigen das Leben der Soldaten, die sie schlecht ausgerüstet in ein Krisengebiet schicken und ihnen vormachen, sie seien willkommen und würden nur ein bißchen beim Brunnenbauen helfen.
Der Konflikt in Afghanistan ist nicht gewinnbar, zumal wenn, wie es den Anschein hat, die dortige Bevölkerung nicht mit ins Boot geholt wird sondern zwischen die Fronten gerät. Das erinnert ja teilweise durchaus an den Dreißigjährigen Krieg als die jeweils marodierenden Söldnertruppen durch die Städte zogen und die zivile Bevölkerung drangsalierten.
Interessant ist auch, dass in dem Fall, als eine Intervention wirklich notwendig gewesen wäre – Sie sprechen Ruanda an – nichts geschah. Die Welt war damals anscheinend mit Jugoslawien ausgelastet...
@Gregor
Schöner, langer Kommentar. Zunächst gilt es auseinander zuhalten, ob man universalistische Werte (oder vielleicht etwas abgeschwächt: seine, für gut befundenen, Ideen und Konzepte) anderen nahe legt (überstülpt, vermittelt), oder das für gut und richtig hält. Ich halte dass durchaus für problematisch, stelle aber weitgehend fest, dass man (»der Westen«) das tut – etwa die Organisation der UN, das Verständnis von Staatlichkeit insgesamt, Verbreitung von Demokratie, Entwicklungshilfe, Stabilisierungseinsätze, ... All spricht ganz eindeutig eine westliche Sprache. Dieser »Export« findet also statt, ich denke das ist ein »Faktum«, und damit sollte es auch Ausgangspunkt einer Beurteilung sein.
Wie das von statten geht, und ob das überhaupt wünschenswert ist, steht zwar nicht auf einem anderen Blatt, aber unter dem Schatten, dass es geschieht. Das Problem des Soldaten ist nun, dass er immer Befehlsausführender ist, was ihn zwar nicht generell von Fehlverhalten freispricht, aber man kann ihm eine generell falsche Strategie schwer zur Last legen, das entzieht sich seiner Verantwortung.
Für eine generelle Beurteilung muss man, denke ich, seinen (des Soldaten) allgemeinen Handlungsrahmen (»Auftrag«) heranziehen (dazu gehören die angesprochenen »Werte«), und die jeweiligen Spezifika (wie sehen die konkreten Details aus).
Du zeigst in Deinem Kommentar, dass eine allgemeine Beurteilung schwierig ist, dass die Realität inhomogen ist, dass jeder Konflikt, jeder Einsatz anderes aussieht, und die Entschlüsse und Motivation einzugreifen sich ändern. Vielleicht nehmen wir Afghanistan einmal als Beispiel, oder auch gerne etwas anderes, und versuchen zu erörtern welches Bild des Soldaten, der entsprechende Konflikt vermittelt.
Abschließend noch: Ich glaube, dass sich die Kriegsführung und Rechtfertigung tatsächlich geändert hat, dass es schwieriger (oder moralisch wenig vertretbar) geworden ist bloß Machtinteressen durchzusetzen (was nicht heißen soll, dass es nicht geschieht). In dem Zusammenhang wäre es auch aufschlussreich (aber das habe ich nicht parat), einen Vergleich zwischen dem Eindringen der Sowjetunion und dem Westen zu ziehen.
Morgen dann mehr.
Kurzer Zwischenruf
Naja, die Organisation der UN ist nicht unbedingt mit der Besetzung eines Landes gleichzusetzen. Auch der Begriff unserer Nation macht z. B. vielen afrikanischen Staaten Probleme, weil ihre Grenzen willkürlich gesetzt wurden. Die Verbreitung von Demokratie kann durch politische und/oder Unterstützung stattfinden, ohne dass man dort einmarschieren muss. Die Chinesen machen das derzeit in Afrika vor: Länder, die aufgrund ihrer politischen Regime vom Westen boykottiert werden (bspw. der Sudan) oder denen Auflagen für sogenannte Entwicklungshilfe mitgegeben wird, werden durch sie unterstützt – und zwar auf rein ökonomischer Ebene. Freilich ist die politische Gesinnung immer schon für den Westen wichtig gewesen; man denke an den sogenannten Kalten Krieg.
Natürlich ist der einzelne Soldat machtlos, was seine Vefügung angeht (ich glaube, das gilt für die Wehrpflichtigen in Deutschland nicht ganz – sie können Auslandseinsätze aufgrund der Gefährdung ablehnen). Ein Punkt, der die Amerikaner zum Beispiel nach dem Vietnamkrieg dazu gebracht hat, auf eine Freiwilligenarmee umzustellen.
Bleiben wir bei Afghanistan. Die UdSSR war dort 1979 eingedrungen – ein von ihr unterstütztes Regime schwankte und drohte revolutionär gestürzt zu werden. Das Land war aus geostrategischen Gründen für die sowjetische Führung wichtig. Ähnliche Gründe könnte man auch für 2001 anführen. Verschwörungstheoretiker glauben gar eine Parallele zwischen dem Scheitern der Geheimverhandlungen der USA mit der angeblich gebannten Taliban-Regierung um eine Pipeline als Mitursache ausmachen zu können.
Ich verstehe Deine Intention, hier zunächst nur über das Verhältnis des Soldaten zum »Heimatvolk« reden zu wollen. Aber es geht auch darum, ob der »Heimat«, also uns, bewusst es, worum es geht bzw. ob wir das Risiko für den Export unserer Werte Menschen zu »opfern« eingehen wollen. Dabei geht es auch um die (etwas platte) Diskussion, ob Soldaten nun Mörder genannt werden können und/oder sollen, oder nicht.
Etwas ausführlicher
Soldatsein ist kein (normaler) Beruf (zumindest solange etwas wie eine allgemeine Wehrpflicht besteht, auch wenn man sich ihr entziehen kann, zunächst ist einmal jeder [männliche] Staatsbürger betroffen), weil hier doch offenbar die Pflicht, das Gemeinwesen, und die es begründenden Werte eine wichtige Rolle spielen. Ohne die allgemeine Teilnahme und den Nutzen den jeder aus dem Gemeinwesen zieht, ist der Soldat in seinem modernen Sinn nicht denkbar (wie das in dem Zeitartikel oben auch aufgezeigt wird). Von einem Beruf würde ich dann sprechen, wenn man sich für Bezahlung und ausschließlich freiwillig dafür entscheiden kann. Und man bedenke einmal welches Unbehagen die privaten Söldner (siehe Irak) ausgelöst haben, eben weil sie käuflich sind, und sich »um nichts weiter kümmern« – das wäre dann tatsächlich ein Beruf wie jeder andere. Eine Berufsarmee steht wohl irgendwo dazwischen.
Zum Mörder wird ein Soldat dann, wenn er bewusst Unbewaffnete tötet, mitschuldig wenn er es anordnet, aber selbst nicht ausführt.
Mit Deinen Anmerkungen zu den UN hast Du natürlich recht, ich gebe aber zu bedenken, dass nach bestimmten Werten, Rechten oder Gesetzen, die einmal etabliert wurden, auch gehandelt wird, und das schließt das Militär mit ein (In einen Bürgerkrieg wird man entweder eingreifen, oder zusehen, andere Wahlmöglichkeiten gibt es nicht, wenn die Parteien nicht an den Verhandlungstisch zu bringen sind).
Ich meinte oben nicht so sehr die Verfügbarkeit über den Soldaten, sondern den Einsatz selbst – Welche Strategie wird verfolgt, usw., auf diesen Rahmen hat er kaum Einfluss.
Wenn man einem der letzten Zeit-Dossiers Glauben schenkt, dann haben die zunehmenden Sympathien der Bevölkerung für die Taliban ihre Ursache schlicht darin, dass die Menschen nicht wissen »was Sache ist«, was sie tun dürfen und was nicht (die Taliban waren nicht beliebt, aber das war klar – heute passiert es, dass Menschen ein halbes Jahr ohne im Gefängnis sitzen, nur weil niemand weiß, was mit ihnen geschehen soll), dass der (im Aufbau befindliche) Staat (vielleicht ist es auch der Fehler, ein westliches Gebilde schaffen zu wollen) nicht (ausreichend) funktioniert.
Natürlich gab es ein geostrategisches Interesse, das ist aber nicht schon per se verwerflich, wenn man daran denkt, dass auch Staaten für ihre Sicherheit (und die ihrer Bürger) sorgen dürfen, und daran, dass die Taliban die Ausbildung von Terroristen in Lagern gestatteten (über die Pipeline-Angelegenheit weiß ich zu wenig). Für eine Beurteilung wäre wichtig, was
Wenn man nun ein Verfechter eines Universalismus ist, dann wäre die Beurteilung des Einsatzes und der Soldaten dann positiv, wenn er (und sie) primär diesem Universalismus dienten. Natürlich bleibt die Frage, ob man das will, und ob das gut gehen kann, ob der Universalismus nicht auch blind ist (sein muss). Aber es ist zumindest eine Diskussionsbasis. Und die Frage ist natürlich auch, warum deutsche Soldaten »mitgeschickt wurden«, also warum man sich (politisch) dazu entschlossen hat.
Ich glaube fast, dass der Universalismus nur die Frage ob der »Heimat«, also uns, bewusst [ist], worum es geht zulässt. Es wäre ja kein Export von Werten, sie sind ja allgemein gültig. Und sie selbst schreiben vor wann gehandelt werden soll, bzw. wann es gerechtfertigt (geboten) ist.
Oder man diskutiert jenseits des Universalismus, was wünschenswerter und offener wäre. Und man könnte auch umgekehrt vorgehen, und sich überlegen wofür es gerechtfertigt wäre Menschenleben aufs Spiel zu setzen, ob man – wie Du schreibst – das Risiko eingehen will. Oder man beurteilt immer neu, das erfordert aber viel Standhaftigkeit.
Etwas länger
Die deutsche Bundeswehr kennt ja sehr wohl den Berufsoldaten (mit Pensionsanspruch). Zwischen dem Wehrpflichtigen (der »im Frieden« m. W. nicht zu Auslandseinsätzen gezwungen werden kann) und dem Berufssoldat gibt es noch den Zeitsoldaten, der für eine gewisse Zeit (mindestens zwei Jahre) eine Verpflichtung eingeht. Wenn gewünscht und möglich kann dies mit einer Berufsausbildung einher gehen.
Die Bundeswehr war auch im Kalten Krieg eine nur symbolische Armee. Abgesehen davon, dass sie bei einem nuklearen Konflikt zwischen den Großmächten höchstens Kanonenfutter gewesen wäre, behaupte ich, dass sie für exzessive, bewaffnete Konflikte weder personell noch materiell ausreichend gerüstet war.
Der Einsatz in Afghanistan geschah aus zwei politischen Erwägungen hinaus: (1.) Schröder hatte nach dem 11. September eine »uneingeschränkte Solidarität« mit den USA verkündet. Wenn Bush nun wenige Monate später gegen Afghanistan zog, konnte man sich als inzwischen souveräner Staat nicht mehr mit dem Scheckbuch herauskaufen. Und (2.) war mindestens zu erahnen, dass Bush in den Irak gehen wollte bzw. die Situation dementsprechend eskalieren lassen wollte. Daher nahm man Afghanistan als das »kleinere Übel«.
Da zu erwarten war, dass der Einsatz innerhalb der Bevölkerung und, in Betrachtung der Diskussion um den Einsatz gegen Jugoslawien 1999 auch bei dem grünen Koalitionspartner nicht besonders populär war, mussten Erklärungen und Ziele vorgegeben werden. Sie bestanden im wesentlichen aus drei Zusagen: (1.) Soldaten wurden propagandistisch und medial zu »bewaffneten Entwicklungshelfern« sozusagen umdeklariert. (2.) Man bekam ein Einsatzgebiet, welches sich als relativ »harmlos« zeigte; die Widerstände in Afghanistan lagen weitgehend im Süden, man selber bekam den Norden. Es sollten möglichst wenige Tote geben. (3.) Man werde die Menschenrechte einführen, die Frauen befreien, Mädchen in Schulen bringen, usw.
Strucks Wort, die Freiheit würde auch am Hindukusch verteidigt, störte eigentlich dieses Bild. Sie zeigte nämlich, dass es sehr wohl sicherheitspolitische Interessen gab: Da die Taliban als Ausbilder für zukünftige Terroristen galten, wollte man dies verhindern. Leider hat man dies vermutlich nur verlagert – nach Pakistan.
Der Soldat selber hat wenig bis keine Einflussmöglichkeiten. Ihm bleibt fast nichts anderes übrig, als die Diktion zu übernehmen. Passte doch die Rolle des »Staatsbürgers in Uniform« wunderbar mit der des »robusten« Entwicklungshelfers zusammen. Über die Fehler, die trotz dieser im Grossen und Ganzen ja nicht falschen Vorgehensweise, braucht man nicht mehr zu reden. Sie sind offenbar: Wie fast alle Krieger hatte man vergessen, den Rückzug zu planen. Und man hatte keinen Plan für eine Demokratisierung des Landes bzw. hat die lokalen Eigenheiten weder wahr- noch ernst genommen.
Damit kommen wir zur der Diskussion des Universalismus. Ich glaube, dass es ein Unterschied ist, ob ein Land (proforma) der Menschenrechtscharta der UN zugestimmt hat und wie diese Menschenrechtscharta dann umgesetzt wird. Das ist nicht nur in der Praxis sichtbar – sondern auch in der Theorie. Natürlich hat China das Dokument unterschrieben – aber würde dies eine Intervention des Westens nach China rechtfertigen? Zumal die Menschenrechtserklärungen ja durchaus Spielräume für Interpretationen lassen. Das, was wir hier als »menschenverachtend« empfinden, spielt in anderen Ländern kaum eine Rolle – und umgekehrt. Nicht zuletzt diese Überlegungen hatten ja neokonservative Kreise in den USA dazu veranlasst, eine Art »Menschenrechts-UN« zu gründen, in der nur Länder vereinigt sind, die diese Standards umsetzen. Dumm nur, dass nach diesen Kriterien beispielsweise auch die USA unter Umständen nicht mehr Mitglied hätten werden dürfen (Guantánamo; Todesstrafe).
Natürlich ist der Sicherheitsrat der UN, was die Besetzung angeht, eine fragile Angelegenheit. Und zwar nicht nur, weil dort China, Russland und die USA als ständige Mitglieder Weltpolizei nach Belieben spielen bzw. blockieren können. Auch die nicht-ständigen Mitglieder geben oft genug Anlaß zur Kritik. Es ist ja in der Tat nicht einzusehen, dass Länder wie der Sudan oder Saudi Arabien über Menschenrechtsfragen entscheiden sollen.
Oder ist das abermals nur eine euro-/altanikzentristische Sicht? Die Chinesen fragen bei ihrer Entwicklungshilfe nicht nach den »inneren Angelegenheiten« des Landes, dem sie helfen. Sie schließen harte ökonomische Verträge. Das machen wir, der Westen, übrigens nicht anders: Ansonsten dürften wir beispielsweise keine Produkte aus China importieren.
Mitten in diesem Dschungel steht nun der Soldat in Afghanistan und soll dort etwas aufbauen, wozu Europäer dreihundert Jahre und –zig Kriege benötigten. Ich glaube, dass die Werte, von den Du sprichst und die allgemeine Gültigkeit beanspruchen, nur sehr, sehr grob für alle Kulturen festzuschreiben sind. Sie zeigen sich unter Umständen mit guten Gründen nicht darin, ob es allgemeine, gleiche und geheime Wahlen für ein Staatsorgan gibt, welches hunderte von Kilometern entfernt sitzt. Sie zeigen sich vielleicht auch nicht unbedingt darin, den Leuten vorzuschreiben, was sie anzuziehen haben oder nicht (auch den Frauen). Sie zeigen sich ganz sicher im Respekt vor den gewachsenen Strukturen in den jeweiligen Kulturen. Wieso musste die erste Afghanistan-Konferenz in Bonn stattfinden? Wieso nicht in Kabul oder in Provinzstädten? Warum hat man das Prinzip der Loja Dschirga nicht aufgenommen?
In den 70er Jahren hat die deutsche Bundesregierung das Prinzip »Wandel durch Annäherung« in der Politik mit den osteuropäischen Ländern proklamiert. Dies ist vielfach angegriffen und diffamiert worden. Aber es war immerhin davon geprägt, den anderen zunächst einmal zu respektieren, wenn man auch nicht mit seiner Politik und seinen Werten übereinstimmte. Dieses Prinzip würde uns und vor allem den Soldaten helfen. Die müssen sich nun mehr bzw. fast nur noch um sich selber kümmern und – kämpfen! Die Politik lässt sich mit einem seltsam diffusen Durchhaltewillen alleine. Ich glaube, die deutschen Soldaten in Afghanistan werden auf perfide Weise verheizt. Das lässt sich aber nicht dadurch lösen, dass man populistisch den sofortigen Abzug fordert.
Der Berufssoldat der früheren Tage, damals noch Söldner genannt, wurde entweder an die Front gepeitscht und dort erschossen oder beim ausbüchsen von seinen eigenen Leuten füsiliert. Das waren die Elenden, die keine andere Wahl hatten und versuchten sich auf dem Vulkan zu arrangieren.
Ein kleiner Blick in die USA: In jedem amerikanischen Wahlkampf wird die Geschichte des all american boy erzählt, der die Rechte der Freien wahlweise in Europa, Vietnam oder Korea verteidigt hatte. Die Realität sieht heute natürlich völlig anders aus. In der Armee oder bei Blackwater landen heute Gescheiterte, Kriminelle, Schwarze, die Dummen. Wie im 30-jährigen Krieg, nur das man heute das Mäntelchen der Heuchelei bedienen muss und die Ergebnisse dann bei WikiLeaks betrachten kann.
Und in Deutschland: Der Berufssoldat hat eine schicke Uniform, bedient im Manöver (mittel-)kompliziertes Gerät. Aber sterben tut er von berufswegen nicht. Wofür würde er denn sterben wollen? Waren da nicht die Fragen in der Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer, die bis ins Mark treffen sollten? »Sie gehen mit ihrer Freundin spazieren, als...«. Ja, genau. Der einzige Grund den Krieg und damit den Tod als denkbar anzusehen, wäre die persönliche Betroffenheit.
Wäre das Weltethos im Küng’schen Sinne auch eine persönliche Betroffenheit wert? Die Frage stellt sich gar nicht, weil dazu die Einsätze sicherlich sowohl im Ort als auch im Ziel dieser Intention unterworfen sein müssten. Wollte jemand behaupten, dass dies der Fall ist? Es müssten also in einer transparenten Welt Menschen gefunden werden, die sich die geostrategische Optimierung Deutschlands als Grund ihrer tödlichen Berufswahl denken können. Welch absurde Vorstellung. Sollten wir uns daher an den Gedanken gewöhnen, dass auch die Werber der Bundeswehr in den Spielkonsolenabteilungen der Kaufhäuser Rekruten abgreifen?
@Zivilist
Wenn Sie einen Berufssoldaten mit einem Söldner vergleichen zeigt dies, dass Sie keine Ahnung haben oder keine Ahnung haben wollen. Beiden ist gemeinsam, dass sie Geld für ihre Tätigkeit des Kriegs»handwerks« nehmen. Das ist aber auch schon alles. Ein Berufssoldat modernen Zuschnitts ist an die Entität der Nation gebunden. Die Franzosen haben dieses Problem tatsächlich dahingehend gelöst, dass sie eine Söldnerarmee für die »Dreckarbeit« gründeten, die sich euphemistisch »Fremdenlegion« nennt.
Die Auswüchse in den USA sind ein Grund dafür, dass ich gegen eine reine Berufsarmee bin. Freilich ist das Prinzip der Wehrpflicht zumindest in Deutschland auch längst nur noch Schein geworden. Den Soldaten ihre Taten vorzuwerfen, ist m. E. unsinnig, wenn sie dies im Rahmen von Kriegshandlungen tun. Die Verantwortung tragen – ausser bei Exzessen – zunächst einmal die politischen Führer, die die jeweiligen Kriegseinsätze angeordnet haben. Der Soldat bleibt in der Regel Erfüllungsgehilfe (was ihn freilich nicht von aller Verantwortung entbindet).
Die Einsätze der USA in Korea und Vietnam waren in der jeweiligen Zeit mindestens am Anfang in Übereinstimmung mit der politischen Meinung der Mehrzahl der Bevölkerung. Der Kriegseintritt der USA in den (später sogenannten) Zweiten Weltkrieg war anfangs deutlich unpopulärer. Ich würde heute behaupten, dass die USA und auch die Rote Armee der damaligen UdSSR (aus unterschiedlichen Beweggründen, im Ergebnis jedoch deutlich) in Europa die Freiheit mittels militärischer Gewalt neu begründet hat. Das kann man nicht anzweifeln.
Dass dieser Punkt später überstrapaziert und mißbraucht wurde, ist auch klar.
@Gregor Keuschnig
Ich hatte versucht deutlich zu machen, dass ein Berufssoldatentum nur bei marginaler Todesgefahr haltbar ist, ohne dies mit Gründen zu unterfüttern, die den maximal möglichen Einsatz rechtfertigen. Für die Ehre stirbt heute kaum noch jemand. Man muss also entweder Söldner wie z.B. Blackwater rekrutieren oder die Aufgabe verbrämen. Der größte Teil Ihrer Antwort hat nichts mit meinem Kommentar zu tun und zeigt mangelnde Lesefähigkeit und schlechte Manieren.
@Zivilist
Es kann ja auch sein, dass Sie sich ein wenig umständlich und missverständlich ausgedrückt haben.
ich glaube auch nicht, dass ein »Berufssoldatentum nur bei marginaler Todesgefahr« haltbar ist. Die Gründe, die derer des dem Kriegseinsatz bedarf, werden ja immer gleich mitgeliefert – so falsch sie sich auch herausstellen mögen (im Falle des Zweiten Weltkrieges waren sie m. E. nicht falsch).
Dass jemand für die »Ehre« nicht sterben will, ist eine typisch westliche Projektion, die auch jenseits der politsch-religiösen Fanatisierung durch Selbstmordattentate nicht so ohne weiteres haltbar ist. Botho Strauß schreibt in seinem »Anschwellenden Bocksgesang«:
Wir warnen etwas zu selbstgefällig vor den nationalistischen Strömungen in den osteuropäischen und mittelasiatischen Neu-Staaten. Das jemand in Tadschikistan es als politischen Auftrag begreift, seine Sprache zu erhalten, wie wir unsere Gewässer, das verstehen wir nicht mehr. Das ein Volk sein Sittengesetz gegen andere behaupten will und dafür bereit ist, Blutopfer zu bringen, das verstehen wir nicht mehr und halten es in unserer liberal-libertären Selbstbezogenheit für falsch und verwerflich.
@Gregor Keuschnig
Ich darf auf den Titel des Beitrags verweisen. Dass die Welt in Bergkarabach anders aussieht ist evident. Möchten Sie Soldaten aus dem Kaukasus in Kundus stationieren, um welche Werte zu verteidigen?
@Zivilst
Möchten Sie Soldaten aus dem Kaukasus in Kundus stationieren, um welche Werte zu verteidigen?
Nun, wenn die Werte universell sind, dürfte es hier ja keine Probleme geben. Die UN-Truppen beispielsweise sind ja multinational. Man versucht ja inzwischen durchaus, Truppenkontingenten, die ihren Einsatz in Afrika haben auch mit afrikanischen Soldaten zu besetzen.
Grundsätzlich haben Sie recht, was die Begeisterungsfähigkeit der westlichen Soldaten angeht. Deshalb gibt es im übrigen Propaganda – was man in Deutschland sehr schön 1998/99 anläßlich des Jugoslawienkrieges sehen konnte. In den USA sieht das noch einmal ganz anders aus: Die Bereitschaft zum Helden ist dort meist insbesondere am Anfang eines Krieges ziemlich ausgeprägt.
–
Zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr: Ich war und bin der Angelegenheit stets reserviert gewesen (bin aber gegen einen sofortigen Abzug jetzt). Die Geschichte zeigt, dass Afghanistan keine homogene Einheit ist. Alle Interventionen dort sind früher oder später gescheitert. Der Glaube, die Leute warteten auf eine Befreiung, war naiv. Das mag tatsächlich hinsichtlich des Taliban-Regimes gegolten haben, aber es gab über die Beseitigung des Regimes hinaus keinerlei politische und militärische Perspektive. Man hätte, wenn überhaupt, mit sehr viel mehr Soldaten und Material dort einmarschieren müssen. Man hätte auf die Mentalitäten vor Ort Rücksicht nehmen und einbinden müssen hin zu einer neuen Zivilgesellschaft, die sich mit der Zeit unserem System annähert. Dort sofort Wahlen abzuhalten ist ungefähr so, als wolle ein Freizeitjogger sofort den Mount Everest besteigen. Der Afghanistan-Einsatz ist ein Beispiel dafür, dass rein politische Entscheidungen fatal sind (ein anderes Beispiel ist die Euro-EInführung, die ebenfalls dilettantisch vorgenommen wurde), zumal wenn sie nur aus einer gewissen taktischen Überlegung heraus getroffen werden.
@Gregor Keuschnig
Ihre Beschreibung des Afghanistan-Einsatzes kann ich unterschreiben, blickt aber aus strategischer Sicht, die häufig nicht einer gewissen Zynik entbehrt, auf die Gemengelage. Die Wirklichkeit sieht anders aus, da dort die Dynamik des Augenblicks entscheidet. Wieviele unsinnige Kriege sind begonnen worden, weil Entscheidungen nicht strategisch begründet, sondern wie Dominosteine gefallen sind.
Von der anderen Seite muss die Wahrscheinlichkeit des Todes für einen Berufssoldaten die ausschlaggebende Größe sein. Wie sollte man jemanden bezahlen, dessen Überlebenswahrscheinlichkeit bei 99% liegt? Man vergleiche den irrsinnigen Aufwand, der häufig getrieben wird, um geringeres Risiko abzuwenden. In Friedenszeiten war die Bundeswehr mit Recht nur eine Folkloretruppe und wurde entsprechend alimentiert.
P.S.:
Für die Fiji-Inseln z.B. waren die Blauhelmsoldaten lange Zeit Haupteinnahmequelle des Staates. Das würde ich Söldner unter UNO-Fahne nennen, auch wenn der Dienstheer eine Nation, na gut ein Natiönchen, war.
@Zivilist
Die Zynik entsteht ja erst durch die Entscheidung, sich in diesem Teil der Welt zu »engagieren« (falls es überhaupt zynisch ist und nicht einfach nur realistisch).
Die USA standen im Herbst 2001 vor der Entscheidung entweder mit gezielten Luftschlägen (die dann meist doch nicht so gezieht sind) Trainingscamps und/oder Regioerungseinrichtungen der Taliban zu bombardieren oder einzumarschieren. Bush entschied schied für letzteres, weil man dabei unter anderem auch die Medien besser kontrollieren kann (man erinnere sich an die Luftschläge von Clinton u. a. im Sudan, als dort angeblich eine pharmazeutische Fabrik bombardiert wurde und Clinton nebst Armee wie Deppen dastanden).
Das Berufssoldatentum wie ich es in der deutschen Bundeswehr (als Wehrpflichtiger!) gesehen habe (gelegentlich privater Kontakt mit Offizieren beim Kaffeetrinken), war sehr bequem. Jeder Feuerwehrmann hatte ein höheres Risiko bei einem beruflichen Einsatz zu verunfallen als ein Soldat. Unter anderem liegt hierin auch der eher negative Ruf des Soldatentums in Deutschland. Es ist eine Mischung aus diesem ekelhaften Heroismus der Kaiser- und Nazi-Zeit und dem Faulenzer-Etikett der Nachkriegsära.
Mit der Souveränität der Bundesrepublik änderte sich das. Bzw.: Man glaubte, dass es sich zu ändern hatte. Schröder strebte ja durchaus außenpolitische Macht an (ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat). Das war nicht ohne entsprechendes Engagement zu haben. Als gänzlich »Ungedienter« hatte er allerdings keine Erfahrungen (außer die, dass sein Vater »im Feld blieb«). Eine zusätzliche Degradierung und Zumutung der Truppe bestand in der Nominierung eines Herrn Scharping als Verteidigungsminister. Das hat nicht wesentlich zur Verbesserung des Bildes des Soldaten in der Öffentlichkeit beigetragen (außer Mitleid zu erregen ob eines solchen Dienstherren).
Aktuell stellt sich m. E. die Frage nach der Bezahlbarkeit des Berufssoldaten im Verhältnis zu seinem Todesrisiko für die deutsche Armee nicht. Der Tod während eines Einsatzes ist nach wie vor relativ unwahrscheinlich. Zumal die Soldaten um die Risiken wissen. Nimmt man dies als Maßstab, ist die Bezahlung vermutlich adäquat. In den USA mag dies anders aussehen, da hier Rekrutierungen aus sozial unteren Schichten dominieren.
@Gregor
Ich meinte dass die Wehrpflicht, d.h. im Dienste eines Staates oder eines Gemeinwesens zu stehen (und das gilt auch für den Berufssoldaten), eine Loyalität (die sich letztlich auf bestimmte Werte oder Prinzipien gründet) impliziert, die ein Söldner nicht kennt, er dient demjenigen, der den höchsten Verdienst bietet (das gilt zunächst auch unabhängig davon ob man zu Auslandseinsätzen gezwungen werden kann oder nicht). Das unterscheidet ihn (den Soldaten) auch vom Feuerwehr und Rettung, näher steht ihm die Polizei.
Die Frage ist was hinter Schröders Solidaritätserklärung stand – kam sie nur auf Grund politischen Drucks zustande (konnte er nicht mehr aus), oder spielte da nicht doch auch eine Art »Verwandtschaft«, eben auf Grund gemeinsamer Werte und Vorstellungen eine Rolle?
Mit vorgegeben meinst Du, dass die Ziele und Erklärungen vorgeschoben waren, also ausschließlich der allgemeinen Meinung geschuldet?
Man kann eigentlich sagen, dass in Afghanistan und im Irak (im Nachhinein besehen) sehr ähnliche Fehler gemacht wurden, nur dass man sie im Irak schneller in den Griff bekommen hat.
Menschenrechtsverletzungen ziehen zunächst einmal politischen Druck nach sich, außer bei wirtschaftlichen und anderen Abhängigkeiten (wie im Falle Chinas) verdruckst bzw. hinter vorgehaltener Hand. Ein militärisches Eingreifen wird (grob betrachtet) dann in Erwägung zu ziehen sein, wenn die vorhandenen staatlichen Strukturen, ethnische Säuberungen, Völkermorde, Bürgerkriege etc. nicht einzudämmen vermögen oder diese decken. Über ein paar Folterungen wird man meist hinwegsehen (auch wenn das natürlich inkonsequent ist), oder eben auf politisch-diplomatischer Ebene agieren.
Bezüglich der Loja Dschirga wird man wohl Unwissenheit oder Arroganz annehmen können. Ich halte generell viel davon Widersprüche zunächst einmal bestehen zu lassen. Was aber tut man wenn sie unerträglich, als nicht mehr duldbar erscheinen? Du hast im Prinzip völlig recht, es ist aber immer, ja, eine Frage von Toleranz. Wie lange verhandelt man mit jemandem, der hinterrücks weiter mordet? Oder Terroristen ausbildet? Wie lange ist es legitim das Leid anderer in Kauf zu nehmen? Wenn es nur um Strukturen geht, kann man sich Zeit lassen, aber sobald Menschenleben betroffen sind?
@Metepsilonema
Die ganze Diskussion um/mit dem Begriff des Söldners ist höchstens dahingehend interessant, weil die USA im Irak probeweise mit privaten Firmen agieren, die die »Drecksarbeit« bzw. Überwachungen vornehmen, um Soldaten für andere Aufgaben zur Verfügung zu halten. Auch das sind streng genommen keine Söldner, es sei denn, sie wären mindestens theoretisch auch für die »andere Seite« zu »buchen«. Dieses Vorgehen ist übrigens sehr gefährlich, weil tatsächlich private Firmen höher bezahlt werden müssen als die »normalen« Soldaten – aber das wäre ein anderes Thema.
Schröders Solidaritätserklärung entstand unter dem EIndruck der Anschläge des 11. September; ich glaube, sie fiel am nächsten Tag. Damals war die Stimmung entsprechend emotional aufgeladen. Dass Bush diesen Scheck irgendwann einlösen wird, war klar. Allgemein war der Tenor, dass er ja noch relativ lange gewartet habe, als er dann am 7. Oktober seine Operation startete.
Die Teilnahme der Bundeswehr musste der deutschen Öffentlichkeit entsprechend »verkauft« werden. Daher wurde der Soldat nicht als Kämpfer vorgestellt (das wäre unpopulär gewesen; speziell auch nach dem Jugoslawien-Krieg), sondern als robuster Helfer, der die Menschenrechte durchsetzt und all dies in einem »harmlosen« Gebiet. Aus der Geschichte lernen wollte man nicht; vermutlich, weil man es nicht konnte. Ich glaube, dass Schröder diesem Einsatz zustimmte, um evtl. andere Einsätze, die noch drohten (u. a. Irak, aber auch andere Szenarien wurden durchgespielt), abwenden zu können. (Abgesehen von Ex-Jugoslawien ging man 1999 schon mal probehalber in Osttimor – übrigens auch mit mäßigem Erfolg, was aber nicht an den Soldaten, sondern am politischen Dillantismus lag.)
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Werte und Prinzipien: Ich will nicht zu weit ausholen und auch nicht zu persönlich werden. Ich bin damals bewusst zur Bundeswehr gegangen, wenn auch sehr ungern. Man hatte ja so einiges gehört. Ich konnte mir einen Zivildienst bspw. an alten Menschen für mich überhaupt nicht vorstellen. Und ich konnte mir mindestens theoretisch vorstellen, die Grundwerte dieses Landes bei einem Angriff (wie auch immer) zu verteidigen. Es war mir mindestens theoretisch möglich (wobei ich mir diesen Verteidigungsfall nicht vorstellen konnte). Ich wäre aber niemals – wenn es das damals gegeben hätte – in einen Auslandseinsatz gegangen, weil die Notwendigkeit für mich nicht bestanden hätte. Dort werden keine Werte verteidigt. Die Bundeswehr definierte sich damals als Verteidigungsarmee. Durch die Einbettung in NATO-Aktionen hat man diesen Status spätestens 1999 aufgegeben und nur verbrämt. Diese Diskussion wurde zu wenig geführt. Die Soldaten als Personen wurden alleinen gelassen damit.
Zu Kriterien für »EInmischungen« in fremde Staaten siehe meinen Kommentar weiter unten an »Zivilist«.
@Gregor
Wäre man damals anders vorgegangen (das »verkaufen«), hätte man sich heute wohl einige Diskussionen erspart, von den Soldaten einmal ganz abgesehen. Aber um eine Diskussion herum gekommen wäre man nicht.
Polittaktisch ist Schröders Vorgehen durchaus verständlich, auch wenn es grundfalsch war, weil man sämtliche Auseinandersetzung auf einen späteren Zeitpunkt verlegt hat. Andererseits: Der deutsche Einsatz verlief dann doch in einem anderen Rahmen (Stichwort »robust«), als etwa der der US-amerikanischen, aber vielleicht auch aus einer Art Selbstbetrug heraus.
Haben nicht auch noch (was ich mir vorstellen könnte) historische Gründe (drittes Reich) eine Rolle gespielt? Dass man vielleicht eine Rolle nicht einnehmen wollte/konnte, obwohl es angebracht gewesen wäre, oder sich damit »schwer tat« (obwohl, wie du ja schon gesagt hast der Status der Verteidigungsarmee bereits aufgegeben wurde)?
Werte zu verteidigen klingt in diesem Kontext (wie soll ich sagen), unangebracht, ja euphemistisch, aber ganz falsch ist es dann auch wieder nicht, denn wenn Soldaten in einem anderen Land gegen Terroristen vorgehen, dann doch weil man/sie ihr Heimatland schützen bzw. verteidigen wollen, auch wenn das nun offensiv von statten geht (die Alternative wäre ja auf Anschläge zu »warten«, was riskant ist).
PS: Ich kann, von morgen an, die nächsten paar Tage nicht antworten, d.h. aber nicht, dass mein Interesse abgeflaut wäre.
@Metepsilonema
Natürlich ist die ganze Konstruktion dieses Einsatzes ein Rekurs auf die historische Vergangenheit Deutschlands (die bei den Verbündeteen in dieser Konnotation verblüffend wenig Verständnis findet). Ein bloß aggressiv-militärischer, geopolitischer Militärakt gegen welches Regime auch immer wäre in der Öffentlichkeit nicht durchzusetzen gewesen.
Die Alternative wäre nicht nur das Abwarten gewesen. Sie bestand beispielsweise in geheimdienstlich-militärischen Aktionen, die potentielle Trainingscamps mit Luftschlägen zerstört hätte. Man hat das nicht gemacht, weil die Erfahrungen der USA mit solchen Operationen eher schlecht waren. Oft hatte man falsche Ziele bombardiert. Oder nur Attrappen. »Nebenbei« kreiert man Märtyrer.
Das mit der Werteverteidigung ist so eine Sache: Hätte man es damit Ernst gemeint, hätte man Pakistan gleich mit besetzen müssen. Und das alles mit sehr viel mehr Soldaten und Material. So hat man die Rückzugsgebiete der Taliban in kauf genommen und letztlich gegen deren Wiedererstarkung nichts ausgerichtet. Auch die zivilen Projekte, mit denen man die Bevölkerung hätte gewinnen können, sind dahingehend gescheitert, dass man es meist gar nicht im grossem Stil versucht hat.
Wenn die politische Entscheidung militärische Aspekte ausblendet, führt es meist in die Katastrophe. Umgekehrt allerdings auch.
@Gregor
Pakistan ist eine Atommacht, die besetzt man nicht einfach so (womit sich wieder einmal zeigt, dass sich der Besitz solcher Waffen lohnt), und versucht hat man ja sie »mit an Bord zu holen« – mit mäßigem Erfolg.
Über die tatsächliche Anzahl ziviler Projekte weiß ich nichts.
@Gregor Keuschnig
»Der Tod während eines Einsatzes ist nach wie vor relativ unwahrscheinlich. Zumal die Soldaten um die Risiken wissen.«
Das ist zu einfach. Ein Soldat, der seinen Einsatzbefehl für Afghanistan in der Tasche und die Worte McChrystals im Ohr hat, wird dies etwas differenzierter sehen. Erstens war die Lage zum Zeitpunkt der Berufswahl meist eine andere, zweitens haben auch wir mittlerweile Ansätze einer Söldnertruppe (wieviele Soldaten im Auslandseinsatz sind mittlerweile ehemals arbeitslose Ostdeutsche) und drittens kann sich jeder Soldat an fünf Fingern abzählen, dass er im Falle eines Falles Bauernopfer ist. Jeder weiß, dass der Krieg verloren ist, aber ein Soldat soll, um dass Gesicht der Politiker zu wahren sein Leben opfern. Das ist zynisch. Die ganzen publizierten Kriegsgründe halte ich, auf die Gefahr hin für einen Verschwörungstrottel gehalten zu werden, für Unfug. Da wird Ursache und Anlass verwechselt und für gerechte Kriege hätte es so viele andere Ort in der Welt gegeben.
[EDIT: 2010-05-03 23:14]
Ihr Kokettieren mit dem Begriff des Söldners ist nervig. Bitte schlagen Sie genau nach, was ein Söldner ist: Jemand, der gegen Bezahlung auch die Seiten wechselt. Wenn Sie den Begriff des Söldners schon darauf verwenden, wenn einer für sein Soldatentum Geld bekommt, dann kann jeder, der einer normalen Arbeit nachgeht, als Prostituierte(r) bezeichnet werden. So kommt man nicht weiter.
Es wäre wichtig von ihnen zu erfahren, welche Gründe Sie als Unfug betrachten. Dass es Trainingscamps für Terroristen gab? Sicher, wenn man diesen Maßstab anlegt, hätte man sicherlich auch nach Pakistan oder in den Sudan einmarschieren müssen. Dass es dort ein menschenverachtendes System gab? Natürlich gibt es die in Myanmar und Nordkorea auch.
Die »publizierten Gründe« sind nicht »Unfug«. Sie stimmen schon. Dass sie auf unzählige andere Staaten auch zutreffen, mag sein, aber Afghanistan war 2001 ohne potenten Bündnispartner. All die anderen »Schurkenstaaten« sind entweder militärisch viel zu mächtig (in gewissem Maße auch Nordkorea – durch die Atombombe) oder haben mächtige Bündnispartner, die ihren diplomatischen und politischen Schutzschirm aufgespannt halten (bspw. Myanmar). Erst diese Kombination macht einen Angriff auf einen Staat / ein Staatswesen heutzutage möglich bzw. verunmöglicht ihn.
–
Was ein Soldat differenzierter zu sehen hat oder nicht, weiss ich nicht. Ein Soldat, der heute 30 Jahre alt ist, hat seinen Dienst 1998/99 begonnen. Er ist kein Kind des Kalten Krieges mehr und müsste wissen, dass die Bundeswehr grundsätzlich Auslandseinsätze durchführt. Die meisten Soldaten im Unteroffiziersbereich sind deutlich jünger und teilweise mit Afghanistan »aufgewachsen«. Insofern vermag ich nicht zu erkennen, dass sich die Lage wesentlich geändert hat.
Dass der Krieg nicht zu gewinnen ist, ist klar. Es ist aber längst schon keine militärische, sondern eine politische Entscheidung, dieses »Engagement« beizubehalten. Ich glaube sogar, dass es niemals eine militärische gab (ansonsten hätte man anders vorgehen müssen). Das fatale an solchen politischen Entscheidungen ist, dass sie nur noch aus einem gewissen Prestige heraus »durchgezogen« werden. Ein sofortiger Abzug würde die wenigen Punkte, die sich verbessert haben, auch noch zunichte machen. Ein Bleiben streckt jedoch die Niederlage. Wieder einmal haben da die Entscheidungsträger ihren Clausewitz nicht gelesen.
[EDIT: 2010-05-04 08:03]
@Gregor Keuschnig
(irgendwie war der Kommentar an der falschen Stelle gelandet)
»Ein Berufssoldat modernen Zuschnitts ist an die Entität der Nation gebunden«
schrieben Sie. Was ist denn dann mit einem NVA-Soldaten, der zur Bundeswehr um 180° konvertierte? Ist das ein Söldner? Da empfinde ich den jungen Mann aus der Uckermark, der gerne Kfz-Mechaniker geworden wäre, aber aus der Not und ohne Bezug zur Bundeswehr ging eher als die verkaufte Seele. Den Söldner im klassischen Sinne sehe ich heute übrigens und nebenbei am ehesten im Management der multinationalen Unternehmen. Ob Frankfurt School of Finance oder Harvard, ob GE oder Siemens. Kultur und Nation werden dort zum technischen Parameter.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs suchte die USA nach strategischen Perspektiven in den GUS-Staaten. In den Ländern mit einer Zentralmacht konnte man sich meist mit Geld einkaufen und so den Einfluss erhöhen. Die unangenehmste Situation für den westlichen Einfluss ist in den Ländern, in denen es keine Machtmonopole gibt, wie z.B. in Afghanistan und Somalia. Daher war den Amerikanern Afghanistan schon wegen der wichtigen Lage länger ein Dorn im Auge. Versucht hatte man vieles, es gibt ja kaum eine Gruppe, die man noch nicht massiv unterstützt hatte. Beim Irakkrieg ist man sich wohl einig, dass 9/11 als willkommener Auslöser diente, bei Afghanistan halte ich das für sehr wahrscheinlich.
Und die Qualität der Situation wird nicht nur von der Öffentlichkeit als verändert wahrgenommen. McChrystals Beschreibung der aktuellen Lage im Norden ist ein Novum für die Bundeswehr. Das ist nicht mehr mit dem Quasi-Polizeieinsatz auf dem Balkan zu vergleichen und daher auch eine neue Sicht für die Soldaten. Das Ringen um die Begriffe, um die Ausrüstung und um die Lebensversicherungen ist deutliches Indiz, dass etwas passiert. Neue Situationen erfordern neue Kategorien.
[EDIT: 2010-05-04 16:15]
An verkaufte Seelen aus der Uckermark glaube ich nicht. Sie scheinen fixiert zu sein auf das Söldnertum, ohne es zu durchdringen. Ansonsten würden Sie nicht die Ausnahmesituation NVA/Bundeswehr heranziehen.
Um die neue Sicht auf den Soldaten, die Sie anmahnen, geht es glaube ich hier. Der Aufbauhelfer in Uniform ist sozusagen »tot« (das ist jetzt nicht zynisch gemeint) – es geht darum, den Soldaten als kämpfenden Soldaten wahrzunehmen. Das würde unwillkürlich dazu führen, die Angelegenheit Krieg zu nennen. Daher ziert man sich so.
Nach Afghanistan wird alles anders sein. Der deutsche Soldat wird zum ersten Mal Kämpfer. Das überrascht viele.
[EDIT: 2010-05-04 18:33]
»Ansonsten würden Sie nicht die Ausnahmesituation NVA/Bundeswehr heranziehen.«
Das Gegenteil ist natürlich richtig, da die Situation das Problem wie mit einer Lupe isoliert. Ein Soldat, der gestern noch gedrillt war den Bundeswehrsoldaten als Todfeind anzusehen, soll plötzlich die Werte des Westens mit seinem Leben verteidigen? Das zeigt doch die Willkür, die nichts mit dem französischen Soldaten der Revolution in zerfledderter Uniform aber mit stolzer Idee zu tun hat. Mich wundert, dass diese Zerrissenheit nie literarisiert wurde (kenne zumindest nichts dergleichen).
Es wird heute keinem Normalbürger zu vermitteln sein, eine kämpfende Truppe im Ausland zu stationieren, wenn es nicht um edelste Motive geht. Mich schaudert bei dem Gedanken, die Dividende des II. Weltkrieges wieder zu zerstören, in dem man dem deutschen Bürger beibringt, Interessenskriege zu führen. Welches Leitbild würde dieser Kampagne aufgepflanzt werden, so wie damals bei der Wiederbewaffnung der lange als Verräter geschmähte Stauffenberg aus dem Hut gezaubert wurde? Ich hoffe inständig, dass es in diesem Fall eine wirksame bürgerliche Gegenbewegung gibt.
[EDIT: 2010-05-04 20:14]
Was sind »edelste Motive«?
Genau darum geht es. Was sind denn diese »edelsten Motive«? Menschenrechte? Frauenemanzipation? Freie Wahlen und Demokratie? Dafür könnte man – Sie schrieben es selber sinngemäss – in einhundert Länder gleichzeitig einmarschieren. Wenn die Taliban nicht Terroristen Ausbildung in grösserem Stil hätten angedeihen lassen, wären sie heute noch unbehelligt an der Macht. Solange extremistische Regierungen nicht expansiv gegenüber dem Westen werden und/oder ihre Rohstoffe nicht dem Markt zur Verfügung stellen, bleiben sie unangetastet.
[EDIT: 2010-05-04 20:24]
@Gregor Keuschnig
Die Wortwahl sollte despektierlich sein, da ich nicht glaube, dass es ohne starke mediale Unterstützung und langfristig möglich ist irgendeine Begründung durchzusetzen, wenn gestorben wird. Die westliche Gemeinschaft wird uns nicht weiter das Scheckbuch benutzen lassen und Politiker fordern, die eine mir Angst machende Kaltschnäuzigkeit haben müssen. Vermutlich wird es ein Projekt für die Dauer mindestens einer Generation (eine halbe haben wir schon), dass mit der normativen Kraft des Faktischen den Stein höhlt. Wir leben am Ende einer Ära, das mit dem Fall der Mauer erst eingeleitet wurde.
[EDIT: 2010-05-05 01:07]
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