Jetzt geht’s an die Dekonstruktion eines Helden: Michael Moore. Die kanadischen Filmemacher Debbie Melnyk und Rick Caine haben herausgefunden, dass Moore, die Verkörperung des »guten Amerika« in seinen Filmen Tatsachen unterschlagen, verdreht und/oder manipuliert haben soll.
Das Geschütz, dass die beiden in ihrem Film »Manufacturing Dissent« (»Die Herstellung von Dissenz« – offizielle Erstausstrahlung in Deutschland am 5. Mai auf dem Dokumentarfilmfestival in München) auffahren, ist wohl enorm. Zwar hat das deutsche Feuilleton bisher eher milde reagiert (man mag ja so schnell nicht das aufgeben, was man – mangels eigener Recherchen und Betriebsblindheit – jahrelang kritiklos gefeiert hat). Aber es ist sicher keine Kleinigkeit, wenn Moore in Permanenz in seinem Film »Roger and Me« behauptet, der GM-Chef Roger Smith habe selbst nach mehrfachem Anfragen nicht auf Moores Wunsch zu einem Gespräch über die drohende Schliessung eines grossen Werkes geantwortet. Im Film der Kanadier tritt Moores ehemaliger Mitarbeiter James Musselmann auf, der exakt das Gegenteil behauptet. Demnach habe es ein 10–15 minütiges Gespräch zwischen Smith und Moore im Waldorf=Astoria gegeben, in dem der Industrieboss durchaus pointiert Moores Fragen beantwortet haben soll.
Der als Dokumentarfilm daherkommende »Roger and Me« inszeniert auch noch einen angeblichen Diebstahl eines Übertragungswagens, der gar nicht stattgefunden habe. Die in Moores Film Reporterin eines lokalen Fernsehsenders, ist in Wirklichkeit eine Schauspielerin – Moore hat diesen Diebstahl von vorne bis hinten inszeniert; er habe nie stattgefunden.
Alles nur Beckmessereien? Ist die Tatsache, dass Moore in »Bowling for Columbine« auch selbst konstruierte Inszenierungen einbaute, eine Petitesse? Im Film tritt die Inhaberin der legendären Bank auf, die Moore eine Waffe als Geschenk für eine Kontoeröffnung übergeben hatte. Sie wird in Moores Film mit der Bemerkung zitiert, die habe 500 dieser Waffen vorrätig. Weggelassen wird der Nebensatz, dass dies mehrere hundert Meilen entfernt in einem separaten Lager sei. Und normalerweise werden die Waffen auch nicht von der Bank an den Kunden übergeben, sondern dem Kunden (nach einer Prüfung) zugeschickt. Moore habe aber immer wieder darum gebeten, ob man ihm nicht ausnahmsweise die Waffe in der Bank geben könnte und schliesslich habe man dem Wunsch stattgegeben. Im Film verlässt Moore dann triumphierend die Bank mit dem Gewehr in der Hand. Er suggeriert, die Waffen lägen bei der Bank auf Vorrat und der ganze Vorgang dauerte nur ein paar Minuten.
Die Absurdität der Tatsache, dass man in den USA bei Kontoeröffnung bei einer bestimmten Bank eine Waffe erhielt, genügt Moore nicht. Er inszeniert diesen an sich schon perversen Vorgang noch, um – ja, um was? Um mehr Aufmerksamkeit zu erregen? Aus einer Geltungssucht heraus?
Verglichen damit wirken die Vorwürfe gegen den berühmtesten Film Moores, »Fahrenheit 9/11«, fast harmlos. George W. Bush wird da u. a. in einer Rede auf einer Gala gezeigt, in der er sich sehr elitär und arrogant gibt. Moore verschweigt, dass dies eine Veranstaltung war, in dem die Redner selbstironische und zynische Vorträge halten sollten. In dem Moore diesen Kontext unterschlägt, suggeriert er, Bush mache sich über andere Leute lustig.
Wie bereits erwähnt, sind die Feuilletonisten (noch?) sehr vorsichtig und stehen zu »ihrem« Michael Moore in erstaunlicher Nibelungentreue. So meint Christof Siemes in der »ZEIT« beispielsweise, dass diese Vorwürfe nicht Moores Anliegen diskreditierten, der amerikanische Waffenfanatismus bleibe ein Problem und der Irak-Krieg sei auch laut Aussage des Pentagon nicht mehr gewinnbar. Das ist natürlich richtig. Aber Siemes’ Schluss, dass Moore nun Opfer seiner eigenen Methode geworden sei, zeige nur ihre Stärke, ist ein grober Unfug. Als sei konstruierte Polemik, die sich selber inszeniert und den Zuschauer Details vorenthält, ein »Betriebsunfall«. Diese Auffassung zeigt hoffentlich nicht Siemes’ journalistisches Selbstverständnis – andernfalls wäre es eine Bankrotterklärung.
Natürlich ist (war) »Fahrenheit 9/11« kein Dokumentarfilm. Er ist derart manipulativ-suggestiv geschnitten, dass sich der Zuseher kaum dem Sog der Mooreschen Meinung entziehen kann: Bush ist ein Idiot. Ich glaube auch nicht, dass dieses Kurzurteil im wesentlichen falsch ist. Aber ein aufklärerischer Film, der nicht nur platte Schnipsel der Bush-Kapriolen als Slapstick aufführt, sondern die Hintergründe der neokonservativen »Revolution« aufzeigt, ist Moores Film nicht. Aber genau das ist er für Moore-Fans immer gewesen. Wer interessiert sich schon wirklich für die Zusammenhänge des amerikanischen Neokonservatismus?
Viele haben sich allzu gerne von dem Ergebnis seiner Botschaft blenden lassen. Moore galt lange als der einsame Rufer; der einzige, der dem in Patriotismus und Terrorangst eingelullten Amerika noch den Spiegel vorgehalten hat. Er spielte den Hofnarren und die Zustimmung zu seinen Büchern und Filmen hatte eine selbstreinigende Wirkung. SO wurde er zum »Helden« einer Generation, die sich machtlos ausgeliefert wähnte. An Moore wurde sozusagen die »Drecksarbeit« delegiert. Er macht das schon – für uns, die die richtige und gute Gesinnung haben.
Dass er dabei Methoden angewandt hat, die dem Ethos eines jeden seriösen Journalisten widersprechen (Moore gab sich immer investigativ-journalistisch, also muss man ihn daran messen), diskreditiert natürlich das Anliegen per se nicht, aber macht es insgesamt Nachfolgern nicht leichter, sich seriös mit den Themen auseinanderzusetzen. Von den Methoden eines Heinrich Breloer beispielsweise, der dokumentatives und fiktives immer deutlich unterscheidbar präsentiert, ist Moore natürlich meilenweit entfernt. Sein effekthascherischer Stil entspricht einer Zeit, für die genaue Details nur noch Beiwerk sind. Hauptsache, die Trommel ist schön laut – wer will schon die Flöte hören? Der fleissige, faktensammelnde, investigative Journalist, der Zusammenhänge aufzeigt, kommt dann nur noch als dröge und langweilig daher (ein Vorwurf, den Eva S. Schweizer den beiden Kanadiern machte – als sei dies ein Kriterium!).
Siemes versucht Melnyk/Caine dadurch zu diffamieren, dass er ihnen unterstellt, der Film sei »Michael-Moore-artig« gedreht. Das kann ich nicht beurteilen, weil ich ihn nicht gesehen habe. Wenn er dies aber sagt, dann unterstellt er, dass auch Melnyk/Caine bewusst Szenen manipuliert und verändert haben. Mich würde interessieren, woran er das festmacht.
Moores Fall ist aber ein Spiegel der Medienkultur generell. Der fleissige, faktensammelnde, investigative Journalist, der Zusammenhänge aufzeigt, kommt oft genug als dröge und langweilig daher (ein Vorwurf, den Eva C. Schweitzer den beiden Kanadiern machte – als sei dies ein Kriterium!). »Roger and Me« wäre vollkommen pointenlos, gar überflüssig gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, dass der Industrieboss Roger Smith auf alle Fragen antwortet hätte. Und »Bowling for Columbine« wäre nur halb so hübsch, wenn es nicht das Bild des aus der Bank mit dem Gewehr herauskommenden Moore wäre.
Es wird interessant sein zu beobachten, ob und wie der Film in Deutschland rezipiert werden wird und ob es bei den abwiegelnden Stellungnahmen bleiben wird. Mit dem absehbaren Ende der Präsidentschaft von Bush wird vermutlich aber auch Moores Epoche enden, denn ohne seinen Lieblingsfeind hat er wohl kein Thema mehr.
Investigativer Journalismus
Es gibt ganz Seiten im Netz, die die Fehler von Michael Moores Filme aufarbeiten. Warum Moore als das macht, ist die Frage: Vielleicht gibt er einer großen Klientel von Menschen einfach nur das, was sie hören wollen. Und das ist von der Wahrheit natürlich meilenweit entfernt.
Als investigativen Journalisten könnte ich mir Gregor Keuschnig übrigens wesentlich besser vorstellen. ;)
Danke für das Kompliment...
definitiv zuviel der Ehre...
Mich interessiert die Rezeptionsgeschichte auf Moores FIlme fast noch mehr als seine Fehler aufzuzählen. Es ist wirklich so: Zu einer gewissen Zeit hat er genau das gezeigt, gesagt, zusammengeschnitten, was das rebellische Amerika wollte. Er war dabei eine Art Hofnarr – nur als solcher nicht erkennbar, weil er mit einem Journalisten verwechselt wurde. Die Narren waren ja bekanntlich diejenigen, die an den Herrscherhäusern alles sagen durften, ohne dafür gleich belangt zu werden (ich weiss: ein Klischee, aber hier trifft es genau).
Seinen »Kult-Status« erlangte er zusätzlich noch durch einen weitgehenden Verzicht elaborierter Ausdrucksweise – er verwendet die Sprache der neuen Medien.
Interessanter Artikel!
Da werde ich wohl hin und wieder mal vorbeischauen! (-:
Herzliche Grüße aus einem »Nachbarblog«
Michael Blume
Als ich Bowling for Colombine sah, war mir schon klar, dass hier einiges inszeniert und übersteigert dargestellt war. Ich bin absolut kein Freund von aus dem Kontext herausgerissenen Zitaten.
Allerdings ist in unserer Gesellschaft – so scheint es mir – gar keine andere Form der Darstellung mehr möglich, um gefühlsmäßige Einstellungen anzuprangern.
Die Geschichte in der Bank nehme ich gerne als Beispiel. Selbstverständlich ist es ein Übergriff, wenn Moore einen persönlichen Gefallen als Regel darstellt. Die Aussage selbst, dass man bei Kontoeröffnung eine Schusswaffe bekommt, holt aber noch niemanden vom Baum herunter, schon gar nicht in Amerika.
Nur die Karrikatur kann überhaupt auf das Aberwitzige hinweisen.
Mir fällt übrigens noch ein besseres Szenario ein.
Der prospektive Kunde geht mit Munition in die Bank, nimmt das Gewehr in Empfang, lädt es probehalber und macht einen Banküberfall damit.
Das Konto hat er zuvor mit einem gefälschten Personalausweis eröffnet. Gestohlener Personalausweis ist dazu notwendig, weil die Personalprüfungsroutinen in Amerika sehr gut greifen. Der Personalausweis darf also noch nicht als gestohlen gelten. Am besten man bringt daher vorher eine Person gleichen Geschlechts um, beraubt sie um die Papiere, maskiert sich dem Foto ähnlich und schon geht’s los.
Ich weiß nicht, wieviel von dem Gespräch mit Charles Heston »geschönt« wurde, doch wenn man das gesehen hat, reicht auch schon die Hälfte, um das Kotzen aufsteigen zu lassen.
Wir leben in einer Zeit, in dem die Demagogie im Film genauso lügen muss wie die Werbung, oder?
Ich glaube nicht
Das Problem des demagogisch-»lügenden« Dokumentarfilms ist, dass er sich auf das Niveau des Gegenstands begibt, welches er vorgibt zu bekämpfen. Ich frage mich immer, warum die Aussage, dass man bei einer Kontoeröffnung eine Schusswaffe »gratis« bekommt, per se schon »niemandem vom Baum herunterholt«. Warum muss eine an sich perverse Botschaft noch künstlich aufgeblasen werden, damit sie als Perversion begriffen wird? Und – viel schlimmer: Welche Affekte müssen irgendwann noch konstruiert werden, um eine Wirkung zu erzeugen?
Das Beispiel mit der Karikatur greift m. E. nicht ganz: Hier ist jedem bewusst, das es Überzeichnungen gibt. Sie sind das Wesen dieser Kunstform. Aber ein FIlm, der als Dokumentarfilm daherkommt, muss genau sein – andernfalls wird die Botschaft und – noch schlimmer! – das ganze Genre diskreditiert.
Es sind jetzt übrigens rd. 3 Wochen nach der Deutschland-Premiere des kanadischen Films vergangen. Grossartige weitere Wellen hat er wohl nicht geschlagen; in den Feuilletons gab es nur Randmeldungen. Ich vermute, das liegt daran, weil man sich mit einer Kritik an Moore auch selber befragen müsste – und das wollen die Damen und Herrn Gesinnungästheten nicht. Also wird es unter den Teppich gekehrt.
Glaube mir, für mehr als 50% der amerikanischen Staatsbürger ist dies sicher nichts Besonderes, wenn die Bank Schusswaffen ausgibt. Es hängt im Prinzip schon am Anspruch, Schusswaffen tragen zu dürfen, warum sollte dann die Ausgabe etwas Besonderes sein.
Ich glaube schon, dass man sich auf das Niveau »hinunter«-bewegen muss, um verstanden zu werden, man muss die Leute »an den Eiern packen«, wie man zu sagen pflegt.
Was bewirken denn zB alle jede Warnungen vor Klimakatastrophen?
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»Ach, wann wird das sein?« ...
Was hat Moore jetzt, nachdem bekannt wird, dass er Szenen manipuliert hat, erreicht? Ausser, dass er den Gegnern noch Wasser auf die Mühlen geschüttet hat?
Die Warnungen vor den Klimakatastrophen finden u. a. eben deswegen nicht das notwendige Gehör, weil sie in den 70er Jahren (»Club of Rome«) in übertriebenem Alarmismus gewarnt haben. Später musste man die Prognosen korrigieren. Da es recht angenehm ist, mit dem Status quo fortzufahren, kann jetzt jede Form von Warnung hinsichtlich der Temperaturerwärmung nivelliert werden (»Die haben sich ja schon damals geirrt.«).
Wenn jemand in einem Kino immer wieder »Feuer« ruft, dann wird spätestens nach dem dritten Mal niemand mehr aufstehen und den Saal verlassen – auch wenn es dann wirklich brennen sollte!
Die Diskussion um die Klimakatastrophe läuft ja (zumindest in Deutschland) noch etwas anders: Jahrelang wurde suggeriert, wir (die Deutschen) tun ja schon genug. Durch die Stillegungd er Dreckschleudern in der ehemaligen DDR hatte man auf dem Papier auch viel erreicht. Jetzt, als herauskommt, dass der CO2-Ausstoss in Deutschland gestiegen ist, kommt eine Hysterisierung daher, die uns weissmachen will, dass wir mit 45 neuen Kohlekraftwerken (die selbstverständlich »auf dem neuesten Stand der Technik« sind), ein paar Energiesparlampen, dem Abschalten von »stand-by«-Funktionen (was technisch oft genug gar nicht geht) und ein bisschen weniger Urlaubsflügen das Problem schon lösen werden. Der deutsche Umweltminister hat neulich erklärt, dass es keiner grösseren Anstrengung (bzw. Einschränkung des Lebensstils – der GAU der Konsumgesellschaft!) bedürfe, um situationsgemäss zu reagieren. Das ist das exakte Gegenteil dieses alarmistischen Redens in den Medien.
Ein gesundes, seriöses Mittelmass, welches bedeuten würde den Bürger Ernst zu nehmen, ist nicht in Sicht.