Um es vorweg zu sagen. Ich habe Judith Hermanns Roman »Aller Liebe Anfang« nicht gelesen. Ich kenne nur ihre drei Geschichtenbände. Als ganz große Literatur kamen mir Hermanns Geschichten nicht vor. Aber in ihren besten Momenten spiegelten sie sehr wohl eine gewisse Stimmung einer Generation und zeigten der älteren Generation (aus denen sich viele Kritiker rekrutier[t]en) eine neue, bisher unbekannte Welt.
»Aller Liebe Anfang« wurde mit großem Marketing vorgestellt. Endlich hat die Geschichtenerzählerin einen Roman geschrieben. Der Roman gilt (völlig unverständlicherweise) als Königsdisziplin im Literaturbetrieb. Dass die Literaturkritik diese Fixierung immer wieder moniert, ist etwas heuchlerisch, weil gefühlt die zweite Frage an Geschichtenschreiber immer wieder lautet, wann denn der erste Roman kommt. Für mich hatte ich beschlossen, dieses Buch nicht zu lesen, zumal mich auch das vermeintliche Thema (Stalking) nicht besonders interessiert.
Die Stimmen der Kritik zu »Aller Liebe Anfang« waren fast alle verhalten bis ablehnend; bei Helmut Böttiger, Eberhard Falcke oder Ijoma Mangold gut begründet.
Aber diese literarisch orientierten Kritiken gefallen dem stellvertretenden Feuilletonchef der FAZ Edo Reents nicht. Mit großem Aplomb hat er vermeintliche Kritik zu dem Buch geschrieben, die in Wahrheit die Autorin treffen soll. Reents Text ist von einer Niedertracht, die ein bisschen genauer betrachtet werden soll (alle Kursivsetzungen aus dem Text):
Er beginnt sofort mit dem Paukenschlag:
Judith Hermann hat zwei Probleme: Sie kann nicht schreiben, und sie hat nichts zu sagen.
Reents bespricht ja eigentlich ein Buch, aber kapriziert sich sofort, ansatzlos, auf die vermeintlichen Probleme der Autorin. Dabei beschäftigt er sich vor allem mit den Zuweisungen anderer Kritiker der letzten Jahre. Die Kritik habe Hermann als
einer der „wichtigsten Stimmen“ der jüngeren Literatur
genannt, sie als „Meisterin“ gar bezeichnet. Das dicke Lob für ihren Debüterzählungsband »Sommerhaus, später« sei reichlich übertrieben ausgefallen. Warum es übertrieben war, bleibt im Dunklen.
Judith Hermanns Stil gilt ja als „kunstvoll“. Er ist es insofern, als es ihm gelingt, trotz starker, freundlich formuliert: Reduktion beachtliche Redundanz zu erzielen.
Der Satz ist unverständlich und offensichtlich Murks. Komplizierte Sätze sind nicht jedermanns Sache. Versuchen wir zwei Umstellungen:
Er [Der Stil von Judith Hermann] ist es insofern, als es ihm gelingt, trotz starker Reduktion, freundlich formuliert, beachtliche Redundanz zu erzielen.
Oder vielleicht:
Er [Der Stil von Judith Hermann] ist es insofern, als es ihm gelingt, trotz – freundlich formuliert – starker Reduktion beachtliche Redundanz zu erzielen.
In beiden Fällen bleibt die Quintessenz unklar. Wie bzw. wann führt eine Reduktion zu Redundanzen? Gibt es dafür Beispiele? Scheinbar nicht, denn Reents fährt fort:
Für eine Stilistin versteht es sich von selbst, Verben wegzulassen, so gut wie jede Aussage in wörtlicher Rede mindestens einmal zu wiederholen, auf die üblichen Satzzeichen, vor allem Fragezeichen, zu verzichten.
Heißt das jetzt, dass Judith Hermann diese Verfahren anwendet? Oder heißt es, dass dies eine Stilistin macht? Oder, noch eine Möglichkeit, bedeutet es, dass Judith Hermann eine Stilistin im Reents’chen Sinn ist? Wenn ja, was ist das? Reents kümmern solche Fragen nicht. Er schreibt weiter:
Zeitenfolgen und erzählerische Perspektiven gehen zuweilen durcheinander.
Das ist wirklich eine Frechheit! Hat man die Autoren der Moderne insgesamt schon zum Strafgericht gerufen, dass man nicht mehr linear und auktorial erzählt? Wie lautet die Höchststrafe für diese Vergehen?
Ausflüge in die Hypotaxe gibt es nur, wenn es gar nicht anders geht.
Wann wäre dieses »nicht-mehr-anders-gehen« beispielsweise der Fall? Und: Was bedeutet dies für den Roman? Der Leser wird ratlos, zumal er bei Helmut Böttiger in der SZ gelesen hat, dass Hermann ihren Stil verändert habe. Aber Reents hält sich mit solchen lächerlichen literarischen Fragen nicht auf und holt zu einer weiteren Schmähung ad hominem aus:
Syntaktische Schlichtheit gilt als Judith Hermanns Markenzeichen. Was aber, wenn sich dahinter gedankliche Schlichtheit verbirgt?
Und das bereits im ersten Satz verkündete Diktum wird manifestiert – um die Form zu wahren als rhetorische Frage:
Oder einfach nur Unvermögen?
Und jetzt beginnt Reents Beispiele für die sachlichen Ungereimtheiten im Buch aufzuführen. So könne ein Maurer kein ganzes Haus bauen, sondern nur ein Architekt. Und Alkohol könne nicht »süß und kräftig« schmecken, so Vorkoster Reents, der es als chemische Unmöglichkeit (sic!) bezeichnet. Mehr als ein Dutzend solcher Ungereimtheiten werden nun aufgezählt. Einige sind Tautologien, andere wirken tatsächlich unbeholfen, könnten jedoch im Kontext des Geschriebenen durchaus eine andere Wirkung erzeugen, auf neudeutsch also: Sinn machen. Wenn Reents also moniert „Stella sieht irgendwohin“ – das tut jeder, so kann dies durchaus eine andere Bedeutung haben, als dies im aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat erscheint.
Zur Karikatur macht sich Reents Aufzählungsfetischismus allerdings dadurch, in dem er bei der Autorin exakt das konstatiert, was er selber vorher praktiziert hat;
So werden laufend Nichtigkeiten aufgebauscht, Triviales macht sich wichtig.
Der einzige, der sich hier wichtig macht, ist der Kritiker. Er kritisiert kein Buch, er versucht, die Autorin zu vernichten, in dem er ihr pauschal das Schriftstellertum abspricht.
Über den Schmähschreiber Edo Reents, der vor Jahren den Schriftsteller Walter Kempowski in einer Kampagne denunzieren wollte, braucht man keine Worte mehr zu verlieren. Noch erbärmlicher ist das Vorgehen der FAZ-Onlineredaktion, die meinen Kommentar nicht aushalten konnte und ihn nicht nur nicht publizierte, sondern auch aus meinem Kommentararchiv entfernte. Er lautete:
»Judith Hermann hat zwei Probleme: Sie kann nicht schreiben, und sie hat nichts zu sagen.« Ersteres stimmt nicht, zweiteres kann ich nicht beurteilen, da ich den Roman nicht gelesen haben (nur die Geschichtenbände der Autorin). Reents scheint aber für seine vernichtenden Urteile nicht viel in der Hand zu haben. Zum einen kritisiert er die Urteile, die die Litertaturkritiker an Judith Hermann irgendwann einmal vorgenommen haben. Dafür kann aber Hermann und, vor allem, der Roman, nichts. Zum anderen entdeckt er nichtige Unstimmigkeiten (die sich bei ähnlicher Pedanterie auch bei Thomas Mann oder anderen Heroen finden).
Das war wohl zuviel. Eine solche Majestätsbeleidigung fällt bei der FAZ in den Papierkorb. Und da findet sich jetzt mein Bookmark für das FAZ-Feuilleton. Weil es dort auch hingehört.
Die Leser der FAZ haben es inzwischen auch gerne etwas einfacher. Der Leser weiß sofort, dass ihn ein Verriss erwartet – wer da weiterliest, will der Hinrichtung bewohnen. Die Kommentare, die durchgelassen wurden, sagen »Merci« für das Erlebnis – es gefällt, wenn der Kritiker nicht mehr lange abwägt und schon gar nicht umständlich.
Was vielleicht zu erörtern wäre, ist diese Mischung aus Öffentlichkeitsarbeit der Verlage und Kritiken, die aufs eigene Sentiment fokussiert sind und sich kollaborativ zu den saisonalen Karussellfahrten der Großverlage verhalten.
Wir haben ja bald wieder Buchmesse, dann geht das alles wieder los. Unwichtiges wird für wichtig gehalten, Mittelmäßiges in die Kamera gehoben, die Erfolge werden mehr gemacht als geschrieben. Das ist ja regelmäßig die größte Enttäuschung, dass die Kritiker Elogen und Verrisse fabrizieren wie bestellt, aber praktisch kaum noch etwas entdecken. Früher waren Kritiker manchmal noch Scheinwerfer, die auf etwas ihr Licht warfen, was sonst nicht zu sehen gewesen wäre – heute scheinen die Verlage die Scheinwerfer zu steuern.
Das Reents das Buch einfach nicht mag, mag ja angehen. Dass er sich in Kleinigkeiten verbeißt, um die Strategie des Textes nicht begreifen zu müssen – viellicht geistig bescheiden, aber meinetwegen darf er auch das. Dass dann aber unter seinem betont seichten Verriss kein Widerwort, keine Einschränkung, keine Abwägung erscheinen darf, das wirkt neurotisch. Ich muss zugeben: Ich verstehe das gar nicht. Vielleicht werden die »Kritiker in den Zeitungen« aus diversen Gründen auch schon dünnhäutiger? Vielleicht gibt es Abwehrreflexe gegen die literarische Kultur im Netz, die ja – nicht immer, aber vielfach – tiefer geht, als sich das irgendeine Zeitung heute noch leisten könnte, ohne solche Leser zu verprellen, die jauchzen, wenn sie einen »richtigen Verriss« lesen dürfen?
Vielleicht kann man das Thema noch mal in 4 Wochen aufrollen. Ich bin wirklich gespannt, ob die Zeitungen im Oktober etwas anderes als das herausstellen, was sie laut Titelbilder der Verlagskataloge herausstellen sollen.
Die Überforderung der Kritiker, die sie natürlich in die Arme der großen Verlage treibt, ist immanent. Sie rechtfertigt aber einen solchen auf Vernichtung zielenden Text nicht (das behaupten Sie ja auch nicht). Natürlich ist der Literaturbetrieb längst trivialisiert worden und die Leser, die so etwas als gute Rezension loben sollten vielleicht besser Big Brother schauen. Aber genau das tun sie ja nicht.
Reents versucht sich vielleicht ein bisschen als Neu-Reich-Ranicki in Stellung zu bringen; im FAZ-Kosmos werden ja bald Stühle gerückt.
Meine Güte, was für ein angestrengter Verriss, man kommt sich ja wie vor wie bei RTL. Judith Hermann will ich jetzt gar nicht groß loben, aber wenn »Der Alkohol ist süß und kräftig« für eine Vernichtung herhalten muss, hat man es mit einer plumpen Inszenierung zu tun.
Und die Kommentare, die die FAZ durchlässt, bieten ein Bild des Jammers (»Man merkt, dass Sie das Buch wirklich und gründlich (nietzeanisch) gelesen haben und Ihre Kritik ist fundiert und obendrin witzig und ironisch«).
Was mir auffällt – ich verfolge Reents allerdings sonst nicht, und lese eigentlich auch kaum noch Zeitungskritiken (aus den mehr oder minder gleichen Mangelfühlen daran wie Fritz): Dass der Verriss auch ein bisschen inszeniert scheint, laut werden will – ein kleiner Paukenschlag sein. In mutigen, apodiktischen Sätzen (fast wie beim seligen MRR – und ist das die alte Schule?). Und dann auch noch bei dieser Autorin!
Das geht in seiner Auffälligkeit ja doch über einen Kritiker-Ehrgeiz hinaus, finde ich. Und ist womöglich ein bisschen eine betriebspolitische Geste auch, bei der sonst – und wie oft beklagten! – Kumpeleien der Kritiker zum Betrieb. Und dann auch noch bei so einer beispielgebenden (und auch noch notorisch erfolgreichen!) Autorin.
Wobei ich persönlich nicht alles an der Kritik falsch finde. Und dann sollte von mir aus auch mit dieser ganzen Carver-Schule, mit diesen sprachlichen Verhungertheiten, die eben auch durch eine gesteigerte Geistigkeit o. ä. nicht ausgeglichen wird, auch wirklich mal Schluss sein. Einbahnstraßen der Ästhetik haben halt auch Halbwertszeiten. Und ein jeglicher Erfolg findet ja immer bald auch einen, der ihn wieder runterschreibt – das ist anscheinend Teil des Spiels.
(Als ich vor Längerem in „Sommerhaus später“ wegen einer bestimmten Stelle mal wieder reinlesen wollte, merkte ich, dass ich das kaum schaffte, dass ich das nicht mehr lesen wollte. Allerdings war da auch vorher nicht viel für mich. Aber wie viel Hass aus wahrlich nicht durch Kunstfertigkeit auffallenden Ecken ist dem ungleich inspirierteren Tellkamp seinerzeit entgegen geschlagen!)
Dass die Tante FAZ aber Missliebigkeiten derart unsouverän aussperrt … ist an all dem vielleicht noch das stärkste Stück.
Komisch, diesen Carver-Vergleich fand ich immer überhöht und ganz sicher eine unpassende Beweihräucherung der Kritik.
Literarisch waren die Erzählungen ja immer ein bisschen arg gekünstelt. Man merkte ihnen gelegentlich überdeutlich den Formwillen an. Hermann traf aber damals einen Ton, den es so in der Programmverlagsliteratur nicht gab. Das hatte insbesondere für alte Männer einen besonderen Reiz.
Was man Hermann dann »vorwerfen« könnte: Sie hat sich nicht weiter entwickelt und die »Masche« weitergespielt. Für mich war das dann fast nur noch gehobene Unterhaltungsliteratur, manchmal ein bisschen gequält auf Lakonie zielend, eine Coolness, die ausgestellt wirkte. Wie übrigens auch ihre Darstellungen in Interviews, aber auch das muss man als Rezensent nicht gegen sie verwenden.
Ich möchte eine kühne Prognose wagen: In vier oder sechs Jahren legt Judith Hermann ein neues Buch vor. Es wird gefeiert werden, sie wird endgültig in den Olymp der Schriftstellerinnen überführt werden und ein kleines bisschen ist das dann auch eine Wiedergutmachung an ihr. Das alles ist ein Machtspiel. Der Döpfner-Spruch vom Fahrstuhl nach oben und dann nach unten ist ja nicht an einen Verlag gebunden, er gilt universell für diese ganze verkommene Mischpoke.
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Betriebsmacken...
Klar erkennbar: ein Verriss, dem kein Ereignis vorausgeht, ist eine »paradoxe« Reaktion. Für die FAZ, der Normalfall. Eine Erwartung, die enttäuscht worden, eine überschwengliche Würdigung, der zu widersprechen wäre, gab es nicht.
Wir nähern uns einmal mehr der Grenze des absurden Theaters, welche die Abwesenheit von positiven Werten und unantastbaren Beständen voraussetzt. Rezensieren, damit es weiter geht. Rezensieren, auch wenn es absurd ist. Rezensieren, damit die Abwesenheit von hoher Literatur in der Negativität der Pose konserviert bleibt.
Recenseo quia absurdum est.
die kalte Sophie
Absurdes Theater – ein sehr guter Vergleich. Und nun?
Neulich schönes Goethe-Zitat gefunden (von 1830). er schreibt an Carl Friedrich Zelter:
Das »Kreuzband« heute: der Link, der Bookmark, das Ungelesene, dass dann besser ungelesen bleibt? Man denke sich die Zeitersparnis...
Der gute alte J.W.G.
In der Tat, eine seltsame Herausforderung: Aktivität und Verzicht zugleich planen. Die Ökonomie des Selbst noch mehr straffen... S’klingt falsch, null dialektisch, aber es stimmt: nach der kurzen Epoche maximalen Engagements auf mehreren Hochzeiten kommt schon das Neue: maximale Klugheit, effiziente Beteiligung. Generalisierte Regeln für den »Öffentlichen Diskurs« sind wohl nicht drinn. Künstlerische bzw. wissenschaftliche Arbeit und (Kultur-)Politik sind heftig zusammen gestoßen. Sie konkurrieren. Nach innen und außen.
Man kann sich der Illusion hingeben, beides zugleich und in Tateinheit erledigen zu können. Dann soll man Journalismus treiben. Oder kritisch kommentieren. Ich bin dennoch sicher: das ist nicht die beste Lösung. Es ist die einfachste...
Nein, nein, kein Journalismus. Eher Eskapismus.
Unabhängig von der (ggf. mangelnden) Qualität des Hermannschen Romans, spiegelt solche Kritik, wie Reents sie betreibt, die rein subjektive Wertung wider, ohne den Gehalt eines Textes zu erfassen – darin gleicht sie der Literaturbesprechung vieler Literaturblogger/innen. Diese Art von Kritik interessiert sich nicht dafür, was sich in einem literarischen Text auf formaler und inhaltlicher Ebene abspielt: seine Struktur, sein Gemachtsein, die Aspekte, wo ein Text aus binnenästhetischen und sprachlichen Gründen und aus seiner Konstruktion heraus scheitert oder aber wo er grandios gelingt, und vor allem der Aspekt, wo die ästhetische Form des Textes und die Weise des Erzählens den Bau der Literatur erweitern, rückt aus dem Fokus solcher Kritik. Im Grunde müßte jede Literaturkritik den Bezug zu anderen Texten der Literatur herstellen, die Verbindungen aufzeigen. All dies sind jedoch Aspekte, die dieser Kritik völlig gleichgültig sind. Damit begibt sie sich der Werkzeuge einer ästhetischen Literaturkritik, die mehr sein will als ein Facebook-Like mit Daumen hoch, Daumen runter. Reents’ Kritik an Kempowski demonstriert diese Unfähigkeit deutlich. Es ist dies Schnellschußfeuilleton, das geistreich wie Karl Kraus sein will, aber am Ende an den kleinen Dingen sich verheddert und wie der Pinscher bloß ans Bein beißt und pinkelt. Schimpfen, Pöbeln, Bezichtigen als solches ist ja nicht per se schlecht inmitten der weichgespülten Kulturwohlfühlwelt. Aber es sollte dann wenigstens in der Sache (zu)treffen.
Nun muß man in einem Zeitungsfeuilleton sicherlich nicht die Reflexionsfigur der literarischen Romantik eines Schlegels bedienen, der forderte, daß die Kunstkritik selber ein Kunstwerk zu sein habe, und ein gutes Feuilleton ist aus gutem Grund kein germanistisches Seminar. Es arbeitet nicht wissenschaftlich, sondern changiert (im Idealfall zumindest) zwischen Essay und journalistischem Bericht, zwischen Glosse, Kommentar, Analyse und Information. Aber es sollte in der Literaturkritik dennoch ein Mindestmaß an Stilwillen geben; die ästhetische Form gilt ebenso für die Literaturkritikerin, den Literaturkritiker. Die Kritik sollte von bestimmten Formen des Wissens um Literatur getragen sein und nicht hinter den Stand der Reflexion zurückfallen.
Auch wenn Reents’ Kritik drastisch ausfällt und teils persönlich zuschlägt, unterscheidet sie sich im unterkomplexen Subjektivismus nicht von der anderer Literaturkritiker. Wer je eine Kritik der larmoyanten Iris Radisch oder von dem unsäglichen Kritiker mit der Kritikerbrille (Georg Dietz) las, der weiß auf welchem Niveau die Literaturkritik angelangte. Sie ist für die schnelle Lektüre und steile Thesen gemacht und es geht um rein persönliche Bewertungen. Nach quantitativen Gesichtspunkten: Einen Stern, fünf Sterne?
Immerhin: Reents geht ins Detail und liefert nicht bloß, wie das in vielen Kritiken üblich ist, Inhaltsangaben und Klappentexte zu Büchern. Es scheint mir durchaus angemessen, einen Blick auf den Stil und den Ton eines Textes zu werfen. Die Frage ist allerdings, in welcher Weise das geschieht. Mangolds Verriß in der „Zeit“ etwa scheint mir nachvollziehbar, wenn ich an Hermanns Erzählungsbände denke.
Lächerlich von der FAZ ist es, Ihren Kommentar nicht freizuschalten. Wer diese doch sehr höfliche Kritik nicht aushält, sollte seine Bude dicht machen und andere ranlassen, die es besser und vor allem souveräner können. Richtig auch: unangemessene Formulierungen, schiefe Metaphern oder banale Bilder lassen sich in vielen literarischen Texten finden. Nur wenige Texte sind davon frei.
Judith Hermanns Texte sind eine Sache für sich und wären einen eigenen Beitrag wert. Ich habe ihre ersten beiden Erzählungsbände gelesen, danach hörte ich entnervt auf, weil sich Figuren, Geschichten, Konstellationen und das Verhauchte bis ins Unermeßliche wiederholten. Literatur als Jargon. Was von Judith Hermann hängenbleiben wird: Die Photographie, die Isolde Ohlbaum schoß, die diese Art von Text noch einmal photographisch als treffendes Bild brachte. Das trug dazu bei, eine geniale Marketingkampagne um eine Schriftstellerin ins Leben zu rufen. Und etwas später dann – es kam für die Verlage wie gerufen: Feuilleton und Verlagswelt zogen an einem Strang – präsentierte man den Leserinnen und Lesern das deutsche (literarische) Fräuleinwunder samt Berlin-Hype. Dort hinein paßten auch die Erzählungen von Hermann. Was von ihr demnächst kommt, vermag keine/r zu sagen. Insofern sind Prognosen des Scheiterns, die sich aufs ganze und insbesondere aufs Kommende beziehen, schlichter Unfug.
Just for info: Habe gerade die bestürzend dumme Rede von Rushdie zur Verleihung des Andersen-Preises gelesen. Schon eine Woche her. Dagegen ist der Egotripp von Reents noch harmlos, was Sekundärschäden anbelangt.
Ich frage mich, wann endlich wieder auf Schriftsteller geschossen wird...
Nana...wer wird denn gleich...
Hier wohl die von Ihnen angesprochene Rede.
Ehrlich gesagt ist der Satz
‘Judith Hermanns Stil gilt ja als „kunstvoll“. Er ist es insofern, als es ihm gelingt, trotz starker, freundlich formuliert: Reduktion beachtliche Redundanz zu erzielen.’
kein ‘Murks’ und sehr leicht zu verstehen. Ihre Umstellungen hingegen geben den Sinn des Satzes falsch wieder.
Versuchen wir es einmal richtig:
Ihr Stil ist insofern ‘kunstvoll’, als es ihm gelingt, trotz starker Reduktion beachtliche Redundanz zu erzielen. Dabei ist die Bezeichnung ‘Reduktion’ noch freundlich formuliert.
Es schient mir völlig klar, dass Reents’ eigene reduzierte Formulierung parodistisch gemeint ist! Den Satz
‘Für eine Stilistin versteht es sich von selbst, Verben wegzulassen, so gut wie jede Aussage in wörtlicher Rede mindestens einmal zu wiederholen, auf die üblichen Satzzeichen, vor allem Fragezeichen, zu verzichten.’
kann man natürlich auch nur dann verstehen, wenn einem bei der Meiose nicht das Ironiegen abhanden gekommen ist.
Ironiegen? Mit welchem Blödsinn versuchen Sie Reents Kunstgestolpere zu adeln? Ausgerechnet derjenige, der sich in den vermeintlichen Nichtigkeiten des Romans suhlt (Reents) verheddert sich in einem pseudoironischen Gestus. Das hat soviel mit Ironie zu tun, wie die DDR demokratisch war. Eher Onanie als Ironie.
Ironie, Sarkasmus oder Herablassung... Das ist doch völlig egal. Wir können nicht die ganze Spätmoderne, sprich Politik, Kunst, Leben, nur im Stil der Uneigentlichkeit verhandeln. Das ist eine Frage der Moral, also von Richtig und Falsch. Ironie, Sarkasmus,etc. sind Stilmittel, Zutaten. Aber längst sind Sie zum Nährmittel, zum geistigen Kohlehydratum aufgewertet worden. Sehr bürgerlich, sehr selbstverliebt, und dabei letztlich dumm. Es fehlt die Substanz. Der Teig ist ein Salzteig. Ungenießbar! Auf die Mischung kommt es an.
An welcher Stelle soll »chemische Unmöglichkeit« – (sic!) -, falsch geschrieben sein?