Vor zwei Jahren habe ich in diesem Blog unter dem Titel Der Wille zum Nichtwissen Anmerkungen zu einer Reihe von mehr oder weniger berühmten Sätzen zum Thema »Wahrheit«, oder zumindest in Zusammenhang mit diesem Begriff, veröffentlicht. Es liegt auf der Hand, daß sich diese Reihe fortsetzen ließe, sie ist wohl unabschließbar, die Willkür setzt einen Schlußpunkt. Trotzdem, sicher auch bedingt durch einige Einwände gegen das von mir Vorgebrachte, die ich dort und da las oder hörte, habe ich mich weiter damit auseinandergesetzt. Besonders die oft vergnügliche, vom »epistemischen« Standpunkt natürlich nicht immer befriedigende Lektüre von Büchern Richard Rortys hat mich dazu bewogen, der Serie noch ein Stück hinzuzufügen.
Truth is what one’s peers, ceteris paribus, let one get away with saying.
Ich zitiere Richard Rorty hier auf englisch, weil ich mit der deutschen Übersetzung dieses Satzes in seinem Buch Der Spiegel der Natur meine Schwierigkeiten habe. Wie so oft ist eine wichtige Äußerung Rortys in Diskussion und Kritik, d. h. in ein verwickeltes Hin und Her verpackt. Indirekt versteht man im dort gegebenen Kontext, daß Rorty die Auffassung vertritt, Wahrheit sei nicht mehr als »gerechtfertigte Behauptbarkeit« (ein Ausdruck, den er von John Dewey übernimmt). Der Satz in Der Spiegel der Natur lautet so: »Wahrheit ist nicht mehr als der Umstand, daß unsere Mitmenschen eine Aussage – ceteris paribus – gelten lassen werden.« Ich würde ihn lieber so übersetzen, auch auf die Gefahr hin, daß ich den sprachlichen Ausdruck dabei verbessere: »Wahr sind solche Aussagen, die deine Gesprächspartner als wahr gelten lassen.« Peers sind natürlich die Fachkollegen, aber da Rorty in diesem Buch und auch sonst großen Wert auf das nicht abreißende Gespräch unter vernünftigen, gleichberechtigten Gesprächspartner legt und seine Aussagen gewöhnlich nicht nur auf den akademischen Kontext beschränkt wissen will, scheint mir dieses Wort für die Übersetzung besser zu passen. Verstünde man unter »peers« alle Mitmenschen oder die Mitbürger eines Landes, so wäre Wahrheit in jedem einzelnen Fall das Ergebnis eines Plebiszits, oder heutzutage: einer digitalen Ermittlung, sie würde durch ein Ranking gekürt. Wahr ist, was populär ist.
Was Rorty mit dem Einschub »ceteris paribus« meint, weiß ich allerdings nicht genau. Eine Variable unter Invariablen, vermutlich soll damit gesagt sein, daß die Gesprächspartner, obwohl sie eine Meinung teilen, die vorgebrachte, eventuell abweichende Meinung tolerieren und zumindest für interessant befinden. Sie lassen sie gelten, und das genügt Rorty, um sie als »wahr« zu bezeichnen. Ähnlich hatte sich übrigens Henry James geäußert, auf den sich Rorty häufig bezieht, um seinen eigenen skeptischen Pragmatismus zu entwickeln.
In einer solchen Konzeption erhält die Darstellung der wahren Sätze, gewissermaßen ihr Framing, um ein Modewort zu gebrauchen, große Bedeutung. Es kommt darauf an, seine eigene Stimme und – möglicherweise abweichende oder neue – Sicht der Dinge durchzusetzen, nicht unbedingt lautstark, denn Rorty zieht die vernünftige, freie, feinsinnige, respektvolle Diskussion grobschlächtiger Propaganda vor, aber fragen muß man sich doch, ob sich unter solchen Bedingungen nicht einfach der Stärkere oder Gewieftere durchsetzen wird. Rorty verwirft sämtliche Korrespondenztheorien der Wahrheit, und letztlich tendiert er dazu, auf diesen Begriff überhaupt verzichten zu wollen – wobei Wahrheit für ihn nicht nur theoretische, sondern auch Tatsachenwahrheit umfaßt, also die Annahme, daß es Gegebenheiten »dort draußen« gibt, die wir nicht ausschließlich nach unserer Willkür wahrnehmen, sondern aufgrund bestimmter allgemeinmenschlicher, zumindest transhistorischer, also langzeitig wirksamer, angeborener und durch Erziehung entfalteter Fähigkeiten. Wenn es keine Möglichkeit gibt, sich über die Tatsächlichkeit einer Tatsache unabhängig von den Bewertungen, die ihr verschiedene Seiten angedeihen lassen, zu einigen bzw. zu entscheiden, wessen Darstellung der Tatsache eher entspricht (z. B. bei Zeugenaussagen vor Gericht), dann wird auch das freieste und feinsinnigste Gespräch vollkommen beliebig, eine schöngeistige Übung ohne handfeste Wirkungen in der Praxis. Tatsächlich verlaufen Diskussionen ohnehin meist so, daß auf Tatsachen verwiesen und Gründe angeführt, Erklärungen bzw. Theorien angeboten werden. Ohne jegliche Korrespondenz mit der Wirklichkeit, mit »dem, was da draußen ist« (in Rortys Diktion), so unsicher und umstritten sie auch sein mag, wird langfristig gesehen auch die Konversation unmöglich, an der Rorty so viel lag (er ist 2007 verstorben).
Einige seiner peers haben sich unter dem Eindruck von Brexit, Donald Trump und politischen Manipulationen durch Social Media gefragt, ob Rorty mit seinem Relativismus solchen Bewegungen, die sich gewisser Methoden der Werbung bedienen und bewußte Falschdarstellungen nützen oder zumindest tolerieren, nicht vorgearbeitet habe. Kurz, daß sich in seinem über akademische Kreise hinaus einflußreichen Denken das sogenannte postfaktische Zeitalter, die post-truth-era, angekündigt habe. Rorty selbst machte sich Sorgen über Bedrohungen des freien Diskurses, die er heraufkommen sah, über das Schwinden von Freiheit, wie wir es paradoxerweise heute erleben. Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016, hinter der sich eine tiefgreifende, vor allem kommunikationstechnologisch bedingte Transformation von Politik jenseits herkömmlicher Einteilungen (links-rechts, republikanisch-demokratisch…) verbirgt, wurde nicht nur die Popgruppe R. E. M. oftmals zitiert (»it’s the end of the world…«), sondern auch, etwas weniger oft, jene Warnung, die Rorty 1998 aussprach. In seinem Buch Achieving Our Country beschrieb er ziemlich genau, was in den nächsten Jahren vor sich gehen und sich 2016 vollenden sollte. Scharen von Arbeitern, schrieb er, würden sich gegenüber den Bessergestellten benachteiligt sehen, die Mittelklasse ihrerseits von Abstiegsängsten erfaßt. Durch die Demokratische Partei sehen sie sich nicht vertreten, weil diese mitsamt ihren Experten und Rechtsanwälten, Bürokraten und »postmodernen Professoren« (Rorty nahm sich selbst mit ins Bild) sich um alle möglichen Minderheiten kümmern, nur nicht um das Gros der Wähler, d. h. um jene Leute und ihre Familien, die nach traditionellem Verständnis das Land in Schwung halten (oder zumindest bis vor kurzem hielten). »At that point something will crack«: sie werden sich hinter einen starken Mann stellen, die Minderheiten werden ihren Schutz einbüßen, Frauenfeindlichkeit und Rassismus werden wieder salonfähig.
Gewiß wünschte Rorty, diese Entwicklung könne doch noch vermieden werden. Daß genau seine »postmoderne« Art, Diskurse nur noch »spannend« und »interessant« zu finden, aber keinesfalls richtig oder falsch, zutreffend oder nicht, sich in den sogenannten Sozialen Medien festsetzen und eigentlich indiskutable Inhalte (»contents«) wie Falschmeldungen und Verschwörungstheorien viral verstärken würde, lag außerhalb des Bereichs seiner Ahnungen. Würde er Erfahrungstatsachen und der Suche nach Wahrheit heute doch wieder einen höheren Stellenwert einräumen? Schwer zu sagen. Verzweifeln darf ein Ironiker, der wie Ulrich im Mann ohne Eigenschaften Hypothesen immer nur ausprobiert, sich im realen Leben aber ungern für eine entscheidet – verzweifeln darf ein solcher Typus nicht.
© Leopold Federmair
Unter ceteris paribus würde ich Umstände verstehen wollen, die die Glaubwürdigkeit oder das Ernstgenommenwerden beeinträchtigen können. Wenn die Aussagen mündlich vorgetragen werden, hieße es etwa, dass der Aussagende immer gleich ausgeruht, gleich ansprechend gekleidet, rasiert usw. erscheinen sollte, damit aus Akzeptanz auf anders unerkennbare Wahrheit geschlossen werden kann, ohne dass gute/schlechte Performanz oder Tagesform den Reihentest verzerrt.
Rorty hat gewiss geahnt, dass sein sanfter Liberalismus keine Epoche beschreibt, sondern nur ein Randideal in gemäßigten Zeiten darstellt. Er irrt sich jedenfalls nicht darin, dass der Liberalismus mal gemächlich daherkommt, mal kämpferisch auftreten muss, je nachdem was die anderen beiden Fundamentalkräfte (Konservatismus, »Sozialismus«) so treiben.
Das Wahrheitsmodell der gerechtfertigten Behauptung erscheint zunächst unterkomplex, bzw. nur eingeschränkt gültig. Die damalige Engführung von Politischer Philosophie und Erkenntnistheorie würde man ja insbesondere heute wieder genauer aufschlüsseln. Aber der Pragmatismus kann das leisten, wenn man die Diskurse des Wissens, der geteilten Erfahrung und der politischen Meinung unterscheidet.
Die Vorhersage in »Achieving your Country« ist bemerkenswert. Rorty hat die Regression der Linken beobachtet, und prognostiziert die reaktionäre Antwort nach soziologischen Kriterien. Aber die Dysfunktionalität (des parlamentarischen Systems, der Öffentlichkeit) beschreibt er nicht besonders genau, wenn ich mich recht entsinne. Dann kann man natürlich nicht entscheiden, ob es sich nur um einen ÜBERFALL oder eine Vorhut eines künftigen Autoritarismus handelt. »Something will break!«, ist ein bisschen viel Kassandra. Klingt nach Spaltung ohne Ortsangabe, eben wie wir es schon allzu oft gehört haben.
Für jemand, der die Aufklärung für gescheitert ansieht, sinnen Sie doch ganz erheblich über ihre Probleme nach, Gregor Keuschnig. – Wollen sie das scheitern besser verstehen – oder doch noch einen weg aus der Krise suchen?
Nun.
Ich meine es sei wichtig zu verstehen, dass die Pointe Rortys die ist, dass er den hoch- und heiligen aufklärerischen Wahrheitsbegriff auf dem Altar der Postmoderne dem Zeitgeist zum Fraß darbringt. –
- Nach Rorty gibt es nicht mehr d i e Wahrheit, sondern nur noch Dinge, auf die man sich eben einigt oder nicht. – Sozusagen soziale (!) Wahrheiten (Plural). Liberal im klassischen Sinn ist diese Einstellung, weil sie einräumt, dass sie nie das letzte Wort behalten kann. In diesem Punkt sind sich die alten Freunde Rorty und Habermas übrigens wieder komplett einig – viele Habermas-Deuter ignorieren diese Übereinstimmung besonders mit Blick auf Habermas, weil sie den irrtümlich für einen Dogmatiker halten. Diese Übereinstimmung ist aber auch aus philosophischer Sicht überraschend – und die Herleitung dieser Übereinstmmung der beiden ausgrechnet im Licht von Rorty’s postmoderner philosophischer Wende ist wahrscheinlich nur noch ab Hauptseminarstufe zu packen – das ist ein kniffliches Problem. Ich meine übrigens, dass Habermas aus seiner Sicht u_n_d Rortys Sicht in diesem Pukt ganz zu recht zustimmt, obwohl er ihn zuvor in Bausch und Bogen verurteilt...wie gesagt, knifflich.
Die Überraschungs-Pointe von »Achieving our Country« ist im Rückblick zweifellos die, dass er den Irrweg der Identitätslinken kritisiert hat – und ihnen vor Trump quasi ins Stammbuch geschrieben hat, dass einer wie Trump kommen und die Leerstelle besetzen könnte, die sie durch ihre Ausrichtug auf gender-Fragen und micro-agressions und race-biasses usw. offengelassen haben. Als Trump 2016 gewählt war, wurde »Achieving Our Country« genau deshalb für eine kurze Zeit zum Verkaufshit. Mit Rortys Wahrheitssbegriff hat dieser Aspekt freilich gar nichts zu tun. Das war einfach eine gute soziologische Prophetie.
Als guter Prophet sitzt Richard Rorty nun in einem Boot mit z. B. David Goodhart und dessen Buch The Road to Somewhere oder mit dem US-Blogger Steve Sailer. Denn wie Goodhart und Steve Sailer sah Richard Rorty, dass die Identitäslinke sich abkoppelt von den eher sesshaften (=den somewheres bei Goodhart), also von den normalen Leuten (regulars) und lieber im globalen überall der NGOs und mitten im Strom der Massenmigration ihre Zelte aufschlägt.
Ähnliches hat auch Enzensberger bemerkt in »Versuche über den Unfrieden« – und – vor Jahrzehnten schon, HP Piwitt (cf. Boccherini und andere Bürgerpflichten) sowie Peter Schneider (Rebellion und Wahn). Aber auch – horriblile dictu – Thilo Sarrazin.
Der Kernsatz bei Enzensberger lautete, es würde sich die Tendenz abzeichnen, dass man die Normalos diskriminieren würde. –
Das zielt alles ungefähr in dieselbe Richtung.
Irre war, dass Jürgen Habermas »Achieving Our Country« in den höchsten Tönen lobte, aber die Kritik der Identitätslinken dann bald einmal komplett einstellte. Hillary Clinton dürfte nicht zuletzt die vollkommen enthemmte Feier der Identitäslinken die Wahl gekostet haben. Sie wollte aber nicht hören – genauso wie Habermas. Zwei der prominenten US-Linken, die Hillary’s »Basket of Deplorables« im Nachhinein immerhin als säkulares Eigentor anerkannt haben, sind der Rolling Stone Politschreiber Matt Taibbi und der Podacst-Macher Joe Rogan.
Habermas lehnte Rorty’s Preisgabe des philosophischen Wahrheitsbegriffs jedenfalls ab. Hier zog er den dicken Trennungsstrich zu Rorty. –
PS wg. ceteris paribus
Ceteris paribus heißt einfach – wenn das Übrige gleich bleibt, holio. Also Rortys ceteris paribus Bemerkung bedeutet, wenn die Umstände sich ändern, kann man auch wieder getrennter Meinung sein in einem Punkt, auch wenn man sich über den zuvor geeinigt hatte. Die Wahrheit war demnach nicht nur sozial verflüssigt worden von Rorty, sondern sozusagen auch noch zeitlich (oder situativ).
Herr Kief, nur soviel: Der Text ist nicht von mir, sondern von Leopold Federmair.
Sachlich womöglich später mehr.
Ah, ok. Dann ist meine Bemerkung über Ihre Verabschiedung der Aufklärung hier natürlich fehl am Platze.
Politisch gesehen, hat die Linke sich in weiten Teilen als Identitätslinke mit dem Liberalismus ausgesöhnt, genauer: sich ihm als globalem Ordnungssystem angeschlossen, sie bekam dafür eine Spielwiese und leistet ihren Anteil am Erhalt des Kapitalismus’ (divide et impera). Die Aufgabe des Wahrheitsbegriffs spiegelt sich auf der Ebene des Individuums: Es ist frei durch einen Bezug auf Gesetz, auf Wahrheit und Verbindlichkeit, nicht durch das, was heute als Flexibilität angepriesen wird. Wo nichts mehr ist, das Halt gibt, irrt man herum, in der Nacht, im Sumpf, im Treibsand. Ich denke, dass diese Bodenlosigkeit im Liberalismus schon angelegt ist und dass diese mit seinem Erfolg und seiner Verbreitung gewachsen ist, dass sie ein Herrschaftsmoment bedeutet und letztlich auf Systemdienst und ‑erhaltung hinausläuft, auf eine rationale Erfüllungslogik, die, weil einseitig rational, auch beliebig ist (dass der Wahrheitsbegriff erodiert und sich Kapitalismus wie Liberalismus weltweit verbreitet haben, ist kein Zufall; dazu kommt noch, dass die Virtualität des Netzes und die Bildschirmwelt dem Vorschub leisten). Trump, der nicht immer Republikaner war, ist davon in vielerlei Hinsicht geprägt, was Auftreten, Charakter, Umgang mit Tatsachen, usw., betrifft, er betreibt etwas wie eine systemimanannte Opposition.
Man kann reaktionär am Verbindlichen und dem Wahrheitsbegriff festhalten, aber inwieweit das vor irgendwelchen Auswirkungen schützt und nicht die Verzweiflung noch verstärkt, sei dahin gestellt...
@ metepsilonema
Daß Bodenlosigkeit, Haltlosigkeit etc. im Liberalismus angelegt sind, denke ich auch, und daß der Erfolg das verstärkt. Nur: Von Erfolg kann heute nicht mehr so ohne weiteres die Rede sein, der Liberalismus ist in eine systemische, vielleicht existentielle Krise geraten, sozial und wirtschaftlich, aber auch die sogenannte Liberale Demokratie, sie ist inzwischen ein Trümmerhaufen, wenn man nach USA sieht, oder in andere Staaten wie – ich würde nicht nur Brasilien nennen, sondern auch Italien, z. B. Ob der Liberalismus diese Krise überwinden kann – ich wage es zu bezweifeln und fürchte, daß nichts Besseres nachkommt, sondern Schlechteres, Rechtsextremismus etc., ist eh alles kein Geheimnis. Und an diesem Punkt fragen durch die Aufklärung geprägte Menschen wie ich: Was tun? Kann man dieser Dynamik irgendetwas entgegenhalten? Sophie, die Kalte, meint nein, Aufklärung ade. Ich versuche, daran festzuhalten und aufklärerische Werte den gegenwärtigen Bedingungen (Kommunikationstechnologien etc.) anzupassen, auf Bildung zu bestehen (wie übrigens auch Rorty, Bildung war sein Zauberwort) usw. Nimmt man die Praktiken der Rechtssprechung, so wird bis heute nirgendwo auf »Korrespondenz« zwischen sprachlichem Ausdruck und Tatsachen verzichtet. Jeder einzelne Bericht von einer Gerichtsverhandlung wird das bestätigen. Das ist auch der Grund, weshalb sich Rechtspopulisten oft gegen normale Rechtssprechung sträuben bzw. sie zu umgehen suchen.
Es ist ganz richtig, dass wir uns oft darauf verlassen, dass die Sprache funktioniert und wirkliche Dinge korrekt benennt. Ihr Gerichtsbeispiel, lieber Leopold Federmair, ist aber tricky, weil die Menschen gerade vor Gericht unterschiedlicher Ansicht darüber sind, wer nun die Situation richtig beschreibt. Die Sozialpsychologie hat dazu einiges Interessante zu sagen. Nicht zulettzt über den (nicht seltenen) Fall der Selbsttäuschung von Sprechern vor Gericht darüber, was nun wirklich geschehen ist, und was nicht. (Kleist hat das vorweggenommen, natürlich; so ist das manchmal mit genialen Leuten).
Bis hierhin drehen Sie sich zudem im Kreis, weil Richard Rorty Ihrem Gerichtsbeispiel zustimmen würde, wie ich vermute. – Unbeschadet seiner pphilosophischen Position, dass sich der Begriff der Wahrheit erledigt habe. – Frappierend ist natürlich, dass Trump auch in dieser Hinsicht sehr nahe bei Rorty ist – indem er nämlich die Wahrheit als das behandelt, womit er bei seinen Wählerinnen und Wählern durchkommt.
PS
Habermas hätte etwas der Art ironisch (oder sarkastisch) gegen Rortys Position einwenden können, hat er aber meines Wissens nie getan.
Dank Ralph Stenzel, der gestern Nacht noch die Unbillen der WordPress-Updates korrigiert hat, kann man wieder kommentieren und die anderen Kommentare sehen. Erst einmal Dank an ihn.
Zum Thema: Rortys Überlegungen erinnern mich an John Stuart Mill aus dem 19. Jahrhundert. Der hatte in seiner Schrift »On Liberty« (»Über die Freiheit«) geschrieben:
»Wenn die ganze Menschheit eine übereinstimmende Meinung verträte, und nur eine Person wäre vom Gegenteil überzeugt, so hätte die Menschheit nicht mehr Recht, den Einen zum Schweigen zu bringen, als er, wenn ihm die Macht dazu zustände, das Recht hätte, der ganzen Menschheit den Mund zu verbieten.«
Weiter heißt es (auch interessant um die Diskussion der sogenannten »Cancel Culture«):
»Aber das eigentliche Übel, wenn man eine Meinung zum Schweigen bringt, besteht darin, daß es ein Raub an der Menschheit ist, an der künftigen und an der, die jetzt lebt, und zwar noch mehr an den Menschen, die von der Meinung abweichen, als an denen, die sich zu ihr bekennen. Wenn die Meinung, um die es sich handelt, richtig ist, so sind sie um die Gelegenheit gebracht, einen Irrtum für die Wahrheit einzutauschen; war sie aber falsch, so kommen die Menschen um das, was eine fast ebenso große Wohltat ist, um den lebhaften Eindruck von der Wahrheit, der aus der Kollision von Wahrheit und Irrtum entspringt.«
Und:
»Wir können niemals sicher sein, daß die Meinung, die wir zu unterdrücken suchen, falsch ist; aber selbst, wenn wir diese Sicherheit hätten, dann wäre Unterdrückung noch immer ein Übel.«
Ich interpretiere das derart, dass, sobald es nur einen Menschen gibt, der eine gegenteilige Meinung zu einem Vorgang hat, dieser Sachverhalt nicht mehr eindeutig, d. h. »die Wahrheit« ist.
»Wahrheit« wäre somit eine soziale Übereinkunft; eine Art Mehrheitsentscheidung (etwas, was Mill im übrigen ablehnt; berühmt ist ja sein Spruch von der »Tyrannei der Mehrheit«, der sich auch in der zitierten Schrift findet). Selbst in der Naturwissenschaft weiß man seit Popper, dass sie in manchen Disziplinen nur vorläufig ist. Aber 2 + 2 bleibt eigentlich immer 4. Die Frage ist also, welche »Wahrheiten« absolut sind und welche nicht.
Wir erleben derzeit – und nicht nur aus den rechtspopulistischen Kreisen, sondern auch innerhalb einer sich links gegebenden Identitätspolitik eine Erodierung dessen, was man einst »Wahrheit«, heute »Fakten« nennt. Trumps Rede von den »alternativen Fakten« ist nicht beschränkt auf Figuren wie ihn. Längst erhalten wir Imperative, beispielsweise wie Kunstwerke zu bewerten und Philosophen oder Schriftsteller neu einzuordnen sind.
Immerhin scheint es so, dass man von der zwischenzeitlich überall zu hörenden Leugnung, dass es überhaupt eine Wahrheit gebe, abgerückt ist. Fast scheint das Gegenteil zu stimmen: Es gibt mehrere Wahrheiten, die in einem ideologischen Kulturkampf gegeneinander stehen. Dabei ist nicht klar, wie das ausgeht.
Man müsste einen Ankreuz-Zettel herumreichen, wo jeder seine Position zum gegenwärtigen Stand der Aufklärung eintragen kann.
Die Aufklärung ist (x) am Ende, (x) ein unendlicher Prozess, (x) ein wirksamer Faktor in der europäischen Geschichte, (x) ein Steckenpferd von Intellektuellen, (x) die einzige Methode für gesellschaftlichen Fortschritt, sprich neutrale Politik, etc.
@ mete Dass der Liberalismus den Wahrheitsbegriff erodiert, finde ich sehr verwirrend. Wie das denn?! Es gibt Geltungsansprüche einer subjektiven Gewissheit, die man sehr wohl äußern darf, aber nicht objektiv darlegen kann (Habermas). Das ist ja gerade der wunderbar subversive Trick der Woke-Aktivisten: You will never know, how it feels, being black! You have to shut up and listen! – Da kann man im Prinzip nichts darauf antworten, weil die subjektive Gewissheit zum Sprecher-Privileg umgemünzt wird, ganz undemokratisch...
Überhaupt, sagt uns doch die westliche Verfassungslehre etwas über die Ziele und günstigen Lebensbedingungen des Menschen (anthropos), und behauptet keine Regierung mit Mitteln der »Wahrheit« zu sein.
Rorty zielt in dem Beispiel mit den Peers ja nicht auf einen umfassenden Wahrheitsbegriff, der mindestens vier Kategorien umfasst, sondern nur auf jene seltsame Äquivalenz zwischen dem akademischen Wahr-Sprechen und dem demokratischen Diskurs unter Gleichgesinnten. Diese Ähnlichkeit hat sich mittlerweile ins bittere Gegenteil von Ironie verkehrt, wenn in Echokammern praktisch jede Niedertracht Anerkennung findet sofern sie nur den gemeinsamen Zielen untergeordnet ist. Aus den Peers wurden Gangster...
Aber ist das Rortys Schuld, wenn die Groben und Gemeinen Politik machen, bzw. hätte er den Unterschied zwischen Hoch und Niedrig noch besser herausstreichen müssen?!
Danke für die Kommentarfunktionsreparatur an Gregor Keuschnig und Ralph Stenzel!
die_kalte_Sophie
Es führt kein Weg daran vorbei, Richard Rorty hat dem postmodernen Relativismus das Wort geredet. – Eine von Rortys Pointen ist aber, dass er sagt: Bedenkt, was ihr im identitätspolitischen Modus für weltfremde Leute geworden seid – Und dann droht er gleichsam mit einem zukünftigen »Trump«. – Er sagt damit auch, man kann sich zu Tode siegen auf dem identitäspolitischen Feld, aber wenn die andere Seite bereit ist ernst zu machen, hat man ausgelacht.
Gregor Keuschnig, was Sie über Mill sagen stimmt ja, er verteidigt die Meinungsfreiheit. Aber dann machen Sie eine Mill-Deutung und schließen, dass richtig verstande Meinungsfreiheit d_i_e Wahrheit zum verschwinden bringen müsste oder halt gut postmodernistisch auflösen in ein Multiversum der Wahrheiten. Dieser Schluss ist in der Tat schon oft vorgegtragen worden. Aber zwingend ist er nicht. Und notwendig ist er auch nicht.
An der Stelle kommt es auf die Begründung an. – Mit Mill muss man daher nicht die Wahrheit preisgeben, aber man soll über die richtigen Gründe für eine erkannte/oder behauptete Wahrheit streiten dürfen! – Das ist im Übrigen Ur-aufklärerisch. – Und das ist der Grund, weshalb ein ziemlich bedeutender Sozialpschologe und Zeitdeuter wie Jonathan Haidt sich auf Mill beruft für seine Heterodox-Academy. Also für seine nunmehr über 1500 Mitlgieder umfassende Akademikervereinigung, die sich diese Freiheit der Debatte und (!) die Verpflichtung auf die Wahrheit – wie ich finde: Völlig zu recht – auf die Fahnen geschrieben hat.
Das gleiche gilt – im kleineren Maßstab – für den Briten Toby Young und seine Free Speech Union.
Das sind wirkliche Aufklärer, nicht angekränkelt von des Gedankens Blässe und des Elfenbeinturms einengender Kuscheligkeit.
Naja, »Meinungsfreiheit« hat nichts mit Fakten oder, hochgestochen, »Wahrheit« zu tun. Ich kann durchaus der Meinung sein, der Regen fällt von unten nach oben und nicht von oben nach unten. Aber was sagt das über den Regen aus?
Ich glaube, es geht Mill um mehr als Meinungsfreiheit – es geht darum, dass Meinungen oder Urteile immer gleichberechtigt stehen sollen, unabhängig von evtl. faktischer Überprüfung. Dass damit »die« Wahrheit sozusagen nicht mehr relevant ist, sagt er – sofern ich es richtig verstanden habe – auch nicht. Er tritt eben nur dafür ein, dass jede »Meinung« stets die gleiche Relevanz haben soll.
Man kommt dann schnell zum Holocaust-Leugner (um das größte Geschütz aufzufahren). Nach Mill wäre damit der reine Sachverhalt mindestens fraglich, weil es immer ein paar (Deppen) gibt, die dagegen sind. Das kann man für liberal oder postmodern oder sonstwie halten. Aber es verunmöglicht eben jeglichen Diskurs. Wenn man, um Poppers Bild mit dem schwarzen Schwan aufzunehmen, jeden Tag aufs Neue beweisen muss, dass es schwarze Schwäne gibt, wird es irgendwann nicht nur ermüdend, sondern absurd.
Zu Mill: Nur das letzte Zitat ist ein bisschen erklärungsbedürftig, alles andere spricht für sich.
Der Begriff der Unterdrückung berührt natürlich die Machtverhältnisse, also die Frage, was darf gesagt werden und was nicht; was wird gelobt und gefördert, was nicht. Als Ersatz für die alten peinsamen Strafen der Züchtigung entdeckt unser Zeitalter ja gerade die körperlosen Methoden, die auch ein Nachtschatten-Liberaler wie Habermas durchaus im Schilde mitzuführen wusste: Üble Nachrede, Polemik, sozialer Ruin bei den Peers, etc.
Aber im Ernst: es gibt so viele Meinungen, die in der Schwebe bleiben können, etwa unsere Vorurteile über andere Nationen, das andere Geschlecht, den Lauf der Sonne und die Herkunft der Kondensstreifen, etc. Aber einige Meinungen sind systemrelevant, angefangen vom Holocaust, über Sinn und Unfug von Zensur, bis zum Klimawandel und der Seuchenschutzpolitik. Da kann man nur noch die Äußerung erlauben (Holocaust in Deutschland ausgenommen), aber nicht mehr die Gleichberechtigung in einem Kosmos der relativen Wahrheiten, als Basis für eine noch unklare aber dann hoffentlich »konsensuelle künftige Politik«...
Pinker, Haidt und all die neuen Aufklärer machen sich ja über die Relativisten lustig, die außerhalb der Seminarsveranstaltung »nicht eine Sekunde lang« an ihre eigene Epistemologie glauben, sobald sie am Straßenverkehr, an den Wahlen, oder an Gehaltsverhandlungen teilnehmen. Lichtschalter, Lieferservice, Daten-Backup, Alkohol und der Kater danach..., wird alles akzeptiert. Das sind komplett normale Leute, außer man fragt sie nach ihrer »Meinung«...
die_kalte_Sophie
Da kann man nur noch die Äußerung erlauben (Holocaust in Deutschland ausgenommen), aber nicht mehr die Gleichberechtigung in einem Kosmos der relativen Wahrheiten, als Basis für eine noch unklare aber dann hoffentlich »konsensuelle künftige Politik«...
Das ist genau der Punkt. Was, wenn sich die Parameter der »Gleichberechtigung« verschieben? Was, wenn plötzlich »bestimmt« wird, dass man sch als Weißer nicht zu »Rassenthemen« äußern darf? Wer bestimmt das? Mills Ansatz ist schön und gut, aber wie man damit 160 Jahre später eine Diskussion mit sozialen Medien führt – das sagt er nicht.
@Leopold Federmair
Ich sehe diese Krise nicht, jedenfalls nicht dergestalt, dass irgendwo eine Alternative sichtbar wird, im Gegenteil die liberale Weltordnung ist unausgesprochener Konsens, unbemerkt Geteiltes, auch bei den allermeisten, die sich als deren Gegner bezeichnen. Treffen wir einmal die Unterscheidung in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Liberalismus, dann wird das augenfällig: Welche politische Kräfte gehen denn glaubhaft gegen beide Spielarten vor? Welchen diskursiven oder vorpolitischen Raum haben sie erobert? Welche Alternativen verwirklicht?
Die Krise der politische Systeme Italiens oder der USA ist keineswegs neu; repräsentative Demokratien sind immer Einfallstore von Interessen, die von (Macht)eliten kommen, boshaft gesprochen: Sie ist deren Lieblingssystem.
Bildung ist hoch im Kurs, realiter und institutionell längst korrumpiert (Stichwort: »Kompetenz«). Bildung kann es nur als tradiertes, ideelles Ethos geben. Diese Verbindlichkeit ist dahin und damit lässt sich feststellen, dass Liberalismus nur sinnvoll möglich ist, wenn im Untergrund Verbindlichkeiten weiter existieren, quasi mythisch wirksam bleiben.
@Gregor
Gegen Mill möchte ich einwenden, dass das Menschheitsargument obsolet ist, bzw. es dazu verführt, dass man rasch in einen moralischen Abstraktismus verfällt, heute überall zu bemerken (Stichwort: »Menschenfeindlichkeit«). Wenn man Meinung als von der Emotion bestimmten Sachverhalt versteht, sie über diese also dem sich äußerndem Individuum verbunden ist, dann liegt nahe, dass sie geschützt werden muss, wenn das Individuum schützenswert ist, eine Meinung haben zu können, bedeutet als Individuum kenntlich werden zu können. Daraus ergibt sich auch der Konfliktfall. Was Mill zu Wohltat und Kollision sagt, gilt natürlich.
@die_kalte_Sophie
Spezifizieren wir einmal: Es geht uns hier um einen Wahrheitsbegriff der diskursleitend ist, um eine Art objektiven Orientierungspunkt jenseits der Subjekte (nicht um Naturwissenschaft, nicht um Technik, nicht um Medizin, aber um »Sprachräume«, wobei auch die genannten Disziplinen hinsichtlich ihrer Wahrheitsbegriffe in Frage gestellt wurden). Und diese orientierende Verbindlichkeit kann sich auflösen, dass unsere Sätze über die Welt wahr sein können, ist eine Annahme, die man nicht teilen muss (Sprache ist da, um missverstanden zu werden, ist ein Bonmont, das in eine vergleichbare Richtung zielt). Schaltet man diesen Wahrheitsbegriff aus, dann lassen sich politische Diskurse moralisch ordnen und unausgesprochene Selbstverständlichkeiten finden leichter ihre Adressaten. Es wird – siehe Mill – das Meinen anderer beschränkt. Das ist politisch. Es geht sogar um etwas, das davor liegt, nämlich um den Raum in dem sich Diskurse aufspannen können, um das was gesagt werden kann bzw. darf (vgl. G.K.).
@ Gregor Keuschnig – Mills Ansatz ist jedenfalls höchst praktikabel. Das beweisen Jonathan Haidt und dessen in ziemlich feindseliger Umgebung florierende Heterodox Academy und Toby Youngs Free speech Union und Claire Lehmann mit Quillette etc. pp.
Ich sage es nochmal: Der Nachteil der aufklärerischen Verve ist, dass sie die Eckensteher und ewigen Lamentierer ein wenig alt aussehen lässt. – Mit dem von der kalten_Sophie angesprochenen Steven Pinker zu reden: »Enlightenment Now!«
Ich könnte auch Johann Benjamin Erhard, einen meiner Lieblings-Philosophen, zitieren: »Aufkläung ist das Ziel der Menschheit, das sie erreichen kann und (...) erreichen wird.« Am wichtisten sei, dass man seine Erkenntnissse klar und deutlich vortrage, ohne künstliche Bescheidenheit und – sofern konstitutionell möglich, hehe, – ohne »trotzige Vermessenheit«.
Erhard war übrigens ein Gegner der Fichteschen Ich-lehre. Er sah sogar, dass Fichtes Top-Checker-Ich ins – ausdrücklich: »Indische« (!) so Erhard – spekulative Abseits führen müsste. – – - Es immer die gleiche Geschichte: Selbstbezüglichkeit, Idealismus, Ich-Zentriertheit, falscher Exotismus – vs. Erfahurngsbasiertheit, Vernunft, Rationalität, Realität, Meinungsfreiheit, Fehlertoleranz (man müsste mal gucken, was Popper eigentlich so gelesen hat) und Distanz. – Das ist heute der ex-Preisboxer Joe Rogan, der sich mit Jimi Hendrix als Hausheiligem ausdrücklich für die Erfahrung stark macht, und der Therapeut Jordan Peterson und der Sozialpsychologe Jonathan Haidt gegen ‑BLM, S(outhern) P(overty)L(aw)C(enter), die NYT und die WaPo und ihre deutschen und österreichischen und schweizerischen usw. Ablegerinnen und Ableger. Sowie gegen die allenthalben aufschie0ßenden kleinen Zensurierer auch hierzulande.
PS
Die_kalte_Sopie – was ist denn nun mit dem philosophischen Problem der Wahrheit? – Wie es aussieht wollen Sie es nicht der Herrschaftskritik opfern. Was aber dann? – Ich finde, Sie sind oben ein bisschen vage, was das betrifft. Metepsilonema, Sie haben soviel als wahrhetsfähig erkoren, dass mir ein wenig der Blick verschwimmt.
@Dieter Kief
Mills Ansatz ist m. E. überhaupt nicht praktikabel und die beiden Herren, die Sie aufführen, kenne ich nicht. Statt Ihres wieder einmal exzessiven »Namedroppings« würde ich es eher begrüssen, mir zu erklären worin die Praktikabilität in der alltäglichen Praxis bestehen soll. Es sei denn, man hält bspw. Twitter für ein irgendwie praktikables Medium.
John Stewart Mills enorme Praktikabilität hat in Jonathan Haidt einen gelehrten und weitherum angesehen sozialpsychologischen Fürsprecher gefunden, Gregor Keuschnig. Deshalb hier ein Vortrag von Jonathan Haidt, der die aktuelle Lage der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit im Alten Westen ab 9:40 min. zusammenfasst.
http://newpaltz.mediasite.suny.edu/Mediasite/Play/2f4aad7b42e14e429566b21abdfc1f6c1d
Haidts Hauptpunkt ist die institutionalisierte Nicht-Übereinstimmung – also das, was man wissenschaftliche Freiheit (zum Widerspruch = zur Kritik (Kant)) nennt. Es hält das für die wichtigste Voraussetzung, um John Stewart Mills Wahrheitsideal erfüllen zu können.
Ein Grund ist (ab Minute 30:00 im verlinkten Video), dass Menschen – sozialpsychologisch gut belegt, – die Tendenz haben, an ihrer Sicht der Dinge festzuhalten und immer mehr Gründe dafür zu finden, egal ob sie sachlich recht haben oder nicht. Das gilt laut Haidt in noch stärkerem Maße dann, wenn gelehrte Köpfe Positionen vertreten, die (politisch) opportun sind. Der Kern ist aber: Menschen (und Wisssenschaftler unterscheiden sich da eben nicht von Hinz und Kunz, sozusagen) neigen dazu, eine Position umso mehr zu verteidigen, je mehr sie darüber wissen. Die Gelehrsamkeit kann also irren, auch auf höchstem Niveau, und dagegen gibt es nur ein probates und praktikables Mitttel, so Haidt, und das ist es eben, den universitären Widerspruch zu pflegen. Deswegen ist der Lebensnerv der Universität die Lizenz zur Kritik (institutionalised discomformation nennt Haidt das).
Die Vorteile der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit bestehen also darin, dass sie die einzige Versicherung dagegen sind, dass sich unsere Öffentlichkeit – u. a. angeführt von den angesehensten Forschern, über wissenschatfliche Sachverhalte täuscht. Dies ist, das zeigt Haidt in seinem Buch »The Righteous Mind«, keine theoretische, sondern eine enorm praktische Einsicht. Er gibt in der Tat Beispiele zuhauf dafür, wie sehr sich die Wissenschaft auch in unseren Tagen geirrt hat, weil sie sich der kritischen Prüfung nicht hinreichend unterzog. Haidts Forschungsansatz ist deswegen so wichtig, weil er sehr gute Beispiele dafür hat, dass selbst die höchste wissenschaftlliche Expertise nicht davor schützt, sich zu irren. Auch der höchste wwissenschaftliche Status schütz nicht vor wissenschaftlchem Irrtum. Also davor, der Wahrheit einen Tort zu tun und das Falsche zu propagieren. Die einzige Versicherung dagegen ist, dass man den sozialen Raum (gerade auch an Universitäten) frei hält für den Widerspruch und so die Voraussetzung dafür schafft, dass sich Widerspruch zu einer These x formiert und sich durch (wissenschaftlich) gerechtfertiges, methodisch korrektes Vorgehen Gehör verschaffen kann. Das aber ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein komplexes und schützenswertes soziales Gut (früher hätte man vielleicht gesagt: eine zivilisatorissche Errungenschaft). Dieses soziale Gut ist zudem empfinddlich. D. h., im Grunde muss sich jede Generation dieses soziale Gut neu aneignen, da es sonst nicht überlebt.
Das ist klassische Liberalität gepaart mit institutionalisierter Bereitschaft zum (qualifizierten) Widerspruch. Haidts sehr griffige Formel ist die da: Funktionierende Wissenschaft ist darauf angewiesen, dass die Freiheit zum Widerspruch institutionell geschützt (gepflegt wird) – denn der ist das eigentliche wissenschaftliche Organon der Wahrheit.
PS
Ich meine, die einfachste Fassung dieses Problems stamme von Goethe und sei in seiner Schrift »Über den Granit« zu finden. Apropos – nur noch zwei Wochen bis zu dessen 271. Geburtstag.
Eine Langfassung dieses Gedankens findet sich bei Karl Popper, eine andere wie gesagt bei Jonathan Haidt in seinem Buch »The Righteous Mind« – meine Übersetzung wäre übrigens: Die Selbstgewissen. bei amazon finden sich einige sehr einlässliche Rezensionen dieses Buches:
https://www.amazon.de/Righteous-Mind-Divided-Politics-Religion/dp/0141039167/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=Jonathan+haidt&qid=1597391079&sr=8–1
Steve Sailer hat ebenfalls Interessantes zu sagen über Haidts »Selbstgewisse« – nicht zuletzt mit Blick auf die Inkonsistenz des linken Diskurses in der Anglosphere:
https://www.takimag.com/article/the_self_righteous_hive_mind_steve_sailer/
Schade, dass ich keinen deutschen Verlag habe, hehe – man »kann nicht immer alles haben« (Jagger/Richards).
Danke für Ihre Erläuterungen. »Praktibel« mag eine solche generöse Zulassung in den geisteswissenschaftlichen Fächern im universitären Feld durchaus sein. Aber schon in dem, was man geschichtliche Forschung nennt, wird es schwierig. Daher fragte ich von der Praktikabilität im Alltag. Und komme dann sofort mit dem ultimativen Elefanten der Holocaust-Leugnung. Sehen wir einmal von der Strafbewährtheit in Deutschland ab (die es meines Wissens in den USA nicht gibt): Nach Mill müsste die Meinung der Holocaust-Leugnung gleichberechtigt mit der historischen Forschung darüber stehen.
Ich sehe ein, dass das ein Extrembeispiel ist und das gerade die Geschichte, die zumeist von »Siegern« geschrieben wird, bisweilen irgendwann erstaunliche Revisionen erfährt. Aber die Frage ist, ob die Absolutheit, die Mill da postuliert, einer vergangenen Zeit angehört (wie @metepsilonema das andeutet).
»Die Vorteile der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit bestehen also darin, dass sie die einzige Versicherung dagegen sind, dass sich unsere Öffentlichkeit – u. a. angeführt von den angesehensten Forschern, über wissenschaftliche Sachverhalte täuscht.«
Wie wahr!
Die Meinungs- und Forschungsfreiheit haben eine Korrekturfunktion gegen die Irrtümer von allen, die sich auf das Erkenntnisvermögen aller Teilnehmer stützt. Das Kritikvermögen dabei ist nicht die »best verteilte Sache der Welt«, aber sie ist qualitätstreu. Heißt: die Kritik wird sich je nach Güte der Begründung behaupten und langfristig durchsetzen. Dialektik und Perspektivenwechsel (Eben kein Relativismus!!) sind erwünscht, und ganz ohne methodische Empirie geht es nicht. Dass sich ausgerechnet methodisch schwach aufgestellte Fächer gerne mit Herrschaftsmitteln ausstatten, um natürliche Legitimationsdefizite auszugleichen, ist inzwischen ein Treppenwitz.
Der wissenschaftliche Fortschritt ist arbeitsintensiv und voraussetzungsreich. Pinker, Haidt, Sapolsky haben begonnen, das defizitäre (betreuungsbedürftige) Menschenbild in der Evolutionsbiologie und Sozialpychologie auszuräumen. Sie machen in ihren Fachbereichen den »Job von Philosophen«. Frei nach Jordan Peterson: Räum’ erst mal Dein Zimmer auf! – Überträgt man diese Hausmeister-Aufgabe direkt auf die Philosophie, erkennt man wieder einmal die Rand-Stellung dieser Disziplin. Ich gehöre nicht zur Zunft, also lasse ich die Antwort hier offen. Eine Kontrollfunktion der »Unteren Fakultäten« (Kant) über die anderen (weitaus besser gesicherten) Disziplinen scheint jedenfalls schon auf den ersten Blick verkehrt.
@ metepsilonema
Eine gangbare Alternative sehe ich auch nicht, wohl aber eine tiefe Krise, die in allen Ländern zum Tragen kommt. Demokratie hat ausgedient, wenn sie sich nicht mehr auf vernunftgeleitete Gespräche (inkl. Streitgespräche, versteht sich), auf Erkenntniswillen und ernsthafte Problemlösungsabsicht stützt. Wahlkampagnen sind Werbekampagnen, die wichtigsten Medien digital, sogenannte Soziale Medien, Journalismus im herkömmlichen spielt eine immer kleinere Rolle, ist zu Teilen ebenfalls heruntergekommen. Nur unter solchen Bedingungen kommen Leute wie Trump ans Steuer: jemand, der erklärtermaßen kein Problem mit Lügen hat, wenn sie ihm nützen (so ähnlich würde ich übrigens »Populismus« definieren, ein Begriff, über den in diesem Blog einmal viel diskutiert wurde, Sie werden sich erinnern).
»Theorie der Unbildung« ist der Titel eines Buchs von Konrad Paul Liessmann, schon vor 10 oder 15 Jahren erschienen. Mit Bildung meine ich (wie Liessmann) nicht die sog. Kompetenzen. Und wie Liessmann denke ich, daß die PISA-Testhysterie überhaupt nichts zur Verbesserung der Situation beiträgt. Die Lippenbekenntnisse von »Bildungspolitikern« meinen in der Regel nicht Bildung (wiederum: im herkömmlichen, humanistischen Sinn), sondern Anwendungstechniken von Wissen ohne Bewußtseinsbildung. Die lückenlose Verbreitung des Internets und, insbesondere, von Smartphones trägt de facto wenig zur Bildung bei; wenn junge Leute auf irgendein Wissensgebiet zu sprechen kommen, zücken sie ihr Allzweckgerät und »googeln« – Erkenntnis bedeutet für sie nichts anderes als googeln. Sie haben die entsprechende Kompetenz und finden irgendeine Information, deren Qualität sie in der Regel nicht bewerten können. Eigentlich können sie nicht einmal richtig googeln, es ist ihnen nicht bewußt, daß hier Suchmaschinen am Werk sind und was das bedeutet. Natürlich vergessen sie das angeklickte Wissen sofort wieder. Ich habe tagtäglich mit Studenten zu tun. Daher weiß ich, daß Studenten keine Bücher lesen. Wer sonst in den jüngeren Generationen sollte Bücher lesen?
Wie aber soll Bildung ohne Bücher möglich sein?
Und wie Demokratie ohne Bildung?
Eigentlich geht Demokratie davon aus, dass sich aufgrund der schieren Masse, die über politische Vorgänge abstimmt, die Extreme nicht durchsetzen werden. Die Annahme ist, dass, je mehr Leute wählen oder abstimmen, die Extremismusbreite praktisch keine Rolle spielt. Das Problem vor allen Dingen von präsidialen Demokratiemodellen ist die Fokussierung auf zwei Kandidaten. 2016 gab es Trump oder Clinton, 2020 heißt die Wahl Trump oder Biden. Was, wenn beispielsweise 20 oder 25% der Wähler weder den einen noch den anderen Kandidaten wollen? Theoretisch haben sie noch andere Wahlmöglichkeiten (in den USA), aber die Stimmen sind praktisch weggeworfen. Sie bleiben also meist zu Hause (was in den USA leicht möglich ist, weil das Wählen an sich Aufwand bedeutet), was am Ende dem Sieger hefen dürfte. Verhältniswahl-gestützte Demokratien sind durch ihren Hang, Kompromisse einzugehen, stabiler, obwohl das zunächst paradox klingt. Die Polarisierung findet nicht statt.
Wobei Polarisierung per se nicht schlecht ist. Aber wenn es keine Kompromisslinien mehr gibt, wird eine Seite immer verlieren, und diese Verliererseite können dann 49% sein.
Das Problem ist weniger der Populismus, als die institutionelle Bändigung populistischer »Alleinherrscher«, die mit 51% regieren können. Das gilt für die USA, aber auch Brasilien, GB, in Grenzen auch Italien. Ich war früher ein Verfechter des Mehrheitswahlrechts, aber ich beginne, zu zweifeln. Langfristig sind Verhältniswalsysteme besser. In Deutschland gibt es allerdings inzwischen das Problem, dass die rechts-nationalistische AfD in manchen Bundesländern derart stark ist, dass nur Koalitionen von drei (auf Regionalebene manchmal auch vier) weltanschaulich differenten Parteien die Machtteilnahme der AfD verhindern. Das ist langfristig kontraproduktiv, da ein Opfernarrativ bedient wird und der Wähler am Ende aus Trotz oder Wut »die falsche Partei« wählt.
Ich glaube, dass »Bildung«, also geisteswissenschaftliche Bildung beispielsweise, stark überschätzt wird. Die Nazis wurden auch von Intellektuellen unterstützt, sei es, weil man glaubte, Vorteile erreichen zu können, sei es, weil die Idee war, diese Gruppierung bändigen zu können (was absurd war). Richtig ist, dass »Bildung« heute nur noch bedeutet, sich in ökonomischen Verhältnissen zurecht zu finden. Der Rest ist Spaß oder Hobby.
@ Gregor K.
Ich glaube nicht, daß sich Demokratie allein auf das Prinzip »one man, one vote« stützen kann, in der Hoffnung, die Masse möge die diversen Strömungen ausbalancieren (was de facto nicht immer der Fall ist). Ich denke, es braucht kontinuierliche Arbeit am (Selbst-)Verständnis der Beteiligten, d. h. aller. Aus diesem Grund ist Bildung auch weder Spaß noch Luxus noch Hobby. Geisteswissenschaftlich würde ich Bildung nicht nennen, auch nicht naturwissenschaftlich, natürlich. Eher: quer durch den Gemüsegarten des Denkens. Ein Desiderat ist m. E. die Erkundung und Diskussion von Rechnern, digitaler Vernetzung, Globalisierung, künstlicher Intelligenz, neuen Medien in ihren Voraussetzungen und Wirkungen. Mein Eindruck ist, daß das an den Schulen nicht stattfindet, die Rede ist immer nur von technischer Ausstattung und »Kompetenzen«. Das wäre m. E. heute Bildung. Natürlich nicht wie im 16. oder 18. oder 20. Jh.
In den USA gibt es aus den von Ihnen genannten Gründen nie Koalitionen, allerdings sollte es institutionelle Gegengewichte gegen die Regierung geben und gibt es sie auch nach wie vor. Koalitionsregierungen mögen schwerfälliger sein, sie sind jedenfalls gezwungen, diverse und manchmal konträre Gesichtspunkte, auch minoritäre, zu berücksichtigen. Möglich, daß das ein Vorteil ist.
Naja, es ist einer Errungenschaften von so etwas wie Aufklärung, dass es das Prinzip »one man, one vote« gibt. Ansonsten müsste man zum Klassenwahlrecht zurückkehren oder Eignungstests durchführen. Letzteres ist undurchführbar. In Deutschland wird ja sogar die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre für Bundestagswahlen diskutiert (in diversen Ländern und auf regionaler Ebene ist das schon der Fall). Das Signal ist natürlich fatal und wird vor allem von Parteien getrieben, die sich Vorteile für diese Regelung versprechen.
Bildung ist nicht Spaß oder Hobby, sondern wird dazu gemacht. Es geht fast nur noch um Maschinenfertigkeiten, d. h. wie man Maschinen (Suchmaschinen inklusive) möglichst optimal bedient. Neulich hatte ich mal ein Buch von Andrzej Stasiuk verliehen. Ich bekam es nach einigen Monaten zurück. Man hatte nur 100 Seiten geschafft; es gab keinen »Nutzen«.
Am Prinzip »One man, one vote« sollte man auch nicht rütteln. Diese Säule allein ist aber nicht ausreichend, das können wir derzeit beobachten.
Ich bin bei @Gregor. Präsidialsysteme bilden Scheinmehrheiten ab, es sind nicht mal 40% der Bürger, die den amtierenden Präsidenten ins Amt heben möchten. Verhältnissysteme repräsentieren (bis auf die Nicht-Wähler) alle Fraktionen und verdeutlichen die elementare Notwendigkeit des Diskurses. Politische Kompromisse sind allerdings in fast allen Fällen Schein-Lösungen, und stellen selten Verbesserungen dar.
In den letzten Jahren habe ich ein eher selten zur Sprache gebrachtes Prinzip der Demokratie zu schätzen gelernt, die »Neutralisierung des Ehrgeizes«. In den U.S.A. ist das bekannt: man muss die besonders Regierungswilligen permanent gegeneinander antreten lassen. Sie müssen sich aneinander abarbeiten, was die Gefahr von »überschießenden Schäden« für das Land verringert , wäre das Handeln auch mehrheitlich legitimiert (self-confirmation bias). Das erinnert an Montesquieu, ist aber weniger systemisch gemeint. Ich würde von einer Zähmung der Bestie innerhalb des Systems sprechen.
Von den drei Gewalten ist die Exekutive prinzipiell die Gefährlichste (siehe Belarus). Dagegen hilft der Rechtsstaat. Dann kommt die Legislative. Dagegen hilft das Konter-Prinzip (Oppositionen) und die politische Öffentlichkeit. Das steht im wesentlichen hier zur Debatte. Und dann kommt die Judikative. Sie steht der Vernunft typischerweise am nächsten. Ihre Schwächen treten zumeist als Inkompetenz in Erscheinung. In Europa haben wir aber den seltenen Fall der Kompetenz-Aneignung via Vertragsrecht (siehe EuGH). Das ist nicht tragisch, darf aber in einer Betrachtung der gegenwärtigen »Unzufriedenheit« nicht fehlen.
Die Judikative ist ja nicht ganz »frei«. Bolton schreibt in seinem Buch über seine 519 Tage als Nationaler Sicherheitsberater unter Trump, dass dessen grösstes Verdienst in den (notwendig gewordenen) Richternominierungen für den Obersten Gerichtshof liegt/lag. Damit wird sein Gedankengut noch Jahre nach seiner möglichen Abwahl vorherrschen. (Ohnehin ist das Wort der »Gewaltenteilung« Augenwischerei; sie bedingen sich wechselseitig und sind miteinander verflochten. Alles andere wäre auch nicht wünschenswert.)
Bildung ist Haltung. Aber keine ideologische, sondern innere Haltung. Noch eine Stufe darüber: Weisheit (hat auch nichts mit Wissen zu tun).
Es ist doch klar, dass Demokratien auf Zivilisierung angewiesen sind. Die Schweiz funktioniert so. Und ganz gut. Möglich ist das. Da braucht man nicht verzagen. Ansonstenn muss man Ross und Reiter nennen, wie ich finde.
PS
Was, wie ich finde, nicht geht, ist zu glauben, die Politik müsse den eigenen höchsten Idealen entsprechen. Das kann sie nicht. Politik kann nur sehr unvollkommen vonstatten gehen. Das ist kein Grund zur Klage, sondern sollte als Ansporn verstanden werden.
»Bildung ist Haltung«. Schöner Satz. Schönes Ideal.
@ Dieter Kief, Nr. 29: Da stimme ich gern zu, auch die Schweiz betreffend.
Das da ist ein aktuelles Beispiel für die (westliche, by and large) Aufklärungsfeindschaft im Namen der Identitätspolitik.
https://quillette.com/2020/08/13/the-floridian-inquisition/
Der inkriminierte Taki’s Magazine-Artikel in dem pönalisierten Tweet ist von etwelchem Witz (wirklich einsichtsreich), noch dazu.
Es ist nun so, dass sowohl in der Weltwoche als auch in der NZZ derlei anstandlos diskutiert weren kann – entsprechendde Kommentare pro Quillette werden problemlos veröffentlicht.
Aber nicht in der Welt, nicht in irgendeiner anderen der großen Deutschen Tageszeitung, nicht im stern, nicht im Spiegel oder im Focus usw., und auch nicht in den ÖR. ‑Vielleicht in der Pressse oder im Standard?
Der »Standard« hat während der Handke-»Debatte« laufend Kommentare zensiert – unter anderem von mir (auch unter Klarnamen). Die waren weder beleidigend noch boshaft. Und dies, obwohl ich persönlich dort angegriffen wurde.
Grundsätzlich ist ein Medium frei, das durchzulassen, was man will. Presserechtlich sieht es m. E. anders aus, wenn man selber denunziert wird. Es ist aber schwer, so etwas durchzusetzen.
Wir sollten nicht jeden Fall von fehlgeleiteter Identitätspolitik aus den USA kommentieren; das macht keinen Sinn, weil man die Hintergründe nicht genügend kennt.
Der Fall des hoch angesehenen und nun wg. identitätspolitischer Vorhaltungen tief zu fallen drohenden Psychologie-Professsors Charles Negy in Florida ist keine Kleinigkeit – und findet deshalb Resonanz in der gesamten Anglosphere.
»Quillette« ist ein weitherum geschätzter anti-identitätspolitischer Leuchtturm in diesem Teil der Welt und insofern ein perfektes Beispiel für das, was Richard Rorty angemahnt hat. Claire Lehmann, die australische Gründerin und Herausgeberin, war diese Woche der »Weltwoche« in ihrem Relaunch-Heft immerhin ein Portrait wert. Kein Deutsches Qualitätsmedium hat sich dazu bisher herabgelassen. – Vielleicht weil Quillette gratis (!) zugänglich ist. – - – Das ist ja der Alptraum der Bezahlmedien, das verstehe ich ganz gut.
Dieser Alptraum ist aber eine wohlverdiente Plage des geistig einfach schwachen Hauptstroms – man verlgeiche nur mal den FAZ-Wissenschafts-Chef Joachim Müller-Jung und – - – - Deborah Soh (u. a.) bei Quilette zu der frage Biologie und Identtität.
Auch der von Ihnen, Gregor Keuschnig, geschätzte Simon Strauß schätzt Claire Lehmann und deren Online-Magazin Quillette wohl nicht ganz grundlos.
Jedenfalls geht es bei der Professor-Negy-Kontroverse um einen von Negy auf Twitter verlinkten Artikel, der an Witz und Geistesschärfe und aufklärerischer Verve nichts zu wünschen übrig lässt einerseits; ein Artikel andererseits, der von einem Mann geschrieben wurde, der auch in Deutschland – gerne auch von des Englischen nicht ganz so kundigen Leuten, ganz übel beleumundet wird, während hochmögende Geister wie Charels Murray und Steven Pinker ihn ausdrücklich scchätzen. – Das ist also ein Fall wie der von Lindsay Shepherd, mindestens.
Also eines der leidder zitgeist-typischen Beispiele der Gegenaufklärung in der westlich geprägrten Welt.
Der Artikel »The Bonfire of the Insanities»zu den Geisteskapriolen, zu denen der Fall George Floyd die weltweite Öffentlichkeit angestachelt hat, und auf den Charles Negy offenbar unerlaubter Weise verlinkt hat, kann hier nachgelesen werden –
https://www.takimag.com/article/the-bonfire-of-the-insanities/
Der Artikel vibriert geradezu vor Geistegegenwart, analytischer Treffssicherheit und Witz. Ihn als Anlasss zu nehmen, einen hochgeschätzten Akademiker zu feuern, ist bös’.
Der Titel des Aufsatzes von Steve Sailer lautet »The Bonfire of the Insanities« und ist eine Referenz an Tom Wolfe und dessen (tollen, by the way) Race-Relations-Roman »The Bonfire of the Vanities« (dt. Fegefeuer der Eitelkeiten) , aber auch eine ferne Referenz an den Tom Wolfe von Radical Chic and Mau-Mau bei der Wohlfahrtsbehörde (Radical Chic and Mau-Mauing the Flak-Catchers) über die schicke Fith Avenue/Leonard Bernstein als Unterstützer, ja glühende Champagner-Party-Verehrer der – - – - – (terroristischen) Black Panther Party. –
- Diese Dinge wiederholen sich nun – wenn auch, nach einem alten Muster, ne, als Farce – bis hin zur weißen gläsernen Kutsche mit goldenen Beschlägen, in der man den Sarg mit dem Leichnam George Floyds, im Fernsehen direkt übertragen, zur letzten Ruhestätte verbrachte – am US-amerikanischen Nationalfeiertag, wenn ich das richtig erinnere...
- – - Der Fall des Professors Negy ist also nicht irgend ein Fall, das ist ein Fall aus dem heißen Kern jenes schwirrenden Wirbels, als den wir manchmal unsere von identitätspolitischen Grabenkämpfen zerrüttete Gegenwwart wahrzunehemn Anlass haben.
Was Sie über den Standard schreiben, Gregor Keuschnig, ist betrüblich. Ich könnte den Perlentaucher aus eigener Erfahrung hinzufügen. – Er predigt öffentlich die Milch der liberalen Denkungsart, und trinkt heimlich den Wein der Zensur, leider. – Skrupel gibt es – aber sozusagen nur privat, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und ohne praktische Konsequenz. Skrupel zum Nulltarif, sozusagen. – Die Moral als Apercu...Aber das wirkliche Leben als Rattenrennen – anonyme Verleumdungen inklusive, durchaus mit Billigung des Perlentauchers.
Richtig, @Dieter Kief, der Perlentaucher. Aber seien Sie doch ehrlich: Wer braucht den noch? Und »neutral« war das Sammeln und Publizieren dort nie. Aber das ist ein anderes Thema.
Bleibe im Land, und ärgere Dich redlich! – So oder so ähnlich hat stets meine Mutter argumentiert.
Ich hege ebenfalls eine große Faszination für die Auseinandersetzung zwischen den Lefties und Center-Liberals in den U.S.A., den Verführern zur kritiklosen Companionship und den Erwachsenen-Trainern der Freiheit, aber wir sollten das Theorem der Reichweite (einer Demokratie) nicht ganz aus den Augen verlieren. Beobachtbarkeit, ist das eine; Vernetzung und Partizipation das andere.
Wir »Europäer«, wie die landestypische Selbstbezeichung neudeutsch lautet, müssen uns nicht um Negy kümmern, wir haben genug Gelegenheiten, seien es die Kopf-verkehrt-herum-Tragenden im DLF, die Berliner Hochbegabten von der LGBT, oder die Kritik-Roboter aus Frankfurt. Das ist ein bisschen provinziell, ich weiß. Aber die Arbeit muss gemacht werden.
Wobei @Dieter natürlich recht hat: die Magazine und die Podcasts lassen zu wünschen übrig. Das erfordert eine erhebliche publizistische Kompetenz. Ich würde da immerhin Burkhard Müller-Ulrich nennen, der die Podcast-Folge indubio erfunden hat. Das kriegt man nicht von heut’ auf morgen hin.
Ich habe meinen medialen Kulturschock schon hinter mir. Stimmt, der #perlentaucher steht ein bisschen für die Zeit des Übergangs. Das eklektische Prinzip, wo sich jeder seine Lieblingsstücke aus dem World-wide-Cesar’s‑Salad zusammenpickt, ist naiv. Du musst, würde Marshall McLuhan sagen, die Licht- und die Schattenseiten Deines Mediums kennen. Wenn Du gerne die #Weltwoche liest, musst Du wissen, wie die Macher drauf sind. Wenn Du weniger Aufregung bevorzugst, dann liest Du halt Quillette oder das Begleitschreiben...
Ja, B. Müller-Ulrich / indubio hat hie und da interessante Leute, die_kalte_Sophie.
Ich hege freilich die ein wenig altmodische Idee, dass die verflixten Dinge, wie Friedrich Wilhelm Joseph Schelling sagte, – - – - – - und jetzt kommt halt ein großes Wort: Alle – - – - miteinander zusammenhängen.
Da man gleichwohl über alles nur schwer debattieren kann, braucht es entschiedene Schnitte, Akzente, auch das kann ich nachvollziehen. Ich hab’ Richard Rorty ja nicht aufgebracht, das war Leopold Federmair. Aber ich bin gern darauf eingegangen. – Ich gib’ zu, dass das daher kommt, dass Rorty mit sovielen derzeit wichtigen Dingen zusammenhängt. – Der Perlentaucher wollte nicht zulassen, dasss ich George Floyd auf meine Art und Weise – sachlich – thematisiere. – Das ist mir auch anderswo passiert, so um Ende Mai herum.
Ich versteh das ja auch teilweise. Der junge Enzensberger hat das schon gewusst – und ich glaube mich fern zu erinnern, dass eine der charmantesten Referenzen, die er vorbrachte, – - – - – drei Elstern waren. – Also: Schwarz und weiß? – George Floyd und wir... – ‑Ach, nur weil er so schön ist, nun doch noch ein Satz aus Enzensbergers Elstern – - – Selbstportrait: Mich meine Herren könnt ihr vielleicht widerlegen, aber drei Elstern im Schnee sind ein Beweis!
Jedenfalls war es nicht falsch, George Floyd zu thematisieren, und wie es sich herausstellte, wurde und wird auch hierzulande mit diesem George Floyd Politik gemacht – von der Berliner Fraktionsvorsitzenden der Grünen bis hinauf ins Kanzleramt und – - – - zum Konstanzer OB_Wahlkampf, der in meinem Lande, sozusagen u. a. von einem Stuttgarter Antifa-Grünen bestritten wird, der den George Floyd-Diskurs nun hier fortzieht, in all seiner Unsinnigkeit. – Er kennt vermutlich Schelling nicht, aber er exekutiert treulich, was der ihm vorgeschrieben hat.
In der Weltwoche ist diese Woche ein (langes) Gespräch mit Peter Thiel, dem Chef des IDW-Gründers Eric Weinstein. Es ist – muss ich sagen, sehr interesssant. (Auch sehr verkehrt, in manchen Text-Furchen, die hier weiter oben von Leopold Federmair und Gregor Keuschnig beackert wurden, der KI auf den Fersen...). Aber immer interessant. Nicht zuletzt, weil Thiel es versteht, konzis zu reden, bzw. zu schreiben. Und Roger Köppel ganz auf den Punkt fragt.
Komplexitätsreduktion ist natürlich angesagt, schon allein weil die allermeisten, wie Enzensberger das so schön komprimiert hat, vom allermeisten überhaupt nichts verstehen... – Wir alle also vergleichsweise wenig checken.
Mache ich mich mal wieder simpel und formuliere diese These – aha – das brauche ich ja gar nicht, weil Horam Yazony sie in Quillette diese Woche bereits formuliert hat – diese These betrifft nämlich auch den Kasus des tapferen Psychologen Charley Negy, und das damit direkt zusammenhängende – anti-fragile – Intellectual Dark Web in den Spuren von Richard Rorty und also Eric Weinsteins (remember: des Geschäftsführers Peter Thiels...) – kürzlich erfolgte Weinsteins vollkommen undiplomatisch deutliche Verabschiedung (!) der New York Times aus dem Kreis der Zurechnungsfähigen, nota bene. Nun – - Yoram Hazonys Fazit seines langen Aufsatzes in Quillette geht so:
»I know that many liberals are confused, and that they still suppose there are various alternatives before them. But it isn’t true. At this point, most of the alternatives that existed a few years ago are gone. Liberals will have to choose between two alternatives: either they will submit to the Marxists, and help them bring democracy in America to an end. Or they will assemble a pro-democracy alliance with conservatives. There aren’t any other choices.«
(Ich halte den von Burkhard Müller-Ulrich vorgestellten Hadmut Danisch für einen produktiven Wirrkopf. – Müller-Ulrich hat darüber komplett hinweggesehen, wie wirr Danisch zuzeiten ist. Das war schlecht. Das liegt vermutlich daran, dass diese Radioleute eben schon halbe Komplizen sind, weil sie ja auf die physische Kooperation ihrer Gesprächspartner angewiesen sind. Bon .Egal. Weshalb ich Danisch hier anführe ist, weil ich meine, dass er nicht Recht hat mit seinen apokalyptischen Reden (ich meine auch, dass dieser Aspekt seiner oft ja furiosen Produktion leider verderblich sei. Im Grunde unzivilisiert und eine der verderblichen Folgen einer unbesonnenen Säkularisierung (sowas wie Hadmut Danischs fortgesetzte Untergangsprophetien wäre Friedrich Wilhelm Joseph Schelling – ah ja, versteh, ok, ich schweige an dieser Stelle).
Aber damit will ich jedenfalls sagen, dass auch ich die Lage für ernst halte. Immerhin für so ernst wie Hazony. – U. a. deswegen schaue ich eben nicht nur hier herein, sondern auch in Cato und die Weltwoche, die Junge Freiheit (sehr – sehr gutes Gespräch mit Hnas-Georg Maßen diese Woche über – die Redefreiheit – und das Recht...) und die NZZ – ich meine, wirklich, die freie Rede sei bedroht und hier – sancta simplicitas – liege derzeit das wichtigste Handlungsfeld. Ich erachte alle als Verbündete, die sich innerhalb des legalen Verfassungsbogens des Grundgesetzes bewegen. Also insbesondere Gewaltfreiheit befürworten und die freie Debatte.
Enzensberger konnte viel vorhersagen, weil er immer die Möglichkeiten dafür hatte. Er hat auch nebenbei eine Menge Unsinn geredet und geschrieben – darüber sieht man heute großzügig hinweg, wenn man ihn als Referenzintellektuellen braucht. Entscheidend war, dass er immer »Output« hatte. Seine Kritiker galten dabei nie als Feinde, sondern als Gegner. Der Unterschied ist entscheidend. Heute werden Trump’sche Zäune in Medien errichtet: Wer auch nur den Anschein erweckt, eine bestimmte intellektuelle Linie zu überschreiten, wird sofort verbannt. Das hat in den USA längt religiöse Züge bekommen. Trumps Wahlerfolg von 2016 ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass er bewusst gegen diese Linien geredet hat. Da braucht es keinerlei politische Vision (gut, sein »Make America great again« – beim näheren Hinsehen ist »Yes, we can« ähnlich platt). Was entscheidend ist, dass der Tabubruch keiner mehr ist. Statt sich mit Trumps (in meinen Augen furchtbaren) Politik auseinanderzusetzen, zog man sich an Kleinigkeiten hoch.
Da die Strömungen aus den USA auch irgendwann zu uns herüberschwappen, stehen wir in D/A/CH erst am Anfang einer Entwicklung. Grob gesprochen könnte man von einem »Stellungskrieg« sprechen. Versöhnung unmöglich. Kompromisse jeglicher Art werden verteufelt. Inzwischen gilt es schon als degoutant, wenn jemand wie ich ein Buch von Bolton bespricht – er sei ein »Kriegstreiber« und jegliche »Werbung« für dieses Buch sei unzulässig. So wurde ich angegangen. Die Bereitschaft, sich mit dem Gegner intellektuell auseinanderzusetzen, ist nicht mehr vorhanden. Man hat es sich im Wohnzimmer der richtigen Gesinnung gemütlich gemacht. Keine Störungen erwünscht. Will sagen: Ein junger Enzensberger heute würde einen Sh*tstorm nach dem anderen ernten. Und das muss man erst einmal aushalten.
Ja, Gregor Keuschnig, ja, ja, ja. Es ist dramatisch. Und politisch nicht ungefährlich. – Derzeit wird mit Joe Biden ein Mann, der klar auf dem Weg in die Demenz ist, einfach weiter ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt. Kein Hauptstrommedium thematisiert dese äußerste Form von Wählertrug. Hier nicht – und in den USA auch nicht. – Alle verhalte sich wie Komplizen. Alle machen sich so zu Komplizen. Man fasst es nicht. – Die Weltpolitik als Politik-Quartettspiel: Orange Man Bad ist der Superjoker und schlägt alles andere aus dem Feld. – Matt taibbi hat nach dem 2016er US-Wahlkampf bereits das Fazit gesogen, dass der Journalismus sich so selbst abschafft. Aber das Schurkenstück um diese Kandidatur beschädigt ja nicht nur die demokratische Öffentlichkeit, es schädigt mit der Demokratischen Partei und den Wählerinnen und Wählern der USA die Weltpolitik selber.
Hier lese ich sehr aufschlusssreiche Texte in Medien, die ebenfalls im Hauptstrom nicht vorkommen, wie beispielsweise Andreas Lombards aufschlussreiches Editorial im Juli/August Heft von CATO und siene Übrlegungen zur Aushöhlung de staatlichen Gewaltmonopols – u. a. durch die Verstaatlichung der gewalttätigen Antifa. – Dito Frank Böckelmanns Editorial im aktuellen TUMULT.
Enzensberger unterstützt Frank Böckelmann hie und da, übrigens. Er hat auch eines seiner Bücher verlegt. Das leistet er sich einfach. – Es passiert ihm auch nichts. U. a. weil viele Junge diese Dinge nicht auseinaderkriegen und die subtileren Botschaften sicher nicht richtig deuten.
Ansonsten herrscht Angst. Viele Feuilletonistinnen und Feuilletonisten fürchten um ihren Job im Hauptstrom, der ja wirtschaftlich kämpft. Die Feuilletons verlieren rapide an Lesern.
Ganz anders ist es dann wieder, wenn man in die Schweiz schaut. – Die NZZ unterhält ein sehr neugieriges Verhältnis zum IDW, wie auch zu Douglas und Charles Murray und Claire Lehmann und Steven Pinker und Robert Plomin et tutti quanti. Markus Schär diskutiert diese Dinge an der Basler Uni in aller Seelenruhe. Keine Krakeeler und keine eingeschlagenen Scheiben und keine besprühten Büros nirgends. – Selbst im linken Tages-Anzeiger immer wieder Stimmen, die Asyl- und Migrationsfrage zu entideolgisieren.
Ach ja, Donald Trump hat, anders als alle führenden Deutschen Politikerinnen, ausdrücklich die Universitäten aufgefordert, im Sinne von John Stewart Mill und Jonathan Haidt (natürlich, ohne die zu zitieren, obwohl sein Redenschreiber Miller beide ganz gut kennt) der freien Rede sozusagen freie Bahn zu schaffen. Donald Trump hat offenbar begriffen, dass die freie Rede das Lebenselixier der Universitäten ist.
PS
Lt. Steve Sailer brauchte Trump diese Lektion gar nicht zu lernen, weil sie ihm als kampferprobter New Yorker im Laufe der Jahrzehnte in Fleisch und Blut übergegannen ist. – Steve Sailer schrieb das zu Beginn von Trumps erster Amtszeit, und Sailer, wie nach ihm Jonathan Franzen, hat bis hierhin ebenfalls in einem wichtigen Punkt seiner Trump-Prognose richtig gelegen.
PPS
Dass der Luftikus Hans Magnus Enzensberger viel Unsinn verzapft hat im Lauf der Jahrzehnte sagt er ja selber. – Er hatte gar die Geistesgegenwart, selbst über seine Flops noch ein Buch zu machen. Er hat wunder vollbracht und ist6 für meinen geistigen Haushalt unverzichtbar. Die Zeit des rapide nachlassenden Unfugs brach meiner Ansicht nach mit dem säkularen Lyrik-Band »Die Furie des Verschwindens« (1980) und dem Aufsatzband »Politische Brosamen« (1983) an.
(korrigiert) Ja, Gregor Keuschnig, ja, ja, ja. Es ist dramatisch. Und politisch nicht ungefährlich. – Derzeit wird mit Joe Biden ein Mann, der klar auf dem Weg in die Demenz ist, einfach weiter ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt. Kein Hauptstrommedium thematisiert dese äußerste Form von Wählertrug. Hier nicht – und in den USA auch nicht. – Alle verhalten sich wie Komplizen. Alle machen sich so zu Komplizen. Man fasst es nicht. – Die Weltpolitik als Politik-Quartettspiel: Orange Man Bad ist der Superjoker und schlägt alles andere aus dem Feld. – Matt Taibbi hat nach dem 2016er US-Wahlkampf bereits das Fazit gezogen, dass der Journalismus sich so selbst abschafft. Aber das Schurkenstück um diese Kandidatur beschädigt ja nicht nur die demokratische Öffentlichkeit, es schädigt mit der Demokratischen Partei und den Wählerinnen und Wählern der USA die Weltpolitik selber.
Hier lese ich sehr aufschlusssreiche Texte in Medien, die ebenfalls im Hauptstrom nicht vorkommen, wie beispielsweise Andreas Lombards Editorial im Juli/August Heft von CATO und seine Überlegungen zur Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols – u. a. durch die Verstaatlichung der gewalttätigen Antifa. – Dito Frank Böckelmanns Editorial im aktuellen TUMULT.
Enzensberger unterstützt Frank Böckelmann hie und da, übrigens. Er hat auch eines seiner Bücher verlegt. Das leistet er sich einfach. – Es passiert ihm auch nichts. U. a. weil viele Junge diese Dinge nicht auseinaderkriegen und die subtileren Botschaften sicher nicht richtig deuten.
Ansonsten herrscht Angst. Viele Feuilletonistinnen und Feuilletonisten fürchten um ihren Job im Hauptstrom, der ja wirtschaftlich kämpft. Die Feuilletons verlieren rapide an Lesern.
Ganz anders ist es dann wieder, wenn man in die Schweiz schaut. – Die NZZ unterhält ein sehr neugieriges Verhältnis zum IDW, wie auch zu Douglas und Charles Murray und Claire Lehmann und Steven Pinker und Robert Plomin et tutti quanti. Markus Schär begleitet diese Autoren journalistisch und diskutiert deren Themen an der Basler Uni in aller Seelenruhe. Keine Krakeeler und keine eingeschlagenen Scheiben und keine besprühten Büros nirgends. – Selbst im linken Tages-Anzeiger immer wieder Stimmen, die Asyl- und Migrationsfrage zu entideolgisieren.
Ach ja, Donald Trump hat, anders als alle führenden Deutschen Politikerinnen, ausdrücklich die Universitäten aufgefordert, im Sinne von John Stewart Mill und Jonathan Haidt (natürlich, ohne die zu zitieren, obwohl sein Redenschreiber Miller beide ganz gut kennt) der freien Rede sozusagen freie Bahn zu schaffen. Donald Trump hat offenbar begriffen, dass die freie Rede das Lebenselixier der Universitäten ist.
PS
Lt. Steve Sailer brauchte Trump diese Lektion gar nicht zu lernen, weil sie ihm als kampferprobter New Yorker im Laufe der Jahrzehnte in Fleisch und Blut übergegannen ist. – Steve Sailer schrieb das zu Beginn von Trumps erster Amtszeit, und Sailer, wie nach ihm Jonathan Franzen, hat bis hierhin ebenfalls in einem wichtigen Punkt seiner Trump-Prognose richtig gelegen.
PPS
Dass der Luftikus Hans Magnus Enzensberger viel Unsinn verzapft hat im Lauf der Jahrzehnte sagt er ja selber. – Er hatte gar die Geistesgegenwart, selbst über seine Flops noch ein Buch zu machen. Er hat Wunder vollbracht und ist für meinen geistigen Haushalt unverzichtbar. Die Zeit des rapide nachlassenden Unfugs brach meiner Ansicht nach mit dem säkularen Lyrik-Band »Die Furie des Verschwindens« (1980) und dem Aufsatzband »Politische Brosamen« (1983) an.
@ Dieter Kief
Das hohe Alter von Biden wird in den Medien häufig thematisiert. Kritik am Medienmainstream ok, aber das sollte auch nicht zur Obsession werden. Inhaltlich pflichte ich Ihnen bei, Biden wird während seiner Präsidentschaft, falls sie zustandekommt, seinen Achtzigsten feiern.
@ Leopold Federmair
Joe Bidens sich klar anbahnende Demenz wird leider nicht thematisiert. – Meine einzige Erklärung ist: Es ist nicht opportun. – Die Hauptstrommedien versagen, und werden – erneut – zu Komplizen. Das Muster, das bei Hillary Clinton so schlecht funktioniert hat, wirkt als fort.
https://www.youtube.com/watch?v=isi8CdzDX_E
Gestern hat die US-Spezialistin Verena Lueken den FAZ Feuilleton-Aufmacher über Joe Biden gehabt – sie schrieb 5000+ Zeichen wie er Hannah Arendt im Jahr vor deren Tod einen Brief geschrieben hat, von dem sonst nichts bekannt ist als – eben das: Joe Biden hat Hannah Arendt 1976 um ein Vortragsmanuskript gebeten. – Also: Joe Biden gut – extrem gut! Wegen dieses Briefes an Hannah Arendt, ist doch klar. – Orange Man dagegen extremely bad – he just readin’ The Bible...! -
- Lt. der behaglich vor sich hinphantasierenden Verena Lueken hat Hannah Arendt sogar Trummp kommen sehen. – Dann phantasiert sie weiter, dass auch Joe Biden bereits 1975 Trump geahnt haben könnte, weshalb er ihr diesen Brief überhaupt schrieb. – Wohl gemerkt: Der Brief Bidens an Hannah Arendt enthält nichts weiter, als die Bitte um ein Vortragsmanuskript. Aber weil es so naheliegend ist, phantasiert Verena Lueken ganz offenbar Bidens Brief von 1975 verweise vor auf seine aktuellen Sorgen wegen eines durch und durch »korrupten« »schamlosen Lügners« und »Kriminellen« im Weißen Haus. Das ist kein Journalismus, das ist Spökenkiekerei. In der FAZ – im Namen des Guten. – Das ist cum grano salis das derzeit im Westen weltweit bediente Muster in Sachen Joe Biden.
PS
Demenz ist kein Kinderspiel. Sie verändert die Persönlichkeit, ruft emotionale Druchbrüche hervor, vermindert die Urteilsfähigkeit, macht Menschen ängstlich, aggressiv, paranoid. Auch prospektive Präsidenten.
@ Dieter K.
Demenz ist kein Kinderspiel, richtig. Das wissen wir inzwischen alle aus Erfahrung, fast jeder hat oder hatte einen Dementen in seiner Familie.
Ich wäre, hätte ich eine Stimme, genau aus diesem Grund nicht für seine Kandidatur. Er wurde von der demokratischen »Basis« – kann man’s so sagen? Sie wissen sicher besser Bescheid als ich – gewählt. Sein stärkster Konkurrent war allerdings noch älter als er.
Gut, jetzt haben wir diesen Kandidaten, Biden. Und wir haben Trump, und die Zuschreibungen der FAZ-Journalistin sind ja nicht vollkommen falsch. (Ich persönlich neige dazu, in Immobilienhaien sowieso Kriminelle zu sehen.) Und es wäre gut, wenn sich die Öffentlichkeit und auch wir mit dem beschäftigten, was sie repräsentieren, welche Programme sie haben usw. Alles bestimmend ist aber dieses Lagerdenken, rechts und links, republikanisch und demokratisch, dem auch Lueken aufzusitzen scheint. Besonders in den USA, wo das Wahlsystem das begünstigt, aber auch in Europa. So wie die Öffentlichkeit in unserer Epoche strukturiert ist, sehe ich nicht, wie man das in absehbarer Zeit überwinden wird.
Auf einem bestehe ich trotzdem nochmal: Ich habe nicht den Eindruck, daß Bidens Alter und seine Fragilität überhaupt nicht thematisiert werden. Hier zum Beispiel, in der Washington Post: https://www.washingtonpost.com/opinions/2020/03/12/its-fair-speculate-whether-biden-is-mentally-fit-be-president/
Für mich war nie klar, warum die jüngeren Kandidaten (u. a. auch die jetzt zur Vizepräsidentin nominierte Harris) bei den Demokraten auf derart wenig Rückhalt gestossen sind. So wäre Pete Buttigieg (Alter 37) ein interessanter Herausforderer geworden. Inwiefern seine Homosexualität hinderlich war, vermag ich nicht zu sagen.
Die Gründe für Biden vs Sanders – mit dem Ergebnis für Biden – dürfte eher mit den Kungeleien in der Demokratischen Partei zu tun haben: das Establishment sieht ansonsten ihre Felle schwimmen. Nicht umsonst ist Trump bei den Republikanern ähnlich umstritten. Die beißen nur die Zähne zusammen.
Was @Dieter Kief zu Lueken sagt, ist natürlich richtig. Der Text ist wirklich reiner Unfug.
Persönlich glaube ich, dass Biden/Harris nicht die Wähler in den »Swingstates« mobilisieren kann, die man bräuchte. Das grösste Schreckensszenario wäre, dass etliche »Demokratenwähler« zu Hause blieben, während Trump seine zu mobilisieren versteht. Im übrigen empfehle ich die Lektüre des Bolton-Buches. Es gibt hier Stellen, die man, bösartig interpretierend, als Demenz bei Trump deuten könnte (etwa sein Umgang mit Kim Jong-un)
@ Leopold Federmair, Greor Keuschnig wg. Zweifel Joe Bidens Zustand
Say now baby, I’m the rank outsider
You can be my partner in crime
(Jagger/Richards – Tumbling Dice / Exile On Mainstreet)
Die FAZ gestern – Joe Biden gut, Michelle Obama gut, Bill Clinton gut, Barack Obama super. Die westliche Weltpresse dito und TV usw. auch.
Der Hauptstrom hielt dicht, Zweifel an Joe Bidens Zustand kommen von Außenseitern – Jimmy Dore (unten verlinkt) – »the guy is FUCKING demented!« – Matt Taibbi – yes, Joe Biden is in an early stage of dementia. Joe Rogan – »This Joe Biden guy is clearly demented. I can’t vote for him. If it is Joe Biden or Trump, I’ll vote for Trump. (...) In a debate, Trump will eat him alive!«
– ’ «Aber er hat ja nichts an!’ sagte endlich ein kleines Kind.« – -
Zufall? Alle drei (bekannte) US-Außenseiter sind klar links. Pro Bernie Sanders.
Sind die drei ganz allein mit ihren Zweifeln? – Nicht ganz! – Die Mehrheit der Amerikaner denkt laut einer aktuellen Befragung ähnlich – sie denken Joe Biden sei in einem Frühstadium der Demenz.
https://pjmedia.com/news-and-politics/rick-moran/2020/06/19/oh-my-55-percent-believe-that-biden-in-early-stages-of-dementia-n556379
Die WaPo von April, die Sie zitiert haben, Leopold Federmair, lässt immerhin die Möglichkeit offen, dass Joe Biden einfach altersgemäß kognitiv eingeschränkt wäre. Sie vermeidet den Ausdruck Demenz.
Ich neige Jimmy Dore, Joe Rogan und Matt Taibbi zu: Yep, Joe Biden ist klar zumindest in einem Frühstadium der Demenz.
Weshalb betone ich das? – Weil es, anders als der alterstypische kognitive Abbau – ein psychopathologischer Zustand ist. Ich meine, Joe Biden sei nicht nur kognitiv nicht in der Lage, Präsident der USA zu sein. Ich meine er sei bereits in seinem jetzigen Stadium physisch und psychisch nicht geeignet, dieses Amt auszuüben. Und es sei deshalb gefährlich, jemanden in so einem Zustand so ein Amt gegebenenfalls anzuvertrauen.
Unter dem Strich steht die übliche Spaltung zwischen der weltweiten westlichen Funktionsleite hie – und der Bevölkerungsmehrheit und ein paar Außenseitern da. (cf. The Road to Somewhere / David Goodhart et. al. (Thilo Sarrazin, Jonathan Haidt...)).
PS – @ Gregor Keuschnig
Dass John Bolton in »Der Raum in dem alles geschah« Trump so aussehen lässt, als ob auch der dement sein könnte, passt zu dem, was von Anfang an über Trump gesagt wurde – dass er nicht zurechnungssfähig sei. Vergleicht man aber kühl, so wird man feststellen müssen, dass Trump keine außergewöhnliche Mühe hat mit der Rolle als Präsident fertig zu werden. Die Demokraten haben sich offenbar in die Ecke gepinselt, wie das amerikanische Sprichwort sagt. Und erneut könnten ihnen viele Durchschnittsbürger deshalb die Gefolgschaft verweigern.
Die Minuten 5 bis 9 in Katie Halpers und Matt Taibbi’s Rolling Stone Podcast- Jimmy Dores Brandrede über die Vorwahlen mit Focus auf Bernie Sanders und Joe Biden (its quite Rock’n’Roll though)
https://www.youtube.com/watch?v=QxIjbulIYDs&t=488s
Hier sind ein paar bedenkliche Auftritte von Joe Biden gesammelt
https://www.youtube.com/watch?v=aA-GoeFGyIc
»Aber er hat ja nichts an!« rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn es schien ihm, sie hätten Recht; aber er dachte bei sich: »Nun muß ich die Prozession aushalten.« Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.
Die Zitate sind aus: Christian Andersen – Des Kaiserss neue Kleider – einem Kunstmärchen von 1837 nach alten europäisch/nordafrikanischen Motiven.
Herr Kief, ich habe mit keiner Silbe gesagt, dass Bolton suggeriert, dass Trump dement ist. Ich sprach davon, dass es Stellen gibt, »die man, bösartig interpretierend, als Demenz bei Trump deuten könnte (etwa sein Umgang mit Kim Jong-un)«. Zuerst war nämlich Kom Jong-un der »rocket man«. der notfalls zerstört werden musste und dann mutiert er binnen weniger Monate zum Ehrenmann (aus Trumps Sicht). Bolton stellt das nebeneinander, ohne es zu kommentieren. Er versteht es schlichtweg nicht.
Überhaupt sollte man mit der DIagnose »Demenz« etwas vorsichtiger umgehen, finde ich.
Bemerkenswert finde ich, wie wohlwollend Sie Trumps Präsidentschaft sehen. Ich möchte das aber hier nicht weiter diskutieren.
Offen gestanden interessiert es mich nicht besonders, ob Biden nun dement oder nur altersschwach ist. So oder so ist er kein guter Kandidat. Deshalb Trump wählen? Wenn es mit Biden nicht mehr geht, kommt halt die Harris ans Ruder. Das alles ist unschön, aber Harris wäre mir lieber als Trump, der auch nicht ganz zurechnungsfähig und wenig jünger als Biden ist.
Ein anderer linker US-Intellektueller, Cornel West, läßt an Biden auch kein gutes Haar, für ihn ist er ein »neoliberales Desaster« (und Trump ein »neofaschistischer Gangster«). Pest und Cholera. https://www.republik.ch/2020/08/22/wir-haben-die-wahl-zwischen-einem-neofaschistischen-gangster-und-einem-neoliberalen-desaster?fbclid=IwAR0YkyF4u70q-_x-PCcGj-Y-MwyUG40uzACUPZ7YsebawqZ3amnN1_dqyWo
Dieses West-Interview ist natürlich völliger Blödsinn. Seine Zuschreibungen sind additiv und infantil. Weil »Gangster« und »faschistisch« schon vergeben war, muss es für Biden halt »neoliberal« sein. Mir scheint, die Intellektuellen passen sich dem Niveau derer an, die sie kritisieren.
Was mich stört, ist dieses Predigerhaft-Rhetorische, wo Fakten und Einwände keine Rolle spielen (z. B. daß 40 Prozent der US-Amerikaner in Armut leben, ist Blödsinn, er behauptet das einfach so locker).
Die Gegenüberstellung Neofaschist – Neoliberaler finde ich aber nicht abwegig. (Wir haben in diesem Blog schon viel über diesen Begriff, den letzteren, diskutiert. Ich sehe keinen besseren, um die gegenwärtige sozialökonomische Verfassung knapp zu erfassen, und durch die Geschichte des Begriffs, also durch seinen Gebrauch, weiß man meistens recht genau, was gemeint ist.)
Trotzdem »Danke« für das Interview von Cornel West. Es zeigt eigentlich sehr schön diese typische Verknappung/Dürftigkeit, die nötig ist, um das Begriffssortiment Faschismus-Kapitalismus-Imperialismus-Neoliberalismus auf einen Nenner zu bringen, bekannt als das »System«.
Wenn man durch die Zeit reist, ist das einzig Neue der letzten Jahre, dass der Rassismus in diese Rubrizierung eingereiht und besonders hervorgekehrt wurde. Ich weiß nicht, ob Bruder Cornel seinen Leuten damit einen großen Dienst erweist. Die sog. Spaltung des Landes geht jedenfalls aus einem ZUVIEL an diesen und vergleichbaren moralischen Urteilen hervor, möglicherweise verstärkt durch ein ZUWENIG dieser Wertfeststellungen in der Praxis. Die Frage, was diese Ralley der Schande mit Philosophie zu tun hat, überlasse ich den Experten. Harvard ist wohl auch nicht mehr ganz, das was es mal war...
Im übrigen stimme ich der Skepsis anlässlich der demokratischen Kandidaten zu, und halte mich bei Ferndiagnosen bedeckt. Biden war ein notorischer Stotterer in seiner Jugend; er wird nie ein Allein-Unterhalter wie Trump sein (oder böser Clown, je nach Wahrnehmung). Kamela Harris hat in Kalifornien die Gefängnisse bis zum Platzen gefüllt. Schwarz oder Weiß, hat sie dabei nie interessiert. Sie hat übler Nachrede zufolge ein Sheriff-Herz: Hauptsache, wir haben einen, der es gewesen sein KÖNNTE... Lock him up! – Cornel West wird weiterhin viel Blues-Musik hören müssen.
Trumps Steuer»reform« war das größte »neoliberale« Geschenk an die Reichen, was es in den USA je gegeben hat. Dagegen war Reagan fast ein Waisenknabe. Biden als »neoliberales Desaster« zu apostrophieren ist wirklich dumm.
Seit Clinton (»It’s the economy, stupid...«) sind übrigens die meisten oder sogar alle Finanzminister von der Wall-Street gekommen – die Prägung nach wirtschafsfreundlicher Politik war parteiübergreifend Konsens. Trumps Finanzminister ist ja neben Vizepräsident Pence fast der einzige Minister, der seit Präsidentschaftsbeginn im Amt ist.
@ die_kalte_Sophie: Die sog. Spaltung des Landes geht jedenfalls aus einem ZUVIEL an diesen und vergleichbaren moralischen Urteilen hervor, möglicherweise verstärkt durch ein ZUWENIG dieser Wertfeststellungen in der Praxis.
Ein kluger Satz.
Im übrigen ist Trump nicht auf Wähler aus, die Herrn West zustimmen. Die hat er beim letzten Mal schon nicht gebraucht. Und vorauseilende Wählerbeschimpfung ist auch – um Frau Merkel in anderem Kontext zu zitieren – »wenig hilfreich«.