Karl Gutzkow: Wally, die Zweiflerin
Jesus war ein »Schwärmer«, der eine »verunglückte Revolution« anzettelte. Sich als Messias zu bezeichnen, war eine »dreiste Behauptung«. Die Jesus-Geschichten in der Bibel sind »Märchen«, die nur von Ochsen und Eseln – wie im Stall von Bethlehem – geglaubt würden... Wer heute solche Sätze über den Propheten Mohammed und den Islam schreibt, muß um sein Leben fürchten. Als Karl Gutzkow 1835 in Deutschland seine religionskritischen Bemerkungen über das Christentum veröffentlichte, wurde er ins Gefängnis geworfen, sein Buch wurde verboten. Immerhin, er kam bald wieder frei und konnte seine noch junge Karriere als freier Schriftsteller fortsetzen.
Macht man sich an die Lektüre des Romans, aus dem diese Zitate stammen, deutet nichts auf ideologische Auseinandersetzungen. Eine schöne Frau reitet uns auf einem Schimmel entgegen, eine sanfte Schwester jener Amazone, die Heinrich von Kleist unter dem Namen Penthesilea verewigte. Wally bietet den Männern, die sie umwerben, Paroli. Sie spielt mit ihnen, bis Cäsar auftritt und seinerseits mit ihr zu spielen beginnt. Aus der Feder dieses Cäsar stammt die religionskritische Schrift, die Wally am Ende zur Verzweiflung treiben wird, denn sie läßt die junge Frau, die an etwas glauben will und doch, weil sie klug ist, an nichts glauben kann, mit leeren Händen stehen.
Es liegt nahe, die Figur des Cäsar als Verführer in der Tradition der Libertins des 18. Jahrhunderts zu sehen. Allerdings stellt uns Gutzkow einen Frauenhelden vor, der das Objekt seiner Begierde mit erhitzten Diskursen abfertigt und sich auf keusches Anschauen ihrer Nacktheit beschränkt (geradezu verräterisch, wie oft das Wort »keusch« in der entsprechenden Szene vorkommt). Die sinnliche Liebe vollzieht er, wenn es wahr ist, mit einer Jüdin und lebt mit ihr in Frankreich, weil das Ehepaar dort nicht, wie in Deutschland, auf den Segen der Kirche angewiesen ist. Auch in diesem Punkt sind Cäsar ideologische, sogar bürokratische Fragen wichtiger als menschliche, sinnliche Entscheidungen. Der Zynismus des Verführers liegt nicht mehr darin, daß er die Frauen zur Befriedigung seiner Gelüste gebraucht, um sie hernach fallen zu lassen, sondern in seinem intellektuellen Über-den-Dingen-Stehen. Mit seinem Denken und Meinen hält er sich Wally vom Leib. Er treibt im buchstäblichen Sinne das, was man mit einem bösen deutschen Wort (des späten 20. Jahrhunderts) als »Hirnwichserei« bezeichnet.
Gutzkows Roman wendet sich fast schon kokett gegen den Empfindsamkeitskult der Romantiker, doch in seiner Machart ist viel von der collagehaften Fragmentarik romantischer Prosa. Die Erzählung schließt mit einigen Seiten aus Wallys Tagebuch, und dieses Tagebuch enthält seinerseits als Fremdtext Cäsars Traktat über und wider das Christentum. Im Roman sehen wir Wally als Leserin; die anti-christliche Lektüre stürzt sie in den Abgrund, statt sie zu erbauen, wie es christliche Schriften seit jeher beanspruchen. Auch Wally erhofft sich Erbauung, also Stärkung, und zwar vom Menschen, den sie liebt, ebenso wie von den Texten die sie liest, doch sie wird von beiden bitter enttäuscht. Dem Leser des Romans steht es frei, jene Entrüstung über den männlichen Helden zu empfinden, auf deren Formulierung der Autor verzichtete möglicherweise deshalb, weil ihm Cäsar zu nahe stand.
Die Religionskritik ist heute auch in den Ländern christlicher Tradition nicht verstummt, obwohl sie manchmal den Anschein von Windmühlenkämpfen hat. Was, wenn alles historisch erklärt ist, wenn das gesellschaftliche Handeln durch und durch vernünftig geworden und die Quelle religiöser oder sonstwie phantastischer Märchen versiegt ist? Kein Opium mehr für das Volk! So bleibt womöglich ein waste land zurück, in dem empfindsame Gemüter wie Wally nicht existieren können. Ein so rücksichtsloser Atheismus ist eitel und zynisch, er beschränkt sich zuletzt auf bloße Rechthaberei. Und eben daran geht Wally zugrunde, mitsamt ihrer Sehnsucht nach vernünftigen Verhältnissen, in denen trotzdem für Liebe und Phantasie Platz wäre. Wally, die Zweiflerin ist das geistige Erzeugnis eines Zynikers, der uns eine unfreiwillige Tragödie vermacht hat. Vielleicht hätten sie die Dichtungen Heinrich Heines, den Gutzkow als Prosaschriftsteller verehrte, retten können:
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Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.
© Leopold Federmair
Guten Tag,
eine sehr tiefgehende Betrachtung. Ohne das Werk gelesen zu haben, scheint mir schon die Namensgebung der Figuren bedeutsam: Wally als weicher klingender, fast kindlicher Name; Cäsar von Natur aus mit Macht und Würde assoziiert und nach der hiesigen Beschreibung tatsächlich an jenen Lord Henry Wotton Oscar Wildes erinnernd. Und dann Religionskritik – aktueller war Gutzkow selten! Gerade eben habe ich bemerkt, dass das Werk in der Gutenberg-Bibliothek frei verfügbar ist; ich danke für den Tipp.
Mit Grüßen, Jana Issel
Man kann es (vermute ich) auch als »Anleitung für staatsfeindliche Umtriebe« lesen. Soll heißen: Wenn du Großes vorhast, stifte zunächst Unsicherheit, indem Du die Religion lächerlich machst. Fang an, die Schwächsten fertig zu machen.
Kommt ja heute noch vor, gespeist von Eitelkeit und krankhaftem Narzissmus.
Blöd inzwischen: Unruhe stiften ist ein Geschäftsmodell, und wird schon tüchtig vermarktet.
Das nüchterne Denken, das man Vernunft nennt, ist aber keine zweideutige Triebkraft, oder?! Das les’ ich öfter. Vernunft ist guuut, aber!– auch schlecht, weil beschränkt und borniert... Damit überzeichnet man doch nur den Vernunftbegriff. Ist ein typisch deutsches Topos. Zu gerne würde man glauben, dass die Vernunft wie ein roter Faden die Weltgeschichte durchwirkt.
Vernunft braucht man, wenn die Transzendenz ad acta gelegt wurde und der Mensch als einzige Instanz übrig bleibt. Man braucht sie als Ideal, um nicht wahnsinnig zu werden.