Die Pa­nik­ex­per­ten

In den letz­ten Ta­gen konn­te man be­ob­ach­ten, wie Pe­ter Slo­ter­di­jks Dik­tum von der Streß­ge­sell­schaft von den Me­di­en mit Bra­vour um­ge­setzt wur­de.

Die Re­de ist von den ver­meint­li­chen Ein­brü­chen auf den in­ter­na­tio­na­len Ak­ti­en­märk­ten. Tat­säch­lich schei­nen die­se auf den er­sten Blick dra­ma­tisch; Rück­gän­ge der In­di­zes von 5–7% an ei­ni­gen Bör­sen an ei­nem Tag sind si­cher­lich un­ge­wöhn­lich. Aber das reicht nicht. Sie wer­den als hal­be Apo­ka­lyp­se ge­schil­dert. Ver­brau­cher­ma­ga­zi­ne ge­ben rüh­ren­de Rat­schlä­ge, die mit dem Be­griff »Ru­he be­wah­ren« zu­sam­men­ge­fasst wer­den kön­nen.

Ein Rat­schlag, der mit dem Hype, der da un­ab­läs­sig er­zeugt wird, schwer in Ein­klang zu brin­gen ist. Da ist von Mil­li­ar­den Eu­ro die Re­de, die »ver­nich­tet« wor­den sind – ein ha­ne­bü­chen­der Un­sinn, weil die mei­sten An­le­ger ih­re Ak­ti­en ge­hal­ten ha­ben (s. u.). Da wird sich schnell an den höch­sten Ak­ti­en­kurs ori­en­tiert und ein ima­gi­nä­rer Ver­lust aus­ge­rech­net.

Man neh­me die BASF-Ak­tie.

Sie schloss heu­te mit ei­nem Kurs von 52,11 €. Das ent­spricht in et­wa dem Kurs vom Ok­to­ber 2010. Vor ge­nau ei­nem Jahr, am 09.08.2010, stand der Kurs bei 45,76 €. Wer da­mals ge­kauft hat und heu­te ver­kauf­te hat al­so im­mer noch ei­nen Ge­winn von brut­to 6,35 € pro Ak­tie ge­macht (das sind mehr als 13%). Ver­gli­chen mit den Wer­ten von vor zwei oder drei Jah­ren sä­he die Rech­nung noch viel bes­ser aus.

Nicht ganz so gün­stig fällt die Ana­ly­se bei der Daim­ler-Ak­tie aus.

Ei­ne Über­sicht über die Ge­win­ne und Ver­lu­ste zu be­stimm­ten Zei­ten kann man hier se­hen – wo­bei die Kur­se fort­lau­fend ak­tua­li­siert wer­den.

Die Ta­bel­le zeigt, dass es kei­ne ein­heit­li­che Stim­mung gibt; ei­ni­ge Un­ter­neh­men ent­wickeln im Vor­jahrs­ver­gleich sat­te Ge­win­ne, an­de­re grö­ße­re Ver­lu­ste. Zu be­rück­sich­ti­gen ist da­bei, dass der DAX-Wert nicht ein­fach ein Mit­tel aus al­len Kur­sen dar­stellt, son­dern die Ge­wich­tun­gen je nach Un­ter­neh­men un­ter­schied­lich aus­fal­len.

An den Vo­lu­mi­na er­kennt man, wie vie­le Ak­ti­en am Tag ge­han­delt wur­den. Die Ge­samt­zahl der BASF-Ak­ti­en be­läuft sich auf 918.478.694. Hier­von wur­den heu­te 14.928.292 ge­han­delt. Das sind ge­ra­de mal 1,6%. Laut An­ga­ben der BASF wur­den im Jahr 2010 im Schnitt 4,2 Mio. Ak­ti­en pro Tag ge­han­delt. Dem­nach wä­re das Han­dels­vo­lu­men 3,5 x hö­her als nor­mal. Den­noch kann von ei­nem Pa­nik­ver­kauf oder Pa­ni­kum­sät­zen nicht die Re­de sein.

Ähn­lich sieht die Bi­lanz bei Daim­ler aus. Hier sind es knapp 1,4% (1.065.641.97 zu 14.717.062). Das durch­schnitt­li­che Han­dels­vo­lu­men be­trägt hier nor­ma­ler­wei­se 5,7 Mio. Ak­ti­en pro Tag.

Ist das nun schon die gro­ßen Kri­se? Pro­ble­ma­tisch ist, dass Ak­ti­en seit län­ge­rer Zeit lei­der im­mer we­ni­ger In­di­ka­tor für den Wert ei­nes Un­ter­neh­mens sind. Statt­des­sen wird die Spe­ku­la­ti­on mit 2% des Ak­ti­en­be­stan­des als mei­nungs­bil­dend hoch­ge­jazzt und der Jar­gon der so­ge­nann­ten »Ana­ly­sten« mit Sach­kennt­nis ver­wech­selt. Schon klar, dass Öko­no­men der­zeit die Ner­ven blank lie­gen ha­ben. Aber ge­ra­de dann soll­te man ein biss­chen ru­hi­ger ana­ly­sie­ren statt dem Pa­nik­ge­schrei ein­fach ein Fo­rum zu bie­ten.

13 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Dan­ke, Gre­gor, für die­se nüch­ter­ne Klar­stel­lung. Ich fra­ge mich ja schon seit Jah­ren, wen die­ses tag­täg­li­che Bör­sen­ge­brab­bel ei­gent­lich in­ter­es­siert, hat doch die gro­ße Mehr­heit mit Ak­ti­en­ge­schäf­ten nichts zu tun. Dass Bör­sen­zocker, die auf kurz­fri­sti­gen Pro­fit aus sind, je­den Abend ge­bannt an den Lip­pen der Wahr­sa­ger von „Bör­se im Er­sten“ o.ä. hän­gen, ist auch eher un­wahr­schein­lich. Mil­li­ar­den­ver­lu­ste we­gen der fal­len­den Kur­se? Ei­ne völ­lig un­sin­ni­ge Dar­stel­lung, aber, so muss man doch fra­gen: War­um ma­chen die das?

  2. Mir fal­len drei Grün­de ein. Er­stens ist ei­ne sol­che Be­richt­erstat­tung re­la­tiv ein­fach, weil sie sich an Zah­len ori­en­tiert, die man ent­spre­chend auf­be­rei­ten kann. Zum an­de­ren wird da­mit Ak­tua­li­tät si­mu­liert. Und die Er­eig­nis­se sind von gro­sser Ab­strak­ti­on – da­her kön­nen sie sehr schön aus­ge­schmückt wer­den, oh­ne dass es hier­über Be­le­ge gibt. Lä­sti­ge Re­cher­che ent­fällt zu­meist. So spricht man zum Bei­spiel im­mer von »An­le­gern« – ei­ne amor­phe Grup­pe, die sel­ten ge­nau­er ge­fasst wird. In Wahr­heit han­delt es sich u. a. um Fonds- oder Ver­si­che­rungs­ma­na­ger, die ver­su­chen bei nied­ri­gen Zin­sen ir­gend­wo mehr zu be­kom­men. Der Boom an den Ak­ti­en­märk­ten nach 2008/2009 ist ja un­ter an­de­rem dar­in zu se­hen, dass man auf dem Ka­pi­tal­markt zu halb­wegs si­che­ren Kon­di­tio­nen kaum noch Geld an­la­gen kann (es sei denn, man geht sehr ho­he Ri­si­ken ein).

    Die Pro­gramm­pla­nung in der ARD spricht ja Bän­de. Da folgt der werk­täg­li­che Bör­sen­be­richt auf die Wet­ter­vor­her­sa­ge. Die Ver­wandt­schaft zwi­schen den bei­den Pro­gramm­punk­ten ist frap­pie­rend.

  3. Wo­bei man der heu­ti­gen Wet­ter­vor­her­sa­ge er­heb­lich mehr ver­trau­en darf, da sie auf ei­ner mitt­ler­wei­le ziem­lich aus­ge­reif­ten em­pi­ri­sche Er­fah­rung, auf Wis­sen­schaft und hoch­mo­der­ner Tech­nik ba­siert. Bör­sen­pro­phe­zei­un­gen hin­ge­gen ba­sie­ren, so wird uns ja auch manch­mal treu­her­zig er­klärt, auf „Stim­mung“ und „Phan­ta­sie“.

  4. Ein Be­kann­ter von mir hat das Ge­sche­hen wäh­rend des letz­ten Ein­bruchs ge­nau­er ana­ly­siert. Es ging et­wa 9 Mo­na­te ab­wärts bis seit­wärts, da­nach 2 Jah­re berg­auf. Zu­erst ver­kau­fen im­mer die Zocker, das ist dann die Pha­se, in der die Kur­se in den Kel­ler ge­hen, weil ja nur an­de­re Zocker in die­ser Zeit et­was kau­fen. Die gro­ßen in­sti­tu­tio­nel­len An­le­ger tun gar nichts. Ih­re An­tei­le sind so groß, dass sie sie so­wie­so nicht ver­kau­fen kön­nen. Ir­gend­wann sind dann die ver­blei­ben­den Pa­pie­re in star­ken und ru­hi­gen Hän­den, die Tal­soh­le ist er­reicht. Ei­nen An­stieg gibt es aber erst, wenn auch die Zocker wie­der Ver­trau­en ge­fasst ha­ben.

    Das Irr­sin­ni­ge ist, dass die­ser gan­ze Ak­ti­en­han­del mit dem Wert der Un­ter­neh­men gar nichts zu tun hat, weil – wie du ja ge­schrie­ben hast – im­mer nur we­ni­ge Pro­zent der Ak­ti­en ver- oder ge­kauft wer­den. Aber die­se we­ni­gen Pro­zent sor­gen für die Nach­rich­ten und ma­chen es den Un­ter­neh­men un­ter Um­stän­den schwer, fri­sches Geld für In­ve­sti­tio­nen auf­zu­trei­ben.

    Der ei­gent­li­che Grund für die Kri­sen in den USA oder im Eu­ro­raum liegt aber viel tie­fer: Mit dem von den Staa­ten ge­lie­he­nen Geld wur­den ja i.a. durch­aus sinn­vol­le Din­ge ge­tan, es sind al­so rea­le Wer­te vor­han­den – aber da­mit ist es nicht aus­ge­stan­den, son­dern man muss die Ren­di­te­er­war­tun­gen von pri­va­ten Geld­ge­bern be­die­nen. Wenn das Wachs­tum der rea­len Wirt­schaft aber hin­ter den Zins­er­war­tun­gen der Geld­wirt­schaft zu­rück­bleibt, dann gibt es nur zwei Op­tio­nen: Man streicht die For­de­run­gen oder man druckt Geld (stei­gert die In­fla­ti­on).

    Letzt­lich ist die ei­gent­li­che Ur­sa­che der Kri­se nur die Gier. In den USA ist das noch of­fen­sicht­li­cher als in Eu­ro­pa: Hier wer­den die Steu­ern von den Tee­par­tei­ver­bre­chern so nied­rig ge­hal­ten, dass der Staat sei­ne Auf­ga­ben nicht mehr er­fül­len kann. In Eu­ro­pa ist es et­was schwie­ri­ger, weil je­der Staat sich an­ders ent­wickelt, aber al­le über die ge­mein­sa­me Wäh­rung an­ein­an­der ge­fes­selt sind. Und über Ja­pan re­det der­zeit nie­mand, ob­wohl die mit über 220% Staats­schul­den viel stär­ker als z.B. die USA mit 100% oder Deutsch­land mit 80% des BIP ver­schul­det sind.

  5. @Köppnick
    Mit Dei­ner Dia­gno­se des Ak­ti­en­han­dels stim­me ich über­ein. Die BASF-Ak­ti­en ist ge­stern um fast 5% im Wert ge­fal­len – das Han­dels­vo­lu­men be­trug je­doch nur 12 Mio. Ak­ti­en.

    Ich weiss nicht, ob die­ses Phä­no­men in der Wirt­schaft ei­nen Na­men hat, aber es ist über­all an­zu­tref­fen. Im Roh­stoff­han­del kann man mit mi­ni­ma­lem Auf­wand Prei­se (vor­über­ge­hend) ab­stür­zen las­sen, wenn man es ge­schickt an­stellt. Um­ge­kehrt ist das schon schwie­ri­ger, wie man an der Hunt-Af­fä­re in den 70er Jah­ren se­hen kann. Die zeigt im üb­ri­gen auch, wie sol­che Bla­sen mit ei­gent­lich ganz ein­fa­chen Mit­teln zum Plat­zen ge­bracht wer­den kön­nen.

    In­ter­es­sant ist, das die­se von Dir be­schrie­be­nen Vor­gän­ge von den Me­di­en als In­di­zi­en für bei­spiels­wei­se die Wirt­schafts­kraft von Un­ter­neh­men (oder so­gar Volks­wirt­schaf­ten) ge­se­hen wer­den. Das sind sie ja höch­stens in­di­rekt. Ge­fähr­lich wird es, wenn die Ak­ti­vi­tä­ten die­ser ver­hält­nis­mä­ßig klei­nen Schar von Spe­ku­lan­ten zu selbst­er­fül­len­den Pro­phe­zei­un­gen mu­tie­ren. Über die­sen Weg er­rei­chen die Kurs­ab­stür­ze dann tat­säch­lich das Ziel, was ih­nen me­di­al zu­ge­spro­chen wird.

    Die Lö­sung wä­re, dass man den Bör­sen­han­del di­ver­si­fi­ziert. Zum ei­nen wer­den Un­ter­neh­men ge­mäss ih­rer öko­no­mi­schen Kenn­zah­len von un­ab­hän­gi­gen »Con­trol­lern« be­wer­tet (nicht Ra­ting-Agen­tu­ren – die spre­chen die Spra­che des­sen, der sie be­zahlt). Hier­auf wird dann ei­ne Art Kenn­zahl er­mit­telt, die un­ab­hän­gig vom ei­gent­li­chen Ak­ti­en­kurs ist und den rea­len Wert (an­nä­hernd) auf­zeigt. Da die Mehr­heit der Ak­ti­en­pa­ke­te (bei se­riö­sen Fir­men) bei in­sti­tu­tio­nel­len An­le­gern lie­gen, die an­de­re Zie­le als den kurz­fri­sti­gen Rei­bach ver­fol­gen, wä­re der Par­kett­kurs nur noch se­kun­där und den Spe­ku­lan­ten vor­be­hal­ten. Die­se könn­te man mit ei­ner Bör­sen­um­satz­steu­er ein biss­chen den Spass ver­der­ben. Zwar soll­te die­se wenn mög­lich min­de­stens eu­ro­pa­weit ein­ge­führt wer­den, aber nur Not wä­re sie auch nur in Deutsch­land mög­lich. Schon um die­se psy­cho­lo­gisch schlech­ten und hy­ste­ri­schen Nach­rich­ten ein­zu­däm­men. (Zur Not könn­te man sie ja in Eu­ro­pa nur in den Län­dern ein­füh­ren, die auf rich­ti­gen Sei­te Au­to fah­ren.)

    Den zwei­ten Teil Dei­ner Ant­wort se­he ich et­was an­ders. Län­der wie Ita­li­en oder Grie­chen­land ha­ben sich so­zu­sa­gen im Schat­ten des Eu­ro bil­lig Geld be­sorgt. Dies muss na­tür­lich – un­ab­hän­gig von den Er­war­tun­gen der Kre­dit­ge­ber – zu­rück­ge­zahlt wer­den, und sei es auch nur in Form der Zins­zah­lun­gen (wie das bei Deutsch­land bspw. der Fall ist; ge­tilgt wird hier ja auch schon sehr lan­ge nicht mehr). So­mit muss der durch das ge­borg­te Geld er­wirt­schaf­te­te Er­trag hö­her lie­gen als die Zin­sen, die man am Ka­pi­tal­markt be­zah­len muss. Das hal­te ich zu­nächst ein­mal nicht für falsch. Das Pro­blem war nur, dass Tei­le der Gel­der ent­we­der ver­sickert sind oder zur Be­die­nung kurz­fri­sti­ger Ver­bind­lich­kei­ten ver­wen­det wur­den (Ge­häl­ter der Staats­be­dien­ste­ten). So­mit muss­te man um die Zin­sen zu be­zah­len, wie­der neue Kre­di­te auf­neh­men, usw.

    Da­her ist es auch ein Feh­ler, dass die EZB Staats­an­lei­hen fra­gi­ler Na­tur auf­kauft und die Gläu­bi­ger aus­zahlt. Das be­lohnt die­se nach­träg­lich noch. Es be­lohnt aber auch nach­träg­lich das Vor­ge­hen der Staa­ten. Jetzt wer­den die ma­ro­den Volks­wirt­schaf­ten (be­son­ders Grie­chen­land) ge­zwun­gen zu spa­ren, was na­tür­lich schnell un­sin­nig wird, weil gar kein Geld mehr da ist, das aus­ge­ge­ben wer­den könn­te. Gä­be man Grie­chen­land jetzt wie­der Geld, wä­re der Ef­fekt in ei­ni­gen Jah­ren wie­der ge­nau so, es sei denn, man wür­de die na­tio­na­le Sou­ve­rä­ni­tät des Lan­des ein­schrän­ken und das Haus­halts­recht auf­he­ben.

    Der Sün­den­fall der USA wur­de von Clin­ton be­gan­gen. Der hob in den 90er Jah­ren die mehr als 60 Jah­re al­te Re­ge­lung auf, dass In­vest­ment­ban­ken von »nor­ma­len« Ban­ken ge­trennt wer­den müs­sen. Da­mit war der Weg frei, dass Ban­ken ir­gend­wann »sy­stem­re­le­vant« wer­den. Das wich­ti­ge Kor­rek­tiv des Ka­pi­ta­lis­mus, die In­sol­venz, war qua­si aus­ge­schlos­sen.

    Nach­dem die Bush-Re­gie­rung Fan­nie Mae und Fred­die Mac un­ter­stützt hat­te, woll­te man mit der In­sol­venz von Leh­man ein Zei­chen set­zen. Leh­man war weit­ge­hend nur In­vest­ment­bank ge­blie­ben. Aber schon bei AIG knick­te die Bush-Re­gie­rung wie­der ein.

    In­zwi­schen sind die ver­meint­li­chen Staats-Ret­tun­gen ja mehr oder we­ni­ger zu Ret­tun­gen der ein­hei­mi­schen ban­ken ge­wor­den. Lässt man Grie­chen­land in die In­sol­venz ge­hen, wür­de dies in Frank­reich und – in klei­ne­rem Rah­men – auch Deutsch­land ei­ni­ge Ban­ken vor gro­ße Pro­ble­me stel­len.

  6. »Das Brot es­sen die Bau­ern... «

    Mei­ner Mei­nung nach fun­giert die­se Fi­xie­rung auf Bör­se – als ein im­mer­hin in Zah­len ab­bild­ba­rer, al­so ver­meint­lich ob­jek­ti­ver Sach­ver­halt – als ein Er­satz-In­di­zes ei­ner Ge­sell­schaft, auf de­ren Kom­ple­xi­tät man sich im­mer we­ni­ger ei­nen Reim ma­chen kann.

    Ein­ge­führt wur­de das mit dem Auf­kom­men der Re­kla­me­sen­der bzw. NTV, die sich da­mit ge­ben die Be­tu­lich­keit der ÖR (und mit noch ein paar wei­te­ren aus den USA im­por­tier­ten For­mat­de­tails) ei­nen An­schein von Re­le­vanz und Fak­ten­ori­en­tiert­heit zu ge­ben ver­such­ten. Au­ßer­dem muss man das wohl im Zu­sam­men­hang se­hen mit den Power­point-Al­bern­hei­ten sei­ner­zeit, mit ei­ner neu­en Prä­sen­tier­kul­tur und der »Vi­sua­li­sie­rung« der Din­ge un­ter Be­schleu­ni­gungs- und da­mit Ver­fla­chungs­ef­fek­ten. (Die be­rühm­ten »Fak­ten Fak­ten Fak­ten « bei Fo­cus oh­ne wei­te­re In­for­ma­ti­ons­tie­fe.)

    Aber noch et­was hängt an den Bör­sen­kur­sen, und das ist die aber­wit­zi­ge fal­sche Re­le­vanz ei­ner Sa­che, die sich – ei­gent­lich längst be­kannt – als durch und durch ir­re­al her­aus­ge­stellt hat. Je­der »Bör­sen­fach­mann« hat in sei­nem Re­per­toire – es gibt meist ja kei­ne Er­klä­run­gen – , wie al­les Bör­sen­ge­sche­hen ei­gent­lich »Psy­cho­lo­gie« ist, »In­tui­ti­on und Bauch­ge­fühl«, wie hier die »Zu­kunfts­er­war­tun­gen« un­ter Schwarm- und Her­den­phä­no­me­nen ge­han­delt wer­den.

    Wenn aber so et­was in sich Ver­rück­tes Kli­ma und Hand­lungs­rah­men so­gar der in­ter­na­tio­na­len Po­li­tik be­stimmt muss ja was dran sein, oder? Auch wenn es tat­säch­lich auf die al­ler­mei­sten Men­schen auf Er­den kei­ne di­rek­te Aus­wir­kung hat. Der sich aber trotz­dem die Ent­schei­der un­ter­wer­fen und da­mit zu weit­rei­chen­den Ent­schei­dun­gen sich ge­drängt se­hen, was wie­der­um be­deu­tet, dass die gan­ze Steue­rung der Welt letzt­lich an ei­nem Fram­work aus Kon­ven­tio­nen und Ho­kus­Po­kus hängt – was aber nie­mand ernst­haft gel­ten las­sen kann, wes­halb man sich um­so mehr fi­xie­ren muss auf Pseu­do-Ra­tio­na­li­tät, was de­ren Trends zum Trend man­gels bes­se­rer Pa­ra­me­ter ver­stärkt.

    Dass die Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten sich auch im­mer mehr als Ma­ya her­aus­ge­stellt ha­ben und ei­gent­lich längst des­avou­iert sind – wie sich ja auch im­mer wie­der zeigt, dass die gan­zen Bör­sen­ana­ly­sten ei­gent­lich aus Ki­stall­ku­geln le­sen und an­dau­ernd fal­sche Pro­gno­sen lie­fern und al­les Fach­wis­sen al­so nichts nutzt – un­ter­streicht das nur noch.

    Und auch die Be­richt­erstat­tung er­zeugt ei­gent­lich längst sel­ber die Er­eig­nis­se – wie die Hilf­lo­sig­keit den ab­seh­ba­ren Ak­tio­nis­mus nach ein­ge­spiel­ten Mu­stern er­war­ten las­sen. Das Geld ist ei­gent­lich nur mehr für die Ban­ken und die un­ab­läs­sig an­wach­sen­de »Bla­se« von Arith­me­tik und »In­for­ma­ti­on«, die gar nichts mehr be­sa­gen. (Wer ver­steht denn schon die Bil­lio­nen, bei de­nen wir mitt­ler­wei­le an­ge­langt sind? Wie­so gibt es kei­ne rich­ti­gen »Schul­di­gen« mehr bei den Plei­ten au­ßer den klei­nen Dep­pen, die sich zu Spe­ku­la­tio­nen mit Pro­duk­ten ha­ben hin­rei­ßen las­sen, die da­für ge­macht sind, dass nie­mand sie ver­steht? Usw.)

    Die Kreis­läu­fe lau­fen leer in sich selbst, und al­le sind wir ei­gent­lich zu­gleich »Grie­chen­land«, das heißt plei­te, wie auch Spiel­fi­gu­ren in ei­nem Bau­dril­lard­schen, nicht mehr zu stop­pen­den »Hy­per­si­mu­lak­rum«. Al­le le­ben wir dar­in: In ei­ner »Welt am Draht«.

     

  7. Die »rich­ti­gen« Schul­di­gen...
    gibt’s doch: Der grie­chi­sche Staat; Ber­lus­co­ni; der von Ih­nen ge­nann­te Klein­spa­rer, der mal gro­ße Welt spie­len woll­te, Acker­mann (der per­so­ni­fi­zier­te Bö­se­wicht mit dem wei­chen Ak­zent). Da der Jour­na­lis­mus sich zu­meist jen­seits jeg­li­cher Sach­kennt­nis – nein: Neu­gier – be­wegt, rei­chen die­se Bil­der meist als Fut­ter. Tat­säch­lich blei­ben die »Zocker«, die Spe­ku­lan­ten, selt­sam an­onym – nie­mand will es sein, selbst Acker­mann er­scheint als Bie­der­mann. Ich er­in­ne­re mich an ei­nen Be­richt über ihn wo er in ein Deut­sche-Bank-Bü­ro in New York (oder Wa­shing­ton?) geht. Auf dem Tisch stand kein Com­pu­ter!

    Statt­des­sen: die backen­pru­sten­den »De­vi­sen­händ­ler«, von de­nen ei­ner längst Talk­show­me­ri­ten ge­nießt, ob­wohl sei­ne Aus­sa­gen von je­dem BWL-Stu­den­ten im er­sten Se­me­ster sein könn­ten. Egal: es zählt – auch hier – die Au­then­ti­zi­tät, der Stall­ge­ruch. Wenn nichts mehr geht, wird ein Jün­gel­chen vor­ge­führt, dass (s)eine Bank be­tro­gen hat. Oder den­ken Sie an die Leh­man-An­ge­stell­ten, die im T‑Shirt und ei­nem Papp­kar­ton mit Ku­gel­schrei­bern und Kaf­fee­tas­se aus der in­sol­ven­ten Bank ka­men. Sie sa­hen ein­mal nicht mehr er­ha­ben aus, son­dern nur noch lä­cher­lich; ge­stürzt von sich sel­ber. Viel­leicht muss­te nur des­we­gen die­se Bank schlie­ßen – der Bil­der we­gen.

  8. Ja, aber sind das über­haupt wirk­li­che „Schul­di­ge“? Ih­re Auf­zäh­lung ist schlüs­sig, aber zu­gleich kom­men mir die Ge­nann­ten vor wie ei­ner­seits Zau­ber­lehr­ling und an­de­rer­seits dis­pa­ra­tes Per­so­nal. Weil das „Sy­stem“ so um­fas­send ist – und mit „Gier ist gut“ wä­ren wir ja al­le da­bei – hat es kein ei­ge­nes wie auch kein ei­gent­li­ches Ge­sicht.

    (Und es ist auch mit dem gu­ten al­ten Recht nicht greif­bar. Wä­re viel­leicht in­ter­es­sant zu hö­ren, was Gi­or­gio Agam­ben da­zu sagt.)

     

  9. Ja, es sind »Schul­di­ge« (al­so »Tä­ter«), aber auch zu­gleich (oder we­nig­stens teil­wei­se) »Op­fer«. Al­so aber­mals ein Be­leg da­für, dass sol­che – me­di­al ge­schür­ten – pla­ka­ti­ven Zu­ord­nun­gen Pro­zes­se und Ent­wick­lun­gen ein­fach un­zu­rei­chend kom­men­tie­ren und da­mit – auch wie­der so ei­ne In­vek­ti­ve – »ver­harm­lo­sen«.

    Aber be­schreibt Slo­ter­di­jk die­se auf per­ma­nen­te Er­re­gung aus­ge­rich­te­te Ge­sell­schaft nicht ziem­lich ge­nau? Dann be­stün­de die Um­kehr in ei­ner Ver­wei­ge­rung, sich af­fek­tiv be­ein­flus­sen zu las­sen. Wä­re dies ei­ne Welt­flucht oder – pa­the­tisch aus­ge­drückt – Welt­ret­tung? Denn die Macht der Er­re­gungs­ma­schi­nen be­steht ja nur dar­in, dass un­ter de­ren Hy­ste­rie Ent­schei­dun­gen ge­trof­fen wer­den, de­ren Aus­wir­kun­gen schwer über­blick­bar blei­ben. Je­der Par­la­men­ta­ri­er klag­te über die tau­sen­de Sei­ten star­ke Ge­set­zes­vor­la­ge zu den »Ret­tungs­schir­men«. Es ist ei­ne Ma­xi­me ei­nes Ein­käu­fers in der Wirt­schaft, sich nicht un­ter zeit­li­chen Druck set­zen zu las­sen.

  10. In die­ser Lo­gik wä­ren aber – Ver­zei­hung! – auch KZ-Wär­ter »Op­fer« (und zu­al­ler­letzt sind sie es wohl auch). Aber es gibt den Un­ter­schied, und von da­her müss­te er auch gel­ten, dass man von ei­ner In­nen­per­spek­ti­ve der Din­ge auf ei­nem aus­rei­chen­den Er­kenn­tis­hö­he ist um die me­dia­len Ver­ein­fa­chun­gen igno­rie­ren zu kön­nen, um dann doch ver­ant­wort­lich zun han­deln.

    (Und, man ent­kommt hier viel­leicht sub­ti­len Pa­thos­for­meln nicht, aber es g i b t sie ja auch, die aus­drück­li­chen Aus­stei­ger – die dann me­di­al wie­der zum Zeu­gen und Zu­trä­ger wer­den. Und – auch wenn ich mir da­mit selbst wi­der­spre­che – dann doch auch das ein­zel­ne Ge­sicht.)

    Was ich mer­ke, ist, dass so­gar so je­man­den wie mich, der sich weit weg ein­ge­rich­tet hat und sich es mei­stens zu lei­sten kön­nen glaubt, die Din­ge nur­mehr zu ver­fol­gen, dass sie mich ab ei­nem be­stimm­ten Punkt doch wie­der »heiß« an­ge­hen müs­sen. Und die­sen Punkt gibt es ei­gent­lich in je­der­mann, und so­wie­so in den Han­deln­den.

    Ei­gent­lich wür­de ich Slo­ter­di­jk zu­stim­men mit die­ser af­fek­ti­ven Ent­halt­sam­keit: Über­haupt müss­te man die Din­ge (die Welt) viel­leicht viel­mehr »scho­nen«. Doch ist da­für bei der sich über­schla­gen­den Glo­ba­li­sie­rung wohl zu spät. Und man kommt an­schei­nend, will man ein ge­sell­schaft­li­ches Pa­la­ver or­ga­ni­sie­ren, auch um die­se Er­re­gungs­ma­schi­nen nicht her­um. Man müss­te es viel­leicht nur erst­mal schaf­fen, den »Pa­nik­ex­per­ten« zu Wort zu ent­zie­hen. Aber die Adres­sier­ten, ihr Pu­bli­kum, scheint mir oft schon viel wei­ter – zu­min­dest in der Zu­rück­hal­tung vor der Er­reg­bar­keit.

    Was aber nicht ganz weg­geht, ist wohl die ge­fühl­te Dring­lich­keit. Und wahr­schein­lich wird sie im­mer wie­der je­mand be­die­nen.

     

  11. Ich re­de die­ser Tä­ter-Op­fer-Di­cho­to­mie, die in vor­aus­ei­len­der Pseu­do-Men­schen­freund­lich­keit al­les gna­den­los (!) her­un­ter­ni­vel­liert in kei­nem Fall das Wort. Im Ge­gen­teil: ich ver­such­te dar­zu­stel­len, wie un­taug­lich so et­was ist.

    Und Slo­ter­di­jks »Du mußt dein Le­ben än­dern« ist na­tür­lich mehr als nur Ab­senz vom Ta­ges­ge­schwätz – es be­inhal­tet die Ver­pflich­tung, sich nicht nur sei­nes Ver­stan­des zu be­die­nen, son­dern die­sen auch »ein­zu­set­zen« für an­de­re.

  12. Dann ist das doch eben der ge­mein­sa­me Punkt: Ei­ne für je­der­mann wei­ter ge­fass­te­re Ver­ant­wort­lich­keit. Je­der in sei­nem Be­reich (wie ja de fac­to je­de Tat ih­ren ge­sell­schaft­li­chen Ha­lo hat) statt in der pro­pa­gier­ten, teils pa­nisch ver­fass­ten Ei­ge­nüt­zig­keit. Und üb­ri­gens nä­hert man sich da ja wie­der ei­nem leicht alt­mo­di­schen Prin­zip, das man eben­so bei Kant fin­det wie in der »Christ­lich­keit« ( ei­ne auch oh­ne Kir­che). Wenn man so will: Ein­fa­che »Ver­bind­lich­kei­ten« ge­gen die all­sei­ti­ge Über­schul­dung.

    Könn­te man al­so sol­che Ein­fach­heit ge­gen ei­ne zah­len­ge­steu­er­te Welt stel­len? Viel­leicht ent­schei­det es sich eben da? Aber wenn man auch im­mer da­von kom­men kann...