Die Un­fä­hig­keit, zu goog­len

Der Vor­wurf des Pla­gi­ats ist der schlimm­ste, den man ei­nem Schrift­stel­ler ma­chen kann. Da­her soll­te man mit sol­chen Be­schul­di­gun­gen vor­sich­tig um­ge­hen. Pla­gi­ats­ge­schich­ten ha­ben meist nicht nur Ent­hül­lungs­cha­rak­ter. Die schlech­ten Ent­hül­lun­gen de­nun­zie­ren auch im­mer gleich mit. Es gibt zahl­rei­che Bei­spie­le für Kam­pa­gnen, die ge­le­gent­lich durch­aus die In­ten­ti­on hat­ten, Schrift­stel­ler auch öko­no­misch zu ver­nich­ten.

Die De­fi­ni­ti­on von dem, was man »Pla­gi­at« nennt, ist recht klar. Ne­ben der recht­li­chen Er­klä­rung, gibt es auch ei­ne ethi­sche. Bei­de In­ter­pre­ta­tio­nen ma­chen es so schwie­rig fest­zu­stel­len, ob et­was Pla­gi­at ist, ein Mo­tiv ver­wandt wur­de oder ob es ei­ne Ver­än­de­rung oder Wei­ter­ent­wick­lung ei­nes Mo­ti­ves ist.

Deef Pir­ma­sens hat in sei­nem Web­log »die ge­fühls­kon­ser­ve« He­le­ne He­ge­manns Best­sel­ler »Axolotl Road­kill« mit dem Buch »Stro­bo« des Blog­gers »Ai­ren« ver­gli­chen und ver­blüf­fen­de Par­al­le­len fest­ge­stellt, die er aus­führ­lich do­ku­men­tiert.

Aus­drück­lich schreibt Pir­ma­sens:

    Es gibt noch mehr, in de­nen nicht Wort für Wort ko­piert, aber das Hand­lungs­mo­tiv ei­ner Sze­ne über­nom­men wur­de. He­le­ne He­ge­mann zeigt uns in Axolotl Road­kill zwar, dass sie nicht nur für ihr Al­ter, son­dern ganz all­ge­mein ei­ne be­ach­tens­wert wort­ge­wal­ti­ge und wun­der­voll bö­se Schrei­be hat. Aber statt sich nur von an­de­ren in­spi­rie­ren zu las­sen und zu zi­tie­ren, schreibt sie ab

Die von ihm auf­ge­führ­ten Bei­spie­le sind schla­gend. Und wenn es noch mehr gibt, dann han­delt es sich nicht um ein Zi­tat oder ei­ne Ne­ben­hand­lung, die »un­ter­ge­mo­gelt« wur­de. Dann han­delt es sich um ein Pla­gi­at.

Scha­de, denn He­ge­mann war ja das Hät­schel­kind des deut­schen Feuil­le­tons. Das Buch wur­de über den grü­nen Klee ge­lobt – die Grün­de lie­gen na­tür­lich dar­in, weil den Re­zen­sen­ten hier ei­ne Welt ge­zeigt wird, die sie gar nicht ken­nen und für exo­ti­sche Ju­gend­li­che hat man doch im­mer ein Ohr, zu­mal wenn sie Au­then­ti­zi­tät, die Krücke al­ler Le­bens­frem­den, sug­ge­rie­ren. So schwärm­te noch am Frei­tag in den ZDF-Sen­dung »Die Vor­le­ser« der Ba­rack Oba­ma der deut­schen Li­te­ra­tur­kri­tik, Ijo­ma Man­gold, in den höch­sten Tö­nen – was bei der durch­aus le­bens­ge­wand­te­ren Co-Mo­de­ra­to­rin Ame­lie Fried (sie wies auf ih­re zwei pu­ber­tie­ren­den Kin­der ähn­li­chen Al­ters hin) auf ziem­li­che Skep­sis stieß. Den­noch lie­ßen bei­de kei­nen Zwei­fel dar­an: Hier schreibt ein Wun­der­kind. Nur: Heißt die­ses »Wun­der­kind« He­le­ne He­ge­mann?

Fast noch in­ter­es­san­ter als die Fra­ge, wo ge­klaut wur­de, ist: War­um hat die Li­te­ra­tur­kri­tik dies nicht ent­deckt. Wie­der Pir­ma­sens:

    He­le­ne He­ge­manns Qua­si-Ein­ge­ständ­nis “ich be­die­ne mich über­all” kann nicht als Recht­fer­ti­gung her­an­ge­zo­gen wer­den. Es stellt sich viel mehr die Fra­ge, war­um an­de­re Re­zen­sen­ten an die­ser Stel­le nicht be­gon­nen ha­ben, Lun­te zu rie­chen. Ei­ne Goog­le-Su­che hät­te sie zu Ai­rens Blog und dar­in zu sei­nem Ro­man ge­führt.

Die Fra­ge ist mehr als be­rech­tigt. Sie zeigt vor al­lem ei­nes: Die In­kom­pe­tenz der zeit­ge­nös­si­schen (!) Li­te­ra­tur­kri­tik im Um­gang mit den neu­en Me­di­en. Es herrscht weit­ge­hend die Un­fä­hig­keit, zu goog­len.

Die er­sten Re­ak­tio­nen des Feuil­le­tons sind durch­aus be­mer­kens­wert. So führt Fe­li­ci­tas von Loven­berg in ei­nem merk­wür­dig ver­tei­di­gen­den Ar­ti­kel in der F.A.Z. das Kri­te­ri­um des Al­ters ein, nach­dem Pla­gi­ats­vor­wür­fe ruch­bar sind und oder nicht:

    »Die Fra­gen, die seit dem Wo­chen­en­de an das Buch und die Au­torin ge­stellt wer­den, soll­ten im­mer auch mit Blick auf die Ju­gend die­ses auf­stre­ben­den Ta­lents dis­ku­tiert wer­den.«

Das ist ei­ne er­staun­li­che – und neue Fest­stel­lung: Es gibt al­so ei­ne Art »Ju­gend­recht« für Pla­giat­vor­wür­fe? Muss man in Zu­kunft nach dem Al­ter des Au­tors fra­gen, um fest­zu­stel­len, dass da et­was »ge­klaut« wur­de? Und: Wel­ches Ta­lent meint von Loven­berg ei­gent­lich?

In Wirk­lich­keit scheint sich als Ab­wehr­hal­tung des Feuil­le­tons her­aus­zu­kri­stal­li­sie­ren: Es ist nicht so schlimm, von ei­nem weit­ge­hend un­be­kann­ten Me­di­um aus dem Web ge­klaut zu ha­ben – He­ge­mann kann zur Not noch als Tran­skri­bi­stin vom In­ter­net ins Buch ge­fei­ert wer­den. Man ent­schul­digt sich (streicht da­bei na­tür­lich wei­ter das Geld al­lei­ne ein) und al­le kom­men halb­wegs un­ge­scho­ren aus der Sa­che her­aus.

Scha­de nur, dass die al­ten Män­ner dem net­ten Mäd­chen jetzt nicht mehr den Buch­preis ge­ben kön­nen. Hät­te doch so nett wer­den kön­nen. Der Le­ser sagt: Dan­ke­schön, Deef Pir­ma­sens, dass uns das (hof­fent­lich!) er­spart ge­blie­ben ist.

102 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ri­chard Strauss wur­de ein­mal von ei­nem Freund oder Be­kann­ten dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ei­ne be­stimm­te Stel­le be­reits bei ei­nem an­de­ren Kom­po­ni­sten zu hö­ren war. Strauss: »Nicht wahr, das ist doch ei­ne schö­ne Stel­le, die muss­te ich ver­wen­den.«
    Ob in der Mu­sik ei­ne Stel­le ein Pla­gi­at oder ei­ne Eh­rung ist, hängt von Fall zu Fall ab. Bei Bruck­ner kommt manch­mal et­was von Wag­ner vor, doch kei­ner wür­de Bruck­ner des Pla­gi­ie­rens von Wag­ner be­zich­ti­gen. In der so­ge­nann­ten »U‑Musik« fin­den sich häu­fig An­lei­hen von der »E‑Musik«, die mehr oder we­ni­ger le­gi­tim sind. Ich spre­che hier aber nicht von Cross-Over.
    In der Li­te­ra­tur sieht die Sa­che an­ders auch. Wie ist das z.B. mit der An­ti­go­ne von Anouilh. Da wird Stoff ver­ar­bei­tet.
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    Wenn For­mu­lie­run­gen über­nom­men wer­den, oh­ne dass sie als Zi­ta­te ge­kenn­zeich­net sind, ist das im Prin­zip so­lan­ge nicht bö­se, so­lan­ge kei­ne Vor­tei­le dar­aus er­wor­ben wer­den. Was aber hier und oft auch in der Tech­nik nicht der Fall ist. Wie sieht es mit Reis und Bell aus. Wer hat am Te­le­fon ver­dient?
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    Ge­ne­rell wer­fe ich die Vor­gangs­wei­se nicht »dem net­ten Mäd­chen« vor. Es ist der Zeit­geist, der hier die Mit­tel er­stens leicht er­mög­licht, zwei­tens noch durch un­se­re Hype-Kul­tur be­gün­stigt.
    Aber es hät­te mich ge­freut, ei­ne Lob­hu­de­lei von MRR oder Iris Ra­disch zu hö­ren, um spä­ter dann die Auf­klä­rung prä­sen­tiert zu be­kom­men.
    Ja, das hät­te mir wirk­lich ge­fal­len:)

  2. Ja, Du sprichst den Grenz­be­reich ge­nau an. Anouilhs Stoff­ver­ar­bei­tung lässt ja nie Zwei­fel dar­an, was da ver­ar­bei­tet wird.

    Und ich glau­be, dass der Deef Pir­ma­sens mehr her­aus­ge­fun­den hat als ein, zwei ge­lun­ge­ne For­mu­lie­run­gen. Und – wer weiß: Viel­leicht hat das »net­te Mäd­chen« da­mit am we­nig­sten zu tun. (Ich spe­ku­lie­re jetzt na­tür­lich nur; s. o.)

  3. Co­py & Pa­ste
    War­um soll­te in der Li­te­ra­tur et­was er­laubt, der Ju­gend nach­ge­se­hen wer­den, was un­red­lich ist und an­ders­wo be­straft wird?
    Aber da das Pla­gie­ren in Schu­le und Stu­di­um, beim Ver­fas­sen von schrift­li­chen (Abschluss-)Arbeiten, kaum ge­ahn­det weil sel­ten ent­deckt wird, soll­te man sich nicht wirk­lich wun­dern.

  4. Ge­ra­de we­gen des Ver­la­ges ist auch ei­ne De­bat­te über ein Ju­gend­pla­gi­ats­recht voll­kom­men ab­surd. Denn die sind voll zu­rech­nungs­fä­hig und soll­ten ei­nem Au­toren eh freund­lich klar­ma­chen, daß er ei­ge­ne Lei­stung ab­zu­lie­fern ha­be, was der Ver­lag auch ge­tan zu ha­ben be­haup­tet – (und not­falls kon­trol­lie­ren). Zu­dem ist es ja der Ver­lag, der sol­ches in Ver­kehr bringt und als Wirt­schafts­gut zu ver­ant­wor­ten hat.... Und die Stel­lung­nah­me von He­ge­mann selbst ist – mir feh­len die Wor­te. Ich hal­te es für die auf na­iv ge­trimm­te und in schlech­tem Deutsch vor­ge­tra­ge­ne Um­for­mung ei­nes an­walt­lich vor­ge­ge­be­nen Tex­tes..... Lest selbst

  5. in schu­le und stu­di­um
    schau­en leh­rer und do­zen­ten mitt­ler­wei­le schon bei goog­le nach, um so zu ver­hin­dern, dass et­wa gan­ze pas­sa­gen von wi­ki­pe­dia ab­ge­schrie­ben wer­den und bei ma­gi­ster- und dok­tor­ar­bei­ten gibt es ei­ge­ne com­pu­ter­pro­gram­me, die das her­aus­fin­den sol­len..

    war­um hat he­ge­mann auf die ex­pli­zi­te fra­ge nach wei­te­ren quel­len ge­ra­de die­se nicht an­ge­ge­ben (viel­leicht doch ei­ne form von un­rechts­be­wusst­sein?) und war­um hat das lek­to­rat der 17-jäh­ri­gen so ein­fach ge­glaubt?

    [EDIT: 2010-02-14 18:15]

  6. Wie­so soll sie den Preis jetzt nicht mehr krie­gen kön­nen?
    Ist doch – ne­ben im­mer­hin Qua­li­täts­aspek­ten – im­mer auch ein Teil Mar­ke­ting da­bei (wie vie­le Prei­se ja über­haupt aus sol­chen Über­le­gun­gen her­aus ge­schaf­fen wer­den). Und jetzt bei der Kon­tro­ver­se? Wo­mög­lich bringt das in die ganz Co­py­right-De­bat­te die ent­schei­den­den Fra­gen auf? (Könn­te ja je­der co­py & pa­ste-Künst­ler, 17-jäh­ri­ge bald mal ein Buch schrei­ben statt Schul-Auf­sät­ze ab­zu­kup­fern. Tat­säch­lich aber gab’s in den 60ern [letz­tes Jahr­hun­dert] mal ei­ne Be­we­gung [im Zu­ge der »neu­en Sub­jek­ti­vi­tät«] die aus­drück­lich pro­kla­mier­te: »Schreib’s neu und schreib dei­nen Na­men drun­ter«. Die Tex­te auf dem Ai­ren-Blog schei­nen mir auch nicht ge­ra­de... na­ja, »ori­gi­nell.«)

    Was ist aber über­haupt mit dem Buch? Wer hat es ge­le­sen? Ist es Li­te­ra­tur? Kann doch nicht nur Hype sein? So­viel Ver­blen­de­te? So­viel grum­meln­de Un­er­reich­ba­re? Es wird über ein Buch ge­re­det, und Kul­tur-Deutsch­land er­regt sich!

    Dass heu­te im­mer häu­fi­ger die Kri­te­ri­en zu ei­nem sol­chen zu­neh­mend au­ßer-li­te­ra­ri­sche sind, ist schon be­zeich­nend ge­nug. (Der Link auf den Jörg Sun­dermei­er-Ar­ti­kel, der m.M. die Um­stän­de ganz gut zu­sam­men­fasst, ist ja hier auf der Sei­te.)

    Was mir noch auf­fällt: Ko­mi­sche Al­li­an­zen zeich­nen sich da ab, so­wohl Pro als auch Con­tra. (So­gar der ewig nör­ge­li­ge, da­bei sel­ber so ver­jähr­te Bil­ler fin­det plötz­lich zur Af­fir­ma­ti­on!)

    Viel­leicht sind sol­che Fäl­le ganz gut, weil fast al­le Aspek­te ein­mal durch­ein­an­der ge­wir­belt wer­den?

    Aber noch mal die Haupt­fra­ge: Ist das Li­te­ra­tur???

     

  7. Ja, die ent­schei­den­de Fra­ge: Ist das Li­te­ra­tur? Ver­mut­lich. Aber: Ist es GUTE Li­te­ra­tur? (ich be­ab­sich­ti­ge das Buch zu le­sen.)

    Kei­ne Fra­ge: Ne­ben den Ne­ben­kriegs­schau­plät­zen der Li­te­ra­tur­kri­tik wie z. B. Au­then­ti­zi­tät ge­hört die kla­re Au­toren­schaft es­sen­ti­ell zum Buch da­zu. Wo kä­me man hin, ein zu­sam­men­ge­stop­pel­tes Buch zu prä­mie­ren? Viel­leicht ha­ben Sie Ort­heils Ge­spräch mit »Kul­tur­zeit« ge­se­hen – er tritt für ei­nen un­auf­ge­reg­ten Um­gang ein und sieht ir­gend­wie am Ho­ri­zont ein neu­es Gen­re auf­leuch­ten (so in­ter­pre­tie­re ich ihn).

    [EDIT: 2010-02-08 21:14]

  8. Ich ken­ne bis­her nur ei­ne Le­se­pro­be, die mich sprach­lich eher ent­setzt hat, aber ich ha­be Ori­gi­nal und Fäl­schung be­stellt und be­ab­sich­ti­ge, die­se auch zu le­sen – He­ge­mann schon län­ger, weil mich das Thea­ter um »Feucht­ge­bie­te« ge­lehrt hat, selbst hin­zu­schau­en, be­vor ich dem Feuil­le­ton – Ge­schrei egal wel­cher Rich­tung ver­traue. Al­ler­dings lag mei­ne Be­stel­lung ge­nau ei­nen Tag vor dem Be­kannt­wer­den der Pla­gi­ats­vor­wür­fe und des Ein­ge­ständ­nis­ses. Den Preis wird sie da­für wohl nicht be­kom­men kön­nen, denn das wä­re ei­ne qua­si – of­fi­ziö­se Auf­for­de­rung, der Stra­te­gie He­ge­manns zu fol­gen und ei­ne Ent­blö­ßung des Li­te­ra­tur­be­triebs (als In­du­strie jen­seits der Kunst), die man mit Si­cher­heit ver­mei­den wol­len wird.

    [EDIT: 2010-02-08 23:12]

  9. Man muss zu­ge­ben, dass auch Brecht nicht zim­per­lich war, was die Über­nah­me frem­der Tex­te be­traf. Die Li­ste der Pla­gia­te in der Li­te­ra­tur ist je­den­falls schon lang ge­we­sen, be­vor es das In­ter­net gab. Mit dem In­ter­net sind Pla­gia­te leich­ter auf­zu­stö­bern als frü­her. Da­her stimmt das Bei­spiel He­le­ne He­ge­mann mich eher hoff­nungs­froh. Denn im­mer­hin wa­ren die Re­cher­cheu­re schnel­ler als die Preis­ver­lei­her.

  10. Ja, Brecht wird im­mer ger­ne auf­ge­führt. Der hat’s auch zu­ge­ge­ben. Auch Tho­mas Mann und ähn­li­che He­ro­en muss­ten sich im­mer wie­der mal sol­chen Vor­wür­fen aus­ge­setzt se­hen. Wo­bei sich mir im­mer die Fra­ge stellt, ob die Va­ria­ti­on ei­nes Mo­ti­ves schon Pla­gi­at ist (m. E. eher nicht).

    In je­dem Fall ver­sucht »der Be­trieb« die Sa­che ins ei­nem Sinn zu »re­geln«: An­dre­as Kilb in der FAZ. (Ich fand ihn schon mal we­sent­lich bes­ser.)

  11. Bei Lo­wry »Un­ter dem Vul­kan« hat sie sich wohl auch be­dient. Sie­he da­zu An­drea Die­ners Web­log (gig.antville.org) und ei­nen Kom­men­tar dar­in:

    —>
    »O. k., die Nacht, wie­der mal so ein Rin­gen mit dem Tod, die Fet­zen angst­ge­quäl­ten Schla­fes, mein von schick­sals­mäch­ti­gen Or­che­stern er­be­ben­des Kin­der­zim­mer und all die­se Ein­bre­cher­stim­men aus dem Hin­ter­hof, die un­aus­ge­setzt mei­nen Na­men schrei­en.«

    Das ist wohl der An­fang des Ro­man der jun­gen Da­me.
    Und bei Mal­colm Lo­wry, »Un­ter dem Vul­kan« heißt es:
    »...dach­te er ei­nen Au­gen­blick (..) an die furcht­ba­re Nacht, die ihn – ob er noch mehr trank oder nicht – un­aus­weich­lich er­war­te­te, an sein von dä­mo­ni­schen Or­che­stern er­be­ben­des Zim­mer, die Fet­zen ei­nes angst­ge­quäl­ten tu­mul­tuö­sen Schla­fes, un­ter­bro­chen von Stim­men, die in Wirk­lich­keit Hun­de­ge­bell wa­ren, oder von ein­ge­bil­de­ten Be­su­chern, die un­aus­ge­setzt sei­nen Na­men rie­fen,...«
    <—-

  12. Was wä­re wenn...
    ...sie ih­re »Zi­ta­te« auch als sol­che ge­kenn­zeich­net hät­te? Es ist ja durch­aus le­gi­tim zu zi­tie­ren und wei­ter­zu­ver­ar­bei­ten, wenn es denn kennt­lich ge­macht wird. Hät­te die Kri­tik das ab­ge­straft? Eher nicht, die sind so in ei­nen Tau­mel ge­ra­ten, dass sie es ge­nau so we­nig be­merkt und an­ge­merkt hät­ten, wie sie das mög­lich Pla­gi­at nicht be­merk­ten.

  13. Gu­te Fra­ge
    Die Kri­tik hät­te das Buch dann kaum der­ar­tig »ge­hypt« und sich mit dem/den Original(en) be­schäf­tigt (mei­ne Pro­gno­se). Ein We­sen des Pla­gi­ats ist ja die Ver­schleie­rung des Wer­kes, wel­ches man »ver­wen­det« hat, um sich mit die­sen frem­den Fe­dern zu schmücken.

    Das, was ich hier bis­her ge­le­sen ha­ben, legt den Ver­dacht des Pla­gi­ats na­he. Das ist weit mehr als nur die Ver­wen­dung und Va­ria­ti­on ei­nes Mo­ti­ves.

  14. Pla­gi­at
    Wie könnt ihr das bloß so run­ter­spie­len? Wenn ein Blog­ger bei ei­ner Zei­tung Text zi­tiert het­zen die gleich ih­re An­wäl­te, wenn ei­ne Jour­na­li­sten bei ei­nen Blog­ger ko­piert ge­schieht im be­sten Fall nix, au­ßer das Bildblog.de dar­über be­rich­tet, und jetzt ko­piert so­gar ei­ne Au­torin, und was ist, es wird von den al­ten stau­bi­gen Me­di­en her­un­ter­ge­spielt, weil sie dar­an Geld ver­die­nen. Heu­che­lei pur.

  15. @Tudor
    Es ist nicht nur der Bild­blog, der dar­über be­rich­tet. Ich stim­me Ih­nen da­hin­ge­hend zu, dass im Mo­ment der Ein­druck ent­ste­hen könn­te, dass mit zwei­er­lei Maß ge­mes­sen wird.

    Aber Li­te­ra­tur ver­wen­det im­mer wie­der Mo­ti­ve aus an­de­rer Li­te­ra­tur; Pla­gi­at ist das mehr oder we­ni­ger wort­ge­treue und ver­bor­ge­ne Ab­schrei­ben.

    @en- pas­sant
    Hier das Ge­spräch mit Ort­heil aus der Kul­tur­zeit.

  16. Wie hät­te man denn bit­te mit­hil­fe von Goog­le dar­auf kom­men sol­len, dass da hau­fen­wei­se Zi­ta­te drin sind? Je­den ein­zel­nen Satz des Ro­mans ins Such­fen­ster ein­ge­ben und hof­fen, dass man was fin­det, be­vor die Ar­me ein­ge­schla­fen sind?

    Es ge­hört doch zum We­sen des Ab­schrei­bens (oder wie auch im­mer man das in die­sem Fall nen­nen mag), dass es nicht auf­fällt, bis nicht je­mand zu­fäl­li­ger­wei­se auch die Quel­le kennt, aus der ab­ge­schrie­ben wur­de.

  17. Ja und Nein.

    He­ge­mann ver­weist in ih­rem Ro­man wohl auf das Berg­hain, ei­nen an­ge­sag­ten Sze­ne­schup­pen. Wenn man die Au­then­ti­zi­tät so hoch hält, wie sie die Kri­tik nun po­stu­liert, hät­te man sehr schnell mit­tels Goog­le re­cher­chie­ren kön­nen, dass 16 oder 17jährige in die­sen La­den nicht hin­ein­kom­men und wä­re ziem­lich schnell auf »Str­abo« ge­kom­men. Der Rest wä­re – par­don – der Job des Re­zen­sen­ten ge­we­sen (nicht um­sonst rüh­men sich doch die Qua­li­täts­me­di­en ih­rer Re­dak­tio­nen, oder?)

    Oder man hät­te zum Biep­siel »Va­sel­in­tit­ten« ein­fach mal ge­goo­glet. (Ich sag’ da­mit nicht, dass ich das ge­macht hät­te, aber ich sitz’ auch nicht im Fern­se­hen und hal­te das Buch als li­te­ra­ri­sche Sen­sa­ti­on wie ein Aal­händ­ler auf dem Ham­bur­ger Fisch­markt vor das Pu­bli­kum).

  18. Es gibt Pro­gram­me, mit de­nen Pla­gia­te ge­fun­den wer­den kön­nen, die vor al­lem von Pro­fes­so­ren zur Kon­trol­le an­geb­lich wis­sen­schaft­li­cher Ar­bei­ten ver­wen­det wer­den.

  19. he­ge­mann darf das pas­sie­ren
    sie ist tat­säch­lich in und mit ei­ner kul­tur groß ge­wor­den, in der das zi­tie­ren, mi­xen und mash-up­pen OK ist. ihr liegt es im blut.

    dumm war, dass sie – war­um auch im­mer – ein paar sehr ex­pli­zi­te quel­len nicht ge­nannt hat. aber ja: sie ist jung, sie über­blickt ei­ni­ges nicht, viel­leicht hat sie ja doch auch schon ein paar dro­gen zu viel drin ge­habt. wie auch im­mer.

    aber ver­dammt: der ver­lag hat ver­sagt. er hat ver­sagt und er ge­hört da­für ge­bür­stet! da liegt für mich der ha­se im pfef­fer!

  20. #12
    Kein Wun­der. Bei ama­zon stieg das Buch von Ver­kaufs­rang 14.000 + knick auf 74 heu­te mor­gen um 3. Ei­ne Be­stell­be­stä­ti­gung be­kam ich noch nicht... ;)

  21. Zur Er­gän­zung:
    Pla­gia­to­ren gibt es auch im »On­line to Online«-Bereich – der Blog »short­list« setzt oh­ne Quel­len­an­ga­be Tei­le mei­ner Be­spre­chung des Un­seld-Bern­hard-Brief­wech­sels bei sich on­line: hier. Aber von die­sen Leu­ten ist man eh’ nichts an­de­res ge­wohnt.

  22. Gilt das (auch) als Auf­for­de­rung an Ih­re Le­ser, dies in den Kom­men­ta­ren dort ent­spre­chend zu be­mer­ken? Oder war­um tun Sie dies nicht selbst? Ha­ben Sie Be­fürch­tun­gen, daß ob die­ser Hand­lungs­wei­se bei »short­list« im Zorn die Pfer­de mit Ih­nen durch­ge­hen? Ich fin­de, Sie könn­ten dort dar­über ru­hig ei­nen Satz ver­lie­ren. Aber ein­mal un­ab­hän­gig da­von, wer sind die­se Leu­te, daß man von die­sen nichts an­de­res ge­wohnt sei? (Ei­ne ernst­ge­mein­te Fra­ge.)

    (Noch et­was off-to­pic: Vor­hin sah ich, es sind 41 Le­ser on­line. Viel­leicht be­wahr­hei­tet sich nun Ih­re in mei­nen Au­gen et­was zu schlich­te The­se, daß Qua­li­tät sich lang­fri­stig im­mer durch­set­ze. Zeit wär’s ja.)

  23. @Peter Vieh­rig
    Ein­ga­ben die­ser Art wer­den dort igno­riert (das Im­pres­sum ver­weist auf ei­nen Sitz in Groß­bri­tan­ni­en – und man droht dort so­gar ganz un­ver­hoh­len). Es soll im üb­ri­gen kei­ne »Auf­het­zung« an­de­rer Le­ser sein; ich ha­be an two­day ge­schrie­ben und er­war­te von dort ei­ne Re­ak­ti­on (die Er­fah­rung zeigt auch hier, dass man sich in sol­chen Din­gen nicht be­wegt; ich wer­de wohl recht­li­che Schrit­te ein­lei­ten müs­sen).

    »short­list« ist Teil ei­nes un­durch­schau­ba­ren Blog­kon­glo­me­rats, der meh­re­re Blogs be­treibt und dort Tex­te von Zei­tun­gen und an­de­ren Blogs aus­schlach­tet – mal mit Quel­len­nen­nung und mal oh­ne.

  24. Ich ma­che mir ein biß­chen Sor­gen um die jun­ge Da­me. Na­tür­lich hat die Ju­gend kein Son­der­recht auf Pla­gia­te. Aber sie hat ein Son­der­recht dar­auf, sich bes­sern zu dür­fen. Man muss be­zwei­feln, ob die öf­fent­li­che Hä­me, Zu­recht­wei­sung und Skan­da­li­sie­rung am En­de ei­ne wirk­lich an­ge­mes­se­ne Stra­fe für das De­likt des Pla­gi­ats sind. Ich mei­ne: das Straf­maß ist zu hoch, wenn die Per­son der Au­torin jetzt fer­tig­ge­macht wird. Schließ­lich wer­den den Ent­schul­di­gungs­ar­ti­keln der FAZ noch die bös­wil­li­gen Kom­men­ta­re fol­gen...

  25. Na­ja,
    sie re­agiert ja recht selbst­be­wusst und durch­aus of­fen­siv (oder eher na­iv?). Und es gibt ja auch noch Ih­ren Va­ter, der auch kein Un­be­kann­ter in der Sze­ne ist. Sor­gen ma­che ich mir nicht; der Ro­man wird da­durch erst recht noch ein­mal ge­puscht. Zu­mal es in ih­rer Ge­ne­ra­ti­on si­cher­lich ein an­de­res Rechts­be­wusst­sein über die­se Din­ge gibt.

  26. sie wird doch gar nicht...
    fer­tig ge­macht. aber na­tür­lich darf auch sie scharf er­mahnt wer­den. man wird ver­öf­fent­lich, will das, wird ge­lobt und kri­ti­siert. ich ge­he da­von aus, das man an so ei­ner er­fah­rung wächst. am ehe­sten wird sie noch die vor­sicht vor den gan­zen schul­ter­klop­fern mit­neh­men. recht so.

  27. #31 – @Gregor
    »Zu­mal es in ih­rer Ge­ne­ra­ti­on si­cher­lich ein an­de­res Rechts­be­wusst­sein über die­se Din­ge gibt.«

    Ich bin mir da nicht si­cher. Ge­wiss, ich fin­de häu­fig in den stu­den­ti­schen Haus­ar­bei­ten Pla­gia­te. Aber das be­trifft nach wie vor ei­ne – wenn auch gro­ße – Min­der­heit. Auf der an­de­ren Sei­te ver­hält es sich mit die­sen Pla­gia­ten wie mit der Po­li­zei­li­chen Kri­mi­na­li­täts­sta­ti­stik: Man sieht so vie­le stu­den­ti­sche Pla­gia­te, weil man so ge­nau hin­schaut. Bei an­de­ren macht man sich nicht die Mü­he. Aber da ich mit Zei­tungs­quel­len für mei­ne For­schung ar­bei­te, ha­be ich auch hier ei­ni­ge fre­che Pla­gia­te ge­fun­den, auch lan­ge vor Goog­le und Wi­ki­pe­dia. Von vor­geb­lich se­riö­sen Jour­na­li­sten. Die­se Leu­te wer­den ver­mut­lich eben­so we­nig Pro­ble­me mit ei­nem Co­py-Pa­ste-Ro­man ha­ben.

  28. #33 – @Internetausdrucker
    Nig­ge­mei­er ent­larvt das Ab­schrei­ben in der Jour­na­li­stik ja in re­gel­mä­ssi­gen Ab­stän­den auf sei­nem Blog. Man sieht ja, was da­bei her­aus­kommt.

    Hier gibt es üb­ri­gens ei­nen Kon­tra­punkt – der Au­tor un­ter­stellt und kon­stru­iert da zwar ei­ni­ges her­um, aber es zeigt doch ei­nen ge­wis­sen Trend an.

  29. #31
    Sie re­agiert vor al­lem un­ein­sich­tig, zu­min­dest was den Vor­gang als sol­chen be­trifft. Zwar ent­schul­digt sie sich, aber be­steht doch wei­ter­hin dar­auf, ih­re Ro­ma­ne von an­de­ren schrei­ben zu las­sen.... Das geht m.E. gar­nicht. Hier gibt es ein ak­tu­el­les In­ter­view mit ihr. Es wer­den im­mer wie­der Goe­the oder Brecht her­an­ge­zo­gen : He­le­ne He­ge­mann ist we­der der ei­ne, noch der an­de­re, son­dern ei­ne ge­hyp­te Pseu­do – Li­te­ra­tin, die mit ei­ge­ner Lei­stung al­len­falls den Nicht-ein­mal-In­si­der-Sta­tus des Blog­gers ai­ren er­reicht hät­te..... Ent­setzt aber bin ich von den nach und nach ein­tru­deln­den Re­ak­tio­nen des Feuil­le­tons, die ih­re Lieb­lings­die­bin bis ins Un­er­träg­li­che zu ver­tei­di­gen su­chen.

  30. @tinius – #35
    Wel­che An­ma­ßung: Es gab auch nicht pu­ber­tie­ren­de Klau­er: Shake­speare hat Mon­tai­gne mit Über­set­zungs­feh­lern ab­ge­schrie­ben, Brecht hat Ge­dich­te von sei­nen Freun­din­nen un­ter sei­nem Na­men ver­öf­fent­licht, Goe­the hat sei­ner­seits dann Shake­speare ab­ge­schrie­ben im Faust. Ob­wohl ich das jetzt ei­nen un­gu­ten Dis­kurs fin­de. (H.H. im ver­link­ten »Welt«-Interview) -

    Klingt wie schön bei­gebracht und aus­wen­dig ge­lernt.

  31. fake pla­stic-trees
    Ab­ge­schrie­ben – den gro­ßen Ge­dan­ken ei­nes an­de­ren tri­via­li­siert – hat wohl je­der schon mal. Et­was nicht ganz Un­ähn­li­ches ist, wenn Leu­te sich gleich stän­dig hin­ter Zi­ta­ten ver­stecken. Be­stens zu­sam­men ge­fasst hier.

    Und sind nicht sämt­li­che Hal­tun­gen, ist nicht al­les Den­ken in gro­ßen Tei­len ein Wie­der­käu­er­tum von Vor­ge­fun­de­nem, wie Po­li­tik oft nur das Wie­der­ho­len ver­ab­re­de­ter Sät­ze ist, bis sie sich pro­gram­ma­tisch ver­wirk­licht ha­ben? Die RAF ver­hielt sich gern, als herrsch­ten in der BRD süd­ame­ri­ka­ni­sche Zu­stän­de. Der Vor­stadt-Hip­Hop­per gibt sich als NYC-Gang­ster. Usw. Al­le Sub­jek­te sind durch­drun­gen von et­was, das sie von an­ders­wo­her neh­men. Al­les Schöp­fer­tum ist ei­gent­lich auch im­mer schon zwei­fel­haft, da im­mer auch von an­ders­wo­her in­spi­riert.

    Ver­rückt ist ei­gent­lich eher, von ei­ner 17-jäh­ri­gen ein Ge­nie­tum zu er­war­ten. (Wahr­schein­lich sind eben Frech­heit und Un­be­küm­mert­heit die Qua­li­tä­ten, die hier her­vor­ste­chen – der Rest ist schon Selbst­ver­kau­fe mit all dem Charme der Un­ge­übt­heit und der me­dia­len Na­he­le­gung, was draus zu ma­chen.)

    Wahr­schein­lich hat Ort­heil Recht: nied­ri­ger hän­gen und an­de­re vom »Skan­dal« ler­nen las­sen: Wird eh wie­der vor­kom­men. Oder »die Kunst­an­stren­gung er­hö­hen« (Alex­an­der Klu­ge). Aber wür­de das noch er­kannt?

    Man soll­te sich aber auch mal der Hä­me stel­len, der lau­ten Lust der Con­tra­sei­te dar­an, dass ein Gut­teil des Hy­pes mal »wie­der nur ei­nem Mäd­chen« ge­schul­det scheint. Al­le wür­den wir ei­gent­lich sel­ber gern mal Ge­nie sein, wis­sen aber, dass es nicht reicht. Da soll es uns auch kei­ner mal eben vor­spie­len.

     

  32. Aber wo kommt die »me­dia­le Na­he­le­gung« her?
    Das ist die Fra­ge für mich, die da­hin­ter­steht: Wie konn­te die­ses Buch als Feuil­le­ton­hype re­üs­sie­ren? War­um er­klärt man ei­ne 17jährige so vor­schnell zum Wun­der­kind?

    Ma­chen wir uns doch nichts vor: Die Li­te­ra­tur­kri­tik heut­zu­ta­ge kennt zwei sa­kro­sank­te Ele­men­te, die ih­re Äs­the­tik weit­ge­hend be­stim­men – Au­then­ti­zi­tät und Exo­tis­mus.

    Die Mi­schung aus bei­den ist un­wi­der­steh­lich für die Kri­ti­ker, die – das muss man doch auch mal so sa­gen – ei­nen ver­dammt be­schis­se­nen Job ha­ben (und ihn dem­zu­fol­ge auch aus­üben – sie­he u. a. den Sun­dermei­er-Ar­ti­kel, der selt­sam un­wi­der­spro­chen blieb). Sie kön­nen nicht wi­der­ste­hen, wenn ih­nen je­mand et­was vor­setzt, was sie noch nie SO ge­se­hen oder ge­hört ha­ben. Und dann in Buch­form – da sind sie weg; fas­zi­niert. Und dann zieht Pa­pa noch ein biss­chen die Fä­den und man fragt sich, ob das nicht schon Kin­des­miß­brauch ist.

    Sie, die Kri­tik, schaut nicht mehr, liest nicht mehr – sie kon­su­miert nur noch und pro­du­ziert, schreibt sel­ber von Kol­le­gen ab und hof­fiert die paar we­ni­gen Hypebröck­chen, die ih­nen vor­ge­schmis­sen wer­den. Es gilt heu­te nichts mehr, ein Buch von A‑Z ge­le­sen zu ha­ben – das gilt dann schon als Klug­schei­ße­rei, wenn man auf Stil oder Form ach­tet und nicht nur In­halts­an­ga­ben ab­gibt. Das gan­ze er­bärm­li­che Elend die­ser Kir­tik zeigt sich an Hei­den­reich, Fried und We­ster­mann (bit­te kei­ne Ver­ris­se in mei­ner Sen­dung) und de­ren In­au­gu­ra­ti­on zu Li­te­ra­tur­kri­ti­kern (na­ja, Hei­den­reich hat­te we­nig­stens for­ma­le Grund­la­gen).

    Es geht mir nicht dar­um zu zei­gen, dass He­ge­mann gar nicht in dem Sze­ne­schup­pen ge­we­sen sein kann (viel­leicht war sie es ja doch). Es geht dar­um, wie ober­fläch­lich ei­ne Kri­tik af­fir­miert, sich pro­sti­tu­iert und al­le Re­geln und Ge­set­ze über Bord wirft, nur weil man ih­nen mund­ge­recht et­was ser­viert, was sie neu­gie­rig macht und ei­ne ge­wis­se Er­war­tung be­dient.

    Aber es wird sich zei­gen: Man liebt den Ver­rat und nicht den Ver­rä­ter. Auf die­se Cau­sa an­ge­wandt: Frau He­ge­mann er­hält den Wel­pen­schutz und die an­de­ren sind die bö­sen Neid­ham­mel. Ihr näch­stes Buch ist be­stimmt schon ein Me­gas­el­ler.

  33. one hit won­der?
    Über die Kri­tik brau­chen wir (fast) nicht mehr re­den – sie weiß ja (weit­ge­hend) auch selbst ir­gend­wo von ih­rer Über­flüs­sig­keit; bei Sun­dermei­er stehts er­klärt und Sie ha­ben das ja auch schon mal nä­her be­leuch­tet.

    (Da­bei fällt mir al­ler­dings mal wie­der auf: Sind die­se TV-Po­pu­lär­fi­gu­ren, die Sie nen­nen denn über­haupt sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig? Be­kla­gen müss­te man doch wirk­lich eher die »ernst­haf­te« Kri­tik im Feuil­le­ton. Aber die will eben auch auf ei­ne Mehr­heit an Adres­sa­ten zie­len.)

    Al­so blei­ben die me­dia­len Me­cha­nis­men – Au­to­ma­tis­men? Mir scheint es oft, als färb­ten längst die er­folg­reich­sten For­ma­te an­ders­wo (DSDS und die Mo­dell­such­sen­dun­gen et­wa) ab – und das eben si­cher we­gen ih­rem di­vers an­schluss­fä­hi­gen Spek­ta­kel.

    Da­zu kä­me dann in die­sem Fall die­ses Wun­der­kind-Ding – das lieb­te die Mensch­heit schon im­mer, an al­len Kö­nigs­hö­fen, die­se kryp­ti­sche Ver­wun­de­rung über Aus­wüch­se ih­rer selbst. Ich muss­te aber auch an die früh aus­ge­brann­ten KIn­der­stars in Hol­ly­wood den­ken, die dann als Dro­gen­wrack en­den.

    Es geht al­so um Men­schen­ver­brauch, es geht um den »Star­gast«, um vor­zeig­ba­re Per­so­nen und Ge­füh­le, es geht um se­xy Zu­ta­ten für’s Sto­ry­tel­ling, um das Ei­gen­blut­do­ping in ei­nem kul­tu­rel­len Um­schlag­for­mat. Letzt­lich kon­kur­rie­ren heu­te al­le Me­di­en mit al­len an­de­ren, täg­lich, stünd­lich, mi­nüt­lich. (Und al­le ha­ben sich auch ver­däch­tig oft auf die Schnel­lig­keit von Twit­ter ge­stürzt.) Für ei­ne sorg­fäl­ti­ge oder tie­fer zie­len­de Kri­tik bleibt da ein­fach nicht mehr die Zeit.

    Ich könn­te mir aber eben­so gut vor­stel­len, dass H.H. da­mit auch schon ab­ge­fei­ert ist – schließ­lich wird sie bald 18! (Den­ken Sie auch an »die klei­ne« Zoe Jen­ny sei­ner­zeit nach ih­rem »Blü­ten­staub­zim­mer«.)

    Ich glau­be, es bleibt ei­nem nichts an­de­res üb­rig, als auf die »Nach­hal­tig­keit« auch in der Kri­tik an tra­di­tio­nell et­was lang­sa­me­ren kul­tu­rel­len For­ma­te zu set­zen. Der Rest sind Stern­schnup­pen, »Hel­den für ei­nen Tag«. Und die­ses Le­bens­ge­fühl lässt sich noch im­mer gut sam­peln und zi­tie­ren: Es ist eben­so ori­gi­nal wie ge­klaut.

     

    [EDIT: 2010-02-09 16:46]

  34. Sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig­keit
    Die Fra­ge ist nicht, ob die TV-Po­pu­lär­fi­gu­ren in­tel­lek­tu­ell sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig sind (Man­gold ist es, aber die an­de­ren eher nicht). Sie müs­sen in je­dem Fall for­mell so be­trach­tet wer­den. Sie wer­den in­au­gu­riert als In­stan­zen. Von wem auch im­mer (meist von de­nen, die Prä­sen­ta­to­ren und kei­ne Ken­ner brau­chen). Der Ti­tel al­lei­ne (»Die Vor­le­ser«) ist ei­ne Frech­heit. Man könn­te sie na­tür­lich igno­rie­ren, aber dann wür­den sie ge­nau so wei­ter­ma­chen wie bis­her. Al­so »be­glei­tet« man sie – den­noch wird man von ih­nen igno­riert (je­des Ein­ge­hen wür­de Dis­kus­si­on be­deu­ten und die wol­len sie in kei­nem Fall).

    Das Phä­no­men des Men­schen­ver­brauchs bei Wun­der­kin­dern se­he ich auch – nicht um­sonst sprach ich von »Kin­des­miß­brauch«, wo­bei ei­ne 17jährige kaum oh­ne ent­spre­chen­de Hin­wen­dung so­weit kommt. Die Par­al­le­le zu DSDS ist nicht un­flott – auch dort kommt es letzt­lich auf Pro­te­gé an und dann läuft es wie am Schnür­chen und zur Not eben mit ei­nem klei­nen Skan­däl­chen.

    Die Nach­hal­tig­keit in der Kri­tik – schö­ner Traum. Schon in den 90er Jah­ren wur­de Bu­sche da­für ge­schol­ten, wie er den 1000seitigen Hand­ke zwei oder drei Ta­ge nach Er­schei­nen be­reits (en­thu­sia­stisch) be­spre­chen konn­te. Da gab’s noch kei­nen Twit­ter; das Ego war schon frü­her so stark.

    [EDIT: 2010-02-09 18:11]

  35. @Gregor
    War­um im­mer die ju­gend­li­chen Wun­der­kin­der?
    Viel­leicht ha­ben Sie recht: es ist exo­tisch, was sie schrei­ben. Im­mer geht es um ju­gend­li­che Ex­zes­se, das weckt den Voy­eu­ris­mus in uns. Ich stand ja auch schon vor dem Re­gal und woll­te das Buch mit­neh­men. Weil ich hoff­te, so mal hand­fe­ste Tat­sa­chen­be­rich­te aus dem Ju­gend­le­ben zu ha­ben...

    Das »Wun­der­kind« füllt dann die Feuil­le­tons und man hat wie­der ei­nen ge­mein­sa­men De­bat­ten­ge­gen­stand: Das Buch und sei­nen Au­tor so­wie die Ju­gend im all­ge­mei­nen. Es ist wie mit den Au­to­ri­tä­ten. Al­le ha­ben ei­nen ge­mein­sa­men Be­zugs­punkt. Da­mit kann man ei­ne De­bat­te an­fa­chen. Feuil­le­tio­nist A kann auf Kol­le­gen B ant­wor­ten und C ver­reißt bei­de, wor­auf A und B wie­der ein­stei­gen ad in­fi­ni­tum. So hat man we­nig­stens ein The­ma...

    »Es gilt heu­te nichts mehr, ein Buch von A‑Z ge­le­sen zu ha­ben -«

    Das be­rührt mich selt­sam. Denn ge­nau das ist mein Pro­blem – mit der wis­sen­schaft­li­chen Li­te­ra­tur. Ich le­se ger­ne Bü­cher von vorn bis hin­ten. Aber auf die­se Wei­se schaf­fe ich nur we­ni­ge Bü­cher. Mei­ne Li­te­ra­tur­li­sten wer­den so nicht lang. Aber ir­gend­wie ver­steht das kei­ner. Ich füh­le mich mit mei­nem Um­gang mit Bü­chern ziem­lich al­lei­ne. Wo­mög­lich sind die an­de­ren Kol­le­gen auch al­les Ge­nies, die die dicken Wäl­zer in Win­des­ei­le le­sen und be­grei­fen?

  36. # 41 @Internetausdrucker
    Ich glau­be nicht, dass ALLE, die Bü­cher nur noch quer­le­sen, Ge­nies sind. Es ist ein­fach aus der Mdoe ge­kom­men; man liest »dia­go­nal« oder – wenn mög­lich – man hat sei­ne Le­ser. Viel­leicht ist ein Kri­ti­ker­job an­ders nicht mehr zu be­werk­stel­li­gen.

  37. ich fin­de...
    man muss auch erst noch ab­schlie­ßend klä­ren, was wirk­lich al­les 1‑zu‑1 über­nom­men wur­de. dass for­mu­lie­run­gen und ge­dan­ken ge­spie­gelt wer­den ist ja nun wirk­lich nichts neu­es, das muss und soll­te doch auch so sein, wie ich fin­de.

    bis aufs wor­te glei­che sät­ze und sei­ten kann es aber na­tür­lich nicht oh­ne ge­neh­mi­gung und kenn­zeich­nung ge­ben. und ich wie­der­ho­le mich: wo war der kri­ti­sche ver­lag an die­ser stel­le?

    de fac­to freue mich eben­falls, dass die­ses »jungesmädchenschreibteinbuchgleichpopstar«-ding eins in die fres­se kriegt.

  38. Zum Le­sen – Wun­der­kind?
    Es gibt ver­schie­de­ne Bü­cher. Hes­se hat ein­mal über die drei Ar­ten des Le­sens ge­schrie­ben.
    Ich selbst kann schnell, quer, lang­sam, wie­der­holt und sto­cha­stisch le­sen.
    schnell .. je nach Druck­bild 100 Seiten/h
    quer ... 2003 wur­de ich be­för­dert und muss­te mir Wis­sen an­le­sen. Ich muss­te ei­nen mög­lichst gro­ßen Über­blick be­kom­men. Das wa­ren 24000 Sei­ten in 8 Mo­na­ten. Die ha­be ich nicht ge­lernt. Ich ha­be nur »ge­scan­ned«, ob et­was da­bei ist, in das ich mich nä­her ver­tie­fen müss­te. Oder wel­che The­men gab es, bei de­nen ich bes­ser vor­sichts­hal­ber »die Gosch’n« hielt, weil man da­für viel mehr Wis­sen und Pra­xis ge­braucht hät­te.
    lang­sam ... by Ly­rik und Tex­ten, die mich sehr an­spre­chen, manch­mal auch bei Sach­tex­ten.
    wie­der­holt ... Be­stimm­te Bü­cher wie die Strudl­hof­stie­ge oder Mei­ster und Mar­ga­ri­ta ha­be ich si­cher mehr als zehn mal ge­le­sen. (Manch­mal auch B‑Literatur, so ähn­lich wie Scho­ko­la­de fut­tern)
    sto­cha­stisch ... Ein Buch, über das ich schon ge­le­sen ha­be, ir­gend­wo an­fan­gen: in der Mit­te, am Schluss, bei ei­nem Drit­tel. Es sind Bü­cher, bei de­nen ich den­ke, dass ich sie ge­le­sen ha­ben soll­te, doch wenn ich den Stil nicht mag, quä­le ich mich nicht un­not­wen­di­ger­wei­se durch.
    Wun­der­kind?
    Ich bin eher ein Wun­der­al­ter. (59) Zu­ge­ge­bener­wei­se le­se ich viel. Aber lan­ge nicht so viel wie in mei­nen Stu­den­ten­ta­gen oder da­nach. Zwi­schen 20 und 40 ha­be ich zwei Stun­den pro Tag ge­le­sen. 1 Stun­de Bel­le­tri­stik, 1 Stun­de Fach­li­ches. Und dann wie­der auf­ge­teilt: 1 Stun­de deutsch, 1 Stun­de eng­lisch.
    Wenn man nicht fern sieht, was ich da­mals nicht ge­tan ha­be, bleibt aus­rei­chend Zeit fürs Le­sen.

  39. @steppenhund
    Ich bin von Be­rufs we­gen Schnell­leser, ich kann Zei­tun­gen in ra­sen­der Ge­schwin­dig­keit durch­le­sen. Bü­cher auch. Aber Sie ha­ben ja rich­ti­ger Wei­se ver­schie­de­ne Ar­ten zu le­sen un­ter­schie­den. Wenn ich ei­nen wis­sen­schaft­li­chen Au­tor ver­ste­hen will, dann brau­che ich Wo­chen: zwei Mal le­sen und dann meist schrift­li­ches In­ter­pre­tie­ren der Aus­sa­gen, um sie wirk­lich zu er­grün­den. Und das dau­ert dann sehr lan­ge. Aber we­nig­stens ist das dann nicht ober­fläch­lich. Aber auf die­se Wei­se wer­de ich in mei­nem Da­sein nicht vie­le Bü­cher schaf­fen. An­de­rer­seits: wo­zu soll ich Fach­bü­cher le­sen, de­ren Ar­gu­men­te und Ideen ich am En­de nicht wirk­lich be­grif­fen ha­be?

  40. Ich ha­be ja bei Fach­bü­chern am lieb­sten in Buch­ge­schäf­ten ge­kauft, um mir ei­ni­ge Sei­ten an­zu­se­hen, ob mir der Stil und das Ni­veau des Au­tors passt. Es gibt da ei­ne op­ti­ma­le An­pas­sung und ein Ver­ständ­nis zwi­schen Au­tor und Buch, wel­ches die Ver­ste­hens­ge­schwin­dig­keit stark be­schleu­ni­gen kann. (Ich selbst ar­bei­te in der EDV)
    Es gibt Bü­cher, die ich sehr ge­nie­ße, bei de­nen die Le­se­ge­schwin­dig­keit trotz­dem sehr lang­sam ist. Slo­ter­di­jk ge­hört da­zu. Aber da ha­be ich den EIn­druck, dass mir die Zeit nicht da­von läuft:)

  41. Brahms, Liszt und Schu­mann (bei­de) spiel­ten sich ge­gen­sei­tig ih­re Stücke in der Ent­wick­lungs­pha­se vor und »be­fruch­te­ten« ein­an­der. Nur der Punkt ist, dass man al­lein schon we­gen feh­len­der Ko­pier­tech­nik nur die In­spi­ra­ti­on und nicht gleich gan­ze Pas­sa­gen mit­nahm. Im wiss­ent­schaft­li­chen und Re­cruit­ment-Be­reich ist Ge­gen­le­sen zur Not mit ei­ner Pla­gi­at­such­ma­schi­ne nichts welt­erschüt­tern­des. Of­fen­bar sind die Li­te­ra­tur­schaf­fen­den bei Ull­stein und Feuil­le­to­ni­sten ent­we­der noch nie ent­täuscht wor­den, oder ich in­ter­pre­tie­re es bö­se.
    Der ei­ne will es sich mit dem an­de­ren nicht ver­der­ben und wei­ter mit Frei­bü­chern, Ein­la­dun­gen zu Le­sun­gen etc. be­dacht wer­den.
    Der an­de­re ist zu groß um noch zu stür­zen, zur Not kauft man den Winz­ver­lag mit­samt dem Bor­der­li­ner und sei­ner An­sprü­che. Und die letz­te hat es ein­fach mal pro­biert.
    Das das Ge­fecht in der Au­ßen­an­sicht noch so ent­spannt an­mu­tet, dürf­te am kom­ple­xen The­ma und dann doch ge­rin­gen Streit­wert lie­gen. Die güt­li­che Lö­sung dürf­te fi­nan­zi­ell nicht un­in­ter­es­san­ter wer­den als die vom Ka­di. Au­ßer­dem wol­len jetzt al­le gut da­ste­hen. Der Sukul­tur-Ver­lag dürf­te noch ei­ni­ge Wo­chen von der Gra­tis-PR pro­fi­tie­ren kön­nen. Da wird man die Rol­le des klei­nen mit­tel­lo­sen Idea­li­sten­ver­lags auch spie­len wol­len. (Die Leu­te sind im­mer für Da­vid. Nie für Go­li­ath.) Da­nach wer­den die Ban­da­gen här­ter.

  42. Der gan­ze Fall ist ein Lehr­stück in Sa­chen Li­te­ra­tur­kri­tik – und wie sie heu­te funk­tio­niert. Da war der Hype um Ben­ja­min Le­bert vor gut 10 Jah­ren ge­ra­de­zu un­schul­dig da­ge­gen. Be­tei­ligt wa­ren aber die glei­chen Gut­fin­der (Ma­xim Bil­ler usw.) mit den fast glei­chen Ar­gu­men­ten. An der Buch­gat­tung »De­büt« lässt sich das Fehl-Funk­tio­nie­ren von Li­te­ra­tur­kri­tik be­son­ders an­schau­lich il­lu­strie­ren. Es gibt da auch ein schö­nes Grund­la­gen­werk zum The­ma: über die Äs­the­tik des li­te­ra­ri­schen De­büts in der Me­di­en­ge­sell­schaft, von Chri­sti­an Kort­mann. Dar­in (S. 266):

    »Li­te­ra­ri­sche De­büts sind nicht mehr bloß Tex­te, son­dern Me­di­en für durch die Au­toren­fi­gur ver­mit­tel­te Bil­der und Wer­te, die ge­han­delt wer­den: Die Kom­mu­ni­ka­ti­on über ein De­büt ver­mit­telt mit­un­ter ein Mehr an At­trak­ti­on als der Text selbst. Die­se Ge­samt­in­sze­nie­rung muss man heu­te stets im Blick ha­ben...«

    Und ge­nau die­ses at­trak­ti­ve Mehr bzw. die Ver­hei­ßung, Teil die­ses Drum­her­um zu sein, pro­gram­mier­te auch das Ver­hal­ten der Feuil­le­tons im Fall He­ge­mann.
    Ein gu­tes Feuil­le­ton wür­de, statt der Rotz­gö­re das drit­te und vier­te Fo­rum auf­zu­bie­ten (»Goe­the hat auch ab­ge­schrie­ben«), mal je­man­den wie Kort­mann be­fra­gen, wie er die De­büt-Me­cha­nis­men mit Blick auf den ak­tu­el­len Fall ge­la­gert sieht.

  43. Ge­nau
    das ist es: Feuil­le­ton nicht als blo­ßer Af­fir­ma­ti­ons­ki­osk, der die kleb­ri­gen Bon­bons der Her­stel­ler als Glücks­ma­cher ver­kau­fen möch­te, son­dern als – man traut es sich kaum zu sa­gen – Auf­klä­rungs­büh­ne.

    Schö­ner Link, dan­ke.

  44. Rotz­gö­re?
    Ich fin­de, die­ser Aus­druck ist et­was her­ab­set­zend. Man muss doch nicht von ei­ner halt­lo­sen Ju­gend­idea­li­sie­rung in das ge­naue Ge­gen­teil ver­fal­len. Die Frau ist im­mer­hin auch schon 17. Da bie­tet sich ei­ne ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung un­ter Er­wach­se­nen doch eher an. Falsch ist es, sie jetzt in das Ghet­to des ju­gend­li­chen Schon­rau­mes zu­rück­zu­ver­wei­sen: du bist zu jung, halt lie­ber die Klap­pe, jetzt spre­chen die Ex­per­ten (näm­lich Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler).

    Da sie nun ein­mal ihr frag­wür­di­ges Cre­do öf­fent­lich ge­äu­ßert hat (sie­he »Goe­the hat ... usw), kann man die De­bat­te um Ur­he­ber­recht und Au­toren­schaft auch füh­ren. Dies um­so mehr, wenn man an­nimmt, dass ih­re gan­ze Ge­ne­ra­ti­on dem Pla­gi­at of­fen ge­gen­über­steht. Dann geht es nicht mehr um die feuch­ten Träu­me man­cher Li­te­ra­tur­kri­ti­ker, son­dern um den Um­gang mit Tex­ten ganz all­ge­mein.

  45. Emo­tio­nen statt Ana­ly­se
    Nein, Rotz­gö­re ist nicht an­ge­mes­sen. Re­spekt vor Mit­men­schen, auch wenn sie Feh­ler ma­chen und an­de­rer Mei­nung sind, bleibt ei­ne Tu­gend. Per­sön­li­che Her­ab­set­zun­gen emo­tio­na­li­sie­ren die­se Aus­ein­an­der­set­zung doch nur.

    Aber sie ist ja schon emo­tio­na­li­siert. Man schaue sich nur den Ar­ti­kel von Kau­be an:
    »Doch ei­ne von der Angst bür­ger­li­cher Bläs­se und des Alt­wir­kens heim­ge­such­te Li­te­ra­tur­kri­tik freut sich dann dar­an, dass das Le­ben die Ho­sen her­un­ter­lässt, die den Kri­ti­kern selbst nicht mehr pas­sen, man fei­ert das jun­ge Cé­lin­chen als görè fa­ta­le, ob­wohl sie sel­ber ei­ne Stu­ben­hocke­rin ist, die Bü­cher und Web­sei­ten aus­ge­wer­tet hat.«

    Der Au­tor hats hier sei­nen Kol­le­gen mal rich­tig ge­ge­ben, er lässt sie wie Idio­ten da­ste­hen. Das macht er nicht sach­lich, son­dern mit Rhe­to­rik, die ganz ge­zielt ad ho­mi­nem geht. Und na­tür­lich muss es ein wort­ge­wal­ti­ges Pa­thos ha­ben. Das liest sich sehr ver­gnüg­lich, zu­ge­ge­ben, aber wirk­lich auf­klä­rend ist das nicht.

    Al­les, was ich hier er­fah­re ist, der Herr Kau­be mag die an­de­ren nicht und hält sie für Schwach­köp­fe.

    Das gilt nun nicht nur für Kau­be. Ich den­ke, die schein­bar mit Theo­rie ver­hüll­ten Ge­schmacks­ur­tei­le und so­zia­len Ste­reo­ty­pen sind sehr ver­brei­tet. Wahr­schein­lich ist das der Grund, war­um ich dem Feuil­le­ton nichts ab­ge­win­nen kann.

  46. Mo­ment...
    »Rotz­gö­re« ist aus Mar­cuc­ci­os Kom­men­tar; im Kau­be-Ar­ti­kel er­scheint es nicht.

    Kau­be hat voll­kom­men recht mit dem was er schreibt – und was ich – et­was un­be­hol­fe­ner – so aus­drück­te: ...die Grün­de lie­gen na­tür­lich dar­in, weil den Re­zen­sen­ten hier ei­ne Welt ge­zeigt wird, die sie gar nicht ken­nen und für exo­ti­sche Ju­gend­li­che hat man doch im­mer ein Ohr, zu­mal wenn sie Au­then­ti­zi­tät, die Krücke al­ler Le­bens­frem­den, sug­ge­rie­ren.

    Er braucht sie nicht wie Idio­ten dar­zu­stel­len, in die­sem Fall sind sie es. (Das At­tri­but »Nest­be­schmut­zer« oder die zi­vi­li­sier­te Toch­ter »Kol­le­gen­schel­te« hat für mich noch nie ge­zählt.)

  47. @Gregor
    Ich stim­me Ih­rer Ein­schät­zung ja auch zu. Ich den­ke, Sie ha­ben recht. Die Fas­zi­na­ti­on der Kri­ti­ker für He­ge­mann er­klärt sich si­cher aus ih­rer Exo­tik.

    Aber WIE Kau­be das (auch) sagt, stört mich. Im­mer will er auch ei­ne Art Li­te­rat sein, er will auch schön schrei­ben. Und das ist ty­pisch für die­sen Be­reich Jour­na­lis­mus. Kul­tur­jour­na­li­sten ha­ben ei­nen ziem­lich mar­kan­ten Ha­bi­tus. Und er ar­gu­men­tiert nicht nüch­tern, son­dern er stellt bloß. Er greift die Kol­le­gen mit gro­ßer Rhe­to­rik an. Nun ent­steht ein öf­fent­li­ches Dra­ma: Feuil­le­to­nist X ge­gen Kol­le­gen Y usw. Mehr als ein Schau­spiel ist das am En­de auch nicht. Die Au­toren sol­cher Ar­ti­kel neh­men bloß die Prot­ago­ni­sten­rol­le in die­sem Schau­kampf ein. Das är­gert mich. Was nicht heißt, dass mir ei­ni­ge For­mu­lie­run­gen nicht ge­fal­len. Wie die mit den nicht mehr pas­sen­den Ho­sen – wun­der­bar!

  48. Zeit­geist
    Lie­be Leu­te,
    mir wird da all­mäh­lich ein Mu­ster klar, wel­ches ich ge­fühls­mä­ßig schon ei­ne Wei­le be­mer­ke, doch noch nicht so auf den Punkt brin­gen konn­te.
    Das Pro­blem liegt nicht in der Li­te­ra­tur oder nicht in der Li­te­ra­tur al­lein. Viel­leicht soll­ten wir hier auch Dich­tung und Schrift­stel­le­rei ge­nau­er aus­ein­an­der­hal­ten. Und wenn Schrift­stel­le­rei so wie die Dich­tung an der Prä­gnanz der Wor­te, an der For­mu­lie­rungs­kunst, an der »dich­ten« Dar­stel­lung ge­mes­sen wird, so im­pli­zier­te das ei­nen Vor­gang des Schrei­bens, der sich über Jah­re hin­zie­hen kann. Beim Fach­buch »Gö­del, Escher, Bach« für Lai­en hat der Au­tor Hof­stadter 20 Jah­re in­ve­stiert. Ein Fach­buch heu­te wird in der IT von se­riö­sen Au­toren mit ei­nem Ar­beits­auf­wand von 2 Jah­ren be­zif­fert.
    So­lan­ge will die zu un­ter­hal­ten­de Ge­sell­schaft aber heu­te nicht war­ten. Oh­ne He­ge­mann ge­le­sen zu ha­ben, er­in­ne­re ich mich an »Die Kin­der vom Bahn­hof Zoo«. Das ist schon ei­ne gan­ze Wei­le her. Oder »Train­spot­ting«, dass ich zu­erst im Film sah. Neh­men wir ein­mal an, es be­durf­te wie­der ein­mal ei­ner sol­chen Dar­stel­lung. Dann stellt je­mand fest, der Markt ist reif. Dann wird das er­ste be­ste ge­nom­men und »ge­pu­shed«. Wahr­schein­lich bie­tet sich da »Axolotl xx« an, egal, ob es ab­ge­schrie­ben ist oder nicht.
    Ei­ner­seits gibt es ei­nen enor­men Be­darf der Mas­sen an »Neu­ig­kei­ten«. Da ist es egal, ob ab­ge­schrie­ben wird oder wird. In Zei­tungs­me­di­en gibt es mon­tags ei­nen Skan­dal­be­richt, der mitt­wochs re­la­ti­viert wird. Nach ei­ner Wo­che kann man die ent­spre­chen­de Be­rich­te nicht ein­mal mehr goog­len, weil al­les an­ders war.
    An­de­rer­seits gibt es nur mehr sehr we­ni­ge Men­schen, die be­reit sind, die Ar­beit, die in ein Werk hin­ein­ge­flos­sen sind, zu wür­di­gen. Man muss es gleich, jetzt, so­fort und LEICHT ver­ste­hen kön­nen. Sonst ist es der Mü­he nicht wert.
    In die­sem Zu­sam­men­hang ist dann aber der Hype um He­ge­mann als ty­pi­sche Me­di­enent­ar­tung sy­stem­kon­form. Es liegt nicht an ihr. Es liegt an ei­ner In­for­ma­ti­ons­gier, wie sie an­de­re in Be­zug auf Op­tio­nen und De­ri­va­te ken­nen. Ei­ne Art von Rausch­gift-Rausch, der durch im­mer stär­ke­re und in kür­ze­ren Ab­stän­den auf­tre­ten­den Rei­ze be­frie­digt wer­den muss.
    (So wie auch ein Blog:)

  49. @ in­ter­net­aus­drucker
    »Rotz­gö­re«, mein be­griff, mein­te nicht he­le­ne He­ge­mann als per­son, son­dern das Kunst­pro­dukt, das uns vom Li­te­ra­tur­be­trieb erst als flä­c­jhen­deckend als Wun­der­kind, dann mit sei­nen na­iv-rotz­fre­chen Ant­wor­ten zum Ur­he­ber­recht wie ein ge­fal­le­nes Mäd­chen vor­ge­führt wird. Selbst­kri­ti­sche oder doch we­nig­stens di­stan­zier­te Phä­no­men­be­richt­erstat­tung sieht an­ders aus.

  50. @Marcuccio
    Dan­ke für die Klar­stel­lung. So leuch­tet es mir ein. Sor­ry für das Miss­ver­ständ­nis!

  51. Ich darf an die­ser Stel­le mein Ent­set­zen er­wei­tern : Man hat He­ge­mann für den Preis der Leip­zi­ger Buch­mes­se no­mi­niert.... Dumm nur, daß man ei­nen Preis, mit dem man we­nig zu tun hat, kaum boy­kot­tie­ren kann....

  52. @steppenhund #2
    Dass Bruck­ner von Wag­ner sti­li­stisch und hand­werk­lich ge­lernt hat, ist oh­ne Zwei­fel, aber sei­ne Sym­pho­nik ist al­les an­de­re als Wag­ner – es wä­re mir neu, wenn er ihn tat­säch­lich zi­tiert hät­te (nach­emp­fun­den manch­mal).

  53. @en-passant #37
    Und sind nicht sämt­li­che Hal­tun­gen, ist nicht al­les Den­ken in gro­ßen Tei­len ein Wie­der­käu­er­tum von Vor­ge­fun­de­nem, wie Po­li­tik oft nur das Wie­der­ho­len ver­ab­re­de­ter Sät­ze ist, bis sie sich pro­gram­ma­tisch ver­wirk­licht ha­ben?

    Ir­gend­wo las ich ein­mal: Wer schreibt, stielt. Das stimmt, denn zwei­fels­oh­ne nimmt man von die­sem oder je­nem, und sehr oft un­be­wusst. Dort aber, wo es be­wusst pas­siert, »darf« es kein un­kennt­lich blei­ben­des Ko­pie­ren sein, schon aus Ach­tung vor dem Le­ser.

    Ist das Li­te­ra­tur?

    Um die »Ge­gen­fra­ge« zu stel­len, was wä­re da­mit ge­won­nen? Für den Le­ser, denn zwei­fel­los gibt es für je­den von uns Li­te­ra­tur mit der wir »nichts« an­fan­gen kön­nen...

  54. Ja, was wä­re da­mit ge­won­nen... ?
    Das wä­re zu­min­dest die Fra­ge. Die, nach den Un­ter­schie­den wohl, nach den Kri­te­ri­en und den Di­stink­tio­nen ei­ner »Kul­tur« im em­pa­thi­sche­ren Sin­ne über­haupt. (Wo heu­te auch die Pom­mes­bu­den in Dort­mund Kul­tur sind – sind sie ganz si­cher, aber was taugt dann noch der hoch­mö­gen­de Be­griff?)

    Wahr­schein­lich geht es aber wohl erst mal dar­um, »Li­te­ra­tur«, wie sie man­che eben noch ver­ste­hen wol­len, als ei­ne künst­le­ri­sche Kraft zu ret­ten vor dem, was der Markt un­ge­fragt ein­ge­mei­det bzw. selbst­ver­ges­sen draus macht. (Da sind dann al­so auch Pro­mi-Be­kenn­tis­se Bü­cher... die Li­te­ra­tur schon zu ei­ner Sub­ka­te­go­rie wer­den las­sen.)

    Der Rest ist Ge­schmack. Und An­sprü­che. Und ein Hoch­hal­ten von ir­gend­wie län­ger­fri­stig über­dau­ern­den »Wer­ten«. Der maß­geb­li­che­ren, bes­se­ren Ver­si­on ei­ner Sa­che, ei­ner An­stren­gung, ei­nes kul­tu­rel­len For­mats.

    Und das zu se­pa­rie­ren, zu ver­tei­di­gen, zu be­haup­ten, fän­de ich nicht ganz falsch. Vor al­lem, wenn man mit sol­cher­art Kon­ser­va­tis­mus heu­te fort­schritt­li­cher da zu ste­hen scheint als mit der ver­meint­li­chen Avant­gar­de, die längst al­le Tü­ren ein­ge­rannt und ih­re Di­stink­ti­ons­kräf­te eben ver­lo­ren hat.

     

  55. @en-passant/metepsilonema
    Vor der Lek­tü­re des Bu­ches, aber in Kennt­nis ei­ni­ger Aus­schnit­te: Wie im­mer ist es ei­ne Fra­ge der De­fi­ni­ti­on, ob das Li­te­ra­tur ist bzw. »gu­te« Li­te­ra­tur ist.

    Da­bei wur­de Li­te­ra­tur als Be­griff im­mer wie­der ver­bo­gen zu Gun­sten ei­ner eher re­por­ta­ge­haf­ten In­ter­pre­ta­ti­on aus »er­ster« Hand. Das scheint der ein­zi­ge An­spruch der »mo­der­nen« Li­te­ra­tur­kri­tik an Li­te­ra­tur zu sein. Ist die Sa­che dann der bil­dungs­bür­ger­li­chen Er­fah­rungs­welt ent­ho­ben oder sonst­wie auf ei­ne Wei­se exo­tisch, wird sie, die ver­meint­li­che Li­te­ra­tur, idea­li­siert (ich will mein Man­tra nicht wie­der aus­brei­ten; das kommt noch früh ge­nug). Da spielt dann auch Spra­che kei­ne Rol­le mehr – sie soll nur »au­then­tisch« sein, et­was »ab­bil­den«.

    Li­te­ra­tur wä­re je ge­nau das Ge­gen­teil. Sie kommt zwar oh­ne Wirk­lich­keit bzw. oh­ne Er­fah­rungs­ho­ri­zont nicht aus, soll­te das je­doch tran­szen­die­ren. Ein gu­tes Ge­mäl­de sei nicht ei­nes, auf dem sich or­gi­nal­ge­treu et­was ab­ge­bil­det fin­det – so (frei aus dem Kopf zi­tiert) Goe­the über Ma­le­rei.

    Es rächt sich im­mer mehr, Be­grif­fe wie Kul­tur oder auch Li­te­ra­tur durch­läs­sig ge­macht zu ha­ben, so dass sie ir­gend­wann ver­schwin­den und – die Spra­che der Kri­tik ist da ja durch­aus er­hel­lend – zum »Text« wer­den. Ein Text ist aber auch die Be­die­nungs­an­lei­tung ei­nes Staub­saugers.

  56. @en-passant, Gre­gor
    Nicht, dass ich das nicht un­ter­schrei­ben wür­de. Aber viel­leicht ge­ra­de des­we­gen: Wenn wir die künst­le­ri­schen Kräf­te ret­ten woll­ten, dann sind sie of­fen­kun­dig be­son­ders, her­aus­ra­gend, dann müs­sen sie, jetzt bin ich wie­der dort, jen­seits al­len He­do­nis­mus, et­was für un­ser Le­ben be­deu­ten (und da schwappt dann die Sub­jek­ti­vi­tät her­ein).

    Na­tür­lich nicht, wie Gre­gor sag­te, »rea­li­täts­ge­nü­gend«, aber, und ich den­ke nur so hat der Be­griff Sinn: Aus­schließ­lich Li­te­ra­tur kann das lie­fern was wir brau­chen, weil sie auf ei­ne be­stimmt Art und Wei­se ge­macht ist. Und das wie­der­um be­deu­tet, dass es ir­rele­vant ist, dar­über zu spre­chen be­vor wir ein Buch ken­nen, und auch, dass man gut dar­über strei­ten, aber es nicht im­mer ent­schei­den kann.

  57. @Metepsilonema #67
    Ich stim­me Ih­nen voll­kom­men zu, dass sei­ne Sym­pho­nik voll­kom­men an­ders ist. Von ei­nem di­rek­ten Zi­tat wür­de ich ge­ra­de bei Bruck­ner nicht spre­chen. Aber vor ein, zwei Jah­ren ist mir ein­mal bei der 3. ei­ne Stel­le auf­ge­fal­len, wo ich mir dach­te, »das ist Ver­eh­rung« nicht Ko­pie.
    Und es könn­te auch um­ge­kehrt sein. Es gibt ei­ne Stel­le bei Bruck­ner, in der der Rhyth­mus des Wal­kü­ren­ritts vor­kommt und ich den­ke, dass Bruck­ner da zu­erst dran war;)

  58. Bruck­ner (#72)
    Nun, die drit­te trägt (zu­min­dest ge­le­gent­lich, ich weiß nicht ob »of­fi­zi­ell«) den Bei­na­men »Wag­ner«, und Ihr Hör­ein­druck wä­re ei­ne Be­stä­ti­gung da­für.

    Das Ada­gio der sieb­ten ent­stand (an­geb­lich) un­ter dem Ein­druck von Wag­ners Tod. Wie­viel Ge­wicht man die­sen bio­gra­phi­schen No­ti­zen auch im­mer ein­räu­men mag...

    [EDIT: 2010-02-13 18:43]

  59. Ich glau­be, ich se­he den Punkt...
    Aber muss man (wird man nicht so­wie­so, weil Men­schen das seit den er­sten me­ta­phy­si­schen Schau­ern um­krei­sen) nicht auch über das In­kom­mesura­ble strei­ten? Über Äs­the­tik erst recht bzw. das, was sich fast nur noch mit­tels ih­rer in ei­nem auf die­sen Ver­such da­hin set­zen­den Werk glück­li­chen­falls »tran­szen­diert«?

    Die Kri­te­ri­en da­zu sind ja eher ein be­weg­li­ches Ge­rüst. Und nicht je­der wird je­den Pa­ra­me­ter über­haupt ein­se­hen, wenn er ihm sel­ber nicht zu­gäng­lich ist.

    Aber das Dar­über­hin­aus wird man doch er­ken­nen? Und das wird ei­ner­seits ei­ne Ver­ab­re­dung sein (al­le Kunst­in­ter­es­sier­ten ge­mein­sam be­stim­men, was die Kunst des ei­nen Wer­kes ist und des an­de­ren nicht). An­de­rer­seits et­was, das dann doch nie ganz ver­füg­bar ge­macht wer­den kann, weil es zu kom­pli­ziert ist oder zu mäch­tig oder zu schil­lernd oder zu un­auf­lös­bar mit sei­ner Mach­art ver­wo­ben, es auf nur auf den ei­nen auf­ge­hen­den, al­len zu­gäng­li­chen Be­griff zu brin­gen. (Ich glau­be den Ekel von Bo­tho Strauß ge­gen »die Her­un­ter­de­mo­kra­ti­sie­rung« auch des Schwie­ri­ge­ren teilt ei­gent­lich je­der­mann.)

    Dar­über aber muss wohl ge­spro­chen wer­den, un­ab­läs­sig. Und das zeigt sich ja schon dar­an, dass es eh ge­schieht.

    (Jo­chen Hö­risch hat, glau­be ich, als Er­ster mal laut ge­sagt, dass Witt­gen­steins Dik­tum vom eher fäl­li­gen Schwei­gen ei­gent­lich ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­bot sei – und an Ver­bo­te wol­le sich heu­te eben nie­mand mehr hal­ten.)

     

  60. Dar­über spre­chen, dar­über strei­ten, ja.
    Aber man muss im­mer be­ach­ten, dass die Hin­ter­grün­de und Er­fah­run­gen sehr ver­schie­den sind. Die Kri­tik an der Her­un­ter­de­mo­kra­ti­sie­rung kann ich ver­ste­hen, an­der­seits ver­gisst sie mit­un­ter, dass es eben die­se ver­schie­de­nen Hin­ter­grün­de und Er­fah­run­gen gibt.

    Mir scheint, ich füh­re par­al­lel ge­ra­de ei­ne sehr ähn­li­che Dis­kus­si­on. Viel­leicht ist’s von In­ter­es­se.

  61. @amo # 24 – Hat er nicht
    Ich fin­de es er­staun­lich, wie oft im­mer wie­der auf ei­ne Ver­ant­wor­tung des Ver­la­ges hin­ge­wie­sen wird.
    Die ist für die Fra­ge »Pla­gi­at oder nicht« nicht vor­han­den.
    Je­der Au­tor, der ein Werk ab­lie­fert, ver­si­chert hoch und hei­lig, daß es sich um SEIN Werk han­delt – oder gibt an, von wo noch al­les Rech­te ggf. ein­zu­ho­len sind.
    Wer´s nicht glaubt: Der Norm­ver­trag ist im Netz leicht auf­zu­fin­den.
    Es gibt ge­gen Groß­ver­la­ge ei­ni­ges zu sa­gen (zum Bei­spiel, daß es de fac­to gar kei­ne Lek­to­ra­te mehr gibt) – aber der Punkt zieht ein­fach nicht.

  62. Tran­szen­denz... und das Ver­mö­gen da­zu – #75
    Ich bin noch bei dem Punkt der Tran­szen­denz (dann viel­leicht auch ei­nes über das Ge­wöhn­li­che hin­aus ge­führ­ten »Hand­werks«... man den­ke auch an so was wie »Mei­ster­schaft«).

    Die­ser Punkt scheint ja nicht zu ver­ob­jek­ti­vie­ren zu sein. Die »Wahr­heit« ist aber nach Kier­ke­gaard eh die Sub­jek­ti­vi­tät.

    Jetzt fra­ge ich mich, ob man das mit ei­ner an­de­ren Sa­che in Zu­sam­men­hang brin­gen kann, näm­lich ei­nem an­schei­nend exi­stie­ren­den kör­per­li­chen Kor­re­lat, ei­ner phy­si­schen Ent­spre­chung des Ver­mö­gens zur Selbst-Tran­szen­denz in un­se­ren Men­schen­hir­nen. (Da geht es eben­falls um Glau­ben... oder so was wie Re­si­du­en ei­ner wie auch im­mer ge­ra­te­nen Me­ta­phy­sik.)

    Mei­ne Idee war, dass das nun – wie auch im­mer – mit dem Ver­mö­gen zur Kunst zu­sam­men­hängt. Und an­de­rer­seits wohl un­gleich bei den Men­schen ver­teilt viel­leicht ist (an­geb­lich so­gar teils ge­ne­tisch be­dingt).

    Et­was spe­ku­la­tiv viel­leicht (und hier na­tür­lich ex­trem ver­kürzt dar­ge­stellt). Aber viel­leicht wei­ter­füh­rend?

    &nsbP,

  63. @en-passant
    Den Strauß’schen Ekel tei­len nur die­je­ni­gen, die von der »Her­un­ter­de­mo­kra­ti­sie­rung« nicht (wie auch im­mer) pro­fi­tie­ren (was ein gu­ter He­bel ist, Strauß als eli­tär ab­zu­ser­vie­ren). An­son­sten lebt ei­ne gan­ze In­du­strie da­von, die Ver­ab­re­dun­gen zu­ver­läs­sig ni­vel­liert zu ha­ben. Aber ist nicht das Ein­ge­ständ­nis, ei­ne Ob­jek­ti­vi­tät mit sub­jek­ti­ven Pa­ra­me­tern so­wie­so nicht er­rei­chen zu kön­nen, ge­ra­de­zu ei­ne Ein­la­dung?

    Wenn je­mand ei­nen Ton nicht trifft, kann er nicht sin­gen. Aber taugt er dann auch nicht zum »Sän­ger«? Ge­ra­de die Mög­lich­keit, trotz­dem zu re­üs­sie­ren, ist das Zwei­deu­ti­ge: Ent­we­der man lässt das Kri­te­ri­um »Ton tref­fen« fal­len und hul­digt dem viel­zi­tier­ten anything goes oder man stellt es als un­hin­ter­frag­bar.

    Das ver­rück­te ist, dass dies bei Li­te­ra­tur nicht mehr zu »funk­tio­nie­ren« scheint (ich glau­be ja, dass das min­de­stens teil­wei­se ein Irr­tum ist). Si­cher, hier gibt es kein em­pi­ri­sches Kri­te­ri­um »Ton tref­fen« (oder doch?). In­so­fern müss­ten die Kri­te­ri­en fast noch prä­zi­ser sein. Aber ei­ne Kri­tik, die sich vor­aus­ei­lend al­ler Kri­te­ri­en be­raubt, fin­det ir­gend­wie und ir­gend­wann al­les sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig.

    Mit Tran­szen­denz mein­te ich eher den eben­falls so oft zi­tier­ten »dop­pel­ten Bo­den« – aber auch schon durch­aus mehr. Wo­bei die Fra­ge auf­taucht, ob das post­mo­der­ne Dik­tum, das Buch ent­ste­he im Le­ser (das war wohl Joy­ce) nicht die Ur­sa­che für die gan­ze Crux ist: Man glaubt, durch die »Ab­bil­dung« be­stimm­ter Er­eig­nis­se so­zu­sa­gen nur ei­nen An­reiz ge­ben zu brau­chen. Und das al­lei­ne rei­che schon als Li­te­ra­tur. Den Rest er­le­digt dann der Le­ser (so­zu­sa­gen). Das ist dann kei­ne Be­lie­big­keit, son­dern »po­ly­phon«. (Oder ma­che ich es mir da zu ein­fach?)

    Das von Ih­nen an­ge­spro­che­ne bio­lo­gi­sti­sche Ele­ment über­for­dert mich der­zeit (das ist nicht iro­nisch ge­meint). Könn­ten Sie das ein biss­chen kon­kre­ter ma­chen?

  64. #77 – Nun­ja,
    @Gregor Keu­sch­nig:
    Im Prin­zip ja.
    Die Stel­len bei Ai­ren wur­den ja eher durch Zu­fall über­haupt ent­deckt, und zwar von ei­nem Le­ser, der des­sen Werk kennt. Ein Lek­tor wie­der­um ist nicht in der Pflicht, nun wirk­lich je­des Un­der­ground­Werk zu ken­nen. Und er ist auch nicht ver­pfich­tet, da­von aus­zu­ge­hen, daß ihm ein Au­tor et­was un­ter­ju­beln will. Die Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Lek­tor und Au­tor ist im Ge­gen­teil ein Ver­trau­ens­ver­hält­nis. Daß es sich beim ge­mein­sam zu pu­bli­zie­ren­den Werk al­so um ein Pla­gi­at han­delt – da­von geht ein Lek­tor zu Recht nicht aus.
    Al­ler­dings, und dies un­ter­stützt mei­ne Ver­mu­tung, daß es bei Ull­stein, wie bei al­len Groß­ver­la­gen, kein Lek­to­rat mehr gibt, das die­sen Na­men noch ver­dient, hät­te ein gu­ter Lek­tor nach In­spi­ra­ti­ons­quel­len fra­gen kön­nen, viel­elicht so­gar sol­len. Denn daß das Werk un­mög­lich al­lein ih­rer ei­ge­nen Phan­ta­sie, ge­schwei­ge denn ei­ge­nem Er­le­ben ent­sprang, dürf­te of­fen­sicht­lich ge­we­sen sein.
    Ein Vor­wurf, den man Ull­stein, die un­ter er­heb­li­chem Er­folgs­druck ste­hen, da sie die Rech­te an Axolotl Road­kill ja er­stei­gert hat­ten (ei­nem In­ter­view mit Frau Oster­mey­er zu ent­neh­men: http://ow.ly/17hgn ), ma­chen kann, ist al­so durch­aus, daß ih­nen die­ser Punkt nicht wich­tig ge­nug er­schien. Man woll­te wohl un­be­dingt ei­ne ei­ge­ne Char­lot­te Ro­che. Mit die­ser Ein­schrän­kung, aber nur mit die­ser, wür­de ich den Vor­wurf ans Lek­to­rat gel­ten las­sen.

  65. #80 – Tja, man muss wohl auch se­hen...
    dass ein Lek­tor heu­te (und ei­gent­lich schon län­ger) auch Mar­ke­ting-mä­ßig zu den­ken hat, das Buch als Pro­jekt in ei­nem Markt­um­feld un­ter durch Me­di­en for­ma­tier­ten Auf­merk­sam­keit zu be­grei­fen hat – die rei­ne Tex­t­op­ti­mie­rung ist da mitt­ler­wei­le viel­leicht zu we­nig?

    Und Ver­la­ge se­hen ja, wie es auch im Um­feld von Kul­tur eben heu­te so geht, ob im Thea­ter oder bei bil­den­der Kunst oder im Fern­se­hen: Al­les per­so­na­li­siert, da ist ein gu­tes sto­ry-tel­ling um den Au­tor schon die hal­be Mie­te? Wer war denn der letz­te Au­tor bei »Ha­rald Schmidt«?

    Und die er­ziel­ba­ren Buch­um­sät­ze a la Char­lot­te Ro­che, da­zu die Pu­bli­ci­ty, das Agen­da­set­ting und die Li­zenz­ge­schäf­te und der gan­ze long-tail... das muss man rea­li­sti­scher­wei­se als öko­no­mi­sche Ver­lockung an­se­hen, der man mit ei­ner »nur« qua­li­täts­ori­en­tier­ten Po­li­tik nicht be­geg­nen kann. In­so­fern ist das schö­ne Feuil­le­ton auch blau­äu­gig bzw. dop­pel-zün­gig.

    Und dann än­dern sich auch noch die Auf­merk­sam­keits­ver­tei­lun­gen ins­ge­samt ra­pi­de, so­wie­so trans­for­mie­ren sich die Me­di­en sel­ber, al­les ist im Um­bruch – man muss im Ge­spräch sein, man muss sei­ne Mög­lich­kei­ten nut­zen, die Hy­ste­rie der ei­nen zieht die an­de­ren mit – ist viel­leicht auch ein biss­chen zu­viel ver­langt, sich da we­gen ein paar ver­schnarch­ten Be­den­ken zu ent­zie­hen... ?

     

  66. #80 – @Gachmuret
    Ich stim­me Ih­nen zu. Na­tür­lich kann ein Ver­lag bzw. der Lek­tor nicht da­von aus­ge­hen, dass Pas­sa­gen aus dem Buch ge­klaut sind. Und man kann nicht al­le Ro­ma­ne und/oder Tex­te ken­nen. Ein­ver­stan­den. Man kann auch nicht al­les »er­goog­len«; an an­de­rer Stel­le wur­de mir der Vor­wurf ge­macht, ich for­der­te das. All das ist ab­surd.

    Aber wenn ich im Su­per­markt drei Jo­ghurts in den Hän­den tra­ge und die Kas­se von mir sechs Eu­ro ha­ben will, dann muss ich skep­tisch wer­den. Da­hin geht mei­ne Kri­tik.

    Und mei­ne Kri­tik geht wei­ter: Das Feuil­le­ton sti­li­siert die­ses Buch aus der Not her­aus zum in­ter­tex­tu­el­len Kunst­werk hoch. Das ist un­ge­fähr so, als woll­te man ei­nen Ta­schen­dieb als Ro­bin Hood fei­ern.

    # 81- @en-passant
    Frü­her war das wohl mal so: Es gab ein gu­tes Buch und dies wurde/musste ver­mit­telt wer­den. Dann ver­dien­te man da­mit Geld. Heu­te fragt man sich, wo­mit man Geld ver­dient, und schreibt da­nach ein­fach ir­gend­was.

    [EDIT: 2010-02-15 10:29]

  67. #79 – @Gregor/en-passant
    Ich bin mir nicht si­cher ob ich Ih­re An­mer­kung zur Tran­szen­denz wei­ter oben, rich­tig ver­stan­den ha­be.

    Zur bio­lo­gi­schen Sa­che: Klar, un­se­re Fä­hig­kei­ten wer­den sich auf ir­gend­ei­ne Wei­se in der Struk­tur und Funk­ti­on un­se­rer Ge­hir­ne fin­den las­sen (und da­durch auch wie­der in den Ge­nen). Das wei­te­re ist in­ter­es­sant, aber sehr spe­ku­la­tiv (weil sich über un­se­re Ge­hir­ne, die­se rie­si­ge An­samm­lung an Ner­ven­zel­len, sehr we­nig ein­deu­tig und iso­liert, al­so oh­ne vie­le »wenns« und »abers«, sa­gen lässt). Aber das spricht noch nicht da­ge­gen es zu ver­su­chen, und ja: Wenn Kunst Er­le­ben und All­ge­mein­heit zu ver­bin­den weiß, dann ist so et­was wie (Selbst)transzendenz er­for­der­lich. Wür­den Sie es auch Em­pa­thie nen­nen? Dann lässt es sich bio­lo­gisch viel­leicht et­was bes­ser fest­ma­chen.

    In der Li­te­ra­tur kann man den Ton viel­leicht auf un­ter­schied­li­che Wei­sen tref­fen, das macht die (ei­ne) Schwie­rig­keit aus.

  68. Ver­such...
    Wenn je­mand den Ton nicht trifft, kann er nicht sin­gen.

    Ja, aber man braucht es auch nicht mehr kön­nen! Die uns im­mer noch bei­spiel­ge­ben­de te­le­vi­sio­nä­re Welt ist voll von Leu­ten, die et­was vor­füh­ren, was sie nicht kön­nen... es vor­zu­spie­len aber ver­su­chen und dann, „de­mo­kra­ti­scher“ ge­wen­det, eben auch so la­la was kön­nen und da­für dann auch oft be­lohnt wer­den, wenn es ge­fällt. Man traut sich – und tritt in je­dem Fall Er­schei­nung. Das wol­len dann an­de­re auch... und so wer­den wir al­le zu so­zia­len Per­for­mern. Und die­se Ba­sis wird al­so im­mer brei­ter.
    (Ein wei­te­res In­diz da­für wä­re viel­leicht, dass die al­te jah­re­lan­ge Leh­re im Aus­ster­ben be­grif­fen ist: es­muss schnel­ler ge­hen... und dann muss es auch nicht mehr so ver­tieft ge­lehrt wer­den.)

    Nicht erst seit War­hol hat die Kunst im­mer ver­sucht, ih­re Stan­dards zu zer­stö­ren, um sich da­von zu »be­frei­en« resp. sich zu »er­wei­tern«. So kann eben auch je­der mit gu­tem Ideen-Mar­ke­ting „sich ver­wirk­li­chen“, al­so auf ei­nem Auf­merk­sam­keits­markt er­schei­nen und et­was zu schaf­fen ver­su­chen, das der Kunst zu­min­dest ein Ähn­li­ches ist: Und wie­der zeigt der Markt, man wird da­für be­lohnt!
    (Und die – nicht nur po­li­tisch er­zeug­ten – stark ega­li­tä­ren Ten­den­zen för­dern das eben­falls. Und das Ge­nie wird ja in der Kunst auch gar nicht ge­braucht, son­dern der Markt braucht das Ge­nie. [Pe­ter Wei­bel] Usw.)

    Em­pa­thie dann viel­leicht auch in dem Sin­ne, wie­man heut­zu­ta­ge ein Ver­käu­fer sei­ner Idee zu sein: Ein Ge­sicht, ei­ne Sto­ry, ein Skan­dä­chen: Man muss auch schon er­ah­nen kön­nen, wie der Ha­se läuft.

    ***

    Zur „Tran­szen­denz“: Das ist ja schon im pas­si­ven Mo­dus ei­ne ei­ni­ger­ma­ßen kom­ple­xe Lei­stung.

    Nun hat aber nicht je­der ei­nen Sinn für sol­che schwie­ri­ger hand­hab­bar zu ma­chen­de Din­ge wie Kunst und Äs­the­tik: Sie sind nicht für je­den. Und da sie evo­lu­tio­när an­schei­nend we­nig Sinn ha­ben – und m. M. nach nur ent­spre­chend sehr wack­li­ger Be­haup­tun­gen so was wie »Se­lek­ti­ons­vor­tei­le« bie­ten -, ist sie viel­leicht über­flüs­sig? (Oder eben Spiel des »ho­mo lu­dens.«)

    An­de­rer­seits gibt es sehr wohl im­mer wie­der un­ge­bil­de­te (un­ver­bil­de­te) Men­schen, die sich be­ru­fen füh­len, und dann in eben­falls kom­ple­xen Si­tua­tio­nen au­ßer­ge­wöhn­li­che Din­ge lei­sten. Hier setzt mei­ne Spe­ku­la­ti­on ein: Dass es ne­ben den spe­zi­fi­schen so­zia­len Be­din­gun­gen wo­mög­lich die­se „bio­lo­gi­sche“, ent­wickel­te, in ei­nem be­son­de­ren ze­re­bra­len Ver­mö­gen la­tent vor­han­de­nen Be­fä­hi­gun­gen gibt.

    (Da­mit ist man na­tür­lich auch schnell wie­der bei sol­chen Din­gen wie „Ge­nie & Wahn­sinn“ und ein Mes­si­as heu­te, tauch­te er dann auf, wür­de wahr­schein­lich so­fort aus­sor­tiert. Aber die­ser hö­he­re „Ruf“, die­se Be­ru­fen­hei­ten Ein­zel­ner taucht al­so im­mer wie­der auf. Das ist ei­ner­seits ei­ne Kon­stan­te, und an­de­rer­seits „ei­ne ganz nor­ma­le Un­wahr­schein­lich­keit“ [Luh­mann]).

    Da sich aber heu­te eh das Tri­via­le über­all an die Stel­le des Sa­kra­len set­zen ver­sucht (ob in der Kunst oder im Kauf­haus, ob in den Prä­sen­ta­tio­nen von so was Ba­na­lem wie ei­nem neu­en Au­to­mo­dell oder in den mes­sia­ni­schen Ten­den­zen ei­ner neo-apo­ka­lyp­ti­schen Po­li­tik der Heils­brin­ger­schaf­ten (Obam,a wie Bush wie Bin La­den, noch so ein Würst­chen wie We­ster­wel­le „in­spi­riert“ ja sei­ne An­hän­ger­schafft, er er­löst sie: „end­lich spricht es mal je­mand aus...“)... all das mag als Va­ria­ble ei­ne Rol­le spie­len. (Das, was die Neu­ro­bio­lo­gie an Er­geb­nis­sen her­vor­bringt noch nicht mal ein­ge­rech­net. Aber er scheint al­so so, dass die Hirn­re­gio­nen für „Glau­ben“ de­nen für Äs­the­tik“ sehr na­he lie­gen oder teils iden­tisch sind. Was im­mer das hie­ße.)

    Wie ge­sagt, sehr spe­ku­la­tiv. Man müss­te das mal rich­tig aus­ar­bei­ten... die Quel­len­la­ge wird im­mer brei­ter, scheint mir. Und ge­wis­se Ty­pen (heu­te et­wa Jo­na­than Mee­se) brin­gen ih­re neu­er­dings aus­zu­le­ben mög­li­chen Wahn-Din­ge in der Kunst un­ter und be­för­dern so wo­mög­lich was an­de­res: Me­ta­phy­sik-Er­satz per Äs­the­tik. Und ihr Ruf wird von ei­ni­gen ge­hört. (Aber eben nicht von je­dem.) Und in den Schwund­stu­fen des Mark­tes kommt je und je was da­von an.

     

  69. @en-passant
    Wenn je­mand den Ton nicht trifft, kann er nicht sin­gen. Ja, aber man braucht es auch nicht mehr kön­nen!
    Aber ge­nau dar­um geht es ja! Wer sagt denn, dass er/sie es nicht mehr kön­nen muss? In der klas­si­schen Mu­sik kann nach wie vor nie­mand Opern­sän­ger wer­den, der den Ton nicht trifft. Oder Vir­tuo­se, der sich »ver­spielt«. Hier gilt es noch – in der »Pop«-Musik nicht mehr bzw. nicht mehr zwin­gend. Blie­be al­so nur das Re­fu­gi­um des klas­si­schen In­ter­pre­ten­tums? Selbst mo­dern­ste Opern­in­sze­nie­run­gen ver­zich­ten ja nicht auf den ge­trof­fe­nen Ton. (Im Sprech­thea­ter sieht das ja schon wie­der ganz an­ders aus.)

    Wo ist der Bo­gen zur Li­te­ra­tur? Das ei­ne ist re-pro­du­zie­rend, das an­de­re pro­du­zie­rend. Schon klar. Aber wo­hin bringt uns die Be­frei­ung aus der schein­ba­ren pla­to­ni­schen Höh­le? Man­che kön­nen doch die­se Hel­lig­keit gar nicht mehr er­tra­gen.

    Skan­däl­chen: Selbst wenn man ahnt, wie der Ha­se läuft – war­um las­sen sie denn den Ha­sen lau­fen? War­um schal­ten Kri­ti­ker ent­schei­den­de Seg­men­te ih­res Ge­hirns ab und an ein­fach aus? Zu bil­lig wä­re die Aus­sa­ge, sie pro­fi­tier­ten sel­ber da­von. War­um wer­fen sie den Le­sern ein Buch wie »Axolotl Road­kill« vor die Fü­sse und ban­nen je­den, der es nicht gut fin­det, als Spie­ßer? Die Ro­che hat­ten sie noch mit Ekel be­trach­tet. Wie ein­fach sind sol­che Me­cha­nis­men aus­zu­lö­sen? Man merkt ja nicht di­rekt, dass je­mand wie Carl He­ge­mann (der Va­ter) mit Schlin­gen­sief gut steht. Wer trifft die Ent­schei­dung: Hype oder Ver­riss? Nicht die, die wir se­hen, scheint mir.

    Em­pa­thie ist et­was an­de­res. In kei­nem Fall ist da­mit die Fä­hig­keit ge­meint, den Markt zu an­ti­zi­pie­ren (die­sen Ver­dacht he­ge ich bei der zeit­ge­nös­si­schen Kunst al­ler­dings manch­mal).

    ***

    Ist es denn wirk­lich so, dass Kunst und Äs­the­tik kei­nen »Se­lek­ti­ons­vor­teil« brin­gen? Was, wenn das gän­gi­ge Evo­lu­ti­ons­theo­rem des­we­gen falsch wä­re? Oder dass ge­nau das den Men­schen von an­de­ren Le­be­we­sen un­ter­schei­det und die Mensch­heit nicht an (oder trotz) der Kul­tur zu­grun­de geht, son­dern weil die Kul­tur­lo­sen sie usur­pie­ren und/oder ru­hig­stel­len? Oder will der Äs­the­ti­ker das nur glau­ben, weil es ihm als Exi­stenz­be­rech­ti­gung gut ge­fällt? (Die Fra­ge ist ja dann wie­der, wer ist kul­tur­los und wer nicht.)

    An­de­rer­seits: Künst­ler, In­tel­lek­tu­el­le, Phi­lo­so­phen – die­se Leu­te an die Macht? Das ist ja wirk­lich kei­ne Per­spek­ti­ve.

    Na­tür­lich ist mir ein Holz­hacker im Wald über­le­gen, wenn ich mit ihm dort al­lei­ne bin. Da hel­fen mir mei­ne bel­le­tri­sti­schen Lek­tü­re­er­fah­run­gen rein gar nicht wei­ter. Aber das un­ter­streicht, dass der Mensch ein kol­lek­ti­ves Tier ist. Und das muss man mit dem In­di­vi­dua­lis­mus heu­ti­ger Prä­gung erst ein­mal wie­der auf die Rei­he be­kom­men.

    Als letz­te Flucht dann viel­leicht doch wie­der der nai­ve Glau­be? Sie schrei­ben es ja: Die Sehn­sucht ist da – die Sehn­sucht nach ei­ner Tran­szen­denz. Ich glau­be auch, dass die Leu­te im wahr­sten Sin­ne des Wor­tes die De­mo­kra­tie ir­gend­wann satt ha­ben und sich an dem »gu­ten Dik­ta­tor« seh­nen. Sie ah­nen im Mo­ment noch, dass es ihn nicht gibt. Wenn wir Pech ha­ben, än­dert sich das ir­gend­wann.

  70. Tran­szen­denz...
    Die­se zu re­stau­rie­ren oder zu de­ko­rie­ren.. ist das die Post­mo­der­ne? – Satres Kri­tik zu der Frem­de ha­be ich sehr ge­nos­sen (dar­in fand sich auch ei­ne tol­le Be­schrei­bung Kaf­kas, glau­be ich, u.a. als den Dich­ter der »ver­geb­li­chen Tran­szen­denz«) – wenn ich das et­was ver­kürzt, sub­jek­tiv wie­der­ge­be, dann zeig­te er wie Ca­mus Spra­che und Be­schrei­bun­gen schon die Kon­struk­ti­on die­ses ent­leer­ten, ab­sur­den Sub­jekts spie­geln. Al­so: wir ma­len die­sen graus­lich lee­ren Him­mel oh­ne Tran­szen­denz, um uns ein biss­chen gru­seln zu kön­nen.. – und, das ist jetzt mei­ne An­fü­gung, weil wir das nicht er­tra­gen kön­nen, kom­men die Post­mo­der­nen und hän­gen uns wie­der nen biss­chen Christ­baum­kitsch dran? (Aber da muss ich die al­ten Dis­kus­sio­nen mal durch­wüh­len und mei­ne Haus­auf­ga­ben zur »Post­mo­der­ne« end­lich mal ma­chen..)

    Hy­pes fin­de ich gräss­lich. Bei die­sem emp­fin­de ich mal wie­der bei­na­he phy­si­schen Ekel. Eben wie­der ei­nen dum­men Kom­men­tar in der Zeit ge­le­sen (Ijo­ma Man­gold, schein­bar noch nicht on­line). Leich­te Würg­an­fäl­le lö­ste al­ler­dings schon die­ser Ar­ti­kel aus.

    Feuil­le­ton meets Bou­le­vard? In Me­di­en wie der Bild mag es ja an­ge­hen den Sub­text gleich mit auf­zu­schrei­ben – aber die­se Mi­schung von Au­to­sug­ge­sti­on oder selbst­er­fül­len­den Pro­phe­zei­un­gen, Selbst­re­fe­ren­tia­li­tät und Auf­gei­len an der ei­ge­nen Me­di­en­geil­heit: Un­ser The­ma ist die­ses Mäd­chen, weil die­ses Mäd­chen ein The­ma sein wird?! (#!§$%’!!=wü­ste Ti­ra­den für die mir vor Wut die Wor­te feh­len)

    — * –

    Da wir Men­schen uns un­se­re ei­ge­ne künst­li­che Um­welt ge­schaf­fen ha­ben, kön­nen wir sehr vor­züg­lich von Sym­bol­ma­ni­pu­la­ti­on oder Sprach­spiel­be­herr­schung le­ben, wür­de ich sa­gen.

  71. @phorkyas – Tran­szen­denz
    Ich weiss nicht, ob das, was ich (viel­leicht ein biss­chen holp­rig) »Tran­szen­denz« nen­ne, postm­doern ist oder über­wun­den ist. Kei­ne Ah­nung. Wirk­lich.

    Ich mei­ne Tran­szen­denz nun nicht als Jen­seits-Ver­hei­ssung oder spi­ri­tu­el­ler Rei­ni­gung. Ich glau­be aber, dass ei­ne Er­zäh­lung, ein Ro­man, ei­ne No­vel­le, ein Thea­ter­stück mehr sein muss als nur ir­gend­et­was »ab­zu­bil­den«. Ich glau­be, dass Li­te­ra­tur ei­nen dop­pel­ten Bo­den ha­ben muss und wenn mög­lich nicht aus Papp­ma­ché. Vie­len zeit­ge­nös­si­schen Wer­ken kommt dies zu­se­hens ab­han­den. Man merkt es ganz schnell, wenn es sich wie ei­ne jour­na­li­sti­sche Re­por­ta­ge liest – und sei es (wie bei der He­ge­mann) um ei­ne Re­por­ta­ge ins ei­ge­ne Ich (das reicht als Durch­drin­gung ei­nes li­te­ra­ri­schen Tex­tes nicht). Der Christ­baum­kitsch ist da­mit ge­nau nicht ge­meint. Der soll näm­lich in Wirk­lich­keit ver­decken, dass der Baum krumm und schief ist und schon na­delt.

    Viel­leicht müss­te ich da­zu ir­gend­wann ein­mal et­was Ge­naue­res schrei­ben.

    Man­golds Kom­men­tar ist schon arg frech. Aber ist es nicht auch ir­gend­wie be­frei­end, dass man die­se Fi­gur da­nach nicht mehr be­son­ders ernst neh­men kann?

  72. Tran­szen­denz
    Ich hät­te ge­mut­maßt, dass die Post­mo­der­ne an Fra­gen wie die­ser schlicht kein In­ter­es­se hat, so wie an der Fra­ge nach Wahr­heit (ich hör­te in ir­gend­ei­nem Vor­trag ein­mal, dass es sich an­geb­lich so ver­hält, und die post­mo­der­ne »Be­lie­big­keit« da­her rührt).

    Ich weiß nicht ob ich den Ein­wurf rich­tig ver­ste­he, »das Grus­li­ge« war m.E. eher nicht Ca­mus »In­ten­ti­on« (der »Kampf« ge­gen das Ab­sur­de ein ern­ster).

    Hat Ca­mus nicht Sat­re auf Grund der Re­zen­si­on die Freund­schaft auf­ge­kün­digt, oder ir­re ich mich jetzt?

  73. zu lo­se an­ge­bun­den..
    Die Be­spre­chung ist doch ei­ni­ges kom­ple­xer.. und Sat­re wür­digt die­ses Werk durch­aus (auch wenn da mal der Sei­ten­hieb kommt Ca­mus zi­tie­re fort­wäh­rend Jas­pers, Heid­eg­ger und Kier­ke­gaard oh­ne sie ver­stan­den zu ha­ben). – »[..] Ca­mus’ An­schau­un­gen sind ganz und gar ir­disch ge­bun­den. Kaf­ka da­ge­gen ist der Ro­man­cier der­un­mög­li­chen Tran­szen­denz: für ihn ist das Uni­ver­sum vol­ler Zei­chen, die wir nicht ver­ste­hen; bei ihm gibt es ei­ne Kehr­sei­te der Din­ge. Für Ca­mus da­ge­gen ist das Dra­ma des Men­schen das Feh­len der Tran­szen­denz: [..] Es geht ihm al­so nicht dar­um Wort­grup­pie­run­gen zu fin­den, die uns ei­ne au­ßer­mensch­li­che und nicht zu ent­zif­fer­ne Ord­nung ah­nen las­sen: denn das Au­ßer­mensch­li­che ist ganz ein­fach die Un­ord­nung, das Me­cha­ni­sche.«

    Ca­mus’ Ro­man schockiert, weil er ein rei­nes, los­ge­lö­stes Be­wusst­sein kon­stru­iert oh­ne Tran­szen­denz (oder: der dop­pel­te Bo­den be­steht dar­in, dass die Ro­man­fi­gu­ren, kei­nen dop­pel­ten Bo­den mehr ken­nen..?) – dar­über könn­te ich dis­ku­tie­ren (hät­te ich mei­ne Ge­dan­ken bes­ser sor­tiert),.. auch die­se Ekel­ro­ma­ne sind ja auf Schock aus­ge­rich­ti­tet (ich werf jetzt auch mal die He­ge­mann in die­se Schub­la­de), aber auch die mei­sten Wit­ze die­ser Art, fin­de ich nur noch lang­wei­lig. Was bleibt denn, wenn man die »Schei­ße« ent­fernt? Bleibt dann noch ein The­ma (die »Nuller­jah­re« höhö)? – Ist das nicht auch nur wie­der ver­wei­ger­ter Sinn, Tran­szen­denz, dop­pel­ter Bo­den? War­um muss man da wie­der so­viel Dro­gen, Kot­ze, Ex­kre­men­te drü­ber­schau­feln?

  74. PS.
    Der Bruch zwi­schen Sat­re und Ca­mus hat mei­ner Er­in­ne­rung mehr da­mit zu tun, dass Ca­mus nichts mehr mit den Kom­mu­ni­sten zu tun ha­ben woll­te (aber ir­gend­wer soll­te wohl wie­der in Wi­ki­pe­dia nach­schla­gen..)

  75. Vor­schlag
    Ich ha­be ge­ra­de nicht Zeit, aber viel­leicht abends. Ich ken­ne von Ca­mus nur den »My­thos des Si­sy­phos« und »Die Pest«, »Den Frem­den« woll­te ich im­mer schon ein­mal le­sen (und ha­be jetzt die Ge­le­gen­heit ge­nutzt und ihn gleich be­stellt). Es gibt im My­thos auch ein Ka­pi­tel über Kaf­ka (und ich glau­be für Ca­mus ist er ein Bei­spiel für ei­ne ab­sur­de Exi­stenz), und man könn­te Satres und Ca­mus’ Sicht ver­glei­chen.

  76. Sartre/Camus und noch ein Ver­such
    Es gibt ver­mut­lich gan­ze Wäl­der, die über das Ver­hält­nis Sartre/Camus ge­schrie­ben wur­den. Haupt­dis­kre­pan­zen zwi­schen den bei­den wa­ren äs­the­ti­sche und po­li­ti­sche Dif­fe­ren­zen. Sart­re trat ve­he­ment für die »en­ga­gier­te Li­te­ra­tur« ein, al­so für das Po­li­ti­sche – mit ein­deu­ti­gem Fo­kus auf den So­zia­lis­mus bzw. Kom­mu­nis­mus. Ca­mus ging hier nicht mit; sei­ne Sicht war so­zu­sa­gen ent-po­li­ti­siert (wo­mit nicht ge­sagt ist, dass es er ein un­po­li­ti­scher Mensch war).

    Ca­mus treibt den exi­sten­zia­li­sti­schen Ge­dan­ken so­zu­sa­gen auf die Spit­ze: Er ne­giert nicht nur re­li­giö­se son­dern auch ir­di­sche Glücks­ver­hei­ssun­gen (al­so z. B. po­li­ti­sche Ideo­lo­gien) – bei­des sind für ihn Ur­sa­chen für Not, Leid und Elend. Der Mensch hat das Ab­sur­de sei­ner Exi­stenz oh­ne wenn und aber an­zu­neh­men. Der in­tel­lek­tu­el­le Zeit­geist der 50er bis fast in die 70er Jah­re war eher auf der Sei­te Sar­tres (trotz des No­bel­prei­ses für Ca­mus) – das hat sich m. E. in den letz­ten Jahr­zehn­ten ver­än­dert.

    Das ist na­tür­lich ei­ne sehr gro­be und ver­kür­zen­de Sicht. Mei­nes Er­ach­tens brin­gen die Ver­glei­che zum The­ma Tran­szen­denz wie ich das hier ver­ste­he we­nig. Ich un­ter­neh­me noch ein­mal ei­nen Ver­such:

    Li­te­ra­tur wird – ob das post­mo­dern ist, weiss ich nicht – der­zeit fast nur noch in Ver­bin­dung mit der bio­gra­fi­schen Er­fah­rung ei­nes Au­tors ge­se­hen. Da­her ist man so un­glaub­lich wild auf bio­gra­fi­sche De­tails und die­ses Un­be­ha­gen an­ony­men Au­toren ge­gen­über (z. B. Blog­gern). Mit die­ser wie auch im­mer durch­ge­styl­ten Bio­gra­fie geht man nun dar­an, die Au­then­ti­zi­tät der vor­lie­gen­den Pro­sa (oder auch Ly­rik) zu be­ar­bei­ten und ab­zu­schät­zen. Je grö­sser die Über­ein­stim­mun­gen zwi­schen dem, was man er­war­tet hat und dem, was der Au­tor lie­fert sind, um so bes­ser wird das Buch an­ge­se­hen wer­den.

    Für mich ist aber Li­te­ra­tur, die der­art be­schrei­ben dda­her­kommt, un­in­ter­es­sant. Na­tür­lich spie­len im­mer bio­gra­fi­sche Er­fah­run­gen MIT in Pro­sa hin­ein, aber ein wie auch im­mer ge­ar­te­ter »Na­tu­ra­lis­mus« ist kei­ne er­grei­fen­de Li­te­ra­tur. Viel­leicht ist es ei­ne gu­te Re­por­ta­ge oder ein schön for­mu­lier­tes jour­na­li­sti­sches Stück – aber mehr auch nicht.

    Li­te­ra­tur ist al­so mehr als blo­sse Ab­bil­dung ei­nes Zu­stan­des. Li­te­ra­tur hat Er­fah­rung zu durch­drin­gen. Sie muss sich jen­seits ei­nes bloß-na­tu­ra­li­sti­schen »Ab­bil­des« spie­geln bzw. dies er­mög­li­chen.

    Ca­mus’ Li­te­ra­tur ist zwar for­mal an­ti-tran­szen­den­tal – aber dies nur aus dem Text her­aus, d. h. es gibt in der Pro­sa we­der Trost noch ei­ne an­de­re Form von Hoff­nung. Aber der Le­ser wird zu­rück­ge­wor­fen auf sei­ne ei­ge­ne Exi­stenz – die in­di­rekt for­mu­lier­ten Fra­gen der Fi­gu­ren pflan­zen sich in den Le­ser. Es geht nicht vor­der­grün­dig dar­um, dass je­mand ei­nen Men­schen am Strand tö­tet. Es geht dar­um, war­um er das tut. Und dies wird im Buch NICHT aus­for­mu­liert oder es gibt kei­ne Krücke, an die man sich zur Not fest­hal­ten kann. Der Pro­zess der Re­fle­xi­on fin­det beim Le­ser, nein: im Le­ser, statt.

    DAS ist von mir aus mo­dern oder auch post-mo­dern (mir ver­schwim­men die­se Eti­ket­ten im­mer mehr). Zwar liegt dar­in auch wie­der ein Di­lem­ma (die voll­kom­men be­lie­bi­ge Aus­deu­tung), aber es ist zu­min­dest et­was zum Deu­ten da, was über das nor­ma­le Schock­erleb­nis ei­ner Fä­kal­spra­che hin­aus geht.

    Nach der Lek­tü­re des He­ge­mann-Bu­ches ist mit klar, war­um die­ses Buch in der Kri­tik so er­folg­reich ist. Es han­delt sich um ein über­aus kühl kon­zi­pier­tes Werk, glatt kon­stru­iert mit dem rich­ti­gen Fut­ter im Trog. Aber das wä­re dann wie­der ein an­de­res The­ma.

  77. Anmerkungen/Ergänzungen
    Ca­mus tut das m.E. aus fol­gen­den Über­le­gun­gen: a) Er fin­det kei­ne Lo­gik die das Le­ben ver­neint, die in den Selbst­mord führt, b) er­kennt er das Be­dürf­nis nach Ein­heit, nach dem Ab­so­lu­tem, nach Rück­füh­rung auf Prin­zi­pi­en, ist c) im sel­ben Mo­ment ge­wiss, dass das nicht voll­stän­dig mög­lich ist, und d) will nichts, was über sei­ne Ge­wiss­hei­ten hin­aus­geht, da­her nicht sprin­gen, und sich von der ab­sur­den Span­nung (er)lösen. Ganz im Ge­gen­teil, er lehnt sich (zweck­los) da­ge­gen auf, und lei­tet aus der Ab­sur­di­tät u.a. die Frei­heit ab. Und dann sind wir mit­ten im Po­li­ti­schen.

    -

    Ver­mu­tung: »Die Post­mo­der­ne« wird die Tran­szen­die­rung der Er­fah­rung nicht mehr für mög­lich (rea­li­stisch, mach­bar) hal­ten. Die Ein­deu­tig­keit ist am En­de, und dort wo al­les viel­ge­sich­tig wird, gibt es eben kei­ne Durch­drin­gung mehr (In der Zeit wur­de ein­mal ein Buch be­spro­chen, und spä­ter hielt ich es auch bei ei­nem Freund in Hän­den, das Pa­ra­de­bei­spiel für ein post­mo­der­nes Werk, da konn­te man rich­tig er­le­ben wie Post­mo­der­ne funk­tio­niert).

  78. tran­szen­die­ren heißt ja: über­schrei­ten, über­füh­ren...
    Ca­mus macht das sehr wohl, und zwar in dem Sin­ne wie G.K. das Tran­szen­die­ren zur Li­te­ra­tur ein­ge­führt hat (ich hat­te nur ver­sucht, das zu er­wei­tern, weil die­se Dis­kus­sio­nen oft et­was eng ge­führt wer­den). Er macht es des­wei­te­ren, weil er ver­sucht, sei­ne ei­ge­nen Be­din­gun­gen als die je­des an­de­ren zu un­ter­su­chen und er wird dar­in au­ßer­li­te­ra­risch um so li­te­ra­ri­scher. Die Tran­szen­denz kann sich an ei­nem drecki­gen Strand in Nord­afri­ka er­eig­nen. Oder in un­be­ding­ter Le­bens­be­ja­hung, die er (zu­erst ein­mal nur für sich) als letzt­lich stär­ker als das Ab­sur­de der »tran­szen­den­ta­len Ob­dach­lo­sig­keit« po­stu­liert. Das Wich­ti­ge­re aber war, dass dar­in – oder erst dar­in wie­der – Frei­heit zu ge­win­nen war. (Und zwar, wenn man will in ei­nem »über­schrei­ten­den« Sin­ne.)

    (Auf die Se­zie­rung der mut­maß­li­chen Bin­nen­über­le­gun­gen Ca­mus’ von Me­tep­si­lo­n­e­ma ge­he ich jetzt nicht ein.)

    Ca­mus’ Hin­aus­wurf (Um­stän­de und vor al­lem die Grün­de da­zu) aus der Sart­re-Cli­que sei­ner­zeit er­schei­nen aus heu­ti­ger Sicht ei­gent­lich nur lä­cher­lich. Da­bei hat­te Sart­re in sei­nem er­sten Ro­man sel­ber das Tran­szen­denz­lo­se tran­szen­diert -, und das so­wohl in Li­te­ra­tur wie auch »Exi­stenz«, die auf ein­mal vie­len les­bar wer­den konn­te und an der Zeit war und da­mit mo­der­ner als al­les, was er dann zu dem – hi­sto­risch be­fan­gen blei­ben müs­sen­den – Kampf um die rich­ti­ge Welt schrieb.

    In Be­zug auf das Ver­mö­gen zur Über­schrei­tung von Li­te­ra­tur hie­ße das, dass die­se em­pa­thi­sche Kraft sich zu ver­lie­ren scheint zu­gun­sten ei­nes zu­neh­mend ein­di­men­sio­nal ope­rie­ren­den Mark­tes (oder, von mir aus, ei­nes »Na­tu­ra­lis­mus«).

    Was ich dann wei­ter vor­ne in der Dis­kus­si­on mit dem Ver­lust über­haupt ei­ner Tran­szen­denz – jetzt al­so al­so Jen­sei­tig­keit – in Ver­bin­dung zu brin­gen ver­sucht ha­be. Die Rea­li­en des Le­bens wer­den zu­neh­mend ein­di­men­sio­nal (Öko­no­mie­druck, La­tenz zur Ka­ta­stro­phe, 2. Hand Le­ben aus Me­di­en) und zu­gleich wird al­les im­mer kom­ple­xer und ist in tran­szen­die­ren­den Ent­wür­fen, die auch äs­the­tisch die Hö­he hiel­ten, im­mer schwe­rer zu fas­sen.

    Da kommt dann eben auch die Li­te­ra­tur aus dem Su­per­markt, ab­ver­kauf-ver­packt und tief­ge­kühlt und kom­po­niert nach Min­dest­halt­bar­keit ver­spre­chen­den Re­zep­ten.

    Und was die Post­mo­der­ne an­geht: Oft all­zu nietz­schea­nisch, weist sie al­le mög­li­chen Kon­stan­ten ab (»Wahr­heit«, »Gott« usw.), und muss sie dann doch un­ent­wegt um­krei­sen – oder gar be­griff­lich re-in­stal­lie­ren – weil sie oh­ne die­se Din­ge gar nicht aus­kom­men kann re­spek­ti­ve dis­kurs­mä­ßig un­ter zu star­ker An­ämie lit­te. Dar­an ist sie ja dann ei­gent­lich auch »ver­schie­den«: Am neu­en Gott näm­lich der bis ins Un­end­li­che im­mer wei­ter spalt­ba­ren Dif­fe­renz. Und hat sie mit die­sen Ato­men dann nicht et­was »tran­szen­diert«? Die Wi­der­sprü­che blei­ben un­auf­lös­bar.

     

  79. The­men
    (i) Bio­gra­phi­sche Über­ein­stim­mung mit dem Werk ist kein Au­then­ti­zi­täts­kri­te­ri­um für Li­te­ra­tur, das hal­te ich eben­falls für völ­lig in­dis­ku­ta­bel (das wur­de hier ja auch mal bei Hand­ke dis­ku­tiert). – Es ist aber lei­der viel­leicht ein leich­ter hand­hab­ba­res Kri­te­ri­um; so wie Sta­ti­sti­ken (selbst Pro­fes­so­ren oder Wis­sen­schaft­ler wer­den ja mitt­ler­wei­le nach ih­rer Zi­ta­ti­ons­zahl be­ur­teilt – so braucht man sich nicht mehr mit In­hal­ten be­schäf­ti­gen)

    (ii) Mark­för­mig­keit der Li­te­ra­tur -
    Ist er aber hin­rei­chend die­ser »Na­tu­ra­lis­mus«, um ei­nen Hype zu trig­gern? Na­ja, kenn­te man die Re­zep­tur, dann könn­te man ja Best­sel­ler am Band pro­du­zie­ren. – Manch­mal reicht ja auch Na­zi­kitsch (hier wä­re es viel­leicht in­ter­es­sant zu ver­glei­chen, war­um bei Thor Kun­kel der Skan­dal so ne­ga­tiv für den Au­tor ver­lief, wäh­rend bei Lit­tell wohl pri­mär die Auf­la­ge ge­stei­gert wur­de) – Ist es wirk­lich so schlimm wie bei­spiels­wei­se bei Ko­mi­kern, die im­mer ih­ren ei­nen Typ re­pre­sen­tie­ren müs­sen (der sich dann auch vor­nehm­lich an Äu­ßer­lich­kei­ten ori­en­tiert)? Als Phy­si­ker kann man wohl nur mit Ähn­li­chem wie Ran­ga Yo­geshwar oder Vin­ce Ebert Auf­la­ge er­zie­len. – Leicht ver­dau­lich muss es im­mer sein. Mir ist das un­ver­ständ­lich: Wenn ich mir doch schon ein­mal die Mü­he ma­che et­was zu le­sen, war­um dann nur die­sen bal­last­stoff­ar­men Fast-Food-Schrott? Da ha­be ich doch nichts im Ma­gen.

    (iii) In der Ab­kehr von (ii), heißt es wohl sich häus­lich ein­zu­rich­ten im Kul­tur­pes­si­mis­mus (lang­sam kom­me ich mir schon schreck­lich alt vor..)? Es gibt ja im­mer noch gu­te Bü­cher zu hauf, wel­che die für ei­nen als Le­ser noch über sich selbst hin­aus­wei­sen.

  80. @Phorkyas
    I. War­um ist das Ih­rer Mei­nung nach in­dis­ku­ta­bel? Na­tür­lich ist es sehr leicht, auf­grund au­to­bio­gra­fi­scher Kennt­nis­se die Pro­sa ei­nes Au­tors zu »durch­for­schen«, sie in­ter­pra­ti­ons­mä­ssig hin­zu­bie­gen. Aber bringt uns das Li­te­ra­tur na­he? Nur nach Über­ein­stim­mun­gen zu su­chen wie in ei­nem Such­spiel nach »Ori­gi­nal und Fäl­schung« – hier nach »Le­ben und FIk­ti­on«?

    II. Ei­nen Hype zu »Trig­gern« – das weiss man doch, wie es geht. Aber es funk­tio­niert nicht im­mer. Es kom­men vie­le Fak­to­ren da­zu: Wie ist der Au­tor im Be­trieb be­kannt? Un­ter­sucht man die Hy­pes der deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur in den letz­ten Jah­ren so er­kennt man, dass es es sich häu­fig um Kin­der be­kann­ter Me­di­en­men­schen und/oder mit dem be­trieb ver­ban­del­ter Fi­gu­ren han­delt. Das ist nicht als Ver­schwö­rungs­theo­rie ge­meint: Le­bert, Kutt­ner, He­ge­mann. Bei Ale­xa Hen­nig von Lan­ge und Ro­che trifft das nicht zu – ob­wohl min­de­stens Ro­che schon früh im Be­trieb an­ge­sie­delt ist. Das gibt es auch im Aus­land, sie­he Lit­tell (der Va­ter schreibt Thril­ler).

    Wer die Ein­tritts­kar­te so bil­lig be­kommt, braucht na­tür­lich trotz­dem ein The­ma; ein Skan­da­lon. Na­zis kom­men im Aus­land im­mer gut. In Deutsch­land fas­zi­niert die Kri­tik im­mer das, was sie nicht kennt – al­so bspw. ei­ne Sub­kul­tur- bzw. Dro­gen­sze­ne. Nie geht es oh­ne Sex. Usw.

    III. Trotz al­lem glau­be ich nicht, dass es Zeit für über­mä­ssi­gen Kul­tur­pes­si­mis­mus ist. Die Welt war letzt­lich nie an­ders; ge­recht schon gar nicht. Wä­re sie es, wür­de statt Axolotl Road­kill die­ses Buch ge­le­sen, dis­ku­tiert, ge­lobt. Das wür­de sich loh­nen.

  81. @en-passant – Ein­di­men­sio­na­li­tät
    Ja, ge­nau dar­um geht es mir: Die Li­te­ra­tur bzw. die Kri­tik mu­tiert in ei­ner An­pas­sungs­ge­stik an die EIn­di­men­sio­na­li­tät des Le­bens, des All­tags, un­se­rer Welt (un­se­rer!) in dem sie sich die­ser EIn­di­men­sio­na­li­tät nicht nur be­dient, son­dern sie ko­piert bzw. ge­nau das lobt. Da reicht dann die blo­sse Po­se ei­ner li­te­ra­ri­schen Fi­gur, die Si­mu­la­ti­on von Auf­leh­nung wird zur Auf­leh­nung hoch­sti­li­siert. (DAS ist für mich der Hype hin­ter dem Hype.)

    Mir ist das Ve­xier­spiel mit der in­di­rek­ten Rück­füh­rung, der »bis ins Un­end­li­che im­mer wei­ter spalt­ba­ren Dif­fe­renz« ver­mut­lich schlicht­weg zu we­nig.

    Ei­ner­seits. An­de­rer­seits: Was bleibt den Au­toren ei­gent­lich an­de­res üb­rig?

  82. Was bleibt den Au­toren ei­gent­lich an­de­res üb­rig?
    Aber wä­re das nicht der Punkt (der Ein­sicht auch, der Not­wen­dig­keit), ir­gend­was zu »über­schrei­ten«? (Und das als zu ver­mit­teln zu ver­lan­gen, sei es durch ei­ne We­ge da­hin for­mu­lie­ren­de Kri­tik?)

    Noch­mal der la­ko­ni­sche Satz von Alex­an­der Klu­ge, der dann auch als Pro­gramm zu le­sen ist: »... die Kunst­an­stren­gung er­hö­hen«.

  83. @en-passant
    Na­tür­lich. Mei­ne Fra­ge war als Pro­vo­ka­ti­on ge­dacht.

    Die Über­schrei­ter sind ge­sucht. Die »Er­hö­her«. (Und Sie wis­sen si­cher­lich, wel­che bei­den Na­men der zeit­ge­nös­si­schen deutsch­spra­chi­gen Li­te­ra­tur mir da so­fort ein­fal­len, die dies seit Jah­ren, Jahr­zehn­ten un­ab­läs­sig tun bzw. ver­su­chen...)

  84. Ca­mus über Kaf­ka – »Die Hoff­nung und das Ab­sur­de im Werk von Franz Kaf­ka«
    Ein paar Brocken aus dem Kaf­ka-Ka­pi­tel im My­thos (ich schrieb oben im Hin­blick auf Kaf­ka von ab­sur­der Exi­stenz – es muss na­tür­lich ab­sur­des Werk hei­ßen; und ganz rich­tig war das nicht, da Ca­mus Kaf­kas Werk nicht als ab­surd an­sieht, es aber wohl sol­che Zü­ge trägt).

    Er sieht bei Kaf­ka ei­ne grund­le­gen­de Zwei­deu­tig­keit, ei­nen stän­di­gen Wech­sel zwi­schen Na­tür­li­chem und Au­ßer­ge­wöhn­li­chem, zwi­schen Tra­gik und All­täg­li­chem, zwi­schen Ab­sur­dem und Lo­gi­schem.

    Kaf­ka setzt das Tra­gi­sche ins All­täg­li­che, drückt das Ab­sur­de durch das Lo­gi­sche aus, des­halb ist Jo­sef K. Durch­schnitt­s­eu­ro­pä­er. Im Pro­zess er­kennt er Si­sy­phos (Auf­leh­nung, Ver­zweif­lung, Frei­heit).

    »Der Pro­zess« ist ei­ne Be­schrei­bung, »das Schloss« ei­ne (er­folg­lo­se) The­ra­pie (Sprung, Hoff­nung). In Jo­sef Ks. Be­stre­bun­gen in das Schloss zu kom­men sieht Ca­mus ei­nen Hoff­nungs­schrei. Die Sinn­lo­sig­keit sei­ner Ver­su­che, über­zeu­gen ihn von der Exi­stenz Got­tes (das Ab­sur­de führt ihn zu Gott).

    »Das Schloss« und »der Pro­zess« sind zwei Po­le die Kaf­ka an­zie­hen. Sein Werk ist re­li­gi­ös in­spi­riert, und es stellt das Pro­blem des Ab­sur­den in sei­ner Ge­samt­heit dar.

    -

    Ich bin ge­ra­de zu­fäl­lig auf ein Zi­tat von De­lacroix ge­sto­ßen (in ei­nem Es­say von Ca­mus). Ich dach­te es passt zu un­se­rer Dis­kus­si­on wei­ter oben (und auch an an­de­rer Stel­le): Da­mit der Rea­lis­mus nicht ein sinn­lo­ses Wort ist, müss­ten al­le Men­schen den glei­chen Geist und die glei­che Art, die Din­ge an­zu­schau­en, ha­ben.

    -

    Ca­mus im My­thos: Es gibt ei­ne ge­wis­se Be­zie­hung zwi­schen der glo­ba­len Er­fah­rung ei­nes Künst­lers und dem Werk, das die­se wi­der­spie­gelt, zwi­schen »Wil­helm Mei­ster« und der Rei­fe Goe­thes. Die­se Be­zie­hung ist schlecht, wenn das Werk sich an­maßt, al­le Er­fah­rung in das Kon­fekt­pa­pier er­klä­ren­der Li­te­ra­tur ein­zu­packen. Die­se Be­zie­hung ist gut, wenn das Werk nur ein Aus­schnitt aus der Er­fah­rung ist, nur ei­ne Fa­cet­te des Dia­man­ten, in der sich der gan­ze in­ne­re Glanz un­ein­ge­schränkt sam­melt

  85. Um ei­nen an­de­ren Punkt auf­zu­grei­fen...
    »Un­se­re Kri­ti­ker« kön­nen ja auch an­ders, Ra­disch z.B. schreibt Kri­ti­ken wie die­se, die Gre­gor un­längst auf­ge­drö­selt hat, und dann wie­der­um sol­che, die ei­gent­lich so schlecht gar nicht sind (auch wenn man auf wie­der­keh­ren­de Mu­ster des Schlecht­re­dens stößt). Wenn man, was mir plau­si­bel er­scheint, ein we­nig Selbst­re­fle­xi­on und Be­rufs­ethos vor­aus­setzt, dann müss­te man doch se­hen, was man, ne­ben an­de­rem, auch an »Mist« pro­du­ziert. Wird da be­wusst wie­der bes­se­ren Wis­sens ge­han­delt, ver­tritt man an­der­wär­ti­ge In­ter­es­sen, oder sind die Zwän­ge des Be­triebs tat­säch­lich schon so groß?

    [EDIT: 2010-02-13 19:09]

  86. Ra­disch ist spe­zi­ell
    Sie ist – dar­in üb­ri­gens Reich-Ra­nicki »ver­wandt« – im­mer mei­nungs­stark. Das fin­de ich zeich­net sie aus. Ih­re Lit­tell-Kri­tik fan dich gran­di­os und in gro­ßen Tei­len rich­tig (das fand der »Um­blät­te­rer« üb­ri­gens auch).

    Sie po­la­ri­siert und tritt da­für fu­ri­os ein. Da­vor ha­be ich Re­spekt. Oft liegt sie »schief«, manch­mal ver­rut­schen ihr die Ko­or­di­na­ten (et­wa Her­ta Mül­ler vor­zu­hal­ten, mit »Atem­schau­kel« Li­te­ra­tur »aus zwei­ter Hand« zu schrei­ben). Man konn­te das in Kla­gen­furt se­hen, als sie Ju­ro­rin war. Man kann ihr vie­les nach­sa­gen, aber das ih­re Kri­ti­ken lang­wei­lig sind – das ist sel­ten.

    [EDIT: 2010-02-13 19:48]