Drei lee­re Sprech­bla­sen oder Die Es­senz von Mu­sils Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten

Nicolas Mahler nach Robert Musil: Mann ohne Eigenschaften

Mahler nach Ro­bert Mu­sil: Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten

Kann man den Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten, Ro­bert Mu­sils un­voll­ende­ten Tau­send-Sei­ten-Ro­man, dem un­ge­fähr eben­so vie­le Sei­ten un­ver­öf­fent­lich­ter Ab­schnit­te und di­ver­ser Bruch­stücke zur Sei­te ste­hen, auf ei­ni­ge we­ni­ge Sät­ze re­du­zie­ren? Mit rhe­to­ri­scher Be­sorgt­heit stel­len die Re­zen­sen­ten von Ni­co­las Mahlers Co­mic-Ad­ap­tie­rung des Werks die­se Fra­ge. Sie ist falsch ge­stellt, denn na­tür­lich kann man. Die da­hin­ter ste­hen­de Fra­ge ist, ob man darf. Und weil nun schon seit Jahr­zehn­ten so­wie­so al­les geht, darf man (eben­so na­tür­lich). Bleibt al­so nur die Rhe­to­rik, um die auch wir nicht her­um­kom­men.

Mahlers gra­phic no­vel, sein Co­mic (auch im wört­li­chen Sinn), bringt nur we­ni­ge Sät­ze aus dem Ro­man, die Ge­ste des Au­tors ist da­bei schnip­pisch oder pat­zig, et­wa in die­ser Be­deu­tung: »Da habt ihr halt wie­der so ein Sätz­chen von un­se­rem be­rühm­ten Mann.« Die Es­senz die­ser Sät­ze drückt der Gra­phiker auf Sei­te 61 des Co­mics aus, in­dem er die drei Sprech­bla­sen der drei Fi­gu­ren im Sa­lon Diot­imas, wo die be­rühm­te Par­al­lel­ak­ti­on aus­ge­heckt wird, leer läßt. Al­les nur Bla­bla, es wird nichts ge­sche­hen, so lau­tet of­fen­bar die In­ter­pre­ta­ti­on Ni­co­las Mahlers; die Paral­lelaktion ist ein fake. Fragt sich, ob sei­ne In­ter­pre­ta­ti­on trif­tig ist. Mu­sils Ab­sich­ten ent­spricht sie nicht, der plan­te näm­lich, den Ro­man mit dem Aus­bruch des er­sten Welt­kriegs en­den zu las­sen, was die zeit­li­che Be­we­gung der er­sten bei­den der Bü­cher, in die der Ro­man un­ter­teilt ist, dem Au­tor ja fast auf­zwingt: die Hand­lung voll­zieht sich unmißver­ständlich im Jahr 1913 und bricht dann Mo­na­te vor dem Som­mer des Fol­ge­jah­res ab. Die schein­bar so zö­ger­li­che, der Pro­pa­gan­da nach fried­fer­ti­ge Par­al­lel­ak­ti­on – Franz Jo­seph II. soll als »Frie­dens­kai­ser« ge­fei­ert wer­den – trägt ihr Scherf­lein zur eu­ro­päi­schen Kata­strophe bei. Des­halb nun die Fra­ge: Läßt sich der hier nur kurz an­ge­deu­te­te Ge­halt des Ro­mans durch lee­re Sprech­bla­sen, die wit­zig wir­ken mö­gen in den ho­hen Räu­men des Sa­lons, auf den Punkt brin­gen?

Die In­ter­pre­ta­ti­on Mahlers ist tri­vi­al, und in die­ser Ei­gen­schaft doch wie­der tref­fend. Führt man sich das Co­mic un­ter die­sem Ge­sichts­punkt zu Ge­mü­te, er­scheint es eher als Kri­tik an Mu­sils Haupt­werk, als Her­ab­stu­fung in­ner­halb der Hier­ar­chie, die es ne­ben dem Ulysses und der Re­cher­che du temps per­du, ne­ben Zau­ber­berg und Ber­lin Alex­an­der­platz zu den gro­ßen, em­ble­ma­ti­schen Ro­ma­nen des 20. Jahr­hun­derts zählt. Die hal­be Stun­de, die man laut ei­nem öster­rei­chi­schen Re­zen­sen­ten mit dem Co­mic ver­bringt, er­setzt dann tat­säch­lich die müh­sa­me Lek­tü­re des Wäl­zers, und die ab­ge­klär­te Sicht­wei­se Mahlers kä­me dem na­he, was Mar­cel Reich-Ra­nicki in sei­ner von Ger­ma­ni­sten und Kri­ti­kern mit Em­pö­rung zur Kennt­nis ge­nom­me­nen Ab­rech­nung mit Mu­sil fest­stell­te: Der Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten ist schwer über­schätzt, er ent­hält je­de Men­ge Bla­bla, da­zu Stil­blü­ten, un­pas­sen­de Ver­glei­che, miß­glück­te Bil­der. Aus ei­nem sol­chen Be­fund, der Was­ser auf die Müh­len der Spaß­kul­tur­ge­ne­ra­ti­on schüt­tet, las­sen sich gut und gern coo­le Co­mix de­stil­lie­ren.

Was in Mahlers Zeich­nun­gen voll­kom­men fehlt, ist die hi­sto­ri­sche Di­men­si­on, oh­ne die der Ro­man nicht das wä­re, was er ist. Be­zieht man die Mahler­schen Sicht­wei­se den­noch auf die zeit­ge­schicht­li­chen und ge­sell­schaft­li­chen Fra­gen, die der Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten auf­greift, so kommt man zu dem Schluß, daß die ein­fluß­rei­chen Per­so­nen in Ka­ka­ni­en, das heißt in der letz­ten Pe­ri­ode der k. u. k. Mon­ar­chie, al­le­samt ent­schluß­los wa­ren und den haus­ge­mach­ten Kon­flik­ten, be­son­ders den un­er­träg­lich ge­wor­de­nen na­tio­na­len Span­nungen, ta­ten­los zu­sa­hen. Ei­ne sol­che Po­li­tik ist kei­ne wohl­über­leg­te An­ti­po­li­tik, sie zeugt le­dig­lich von ei­ner Füh­rungs­schwä­che, de­ren Fol­gen eben­so ka­ta­stro­phal sein konn­ten wie ei­ne Po­li­tik des blin­den Drein­schla­gens. Mu­sils Sprach­rohr, die Zen­tral­fi­gur Ul­rich, macht aus die­ser Schwä­che ei­ne hy­po­the­ti­sche Stär­ke – hy­po­the­tisch, weil er, selbst ein Un­ent­schlos­se­ner, ja lie­ber im Mög­lich­keits- als im Wirk­lich­keits­mo­dus denkt und lebt. Mu­sil schenkt dem ver­kom­me­nen, de­ka­den­ten k. u. k. Estab­lish­ment phi­lo­so­phi­sche Wei­hen (et­wa im Sin­ne ei­nes zu­kunfts­wei­sen­den Prag­ma­tis­mus), die es nicht ver­dient. Im üb­ri­gen ist nicht ein­mal Ul­richs Hal­tung zu den Ak­teu­ren bzw. Nicht-Ak­teu­ren der Par­al­lel­ak­ti­on klar. Er ver­harrt in Be­ob­ach­tung, fin­det zu kei­nen Wer­tun­gen, ge­schwei­ge denn zu Hand­lungs­vor­schlä­gen, will das auch gar nicht, in sei­ner Po­si­ti­on in den Wol­ken des Mög­li­chen fühlt er sich re­la­tiv wohl, von dort aus kann er auf die an­de­ren her­ab­blicken wie ein, ja – wie ein un­be­stimm­ter, ei­gen­schafts­lo­ser Gott, den das Schick­sal de­rer da un­ten nicht wirk­lich küm­mert. Mahler hat die Ei­gen­schafts­lo­sig­keit der kon­kre­ten Fi­gur Ul­rich viel­leicht all­zu wört­lich ge­nom­men, er macht ei­ne Null aus ihm, ei­ne Nicht-Fi­gur, von der am ehe­sten mal ein süf­fi­san­ter Kom­men­tar – statt ver­ba­li­sier­ter Lee­re – zu er­war­ten ist. Mu­sils Ro­man lebt aber, wenn er denn lebt und nicht bloß ei­ne schwe­re Tot­ge­burt ist, von den Aben­teu­ern und, mehr noch, den gei­sti­gen Hem­mun­gen des Hel­den, der sehr wohl Ei­gen­schaf­ten be­sitzt, zum Bei­spiel Sports­geist, den Mahler auf ei­nen ab­sur­den Box­ball re­du­ziert. Au­ßer­dem ist die­ser kon­kre­te Ul­rich ein – was bei Mahler eben­falls nicht vor­kommt, aber was kommt in die­ser No­vel­le der Lee­re schon vor – ziem­lich ver­que­rer Schür­zen­jä­ger mit ei­nem ab­stru­sen Lie­bes­ide­al, das er die läng­ste Zeit »ver­ges­sen«, Freud wür­de sa­gen: ver­drängt hat, bis es leib­haf­tig auf­taucht in der Spie­gel­ge­stalt sei­ner Schwe­ster. Auch die kommt, na­tür­lich, bei Mahler nicht vor, die gra­phic no­vel ist um vie­le, in ge­wis­ser Wei­se um al­le Fi­gu­ren be­rei­nigt.

»So ge­lingt Mahler trotz Kür­ze, Re­duk­ti­on und dem Ver­zicht auf Mu­sils sprach­li­che und sti­li­sti­sche Bril­lanz das Kunst­stück, die ver­wickel­te Ge­schich­te um die so­ge­nann­te ‘Paral­lelaktion’ zu er­zäh­len«, be­haup­tet Chri­sti­an Gas­ser, ein aus­ge­wie­se­ner Co­mix-Fan, in sei­ner Be­spre­chung des Werks in der Neu­en Zür­cher Zei­tung und be­eilt sich hin­zu­zu­fü­gen, wor­um es geht: »Mit der Par­al­lel­ak­ti­on will ei­ne Grup­pe hoch­ran­gi­ger Per­sön­lich­kei­ten der k. u. k. Mon­ar­chie das für 1918 an­ge­setz­te 70-Jah­re-Thron­ju­bi­lä­um von Kai­ser Franz Jo­seph wür­di­gen und zu­gleich die Ge­sell­schaft um ei­ne ‘gro­ße Idee’ her­um ei­nen. Die Haupt­fi­gur Ul­rich, ein be­ruf­lich ge­schei­ter­ter In­tel­lek­tu­el­ler oh­ne Idea­le, Il­lu­sio­nen und be­son­de­re Ei­gen­schaf­ten, der ‘Ur­laub vom Le­ben’ ge­nom­men hat, fun­giert da­bei als Be­ra­ter und be­ob­ach­tet das Rin­gen um die ge­heim­nis­vol­le ‘gro­ße Idee’ aus iro­ni­scher Di­stanz.« – Aber halt, nein, dar­um geht es eben nicht im Mahler-Co­mic. Von dem, was man einst »Fa­bel« nann­te, wird dort ab­stra­hiert. Gas­ser, nicht Mahler, gibt uns ein Re­sü­mee des In­halts von Mu­sils Ro­man. Ein et­was flap­si­ges Re­sü­mee, das uns im Grun­de vor die­sel­be Fra­ge stellt wie Mahler und Reich-Ra­nicki: Lohnt es die Mü­he, sich mit die­sem Ty­pen und sei­nem Bla­bla aus­ein­an­der­zu­set­zen? Ge­schei­ter­te In­tel­lek­tu­el­le oh­ne Idea­le, Il­lu­sio­nen und be­son­de­re Ei­gen­schaf­ten, da­von ken­nen wir sel­ber ge­nug, sie re­prä­sen­tie­ren heut­zu­ta­ge, in der Bil­dungs- oder bes­ser Un­bil­dungs­ge­sell­schaft, den Durch­schnitts­typ. Das ein­zi­ge, was ihm und uns bleibt, ist ein biß­chen Spaß. Mahler weist uns auf den bis­lang von den ge­neig­ten Re­zi­pi­en­ten stief­müt­ter­lich be­han­del­ten Mu­sil­schen Hu­mor hin, den er im Groß­ro­man ge­fun­den zu ha­ben scheint. Nach Joy­ce und Kaf­ka ist jetzt auch Mu­sil lu­stig ge­wor­den. Am En­de wird es noch den gu­ten Ernst Jün­ger tref­fen, et­wa nach dem Mot­to: Da­mals in den Stahl­ge­wit­tern, was ha­ben wir ge­sof­fen...

Reich-Ra­nicki gab zu ver­ste­hen, die Mu­sil-Lek­tü­re loh­ne die Mü­he, die sie for­de­re, nicht. Ger­ma­ni­sten, be­son­ders die so­ge­nann­ten Mu­sil­for­scher, hö­ren so­was na­tür­lich nicht gern, sie ban­gen um ih­re Ar­beits­plät­ze. An­ge­sta­chelt durch den Ver­riß des Groß­kri­ti­kers outet sich der Salz­bur­ger Pro­fes­sor Nor­bert Chri­sti­an Wolf mit iro­ni­schem Un­ter­ton als Ma­so­chist, dem die Lek­tü­re tau­sen­der Mu­sil­sei­ten Ver­gnü­gen be­rei­tet. Reich-Ra­nickis durch­aus be­den­kens­wer­tes Fa­zit, der Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten sei zur Gän­ze »Aus­druck der Un­ent­schlos­sen­heit«, wird da­bei leicht­hin von der Hand ge­wie­sen. Liest man die Mu­sil-Bio­gra­phie von Karl Co­ri­no, ih­rer­seits ein­ein­halb Tau­send Sei­ten stark, er­fährt man vie­les über die Blockie­run­gen des Au­tors, der in der Chro­nik sei­nes Le­bens zu­neh­mend als ver­stopf­te Per­sön­lich­keit er­scheint. Ei­nen Bo­gen zu zie­hen von den Schreib­hem­mun­gen, den end­lo­sen Ver­zö­ge­run­gen und Ver­schie­bun­gen in Mu­sils Li­te­ra­tur­la­bor, zu der po­si­tiv aus­ge­leg­ten Le­bens­stra­te­gie ei­nes Pri­vat­ge­lehr­ten, der in sei­nem Wie­ner Schlöß­chen oh­ne Geld­sor­gen vor sich hin exi­stiert, sich hin und wie­der ein Weib ge­neh­migt, an­son­sten aber die Mög­lich­kei­ten sei­ner Zeit son­diert und kri­tisch be­gut­ach­tet – die­sen Bo­gen zu zie­hen, liegt na­he, auch wenn der Au­tor selbst von Geld­sor­gen ge­plagt war und in ge­wöhn­li­chen, im Exil zu­letzt eher kar­gen Wohn­ver­hält­nis­sen le­ben muß­te. Die Fi­gur des Ul­rich hat durch­aus Zü­ge Mu­sil­scher Wunsch­phan­ta­sien, und auch die ge­hemmt-ero­ti­sche Be­zie­hung zu Aga­the, sei­ner Schwe­ster, könn­te man als Eu­phe­mi­sie­rung des rea­len Ehe­le­bens zwi­schen Ro­bert Mu­sil und sei­ner Frau Mar­tha ver­ste­hen. Ei­ne bio­gra­phi­sche Inter­pretation, wie sie un­ter Ger­ma­ni­sten ver­pönt ist, von Co­ri­no aber na­he­ge­legt wird, auch wenn er, wohl aus Pie­tät »sei­nem« Au­tor ge­gen­über, den Zu­sam­men­hang nicht di­rekt for­mu­lie­ren will.

Ni­co­las Mahler wird sol­chen Über­le­gun­gen nicht nach­ge­han­gen sein, und doch ge­hen sei­ne Zeich­nun­gen in die­sel­be Rich­tung, sie zei­gen ei­ne un­be­stimm­te Fi­gur, ei­nen Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten als wei­ßen Fleck, der zu kla­ren Äu­ße­run­gen oder Hand­lun­gen eben­so un­fähig ist wie sei­ne Um­ge­bung und sich dank sei­ner hy­per­tro­phen Re­fle­xi­ons­kraft über die­se er­hebt. »Beim Blei­gie­ßen, wel­ches das Schick­sal mit uns ver­an­stal­tet« (ein Satz der Er­zäh­ler­au­tori­tät im Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten) ent­ste­hen die­se un­för­mi­gen Din­ger, die wir als Men­schen, als »Per­so­nen« iden­ti­fi­zie­ren, ähn­lich den Tier­chen, die wir auf den Blät­tern beim Ror­schach-Test zu er­ken­nen­glau­ben: Fuchs, Ha­se oder Kat­ze, Moos­brug­ger, dem ge­hät­schel­ten Ver­bre­cher des Ro­mans, ist das egal, und auch dem Zeich­ner sind die Per­so­nen­flecken egal, weil sie dem Schick­sal egal sind und weil in die­ser Ega­li­tät und Gleich­gül­tig­keit sich die ka­ka­ni­sche Le­bens­phi­lo­so­phie aus­drückt, die Mahler zu Pa­pier ge­bracht ha­ben mag. Haupt­ort ist, ne­ben der Zel­le des Ver­bre­chers, der für mei­nen Ge­schmack ein biß­chen zu­viel Raum er­hält (schon bei der Lek­tü­re des Ro­mans merkt man, daß Mu­sil nach ein paar Hun­dert Sei­ten nicht mehr recht weiß, was er mit Moos­brugger an­fan­gen soll), und ei­ni­gen be­lang­lo­sen Stra­ßen­sze­nen der Sa­lon Diot­imas, in dem das hy­po­the­ti­sche »gro­ße Er­eig­nis« um­schwän­zelt wird. Ho­he Räu­me, ho­he Fen­ster, gäh­nen­de Lee­re, ko­mi­sche Tier­chen, als Sol­dat, Prie­ster, als »Herr« oder »Da­me« va­ge er­kenn­bar. Geo­me­tri­sche Fi­gu­ren, drei an der Zahl, Py­ra­mi­de, Zy­lin­der und Ku­gel, war­um ei­gent­lich? Viel­leicht we­gen Schloß Schön­brunn mit sei­nem »fran­zö­si­schen« Park, ei­nem von der Sor­te, wie ihn sich die gro­ßen und klei­nen Al­lein­herr­scher Eu­ro­pas bau­en zu las­sen be­lieb­ten? Schön­brunn, Wie­ner Stadt­pa­lais, Ka­ka­ni­en. Zim­mer­fluch­ten, gäh­nen­de Lee­re. Die Frau mit der aus­la­den­den Obst­scha­le als Hut, ei­ne Viel­zahl von zur Py­ra­mi­de ge­türmten Ku­geln an­stel­le des Kop­fes. Nichts, gäh­nen­de Lee­re. Muß man den Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten wirk­lich le­sen?

Noch ein biß­chen Geo­me­trie, Ka­pi­tel 12, ei­ne »per­spek­ti­vi­sche Ver­schie­bung«. Ei­ne Haus­an­ge­stell­te und ein Die­ner (im Ro­man ist es So­li­man, der jun­ge »Mohr«, den sich der ge­fühl­voll-auf­klä­re­ri­sche Ge­schäfts­mann Arn­heim zu sei­nem päd­ado­gi­schen Ver­gnü­gen hält) schau­en durch ein Schlüs­sel­loch, und was se­hen sie? Zwei von die­sen Fi­gür­chen, Ul­rich und Diot­ima, die Frau mit zwei über­kopf­gro­ßen Haar­krei­sen über dem Kopf. Sie re­den, das heißt: sie ma­chen Bla­bla. Et­was spä­ter schaut die Haus­an­ge­stell­te noch ein­mal durch, und nun sieht sie ein an­de­res Fi­gür­chen, ei­nen Ge­fan­ge­nen in sei­ner Zel­le, durch sei­nen Rund­schä­del und die Bart­stop­peln als pri­mi­ti­ver Ver­bre­cher si­gna­li­siert (was dem Moos­brug­ger des Ro­mans nicht recht ent­spricht). Und was sagt uns die per­spek­ti­vi­sche Ver­schie­bung, der un­wahr­schein­li­che Sze­nen­wech­sel? Daß die bei­den Herr­schaf­ten über Moos­brug­ger spre­chen? Daß Moos­brug­ger Ul­rich im Kopf her­um­geht? Daß die Herr­schaften selbst nicht viel an­ders sind als ge­mei­ne Ver­bre­cher? Daß sich das Ge­spinst von Stim­men rund um die Lee­re (= das gro­ße Er­eig­nis) nicht recht be­grei­fen läßt?

Pat­zig, sag­te ich, ist die Art von Mahlers Stel­lung­nah­me. Ich weiß nicht ge­nau, was es be­deu­tet, aber das Ei­gen­schafts­wort scheint mir im­mer noch zu pas­sen. Ei­ne Mi­schung aus Un­mut und Be­lu­sti­gung; Fi­gu­ren als gad­gets, ganz leicht in un­se­re Com­pu­ter­spiel­welt ein­zu­glie­dern. Die lau­fen und lau­fen, re­den und re­den, man denkt an kein En­de, kein Ziel, es gibt nur le­vels, im­mer neue. Hö­he­re? Nein, an­de­re. »Es könn­te eben­so­gut an­ders sein«, so en­det Mahlers Co­mic, mit die­sem Satz und die­sem Bild: ei­nem Mann oh­ne Eigen­schaften, der un­ter ei­nem ver­git­ter­ten Zel­len­fen­ster vor­bei­geht. Es reg­net nicht, könn­te aber reg­nen. Wahr­schein­lich wird es heu­te noch reg­nen. Oder auch nicht, zur Si­cher­heit hat das Männ­chen ei­nen Re­gen­schirm mit­ge­nom­men. Al­les könn­te an­ders sein. Aber wie? Du kannst es dir aus­ma­len, so oder so. An die Ar­beit, Mu­sil, kei­ne Hem­mun­gen! Tun wir ir­gend­was, be­frei­en wir Moos­brug­ger!

(Ehr­lich ge­sagt, ich ha­be die Moos­brug­ger-Ob­ses­si­on Ul­richs im­mer für ei­ne Ma­rot­te Mu­sils ge­hal­ten. Ein Mo­de­the­ma, die deut­schen Au­toren der Jahr­hun­dert­wen­de hat­ten zu­viel Do­sto­jew­ski ge­le­sen. Ma­rot­te und Mas­kott­chen. Er­geb­nis des Blei­gie­ßens ei­ner ge­hemm­ten Phan­ta­sie.)

© Leo­pold Fe­der­mair


Bi­blio­gra­phie

Ro­bert Mu­sil: Der Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten ge­zeich­net von Mahler. Ber­lin, Suhr­kamp Ver­lag 2013

Nor­bert Chri­sti­an Wolf: Ka­ka­ni­en als Ge­sell­schafts­kon­struk­ti­on. Ro­bert Mu­sils So­zio­ana­ly­se des 20. Jahr­hun­derts. Wien, Köln und Wei­mar, Böhlau Ver­lag 2011

Mar­cel Reich-Ra­nicki: Der Zu­sam­men­bruch ei­nes gro­ßen Er­zäh­lers, in: R.-R.: Sie­ben Weg­be­rei­ter. Schrift­stel­ler des 20. Jahr­hun­derts. Stutt­gart und Mün­chen, DVA 2002

Karl Co­ri­no: Ro­bert Mu­sil. Ei­ne Bio­gra­phie. Rein­bek, Ro­wohlt 2003

12 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Nun ja. Dass an­geb­lich nach Kaf­ka und Joy­ce »jetzt auch« bei Mu­sil Hu­mor ent­deckt wer­de, scheint mir ein da­ne­ben­ge­gan­ge­ner Ver­such der Zeit­geist­schel­te. Zum ei­nen ist der »MoE«-Humor kei­ne Ein­bil­dung; der gan­ze er­ste Band ist rand­voll mit Sa­ti­re. Zum an­de­ren ist er auch nichts mo­di­sches Neu­es. Den Hu­mor, die Iro­nie, die Ka­ri­ka­tu­ren und die Sa­ti­re ha­ben schon Mu­sil selbst, die zeit­ge­nös­si­chen Re­zen­sen­ten und von An­fang an auch die »Mu­sil­for­scher« be­tont.

    — Mir er­schließt sich auch sonst nicht ganz, war­um Mahlers Co­mic hier für Kul­tur­pes­si­mis­mus her­hal­ten muss. Mei­ne­ser­ach­tens kommt kein halb­wegs ver­nünf­ti­ger Le­ser auf die Idee, Mahler wol­le ernst­haft den Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten mit sei­nen paar Co­mic­sei­ten »auf den Punkt brin­gen«. Der Co­mic »re­du­ziert« nicht den Ro­man, son­dern er va­ri­iert ein­zel­ne Ro­man­mo­ti­ve und macht schon durch Um­fang und Ge­stal­tung so­fort klar, dass es sich um ein for­ma­les Spiel han­delt, dass man über­haupt nur nach­voll­zie­hen kann, wenn man den Ro­man kennt. Was das mit Tri­via­li­sie­rung (»Spaß­kul­tur­ge­ne­ra­ti­on«, »Com­pu­ter­spiel­welt«) zu tun ha­ben soll, ist mir schlei­er­haft.

  2. Ich ken­ne we­der den MoE noch den Co­mic. Wenn man den Co­mic nur »nach­voll­zie­hen« kann (was im­mer das be­deu­tet), wenn man den Ro­man kennt, ist ei­ne in­ter­es­san­te The­se, die aber den Le­ser­kreis für den Co­mic so­fort sehr ein­schränkt. Un­ter­schwel­lig sug­ge­riert das Gen­re ja (wie üb­ri­gens auch im­mer ei­ne Ver­fil­mung ei­nes Ro­mans da­mit spielt), dass man den Ro­man viel­leicht erst ein­mal nicht ken­nen muss. An­son­sten wä­re der Co­mic im Nach­teil.

  3. Mahler will den Ro­man (viel­leicht) nicht auf den Punkt brin­gen, aber er tut es.

  4. Herr Keu­sch­nig, es ist tat­säch­lich so, wie Sie sa­gen: Der Co­mic rich­tet sich an ei­nen sehr ein­ge­schränk­ten Le­ser­kreis. Wer aus dem Me­di­um ‘Co­mic’ gleich Po­pu­la­ri­sie­rung her­lei­tet, liegt in die­sem Fall falsch.

    Neh­men wir Ihr Bei­spiel Ro­man­ver­fil­mung. Gän­gi­ges Re­zept: Den Plot auf ei­ne Lie­bes­ge­schich­te zu­sam­men­schnei­den, ein paar hüb­sche Schau­spie­ler in teu­re Ko­stü­me stecken, reich­lich Mu­sik­so­ße drü­ber. Mahler macht ge­ra­de das Ge­gen­teil. Von ihm be­kommt man ein paar ab­strak­te, lee­re, schwarz­wei­ße Bil­der mit kaum Text vor­ge­setzt, de­nen man ei­gent­lich über­haupt erst Sinn oder ei­ne Be­zie­hung un­ter­ein­an­der zu­schrei­ben kann, wenn man sich an Rom­an­stel­len oder ‑mo­ti­ve er­in­nert, auf de­nen sie be­ru­hen. Und das soll jetzt für die »Spaß­kul­tur­ge­ne­ra­ti­on« sein?

    Reich-Ra­nicki hat da­mals ja ei­ne »Le­se­aus­ga­be« ge­for­dert, die aus den »schön­sten« und »wich­tig­sten« Stel­len ei­nen bes­se­ren Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten hät­te kom­pi­lie­ren sol­len. Wenn Mahler das jetzt ver­sucht hät­te, könn­te man mei­net­we­gen die gro­ßen Kul­tur­pes­si­mis­mus­ge­schüt­ze auf­fah­ren.

  5. @Wabbeldickwurst [die Pseud­ony­me wa­ren frü­her auch ir­gend­wie kunst­vol­ler]

    Dann brau­che ich al­so den Co­mic gar nicht le­sen, wenn ich den Ro­man ken­ne?

    Ich hat­te von Fe­der­mairs Text nicht un­be­dingt den Ein­druck, dass das gro­ße Kul­tur­kri­tik-Ge­schütz auf­ge­fah­ren wird. Wenn »Fi­gu­ren als gad­gets« bei Mahler er­schei­nen, ist das viel­leicht nichts an­de­res als die Ko­stü­mie­rung in Fil­men. (Sor­ry für mein In­si­stie­ren auf den Film-Ver­gleich, der wo­mög­lich un­zu­rei­chend sein muss, zu­mal ich ja, wie ge­sagt, we­der Co­mic – »Gra­phic No­vel«? – noch Ro­man ge­le­sen ha­be. Wür­de ich wäh­len müs­sen, ent­schie­de ich mich im­mer für das »Ori­gi­nal«.)

  6. An­ders­rum: Wenn Sie den Ro­man nicht ken­nen, brau­chen Sie auch den Co­mic nicht le­sen.

  7. Wie auch im­mer, es be­steht ein Zu­sam­men­hang zwi­schen Ro­man und gra­phi­scher Ad­ap­tie­rung. Oh­ne Mu­sils Ro­man kein Malhler-Co­mic. Ob be­ab­sich­tigt oder nicht, der Co­mic macht ei­ne Aus­sa­ge über den Ro­man, und zwar mit ähn­li­cher Ten­denz wie das, was Reich-Ra­nicki über den »Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten« und Mu­sil als hoch­ta­len­tier­ten, aber ge­schei­ter­ten Au­tor schrieb. Reich-Ra­nicki wur­de von Kri­ti­kern und Ger­ma­ni­sten für sei­ne Schel­te zer­ris­sen. Ich tei­le sei­ne grund­sätz­li­che Hal­tung ge­gen­über Li­te­ra­tur nicht, aber mei­nes Er­ach­tens sind ei­ni­ge sei­ner Ar­gu­men­te trif­tig. Mahlers Co­mic äu­ßert auf coo­le und sehr knap­pe, sti­li­stisch an­ti­the­ti­sche Wei­se, daß da ei­ne gan­ze Ge­sell­schaft (»Ka­ka­ni­en«) und ih­re Prot­ago­ni­sten (Mu­sils Al­ter Ego Ul­rich) viel Bla­bla um nichts ma­chen, daß sie ir­gend­et­was Gro­ßes an­vi­sie­ren, von dem sie kei­ne rech­te Ah­nung hat­ten, was es sein soll­te. Nüch­tern be­trach­tet ist das ein we­nig ent­täu­schend für ei­nen tau­send- oder zwei­tau­send­sei­ti­gen Ro­man.

    Mu­sil no­tier­te ir­gend­wann in den drei­ßi­ger Jah­ren, als der Ro­man für ihn per­sön­lich längst zur Zwangs­an­stalt ge­wor­den war, der er nicht mehr ent­kom­men wür­de, er sei eben ein Sa­ti­ri­ker. Er schrieb das mit ei­nem bit­te­ren, re­si­gna­ti­ven Un­ter­ton. Sa­ti­re, ja – Hu­mor, we­nig. Mu­sil ging sein Un­ter­neh­men mit mo­nu­men­ta­lem Ernst an und ver­folg­te es wie ein Ber­ser­ker. Das führ­te, so emp­fand ich vie­le Stel­len bei der zwei­ten ge­nau­en Lek­tü­re (zwan­zig Jah­re nach der er­sten), zu Ver­kramp­fun­gen und auch im­mer wie­der zu Ver­glei­chen und Bil­dern und zu geist­rei­chen Sen­ten­zen, die zu­min­dest hin­ter­fra­gens­wert sind. Ger­ma­ni­sten nei­gen in die­sen Fäl­len da­zu, Mu­sil ei­ne »küh­ne Bild­lich­keit« u. dgl. zu at­te­stie­ren.

    Kul­tur­kri­tik woll­te ich in mei­nem Bei­trag nicht groß trei­ben, aber es liegt im­mer wie­der na­he, die Din­ge in ih­rem Kon­text zu se­hen. Mi­ni­ma­lis­mus (Mahler) ver­sus Mo­nu­men­ta­lis­mus (Mu­sil), Locker­heit ver­sus Hoch­span­nung in Per­ma­nenz, Di­let­tan­tis­mus ver­sus Kön­ner­schaft – da pral­len eben auch zwei grund­ver­schie­de­ne Epo­chen und Sti­le auf­ein­an­der. Der Bei­trag von W. hilft, die­se Din­ge in schär­fe­rem Licht zu se­hen und Mahlers Co­mic mehr ab­zu­ge­win­nen, jen­seits der Sprech­bla­sen so­zu­sa­gen.

  8. An die­ser Stel­le bin ich auch hän­gen ge­blie­ben:

    Mahler weist uns auf den bis­lang von den ge­neig­ten Re­zi­pi­en­ten stief­müt­ter­lich be­han­del­ten Mu­sil­schen Hu­mor hin, den er im Groß­ro­man ge­fun­den zu ha­ben scheint. Nach Joy­ce und Kaf­ka ist jetzt auch Mu­sil lu­stig ge­wor­den. Am En­de wird es noch den gu­ten Ernst Jün­ger tref­fen, et­wa nach dem Mot­to: Da­mals in den Stahl­ge­wit­tern, was ha­ben wir ge­sof­fen…

    Ge­ra­de in Kaf­kas Er­zäh­lun­gen steckt (bis­wei­len) ein fei­ner, hin­ter­grün­di­ger Hu­mor, den man doch nicht mit Spaß gleich­set­zen kann (nicht we­gen Kaf­ka, son­dern weil Hu­mor et­was an­de­res als Spaß ist). Da möch­te ich Wab­bel­dick­wurst bei­pflich­ten, die­ser Sei­ten­hieb ist viel­leicht zu sehr ge­wollt...

    Ich ha­be ei­nen Freund der Co­mics sam­melt und sich für Li­te­ra­tur in­ter­es­siert, wit­zi­ger (oder kon­se­quen­ter?) Wei­se mit der »gra­phic no­vel« aber nichts an­fan­gen kann. Nun bin ich al­les an­de­re als ein Co­mic-Ken­ner, mei­ne aber, an ei­nem Co­mic­ge­schäft, dass sich gleich um die Ecke be­fin­det, zu be­ob­ach­ten, dass li­te­ra­ri­sche Vor­la­gen für »gra­phic no­vels« (schein­bar) in Mo­de sind. Ist das Gen­re-ty­pisch? Oder doch nur Mo­de? Ab­satz­för­dernd? Ei­ne Her­aus­for­de­rung? Oder für den Zeich­ner prak­ti­ka­bel, weil schon ei­ne Hand­lungs­vor­la­ge exi­stiert?

    Wenn man »die« Hand­lung oder »den« Kern­ge­dan­ken ei­nes Ro­mans zu­sam­men­fasst, streicht man, so­zu­sa­gen, al­les Äs­the­tisch, sei­ne Welt, das Bei­spiel­haf­te, Am­bi­va­len­te, usf., nur das All­ge­mei­ne bleibt be­stehen, ei­ne not­wen­di­ge Ver­kür­zung, wenn man be­stimm­te Aspek­te her­aus­grei­fen und dis­ku­tie­ren will, ähn­lich, wie man aus ei­nem phi­lo­so­phi­schen Werk die Kern­ge­dan­ken her­aus­strei­chen kann, die Ar­gu­men­te, Über­le­gun­gen und Prä­mis­sen, das Sel­ber­le­sen und ‑den­ken bleibt al­ler­dings auf der Strecke...

  9. Es gibt durch­aus Gra­phic No­vels die ver­su­chen, dem In­halt und der Struk­tur ih­rer Vor­la­ge so­zu­sa­gen ge­recht zu wer­den. Zum Bei­spiel Isa­bel Kreitz mit ih­ren Co­mic-Ad­ap­tie­run­gen von Ro­ma­nen Erich Käst­ners oder auch Uwe Timms. Zu­gang und Stil sind bei Kreitz dem Ver­fah­ren Mahlers dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setzt, sie ver­sucht, Hi­sto­ri­sches auch bild­lich wie­der­zu­ge­ben und macht den Ab­stand be­wußt, der den heu­ti­gen Le­ser von die­sen Ge­schich­ten trennt. Es ist wohl ein eher rea­li­sti­scher Stil, wäh­rend Mahler ab­stra­hie­rend vor­geht und die Chro­no­lo­gien der Ge­schich­ten von vorn­her­ein au­ßer Acht läßt und die nar­ra­ti­ven Ele­men­te (so­weit wel­che blei­ben) ganz an­ders kom­bi­niert. Na­tür­lich ist es bei ei­nem Rie­sen­werk wie dem »Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten« fast aus­ge­schlos­sen, al­les noch ein­mal der Rei­he nach in Bild­fol­gen zu er­zäh­len – ganz ab­ge­se­hen von der Fra­ge, ob ein Ro­man nicht viel mehr ist als sei­ne er­zähl­ten Hand­lungs­in­hal­te, die im Prin­zip na­tür­lich zu be­ja­hen ist. Poin­tiert for­mu­liert könn­te man sa­gen, Mahler ha­be ei­nen vi­su­el­len An­ti-Mu­sil ge­schaf­fen. Was sich al­lein schon in der osten­ta­ti­ven Karg­heit sei­nes Werks aus­drückt.

  10. Ein Nach­trag. Der »Mann oh­ne Ei­gen­schaf­ten« hat sa­ti­ri­sche Ten­denz, aber kaum Hu­mor. Sein Au­tor hat­te ein tief­ern­stes Sen­dungs­be­wußt­sein, dem die zeit­ge­nös­si­schen Um­stän­de nicht recht Fol­ge lei­sten woll­ten. In sei­ner 1927 ge­hal­te­nen Re­de zur Ril­ke-Fei­er in Ber­lin äu­ßer­te Mu­sil sei­ne Über­zeu­gung, »die in­ne­re Rein­heit, die in­ne­re Klar­heit und Wür­de, der un­be­stech­li­che Ernst« bil­de­ten »das höch­ste Gut« ei­ner Li­te­ra­tur.
    Über die­se Ernst­haf­tig­keit kann man sich (mit ei­ni­gen Grün­den) lu­stig ma­chen. Ein Hu­mo­rist oder gar Witz­bold war der Au­tor nicht.

  11. Ernst­haf­tig­keit ist in Zei­ten der gras­sie­ren­den Dau­er­i­ro­nie wirk­lich nicht mehr an­ge­sagt. Lei­der macht sich kaum je­mand mal über die Lu­stig­ma­cher lu­stig.