Nach dieser und jener hier gibt eine weitere »Düsseldorfer Erklärung«. Kleinverlage beklagen darin den Niedergang der Buch- bzw. Lesekultur. Der Feind ist natürlich ausgemacht: Die Digitalisierung. Und die Monopolisierung, d. h. die bösen Großverlage, die Konzerne geworden sind. Die Abhilfe des drohenden literarischen Super-GAUs, der Verdummung der »jungen Generation«, ist die Implementierung eines Preises für die kleinen Verlage.
So genau definiert man zwar nicht, was ein »Kleinverlag« ist. Daher machen auch viele dabei mit, die eigentlich ganz gut in den Sortimenten und im Feuilleton vertreten sind. Die Preise eingeheimst haben mit ihren Büchern (zu Recht). Und die bekannt sind.
Welche Verlage in Detail mitgemacht haben, konnte ich nicht finden. Es sollen 60 sein, aber nach einer Liste forschte ich vergebens. Dass jemand vom Mairisch-Verlag bei der »Sichtbarkeitskampagne« im März dabei ist, ist natürlich selbstverständlich. Dessen aktuellste Neuerscheinung bearbeitet die Philosophie des Kochens. Intellektuelle wie Eckart Witzigmann steuern lobende Worte bei. Und mit Michael Naumann konnte man einen Fürsprecher gewinnen, der sich zeit seines Lebens immer für kleine und kleinste Verlage (Rowohlt beispielsweise) eingesetzt hat. Der weiß genau, wo der Schuh drückt.
Naturgemäß führt ein solcher Preis dazu, dass viel mehr Leute lesen werden. Sie haben nämlich dadurch viel mehr Zeit und Interesse. Und endlich lernen dann Buchhändler die Liste der lieferbaren Bücher zu lesen. Wenn erst einmal 30 oder 40 Jahre vergangen sind und etliche Verlage den Preis erhalten haben, dann geht’s richtig weiter. Die Literatur kann aufatmen. Die Rettung naht.
Aber es gibt noch Steigerungspotential. Wie wäre es mit einem Aufruf, den Leser, die Leserin mit einem adäquaten Preis staatlich zu unterstützen? Die Kriterien für die Preisvergabe sind leicht zu eruieren: Der preiswürdige Leser, die preiswürdige Leserin, muss mindestens 50 Bücher im Jahr lesen (3 davon Lyrik und mindestens 20% von sogenannten unabhängigen Verlagen). Er/Sie versteht sein Tun als künstlerische Leistung. Ein Dienst an der Literatur. LeserInnen bewahren das kulturelle Gedächtnis (man denke an »Fahrenheit 451«). Sie initiieren in Blogs intellektuelle Debatten (verlinkt werden sie natürlich weiterhin nicht; auch der Perlentaucher fischt immer mehr im Trüben). Sie sind entdeckungsfreudig und lesen durchaus auch schon mal Bücher, von denen nur 300 Stück verkauft werden.
Diese Leistung muss endlich honoriert werden. Der Leserpreis muss her. Geld, Geld, Geld. Schade, nur dass ich auch in Düsseldorf wohne. Vielleicht nenne ich es einfach »Düsseldorfer Verklärung«.
Lesen soll sich wieder lohnen? Nein, danke. Dann lieber mit Nietzsche das Fallende noch stoßen.
Hier ist die Liste der teilnehmenden Verlage (ab Seite 5):
http://www.kunststiftung-nrw.de/__wp_admin/wp-content/uploads/2018/02/180207_02_pressemappe_verlegertagung.pdf
Wieder einmal gilt es festzustellen: Ich kann keine Ironie. – Natürlich sollte das eine ironische oder von mir aus sarkastische Zuspitzung sein. Naja.
Danke für die Liste. Es zeigt sich, dass es weniger als 60 Verlage sind, weil es doppelte Unterschriften gibt.
Nein nein, die Ironie war natürlich schon verstanden. Aber soll man mit so einer schwachen Sache, die von sich aus nicht lebensfähig ist, noch sympathisieren? Und wieso soll heute jeder Minderheitensache Bestandschutz gewährt sein? Dann doch lieber das ‘vorausetzungslose Grundeinkommen’ – auch für Schreiberlinge.
(Bei ‘Tympan’, der kleinen Uni-Literaturzeitung in unserem Dü-dörfchen, gab’s mal eine Glosse unter dem Namen »M.R.R.« eine Forderung nach Literaturpreise für jeden – sobald er den Griffel halten kann. Das wurde damals noch verstanden.)
Man könnte sicherlich für kleine Verlage Besseres tun als einen Preis ausloben. Vielleicht etwas mit der Gemeinnützigkeit. Dann kämen Buchpreisgewinner natürlich nicht mehr im Vorteil. Aber wäre das so schlimm? Im übrigen ist es ja ein Märchen, dass die Literatur nicht gefördert wird. Natürlich nicht so wie das Theater oder der Film.
Was ich kontraproduktiv an der Erklärung finde ist die Selbstinthronisierung als Kulturträger bei gleichzeitigem Alarmismus. Als gäbe es kein E‑Book, keine Blogs, die sich mit Literatur beschäftigen oder Literatur sind. Und alles muss eine Ausbeute bringen, kommerziell »gewürdigt« bzw. honoriert werden. Das erinnert man an die Idee, Hausarbeit zu bezahlen (uraltes Projekt der Linken, welches jetzt in das bedingungslose Grundeinkommen überführt wird – was natürlich ein Etikettenschwindel ist, weil verschwiegen wird, wo das Geld herkommen soll).
Kultur? Warum immer ich?
Über diese Stiftungs- und Behördenkultur bzw. die Einfallslosigkeit ihrer »Instrumente« brauchen wir nicht reden, die arbeiten ja zuerst immer auch für sich.
Mich stört, wie immer mehr Außenmodelle auf so ein fragiles Pflänzchen wie Literatur übertragen werden. Elitenförderung (Oper) bei gesellschaftlicher Irrelevanz, Minderheitenbestandschutz wie bei Tierarten und seltenen Gräsern, deren natürliche Habitate volkswirtschaftlich umfunktioniert wurden: Die Perversion der Verhältnisse färbt unvermeidlich auf ihre Gegenstände ab während das Plastik längst als Nanopartikel wieder auf den Teller kommt. Ist nach Verursacherprinzip ja auch gerecht. Aber ist es gut für’s Überleben?
Siehe aber auch das zunehmende Unbehagen beim ÖRR oder die Forderungen der lobby-mäßig potenteren Zeitungswirtschaft – die Legitimationen werden von außen geholt, von sonst woher abgeleitet. Dazu der minderjährige Explorer-Flüchtling der Unsummen an Förderungen kostet, während die Obdachlosigkeit zunimmt, 70jährige zwei Jobs machen und die Flaschensammler Revierkämpfe austragen – die (gesellschaftlichen) Proportionen stimmen längst nicht mehr. Und die ökonomische Seite von alledem wird angesichts der Überschüsse-Verblendungen – und weil anscheinend überhaupt die meisten öffentlichen Zahlen immer öfter außer Relation sind – immer öfter ignoriert: Der Trillionen-Trump, ein Quäntchen Irrwitz ist da auch in uns.
Und ist es also gut, wenn die wirtschaftliche Existenzbehauptung aufgehoben wird zugunsten einer launischen Evaluierung als Kunst? Sicher, kein Markt ist je gerecht, und obwohl mir solche darwinistischen Haltungen sonst suspekt sind, frage ich mich doch immer öfter, ob sämtliche einmal heraus gemendelten Funktionssysteme, die von sich aus nicht überleben können, dauerhaft hilfsbedürftig gehalten werden sollen.
Oder eben andersrum: Wenn wir alle längst (Lebens-)Künstler geworden sind, und die Algorithmen es demnächst eh besser können – siehe aktuell Setz – garantiert uns das Grundeinkommen wenigstens Spielplatz-Narrenfreiheit. Aber wenn deren Werke dann was gelten sollen, braucht es ebenfalls neue Wertungen.
Staatliche Unterstützung von was auch immer wird stets mit der Frage der Legitimation konfrontiert werden. Das gilt für Theater- und Filmförderung wie auch für all die anderen Kultursubventionen. Ich frage mich beispielsweise nicht nur ob die Subventionierung der diversen Stadttheater mit ihren Inszenierungsexzessen, die weit an jegliches Publikum vorbeigehen sondern auch solche Großprojekte wie Elbphilharmonie ihre Existenzberechtigung haben. Parallel dazu werden Stadtteilbibliotheken geschlossen und es fehlt an Geld um Neuerscheinungen aufnehmen zu können.
Besonders deutlich wird dies am ÖRR buchstabiert: Wo es keine Möglichkeit gibt, sich mehr zu entziehen (wo bleibt das Recht auf Desinformation?), ist es nicht unbedingt unsinnig, wenn die großen Verlage ebenfalls nach einer »Zwangsabgabe« rufen. Sie wissen natürlich, dass es dazu niemals kommen wird, aber das Gerede wird zwangsläufig zur Delegitimation des ÖRR führen. Das ist nur eine Frage der Zeit.
Dieses ÖRR-System zeigt auch wie unter einem Mikroskop, wie schlecht eine staatliche Förderung funktioniert, die sichere Einnahmen garantiert. Wenn Intendanten mehr Geld verdienen wie die Bundeskanzlerin so ist das mindestens fragwürdig.
Natürlich stimmen die Proportionen in der Gesellschaft nicht mehr. Sie haben – soweit meine Behauptung – noch nie gestimmt. Aber die Diskrepanzen werden jetzt deutlicher. Wieder fällt mir da die Elbphilharmonie ein, die einst ein Landesherr zu seinem Nachruhm hin erbauen ließ. Der Mensch ist inzwischen längst in Pension und genießt diese (natürlich von Steuergeldern aufgebracht). Für die explodierenden Kosten wurde er nie zur Rechenschaft gezogen. Firmenmanager, die ihre Unternehmen in den Bankrott führen, will man jetzt haftbar machen. Gut so. Aber Politiker dürften weitermachen.
Dies vor Augen habend könnte man dann schon wieder »pro« dieser Erklärung sein. Was machen da 20.000 Euro aus? Nichts. Aber ich erinnere mich an eine öffentliche Diskussion vor einigen Jahren, in der ein Freund von mir etwas provokativ fragte wo es eigentlich verbrieft sei, dass jeder Schriftsteller von seinen Büchern leben können muss (sinngemäss wiedergegeben). Die Entrüstung im Netz war groß: Wie selbstverständlich geht man davon aus, dass dies zu sein hat. Zumal wenn man noch das Schreiben »studiert« hat.
@Gregor Keuschnig,
danke für den Artikel.
Sie schreiben: „Aber ich erinnere mich an eine öffentliche Diskussion vor einigen Jahren, in der ein Freund von mir etwas provokativ fragte wo es eigentlich verbrieft sei, dass jeder Schriftsteller von seinen Büchern leben können muss (sinngemäss wiedergegeben). Die Entrüstung im Netz war groß… “ – Das ist wohl ein sehr wichtiger Punkt. Die Kunst ist zum Glück frei in allen ihren Formen. Das bietet aber einen sehr weiten Spielraum für alimentierte Selbstermächtigung und Förderungsanspruch. Sehr viel unserer klassisch modernen Literatur ist so nicht entstanden. Kafka war Versicherungskaufmann, Benn betrieb hier um die Ecke im Bayrischen Viertel in Berlin eine Hautarztpraxis. Ich will auch das nicht normativ machen, aber daran zu erinnern ist manchmal vielleicht passend.
Was mich mehr stört als der Gedanke der Subvention ist diese schwammige Selbstermächtigungsnarrativ. Was sagt schon „klein“? Künstlerisch wertvoll? Mangelnder Unternehmensgeist? Am Bedarf vorbei? An welchem Bedarf? Kulturell wertvoll hieße: normativer Bedarf. Auch diesen will ich nicht grundsätzlich leugnen, aber in der Selbstdefinition der Verlage allein kann dieser unmöglich liegen. Und in ihrer Größe schon mal gar nicht. Das handelt man sich mit dieser Forderung aber automatisch ein: eine Fremdbeurteilung nach zu bestimmenden, noch festzulegenden Kriterien. Warum Verlage unterstützen und nicht Projekte? Editionen? Übersetzungen? Was es im Übrigen längst gibt. Einen „Deutschen Klassikerverlag“ oder einen „Verlag der Religionen“ bei Suhrkamp gäbe es ohne Sponsoren und staatliche Unterstützung wohl nicht.
Der Staat braucht aber Kriterien, die er bürokratisch operationalisieren kann und die zumindest so viel Legitimität haben, dass gegen sie nicht protestiert wird. Insofern gibt es Kulturbereiche, die an staatlicher Förderung hängen: etwa das wie ich finde grandiose System der Stadttheater, das ja auch gerade geschleift wird. Oper, Ballett und Tanz, Schauspiel werden sich in einer solchen Breite und Qualität nicht privat finanzieren. Und dass die Theater leer sind, stimmt nicht. Das ist eine Mär. In Berlin sind übrigens drei! Opern ziemlich gut besucht. Berücksichtigen sollte man also, dass wer private Finanzierung fordert, sie abschafft. Man kann das natürlich fordern, man sollte es nur bedenken.
Ich habe auch nichts gegen die Elbphilharmonie, sehr wohl aber gegen das seit langem eingerissene Kuddelmuddel aus privaten und öffentlichen Interessen, gegen einen Private-Publik-Selbstbedienungsladen und gegen die von Beginn an unrealistische Planung, die offensichtlich für nötig gehalten wird, um die Projekte zu realisieren. Aber das Projekt selbst würde ich mit diesen politischen und privatinteressierten Verzerrungen und Verirrungen ungern gleichsetzen.
Noch einmal zum ÖRR: auch hier sind ein Schwerpunkt des Problems die Pensionen, das ist keine Frage. Aber auch hier will mir nicht einleuchten, warum man die Finanzierung und ihre teils zur Selbstbedienung einladende Struktur mit dem System selbst in eins setzt. Wer das tut, singt eigentlich schon Döpfners Lied.
Ich würde übrigens streng unterschieden zwischen Kulturformen, die einen großen Mitteleinsatz benötigen wie Theater und noch mehr Film, und Tätigkeiten, die diesen Kapitaleinsatz gar nicht brauchen wie Literatur und Malerei. Dass der Film bei uns keine industrielle Dimension mehr hat, hat auch historische Gründe. Aber ebenso sehr gegenwärtige: es gibt einfach in diesem Bereich kaum innovatives Unternehmertum und nur wenig Menschen, die ihr Geld dort investieren wollen.
Als ich letztens hörte – ich glaube, es betraf Berlin – , dass Grossisten nur noch jeden zweiten Tag an die Buchhändler liefern wollen, dachte ich sofort: das sind die nächsten, die Kultur! Kultur! rufen werden. Und bei aller berechtigten Kritik an Amazon im Detail, kann ich mir kaum vorstellen, dass Jeff Bezos sich einen solchen Fehler erlauben würde.
Zudem sollte man nie vergessen, dass Kulturetats in öffentlichen Haushalten quantitativ so gut wie keine Rolle spielen. Das ist in vielen Fällen gemessen an anderen Ausgaben Pillepalle.
Noch als kleine freundliche, im Kern aber dankbare Spitze: das Recht auf Desinformation ist übrigens schon privatisiert, vor allem via Ausknopf, Wahl bestimmter Senderangebote und Einmauern in der persönlichen Nische via Internet und Freundeskreis. Das müssen wir nicht mit der Abschaffung des ÖRR wieder verstaatlichen.
@ Jumid
Danke für Ihren Kommentar.
Es ist immer noch ein Topos, dass »klein« und/oder »niedrige Auflage« zuweilen als Qualitätskriterium gilt. Da ist die Abgrenzung zum »Bestseller« gemeint, der nur noch naserümpfend betrachtet wird. Das ist ja oft genug richtig, aber eben nicht automatisch so. Ein gut verkauftes Buch kann auch künstlerisch wertvoll sein. Und der 200-Stück-Verkauf des Lyrikbändchens ist nicht Kriterium für dessen singuläre Qualität. Da aber in der Kunst schwerlich Kriterien für Qualität zu entwickeln sind bzw. kaum ein einheitlicher Konsens darüber besteht (bestehen kann), ist man im postpostmodernen Kunstdiskurs dazu übergegangen alles als Kunst zu bezeichnen, was von den jeweiligen Erschaffern als solche benannt wird. Das gilt eben auch für die Literatur. Ich will nicht wieder das Fass über den Kunstbegriff aufmachen, aber es ist einfach nicht eindeutig zu erklären, warum das Buch X große Literatur ist, das Buch Y hingegen eher nicht. Die Grenzen sind ja auch fließend. (Für mich habe in Bezug auf die Literatur diese Frage zwar beantwortet, aber sie nicht allgemein konsensfähig.)
Die ÖRR müssen sich sehr wohl kritisieren lassen. Weniger wegen der Gehälter ihrer Festangestellten, sondern eher aufgrund der Angepasstheit an einen Massengeschmack, der experimentelle und/oder aufklärerische Inhalte derart schlecht in Programmen unterbringt, dass sie quasi automatisch zu Minderheitenprogrammen werden. Unlängst gab es beispielsweise einen sehr interessanten und ausgewogenen Bericht über Nordkorea, der unterschiedliche Meinungen über die Fortschritte der Rüstung des Regimes auffächerte. Er kam gegen 22.45 Uhr – wenn die arbeitende Bevölkerung sich auf die Nacht vorbereitet.
Auch hier gilt natürlich. dass das Theaterstück mit Programmanteil von 0,5% nicht deshalb automatisch wertvoller und wichtiger ist als die Unterhaltungsshow mit 20%. Aber beides muss möglich sein – und zwar zu vernünftigen Zugangszeiten.
Zum Recht auf Desinformation würde gehören, sich von den Zahlungen der ÖRR befreien lassen zu können bzw. diese zu reduzieren. Dass man Livestreams und sonstiges im Internet sendet, ist ja kein Naturgesetz. Meine Schwiegermutter hat dieses Angebot nie genutzt – es interessierte sie nicht. Es wäre ein Leichtes, die Netzzugänge der ÖRR an die Zahlungen der Gebühren zu koppeln und die anderen Leute damit in Ruhe zu lassen. Natürlich »zahlt« der Steuerzahler auch bei Theaterkarten, Museumsbauten und sonstigen Kultureinrichtungen ungewollt mit. Steuern können nun einmal nicht zweckgerichtet eingesetzt werden. Abgaben allerdings schon. Es ist mir ein Rätsel, wie das BVerfG das jedesmal ablehnen konnte.