Zugegeben, dieser Satz ist arg provokativ:
Der Literaturbetrieb hat das literarische Leben geradezu vernichtet.
Und Heinz Pleschinski relativiert ihn auch sofort wieder: Schuldige sind schwerlich zu benennen. Doch selbst der Literaturbetrieb ist nur ein winziges Segment im allgemeinen Trend zur Verflachung. Wer Buchinhalte referiert, erntet ein Gähnen – niemand will mehr ruhig zuhören – allein die Verkaufszahlen halten in Atem und fungieren als Qualitätssiegel. Der Kampf um den Absatz bestimmt alles. Lektoren und Verleger winken ab und das Vertriebspersonal senkt den Daumen, wenn ihnen ein sperriges Manuskript unter die Augen gerät.
So weit, so bekannt, möchte man meinen. Aber die weitere Lektüre des Artikels in der »Welt« (unter dem martialisch-trotzigen Titel »Wir müssen weiter ins Gefecht«) ist dennoch empfehlenswert und hebt sich von der allgemeinen Literaturkritik-Melancholie, welches im Moment die Feuilletons durchzieht (kein Wunder: die alten Männer treten ab und die Neuen sehen ihre Erbhöfe vor sich hin modernd), wohltuend ab.
Pleschinskis Sicht ist von dieser Art der Parteinahme nicht getrübt. Das verleiht ihm einen freien Blick, etwa wenn er über die Überforderung durch die Büchermassen spricht (Bei einer ebenso freien wie beliebigen Überfülle sollte man als Autor eher auf einen brillanten Verriss hoffen als auf Schweigen im Blätterwald) oder den Wettbewerb der deutschsprachigen Literatur mit den immer noch zahlreichen und auch zeitnahen Übersetzungen ausländischer Bücher hinweist. So klingt es auch nicht unbedingt nur resignativ, wenn er konstatiert:
Die Literatur ist ohne jeglichen Standort. […] Das Feuilleton fasst nichts Moralisch-Ästhetisches mehr zusammen, zeigt keine Traditionslinien auf, weist nicht in die Zukunft. Das ergibt ein regsam laues Treiben.
Wobei: »Die Literatur«? Was soll mit diesem Rubrum ausgesagt werden? Kann es überhaupt »die Literatur« geben?
Und wenn Pleschinski die Aufmerksamkeitsökonomie beklagt, die heutzutage konstituierend für Literatur zu sein scheint, in dem sie erst die (notwendige) Öffentlichkeit erzeugt – welche Rolle übernimmt da das Feuilleton? Bzw.: Welche Rolle könnte es übernehmen? Einerseits beklagt er, dass die Erwähnung eines Buches im Fernsehen nicht mehr automatisch zu großen Auflagen führt. Ist dies jedoch nicht auch Ausweis einer diversifizierteren Sicht auf Literatur? Kann es nicht sein, dass sich der Leser vom Herdentier des Feuilletons auch ein bisschen emanzipiert hat und nicht mehr automatisch den Päpsten folgt? Andererseits: Wohin geht eine Herde, wenn sie Frank Schätzing für einen guten Schriftsteller hält?
Natürlich ist es richtig, wenn er schreibt, dass das Vertrauen in das Wort fehlt – aber woher kommt dieser »Vertrauensverlust«, der sich ja beispielsweise schon sehr lange am sogenannten Regietheater zeigt? Thomas Bernhards Tragödien werden im Theater nur noch weggeprustet. Der Stille wird misstraut. Nur nichts an sich heranlassen und bedenken.
Und wer folgt noch? Man hofft, dass der kulturpessimistische Tiefschlag von Wolfram Schütte, unlängst anlässlich einer Besprechung eines Romans von Andrea Giovene formuliert, nicht zutrifft: »Selbst wenn die deutsche Kritik diesen großartigen ‘Appetizer’ wahrnehmen und Andrea Giovene als eine zwar späte, aber für unser Bild von der italienischen Literatur notwendige Entdeckung gebührend hervorheben würde, muss man doch annehmen, dass unser Lesepublikum nicht mehr hinreichende Neugier und kulturelles Bewusstsein besitzt, um dem Boten einer großartigen Entdeckung auf ein literarisches Gelände zu folgen, dessen sprachlicher Glanz und episch-philosophische Dichte historisch geworden ist – wie die Zeit, von der es erzählt und jener, in der es entstanden ist.« Falls dies doch stimmen sollte, wären Pleschinskis Refugien Oasen, die von einer schleichenden, aber unaufhaltbaren Desertifikation bedroht sind.
Hier liegen die Bedrohungen für die Literatur. Und nicht »im Internet«, wie uns die Besitzstandswahrer aus den Großfeuilletons immer wieder einbläuen wollen.
Auch hier beschäftigt man sich mit dem Thema.
Die Grundthese ist so falsch nicht
Traurigerweise kommt die größte Bedrohung für Literatur – ich möchte das jetzt mal als qualitativ hochwertige, lesenswerte Inhalte dfinieren – aus dem Literaturbetrieb selbst. Nix mit Internet und Co – seit sich der Literaturbetrieb in Deutschland dem Diktat der kapitalistischen Marktlogik unterwirft, werden die Inhalte beständig entwertet. Die Marktmacht der von literaturfernen Managern geführten Großhändler (Thalia und Co) wirkt sich direkt auf die Inhalte aus, weil sie den Verlagen schon die Regeln diktieren können.
Einige Verlage passen sich der Logik an und verkaufen Bücher nur noch wie Zahnpasta – die Inhalte sind völlig egal, es werden mit total-Buyout-Verträgen für die Autoren einfach 200 Titel auf den Markt geworfen und über die Verpackung verkauft. Sobald ein Titel Zug entwickelt, wird die Merchandising und Werbemaschine angeworfen. Regalfläche in den Läden bestimmt Umsätze, nicht die Inhalte der Bücher. Diese Entwicklung ist komplett hausgemacht und hat nix mit Internet zu tun.
Und das Fäuleton ist ein Hort der Mafia, wo eine Handvoll Familien und Seilschaften darüber bestimmen, welcher Autor die Einladung zu Kerner bekommt, die der Garant für verkaufsträchtige Publicity ist. Diese Mafiabanden befördern den negativen Trend zum inhaltsschwachen Hype noch, da kann man kaum Hilfe für bessere Literatur erwarten.
Naja, ob es sich um eine Mafia handelt...ich weiss nicht. Ich glaube, dass dias Feuilleton unbewusst in solche Marketingstrategien hineingestolpert ist und den bequemsten Weg geht. Wenn man die These vertritt, dass die Bedrohung der Literatur durch den Betrieb selber erfolgt, darf man auch nicht die unübersehbare Anzahl der Neuerscheinungen vergessen, die ejden überfordern müssen. Den Ausschnitt, den man durch die Lektüre der Feuilletons bekommt, ist im Verhältnis dazu kleiner geworden. Dennoch kann man das ganze Jahr über Buchbesprechungen elsen, was dann zum Nachteil führt, dass man zum Bücherlesen selber nicht mehr kommt. Ein Teufelskreis.
Inhalt, Oekonomisierung, etc.
Anfragen moechte ich noch, ob die Bestimmung von Literatur durch ihren hochwertigen Inhalt nicht schon problematisch ist, weil er der Oekonomisierung schon die Tuer und Tor oeffnet. Ersetzen Sie »hochwertig« durch »relevant« und schon laesst sich Literatur auch ueber die Verkaufszahl definieren oder die Anzahl der Menschen, die sie »bewegt«.
Fraglich ist aber auch, ob man umgekehrt ueber die Betonung der Form Literatur zu fassen bekommt. Das war, wenn ich es jetzt richtig erinnere auch Hettches Schlagrichtung contra die »Literatur, die sich im Netz verfaengt« – und es ist vielleicht auch analog zu Stroemungen der Lyrik zu sehen, die die alten Formen wiederentdeckt (freilich ohne blosse Restauration betreiben zu wollen, sondern vielmehr mit der Behauptung, dass Reim und Metrum kein auesserer Zwang seien, sondern vielmehr das angestammte Flussbett, das Sprache ganz von alleine sucht).
Zur Orientierung moegen grobe Linien helfen. Ich muss gestehen, dass ich mich in ihnen noch nicht so gut zurechtfinde. Die der Oekonomisierung kann ich auch von Seite der Forschung nachempfinden, wo sie ebenfalls um sich zu greifen scheint. Nur wie schlimm ist das? Vielleicht wird dann ‘richtige, wahre’ Literatur, Kunst, Wissenschaft Privatvergnuegen der Leute, die wirklich dafuer leben oder es sich ohnehin leisten koennen? (War die Polis im politischen Sinne nicht auch wie Zweiteres organisiert?)
Solange man fuer sich selbst noch etwas findet,.. »denn nur die Wahrheit für dich, ist Wahrheit, die erbaut« (ist eine Umkehrung des Originalspruchs von Kierkegaard).
@Gregor Keuschnig Den Widerspruch kann ich leider auch nicht auflösen ;-)
@Phorkyas Sicher geht Literatur über meinen Begriff hinaus, aber ganz egoistisch sind es lesenswerte Texte, die ich vermisse und auch anderen Lesern gönnen würde. Die Kriterien der Ökonomie sind vielleicht mit »lesbar« gekoppelt, aber sicher nicht mit für mich lesenswert, sonst würden ja mehr großartige Romane geschrieben, statt trendkompatible Inhalte kopiert. Wie viel verdammte Vampirgeschichten gerade in den Regalen stehen, da bleibt kaum platz für neue kreative Impulse oder gar Vielfalt.
@Phorkyas
Vielleicht wird dann ‘richtige, wahre’ Literatur, Kunst, Wissenschaft Privatvergnuegen der Leute, die wirklich dafuer leben oder es sich ohnehin leisten koennen?
Ich frage mich, ob sie das nicht schon längst ist. Und ob die Ökonomisierung den Teil des »Privatvergnügens« auf ein Mindestmass an Kompatibilität reduzieren möchte, um noch Nektar aus ihm zu saugen und vielleicht einer breiteren Öffentlichkeit »zumuten« zu können.
Man verlegt und promotet die Unterhaltungsliteratur – der Rest ist »Abfall« bzw. bedient Parallelwelt. Sofort kommt ja der Vorwurf des Elitären, wenn man über Literatur redet. Was als marktkonforme Literatur gilt, braucht man sich nur anhand der Spiegel-Bestsellerliste anzusehen. Selten, dass sich beide Bezirke überlappen – das sind dann Verkaufserfolge und literarisch-ästhetisch überzeugende Bücher und meist Mißverständnisse wie bspw. »Der Turm« von Tellkamp oder ab und zu mal ein Walser.
Vielleicht war das aber immer so. Nicht Goethe wurde zu Lebzeiten auf den Theatern gespielt, sondern Kotzebue. Und heute?
@erz
Schüttes Kulturpessimismus einmal auf die Spitze getrieben: Woher wissen wir denn, dass diese von Ihnen so vermißten großartigen Romane nicht längst geschrieben sind? Es geht ja auch darum: Was wird aussortiert, bevor es der »Markt«, oder, besser: der Leser, selber »aussortieren« kann? Hier wäre die Chance des Internet. Und vielleicht ist es das, was einige fürchten.
happy few...
@erz: Aber immerhin finden Sie noch Ihre lesenswerte Inhalte und gehören so noch zu den »happy few«, was gibt es dann zu klagen?
Noch provokanter: Ist die Belohnung sich zu den »happy few« zu zählen, wenn man diesem Artikel zustimmt, nicht sogar von dem Schrott abhängig, über den man sich so gerne erheben will..
(Nicht, dass Sie mich falschverstehen: Die Ökonomisierung verschiedener Lebensbereiche sehe ich auch als Problem. – Nur dann koppelt man sich eben ab, führt ein Nischendasein, wird happy few, und dann? – Mir ist noch nicht klar: 1) Lässt das »Marktoptimierungs-Ökonimisierungs«-Paradigma mich die Vorgänge um mich herum besser begreifen? (Um nicht zu fragen: Entspricht es der Realität?) 2) Wenn ja, was folgt aus der Kritik, die es ermöglicht, lässt es sich überhaupt fruchtbar machen?)
- Ihr Mafia-Fäuleton, war das zu anderen Zeiten besser?
Oder in Anlehnung an Gregors »Woher wissen wir denn, dass diese von Ihnen so vermißten großartigen Romane nicht längst geschrieben sind?« – Was für Schätze könnte uns die Kanonisierung der Literatur vorenthalten, bzw. was für Katzengold unterschieben.
(Und wann habe ich Zeit das alles zu lesen,.. auch viel zu lange dumme Kommentare von Goethe-Figuren, – Goethe?, den ich gar nicht schätze)
Naja, jeder glaubt doch, wenn nicht zu den »happy few« zu gehören, die den »Durchblick« haben, so doch leidlich »seine« Literatur zu finden. Was einem vorenthalten wird, weiss man natürlich nicht. Das ist übrigens nicht Problem einer Kanonisierung, sondern das wird (was Neuerscheinungen angeht) von ökonomischen Kriterien weitgehend bestimmt.
Provokativ zurückgefragt: Wo gibt es bei Goethe »dumme Kommentare«?
Anything goes?
Dann wären wir beim vollständigen Subjektivismus und Relativismus angelangt? Fei(y)erabend für die Literaturtheorie? Des, meinen Sie ja aber auch nicht ernst(;
Letztlich so könnte man weiterbohren – und das ist zugegebnermassen nicht sehr originell – ist dieser Pessimismus (wie ihm auch Hettche zuneigt) doch auch schon marktfähig bzw. hat seinen Markt. – Aber gerade bin ich den Text erneut durchgegangen und muss meine Hermeneutik neu justieren. Der Artikel ist nicht so simpel schwarz weiss und der Autor geht ja nun einmal von seinen subjektiven Erfahrungen aus, deren Gültigkeit man schwerlich bestreiten kann. (Ich wurde dazu verleitet, weil mir »Der Literaturbetrieb hat das literarische Leben geradezu vernichtet.« schon wie eine conclusio in adjecto vorkam. Wenn man so etwas wie einen Literaturbetrieb postuliert, dann produziert der doch gerade weil er es am Fliessband machen möchte alles nur eben keine Literatur. Dass die Skizze des Betriebes, die er dann vornimmt so gut in die Vorurteile passt, sagt erstmal nichts gegen die Gültigkeit der Beschreibung. – Es sind jedoch auch andere Bilder möglich. – Ich skizziere mal eines: Da der ‘Mainstream’ nur das ewig-gleiche reproduziert, sucht er das andere, das dann eben doch auch in den Nischen hockt. Da wird dann mal was herausgekramt, ‘entdeckt’, vermarktet und bei Erfolg kopiert, bis es wieder zum ewig-gleichen gehört. – Die ‘Entkoppelten’ sind also nicht unbedingt wirklich so fern, sie können jederzeit wieder integriert werden. Vielleicht ist ihre Nische ja auch gar nicht so klein, dehnt sich mal aus und schluckt die anderen? )
[Bei Goethe gibt es vielleicht nur dumme Kommentare, die klug sein wollen, indem sie ihn schmähen... – Ich nehm ihn aber trotzdem nicht zurück.]
»Anything goes« bedeutet ja, dass alles gleichrangig ist bzw. es keiner Ordnungsinstanz (ein schreckliches Wort, aber mir fällt auf die Schnelle kein anderes ein) bedarf. Das meine ich nicht. Ich glaube auch nicht, dass Pleschinskis Artikel nur kulturkritisch ist. Der Eingangssatz ist natürlich erst einmal ein Hammer, aber er relativiert ihn auch wieder.
Man könnte vielleicht sagen: »Der Literaturbetrieb hat das literarische Leben trivialisiert«. Oder »nivelliert«. Vernichtet ist starker Tobak, würde aber stimmen, wenn man »der Betrieb« als umfassende Interaktion zwischen Verlag – Kritik – Medien und Publikumsrezeption verstehen würde. Genau so stimmt es allerdings, dass sich längst Teile des Literaturbetriebs aus dieser Schiene, dieser fast tödlichen Umarmung, versuchen zu befreien. Der »Erfolg« ist bekannt: Man verschwindet in Nischen. Was ich nun beobachte ist, dass in diesen Nischen durchaus die Gefahr der elitären Überhebung steckt, sich also exakt der Vorwurf, der der Literatur an sich angehängt wird, dort aufzeigt. Letztlich sind das aber nur Affekte, die man separieren müsste.
Will sagen: Ein Buch ist per se nicht deswegen schlecht, weil es gut verkauft wird. Es ist aber auch nicht deswegen schon automatisch gut, weil es in einem kleinen Verlag erscheint, usw.
Vorzuwerfen ist m. E. der aktuellen Literaturkritik das sie sich viel zu stark in diese Marktökonomie hineindrängen lässt. Dem Virus der »Aktualität« beispielsweise, den Pleschinski aufgreift, setzt sie viel zu wenig entgegen. Auch geht sie nicht in die Breite, d. h. man bespricht nur die »üblichen Verdächtigen«. Ich glaube allerdings, dass diese Fixierung früher noch viel stärker war. Auch hier weicht »das Internet« die Gatekeeper-Funktion auf. Was allerdings die Unübersichtliochkeit noch befördert.
Unübersichtlichkeit und Zeitökonomie
Mir fällt es schwer der öffentlich-inflationäre Genieverkündung überhaupt noch Aufmerksamkeit zu schenken (Zugegebenermassen den Hegemann-Skandal habe ich ebenfalls mit schon voyeristischer Aufmerksamkeit verfolgt – aber versucht mich des Kommentars zu enthalten.. Der eigentliche Skandal lag ja vielleicht auch daran, dass die Öffentlichkeit auf die Markt- und Öffentlichkeitsmechanismen gestossen wurde: wie das also funktioniert, dass ein Buch besprochen, gelobt und verklärt wird – Auch wenn es das erneute Nachtreten von Frau Hegemann in der Zeit etwas pubertär anmutet, wäre es vielleicht sogar lohnend gerade jetzt in den Trümmern zu wühlen) –
Eigentlich dürfte es doch bei den meisten auch so sein, dass der Bücherkauf durch Mund- zu Mundpropaganda angeregt wird, Empfehlungen von Freunden. Da weiss man doch auch genau von wem das Urteil kommt und was man damit anfängt. Ja, vielleicht sogar 80% der Belletristik, die ich gelesen habe, ist so motiviert gewesen. – Damit wäre es ja Teil der Sozialisation.. und Büchersendungen, Zeitungs- Internetkritiken.. irrelevant (insofern sie nicht Teil der Sozialisation sind)?
Will sagen: Ein Buch ist per se nicht deswegen schlecht, weil es gut verkauft wird. Es ist aber auch nicht deswegen schon automatisch gut, weil es in einem kleinen Verlag erscheint, usw.
Dem kann ich nur zustimmen. Ob ein Buch für einen fruchtet, erweist sich leider nur, indem man es selbst liest. (So war auch der Subjektivismus gemeint, bzw. das erste verfälschte Kirkegaard-‘Zitat’.)
Den Hegemann-Hype habe ich aus zwei Gesichtspunkten interesssant gefunden: 1. Wie die Kritik das Buch in den Himmel gelobt hat (und dabei dann später die Vermarktungsstrategien herausdestilliert wurden) Und 2. wie man die Plagiatsvorwürfe abzuwiegeln versuchte (ist ja nur aus dem Internet abgeschrieben und sie ist ja auch noch so jung). In zweiter Linie ging es dann noch um das Buch.
Und ja, Bücherkauf geschieht aufgrund von Empfehlungen. Ich glaube, das hat sich nicht geändert, sondern wird eher wichtiger.
Goetz’ »Loslabern« fand ich nicht so schlecht.
[EDIT: 2010-05-12]
Angst um die Diskursmacht und wirtschaftliche Risikoscheu
Die Buch- und Zeitungsverleger sowie die Herausgeber von wissenschaftlichen Buchreihen und Zeitschriften fürchten um ihre Diskursmacht. Das erklärt die entsprechenden Polemiken gegen das Internet (das insbesondere für wissenschaftliche Publikationen ja einige wesentliche Vorteile gegenüber den traditionellen Veröffentlichungswegen aufweist). Zu Zeiten der Alleinherrschaft der herkömmlichen Massenmedien garantierte der aufwendige Produktions- und Vertriebsprozess einigen wenigen die Kontrolle darüber, was veröffentlicht und was – darauf basierend – gedacht und gesagt wurde. Das Web 2.0 erlaubt nun jedermann, die eigene Meinung einer Vielzahl von Menschen zur Kenntnis zu bringen. Dass dies den Verlegern und Herausgebern nicht gefällt, ist klar. Die Strategie, für alle gesellschaftlichen Missstände von der Kinderpornographie bis zum Ruin der Literatur das Internet verantwortlich zu machen, ist bei allem Verständnis jedoch unredlich, um nicht zu sagen: perfid.
Die zeitgenössische Literatur wurde nicht vom WWW, sondern von einer Verbindung aus gewissen wirtschaftlichen Strukturen, mangelndem unternehmerischem Ethos der Verlage und der Gleichgültigkeit des Publikums zugrunde gerichtet. Das Risiko, einen unbekannten Autor herauszubringen, weil man von dessen Qualität überzeugt ist, geht kaum mehr ein Verlag ein. Zur Befriedigung der Investoren und da die verschlankte betriebliche Infrastruktur wohl kaum noch etwas anderes hergibt, bringt man massenweise schlechte, meist nicht von einem (eigentlich auch weit unter Wert bezahlten) literarischen Übersetzer besorgte Übertragungen und die häufig unsäglichen Werke mehr oder minder prominenter Persönlichkeiten auf den Markt. Aus Imagegründen hält man sich dann vielleicht noch ein paar ernsthafte Schriftsteller, die aufgrund ihrer uniformen, zum Kulturmenschen determinierenden Biographie meist nur repetitive Langeweile zu Papier bringen. Seinen Teil zu der Misere trägt aber auch das Publikum bei, das die Verlage für deren ungenießbare Programme nicht mit Nachfrageverzicht straft, sondern aus dem gegebenen Angebot das für den jeweiligen Geschmack kleinste Übel wählt.
[EDIT: 2010-05-11]
Eine luzide Analyse.
[EDIT: 2010-05-11]
Das Risiko, einen unbekannten Autor herauszubringen, weil man von dessen Qualität überzeugt ist, geht kaum mehr ein Verlag ein.
Die Folge wäre, dass immer weniger Bücher auf den Markt kämen, da die bekannten Autoren wegsterben. Da dem m.E. aber nicht so ist, scheint mir Ihre These nicht ganz stimmig zu sein.
[EDIT: 2010-05-11]
@metepsilonema
Ich glaube, man kann beiden Thesen zustimmen. Einerseits werden die bekannten Autoren (vielleicht wirklich oft genug nur noch aus Alibi- bzw. philologischen Gründen) publiziert. Andererseits gibt es Neuauflagen von älteren Schriftstellern (sogenannte Entdeckungen, die mit entsprechendem publizistischen Aufwand produziert werden, deren Veröffentlichungsrechte jedoch meist günstig zu erwerben waren). Und es gibt sehr viele Übersetzungen bspw. amerikanischer Autoren, die irgendwelche Preise in den USA gewonnen haben und hier ebenfalls mit entsprechendem Potential beworben werden, usw. Grundschema dieser Veröffentlichungen: Es gibt bereits eine »Geschichte« des Buches, des Autors, irgendetwas, an dem man andocken kann. Und sei es (wie bei Hegemann), dass da ein neuer Autor aus dem Betrieb mit entsprechendem Stallgeruch kommt.
[EDIT: 2010-05-12]
Kulturmenschen
Aus Imagegründen hält man sich dann vielleicht noch ein paar ernsthafte Schriftsteller, die aufgrund ihrer uniformen, zum Kulturmenschen determinierenden Biographie meist nur repetitive Langeweile zu Papier bringen.
Auf der anderen Seite beherbergt(e) der Betrieb auch so Leute wie z.B. Wolfgang Hilbig oder Clemens Meyer.
(Oder auch den Goetz – da wäre es natürlich interessant deren Transformation zum »Kulturmenschen« zu beschreiben, wie sie dann im Betrieb ankommen. Dazu kann man vielleicht auch deren Bücher lesen. – Leider hab ich nur von Goetz »Irre« gelesen, so kann ich aber zumindest da sagen, dass der dies schon reflektiert hat, bevor er überhaupt »angekommen« ist.)
[EDIT: 2010-05-12]
@Gregor
Natürlich kann man. Aber wenn ich an Barbara Gresslehners Buch (ich gebe zu nicht nach Ihr gegoogelt zu haben), das ich fast fertig gelesen habe, denke, dann kommen mir wieder Zweifel. Ich bin niemand der den Markt beobachtet, oder versucht ihn im Blick zu behalten (geschweige habe ich einen Überblick). Gerade deswegen bin ich aber skeptisch, wenn derart allgemeine Thesen (die nicht unplausibel sind), so ganz ohne Beispiele daher kommen. Oder vielleicht nur subjektive Eindrücke darstellen (ist das nicht »fatal« dann ohne Einschränkung aufs Allgemeine zu schließen?).
Ich muss schon aus Prinzip widersprechen, weil die Realität (um eine Annäherung an sie geht es doch) meist verzwickter und uneindeutiger – es gibt immerhin einige tausend Verlage in Deutschland.
[EDIT: 2010-05-12]
Gegenseite der Verleger?
»Als ‘mutig’ beszeichnet zu werden, ist häufig ein Hinweis darauf, dass hinter dem, was man tut, eigentlich Naivität vermutet wird: Unkenntnis der Realitäten [..] des Buchgeschäfts, seiner Trägheit und der der Leser.«
»Wenn man die Welt nur noch wirschaftlich begreifen kann, findet die Arbeit eines literarischen Verlags tatsächlich – und vielleicht ist es doch Naivität, sich dort hinein zu begeben – in einem Raum der Unmöglichkeit statt: ein Vermittler von Geist, der sich am Markt behaupten muss. [..] Mehr Mut!«
»Carte blanche« Andreas Rötzer (im aktuellen Volltext)
[Ich würde mich dem Vorredner anschliessen wollen, was die Vorsicht betrifft. Aber grobe Bilder des Ganzen können natürlich auch zu produktiver Polemik genutzt werden. –
Herrn Rötzers Text irritiert mich noch ein wenig, muss ich gestehen, die Eigenbeschreibung oder schon Eigenwerbung(?) kommt mir was plump vor – vielleicht wird das aber einfach so, wenn jemand kreative Prozesse und all das Tolle, was da gerade entsteht, einfangen möchte -.. und dann auf der anderen Seite bin ich eben über den »literarischer Verlag« gestolpert. Es gibt im Umkehrschluss dann doch auch »unliterarische Verlage«, das ist wäre doch eine feine oxymorone Spitze,.. aber so gewollt?]