Die Verhaltensmuster bei Mord- und Terroranschlägen oder Amokläufen laufen immer gleich ab. Man betont die Unfassbarkeit der Tat, stellt das Monströse heraus, hebt den/die Täter als Monster aus jeglicher sozialer Verankerung heraus und ruft in einer Mischung aus Ahnungslosigkeit, Verzweiflung und vorsätzlicher Dummheit nach Restriktionen.
Politiker dämonisieren das Internet wie weiland weltliche und religiöse Machthaber den Buchdruck. Schon knapp einhundert Jahre nach Gutenbergs Erfindung gab es die erste Ausgabe des »Index Librorum Prohibitorum«, mit der die Kirche verzweifelt die politische und spirituelle Deutungsmacht in der Welt für alle Zeiten konservieren wollte. Da besteht kein gravierender Unterschied zwischen einem mittelalterlichen Papst und den affektiv agierenden Politikern. Wie so häufig zeigt sich, dass das Objekt des Ressentiments weitgehend unbekannt ist. Letztlich ist es ihnen auch gleichgültig; entscheidend ist der Wunsch der Unterwerfung. So werden die Taten von Mördern für die eigenen politischen Zwecke instrumentalisiert, wobei Argumente in Anbetracht des weidlich kollektiven Schocks, derer die Streßgesellschaft in Anbetracht dieses Ausmaßes an Destruktion ausgesetzt ist, entbehrlich scheinen. Hauptsache, man befriedigt die Ängste der anderen Ahnungslosen.
Nachdem sich herausstellte, dass die üblichen Verdächtigen diesmal nichts mit den schrecklichen Taten in Norwegen zu tun haben, wurden sofort die anderen Verdächtigen mit dem Täter in Verbindung gebracht: Rechte, EU-Gegner, Islamhasser. In den Topf der geistigen Brandstifter (ein Vorgehen, welches eigentlich von konservativen Kreisen in Deutschland in den RAF-Jahren der 70er kreiert wurde) wurden auch eilig diverse Publizisten aufgenommen. In allen Fällen wurde das vornehmste und wichtigste aller Expertengebote missachtet: Das Schweigen, solange man nichts Genaues weiß.
Die Dimension dieser schrecklichen Tat verleitet jetzt dazu, den Täter zu ent-sozialisieren. Er wird in einem kollektiven Akt aus der Gesellschaft ausgestoßen. Ein Affekt, der in Deutschland wohlbekannt ist. Unterstützend zu dieser These ist die Rede vom »Einzeltäter« und »Außenseiter«. Das Ansinnen spielt B., dem Täter, in die Hände: Längst empfand er sich als Außenseiter einer Gesellschaft, in der er – trotz aller Mittel, die ihm zur Verfügung standen – nicht aufgehoben war. Sein Außenseitertum mündet in narzisstischem Selbst-Heroismus. Ein Herostrat mit Sendungsbewusstsein; sich selbst aus der Bibel legitimierend. Den Rückzug ins Private gestattet er sich genau so wenig wie die Ausflucht in den allgegenwärtigen Zynismus.
Da ist dieses 1518 Seiten-Buch. Als Autor steht dort »Andrew Berwick«; als Ort »London«. Allgemein gilt es als das Werk von B. Keine Ahnung, wie sicher dies ist. Am Ende gibt es die sattsam bekannten Fotos. Das »Pamphlet« (man sollte diesen Ausdruck nicht dauerhaft mit diesem Machwerk kontaminieren) besteht aus zahlreichen kopierten Passagen, insbesondere von einem gewissen »Fjordman«. Zu Beginn beschreibt der Autor, dass er das meiste seines »hartverdienten« Geldes in dieses Buch gesteckt habe – rd. 300.000 Euro. Und er mache dieses Buch allen »Patrioten« zum »Geschenk«.
Wie weit und ob das Buch überhaupt rezipiert werden soll, ist jetzt umstritten. Vorsorglich wird es als wirr oder wahnsinnig eingeschätzt – was dann wohl die genaue Lektüre entbehrlich machen soll. Allenfalls die schnelle Suche nach entsprechenden Schlagworten wie »Broder« (12 x) oder »Wilders« (29 x) wird vorgenommen, um ersatzweise Journalismus zu simulieren. Wobei die Suche bei »Adorno« (26 x) oder »Orwell« (12 x; mehrfach verwendet der Autor Orwell-Zitate zu Beginn seiner Kapitel) ähnlich ergiebig gewesen wäre.
Die Ent-Sozialisierung des kaltblütigen Mörders wird vorgenommen, weil sie befreit. Das nachträgliche Stempeln zum Unzurechnungsfähigen entlastet (leider auch den Täter bzw. von dessen zu erwartender Strafe, aber das wird zähneknirschend akzeptiert). Nicht der leiseste Zweifel soll bleiben. Die ersten Stimmen warnen daher auch davor, Auszüge aus dem »Pamphlet« zu drucken und/oder zu diskutieren. Man wolle dem Täter kein Forum bieten, heißt es da. Das übersieht, dass er es längst hat; paradoxerweise in dem Moment, als er in Isolationshaft sitzt.
Unter dem Deckmäntelchen der Persönlichkeitsrechte des Täters in Verbindung mit seiner Dämonisierung wird ein nachträgliches Abbildungsverbot gefordert. Ein skurriler Vorschlag, der an die Sprengung der Figuren von Bamian durch die Taliban Ende der 90er Jahre erinnert, die damit das Bilderverbot im Islam umsetzen wollte.
Die Motivationen sind nur scheinbar unterschiedlich. Die Abbildung Gottes verletzt dessen Singularität, so die Begründung für religiös konnotierte Bilderverbote. Gott soll nicht abgebildet werden, weil er dann anthropomorphisiert, vulgo: trivialisiert wird. Die Kirche hat das Abbildungsverbot nie besonders konsequent umgesetzt; die mittelalterlichen Darstellungen eines Mannes im Rauschebart mit Heiligenschein geben davon Zeugnis. Das Verbot der Abbildung des Massenmörders B. verfolgt das gleiche Ziel, nur dass es sich nicht um einen Gott, sondern um ein »Monster« handelt. Wir sehen B. – und uns selber; es gibt keinen gravierenden optischen Unterschied, der sofort eine befreiende Distanz auslösen könnte.
Die Bekennerschreiben der RAF wurden erst Jahre später publik gemacht. Die ideologischen Pirouetten der Terroristen rotierten kassiber-artig in den einschlägigen Kreisen. Liest man sie heute, vermag man nicht zu erkennen, warum man diese dummen und platten Texte indizierte. Das Werk von B. (sofern es seines ist) kursiert im Netz. Es erinnert in seiner Monstrosität an »Mein Kampf«, insbesondere wenn der Autor seine abstrusen und redundanten Geschichtsdeutungen absondert. Aus den »Novemberverbrechern« des Landsberger Häftlings sind die »marxistisch/multikulturellen« Unheilsbringer geworden, die er in ganz Europa ausmacht. So listet er akribisch jedes Land auf und beschreibt alle Organisationen, die in diesem »marxistisch/multikulturellen« Klima Politik machen. In Deutschland findet er sechs solcher Organisationen: SPD, CDU, FDP, Grüne, Linke, CSU. Sechs »Mitglieder« von Hundert der »kultur-marxistischen/multikulturellen Allianz« Europas – der »MA100«.
B. sieht überall den Geist des unterdrückten Wortes, landläufig als »political correctness«. Wenn »4 Somali« eine Frau vergewaltigen, frage die Gesellschaft, wie diesen Menschen, deren Vorfahren vom europäischen Kolonialismus unterdrückt wurden, noch geholfen werden kann, so B. auf Seite 1402 innerhalb eines mit ihm selbst geführten Interviews. Sein Unbehagen ist in und an der Kultur. Aber es ist kein fruchtbares Unbehagen, sondern eines, das zerstören will. B. will irgendwann zuschlagen. Nur so kann er noch die Welt ertragen. Er ist nicht jemand, der die Weltmacht übernehmen will. Er ist ein fast demütiger Märtyrer für »sein« Europa; aber er ist nicht todesbereit. Mit den von ihm so verhassten Islamisten eint ihn eines: Er ist im Krieg – und in diesem Krieg gibt es keine Opfer, weil alle schuldig sind. So wird eine Kollektivschuldthese wahnhaft adaptiert.
Es würde aber zu kurz greifen, reflexartig die Taten B.s ebenfalls in einer Art Kollektivverantwortung dem aktuellen Gesellschaftsmodell, der kapitalistischen Moderne, vorzuhalten. Der Täter gehört zu jenen, die mit den Informationsströmen, den Ideologien, Religionen, soziologischen Thesen und psychoanalytischen Deutungen nicht mehr klarkommen. Die Komplexität der Welt und deren Beschleunigung sind ihm unheimlich. B.s Geschichtsbild entspringt weitgehend der englischsprachigen Wikipedia. Er sehnt sich nach einfachen Erklärungen. Dialektik lehnt er ab und praktiziert stattdessen einen Eklektizismus, in der jede Erkenntnis nach seinem Denkmuster umgeformt wird. Alles andere existiert nicht oder ist Ausbund des verhassten Systems. Das ist das im übrigen das reine Gegenteil von Intelligenz.
Die Argumentation, man dürfe B. kein Forum bieten, der Wunsch, ihn in die Bedeutungslosigkeit zu verbannen, ist verführerisch. Aber er ist in dieser Absolutheit falsch. Es ist ein seltsamer Aufruf zur Verdrängung, der da geleistet wird. Niemand wäre auf die Idee gekommen, Motivationen und Hintergründe für die Anschläge von 9/11 mit einem Verbot zu belegen. Hätte man die Existenz von Osama Bin Laden besser totgeschwiegen? Aus dem vorauseilenden Verbot spricht die Angst vor der Urteilskraft des Bürgers. Derart paternalistische Gesten sind einer Diskurs-Gesellschaft nicht angemessen. Medien sind zwar in der gefährlichen Situation, dass sie den Spagat zwischen Berichterstattung und reiner Propaganda finden müssen. Aber sie müssen diesen Weg finden. Es ist ein steiniger Weg.
Ergänzung 28.07.2011: Ein kluger Artikel von Kurt Kister in der SZ: »Die Tat und ihre Propaganda«.
Herr Keuschnig, – Sie stürzen mich in eine tiefe Krise. Da ich den Attentäter sogar für hochintelligent halte, müßte ich aufgrund Ihres Urteils über den Intelligenzgrad des Attentäters annehmen, daß ich strohdoof sei. Tatsächlich aber sind unsere Einschätzungen wohl nur deshalb so unterschiedlich, weil mein Begriff von Intelligenz ein anderer ist als Ihrer. Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie Intelligenz und die Fähigkeit, rational zu denken, in etwa gleichsetzen? So zumindest will es mir scheinen. Doch auch Menschen, die Sie für hochintelligent halten würden, können psychisch erkrankt sein, mit den entsprechenden kognitiven Beeinträchtigungen.
Die Komplexität der Welt und deren Beschleunigung sind ihm unheimlich. Was die Presse über ihn schreibt, rechtfertigt solch ein Urteil. Doch Breivik kann komplexe Zusammenhänge sehen und präzise darstellen – besser als die meisten Journalisten (zum Glück gibt es auch einige Ausnahmen), die im Prinzip immer das gleiche über ihn geschrieben haben, ohne es für nötig gehalten zu haben, sich so intensiv mit seinem Buch zu beschäftigen, wie es für einen Artikel mit dem Begriff Psychogramm in der Überschrift erforderlich gewesen wäre.
B.s Geschichtsbild entspringt weitgehend der englischsprachigen Wikipedia. Sie meinen wohl seine Geschichtskenntnisse. Wenn die tatsächlich der englischen Wikipedia entsprächen, so wüßte er mehr als ale Geschichts- und sonstigen Studenten, die mir je begegnet sind.
Er sehnt sich nach einfachen Erklärungen. Seit wann ist es unintelligent, sich nach einfachen Erklärungen zu sehnen? Ich halte jemanden, der das tut, für intelligenter als einen, der sich nach komplizierten Erklärungen sehnt. Und damit befinde ich mich in bester Gesellschaft. Das Wort von demjenigen, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, wurde immerhin von Wieland geprägt. Und der war nun wirklich nicht doof.
Dialektik lehnt er ab und praktiziert stattdessen einen Eklektizismus, in der jede Erkenntnis nach seinem Denkmuster umgeformt wird. Alles andere existiert nicht oder ist Ausbund des verhassten Systems. Dann müssen Sie beim ersten Blättern völlig andere Stellen gefunden haben als ich. Die meisten Journalisten scheinen ebenfalls andere Stellen gefunden zu haben. Sie schreiben stets etwas von Breiviks Haß. Doch Breiviks Texte, soweit ich sie bisher kenne, zeichnen sich gerade dadurch aus, daß sie sehr viel weniger Haß enthalten als die Texte der allermeisten ’normalen’ Menschen, die sich im Netz über seinen Geisteszustand aus- und mitunter auch ihren Tötungsphantasien freien Lauf lassen.
Auf die Gefahr hin, daß man mich für geisteskrank erklären wird, halte ich Breivik nach wie vor für einen weit überdurchschnittlich intelligenten und (skandalöserweise sogar:) sensiblen Menschen, der sich, wäre er weniger begabt, wohl kaum so entwickelt hatte, wie die Welt ihn nun zu kennen glaubt. Sollte er jemals Psychiater finden, die ihm intellektuell und psychisch gewachsen sind, wird das eines Tages auch aktenkundig werden. Ob es die Öffentlichkeit je erfahren wird, ist freilich eine andere Sache. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Es ist meines Erachtens die andere Seite der Medaille Figuren, deren Taten man nicht einordnen kann, die man aber nicht pathologisieren möchte, mit dem Etikett »intelligent« zu versehen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass B.s Weltsicht auf das bestehende System von einem veritablen Hass geprägt ist. Es ist freilich kein blindwütiger und primitiver Hass, der in Verbalinjurien endet wie bei so manch dumpfen Neo-Nazi. Das läuft auf »gepflegterer« Ebene ab, rational und nicht weniger konsequent. B.s »Pamphlet« enthält konkrete Handlungsanweisungen für Anschläge, Ziele, Zielpersonen – und die Wirkungen, die damit erzielt werden. Bestimmte Konstellationen verwirft er auch. Das sind keine Überlegungen im diskurs-theoretischen Raum. Das sind keine fiktionalen Kriminalerzählungen, in denen Individualisten als monströse, blutrünstige Psychopathen geschildert werden. Das ist – wie man seit Freitag weiss – Realität.
Sie attestieren B. eine komplexe Sicht auf die Welt – ich das genaue Gegenteil. Natürlich erkennt er bestimmte Auswüchse einer sich liberal gebenden Gesellschaft, die hierüber ihre Werte droht zu verwässern. Das gelingt durchschnittlich gebildeten Menschen übrigens auch. Nicht umsonst hat die rechts-nationale Fortschrittspartei in Norwegen über 20% der Stimmen erhalten. Das, was B. dort beschreibt, ist längst in breiten Teilen der norwegischen Gesellschaft eingesickert – eben jenes Unbehagen an und in der Moderne. Ähnliches finden Sie auf der deutschen PI-Seite auch, wenn auch ein bisschen »rustikaler« formuliert.
Dennoch lässt er keine andere Sicht zu. Alles ist am Ende »marxistisch/multikulturell«. Es ist der Wahn derer, die alles »durchmischt« und »durchrasst« sehen. B. gibt am Ende die Vertreter des »marxistischen Multikulturalismus«, der unsere Gesellschaften angeblich dominiert, im wörtlichen Sinne zum Abschuss frei.
Eigentlich versuche ich »Find-ich-auch-Kommentare« zu vermeiden, aber in diesem Fall will ich betonen, dass mir diese Kritik der »angstgesteuerten Demontage« solcher Fälle wie dem von B. in dieser Klarheit und Offenheit sehr gut gefällt.
Man mag einzelne Punkte anders sehen, aber letztlich ist die Verdrängungsreaktion der meisten Medien indiskutabel und oberflächlich. Ich würde mir wünschen, man würde Leute wie B., die oft wie Spiegel der Angst vor uns selbst und möglicher Taten sind, zu denen man fähig ist, als Menschen deuten und versuchen, etwas dazuzulernen.
Es ist meines Erachtens die andere Seite der Medaille Figuren, deren Taten man nicht einordnen kann, die man aber nicht pathologisieren möchte, mit dem Etikett »intelligent« zu versehen.
Ja, so kann man das sehen. Diskurstheoretisch oder wie auch immer betrachtet kommt das hin. Nur auf mich trifft diese andere Seite der Medaille nicht zu. Ich habe nämlich keine Schwierigkeiten damit, Breiviks Taten »einzuordnen«. Allerdings weigere ich mich, den Täter für dumm zu halten und sodann in eine der üblichen Psycho-Schubladen zu packen, um endlich wieder meine Ruhe zu haben. Wohl auch deshalb hat Schopenhauer den Begriff »Journalist« mit »Tagelöhner« übersetzt.
Und was das Etikett »intelligent« betrifft: so hielt ich es schon immer für ratsamer, Menschen im Zweifelsfall lieber zu über- als zu unterschätzen. Vgl. hierzu die Kampagne aller ‘aufrechten Demokraten’ gegen den inzwischen legendären Buback-Nachruf des Göttinger Mescalero. Besonders empfohlen sei Ihnen jedoch einer meiner Blogbeiträge aus dem Jahr 2005. Stichwort: Fußfesseln für Langzeitarbeitslose.
Lieber Quirinius,
Sie liegen wohl relativ auf einer Linie mit:
- was die »Intelligenz« betrifft, finde ich die Vokabel sehr ungeeignet. Dazu vielleicht später mehr, zunächst, sehe ich die Klarsichtigkeit und Sensibilität, die Sie ihm attestieren nicht (ganz). Die Zitate, die Sie anführen lesen sich für mich schon wie ein American Psycho Verschnitt. Mag sein dass es solche Kreise gab oder gibt, solche Oberflächlichkeit – aber ist es nicht vielleicht nur ein ebenso oberflächliches Bild der Gesellschaft, das sich verselbstständigt hat und nun durch die mediale Vermittlung, die sich genau an jener Oberfläche aufhält, bestätigt zu sein scheint? (Die Sensibilität von der sie sprechen würde ich also einem Ellis oder Houllebecq sehr wohl zu sprechen, aber denen gelingt es ja dieses Bild so zu überformen, dass es wieder verhandelbar wird, dass es als grausam-wahres Zerrbild unserer Gesellschaft vor uns steht, während bei B. dies alles für bare Münze genommen zu sein scheint? – da würde mich gerade diese Stelle interessieren, die Sie von dem »afrikanischen gang-rape« zitieren, das liest sich so, als habe B. das tatsächlich selbst gesehen. Stimmt das oder hat er es nur im Fernsehen, Internet gesehen?) – Das ist vielleicht auch der Punkt warum Herr Keuschnig die Klugheit absprechen möchte: weil B. sich in seinem eigenen Weltbild so verrannt zu haben scheint, dass von diesem nichts mehr hinterfragt werden kann. Allerdings mag es schon so sein, dass analytische »Klarheit/Intelligenz«, die ja z.B. ein Ted Kaczynski zweifellos besitzen sollte, eben nicht vor Radikalisierung schützt.
In »Ergänzung 28.07.2011: Ein kluger Artikel von Kurt Kister in der SZ »Die Tat und ihre Propaganda»« wurde der Link falsch gesetzt.
Gruß
@Farris Spaugh
Danke für den Hinweis; Fehler korrigiert.
@Quirinus: Mich würden Hinweise auf die Journalisten bzw. Texte interessieren, die ABB dumm nennen sollen. In den Medien, die ich so lese, – das sind die klassisch bürgerlich-liberal-kosnervativen und, ich muss gestehen, Spiegel Online – taucht dieses Adjektiv kaum auf, sondern es wird versucht, ABB psychopathologisch zu erklären, oder sein 1.500-Seiten Copy and Paste-Konglomerat wird philologisch auseinandergenommen und kontextualisiert.
Vor Ihrer Formulierung
»Auf die Gefahr hin, daß man mich für geisteskrank erklären wird, halte ich Breivik nach wie vor für einen weit überdurchschnittlich intelligenten und (skandalöserweise sogar:) sensiblen Menschen, der sich, wäre er weniger begabt, wohl kaum so entwickelt hatte, wie die Welt ihn nun zu kennen glaubt. Sollte er jemals Psychiater finden, die ihm intellektuell und psychisch gewachsen sind, wird das eines Tages auch aktenkundig werden. Ob es die Öffentlichkeit je erfahren wird, ist freilich eine andere Sache. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf.«
stehe ich bei einem Menschen wie Ihnen, dem es so wichtig ist, sich selbst als jenseits der mainstreamigen Journalisten-Kanaille zu inszenieren, ratlos davor. Diese Figur ist doch übelster Psychokitsch aus dem Alice Miller »Drama des begabten Kindes« goes Hollywood-Psychothriller-Genre. Dann auch noch eine Verschwörungstheorie à la »Die Regierung wird uns das alles vorenthalten« anzudeuten, ohne den Mumm zu haben, sie direkt zu formulieren, nun ja... jeder nach seinen geschmacklichen Möglichkeiten.
ein beträchtlicher teil der von dem b. angegebenen 300.000 euro sind übrigens von ihm selbst geschätzter verdienstausfall. ich weiß nicht, ob es hilfreich ist, diese summe unkommentiert zu lassen.
zum hintergrund des textes hat mir außerdem ein interview mit jeff sharlet gut gefallen. dort geht es auch um den starken bezug zu publizisten aus dem englischen sprachraum.
das interview beginnt etwa bei der 13-minuten-marke.
.~.
@Phorkyas:
Da ich, um um zu belegen, was ich über Breivik gesagt habe, ein ganzes Buch über sein Konvolut und , will ich mich hier nicht weiter äußern, sondern nur sagen: daß ich Breivik zwar für äußerst intelligent halte, aber nicht für klug und also auch nicht für vernünftig. Am Fall Breivik ließe sich bestens demonstrieren, daß Intelligenz bzw. Verstand und Vernunft zweierlei Dinge sind – und wie es dazu kommen kann, daß ein intelligenter oder sogar hochintelligenter Mensch dem Wahnsinn verfällt und schließlich so handelt, als wäre er ‘dumm’. Breivik ist aber nicht ‘dümmer’ als (um nur eines von vielen Beispielen zu nennen) diejenigen, die dafür verantwortlich sind, daß im Namen der Freiheit Atombomben entwickelt und über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Er war nur so ‘dumm’, sich nicht im Rahmen der herrschenden Ordnung als Killer zu betätigen, für unsere enduring freedom.
Was die ‘gang rape’ betrifft, so können wir nicht wissen, ob Breivik das beobachtet hat. Mit Sicherheit aber hat er während seiner HipHop- und Tagger-Phase eine Menge übler Sachen mitbekommen, darunter höchstwahrscheinlich auch jede Menge all der geilen Vergewaltigungsvideos, die so viele Jungs aus der Szene auf ihren Handys haben und auch selber produzieren. Ich habe solche Jungs zwei Jahre lang unterrichtet. Einer davon sagte mir, er wolle »Killer« werden. Doch ‘zum Glück’ will er das in legalem Rahmen. Er will zur Bundeswehr. Ein anderer sitzt gerade im Knast. Er hatte einen kleinen Jungen vergewaltigt, war nach seiner Jugendstrafe bald wieder auf Bewährung freigekommen und hat sogleich, zusammen mit einem Kumpel, den nächsten Jungen vergewaltigt, einen Rollstuhlfahrer. Nur so zum Spaß; aus Langeweile. Sind solche Täter harmloser als Breivik? Nein. Sie sind nur weniger intelligent, gebildet, ausdauernd und zielstrebig, um das zu tun, was Breivik getan hat – und können uns deshalb auch keine Texte hinterlassen, die uns Einblick in ihre Köpfe gewähren und uns zeigen könnten, daß es darin nicht sehr viel anders zugeht als in unserer ‘Normalität’, wo alles wirr durcheinandergeht. Breivik aber hat uns alles hinterlassen, was wir wissen müssen, um endlich zu kapieren, daß Leute wie er oder meine ehemaligen Schüler keine monsters from outer space sind, sondern im Prinzip Menschen wir wir, aber eben durchgeknallte.
Bezeichnenderweise findet sich meine Sicht der Dinge bzw. ein Teil davon in ausländischen Zeitungsartikeln oder Blogbeiträgen sehr viel öfter als in hiesigen; so etwa auch in diesem Diskussionbeitrag der ehemaligen norwegischen Justizministerin Anne Holt, der gestern vom Wall Street Journal veröffentlicht wurde. Zu fragen wäre also auch, wie es dazu kommt, daß gerade in Deutschland so viele Kommentatorinnen und Kommentatoren bestrebt sind, Breiviks Tat als direkte Folge seiner ‘rechten’ Gesinnung zu betrachten und allen Ernstes zu glauben, man müsse nur die Köpfe von allem ‘Rechten’ säubern, um weitere Taten dieser Art zu verhindern. Doch die 70er Jahre haben ja gezeigt, daß auch ‘linke’ Gesinnungen dazu dienen können, durchgeknallten Jugendlichen und jungen Erwachsenen den ideologischen Überbau für Gewaltexzesse aller Art zu liefern. Ganz zynisch könnte man sagen: Jede Gesellschaft bekommt die (nur scheinbar) politisch motivierten Gewalttäter, die sie braucht, um sich selbst in diesen Tätern wiedererkennen zu können. Die sozialdemokratischen 70er brauchten die ‘linken Terroristen’; die neoliberalen 90er und Nuller brauchen Amokläufer und ‘rechte Mässenmörder’. Was sie aber am meisten benötigen, sind Menschen ohne ideologische Scheuklappen. Wären diese Menschen unter den sog. Gebildeten in der Mehrzahl, gerade auch in den Medien und im Bildungsbereich, dann wäre es zu vielen ‘linken’ oder ‘rechten’ Gewalttaten gar nicht erst gekommen, und so manch ein von allen vernünftigen Erwachsenen verlassener Jugendlicher säße jetzt nicht vor seinem Rechner, um als der nächste Megakiller in die Geschichte einzugehen.
@Quirinus: Danke für die ausführliche Darlegung. Sie scheinen mir so zu argumentieren: Um Terrorist / Massenmörder zu werden, muss man schon an einer schweren psychischen Störung leiden, aber wie man die dann auslebt, dass hängt an den konkreten Bedingungen, in denen man lebt. In gewisser Weise reklamieren Sie damit für solche Täter ja »mildernde« Umstände. Das finde ich ein sehr nachvollziehbares Argument, das aber in gewisser Weise auch die Bedeutung der politischen Äußerungen, durch die ABB und andere Terroristen ihr Handeln motivieren, begründen und kontextualisieren, komplett diskrediert. Das sind dann maximal Äußerungen, die sich auf dem Niveau der Schreberschen Wahntexte »verstehen« und zur Therapie nutzen lassen.
Was mich leider sehr stutzig macht, ist dann die Bemerkung
»Zu fragen wäre also auch, wie es dazu kommt, daß gerade in Deutschland so viele Kommentatorinnen und Kommentatoren bestrebt sind, Breiviks Tat als direkte Folge seiner ‘rechten’ Gesinnung zu betrachten und allen Ernstes zu glauben, man müsse nur die Köpfe von allem ‘Rechten’ säubern, um weitere Taten dieser Art zu verhindern.«
Dann scheint mir die ganze schöne Herleitung doch nur zur Exkulpierung von rechter Gesinnungsjournaille zu führen und übersieht, dass die konkreten Merkmale von ABBs Tat sich sehr gut aus seiner »rechten« Gesinnung heraus erklären lassen: Er hat sich die zukünftige sozialdemokratische Elite Norwegens ausgesucht, die er wie räudige Hunde abgeknallt hat. Dieses »Drehbuch« ist explizit rechts und wurde in Europa schon mehrfach umgesetzt. Brutale Angriffe gegen als links wahrgenommene Menschen sind in Deutschland übrigens garnicht so selten. Sie tauchen bisher nur sehr selten in den Medien auf (zu wenige Tote und Schwerverletzte ist zu vermuten) – und werden, wenn überhaupt eher als Bandenschlägereien oder typische Jugenpsychopathologien rezipiert und interpretiert. ABB hat ein 1.500-Seiten langen Text aus Internet-Texten kompiliert, um genau diese Interpretation zu verhindern. Und das sollten wir ernst nehmen.
Und noch was an dot tilde dot:
Vielen Dank für den Hinweis auf das Interview. Schon die im Text darunter zitierten Äußerungen von Sharlet entsprechen dem, was ich in meinem Blog bereits vor Tagen angesprochen habe: daß sich Breivik nicht auf das bezieht, was sich deutsche Leser vorstellen, wenn sie hören, er habe sich seine Ideologie aus ‘rechten Blogs’ zusammengeleimt, – sondern daß sich Breivik auf Publikationen von hochdekorierten US-Autoren wie William S. Lind & Co. bezieht – also auf Texte von Leuten, denen man (sofern man keine Scheuklappen trägt) definitiv nicht nachsagen kann, es mangele ihnen an rationaler Intelligenz. Tatsächlich mangelt es ihnen (so wie vielen ‘Linksintellektuellen’) ’nur’ an emotionaler Intelligenz. Ist beides nicht gleichermaßen vorhanden und wird das Gleichgewicht nicht immer wieder justiert, so kann die Unvernunft ihre Orgien feiern.
Ich kenne schon seit Jahren diverse der besagten amerikanischen Texte (darunter auch den von Breivik eingangs in voller Länge dokumentierten Sammelband über die Political Correctness, hrsg. von Lind) und meine schon seit Jahren, daß man sie dringend ernstnehmen sollte. Die einst so ‘gut gemeinte’ PC ist tatsächlich schon lange zu einem Instrument verkommen, dessen sich jeder bedienen kann, um alles ‘auszumerzen’, was ihm oder ihr nicht in den Kram paßt. Das gleiche gilt selbstverständlich auch für jede PC-Kritik, die auf der falschen Annahme beruht, es gebe eine ‘kulturmarxistische’ oder irgendeine andere ‘linke’ Verschwörung.
Überhaupt: ‘Verschwörung’. Dieser seit 9/11 leider auch in Deutschland inflationär gebrauchte Begriff dient nun schon seit damals ‘linken’ wie ‘rechten’ Autoren dazu, einander zu bekriegen. Leuten, die anderen Leuten unterstellen, sie seien ‘rechte Verschwörungstheoretiker’ oder ‘linke Verschwörer’, sollte man stets mit Vorsicht begegnen. Sie sind gleichermaßen borniert und arbeiten (wenn sie denn arbeiten: Texte vollständig und aufmerksam zu lesen und korrekt zu zitieren ist schon längst aus der Mode gekommen) mit den gleichen Tricks, um ihren jeweiligen Gegner lächerlich oder mundtot zu machen. Deshalb traue ich schon lange keinem ‘Intellektuellen’ mehr, der seinen jeweiligen Gegner nicht ausführlich zu Wort kommen läßt, Zitate aus dem Zusammenhang reißt und ‘interpretiert’ und ad hominem argumentiert. Seit den 70er Jahren gibt es immer mehr von solchen ‘Intellektuellen’. Man erkennt sie besonders gut daran, daß sie uns immer wieder sagen, es lohne sich nicht, den Text X oder Y zu lesen, da der Autor ein ‘Linker’ oder ein ‘Rechter’ sei. Deshalb traue ich stets nur Leuten, die uns dazu auffordern, einen kontroversen Text selbst zu lesen oder ein kontroverses Musikstück selbst zu hören (das jeweils in voller Länge), anstatt uns mit mehr oder minder subtilen Mitteln davon abzuhalten versuchen oder gar nach dem Zensor zu rufen.
@ Doktor D:
Keine Sorge; ich will niemanden exkulpieren. Was ich will, ist nur: daß wir alle uns nicht immer wieder in ‘Diskursen’ verzetteln, die uns daran hindern, den jeweiligen Sachverhalt ohne ideologische Scheuklappen zu betrachten; z.B. die Gewalt. Schon seit langem ist viel von ‘rechter’ Gewalt die Rede. Davon gibt es eine Menge, nun auch Breiviks Massenmord. Doch kann man daraus schließen, daß ‘rechte’ Gewalt schlimmer sei als ‘linke’? Nein. Man stelle sich nur einfach mal vor, was gewesen wäre, hätte es all das, was es heute gibt, bereits in den ‘linken’ 70ern gegeben, und diejenigen, die damals ‘revolutionär’ unterwegs waren, hätten sich mühelos vernetzen, bequem am Rechner ihre Hemmschwellen abbauen und sich mittels der Psychomethoden und Psychodrogen, die Breivik angewandt hat, zu effizienten Killern machen können, die ‘dem Volke dienen’. Hei! das wären Schlachtfeste geworden. (Eine meiner Genossinen wollte damals – ich zitiere wörtlich – »allen Feinden der Arbeiterklasse den Kopf abschlagen«. Das meinte sie ernst; sie litt aufgrund ihrer Kindheitsgeschichte an der Zwangsvorstellung, in ihrer Badewanne liege ein abgeschlagener Kopf, der mit ihr spreche. Wäre sie ein Mann mit Breiviks technischen Möglichkeiten gewesen: au weia.)
Nun solche Schlachtfeste möglich. Und da sich die Zeiten auch politisch geändert haben, werden sie eben von jungen Leuten veranstaltet, die während der 70er noch ‘links’ gewesen wären. Ich bestreite also entschieden, daß es einen prinzipiellen Unterschied zwischen ‘linker’ und ‘rechter’ Gewalt gibt. Für mich gibt es nur gewaltbereite Menschen, die sich je nach Intelligenzgrad und nach der Zeit, in der sie leben, politische und/oder religiöse Rechtfertigungen dafür zusammenbasteln, daß sie losziehen und andere Menschen töten können. Aus der Perspektive eines Opfers betrachtet ist es aber völlig unerheblich, ob es im Namen der Arbeiterklasse, im Namen Allahs oder im Namen der Rettung Europas vor dem Multikulturalismus massakriert wird. Und deshalb halte ich die nun schon so lange laufenden Kampagnen ‘gegen rechte Gewalt’ für fatal. Sie erwecken den Anschein, als wäre ‘linke’ Gewalt völlig in Ordnung. Und die einstigen Kampagnen ‘gegen linke Gewalt’ waren denn ja auch eine der Ursachen dafür, daß die jugendlichen Subkulturen zerbrachen und ‘Nazi-Skins’ und ‘Nazi-Punks’ wie Pilze aus dem Boden schossen. Man war nicht einfach nur mehr ‘halbstark’; man war plötzlich ‘politisch’. Daran hat sich bis heute nichts geändert, ebensowenig wie daran, daß die ‘Erwachsenen’ auf beiden Seiten der Barrikade immer bereit waren, die jugendliche Lust auf Randale für ihre Zwecke auszunutzen.
Kurz: Ich halte absolut gar nichts davon, zwischen ‘rechter’ und ‘linker’ Gewalt zu differenzieren. Das soll der Verfassungsschutz machen. Wir aber sollten, sofern wir gegen Gewalt sind, uns ganz unmißverständlich gegen jede Gewalt aussprechen. Ich spreche mich dagegen aus und akzeptiere keinerlei Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt. Das gilt übrigens auch für psychische Gewalt, die ja auch gern politisch gerechtfertigt wird. Die »Nazis raus« ist genauso dumm wie die Parole »Ausländer raus«. Wer ‘links’ und wirklich ‘gegen Ausgrenzung’ ist, der darf auch ‘Nazis’ nicht ausgrenzen, ja nicht einmal einen Wahnsinnigen wie Anders Behring Breivik (das entsprechende Statement der ehemaligen norwegischen Justizministerin habe ich oben verlinkt). Vielmehr muß er sich nach Kräften dafür einsetzen, daß wir alle vernünftig miteinander reden als verbal oder gar physisch aufeinander einzudreschen.
*
Nun muß ich aber wirklich mit dem Schreiben aufhören – und empfehle als Hintergrundlektüre zu allem, was ich sage, nur noch den Roman Die Geschichte der Abderiten von Christoph Martin Wieland. Vielleicht habe ich den Irrsinn der 70er Jahre nur überlebt, weil ich damals die gesamte 36bändige Göschen-Ausgabe von 1853 ff. gelesen und mich von diesem Mann besser verstanden gefühlt habe als von den allermeisten meiner Zeitgenossen. Daran hat sich, leider! bis heute nichts geändert.
Kurzer Zwischenruf: Ich hoffe, dass »Begleitschreiben« nicht bekannter wird. Bis jetzt sind nämlich nicht nur die (meisten) Artikel lesenswert, sondern auch viele Kommentare.
@Quirinus
Das, was Sie schreiben, finde ich sehr gut. Die Unterscheidung zwischen »links« und »rechts« sind natürlich Hilfskonstrukte. An Figuren wie Horst Mahler zeigt sich dann, wie beliebig diese Zuordnungen sind – und wie austauschbar.
Verbrechen, die von Kommunisten verübt worden sind, werden bei uns fast immer immer nachsichtiger und weniger scharf verurteilt. Dies ist natürlich eine Sichtweise, die sich aus der Geschichte speist. Die Verbrechen Stalins oder Maos werden häufig aus der historischen Lage heraus »begründet«. Auch bei den sogenannten Verirrungen von Intellektuellen ist man, was das linksextreme Spektrum angeht, immer nachsichtiger als bei rechten Gesinnungen.
Für mich sind »Nazis raus«-Aktionen, wie sie beispielsweise in sozialen Netzwerken praktiziert bzw. vorgeschlagen werden, Ausweis von Hilflosigkeit und auch Ängstlichkeit. Natürlich ist das negative Vorbild der Nachbar Österreich und die Kanonisierung der rechten Parteien (FPÖ und auch BZÖ) im Politik-Spektrum. Eine zweifellos unerfreuliche Entwicklung.
Naja, »Adorno« taucht halt so oft bei den Suchbegriffen auf, weil der Täter die Frankfurter Schule als ideologisches Headquarter des »Kultur-Marxismus« ausmacht.
Von daher schlechter Vergleich.
@palm
Mag sein. Aber »Broder« taucht nur aufgrund eines Interviews auf; die ganzen anderen Elaborate von ihm kannte der Autor offensichtlich nicht. Die anderen als Gesinnungsfreunde ausgemachten deutschen Publizisten, die vereinzelt als Co-Autoren- und/oder Co-Täter angesehen werden, kennt er wohl auch eher nicht. Das hat damit zu tun, dass diese Sachen nicht ins englische übersetzt sind.
Adorno nimmt er übrigens auch nur eher indirekt wahr; über den amerikanischen Autor Martin Jay.
@#15: Taten von Kommunisten werden milder beurteilt, sagen Sie. Grenzschützen aus der DDR wurden wegen Mordes verurteilt, bei Reichtspolizisten des NS-Staates forderte die FDP Generalamnesie. Von den Tötungsdelikten von Polizisten während der Siebziger Jahre ganz zu schweigen.
Linke und rechte Gewalt wird unterschiedlich behandelt, weil sie sich unterschiedlich artikuliert: Morde mit linksradikalem Hintergrund kamen in den letzten zwanzig Jahren praktisch nicht vor. Morde mit rechtem Hintergrund sind an der Tagesordnung. Erst neulich würde ein Mordanschlag auf eine Roma-Familie verübt, der in den Medien kaum mehr als eine Randnotiz darstellt, obwohl er eines Sinnes ist mit den Morden in Norwegen (wenn auch primitiver).
Und Stalin und Mao, die von den bürgerlichen Medien krampfhaft in eine »linke« Ecke gestellt werden, obwohl sie alles andere als progressiv-internationalistische Emanzipatoren waren (Def. von »links«), werden in denselben bürg. Medien auf eine Stufe mit Hitler und dem NS-Staat gesetzt, in Deutschland quasi zur Ausrede: schaut, böse Diktatoren gab es überall, als wäre Hitler nur ein böser Diktator gewesen.
Die These einer kulturellen Nähe zu linken Ideen ist geradezu grotesk: neoliberaler Mainstream, Fremdenhaß und Ablehnung alles Linken sind geradezu paradigmatisch für die Medienlandschaft seit den 90er Jahren und die postmoderne Kulturindustrie.
@Thom
Ich benutze nichts als »Ausrede«. Ihre Pseudo-Behauptungen und Diktionen gefallen mir nicht. Quirinus spricht gerade von der Aufhebung der Recht-Links-Dichotomien und das mit nachvollziehbaren Gründen. Und Sie liefern nichts anderes als Parolen.
Ich sehe einen Mangel an Mitgefühl von links bis rechts, von gläubig bis ungläubig. Der eine wiederholt seine Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung, der andere beschuldigt seinen Parteifreund bzw. Parteifeind der geistigen Mittäterschaft an dem vielfachen Mord, weil er ein Buch verfasst hat, das weder Frau Merkel gelesen hat, noch der Mörder.
Egal, was passiert, die meisten von uns fühlen sich auch danach in ihren Vorurteilen bestätigt.
Ich sehe diese Sache ähnlich wie Gregor Keuschnig, aber anerkenne auch die Anliegen der Gegenseite.
Wer glaubt, dass kein Diskurs besser ist, weil man damit keine Bühne und keine Anerkennung für so eine Tat bieten kann, ist genauso blind wie jemand der behauptet, dass eine Mehrheit zur vertieften Auseinandersetzung fähig ist (im Sinne von »momentan fähig«; nicht grundsätzlich »unfähig«).
Das Dilemma zwischen dem Wunsch keine Anerkennung zu bieten und die Schrift auf rationaler Ebene zu bestreiten ergibt sich eigentlich auch nur in einer Gesellschaft, von der Zweifel bestehen, dass sie genügend gebildet, kritisch und selbst-reflektierend ist. Im Zweifel wähle ich dann doch lieber die kritische Auseinandersetzung (vielleicht nicht unbedingt via klassischer Massenmedien), da ich mit dem Internet eher auf eine Besserung hoffe, als eine Verschlechterung.
Aus diesem Grund habe ich auch ein Wiki im Sinne von Guttenplag gestartet; leider fehlen mir derzeit nur die zeitlichen Ressourcen aufgrund meiner Abschlussarbeit...
@Quirinius: Danke für die ausführlichen Darlegungen.
Breivik ist aber nicht ‘dümmer’ als (um nur eines von vielen Beispielen zu nennen) diejenigen, die dafür verantwortlich sind, daß im Namen der Freiheit Atombomben entwickelt und über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Er war nur so ‘dumm’, sich nicht im Rahmen der herrschenden Ordnung als Killer zu betätigen, für unsere enduring freedom.
Vielleicht aber ist das der Reiz, die Faszination sich mit diesem Konvolut zu befassen. Viele Blogger begreifen sich wohl doch als außerhalb des Mainstream stehend, kultur-/medienkritisch, und so ist es eine gruselig-schöne Sache sich in diese Gedankenwelt außerhalb zu vertiefen (vielleicht sogar einen fernen Spiegel zu finden – was es ja noch um so gruseliger macht). – Allein wegen der Möglichkeit diese Linie zu ziehen (und aus Zeitgründen) nehme ich jedenfalls schon Abstand davon mich ernsthaft darin zu vertiefen... Zudem ist da vielleicht noch diese gewisse Aura/»Romantik«, die man Aussteigern noch andichten könnte (s. Into the wild, Unabomber) – eigentlich wird dann schon eine Erzählung daraus, d.h. B.s Leben liegt uns schon nicht mehr als Reinform vor (deren Existenz schon fraglich sein mag). Sie mögen recht haben, dass man viele, allzusimpel gestrickte Narrative der Medien verwerfen kann, allein indem man sich an den (originalen) Text hält, aber.. können Sie auch nachvollziehen, dass ich die Story vielleicht gar nicht hören will? Da hätte es vielleicht mehr Sinn »Verbrechen und Strafen« nochmal zu lesen, um sich den eigenen Dämonen zu stellen, wenn doch alles gewissermaßen schon »Literatur« ist?
OK, das ist jetzt alles noch sehr unscharf – wie so ein rechter Kulturmarxist das eben nur schwammig hinbekommt.
Kurz: Ich halte absolut gar nichts davon, zwischen ‘rechter’ und ‘linker’ Gewalt zu differenzieren. Das soll der Verfassungsschutz machen. Ich mag nicht in die gleiche ideologische Kerbe hauen, wie Herr Thom, und fragen auf welchem Auge ebendieser nun blinder ist.. aber nun ja, Aufforderungen die ideologischen Scheuklappen abzunehmen bzw. Ausführungen, die ausgewiesenermaßen ideologiefrei sein sollen, machen mich schon wieder misstrauisch und kitzeln doch nur wieder die Ideologen in uns heraus.
That said, sollte ich aber noch anfügen, dass ich den meisten Ihrer Ausführungen aber auch viel abgewinnen kann...
Obwohl ich heute abend nix mehr schreiben wollte, muß ich noch dies hier loswerden:
@ Thom:
>i>Und Stalin und Mao, die von den bürgerlichen Medien krampfhaft in eine »linke« Ecke gestellt werden, obwohl sie alles andere als progressiv-internationalistische Emanzipatoren waren (Def. von »links«) [...]
Ist die von mir fett hervorgehobene Definition für ‘links’ bzw. einen Anhänger der ‘Linken’ jetzt die ‘amtliche’? Ob ja oder nein: ich halte sie für fatal, da ich keinen Emanzipator benötige, also einen, der mich oder andere emanzipert. Ob und auf welche Weise ich mich wovon emanzipiere, entscheide allein ich selbst. Wer meint, er müßte mich gegen meinen oder andere gegen ihren Willen emanzipieren, der ist in meinen Augen ein Diktator. Und ich dulde keinen Diktator über mir.
Ebensowenig dulde ich über mir Menschen, die zu wissen glauben, was für mich und für andere ‘progressiv’ ist, mich und andere also zwingen würden, mit ihnen in die von ihnen bestimmte Richtung zu gehen, und sei’s auch nur im übertragenen Sinn. Ob ich jemals mit irgendwem irgendwohin marschieren werde, entscheide ich allein.
Schließlich dulde ich niemanden über mir, der mir und anderen sein ‘internationalistisches’ Weltbild oktroyieren will. Ich bin nicht irgendeiner von Milliarden geographisch und geistig frei flottierenden Kosmopoliten, sondern ein deziderter Bremer Lokalpatriot, deutscher Europäer und europäischer Kosmopolit. Ich spreche jedem das Recht ab, mir eine ‘internationalistische’ Identität aufzuzwingen. Wo alle alles sind, ist keiner mehr irgendetwas. Wer solch ein Nichts sein will, kann das gerne sein. Ich aber fühle mich nicht als solch ein Nichts und werde es niemals zulassen, zu einem solchen Nichts gemacht zu werden.
In Kategorien wie ‘Freund’ oder ‘Feind’ zu denken und zu fühlen war noch nie meine Sache. Doch an dieser Stelle erkläre ich zum erstenmal in meinem Leben schriftlich: daß ich jeden, der es wagen sollte, mich in irgendeiner Weise zu ‘emanzipieren’, also letztlich in seinem Sinne ‘umzufunktionieren’, als FEIND betrachten werde.
So.
Und nun dürfen wir alle uns noch einmal fragen, weshalb Anders Behring Breivik glaubte, Europa von den ‘Kulturmarxisten’ befreien zu müssen. Unter ‘Kulturmarxisten’ versteht er nämlich genau die Leute, die allen Ernstes meinen, sie seien dazu auserkoren, sich anderen Menschen gegenüber als progressiv-internationalistischer Emanzipator aufzuspielen. Wenn ich diesen Begriff höre, kommt sogar mir die Galle hoch. Was die zunächst nur gelegentliche und schließlich monomane Beschäftigung mit der dahinterstehenden menschen- und kulturfeindlichen Ideologie bei Breivik bewirkt hat, weiß inzwischen die ganze Welt.
Thom, – ich gehe davon aus, daß Sie es mit mir und mit uns allen gut meinen. Sie wollen die gesamte Welt von allem ‘Schlechten’ und ‘Bösen’ befreien. Das Problem ist nur: daß zumindest ich nicht von ‘progressiv-internationalistischen Emanzipatoren’ befreit werden möchte. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß es Millionen andere ebensowenig danach gelüstet. Der Begriff klingt so dermaßen abscheulich und ist so dermaßen aufgeblasen und hohl, daß (so wage ich zu behaupten) wohl die allermeisten Menschen (Akademiker wie Nichtakademiker) schon allein deshalb schlechte Laune und vielleicht sogar Angst bekämen, würden sie ihn hören. Wer wollte in einer Welt leben, die so katastrophal häßlich aussieht, wie Ihre Def v. »links« klingt? Ich jedenfalls würde niemals in einer solchen Orwelt leben wollen.
Übrigens habe ich nach dem Begriff Emanzipator gegoogelt und keine Erklärung dafür gefunden, allerdings jede Menge Verweise auf Star Wars:
Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie, Thom, mit Star Wars aufgewachsen sind? Unter dieser Voraussetzung könnte ich verstehen, daß Ihnen der Begriff Emanzipator keinerlei Unbehagen bereitet. Daß und weshalb ich sehr empfindlich darauf reagiere, habe ich bereits gesagt. Nun aber kommt noch etwas anderes hinzu, nämlich: daß mich schauderte, als ich sah und las, womit der Begriff Emanzipator konnotiert ist. Mit einer solchen Maschinenwelt will ich nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun haben; es sei denn im Rahmen einer künstlerischen Darbietung, der ich mich freiwillig ausgesetzt habe. Freilich könnte ich auch eine solche Darbietung nur ertragen, wenn sie Ironie und Witz enthielte.
À propos ‘Witz’. Was mich an der Diktion der allermeisten politisch aktiven ‘Linken’ schon immer gestört hat, ist deren Humorlosigkeit. Lese ich ‘linke’ Texte oder sehe und höre ich einen ‘Linken’ reden, sehe ich immer nur eine Farbe. Und das ist nicht etwa Rot und auch nicht Schwarz oder beides, sondern Grau. Immer nur Grau.
Wozu jetzt hier noch viele Worte machen? Zum Glück gibt es ja noch die Farbberatung von Loriot (Szene ab 2:10).
Ach! und noch @ Phorkias:
können Sie auch nachvollziehen, dass ich die Story vielleicht gar nicht hören will?
Ei freilich kann ich das nachvollziehen. Kein Mensch muß irgendeine Story lesen müssen; nur darf er, wenn er sie nicht oder nur häppchenweise gelesen hat, sich auch kein abschließendes öffentliches Urteil anmaßen, das auch für Laien nicht deutlich als ‘Bauchurteil’ erkennbar ist. Dies gilt vor allem für die sog. Multiplikatoren, also Lehrer und vor allem Journalisten, aber auch private Webseitenbetreiber, ja selbst Blog-Kommentatoren, die ernstgenommen werden wollen. Wenn einer sagt, er habe den Text X nur auszugsweise gelesen, aber den Eindruck, daß der Autor ballaballa sei, dann ist das völlig in Ordnung. Wenn sich hingegen ein Journalist erdreistet, über einen gerade erst aufgetauchten 1516-Seiten-Text zu schreiben, der sei ‘rechts’ und ‘wirr’ oder ‘genial’, dann ist das schon dem Leser gegenüber eine Unverschämtheit. Aber wehe, solch ein Pfuscher fühlt sich von einer Käseverkäuferin nicht sachkundig oder freundlich genug beraten. Er wird sich sofort bei deren Chef beschweren.
Nun aber höre ich auf: bevor Sie sich bei unserem Gastgeber darüber beschweren, daß ich Geschichten erzähle, die Sie gar nicht hören wollen [ich hasse Smileys].
Grüßend: Quirinus.
@Phorkyas
Abscheu und Faszination
Ja, es ist sicherlich eine gehörige Portion Abenteuerlust dabei, ein solches »Manifest« richtig durchzuarbeiten. Ich habe es nur höchst oberflächlich gelesen, wenngleich einem der Grundtenor sehr schnell klar wird und vieles nachher unendliche Wiederholungen sind.
Die Faszination liegt m. E. auch darin, dass in den Medien versucht wird, die Auseinandersetzung in die allseits bekannten Richtungen zu entdorgen. Da ist dann B. ganz schnell ein Psychopath (was sind das eigentlich für Ärzte, die solche Ferndiagnosen in den Medien abgeben?) oder ein »Irrer«. Diese Zuordnungen erfüllen den Wunsch nach Distanzierung. Das ist hier besonders schwierig. Das erste Foto, das ich von B. sah, zeigte ihn nicht in Uniform oder besonderer Pose. Er sah aus wie ein Passant aus der U‑Bahn. B. hat nun etwas gemacht, was uns im Kern erschüttert: Er hat das Ur-Vertrauen, ohne das eine Gesellschaft nicht funktionieren kann, aufgehoben. Die Sanktionsmechanismen versagen (das tun sie ja bei den Selbstmordattentätern auch – daher kommen wir damit so schlecht zurecht). B. bricht mit dieser Tat mit allen gesellschaftlichen Konventionen: Er knallt Menschen einfach ab. Er nutzt seine Macht, die ihm durch die Waffen verliehen werden. Instinktiv spüren wir, dass es vor solchen Exzessen keinen Schutz geben kann – zumindest, wenn man eine freiheitliche Gesellschaft aufrecht erhalten will.
Diese Verstörung kann nicht befriedigend verarbeitet werden. Indirekt droht ein solcher Täter, die Gesellschaft mit einer Paranoia zu infizieren. Wir brauchen eine Distanzierung – und sei sie in Form der Pathologisierung des Täters.
Aber die Forderung, B. nicht noch eine »Bühne« zu bieten, ist dabei kontraproduktiv. Wie auch Kister in seinem Artikel schreibt: Es funktioniert nicht. Nicht umsonst habe ich »Mein Kampf« als Vergleichsmedium herangezogen. Dieses Buch war jahrzehntelang für den öffentlichen Leser verboten. Das machte es noch interessanter. Ich wollte es unbedingt lesen und habe es endlich Ende der 80er Jahre geschafft, von einem Arbeitskollegen das Exemplar seiner Großeltern (es wurde zur Hochzeit geschenkt) zu lesen.
Statt das Buch als kommentierte Ausgabe (rechts der Originaltext / links die faktenorientierte Kommentierung) zu veröffentlichen, kursierte es in Osteuropa auf Wochenmärkten. Rechtsextreme bekommen es sowieso. Wozu also dieser Schutzgedanke? Die Lektüre zeigt übrigens, dass man danach nie mehr ahnungslos gewesen sein konnte: Etliches seiner »Politik« nahm H. vorweg. Der Fehler war in diesem Fall, dass dieses gräßliche Buch nicht gelesen wurde.
Und was Pat Mächler schreibt, treibt ja auch mich um. Es gibt Gründe, B. nicht noch das Wort zu geben. Aber ist jede kritische Auseinandersetzung mit diesen Äußerungen schon automatisch ein »Forum«? Macht man durch ein wie auch immer geartetes Verbot die Angelegenheit nicht nur noch mysteriöser? Ist es nicht so, dass die »Verschwörungstheorien»zum Beispiel was 9/11 angeht nur deshalb so blühen können, weil Ergebnisse von Untersuchungen unter Verschluss gehalten oder nicht vollständig publiziert werden?
Verschwörungstheorien entstehen ja zumeist aus einem Mangel an Transparenz. Wenn man die Auseinandersetzung mit dem »Pamphlet« auf eine elitäre Ebene stellt, würde damit Unterstellungen Tür und Tor geöffnet. Man darf auch nicht veregssen, dass bei vielen Bloggern das Vertrauen in den Journalismus nicht mehr besonders gross ist.
Ich kann und will mich auch nicht an einem Interpretations-Wiki über B.s Schrift beteiligen. Vielleicht sollte man so etwas anderen Leuten überlassen. Und ich muss auch davon keine Kenntnis bekommen. Es ist ja einer der Vorteile der Postmoderne: Niemand wird zur Rezeption gezwungen.
Quirinus scheint einem ziemlich naiven Individualismus anzuhängen. (Und einem krassen Nominalismus) Probleme dürfte bereiten, wer denn diese Person sein soll, die »selbst« entscheiden will, als wäre sie selbstursprünglich. Das Wort »Emanzipator« ist eine Persiflage von emanzipativ und Diktator. Wer das nicht erkennt, dem sind Linke wohl auch zu humorlos.
Ich möchte Sie übrigens nicht befreien, sie können ihre Paranoia zuhause lassen. Sie ist vom Schlag der Angst, die B. gegen die Muslime hegt. Ihre Berufung auf die Massen, spricht hinreichend gegen sie. Ebenso wie ihre Polemik gegen Intellekt. Als würde nicht jeder Gedanke längst dreifach zurückgestaucht.
Am Ende noch ein bißchen Maschinenstürmerei: Mit einer Maschinenwelt wolle man nichts zu tun haben. Ich weiß nicht, wo sie wohnen. In den Städten, in denen ich gewohnt habe, ist ihre »Maschinenwelt« nicht erst seit gestern Realität. Woran sie das Maschinelle festmachen, läßt sich nur erahnen: wohl an Fremdworten. (»Die Juden der Sprache,« Adorno). Diesen Geist verfocht die CDU in den 50er Jahren: Dialektik, Plenum, wer versteht das bitte? Und erhob einen Dummkopf zum Ideal ihrer Werbespots.
Ich habe ihnen keine andere Welt anzubieten, aber was sie in meinen Beitrag projizieren, ist kaum mehr als der Spiegel von dem, was ohnehin ist.
Und lieber Gregor, ich habe nicht ihnen etwas unterstellt, sondern darauf hingewiesen, daß in manchen Kreisen (CDU-Ortsvereinen etwa) Stalin verwendet wird, um Hitler zu relativieren.
Quirinus versucht, wie ich gerade erst merke, B. zu verteidigen: Gerade böse Menschen, »Feinde« wie ich seien es, die es rechtfertigen, daß B. von Kulturmarxismus spricht. Daß B. für alles und jeden einen völlig leeren »Kulturmarxismus« herabzieht: who cares?
(Immer unbegreiflicher ist mir allerdings, an welcher Stelle ich mich aufschwinge, irgendjemanden »emanzipieren« zu wollen. Unterstellung ist die beste Verteidigung der Unwahrheit. Advokaten des Herrn B. fällt dieses Mittel prominent zu.)
@Thom
Ihre beiden Kommentare offenbaren Ihren Diskussionsstil, der nichts anderes ist als eine Unterstellungssuada. Quirinus’ »Individualismus« wird gar nicht erklärt, er ist aber »naiv«. Sein »Nominalismus« (was ist das?) ist »krass«. Er hat natürlich keine Befürchtungen, sondern eine »Paranoia«. In »manchen« CDU-Ortsvereinen wird Stalin verwendet, um Hitler zu »relativieren«. Und am Ende wird aus Quirinus noch ein »Advokat« von B.
Ein Satz ist immerhin ein Lichtblick: »Unterstellung ist die beste Verteidigung der Unwahrheit.« Das erinnert man an Heinemanns Spruch von den drei Fingern, die auf einen selbst zurückzeigen, wenn man auf einen anderen mit dem Finger zeigt.
Nun, ich gehe davon aus, daß Menschen ihre eigenen Positionen reflektieren und zumindest Basisbegriffe der Geisteswissenschaften kennen:
Individualismus: Quirinus möchte alles selbst entscheiden, er soll Quell seiner Gedanken und Handlungen sein. Dabei muß er von sozialer Determination absehen, davon daß Sprache nur als kollektives Medium funktioniert, daß also seine sprachlich artikulierten Gedanken niemals »seine« sein können, schon weil das Medium, das er benötigt, um sie zu formulieren, eines ist, daß nicht von ihm stammt. Das ist allbekannt und eine Position, die das ignoriert, wie die von Q., nennt man deshalb (wissenschaftlich) naiv.
(Kant vertritt einen naiven Begriff von Sprache. Er war trotzdem kein Dummkopf.)
Nominalismus: die Meinung, daß Begriffe ihre Bedeutung durch Definition erhalten und eben genau das bedeuten, als was man sie zitiert, ohne daß dem Begriff
eine Entität (eine Sache) in der Wirklichkeit korrespondiert (entspricht).
kraß: im wissenschaftlichen so etwas wie: ohne Ausnahme, ohne Vermittlung mit anderen Positionen.
(Disclaimer: sicher könnte man alle Begriffe besser beschreiben, Ungenauigkeiten sind mir bekannt).
Und lieber Gregor, sie bemängeln bei allen anderen den Diskussionsstil (außer bei Q.) und gehen selbst auf nichts ein, qualifizieren, aber erklären selbst nicht.
Für sie ist es ein Argument, daß ich »Paranoia« statt »Befürchtung« schreibe.
Zitat Q.: »Sie wollen die gesamte Welt von allem ‘Schlechten’ und ‘Bösen’ befreien. Das Problem ist nur: daß zumindest ich nicht von ‘progressiv-internationalistischen Emanzipatoren’ befreit werden möchte. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß es Millionen andere ebensowenig danach gelüstet.«
Was soll denn bitte daran eine »Befürchtung« sein? Welche rationalen Anhaltspunkte gibt es, daß ich etwas derartiges auch nur in Erwägung ziehe? Angst ohne sachlichen Grund ist Paranoia. Deswegen verwende ich den Begriff. Ich glaube mit Recht. Ihre Replik scheint mir weniger gut begründet.
@ Thom:
Sollte das, was ‘ich’ jetzt schreibe, in Wahrheit gar nicht von ‘mir’ geschrieben werden, schon weil die Sprache, die ‘ich’ jetzt benutze, gar nicht ‘meine’ sein kann: dann gälte das selbstverständlich auch für ‘Ihre’ Worte und alle anderen hier und überall, bis hin zu Breiviks Manifest. Was auch geschrieben und gesprochen und getan wird: letztlich schreibt und spricht und handelt stets nur ‘das Kollektiv’. Wozu dann also noch irgendwelche Diskussionen? Es gibt uns ja gar nicht ‘wirklich’. Wir tun ja alle nur so ‘als ob’.
Mag sein, daß ich Sie wieder nicht verstanden habe und Sie mich nun für komplett debil halten; aber das ist mir egal, so wie das, wovon Sie sagen, es sei »allbekannt«, daß die sprachlich artikulierten Gedanken eines Menschen niemals »seine« sein können. Lebenspraktischerweise gehe ‘ich’ nämlich ganz einfach davon aus, daß ‘ich’ ICH bin und niemand sonst: ganz so wie Schopenhauer, der Die Welt als Wille und Vorstellung geschrieben hat, aber eben auch die Aphorismen zur Lebensweisheit. Beides habe ich mit 16 Jahren gelesen, und ich war – mit Verlaub – schon damals stets weise genug, um mich nicht philosophisch zu verzetteln; denn das macht nur schlechte Laune und Depressionen oder gar suizidal. Ich jedenfalls halte es für antisozial und geradezu pathologisch, sich und anderen – zumal im Rahmen einer Diskussion! – jede geistige und psychische Individualität abzusprechen: was man logischerweise tut, wenn man seinen Gesprächspartnern sagt, die Gedanken eines Menschen niemals »seine« sein.
Damit will ich, wohlgemerkt! nicht sagen, Sie seien antisozial oder was auch immer. Ich will Sie keinesfalls beleidigen. Doch ich muß an dieser Stelle darauf hinweisen, daß mir Gedanken wie der zitierte (der ja wohl von irgendeinem neueren französischen Philosophen stammt; zu meiner Zeit waren die an den Universitäten noch nicht in Mode) so vorkommen, als wären sie dem Gehirn eines Borderliners entsprungen. Es ist ja okay, von sich selbst zu glauben, man habe kein konsistentes Ich. Aber anderen so etwas einzureden halte ich für höchst problematisch. Wer sich darauf berufen kann, ‘in Wahrheit’ gar nicht selbst zu denken und zu handeln, der kann ja auch mit Recht sagen, er sei für nichts verantwortlich.
Genau diese Denke kennen wir nun auch (aber eben nicht ’nur’) von Anders Behring Breivik: der ja fest davon überzeugt ist, er habe tun müssen, was er getan hat: eben nicht als Individuum, sondern als »Tempelritter« im Namen der nichtmuslimischen Bevölkerung Europas und der gesamten Christenheit. Wären Sie, Thom, wirklich davon überzeugt, was Sie in Bezug auf mich und ‘meine’ Gedanken gesagt haben, dann wären Sie der beste Mann, um das Medium Breivik zu verteidigen und Freispruch zu fordern – oder aber, damit es nie mehr zu solchen Massakern kommen wird, die Todesstrafe für die gesamte Menschheit; also genau das, wovon Arno Schmidt einst geträumt hat: den kollektiven Selbstmord.
Das war mein Wort zum Sonntag.
@Thom
An Ihrer Sprache kann man Sie erkennen – daher schreiben Sie auch »Paranoia«. Sie unterstellen damit das, was Sie eigentlich belegen sollten. Und das dann denunziatorisch. Ansonsten hat Quirinus geantwortet. Und das sollte es auch sein.