Frank Schirrmacher sah sich genötigt, einige klare Worte zum Suhrkamp-Streit (ist es schon ein Drama?) zu sagen. Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen. Aber wie so oft, wenn auf FAZ oder in irgend einem anderen sogenannten Leserforum dann die Kommentare hereinpurzeln, sind diese noch von einer ganz anderen »Qualität«.
Dem hohen Ton des drohenden Untergangs vom ein oder anderen Autor oder Weggefährten wird das Schulterzucken entgegen gesetzt. Was soll das denn? Suhrkamp sei doch nur ein Verlag. Die sogenannte Suhrkamp-Kultur (in der Tat eine schreckliche Formulierung) ist für die meisten Kommentatoren elitär, gestrig, zu vernachlässigen, habe sich überholt. Ihre Protagonisten seien alt, verbiestert und – natürlich – Intellektuelle, die nicht mit Geld umgehen können. (Wie blödsinnig dieses Vorurteil ist zeigt sich, wenn man die Briefwechsel Unseld mit Bernhard und Handke liest.) Man gönnt ihnen teilweise auch den Absturz.
Über die Opel-Schließung wird mitleidvoller diskutiert als über die Möglichkeit des Zerschlagens dieses Verlages. Natürlich sind bei Opel mehr Menschen betroffen, dafür sind die Verhältnisse aber klarer. Die Entrüstung über die Schließung von Opel resultiert vor allem daraus, weil nahezu jeder ein Auto hat und sich mit diesem Objekt identifizieren kann. Bei Büchern sieht das schon etwas anders aus. Es ist also, um es etwas plakativ zu formulieren, eine Frage der religiösen Anhaftung, die dem jeweiligen Gegenstand entgegen gebracht wird. Gefährt oder Geist? Die Prioritäten sind klar.
Aber es ist noch etwas anderes, was die Shitstormer da zeigen (und, wie man befürchten muss, eine gewisse Repräsentanz sichtbar wird): Es ist ein amorpher, sich schleichend verfestigender Anti-Intellektualismus, der sich in diesen rüden, grobschlächtigen Äußerungen zeigt, die zu dem meist ohne jegliches Wissen als Affekte abgesondert werden (»Shit« halt). Der Abneigungsfuror nimmt zuweilen talibaneske Formen an.
Wenn sich die jetzigen Geschäftsführer und Teilhaber ihrer Aufgabe nicht würdig erweisen, soll von mir aus der Suhrkamp Verlag in den Orkus verschwinden oder sich aufteilen. Er hat ja – was die wenigsten wissen – seinen Ursprung in einer komplizierten Teilungsgeschichte zwischen Fischer und Suhrkamp, erzwungen durch die Nazi-Zeit. Danach konnte man sich dann auch nicht mehr einigen und es blieb lange eine Glaubensfrage: Fischer oder Suhrkamp? Beide Verlage haben es überlebt, weil sie Kommerz mit Kultur zusammendachten. Diese Balance droht nun Suhrkamp zu zerreissen (übrigens nicht nur Suhrkamp, sondern etliche Unternehmen, in denen Finanzinvestoren überzogene, branchenunübliche Rentabilitätsforderungen stellen). Häme oder Gehässigkeiten zeigen vor allem eines: Fortschreitende Dummheit. Das Schlimme ist, dass man sich dieser inzwischen nicht einmal mehr schämt.
PS: Links auf aktive Verfechter des LSR setze ich derzeit nicht.
Da meckert man über die Leserkommentare – aber es gibt tatsächlich aus Ausnahmen, beispielsweise hier.
Mein Eindruck ist ein anderer: Ich sehe da keinen schleichenden Anti-Intellektualismus, sondern eher das Gegenteil. Die einstmals führenden Verlage, darunter eben auch Suhrkamp, haben im letzten Jahrzehnt zu einer intellektuellen Verflachung beigetragen, indem sie, ganz ähnlich der Film- und zuvor der Musikbranche, immer mehr auf einzelne Spitzentitel gesetzt und dabei den Aufbau von Autoren vernachlässigt haben. Die zahlreichen Neugründungen kleiner Verlage, die gezielt auf anspruchsvolle Programme setzen (und damit freilich immer ums Überleben kämpfen) haben diese entstandene Lücke gefüllt. Die Häme, die sich nun in vielen Kommentaren zu Suhrkamp zeigt, reagiert darauf, dass ausgerechnet in der aktuellen Notlage der Verlag sich aber wieder als Bannerträger des Intellektualismus darstellt – in strategischer Verkennung nicht nur der eigenen Entscheidungen der letzten Jahre, sondern letztlich des Zustandes der ganzen Branche. Der Shitstorm zeigt daher meiner Meinung nach vor allem, dass die Leser sich nichts vormachen lassen und diese Zusammenhänge sehr wohl durchschauen – anders leider als viele der Suhrkamp-Autoren, die sich jetzt zu Wort melden.
@Thorsten Krämer
Die diversen Short- und Longlists (auch die »Bestenliste«) – man mag von ihnen halten, was man will – zeigen das Gegenteil an. Clemens J. Setz, Stephan Thome, Uwe Tellkamp, Judith Schalansky, Andreas Maier – alles Beispiele für den »intellektuelle Verflachung« bei Suhrkamp? Was für ein Unsinn. Das bedeutet nicht, dass man hier und da »Speck« angesetzt hat, d. h. eine gewisse Bräsigkeit eintrat. Und tatsächlich: So manches Buch wäre wohl unter dem »alten« Unseld nicht bei Suhrkamp erschienen.
Der Shitstorm zeugt von veritabler Unkenntnis und Affekten. Diejenigen, die am lautesten rufen sind doch nicht diejenigen, die die kleinen, ambitionierten Verlage unterstützen. Ansonsten würde die Lage ja anders aussehen; sie sprechen das selber an, dass die ambitionierten Verlage schwer zu kämpfen haben. Das ist im übrigen – ich habe dies hier oft betont – ein Versäumnis des Feuilletons, das tatsächlich nur auf große Namen kapriziert ist.
Spinnt man die Agenda weiter, geht es fast gar nicht mehr um Suhrkamp. Es geht darum, ob Verlage wie normale Wirtschaftsunternehmen mit eindeutigen Rentabilitätsvorgaben geführt werden sollen. Und es geht darum, was das bedeutet. Dabei würden womöglich die Hälfte der aktuellen Suhrkamp-Titel nicht mehr verlegt werden, weil sie entweder zu wenig oder gar keine Gewinne abwerfen (oder, als dritte Möglichkeit, zu spät). Es geht um die Turbo-Kommerzialisierung des Buchmarktes (kommerziell ist er schon sehr lange; mit eben fast allen Auswüchsen). Der von Ihnen (mir Recht) so hochgehaltene Kleinverleger würde – das ist für mich das Paradoxon – mit einer Zerschlagung Suhrkamps – auch leiden; und zwar indirekt.
Am Treffendsten hat die Kalamität der Schriftsteller Josef Winkler in einem Interview ausgedrückt. Sinngemäss sagte er, dass sich die Frage nach einer Abwanderungen von ihm zu einem anderen Verlag sollte denn Herr Barlach die Geschäftsführung übernehmen bzw. dominieren, gar nicht stelle. Der Verlag würde ihn, Winkler, gar nicht mehr verlegen!
Ich springe T. Krämer bei, etwas differenziert: den einen ist es egal, weil schon immer, ein paar wenige sehen darin die Quittung.
Ich verstehe alle Positionen, sie sind überaus klar in der Motivation.
SUHRKAMP hat in den letzten 10 Jahren zur Verflachung beigetragen, ja! Aber was hätte man tun sollen? Die Verflachung hat ja stattgefunden, und wurde nicht willkürlich hintertrieben. Eine Salon-Kultur zur repräsentativen Cachierung kommt einem ziemlich dekadent vor. BARLACH hat bestimmt einfachere Motive. Dass er den Substanzverlust wahrnimmt, ist aber nicht ausgeschlossen.
Ich komme gerade von einer Website über eine Theaterbesprechung, und da fiel der schöne, verzweifelte Satz:
–Die Zukunft ist tot, die Vergangenheit ist geblieben.–
Ich erlebe einen Kulturverfall allergrößten Ausmaßes.
d.h. auch das Denken ist kaputt. Das muss man in Deutschalnd immer dazusagen, weil sonst jeder meint, das sei ne rein äußerliche Angelegenheit.
Wer den Substanzverlust der Intellektuellen nachvollziehen möchte, lese Durs Grünbein in der FAZ. Traurig, aber schriftlich!
@die_kalte_Sophie
Zur angeblichen Verflachung bei Suhrkamp habe ich ja schon was geschrieben. Die Häme in den Leserkommentaren kommt jedoch nicht aus den nicht mehr erfüllten Ansprüchen; das Gegenteil ist der Fall: Man wirft dem Verlag und den Autoren ja gerade Elitarismus vor.
Spontan stimmt man Ihnen ansonsten zu, aber das ist doch auch nur ein kulturkritisches Parlando, welches in unzähligen Variationen vorgetragen wurde bzw. spätestens seit Goethe fast kanonisiert scheint.
Als Außenstehender sehe ich es auch eher nietzscheanisch: Eine Institution, die sich überlebt hat, warum auch immer, soll eben untergehen.
Das wäre auch im Sinne einer Evolution, wenn nicht der Literatur dann doch ihrer berüchtigten Produktionsbedingungen – und das meint eben auch der „kulturellen“, die sich manchmal zu ändern haben. Und es meint auch keine Missachtung von „Verdiensten“, aber Heilige Kühe gibt es im Standard-Wertesystem der deutschen Kultur-Intellektuellen übergenug.
Ansonsten sorgt der Betrieb eben für den Fortbestand des Betriebs – auch das Feuilleton arbeitet da plötzlich an einer Erzählung, in der es zu stark selbst vorkommt, als dass es nicht seine allzu bewahrende Rolle einmal eindeutiger befragen müsste. Und wenn es stimmt, was Kämmerling da kolportiert – denn es ist ja doch eher eine Kolportage: die schmutzige Wäsche, von der man als Außenstehender so gern liest -, so muss diesem Außenstehenden noch etwas merkwürdiger vorkommen.
Gut, immer gibt es auch mehr Hintergründe als der Platz sie zu erörtern und abzuwägen gerade hergibt. Aber mir scheint, sogar der sonst so gern mal grandseigneurhafte Ich-bin-dabei-gewesen-Schirrmacher bleibt doch verdächtig unter seinen kritischen Möglichkeiten. Laufendes Verfahren? Womöglich ist es allen Verstrickten („Kultur-Deutschland“) schon viel zu sehr auf und davon.
Ich überlege nur, warum die sich zur Causa äußernden Autoren – auch die, die ich schätze – in meinen Augen eher enttäuschende Figuren abgeben. Weil es eigentlich um etwas sehr Weltliches, ja, Banales geht, das sie mit eben ihrer Profession sonst zu meiden trachten? Weil sie ihre Reflexionshöhe verlassen bzw. nicht lange genug über ihre Stellungnahmen nachgedacht haben? Weil zum Teil eine emotionale Haltung, Bindung an eine eben doch nicht so ideale Mutter – Vater- Instanz eine starke Rolle spielt?
Poetische Entscheidungen müssen eiskalt getroffen werden.
@herr.jedermann
Ich überlege nur, warum die sich zur Causa äußernden Autoren – auch die, die ich schätze – in meinen Augen eher enttäuschende Figuren abgeben.
Es gibt m. E. zwei Gründe: Der eine ist ein banaler – man will beim Bestehenden bleiben. Angestellte in Unternehmen, die an sogenannte Heuschrecken drohen veräußert zu werden, reagieren ähnlich. Hier werden die Angestellten nicht befragt, sondern der »Markenkern«, vulgo: die Autoren. Der zweite Grund könnte darin bestehen, dass man schnöde Vorgänge nicht auch noch intellektuell hochstehend kommentieren kann. Von dieser Warte aus betrachtet, finde ich die Äußerungen gar nicht so schlecht.
(Einer hat es früh erkannt: Handke. Es geht tatsächlich »nur« um Geld. Seine 100.000 Euro interessieren jemanden wie Barlach natürlich nicht. Am Ende geht es um die Bewertung des Unternehmens; noch einmal der Hinweis auf diesen Kommentar.)
Zur Verflachung: Was die von Ihnen genannten Namen angeht (Clemens J. Setz, Stephan Thome, Uwe Tellkamp, Judith Schalansky, Andreas Maier) – da sind drei sehr junge Autoren dabei, die erst jüngst bei Suhrkamp untergekommen sind. Die können wohl kaum für eine generelle Entwicklung der letzten zehn Jahre als repräsentativ herhalten. Es mag tragisch sein, dass der Verlag gerade in dem Moment die Quittung bekommt, wo er bereits angefangen hat, auf der Programmebene gegenzusteuern, aber die Fehler der Vergangenheit werden dadurch nicht besser.
Die Turbor-Kommerzialisierung des Buchmarkts – wer hat die denn vorangetrieben, wenn nicht die Verlage selbst?
Sich gegen Elitarismus zu wenden ist übrigens nicht dasselbe wie Anti-Intellektualismus. Es fällt der Öffentlichkeit halt irgendwann mal auf, dass viele Autoren gerne zu allem schweigen, aber plötzlich das Wort ergreifen, wenn es um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen geht. In der aktuellen Urheberrechtsdiskussion ist das ja auch sehr schön zu sehen.
Es fällt der Öffentlichkeit halt irgendwann mal auf, dass viele Autoren gerne zu allem schweigen, aber plötzlich das Wort ergreifen, wenn es um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen geht.
Was ist daran verwerflich? Sollen nur die mitreden dürfen, die als Konsumenten auf ihre vermeintlichen Rechte pochen?
Nun ja, offenbar gibt es noch eine Öffentlichkeit, die Intellektuelle für Menschen hält, die über ihren eigenen Tellerrand hinausschauen. Dass diese Hoffnung aber eine trügerische ist, das lernen gerade viele und reagieren entsprechend.
@Thorsten Krämer
Sorry, aber das ist das auch nur so ein vorproduzierter Brei. Als würden Leute wie Habermas, Kluge, Sloterdijk und Enzensberger nicht über ihren Tellerrand hinwegblicken. Das ständige Lamento, die Intellektuellen mischten sich nicht genug ein, ist doch kalter Kaffee: Wenn sie’s tun, werden sie – sofern ihre Äußerungen dann als abseitig empfunden werden – abgewatscht und ihre Naivität beklagt. Dann gibt es natürlich noch Vorzeigepuppen und ‑püppchen, die zu alles und jedem ihren Senf abgeben. Auch das wird dann kritisiert.
Noch einmal: Warum soll ein Autor, eine Autorin nicht auch ihre Besorgnis zeigen dürfen, wenn im Fernsehen Opel-Betriebsräte dies für ihre Kollegen ebenfalls tun? Und die Aussage, es ginge ihnen bei ihren Stellungnahmen ausschließlich um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen, ist ja per se schon eine üble Unterstellung.
Irgendwie wählen Sie immer sehr unglückliche Beispiele – könnten Sie auch einen deutschen Autor unter 60 nennen, der sich in der genannten Weise einmischt?
Ok, die jungen haben Sie ja schon weiter oben genannt, aber wofür stehen die?
Ich habe gar nichts dagegen, dass Autoren ihrer Sorge um Kollegen Ausdruck verleihen. Die Frage ist nur, in welcher Funktion sie das tun. Hier überlagern sich nämlich zwei Aspekte. Der Opel-Angestellte kommt vielleicht zufällig mal in den Medien zu Wort, wenn es nämlich gerade um sein Werk geht. Autoren dagegen haben weitaus größere Möglichkeiten, sich medial zu äußern, denn ihr Werk wird zu einem Teil der Öffentlichkeit, dadurch entsteht immer auch ein gewisses Interesse an ihrer Person. Mit diesem Interesse kann man nun unterschiedlich umgehen – man kann es nutzen, um auch Themen anzusprechen, die einen nicht unmittelbar angehen, wie es der Typus des klassischen Intellektuellen tut. Oder man zieht sich auf die Position zurück, man sei ja als Intellektueller nicht Spezialist für alles, und hält sich entsprechend zurück. Das ist, soweit ich es überblicken kann, die vorherrschende Haltung der deutschen Autoren unter 60. Es gibt für diese Einstellung ja auch durchaus gute Gründe.
Nur, und das ist eben der Haken an der Sache – man kann dann, wenn man sich schließlich doch zu Wort meldet, dies nicht mit der althergebrachten Geste und Autorität des klassischen Intellektuellen tun. Das geschieht aber gerade immer häufiger, und genau gegen diese Unaufrichtigkeit richtet sich der Shitstorm, die Häme etc. Das Resultat ist, dass diese Autoren gerade den letzten Rest ihres Rufs verspielen, denn genau in dem Moment, in dem sie sich noch einmal in der großen Pose des Intellektuellen in Stellung bringen wollen, machen sie sich als schnöde Lobbyisten in eigener Sache kenntlich.
Die Öffentlichkeit ist da vielleicht einfach sensibler, als man es ihr gemeinhin zutraut.
@Thorsten Krämer
Ich verstehe Sie nicht. Jetzt werden auf einmal Alterskriterien herangezogen, nach denen sich ein Autor einmischen soll. Besteht denn eine Verpflichtung sagen wir vor dem 50. Lebensjahr eine politische Äußerung getätigt zu haben? (Da fällt mir Andreas Maiers’ Reportage zu Gorleben sein – gilt das jetzt?)
Ernsthaft: Das was Sie als »typischen Intellektuellen« bezeichnen ist doch nicht mehr als Wunschdenken – oder eher das Gegenteil: Stellen sie sich vor, wir würden von Intellektuellen regiert! Das wäre die Apokalypse. Woher stammt der nicht auszurottende Gedanke, dass Leute, die fiktionale Erzählungen oder Theaterstücke schreiben, auch in anderen, politischen und gesellschaftlichen Dingen per se kompetent sein müssen? Fast die gesamte Geistesgeschichte zeigt zumindest exzessive gegenteilige Beispiele auf. Dieses Denken mag noch Relikt aus der 68er Zeit sein (da hatte man die Kriegsjubler vor dem Ersten Weltkrieg und Jünger & Konsorten vor dem Zweiten vergessen). Bei Hans Werner Richter in den Tagebüchern kann man exemplarisch nachlesen welche Allianzen da geschmiedet wurden und wieder auseinander gingen. Die Leute waren damals jünger – es sind übrigens immer noch die selben. Wenn es also einen Vorwurf gäbe, dann der, dass diese nicht aufgehört haben. Aber auch das vermag ich ihnen nicht anzulasten.
Shitstorm ist – das sagt schon der Name – arschlochproduziert. Nicht mehr und nicht weniger. Es sind billige Affekte: Sie kosten nichts, schaffen Erleichterung und man bekommt – für kurze Zeit – Anerkennung. Im Wilden Westen war das der Lynchmob. Inzwischen läuft das nur noch virtuell. Immerhin. Die »Sensibilität« der Öffentlichkeit ist sehr oft exakt das Gegenteil: Neid, Missgunst, Häme, Argwohn. (Ach ja: Nicht, dass ich selber frei von diesen Dingen wäre.)
Sie verstehen mich in der Tat nicht. Ich versuche es trotzdem erneut:
In den letzten 20 Jahren hat sich in Deutschland unter den nachwachsenden Intellektuellen ein Konsens gebildet, dass Intellektuelle eben nicht das Gewissen der Gesellschaft etc sein sollten – Sie selbst haben ja Gründe dafür genannt, ich schrieb ebenfalls oben schon, dass es gute Gründe für diese Haltung gibt.
Diese Entwicklung korrelierte mit einer Kommerzialisierung des Buchmarkts, auch da sind wir uns offenbar einig.
Beides zusammen hat zu der Lage geführt, in der wir uns jetzt befinden. Die Preisfrage ist also: Wie verhalten sich die Intellektuellen nun? Und da reagieren leider viele so, als hätte es die letzten 20 Jahre nicht gegeben. Sie pochen auf ihre Rechte, auf einmal hängt das Wohl der Gesellschaft wieder von ihrem Wohl ab – nachdem sie genau diesen Konnex zuvor konsequent negiert haben. Auch die Verlage wollen auf einmal mit ihren Strategien der letzten Jahre nichts mehr zu tun haben. Das ist schon alles sehr eigenartig, finden Sie nicht?
Mein Schluss daraus ist nicht, dass es eine Rückkehr zum klassischen Intellektuellen braucht; man sieht ja gerade, dass diese Option nur zum Schmierentheater taugt. Nein, die Frage wäre, wie man die Haltung der Vergangenheit integer fortführen kann. Und da wären die Autoren zum Beispiel gut beraten, jetzt wirklich jedes Sonderrecht für ihre Tätigkeit zu verweigern und stattdessen nach gesellschaftlichen Alternativen zu suchen.
Ich bin noch einmal bei Krämer, wir müssen die Generationen, die im Moment Zeitgenossen sind, schon auseinander halten: die 29er, die 47er, und die 68er, wobei damit die Geburtenjahre gemeint sind. Die ganz jungen Autoren können nicht für die Aussetzer, d.h. für die schwachen 47er, und die »bemühten, aber zu leichten« 68er herhalten. Die haben ja gar keine Anknüpfpunkte mehr.
Auch kann ich keinen Wert-an-sich in der Intellektualität entdecken. Auch Krämer wird hier nicht deutlich. Sollen die I. nun etwas Licht ins Gegenwart-Dunkel bringen, oder nicht? Ich bin dafür, keine Frage. Aber wer sich bewirbt, muss abliefern. D.h. er muss ungefähr die Wirtschaft, die Politik und die Religion verstanden haben, etwas Literatur und Philosophie wäre nicht schlecht, aber bitte in dieser Reihenfolge. Wir haben keine Zeit für geistige Übungen im öffentlichen Raum.
Geht es womöglich doch um die leidige Alternative Geist oder Geld? Vielleicht fehlt es den Schriftstellern da plötzlich allzu offensichtlich etwas an ihrem Intellektualismus? (Sowohl dem geforderten als auch dem notorisch fehlgehenden.) Vielleicht erwartet man mehr als das bekannte Ich-sorge-mich-um-meinen-Arbeitsplatz à la „Schlecker-Frauen“ und „Opelanern“?
Nicht, dass ich mir selber den Luxus irgendeines Hochmuts erlauben dürfte, aber persönlich gesprochen: Ich fand / finde es immer etwas zwiespältig um solche, mutmaßlich unattraktive, vor allem aber die Abhängigkeit verlängernde Arbeit auch noch zu „kämpfen“ aufgefordert sein, weil es sozialer Usus geworden ist. (Und damit erneut in eine Verblendung zu geraten, eine aus staatlicher Hilfe: oft genug eine weitere so politisch fragwürdige wie von Realitäten abgekoppelte.)
Kann es sein, dass das, also die Enthüllung der wirtschaftlichen Zusammenhänge vermeintlich glamouröser Akteure alle etwas ärmlich aussehen lässt? Es hat etwas von Entschleierung der mutmaßlichen Freiheit eines Geistesarbeiters nun zu sehen, wie sie an noch seideneren Fäden hängen. (Dabei: Auch ich verstehe natürlich so jemanden wie Josef Winkler sofort. Auch bei ihm ginge es dann um „Affekte“.)
Und vielleicht hat es noch mit einer größeren Sache zu tun – einer, gegen die der Intellektualismus alten Schlages eh „alt aussieht“: Mit der Ökonomisierung nun auch noch der Elfenbeintürme. (Von daher läge P.H. mit seiner Reaktion gegenüber Barlach noch richtiger als etwa Enzensberger, der – verstehe ich auch – zum Studium der entscheidenden Papiere „keine Lust hat“.)
Ich bin – wohl vergeblich – gegen jede weitere Amerikanisierung hiesiger Verhältnisse. Aber so eine gewisse Selbsterlesenheit alten Schlages geht eben auch nicht mehr. (Dazu im Land der Kultur-Subventionen, der faktisch unverhältnismäßigen Opern-Etats, der 800-Literatur-Preise und so weiter (oder waren es 1800?) – und jetzt auch noch des Leistungsschutzrechts zur Abmilderung von – eigentlich – „Minderleistern“.)
Um weiter polemisch zu bleiben und es zuzuspitzen: Wenn die Schriftsteller (Übersetzer … aber auch Verleger) von ihren Büchern nicht / kaum leben können – warum sollte man dann den an dieses Über-Leben angekoppelten Instanzen, den die falschen Bilder vorgebenden Reputations-Kulissen die Nachlässigkeiten oder finanzielle Phantastereien nachsehen? Eine solche Ulla-Villa und die steuerrechtlichen Konstruktionen drum herum sind, wenn nicht großkotzig und auch wirtschaftlich irgendwie verfehlt (so etwas ginge auch in Frankreich kaum noch, es sei denn von eigenem Geld der Verlagsgruppeneigner), so zumindest gegenüber den drum herum gruppierten, faktisch prekariatisierten Autoren zumindest unverhältnismäßig.
Vielleicht liege ich ganz falsch, aber Josef Winkler kann ich mir in Nikolassee nicht vorstellen. Ist er dann noch Winkler? Ist er da noch Suhrkamp-Autor? Ober schon in einem Elfenbeinareal 2.0 ?
(/ Ende Polemik)
@Thorsten Krämer
Teilweise verblüffende Einigkeit. Gut. Aber wo pochen die sogenannten Intellektuellen auf ihre Rechte? Sie sagen nur, dass Suhrkamp nicht zum reinen Wirtschaftsunternehmen sehen wollen. Sie »drohen« mit Weggang- Winkler (übrigens ein sehr politischer Autor; wird erst im nächsten Jahr 60 [Ende Polemik]) sagt ja indirekt, dass das gar keine Drohung ist, weil ein Verlegertypus wie Barlach ihn sofort hinauskompromittieren würde. Das würde womöglich auch für viele andere Autoren gelten (jeder hofft natürlich, dass er es nicht ist). Handke will 100.000 Euro einsetzen – wobei er natürlich genau weiss, dass es dazu niemals kommen wird. Wo pocht da jemand auf sein ökonomisches Überleben?
@die_kalte_Sophie
Ich bin mit Krämer (hoffentlich) einig, dass der sogenannte klassische« Intellektuelle, d. h. der Resolutionitis-Unterschreiber, gar nicht mehr erstrebenswert ist. Noch einmal: Wo haben Intellektuelle, die sich in tagespolitische Dinge eingebracht haben, positiv reüssiert? Da muss man womöglich sehr lange suchen.
@herr.jedermann
Viel Wahres. Aber dennoch: die »Ulla-Villa« ist einfach buchhalterisch falsch rubriziert worden. Man vermischte Privates mit Geschäftlichem. Bei Angestellten führt dies zur Kündigung (es gibt da ja drastische Urteile). Im vorliegenden Fall war es der Hebel.
Aber UBU kann auch anders. In 2012 bekam sie vom Land Berlin 1,2 Mio €; für 2013 ist die Summe auf 1,4 Mio. € festgelegt. »Fördergelder«. Das ist das, was Sie mit Subventionen meinen. Die Frage ist nur: Wollen wir das? Wollen wir 800 oder 1800 oder 2800 Literaturpreise? Wollen wir Opernsubventionen, die nur den Managern die Kohle bringen; die Sänger gehen mit 4000 Euro brutto nach Hause? Stinkt nicht auch hier der Fisch am Kopf?
Würde hier bedeuten: Wie hoch sind die Geschäftsführer-Gehälter? Wer hat das jemals befragt? Und dass Enzensberger »keine Lust« hat, die Dokumente zu lesen – wozu gibt es Journalisten, die doch sonst alles wissen wollen bzw. glauben zu wissen? Wer hat schon einmal die Gesellschaftsverträge gelesen?
»Frank Schirrmacher sah sich genötigt, eine klare Worte zum Suhrkamp-Streit (ist es schon ein Drama?) zu sagen.«
UBU bekam Geld von der öffentlichen Hand?!
Oh, das ist mir neu. Wollen wir das?! Nein.
Aber da Sie, Georg, von den Opern reden. Das ist wirklich ein heikler Punkt, diese KUNST-Riesen sind sehr schwer auf die Beine zu stellen, und kosten massig Geld. Dazu kommt besagte Ungleichheit der Bezahlung. Wollen wir das?! Nein.
In ihrer Tirade fehlt noch der öffentliche Rundfunk.
Kein Kommentar dazu, außer: Wollen wir das?! Nein.
Aber sollte man das Thema der Kunstförderung/Subventionierung nicht von dem eigentlichen Anlass (brutale Öffentlichkeit, Meinungsversimpelungen, Parteigängerei, Egotrips etc.) separieren?! Das eine sind Schwächen, die gerne mal in gehäufter Form auftreten, das andere ist das berühmte VERTEILUNGSproblem.
Das wäre dann aber ein neuer Artikel.
@Sophie:
Ja, ich bin sehr dafür, dass die Intellektuellen Licht ins Dunkel bringen. Am besten performativ – indem sie nämlich die allgemeine Durchökonomisierung nicht mitmachen, auch wenn sie sich dabei ins eigene Fleisch schneiden. Im Grunde müssten sie die ersten sein, die den Ast absägen, auf dem sie sitzen – weil sie nämlich erkannt haben, dass dieser Ast ohnehin morsch und von Würmern befallen ist.
Im Fall Suhrkamp werden ja die falschen Gegensätze aufgemacht: Hier das »Haus des Geistes«, dort die kapitalistische Heuschrecke. Die Autoren, die sich für ersteres einsetzen und gegen letztere wenden, verschleiern damit ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen (die als solche ja durchaus legitim sind, solange man sie auch relativieren kann und nicht den Fortbestand des Abendlandes daran festmacht). Die perfide Ironie daran ist, dass sie auf diese Weise für ihre eigenen Ausbeuter kämpfen, anstatt sich zu darüber freuen, dass auf einmal, wie herr.jedermann richtig bemerkt, die Enthüllung der wirtschaftlichen Zusammenhänge eben auch zeigt, wie schlecht Autoren tatsächlich in diesem Licht dastehen.
Intellektuelle leben von der Selbstausbeutung; wo das nicht der Fall ist, leben sie davon, dass andere deutlich mehr an ihnen verdienen, als sie selbst davon bekommen. Das ist ganz schlicht die wirtschaftliche Grundlage kultureller Produktion in unserem Land. Selbst im Falle der zahlreichen Subventionen ist es ja so, dass das ausgezahlte Geld noch immer weniger ist als die Summe, die insgesamt diejenigen bekommen, die für die Verwaltung der Subventionen zuständig sind. An all diesen Stipendien und Preisen hängen ja unzählige Posten, Häuser, die unterhalten werden müssen, usw., das vergisst man nur allzu schnell.
Das sind Zusammenhänge, die leider viele Autoren nicht sehen wollen, zumal wenn die Krumen vom Tisch nicht ganz so klein ausfallen. Aber wie soll man zu einer einigermaßen redlichen Haltung kommen, wenn man davor die Augen verschließt?
Deshalb zwei Maßnahmen: Die eigene Leistung verschenken und gleichzeitig sicherstellen, dass kein anderer daran verdient. Das scheint mir die einzige Möglichkeit, das bestehende System auszuhebeln.
@Gregor Keuschnig
»Aber wo pochen die sogenannten Intellektuellen auf ihre Rechte? Sie sagen nur, dass Suhrkamp nicht zum reinen Wirtschaftsunternehmen sehen wollen.«
Wann war Suhrkamp denn je etwas anderes als ein Wirtschaftsunternehmen?
dem möchte ich wiedersprechen, ein untergang des verlages steht meiner meinung nicht ins haus. er wird den eigentümer wechseln, wir letztlich im zuge der konzentration in einem konzern überlebern mit einem vom konzern eingesetzten geschäftsführer. das ist letztlich kapitalismus und hat mit antiintellektualismus nix zu tun, als antiintellektuell erwiesen sich bislang elitäre und antikapitalistische bewegungen wie nationalspzialismus und kommunismus, die beide isolierte momente des intelektuellen als intelligenzja gelten ließen, um sie letztlich gegen den rest ins feld zu schicken und ein wenig spiegelt sich dieses verfahren im kampfbegriff suhrkampkultur. der vorwurf des antiintellektualismus ist pauschal geführt antiintellektuell. (ps: die opelrettung wird sich letztlich nicht als nachhaltig erweisen, auch soetwas würde nur in einer diktatur funktionieren, deshalb sehe ich das beisiel als nicht gelungen an.)
@Thorsten Krämer
Es gibt da aber noch einen kleinen, oft den entscheidenden Unterschied bei Künstlern: Die Berufung. Das ist das, was früher auch andere mal verspüren konnten, bevor wir alle nur noch bestenfalls zu „Jobs“ kamen – etwa der mit Herz und Hingabe arbeitenden Handwerker oder der Landwirt. Heute werden sie bestimmt von einem „Markt“.
Oder was ist mit der „Leidenschaft für’s Fliegen“? Eben eine Meldung auf SPON, dass heute schon teils Piloten oft nur noch fürs Existenzminimum arbeiten. Gibt es also zu viele Piloten? (Schreiben / Bloggen heute nicht alle selbst und suchen verzweifelt Leser: Self-Publishing wird ja angeblich das nächste große Ding?)
Nein, es gibt nur zu viele, die ihre „wahre“ Leidenschaft leben wollen: Die Selbstverwirklichung – eigentlich eine legitime Lebens- und Freiheitsmaxime – allerdings auch schon längst gekapert von der FDP. So wird dann auch die Selbstausbeutung zum „Eigenblutdoping“: „Speise alles, Deinen Geist, Dein Geschlecht und noch jede Herzensregung in die kapitalistischen Kreisläufe ein und hoffe, dass Du etwas zurückkriegst.“ Bovary-Kapitalismus hat das mal Kurt Drawert, ein Literat bei Suhrkamp, genannt.
Das mit dem Verschenken der künstlerischen Hervorbringungen wäre gut und schön, wenn es alle täten und nicht anders nötig hätten. (Ich, der auch so eine Kleinkunst-Produktion betreibt aber nicht davon leben muss, bin auch schon auf den Gedanken gekommen.) Aber das ist auch eine Illusion: Dem Markt, der uns de facto enteignet, wird das auch weiter gelingen – eben das ist ja sein Erfolgsmodell; die andere Währung neben Geld heißt heute „Aufmerksamkeit“ und bildet längst den eigentlichen Markt. (Und ansonsten wird es immer welche geben, die sich vom Wettbewerb angestachelt fühlen und das in Produktionsenergie umleiten und die sich davon Bestätigung für ihr Selbst holen. Sogar wir, die wir nur ein paar Aspekte und Argumente zu einer Sache austauschen, tun das gerade.)
Je öfter ich über diese Zusammenhänge in letzter Zeit nachgedacht habe, desto mehr verfestigte sich bei mir die Idee, dass der Kapitalismus – das Streben, der Wille zum Mehr, die Sucht nach Arbeit als Wechselbalg eines Sinns in der Welt, der Wunsch etwas zu hinterlassen oder sich auszudrücken usw. – dass der Kapitalismus also selber Ausdruck des „natürlichen“ Akkumulationsauftrags des Menschen in seiner Lebenszeit ist. (Ich bin selber überrascht, wie altväterlich das klingt. Aber es ist auch ein bisschen Trost & Reserve gegenüber den immer neuen Hysterien des Marktes – eines jeglichen. Dafür ist er das wahre perpetuum mobile. Die Menschen und ihre Leidenschaften und Herzensregungen sind nur der Treibstoff.)
Aber um zum Thema zurückzukommen: Ich vermute den besagten Verlag wird es weiter geben (und seine namhafteren Autoren werden anderswo publizieren können, wenn auch mit weniger Glamour.) Und den Gegensatz zwischen Geld und Geist sowieso. Auch wenn anderswie beide wieder einander umso dringender brauchen.
@herr.jedermann:
»Dem Markt, der uns de facto enteignet, wird das auch weiter gelingen – eben das ist ja sein Erfolgsmodell; die andere Währung neben Geld heißt heute „Aufmerksamkeit“ und bildet längst den eigentlichen Markt.«
Ich halte den Markt für Aberglauben, das sind Verschleierungstechniken. Das Konzept vom Markt suggeriert einen Komplex von Zusammenhängen, die dann nicht mehr infrage gestellt werden können. Man muss das, wie jeden Aberglauben, einfach ignorieren. Die Geschichte der Wirtschaft ist im Kapitalismus noch längst nicht an ihr Ende gekommen – man erinnert sich, wie wir in den 80er Jahren alle an das Ende der Geschichte glaubten, und dann wurde doch noch einmal ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen.
Ist Aufmerksamkeit die neue Währung? Vieles spricht dafür, aber vielleicht ist sie auch nur eine Währung des Übergangs.
Was die Piloten angeht: Das Problem ist ja nicht, dass sie zu wenig Geld bekommen – sondern dass sie überhaupt Geld verlangen! Sie sollten nicht dafür streiken, dass sie mehr Geld bekommen, sondern dafür, dass die Passagiere umsonst fliegen können. Das Ziel darf nicht für jede einzelne Interessengruppe sein, mehr Geld zu bekommen, sondern das Geld aus dem System zu entfernen. Genau da könnten Intellektuelle vorangehen, da sie es ja schon gewohnt sind, für umsonst zu arbeiten. Aber lieber sind sie Kapitalisten, weil das ja angeblich alternativlos ist.
@Thorsten Krämer
Ihre letzten Äußerungen sind ja in Vulgärmarxismus gebadete Lächerlichkeiten. Sie konzedieren selber, dass Suhrkamp ein Wirtschaftsunternehmen ist (das ist es eben auch, aber gleichzeitig auch mehr) und bestreiten dann die Existenz von Angebot und Nachfrage. Am Ende wollen Sie Geld entfernen. Damit sind wir dann am Endpunkt einer Diskussion angelangt, um die es doch nur um Geld und dessen Verwaltung geht.
@die_kalte_sophie
Ich will das aber. Und was sagen Sie jetzt?
@herr.jedermann
Vielleicht ist der Kapitalismus ja deshalb so erfolgreich, weil er das menschliche Streben (fast) perfekt adaptiert und kopiert. Natürlich mit allen bekannten Auswüchsen. Aber alle anderen bisher exerzierten Modelle sind dahingehend gescheitert, dass sie ihre primären Ziele nicht erreichen konnten. Der Kapitalismus wird auch scheitern, wenn er die atavistischen Triebe nicht bändigen kann, sondern ihnen mit der Ausrede des Liberalismus nachgibt.
Ha: Eine Welt ohne Geld! Super Idee!
(Aber, soviel verstehe sogar ich von Wirtschaft: Ohne ein allgemeines Äquivalenzmittel und diverse Gefälle zum Umlauf der Mittel in ihr wird es nicht mehr gehen. Eine Welt so komplex wie unsere kommt ohne Abstraktionen selbst der Mikroereignisse ihrer Waren/Tausch/Händel nicht aus. Leider?)
Und ein Aberglauben gegen den anderen hat auch noch nie funktioniert.
Leider.
Herr Keuschnig, mit uns wird das wohl nichts mehr. Aber um den Bogen zu schließen und wieder zum Thema zurückzukommen: Zumindest eine Welt ohne Geld gibt es bereits, die Literatur. Ein System, das auf einer Schenkökonomie basiert, auf die sich die kapitalistische Ökonomie nur oben drauf gesetzt hat. Und jetzt fällt sie langsam wieder ab.
Andererseits, Herr Keuschnig und auch herr.jedermann, soll man die Flinte ja nicht voreilig ins Korn werfen, also gehen wir es noch einmal von einer anderen Seite an:
Was machen wie hier eigentlich? Sie, Herr Keuschnig, betreiben also diesen Blog, den man kostenlos lesen gehen, Werbung gibt es hier keine, der Hinweis auf Ihr Buch wird dessen Verkauf nicht übermäßig ankurbeln, was nicht gehässig gemeint ist, und da Sie eine eigene Domain haben, entstehen Ihnen sogar noch Kosten, von der unbezahlten Arbeitszeit mal ganz abgesehen. Dann gibt es Menschen wie herr.jedermann und mich, die hier kommentieren, also ihrerseits Arbeitszeit investieren. Was ist der Gegenwert, den wir dafür erhalten? Aufmerksamkeit? Nun gut, ich bin Autor und schreibe hier unter meinem Klarnamen, man könnte mir also unterstellen, dass ich damit Werbung für meine Bücher machen will. Aber ob ich mein symbolisches Kapital steigere, indem ich in Vulgärmarxismus gebadete Lächerlichkeiten von mir gebe? Wohl kaum.
Wie sieht es mit den Zugriffen auf den Blog aus, Herr Keuschnig? Schreiben Sie mehr, wenn die mal runtergehen, oder eher weniger? Haben diese Zahlen überhaupt eine Auswirkung auf die Zeit und Energie, die Sie hier hineinstecken?
Sie merken, worauf ich hinaus will: Wir alle leisten hier Arbeit, für die Angebot und Nachfrage, Geld und Markt keine Rolle spielen. Wie verträgt sich das mit der angeblichen Allmacht des Marktes? Sind wir vielleicht Helden, die letzten Altruisten in der kalten Welt des Kapitalismus? Nein, es gibt Hunderte von Blogs wie diesen; die Menschen stellen ihre Fotos, Texte und Musik ins Netz, schreiben Software, die frei erhältlich ist, stellen ihr Wissen und ihre Erfahrung anderen zur Verfügung. Und offline ist es nicht anders, die Menschen engagieren sich ehrenamtlich und verlangen nicht einmal Geld dafür, dass sie ihre Kinder erziehen.
Wir sind umgeben von unbezahlter Arbeit, die freiwillig geleistet wird, und Sie belustigt es, wenn ich von einer Welt ohne Geld schreibe. Das ist in der Tat bemerkenswert. Wo liegt nun der Fehler, in Ihrem Denken oder in Ihrem Handeln? Wenn Sie von Ihrer Sicht der Dinge so überzeugt sind, Herr Keuschnig, wie es in Ihrer Überheblichkeit zum Ausdruck kommt, dann sollten Sie den Laden hier besser dichtmachen oder aber eine Paywall errichten. Das wäre freilich schade, und so ist meine Hoffnung, dass Sie vielmehr erkennen, dass Sie in der Praxis schon weiter sind als in der Theorie.
Vielleicht noch als aktuelle Fußnote sowohl zur Causa Suhrkamp wie zu Größe und Elend der Intellektuellen.
Danke für die Fußnote, HerrJedermann. Damit wäre auch klar, wo der Schwerpunkt des Typus »Intellektueller« im Moment liegt.
Juristen und Ökonomen.
Darin erkenne ich (ganz stolz) auch meinen eigenen Hinweis wieder: Kenntnisse in Wirtschaft, Politik und Religion.
Hat mich gefreut, dass man das »Verschwinden der Intellektuellen« aufklären konnte: die Literaten und Philosophen haben an Einfluss verloren.
An Einfluss?!
Ja, an Einfluss, nicht nur an medialer Präsenz. Das sind nämlich nur zwei Seiten einer vielseitigen Medaille.
Ein paar Einwürfe: Man könnte (und sollte) vielleicht fragen, was ein (oder: der) Markt ist, was er sein kann oder worauf er beruht, man schließt dann aus, dass man nicht verschiedene Dinge gutheißt oder verwirft, einander also eigentlich missversteht.
Menschen haben Bedürfnisse, wenn ich sie grob kategorisiere, etwa folgende: Existenzielle, notwendige und überflüssige. Nicht jedes Bedürfnis können wir zu jeder Zeit aus eigenen Kräften befriedigen, Markt kann also, grundlegend betrachtet, einfach bedeuten, dass jemand etwas benötigt was andere haben oder können und, sozusagen umgekehrt, man jemanden sucht der benötigt, was man selbst hat oder kann.
Mir scheint das, zuzüglich eines wie auch immer gearteten Ausgleichs, für ein gestilltes Bedürfnis, ein grundlegendes Phänomen jeder menschlichen Gesellschaft oder Gemeinschaft zu sein und ich vermute, um ein Beispiel zu nennen, dass es kaum schöneres für einen Handwerker gibt, als wenn andere die Freude an seinem Geschaffenen teilen und es zu benutzen beginnen.
Was den Markt unserer Tage so abscheulich macht, ist, u.a. (?), zweierlei: 1. Seine Omnipräsenz und 2., damit gekoppelt, dass er auf eine bestimmte Art und Weise betreten werden muss, woraus folgt, dass man kaum eine andere Wahl hat (und damit Dinge tun muss, die einem zuwiderlaufen).
Zu Blogs noch zwei Worte: Sie befinden sich, ganz notwendiger Weise, in einem Prozess von, einerseits Selbst- und, andererseits, Marktfindung: Wohin entwickelt sich mein Tun? Und falls sich Interessen und Bedürfnisse daran zeigen, dann sind diese ein Hinweis darauf, dass ein bloß selbstreferentieller Rahmen überschritten wurde (dass Geld hier eine untergeordnete oder gar keine Rolle spielt, ist, ausdrücklich, schön).
Mit dem Begriff des Intellektuellen ist Vorsicht geboten, meine ich: Wenn man darunter jemanden versteht, der Verstand und Vernunft ein Primat zugesteht, also vor allem aus diesen beiden heraus lebt, fallen dann Künstler (die Literaten ja sind) zwangsläufig, darunter? Ich meine nein, und die Diskussion darüber ist dann zu einem gewissen Grad müßig (von einem Komponisten oder Musiker würde das kein Mensch verlangen).
Intellektuellen-Wandel?
Ich hatte gedacht, wir redeten hier nur vom (medialen) Bild des Intellektuellen, so, wie er uns die Welt erklärt oder uns als wohlfeiler Welterklärer hingestellt wird (oder uns immer noch mal ab und an in einer J’accuse-Attitude der literarisch-politischen Aufklärung »warnt«). Dabei sind das ja alles Ersatzhandlungen: Der Diskurs »Öffentlichkeit« ist ja weiterhin immer noch eher ein sortierter Ort prominenter Stimmen, in dem der Außenstehende eher als da Hineingestolperter oder exotischer Zeuge auftritt.
(Auch wenn es uns, die wir Ansichten und Argumente haben – und neuerdings Rückkanäle, diese Fronten etwas poröser zu machen – schon etwas anders erscheint. Ich erinnerte mich neulich daran, dass etwa Frau Professor Meckel einen ihr Buch immerhin ernsthaft befragenden Blogger auf Mailrückfrage nicht mit einer Antwort beschied. Die Gefälle sind doch noch immens. Und deshalb sind ja auch Fernsehveranstaltungen und ‑nachrichten eher nur Ersatzhandlungen: Ein abendlich wohliger Bildschirm-Schein, der uns eine virtuelle Teilhabe an Informiertheit suggeriert. Und genau das ist Öffentlichkeit m. M. nach auch zu einem Großteil, und dazu ist sie da: Uns gegenüber den eigenen Entscheidungsohnmächten in Beziehung und dabei doch beschwichtigt zu halten.)
Damit wäre ich bei den wirklichen »Movern & Shakern«, den Fachausschuss- und Gremien-Menschen (mit womöglich anderen Qualitäten als Intellektualität und Sachverstand); aber auch bei den Bertelsmännern, den in den demokratischen Prozessen weitgehend entzogenen, da aber unentwegt hineinredenden Stiftungen etwa, oder den zunehmend allgegenwärtigen McKinseys. (Nur anekdotisch: Ich weiß von einer Konstellation, in der so ein externer Unternehmensberaterhansel, der selber [bisher ungedruckte] Krimis schreibt, einem namhaften und wegen seiner Kompetenz auch seine Bücher gut verkaufenden Literaturwissenschaftler ökonomische Vorgaben macht.)
Insofern hat die kalte Sophie wohl Recht, es ist der entscheidende Intellektuelle wohl wirklich längst ein anderer. Und der andere, der Schamanen-Typ – in hohem Alter, auffällig oft mit weißem Haar?
Allgegenwart, fällt mir noch ein, war ja mal eine Eigenschaft Gottes. Insofern wäre »der Markt«, ubiquitär wie er ist, dann eben doch alternativlos. Und der »Alte vom Berge«, der archetypische Weise, der uns seinen Rat verkündet? Selbst wenn er die Wahrheit spräche, beruhigte er uns vielleicht nur. Doch brauchen wir ihn anscheinend.
Und damit bin ich wieder bei Suhrkamp. – Vielleicht ist ja alles nur ein böses Märchen?
Aber die Rollen sind nun einmal verteilt...
Das stimmt schon , Herr Jedermann, die Öffentlichkeit ist hochgradig scheinhaft, wenn es um Teilnahme und Einfluss geht. Die Passiv-Aspekte sind frustrierend. Insofern wird der kluge Intellektuelle ;-) sich ein dickes robustes Fell zulegen müssen.
Eigentlich hat Keuschnig mit dem Anti-Intellektualismus die Zone zwischen Proletentum und Zwangs-Understatement gemeint, also den Umstand, das nur COOL-Bleiben und Achselzucken auf Dauer »auch keine Lösung« ist. Ein bisschen wie beim Sex, oder?
Auf der theoretischen Ebene lautet die Frage: haben Polemik und Kritik überhaupt noch eine zielgerichtete Wirkung, oder zerstreut sich nun alles im Rauschen der Kanäle. Also, ich bin der Meinung... Eher nicht! Ich fürchte, die Kraft der Negativität wird überschätzt.
Interessante Diskussion. Ich fang’ mal an:
@Thorsten Krämer
Was Sie unter #29 schreiben, ist (fast) alles richtig. Außer, dass Sie mir Überheblichkeit glauben unterstellen zu müssen. Aber lassen wir das mal. Was Ihnen vorschwebt ist eine Art von Tauschwirtschaft, die das inkriminierte Geld unnötig macht. Man könnte es vorerst auch Parallelwelt nennen. tatsächlich hat natürlich dieser Blog überhaupt keine finanziellen Interessen; im Gegenteil (das schreiben Sie ja auch). Er existiert aber nicht aus Menschenfreundlichkeit oder weil ich ein Suchtkranker Internetjunkie bin, der keine anderen Sozialkontakte hat. Die »Erträge«, die ich hieraus ziehe, müssen – sonst wäre ich vollkommen krank – anderer Natur sein. Ich will sie hier nicht nennen; manche liegen auf der Hand, andere sind privat. Aber hieraus kann kein allgemeines Gesellschaftsmodell abgeleitet werden. Wenn ich morgen keine ökonomischen Erträge mehr aufweisen kann, wird mir der Hoster irgendwann die Domain sperren, vorher stellt man mir den Strom ab. Ich kann die Leute auch nicht milde stimmen, in dem ich ihnen ein paar Rezensionen schreibe oder gute Ratschläge erteile (die wollen sie nicht). Ich habe keine Fähigkeiten, mit denen ich bestimmte Dienste oder Dienstleistungen einkaufen, oder, besser: erwerben kann. Dafür gibt es Geld. Und den Markt.
@metepsilonema/herr.jedermann
Vielen Dank für den Telepolis-Link. Herr Rötzer definiert den Intellektuellen wie folgt:
Es handelt sich gemeinhin um eine Persönlichkeit, die irgendwie geistig im kulturellen Bereich tätig ist und sich aus dem hier erworbenen Ansehen heraus in die Gesellschaft einmischt bzw. sich gesellschaftlich oder politisch engagiert oder als Moralist auftritt.
Man vergleiche dies mit der Wikipedia-Definition:
Als Intellektueller wird ein Mensch bezeichnet, der wissenschaftlich, künstlerisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätig ist, dort ausgewiesene Kompetenzen erworben hat, und in öffentlichen Auseinandersetzungen kritisch oder affirmativ Position bezieht.
Beide setzen voraus, dass der Intellektuelle sich einzumischen hat; bei Rötzer ist dies stärker, er spricht vom »politischen« Engagement. Als sei die Einmischung eine Bedingung eines Intellektuellen. Und umgekehrt: Wer sich nicht einmischt, sei dann keiner.
Ich halte diese Festschreibung des kritischen Begleitens der Gesellschaft (wobei »Kritik« nicht per se negativ sein muss) als Grundvoraussetzung für ziemlich fragil. Welche Fähigkeiten berechtigen einen Günter Grass über die Politik Israels zu sprechen oder zu schreiben? Außer diejenige Qualifikation, die jeder von uns hat. Wie ist es anders herum: Ein prominenter Politiker würde über eine Erzählung von Grass im Grass-Ton urteilen. Würde Grass diese Äußerung annehmen? Würde nicht unter Umständen ein Sturm der Entrüstung losbrausen, was denn einen Politiker qualifiziere, sich derart zu äußern? (Nebenbei: Sind Politiker überhaupt Intellektuelle?)
Weiter: Rötzer schreibt, die auf der Cicero-Liste aufgeführten Intellektuellen seien des »alten Typus«. Mich würde interessieren, was er damit meint. Meint er das Lebensalter? Die Tatsache, dass sie über einen gewissen Erfahrungshorizont verfügen? Am Ende kommt es ganz bitter, denn er hat das Kleingedruckte gelesen: Es geht in dieser Cicero-Liste um Medienpräsenz. Da wird also Intellektualität mit Medienpräsenz ausgedrückt. Das ist ein sehr merkwürdiger Maßstab; eine Kausalität, die auch nicht konsequent durchgehalten wird. Denn sonst müssten dort ganz andere Personen vorne stehen, die ganzen Yellow-Press-Sternchen, Busenwunder und sonstigen Schwachköpfe aus Sport und Fernsehen.
Jetzt endlich komme ich auf Ihren Kommentar herr.jedermann. Der Welterklärer ist heute der politisch sich in Dokumentarfilmen in Szene setzende Journalist, der sein Meinungsfähnchen zum Sternenbanner der Öffentlichkeit aufhübscht; notdürftig unterfüttert mit einer »weissenschaftlichen Studie« (diese Dinger haben im Zweifel den Wert von Kaffeesatzinterpretationen). Grass & Co. agieren höchstens noch wie weiland die Narren, die den Mächtigen was sagen dürfen. Die »Gatekeeper«, die Journalisten, die ihre Felle schwimmen sehen (aber noch sehr gut eingemummelt sind), geben den Takt vor. Wenn sich dann einer dieser Narrenfigürchen einmal einmischt, und die Richtung passt nicht, wird es ganz schlimm: Er wird verbissen und notfalls ausgestoßen. Das hat man bei Handke gesehen; man kann ja seine Texte kritisieren, aber nicht in der Form wie dies teilweise geschehen ist. Oder Walser als Antisemiten darstellen (unvergesslich das Interview einer Radiomoderatorin beim Geburtstaganruf mit Walser: »Sind Sie ein Antisemit?«. – Ich hätte den Hörer aufgelegt). Oder auch Mosebach. Usw.
(Mich würde interessieren, wer der Blogger war, der keine Auskunft von Frau Meckel bekommen hat. Mir hatte sie natürlich auch nicht geantwortet. Aber warum sollte sie auch? Sie ist dermaßen gut vernetzt, dass alle ihre Äußerungen sofort kanonisiert werden. Kooperiert wird nur mit oben; nach unten herrscht die Ignoranz; ein guter Verdrängerstoff.)
Hierin liegt der Grund für die hämische Gleichgültigkeit, was Suhrkamp angeht. Der engagierte rot-grüne Gatekeeper von heute (der noch in einer Redaktion sitzt oder, schlimmer, als Freelancer sensationsheischende Berichte abzuliefern hat), hat keine Zeit die vermeintlich bräsigen »edition suhrkamp«-Bändchen zu lesen. Ein, zwei flotte Formulierungen aus dem Pressetext abgeschrieben tun’s auch. Tatsächlich ist der »alte Typus« des Intellektuellen tot; der Einmischer, der Moralist, der Resolutionist. Das ist eigentlich gut so. Aber was jetzt kommt, ist das, was ich vielleicht den neuen Anti-Intellektualismus nennen würde.
Wenn ich Georg richtig verstehe, dann haben wir es mit einer »neuen Unbedarftheit« bei den überregionalen Journalisten (Zeitung, Rundfunk, TV) zu tun.
D.h. diese kurzwegige Verbindung zwischen Öffentlichkeit und residualer Intellektualität wie in der alten BRD hat sich aufgelöst. Es fehlt schon in den Redaktionen an »Interesse, Gespanntheit, Wohlgefallen«, wie könnte man solches noch vermitteln.
Da ist was dran. Wenn es nur darum geht, dass die SCHALTE klappt, und die Fragen in 1′30″ durch sind, und dann hätte der Mohr seine Schuldigkeit getan...
Aus dem gesunden Anti-Autoritarismus der 68er ist eine langweilige mediatechnische Ignoranz geworden. Ja, da ist was dran.
@Gregor Keuschnig:
»Aber hieraus kann kein allgemeines Gesellschaftsmodell abgeleitet werden.«
Woher wissen Sie das? Wie können Sie das so sicher sagen? Ihr Argument läuft an dieser Stelle darauf hinaus, dass nicht sein kann, was Sie sich nicht vorstellen können.
Nehmen Sie die aktuelle Entwicklung in Griechenland. Dort herrscht tatsächlich ein sehr konkreter Geldmangel. Gerade weil dieser sich aber durch einen breiten Teil der Gesellschaft zieht, könnten die Griechen in dieser historischen Situation zum zweiten Mal, nach der Erfindung der Demokratie, der Menschheit gewaltig auf die Sprünge helfen, indem sie die postmonetäre Gesellschaft entwickeln. Denn was genau fehlt dort eigentlich, wenn Geld fehlt?
Die Bauern etwa haben das Problem, dass sie auf ihren Waren sitzen bleiben, weil keiner mehr Geld hat, sie ihnen abzukaufen – die Waren verderben aber schnell, nach der herkömmlichen Ökonomie noch mehr Verlust, der entsteht. Was hindert sie aber daran, ihr Obst und Gemüse einfach zu verschenken? Sie haben ja nichts mehr zu verlieren. Der Gewinn wäre aber, dass im Gegenzug auch sie diejenigen Waren und Dienstleistungen geschenkt bekämen, für die sie früher Geld gebraucht hätten – das sie aber ja nun nicht mehr haben und auch nicht mehr brauchen.
Die Arbeitskraft der Menschen, die benötigten Produktionsmittel, die Infrastruktur – all das ist ja vorhanden, es braucht dafür kein Geld. Die einzigen Geschäftsbereiche, die ohne Geld wegfallen, sind diejenigen, die sich mit dem Geld selbst beschäftigen – und das sind wiederum genau die Bereiche, die nun schon seit einigen Jahren in der Dauerkrise sind.
Man könnte meinen, die Virtualisierung des Geldes käme gerade an ihr Ende, weil nun die sehr realen Folgen des Geldmangels sichtbar werden. Aber zwingend ist das nicht. Es könnte auch sein, dass gerade in dieser Situation immer mehr Menschen erkennen, dass Geld eine historische Erfindung ist und kein Aspekt der conditio humana.
Kurz doch noch mal zu den Intellektuellen.
Eine wegen ihrer Überspitztheit ganz gute Definition und nicht so leicht abzutun als ironisches Bonmot:
Pünktlich zu Weihnachten stellt William Deresiewicz im American Scholar noch einmal klar, was einen Intellektuellen von einem Akademiker unterscheidet: »An intellectual is not an expert, and a public intellectual is not an expert who condescends to speak to a wider audience about her area of expertise. An intellectual is a generalist, an autodidact, a thinker who wanders and speculates. As Jack Miles puts it in a stellar essay on the question, ‘It takes years of disciplined preparation to become an academic. It takes years of undisciplined preparation to become an intellectual.’ «)
@herr.jedermann
Das Zitat trifft ja den nagel auf den Kopf.
Zu Suhrkamp – kennen Sie vielleicht schon: Ein wie ich finde kluges Interview mit Rainald Goetz in der SZ.
Ja, Goetz hier vielleicht mit der bisher überhaupt klügsten Stellungnahme zu der Sache – nicht nur kenntnisreich und mit interessanten Insider-Einblicken, sondern auch mit der überlegenen Perspektive, die verfahrene Sache wieder zu öffnen. (Nach dem für mich etwas enttäuschenden »Holtrop« hätte ich ihn fast ein bisschen unterschätzt.)
@herr.jedermann
Ich finde das Zitat auch sehr treffend, einerseits der Betonung des Denkens wegen, andererseits weil es die Widersprüche die eine Definition eines Intellektuellen mit sich bringt, einzubeziehen versucht (ich meine aber unbedingt, dass das mediale Bild des Intellektuellen und eine Definition jenseits desselben gemeinsam diskutiert werden sollten).
Zur Frage ob wir denn Geld benötigen: Ich fände es zielführender das derzeitige System so weit herunterzufahren, dass alle beobachtbaren Exzesse und Überhitzungen der letzten Jahre nicht mehr möglich sind, ernsthafte und gute Vorschläge dafür gibt es. Dann sehen wir weiter und beurteilen die Lage erneut.
Bitte keine Diskussion über Geld, Nichtgeld oder Vollgeld; wenn, dann vielleicht hier. (Die letzten Revolutionäre, die u. a. Geld abschaffen wollten, sorgten für Millionen von Toten.)
Relevant wird die Diskussion um das Wirtschaftsunternehmen Suhrkamp nur dort, wo es die Interessen eines Minderheitsgesellschafters tangiert. Goetz umschreibt das ganz gut (tatsächlich hatte ich ihn auch nach »Johann Holtrop« ein bisschen unterschätzt). Daher auch meine These: Es geht am Ende nur um die Abfindung, den Loskauf des Minderheitsgesellschafters Barlach. Dafür muss er die Erwartungen nach oben schrauben, d. h. aus der Vergangenheit heraus versuchen zu erklären, warum man mit dem Potential viel mehr Rentabilität hätte erwirtschaften können. Suhrkamp wird sich darauf kaprizieren, die ganzen Weggangsdrohungen als Indiz für die Entkernung des Verlages durch eine Ökonomisierung darzustellen. Tatsächlich bedarf es eines Mediators, und zwar eines seriösen, nicht so einer Knallcharge wie Naumann.
Herr Keuschnig, mit Ihrem Hinweis auf die Roten Khmer haben Sie erfolgreich die Gültigkeit von Godwin’s law bewiesen. Eine lustige Pointe, wenn man bedenkt, mit welcher These dieser Thread anfing, ich darf Sie zitieren:
»Es ist ein amorpher, sich schleichend verfestigender Anti-Intellektualismus, der sich in diesen rüden, grobschlächtigen Äußerungen zeigt, die zu dem meist ohne jegliches Wissen als Affekte abgesondert werden«
Sie haben mich zuvor schon nicht verstanden, aber sicher verstehen Sie nun, dass ich mich hiermit von Ihrer Seite verabschiede.
Herr Krämer, der Anti-Intellektualismus der Roten Khmer ist hinlänglich bekannt; der Steinzeit-Utopismus dieser Mörder wurde übrigens jahrelang von einigen westdeutschen K‑Gruppen hoffiert. Was das mit diesem Spielzeug-»Law« à la Godwin zu tun hat vermag ich nicht zu erkennen. Dieses sogenannte Gesetz ist ohnehin mehr und mehr zu einem faulen Trick verkommen, wenn Argumente sich verflüssigen wie Schnee in der Sonne.
Es geht hier um Suhrkamp, die sogenannten Intellektuellen und nicht um Schwärmereien einer Tauschwirtschaft. Zum Thema Geld bzw. Geldlosigkeit habe ich Ihnen einen Link gepostet; da können Sie sich sachbezogen einbringen.
Ich habe den Kommentarstrang mit großem Interesse verfolgt und kann die meisten vorgestellten Positionen gut nachvollziehen.
Mir fehlt allerdings völlig der Bezug auf Keuschnigs Heraushebung der fortschreitenden Vedummung, derer man sich nicht mehr zu schämen braucht, als aus meiner Sicht unverzichtbaren Drehpunkt eines halbwegs vollständigen Diskurses. Es geht nicht nur um Suhrkamp und Literatur, sondern um das Zurückdrängen des Öffentlichen hinter das Private. Die Menge jener, die Kultur schlechthin als ein öffentliches Gut wahrzunehmen in der Lage sind, wird geringer. Angesichts der allgemein ausufernden Affektzumutungen nimmt die Zahl der sich zu Wort meldenden Wahrnehmungsfähigen (mitunter als Intellektuelle gar diskreditiert) noch schneller ab.
Ob Suhrkamp den absurden Rechtsstreit als Institution überlebt, sollte meines Erachtens keine zentrale Frage sein, wenn man die zugrunde liegende Strömung ernst nehmen will. Sich auf die Symptome einer gesellschaftlichen Entwicklung zu beschränken, greift zu kurz.
Eine Gesellschaft mit funktionsfähigem Gemeinwesen muss eine Anzahl von Dumpfbacken schlicht aushalten. Die Frage wäre aber zu diskutieren, wann die kritische Masse an Dumpfbacken überschritten wird und welche beeinträchtigende Folgen das haben kann. Suhrkamp ist, wie ich nochmals betonen möchte, lediglich ein Symptom. Die Konsequenzen der ungezügelten Privatheit, rücksichtslos zum Beispiel in Kommentaren der diversen online-Medien ausgebreitet, werden vermutlich deshalb nicht erahnt, weil sie – die Privatheit – erst gar nicht erkannt wird.
Verallgemeinert könnte die zentrale Frage möglicherweise lauten: Wieviel »privat« kann »öffentlich« ausgehalten werden?
@kienspan
Im Extremfall würde das Private an die Stelle des Öffentlichen treten, es also (weitgehend) ersetzen, und sehr wahrscheinlich vor allem Einzelinteressen verfolgt werden, mit der Tendenz, dass sich der Erfolgreichere und Stärkere durchsetzt (was auch immer das bedeutet und was darunter im Detail zu verstehen ist).
Kultur ist, Sie weisen mit Recht darauf hin und ich glaube: noch ist das selbstverständlich, ohne Öffentlichkeit eigentlich sinnlos oder zumindest ‑entfremdet, das erinnert mich an die Diskussion um das geistige Eigentum. Die weitgehende Ökonomisierung aller Lebensbereiche bedeutet eigentlich genau das: Die Unterordnung öffentlicher (allgemeiner) Interessen unter die privater Unternehmer.
Wichtig scheint mir, dass eine Spannung zwischen öffentlichen und privaten Interessen bestehen bleibt, keine der beiden Sphären darf ausgelöscht werden (das andere Extrem kann ebenso fatale Folgen haben).
@kienspan
Natürlich muss eine Gesellschaft »Dumpfbacken« aushalten; sie hat es immer gemusst. Die Schäden sind allerdings manchmal geschichtsrelevant zu besichtigen.
Und natürlich geht die (geistige) Welt nicht unter, wenn Suhrkamp nicht mehr existieren würde. Was mich stört in dieser Diskussion um Suhrkamp ist das hämische Schulterzucken, welches sich mehr und mehr verbreitet. Damit einher geht eine zum Teil lustvoll vorgebrachte Zerstörung der als elitär wahrgenommenen, scheinbar »alten« Strukturen, die zu weichen haben (warum eigentlich?). So entnahm ich dies vielen Kommentaren in diversen Foren. Da wurde das sprichwörtliche Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Im Feuilleton darf ernsthaft suggeriert werden, Siegfried Unseld wäre auf die Reize einer Frau Berkéwicz zehn Jahre vor seinem Tod sozusagen hereingefallen. Greift man dies an, wehrt sich der Schreibknecht auch noch. Die Zerschlagung Suhrkamps wird nicht als ökonomisch motiviert wahrgenommen, sondern fast als Befreiung (nur von was?) begrüsst.
Statt einer Abnabelung von den »alten« Intellektuellen, sollen diese am liebsten in den Orkus befördert werden. Parallel dazu werden in Timbuktu von sich fundamentalistisch gebenden Muslimen uralte (muslimische) Grabstätten zerstört (was natürlich zu einem Aufschrei im Westen führt, der die Erhaltung dieser Stätten höher einschätzt als die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern).
Was dies mit »privat« vs. »öffentlich« zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Vielleicht helfen Sie mir hier auf die Sprünge.
@Keuschnig zu »privat« vs. »öffentlich«
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Vor knapp 20 Jahren erlebte ich erstmals einen dahinschreitenden Mitbürger Sonntag morgens auf einer fast menschenleeren Wiener Einkaufsstraße – telefonierend. Bis zu diesem Zeitpunkt waren mir lediglich Autotelefone aus eigener Anschauung vertraut. Ich kann mich an mein fasziniertes Staunen darüber erinnern, dass ein Telefonat ungerührt in aller Öffentlichkeit geführt wurde. Für mich war damals nicht fassbar, wie ein Gesprächpartner sprichwörtlich ins Freie gezerrt werden konnte, dessen Telefonanschluss im privatem Wohnbereich installiert war. Für mein Empfinden wurde damit Privatsphäre in die Öffentlichkeit getragen. Wie sich die Situation heute (insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln) darstellt, weiß jeder. Die Überprüfung, ob man sich als Mithörer in einer fremden Privatsphäre aufhält oder doch im öffentlichen Bereich, fällt denkbar einfach aus: Man spreche die Plaudertasche in der U‑Bahn noch während des Telefonates auf das Gespräch bezugnehmend an.
Die Häme, von der Sie zutreffend sprechen, ist Ausdruck eben jener das Öffentliche verdrängenden Privatheit. Ich gehe auch vollständig d’accord mit Ihrer Analyse den Anti-Intellektualismus betreffend; Sie gebrauchten darin den Begriff »Abneigungsfuror«. Damit liegen Sie meines Erachtens richtig, obgleich ich den Begriff »Abwehrfuror« benutzen würde, da sich Mittelmäßigkeit gegen empfundene Überlegenheit und damit gegen diffuse Bedrohung wehrt. Dass die Bedrohung aus dem eigene Unzulänglichkeit unscharf ahnenden »Innen« kommt, wird indes verdrängt und deshalb erfolgreich nach außen (in die Öffentlichkeit) projiziert. Dort gilt es dann, das höchst private Empfinden für Unzulänglichkeit zu verteidigen, auf dass es nicht durch von außen induzierte Resonanzen verstärkt werde. Das ist allerdings nur einer der Mechanismen, mit denen Privates aufdringlich in die Öffentlichkeit strebt und diese dadurch verdrängt wird.
@Metepsilonema
Meinen Einwand gründe ich auf Material aus der Antwort an Keuschnig. Öffentlicher Diskurs zeichnet sich nicht dadurch aus, dass alle Interessierten daran teilhaben können, sondern durch die Berücksichtigung des Hintergrundes einer verhandelten Fragestellung, namentlich das gesellschaftsformende »öffentliche Interesse«. An diesem Maßstab gemessen, kann nach meiner Einschätzung öffentlicher Diskurs nicht mehr stattfinden. Das Öffentliche wird nicht mehr wahrgenommen – in beiderlei Sinne. Insofern sehe ich derzeit keine fruchtbare Spannung gegeben zwischen öffentlichem und privatem Interesse.
@kienspan
Vielen Dank für die Klärung; ich sehe nun, was Sie meinen.
Interessant Ihre Korrektur zum »Abwehrfuror« vs. »Abneigungsfuror«. Mit Abwehrfuror nehmen Sie ja schon eine Wertung vor. Je länger darüber nachdenke, desto logischer scheint mir dies zu sein: Anti-Intellektualismus ist wohl zunächst Abwehr. Diese Abwehrhaltung ist inzwischen gesellschaftlich satisfaktionsfähig geworden. Ein übertriebener Egalitarismus räumt den »Abwehrern« plötzlich die gleichen diskursiven Rechte ein. Ein bisschen salopp formuliert: Früher schämte man sich seiner Bildungs- und Wissenslücken (was ja nicht das gleiche sein muss). Heute rücken sie gleichrangig auf.
Der Satz in Ihrer Antwort an metepsilonema vom nicht mehr stattfindenden (nicht mehr möglichen?) öffentlichen Diskurs schneidet ja wie ein Blatt Papier in die Hand.