Erich Loest: Lö­wen­stadt

Erich Loest: Löwenstadt

Erich Loest: Lö­wen­stadt


»Lö­wen­stadt« ist Erich Loests Über­ar­bei­tung und vor al­lem Fort­schrei­bung sei­nes 1984 ver­öf­fent­lich­ten Ro­mans »Völ­ker­schlacht­denk­mal«. Am 6. Ju­li 1982 wird Fre­di Lin­den in ei­ne Stas­ik­laps­müh­le bei Leip­zig ein­ge­lie­fert. Lin­den, ge­lern­ter Spreng­mei­ster (Mei­ster­li­ches Spren­gen hat Sanf­tes an sich), von sei­nem Be­ruf seit Jah­ren be­reits sus­pen­diert und zu­letzt Pfört­ner am Denk­mal wird ver­däch­tigt, dass Völ­ker­schlacht­denk­mal spren­gen zu wol­len, in ei­nem (ge­heim­nis­vol­len) Flucht­stol­len von Män­nern in gel­ben Over­alls ge­stellt und fest­ge­nom­men (und er be­haup­tet hart­näckig, kurz vor­her ei­nen Raum mit Schalt­ta­feln ent­deckt zu ha­ben).

Das Völ­ker­schlacht­denk­mal, von Lin­dens Va­ter Fe­lix mit er­baut und ex­akt in Fre­dis Ge­burts­jahr fer­tig­ge­stellt und ein­ge­weiht, wird Dreh- und Treff­punkt in den Er­zäh­lun­gen des Be­schul­dig­ten; man be­kommt den Ein­druck, er ken­ne je­den der sechs­und­zwan­zig­tau­send­fünf­hun­dert Gra­nit­werk­stücke, je­den Ge­heim­weg und je­den Stol­len in die­sem La­by­rinth – ober- wie un­ter­ir­disch (was ihn nicht un­ver­däch­ti­ger macht).

Lie­bes- und Haß­ob­jekt Denk­mal – mal Ehr­furcht ge­bie­tend (nie mehr wür­de weit her­um et­was Ver­gleich­ba­res ge­türmt wer­den. Von da an ging’s berg­ab) mal nie­der­drückend (»wer sol­che Denk­mä­ler will, glaubt nicht mehr an den Sieg«) oder ein­fach nur dem Spott aus­ge­setzt. Und das wohl schön­ste Er­leb­nis des Le­bens mit dem Va­ter auf ihm, »durch das Bein des Wäch­ters« ins Freie und ich be­griff mit ei­nem Schlag und schrie es her­aus: »Ich seh’ die gan­ze Welt!« So et­was spren­gen? Und man denkt so­fort an Hein­rich Bölls »Bil­lard um halb zehn«, in dem der Sohn die vom Va­ter ge­bau­te Ka­pel­le tat­säch­lich spreng­te; ge­zwun­ge­ner­ma­ßen (oder das, was man für Zwang hielt).

Der Le­ser wird im fol­gen­den Zeu­ge des »Ver­hörs«, wel­ches aus ei­ner Fra­ge be­steht (der je­wei­li­gen Ka­pi­tel­über­schrift) und dann Lin­dens Mo­no­lo­gen (nebst ge­le­gent­li­chen Ein­schü­ben, als Lin­den of­fen­sicht­li­che Zwi­schen­fra­gen oder Ein­wän­de be­ant­wor­tet, die dem Le­ser nicht mit­ge­teilt wer­den). Der Ro­man en­det mit dem 18. Ka­pi­tel im Jahr 2007 (in ei­nem Al­ten­heim). Dort träumt er vom 100. Ge­burts­tag und lässt auch dann nicht von sei­nen An­ek­do­ten in und um Leip­zig und das Denk­mal, »sein« Denk­mal, ab. Mag sein, so die trocke­ne Bot­schaft, dass die Ge­schichts­ver­ges­sen­heit und –igno­ranz der SED-Funk­tio­nä­re, die ihn tat­säch­lich kurz mit dem Ge­dan­ken spie­len lie­ßen, das Denk­mal zu zer­stö­ren, dann wahr wird, denn im Au­gust 2013 jährt sich der To­des­tag Au­gust Be­bels zum hun­dert­sten Mal. In un­se­rer Stadt könn­te man das glatt ver­ges­sen.

Spreng­mei­ster Lin­den stellt sei­ne Sta­si-Be­fra­ger und Al­ten­be­treu­er auf ei­ne har­te Pro­be (und wie ge­konnt da­bei der Le­ser zum Kom­pli­zen nicht ein­fach nur ver­ein­nahmt wird, son­dern sich spon­tan selbst ein­bin­det): Breit, as­so­zia­tiv, el­lip­tisch, aus­wei­chend, red­un­dant und auch wi­der­sprüch­lich – so er­zählt die­ser (au­to­di­dak­ti­sche) Chro­nist des Denk­mals, der Stadt Leip­zig und des Lan­des Sach­sen und gleich­zei­tig wird das al­les mit sei­nem ei­ge­nen Le­ben bzw. dem sei­ner Vor­fah­ren ver­wo­ben, phan­ta­siert, hal­lu­zi­niert.

Er er­zählt von sei­nem Va­ter im Fuß­ball­tor oder auf der Bau­stel­le und im Krieg. Der Va­ter, der mit fast fünf­zig 1932 noch SA-Mann wur­de und bei dem Ver­such nach dem Bom­ben­an­griff auf Leip­zig vom 4. De­zem­ber 1943 die Pau­li­ner­kir­che zu ret­ten ab­stürz­te und starb (und ge­nau die­se Kir­che soll­te Lin­den 1968 spren­gen – hier al­so die zwei­te Böll-Pa­ra­phra­se -, was er durch Hand­lungs­lo­sig­keit ver­wei­ger­te, zur per­so­na non gra­ta und kurz so­gar ver­haf­tet wur­de, als man ihm ein­fach Sa­bo­ta­ge vor­warf). Er er­zählt von sei­nem Sohn Joa­chim, ei­nem treu­en SED-Adep­ten, der Toch­ter, die in den 60ern in den We­sten ging und hei­ra­te­te. Er er­zählt vom Tod sei­ner Mut­ter (nun war ich der Näch­ste heißt es et­was weh­lei­dig), dem frü­hen Tod sei­ner Frau Ma­ri­an­ne, sei­ner Ver­ein­sa­mung, dem im­mer stär­ke­ren Ein­tau­chen in die Ge­schich­te und dem Lei­den an den Ver­hält­nis­sen in der DDR – und manch­mal auch noch da­nach. Und wer ge­nau liest, be­merkt auch noch die­ses lei­se, aber den­noch in­ni­ge Trau­ern um die (ver­lo­ren ge­gan­ge­ne und schein­bar für im­mer ent­schwun­de­ne) So­zi­al­de­mo­kra­tie.

Lin­den schlüpft in sei­ne Vor­fah­ren (oder die er als sei­ne Vor­fah­ren sieht); beim er­sten Ver­hör gibt er sich de­ren Vor­na­men und nennt sich Carl Fried­rich Fürch­te­gott Vo­jciech Fe­lix Al­fred. Er spürt ih­nen nach, fin­det über­all ih­re Zei­chen und In­itia­len (oder glaubt das zu­min­dest). Carl Fried­rich Lind­ner, der Vor­fahr, der als Sach­se mit Na­po­le­on ge­gen Preu­ssen kämpf­te (Sach­sen stan­den im­mer auf der fal­schen Sei­te – bis auf ein­mal), beim Plün­dern von Plün­de­rern er­schla­gen am 20. Ok­to­ber 1813. Oder spä­ter je­ner Vo­jciech Ma­chul­ski, Pfer­de­pfle­ger, Bau­ar­bei­ter, Sol­dat und Er­fin­der, der mit Fe­lix Lin­den beim Denk­mal­bau Freund- oder min­de­stens Be­kannt­schaft schloss und mit ihm in den Er­sten Welt­krieg zog (und Vo­jciechs Bru­der stand ir­gend­wo auf der an­de­ren Sei­te des Schlacht­felds). Ein­dring­li­che Bil­der ge­lin­gen da in knap­pen Sät­zen: der letz­te Som­mer ei­ner Ära (1914), Sol­da­ten, die aus Angst und oh­ne Hass schie­ssen (müs­sen); das Über­glück­li­che durch ei­nen Brief. Dann Ma­chul­skis Bein­am­pu­ta­ti­on und kurz dar­auf en­de­te er in ei­nem Mas­sen­grab.

Lin­den lebt die­se Fi­gu­ren, lässt sie auf(er)stehen, wech­selt manch­mal in die »Ich«-Form. Man weiss es nicht ge­nau: Sind die Wie­der­ho­lun­gen und Va­ria­tio­nen des Ge­sag­ten ge­woll­te Ir­re­füh­rung? Oder de­li­riert er schon? Das »Ver­hör« er­weist sich da­bei wenn nicht als »Deutsch­stun­de« so als »Sach­sen­stun­de«. Fre­di Lin­den chan­giert ir­gend­wo zwi­schen Woy­zeck, Sim­pli­ci­us und Schwei­jk, das al­les gar­niert mit ei­ner ge­wis­sen Raub­ei­nig­keit (manch­mal er­in­nert es ein biss­chen zu sehr an Fon­ty aus Grass’ »Ein wei­tes Feld«). Der Le­ser wird ins­be­son­de­re am An­fang durch­aus her­aus­ge­for­dert, sich aus dem Puz­zle der As­so­zia­tio­nen die Ge­schich­te zu re­kon­stru­ie­ren; im wei­te­ren Ver­lauf des Bu­ches wird der Er­zähl­strom et­was strin­gen­ter.

Gro­sse Mei­ster­schaft zeigt Loest im Be­schrei­ben der Brü­che der Fi­gur Fre­di Lin­den. Der Tod des Va­ters nach der Bom­ben­nacht, die Kinder…mit ei­nem Schlag zu Er­wach­se­nen wer­den lässt. Die Hin­wen­dung zum Al­ten die schon weit vor dem Mai 1968 ein­setzt, als er sei­nen Be­ruf ver­liert und im Ge­fäng­nis die Spren­gung der Kir­che als Vi­bra­ti­on spürt. Die Par­al­le­len der Ver­neh­mer zum Rit­ter­kreuz­trä­ger, der Lin­den kurz vor Kriegs­en­de fast noch ums Le­ben ge­bracht hät­te. Sei­ne Re­ak­ti­on hier­auf: Eins hab ich nie lei­den kön­nen: Grin­sen. Ich hab nie grin­sen wol­len au­ßer in die­ser Mi­nu­te.

Marsch­mu­sik als Kriegs­er­satz, die Stadt kre­pier­te un­ter dem Ge­stank der Kraft­wer­ke, Lin­den ver­kauz­te zum Ei­gen­bröt­ler, der Sohn warn­te (Va­ter, machst kei­nen Un­sinn, ja?), Häu­ser wa­ren nur noch Zie­gel- und Be­ton­hül­sen.
Seit 1988 lebt er dann in ei­nem Al­ten­heim; ist wie­der flüg­ge (ver­mut­lich in­zwi­schen als harm­lo­ser Son­der­ling ein­ge­schätzt), fährt zu sei­ner Toch­ter Eri­ka nach Det­mold und kommt sich west­fremd in ei­nem Le­ben wie in der Re­kla­me vor. Zu­rück in die Bruch­bu­de DDR und nach Leip­zig mit sei­nen Ratten…Tauben und…Brombeeren. Auch ein paar sel­te­ne Idyl­len. Und plötz­lich sieht man an Leip­zigs Au­to­an­ten­nen im­mer öf­ter Fähnchen…Weiß be­deu­te­te: Aus­rei­sen­an­trag ge­stellt, schwarz: An­trag ab­ge­lehnt. Wer sich fest­neh­men las­se, er­zähl­te Joa­chim, sich wei­ge­re, ei­ne Geld­stra­fe zu zah­len, sei bin­nen drei Wo­chen drü­ben. Joa­chim wird di­rekt dem ZK un­ter­stellt, kommt wie­der in die Stadt und soll Brücken ba­steln und re­pa­rie­ren. Aber ir­gend­wann geht re­pa­rie­ren nicht mehr.

Und wie klug die­se dann her­an­bre­chen­de Zeit und die in ihr an­ge­leg­ten Miss­ver­ständ­nis­se hier evo­ziert wer­den:

    Sieb­zig­tau­send Bür­ger ver­ein­ten sich an die­sem Abend zum Pro­test. Sie wa­ren in An­sich­ten und Zie­len zer­klüf­tet, doch das min­der­te nicht ih­re Zahl. Die mei­sten woll­ten ei­ne freund­lich funk­tio­nie­ren­de DDR mit net­ten Po­li­zi­sten, Rei­se­frei­heit und Ba­na­nen. Be­rufs­schü­ler woll­ten ih­re Mei­ster är­gern und ein­fa­che ge­nos­sen den Par­tei­se­kre­tär, Mie­ter den haus­be­auf­trag­ten, Alt­bau­be­woh­ner mit Was­ser­schä­den im Kin­der­zim­mer die Zicke vom Woh­nungs­amt, LVZ-Le­ser den Leit­ar­tik­ler, El­tern den Schul­lei­ter, der ih­re Toch­ter von der Ober­schu­le fern­ge­hal­ten, die Toch­ter den Va­ter, weil der viel zu lasch re­agiert hat­te. Hier zo­gen ehe­ma­li­ge Bau­sol­da­ten und ih­re Bräu­te, Zeu­gen Je­ho­vas, Ju­gend-Fuß­ball­spie­ler, de­ren Trai­ner sie zu­sam­men­ge­schis­sen hat­te, weil ih­re Kla­mot­ten in Al­di-Beu­teln steck­ten, Chor­sän­ger, die sich über die ewi­gen Thäl­mann- und Sta­lin­kan­ta­ten er­bo­sten, Her­zens-So­zi­al­de­mo­kra­ten, ge­schla­ge­ne des 17. Ju­ni 1953, Na­zis, Bier­mann­freun­de, wer von ei­ner Hoch­schu­le ge­flo­gen war, weil sei­ne Mit­ar­beit im El­fer­rat als de­struk­tiv ge­gol­ten hat­te, Twist­tän­zer, von Ord­nungs­kräf­ten ver­prü­gelt, weil sie aus­ein­an­der ge­tanzt hat­ten, Alt­häft­lin­ge aus den Spe­zi­al­la­gern Baut­zen, Mühl­berg und Bu­chen­wald, Rin­gel­socken­trä­ger der fünf­zi­ger Jah­re, Teil­neh­mer des Ol­of-Pal­me-Frie­dens­marschs, RIAS-Hö­rer, Deutsch­land­funk­hö­rer, wer »Sie Re­vo­lu­ti­on ent­lässt ih­re Kin­der« ver­schlun­gen hat­te. Schle­si­er­land, mein Hei­mat­land, drei Mal Aus­rei­se­an­trag ge­stellt, der Bru­der we­gen Flucht­hil­fe in Bran­den­burg – hier mit­zu­zie­hen lösch­te ei­ge­ne Feig­hei­ten aus, man zeig­te es de­nen, war un­ver­se­hens ein hecht, ein Kerl, das Mäus­chen im Männ­chen tanz­te, da die Kat­ze den Schwanz ein­kniff. Wer hier da­bei war, er­teil­te sich selbst Ab­so­lu­ti­on für ge­treu­li­che Mit­ar­beit an jed­we­der Wand­zei­tung.

Par­al­le­len zwi­schen 1813 und der Schlacht von 1989? Aber die Schlacht war ge­won­nen oder bes­ser: Sie hat­te nicht statt­ge­fun­den. Denn ihr Wi­der­part war Leip­zigs Po­li­zei­ge­ne­ral, der sei­ne Häup­ter zähl­te, und sie­he, es wa­ren sie­ben­tau­send aber die an­de­ren zehn Mal so viel. […] Viel­leicht be­sann er sich auf die Sil­be »Volk« im Ti­tel sei­ner Streit­macht und stell­te sie über al­les. Halb tri­um­phal halb schwer­mü­tig stellt Lin­den fest: Nie­mals wie­der wur­de Ger­hard Stra­ßen­burg er­wähnt. Der Po­li­zei­ge­ne­ral hat­te die wich­tig­ste Ent­schei­dung ge­trof­fen, die ein­zig rich­ti­ge, aber ein Ge­ne­ral taugt nicht fürs Ho­he­lied, das Leip­zig gar den Ti­tel ei­ner »Hel­den­stadt« ver­lei­hen woll­te. Da ist er, der Ge­rech­tig­keits­fu­ror (und nicht nur da, aber dort am deut­lich­sten).

Das Ho­he­lied blieb für die an­de­ren, die Pfar­rer, die Fei­er­abend­re­vo­lu­tio­nä­re, den Ka­pell­mei­ster, der zur Er­öff­nung des Mu­sik­tem­pels Hon­ecker die Hand schüt­tel­te und ihm noch ei­nen Dan­kes­brief schrieb, als die­ser ab­trat. Und man­che Künst­ler ga­ben den Na­tio­nal­preis zu­rück und mach­ten so das Re­vers frei fürs Bun­des­ver­dienst­kreuz.

Frontschwein…Kanonenfutter…Menschenmaterial – ein Kon­ti­nu­um von 1813 über 1914, Na­zi­zeit nebst Bom­ben­krieg bis hin zum Ex­pe­ri­ment DDR? Wann war ei­gent­lich über­haupt ein­mal Le­ben (so könn­te die un­ge­stell­te Fra­ge lau­ten)? Der des­il­lu­sio­nier­te Blick nach vor­ne – na­tür­lich kei­ne Nost­al­gie, aber auch kein Ge­nör­gel. Viel­leicht ein biss­chen spät, das Gan­ze. Oder doch ge­ra­de recht, weil man sich nicht noch ein­mal um­zu­stel­len hat? Der Sohn kann sich »ret­ten«; kommt ir­gend­wie im We­sten an. Lin­den schaut »Wet­ten, dass…?« mit den an­de­ren Be­woh­nern und der ober­ste Sach­se, der nie Ein­spruch er­hob, wenn er »Kö­nig Kurt« ge­nannt wur­de kam zum För­der­ver­ein des Her­zens­denk­mals.

Es dau­ert ein biss­chen, aber dann ist man in Fre­di Lin­dens Er­zähl­strom ver­sun­ken. Und fie­bert schließ­lich der Wen­de­zeit ent­ge­gen, die, hier­an kein Zwei­fel, aus der Be­trach­tung des Ver­gan­ge­nen an­ders zu se­hen ist als im un­mit­tel­ba­ren Mo­ment der Er­eig­nis­se sel­ber. Loest ge­lingt es in den be­sten Au­gen­blicken, Ge­schich­te zu »ver­ge­gen­wär­ti­gen«, in dem er sie aus der rein hi­sto­ri­sie­rend-my­thi­schen Über­lie­fe­rung her­aus­löst und für ei­nen Mo­ment, den er­zähl­ten Mo­ment, mit neu­er Klar­heit wie­der­erste­hen lässt. Erich Loest zeigt sich da­bei im be­sten Sin­ne des Wor­tes als ein Hei­mat­dich­ter – oh­ne Al­lü­ren oder pro­vin­zi­el­ler Ver­klä­rungs­me­ta­pho­rik. Und er ist da­bei in sehr gu­ter Ge­sell­schaft: Uwe John­sons Meck­len­burg, Böll und sein Köln (nebst Rhein­land), Her­mann Lenz’ Stutt­gart, Ma­rons Bit­ter­feld und Tell­kamps Dres­den.


Die kur­siv ge­druck­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch


Die er­sten zehn Kom­men­ta­re be­zie­hen sich auf den ur­sprüng­li­chen Bei­trag, in dem zwei Buch­be­spre­chun­gen vor­ge­stellt wur­den. Die Be­spre­chung zu Da­vid Wro­blew­skis Buch ist hier.

15 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Wro­blew­ski hab ich ge­le­sen und fand es nicht wirk­lich über­zeu­gend, der Loest steht noch auf mei­nem Wunsch­zet­tel, so­daß ich an bei­den Re­zen­sio­nen in­ter­es­siert wä­re.
    Hm, 3 Ta­ge für 12 Stim­men : Du setzt schar­fe Maß­stä­be. ;) Soll ich Dir ein Au­toren­recht in mei­nem Blog ein­räu­men – un­ter der Vor­aus­set­zung, Du ver­öf­fent­lichst Dei­ne Ar­ti­kel oh­ne vor­he­ri­ge Nach­fra­ge ? LG und in der Hoff­nung auf ge­nü­gend Zu­stim­mung ti­ni­us

  2. Auch ich
    ... wür­de mich sehr freu­en, wenn Loest ei­ne Mehr­heit fin­det! Ha­be das »Völ­ker­schlacht­denk­mal« vor ca. 14 Jah­ren ge­le­sen, es ist un­be­dingt le­sens­wert. Und nun »Lö­wen­stadt«, ich bin sehr ge­spannt.

  3. Ich le­se dei­ne Kri­ti­ken sehr ger­ne. Aber kei­nes der Bü­cher wür­de ich mir kau­fen. Das liegt zum Groß­teil dar­an, dass ich mo­men­tan mit Bü­chern ein­ge­deckt bin. Mein heu­ti­ger Bei­trag zeigt, wo­mit z.B. und dass mich das mehr in An­spruch nimmt, als es Bü­cher ge­mein­hin tun.
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    Ich bin noch nicht ein­mal zum Slo­ter­di­jk ge­kom­men, ge­schwei­ge denn zu Pi­s­a­na, die mir ein gu­ter Freund ge­schenkt hat.
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    In­ter­es­siert bin ich aber im­mer dar­an, was Du zu ei­nem Buch zu sa­gen hast:)

    Lie­be Grü­ße aus Wien
    H

  4. Oh, »Pi­s­a­na« von Nie­vo. Ich mag die­sen Ro­man sehr, sehr gern. Und Gre­gor hat recht : ei­ne Re­zen­si­on ist al­len­falls ei­ne Emp­feh­lung, nie­mals ein Kauf­be­fehl. Aber Men­schen, die ei­nen en­ge­ren Be­zug zu Bü­chern ha­ben, bie­ten sie auch oh­ne Lek­tü­re der be­spro­che­nen Bü­cher ein wei­te­res Frag­ment ei­ner sich stän­dig er­wei­tern­den Welt. LG ti­ni­us

  5. Ich sel­ber le­se Buch­be­spre­chun­gen (wenn’s sein muss auch Re­zen­sio­nen) um zu er­fah­ren be­stimm­te Bü­cher nicht le­sen zu müs­sen bzw. ich de­le­gie­re das Le­sen dann in dem Mo­ment an den Re­zen­sen­ten.

    Manch­mal wun­de­re ich mich al­ler­dings bei Bü­chern, die ich schon ge­le­sen ha­be, was die Leu­te hin­ein­le­sen oder auch nicht.

    Das »ver­füh­re­risch« ist ein sehr schö­nes Kom­pli­ment.

  6. Nütz­lich
    Im­mer­hin weiß ich nun, dass mich »Lö­wen­stadt« in­ter­es­sie­ren könn­te – auf­grund der kur­zen Buch­be­spre­chun­gen (Re­zen­sio­nen wa­ge ich sie nicht zu nen­nen), die mir bis­her un­ter­ge­kom­men sind, wä­re ich nicht auf die­se Idee ge­kom­men. Die ver­lei­te­ten mir eher zur An­nah­me: »Schon wie­der so ein Schmö­ker über die Be­find­lich­keit ei­nes al­ten DDR-Bür­gers.« Und zum Nicht-Le­sen ei­nes wahr­schein­lich in­ter­es­san­ten Ro­ma­nes. Lei­der ha­be ich mir bis­her auch den Vor­gän­ger »Völ­ker­schlacht­denk­mal« (ob­wohl es über den ei­ni­ge Re­zen­sio­nen gibt, die die­sem Na­men ver­die­nen) ent­ge­hen las­sen.
    Wi­der­wil­len ge­gen das The­ma? Ich ge­hö­re zu je­nen, die nur des­halb ge­gen die Spren­gung der deut­schen Groß­denk­mä­ler sind, weil ih­re Be­sei­ti­gung Ge­schichts­klit­te­rung wä­re. Die Funk­ti­on die­ser Denk­mä­ler ist es m. E. als Mahn­ma­le an Epo­chen deut­schen Grö­ßen­wahns zu er­in­nern ... Aus die­ser Po­si­ti­on her­aus nei­ge ich wohl da­her da­zu, je­der »tie­fe­ren« Aus­ein­der­set­zung mit z. B. dem Völ­ker­schlacht­denk­mal aus dem We­ge zu ge­hen. Viel­leicht äh­nelt mei­ne Hal­tung der »Ge­schichts­ver­ges­sen­heit und –igno­ranz der SED-Funk­tio­nä­re« in Loests Ro­man. Das macht mich neu­gie­rig.

  7. Das Denk­mal ist letzt­lich nur das Büh­nen­bild, vor dem sich die hi­sto­ri­schen Er­eig­nis­se ab­spie­len. Ein biss­chen er­scheint das als Ge­gen­ent­wurf zu Mu­sils Bon­mot, dass nichts so un­sicht­bar sei, wie Denk­mä­ler. Loest nimmt da­bei al­ler­dings über­haupt kei­ne In­ter­pre­ta­ti­on die­ses Denk­mals vor.

    Mich hat auch er­staunt, dass die­ses Buch nicht mehr Re­so­nanz in der Öf­fent­lich­keit er­zielt hat. Loest ist ein re­spek­ta­bler und wie ich fin­de wich­ti­ger Au­tor. Statt­des­sen er­götzt oder ver­teu­felt man lie­ber Gir­lie-Li­te­ra­tur à la Kutt­ner und Ro­che.

  8. Der Chro­nist des Denk­mals
    In mei­nen Au­gen ge­lingt es Loest mit sei­nem Prot­ago­ni­sten Lind­ner Ge­schich­te le­ben­dig wer­den zu las­sen. Das hat­te mir beim Le­sen vom „Völ­ker­schlacht­denk­mal“ sehr gut ge­fal­len. Ich glau­be, ich bin wäh­rend mei­nes Ge­schichts­un­ter­richts in der Schu­le nie so dicht an die Völ­ker­schlacht von 1813 her­an­ge­kom­men wie in die­sem Buch. Das hat­te mich auch nach Be­en­di­gung der Loest- Lek­tü­re wei­ter­hin be­schäf­tigt und fand in ei­nem der Na­po­le­on­fil­me vor ca. 5 Jah­ren noch­mals mehr Verständnis/Aufklärung für die da­ma­li­ge po­li­ti­sche Si­tua­ti­on.
    Die wei­te­ren po­li­ti­schen Sta­tio­nen bis in die neue­re Zeit hin­ein hat­te ich ger­ne „mit­ge­nom­men“, war für mich dann aber nicht so neu wie o.g..
    Und seit die­sem Buch ist der Be­griff „Denk­mal“ aus mei­nem Sprach­ge­brauch so gut wie ver­schwun­den. Für mo­nu­men­ta­le Er­in­ne­rungs­bau­ten ( Krieg, Ge­fal­le­ne, Er­mor­de­te,...) soll­te der Be­griff „Mahn­mal“ lau­ten ( sie­he Ho­lo­caust-Mahn­mal in Ber­lin).

    Ih­re Re­zen­si­on zu „Lö­wen­stadt“ hat mich sehr ge­freut, ha­be ich doch noch­ein­mal in Lind­ners Welt hin­ein­schau­en kön­nen.
    War­um nennt Loest sein Buch Lö­wen­stadt? Ich ha­be Lü­beck und ei­ne Stadt­neu­grün­dung im Ra­vens­bur­gi­schen im Kopf so­wie die Stadt Braun­schweig, die ja m.E. im­mer noch Lö­wen­stadt heißt. Aber Leip­zig? Oder möch­te er es auf die „Neu­schrei­bung“ sei­nes Bu­ches „Völ­ker­schlacht­denk­mal“ be­zie­hen? Oder be­zieht es sich auf den Wie­der­auf­bau der Stadt Leip­zig nach dem 2. Welt­krieg?
    LG
    Lou-Sa­lo­me

    Nach­trag: Mit der For­ma­tie­rung klappt es nicht. Ich ha­be ei­ni­ges kur­siv ge­schrie­ben und nach dem Ein­fü­gen ins Kom­men­tar­feld sieht al­les wie­der gleich aus. Hm.

  9. Der Ti­tel »Lö­wen­stadt« be­zieht sich auf das Wap­pen Leip­zigs (wel­ches ei­nen Lö­wen zeigt). Wit­zig die An­ek­do­te, die er er­zählt, als Ma­chul­ski Lö­wen aus dem Zoo be­freit und ins Denk­mal brin­gen will (was miss­lingt, da die Lö­wen aus­rei­ssen). Das Buch ist voll von sol­chen (wah­ren? fik­ti­ven?) An­ek­do­ten.

    Ih­ren Ein­druck, nie so dicht an die Völ­ker­schlacht von 1813 her­an­ge­kom­men zu sein, kann ich un­be­dingt be­stä­ti­gen. Vie­les ver­dich­tet sich hier, aber nicht in ei­nem päd­ago­gi­schen Er­ler­nen hi­sto­ri­scher Zu­sam­men­hän­ge, son­dern eben als Er­zäh­lung.

    Der Wort­wan­del »Denk­mal« – »Mahn­mal« ist viel­leicht ein biss­chen zeit­gei­stig. »Denk­mal« als ei­ne Art Im­pe­ra­tiv (»Denk Mal drü­ber nach!«), dem man sich heu­te nicht mehr aus­st­zen möch­te. »Mahn­mal« hat im­mer auch die Kon­no­ta­ti­on des Schreck­li­chen, des Furcht­ba­ren. Et­li­chen »Denk­mä­lern« kommt man da­mit na­he, aber an­de­ren nicht (ich ha­be ge­ra­de ein Buch ge­le­sen, in dem ein Bis­marck-Denk­mal ei­ne Rol­le spielt – es wä­re m. E. falsch, die­ses Bis­marck-Denk­mal [man mag da­zu ste­hen, wie man will] »Mahn­mal« zu nen­nen).

    Die Kur­siv­set­zung ge­lingt mit < i > und wird mit < /i > be­en­det (oh­ne Zwi­schen­räu­me).

  10. Ich den­ke, es gibt bei­de Be­grif­fe par­al­lel. Im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch wird wohl »Denk­mal« ver­blei­ben. Aber et­was das »Ho­lo­caust – Mahn­mal« als sol­ches zu be­zeich­nen oder spä­ter vei­nes für die Ge­fal­le­nen der Nicht – Krieg – Ein­sät­ze hat sei­nen Sinn, ei­ne Rei­ter­sta­tue Fried­richs oder ein Bis­marck – Denk­mal wer­den Denk­mä­ler blei­ben, weil sie es schlicht auch sind und der mah­nen­de Aspekt al­len­falls ei­ne Rand­er­schei­nung wä­re. Den­ken kommt ety­mo­lo­gisch nicht zu­fäl­lig doch eher von Ge­den­ken ???