Fluch oder Se­gen?

Was die Di­gi­ta­li­sie­rung bringt und was sie zer­stört

…un­gen

Es gibt in der Mensch­heits­ge­schich­te Ent­wick­lun­gen, die un­ver­meid­lich schei­nen. Wa­ren sie ein­mal in Gang ge­kom­men, muß­ten sie wei­ter­ge­hen, nichts konn­te sie auf­hal­ten, am we­nig­sten die Pro­te­ste kon­ser­va­ti­ver, auf Be­wah­rung des Über­lie­fer­ten be­dach­ter Men­schen. Das gilt, in der neue­ren Zeit, für die In­du­stria­li­sie­rung, die Elek­tri­fi­zie­rung, den welt­wei­ten Han­del, die Glo­ba­li­sie­rung, die Ver­ma­ssung des Zu­sam­men­le­bens, die Aus­brei­tung und den Ein­fluß der Mas­sen­me­di­en, die Ver­wis­sen­schaft­li­chung der Öko­no­mie und an­de­rer Le­bens­be­rei­che, die Er­for­schung und Ma­ni­pu­la­ti­on des pflanz­li­chen, tie­ri­schen und mensch­li­chen Le­bens, die Au­to­ma­ti­sie­rung und Ro­bo­ter­i­sie­rung, die Sa­tel­li­ten­kom­mu­ni­ka­ti­on, die Aus­brei­tung und zu­neh­men­de Ver­dich­tung ei­nes welt­wei­ten elek­tro­ni­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­net­zes. Es gilt eben­so für die Di­gi­ta­li­sie­rung, die sich mit ei­ni­gen die­ser Ent­wick­lun­gen über­schnei­det. Nichts da­von kann man rück­gän­gig ma­chen. Man kann ver­su­chen, die ent­spre­chen­den Vor­gän­ge und Phä­no­me­ne zu re­geln, zu ge­stal­ten, zu be­gren­zen. Mehr nicht.

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Die Di­gi­ta­li­sie­rung wird im All­tags­le­ben von vie­len als Se­gen er­lebt, von an­de­ren als Fluch, oder ab­wech­selnd, so­gar gleich­zei­tig, als bei­des, Se­gen und Fluch. Ein Se­gen, wenn man mit weit ent­fern­ten Men­schen kom­mu­ni­zie­ren kann, oh­ne ei­gens da­für zu be­zah­len. Be­quem, zu Hau­se – al­so im »Netz« – ein­kau­fen zu ge­hen, Ho­tel­zim­mer zu bu­chen, Fahr­kar­ten zu kau­fen. Un­ter­halt­sam, zu spie­len, zu sur­fen, zu chat­ten. Be­quem und un­ter­halt­sam ist sie, un­se­re di­gi­ta­le Welt. Und bil­lig.

Auf der an­de­ren Sei­te: Wir ha­ben zu­neh­mend das Ge­fühl, über­wacht zu wer­den. Stän­dig ge­ben wir, oh­ne es recht zu mer­ken, In­for­ma­tio­nen über uns preis, die dann für ewi­ge Zei­ten ge­spei­chert blei­ben, und doch kön­nen wir oh­ne das Smart­phone nicht le­ben, es ist Teil von uns selbst, wir sind vom In­ter­net, die­ser to­ta­len Ver­bun­den­heit, ab­hän­gig. Die Ver­net­zung und das Da­sein dar­in ist per se ein Zu­stand der Ab­hän­gig­keit. Je wei­ter die di­gi­ta­le Per­so­na­li­sie­rung vor­an­schrei­tet, de­sto un­frei­er wer­den wir. Nicht Men­schen, son­dern Ma­schi­nen be­stim­men über uns.

in­nen … au­ßen … in­nen

In ein und der­sel­ben Aus­ga­be der Süd­deut­schen Zei­tung las ich neu­lich zwei Ar­ti­kel, die auf den er­sten Blick we­nig mit­ein­an­der zu tun hat­ten und ganz ver­schie­de­nen Re­dak­ti­ons­be­rei­chen zu­ge­ord­net wa­ren. Der ei­ne stand auf Sei­te 2, In­nen­po­li­tik und Kom­men­ta­re, der an­de­re im Feuil­le­ton auf Sei­te 11. Auf Sei­te 2 for­der­te der Lei­ter des »Ber­li­ner Bü­ros des Zu­kunfts­in­sti­tuts«, ein stu­dier­ter Ju­rist und Öko­nom, die deut­sche Bun­des­re­gie­rung auf, die Chan­cen der Di­gi­ta­li­sie­rung zu er­ken­nen und bes­ser zu nut­zen. In sei­nem Ar­ti­kel stieß ich auf die kla­re, fast schon ma­ni­fest­ar­ti­ge Be­haup­tung: »Das Ver­spre­chen der Di­gi­ta­li­sie­rung heißt Teil­ha­be und Ar­beit für al­le.«

Im Feuil­le­ton hin­ge­gen be­trach­te­te ein frei­er Jour­na­list un­ter dem Ti­tel »Kon­takt­los« den Kom­plex der Di­gi­ta­li­sie­rung nicht vom Stand­punkt der Öko­no­men und Pro­du­zen­ten, son­dern von der Sei­te der Kon­su­men­ten, der Käu­fer und »Nut­zer«, die sich durch den Ge­brauch von Kre­dit­kar­ten und im­ma­te­ri­el­len Zah­lungs­me­tho­den den di­ver­sen, oft oft­mals dunk­len, un­durch­sich­ti­gen Netz­wer­ken und Da­ten­ver­wer­tungs­sy­ste­men ein­fü­gen und un­ter­ord­nen. Auch das bar­geld­lo­se Be­zah­len in al­len Le­bens­la­gen ist auf den er­sten Blick prak­tisch (ich er­in­ne­re mich an ei­nen min­de­stens zwei Jahr­zehn­te al­ten Fern­seh­spot, wo ein gut trai­nier­ter und ge­bräun­ter jun­ger Mann mit Kre­dit­kar­te im Bund sei­ner Ba­de­ho­se in ei­nen Ho­tel­swim­ming­pool springt, um an­schlie­ßend mit dem Pla­stik­kärt­chen win­kend bei ei­ner hüb­schen jun­gen Kell­ne­rin ei­nen Cock­tail zu be­stel­len). Der Feuil­le­ton­jour­na­list der SZ be­schloß sei­ne War­nun­gen mit dem dü­ste­ren Satz: »Wer das Bar­geld ab­schafft, schafft letzt­lich auch die Mensch­lich­keit ab.«

Der Kom­men­tar des Zu­kunfts­for­schers stand in der Ru­brik »Au­ßen­an­sicht«, und auch der Bei­trag des frei­en Jour­na­li­sten ent­sprach nicht zwangs­läu­fig der Auf­fas­sung der Feuil­le­ton­re­dak­ti­on. Ge­nau das schät­ze ich an Zei­tun­gen wie der Süd­deut­schen, daß sie un­ter­schied­li­che, manch­mal kon­trä­re und so­gar ex­tre­me An­sich­ten zu Wort kom­men läßt und ko­or­di­niert oder in ein – sei’s auch un­ter­grün­di­ges – Span­nungs­ver­hält­nis setzt. Das för­dert, ganz im Un­ter­schied zu den di­gi­ta­len Fil­ter­bla­sen, die gei­sti­ge Reg­heit der Le­ser.

Ko­sten und Nut­zen

Viel­leicht hat er ja Recht, der Zu­kunfts­for­scher. Kör­per­li­che Tä­tig­keit wird über­flüs­sig; gei­sti­ge, rech­nen­de, kon­trol­lie­ren­de Tä­tig­kei­ten sind zu­neh­mend ge­fragt. Su­per­vi­si­on, Über­wa­chung und War­tung von Ma­schi­nen und Sy­ste­men, die zu­meist selbst­tä­tig funk­tio­nie­ren; ein­sprin­gen und Ent­schei­dun­gen tref­fen, wenn die Ma­schi­ne aus­fällt oder un­zu­ver­läs­sig wird; Ent­wick­lung und Steue­rung von kom­ple­xen Sy­ste­men; Ge­währ­lei­stung von di­gi­ta­ler Si­cher­heit, aber auch im rea­len Le­ben (Ge­fähr­der schaf­fen Ar­beits­plät­ze); Tä­tig­kei­ten in der Wer­be­bran­che, (Selbst)darstellungsberatung, Re­pu­ta­ti­ons­ma­nage­ment, Ra­ting und Ran­king be­zie­hungs­wei­se, all­ge­mei­ner ge­spro­chen, Da­ten­aus­wer­tung und ‑ver­wer­tung; Mar­ke­ting, Er­for­schung und Be­ein­flus­sung von Kun­den­ver­hal­ten; na­tür­lich auch For­schung und Ent­wick­lung im her­kömm­li­chen Sinn; You­tube als pro­fi­ta­bles Tä­tig­keits­feld, so­ge­nann­tes In­fluen­cing, Be­reit­stel­lung von au­dio­vi­su­el­len In­hal­ten pop­kul­tu­rel­ler Art, was in vie­len Fäl­len be­deu­tet: von un­ter­halt­sa­mem Non­sens; Plat­ten­auf­le­gen in Clubs (das vor der Di­gi­ta­li­sie­rung auf­kam, nun aber neue Mög­lich­kei­ten er­hält); Klick- und Da­ten­han­del… Man sieht, es sind zahl­lo­se neue Be­rei­che ent­stan­den oder im Ent­ste­hen, und es wer­den neue hin­zu­kom­men, der Di­gi­ta­li­sie­rung sei Dank. Was als Ar­beit gilt, und vor al­lem, was als sol­che re­mu­ne­riert wird, hat mit den Ar­beits­be­grif­fen, die vor ei­nem hal­ben Jahr­hun­dert herrsch­ten, nicht mehr viel zu tun. Die Kri­te­ri­en, die bei der Ent­loh­nung bzw. Rech­nung­stel­lung zur An­wen­dung kom­men, sind oft un­durch­sich­tig oder nach her­kömm­li­chen frag­wür­dig. Der Markt wird sich schon ir­gend­wie re­gu­lie­ren.

Wel­che For­men der Ar­beit ver­lo­ren­ge­hen, weiß je­der; in vie­len Fäl­len wird man ih­nen kei­ne Trä­ne nach­wei­nen. Die Hand­werks­be­ru­fe sind schon mit der In­du­stria­li­sie­rung rand­stän­dig ge­wor­den, doch bald wird man auch kei­ne Sport­re­por­ter, Leh­rer, Pfle­ger, Fah­rer, Schaff­ner, Trans­por­teu­re, Ver­käu­fer, Kas­sie­rer, Rei­se­bü­ros, Schall­plat­ten- oder Buch­ge­schäf­te mehr brau­chen. Ein Bei­spiel: Die gro­ßen ja­pa­ni­schen Ani­me-Stu­di­os wie Ghi­b­li be­schäf­tig­ten ein Heer von Zeich­nern; die Fort­schrit­te der Com­pu­ter­gra­phik ha­ben sie in­zwi­schen über­flüs­sig ge­macht. Der (in die Jah­re ge­kom­me­ne) Re­gis­seur und Grün­der der Fir­ma Ha­yao Mi­ya­za­ki be­en­de­te auch aus die­sem Grund sei­ne Kar­rie­re. Na­tür­lich braucht man ei­ne – viel ge­rin­ge­re – An­zahl von Leu­ten, die die Com­pu­ter­pro­gram­me ent­wickeln, steu­ern und über­wa­chen. Aber das ge­hört auf die Nut­zen-Sei­te, sie­he oben. Und ver­schwei­gen soll­ten wir auch nicht, daß un­ter die­sen Be­din­gun­gen Ni­schen ent­ste­hen (oder grö­ße­re Ein­hei­ten auf klei­ne, aber nach­hal­ti­ge Kon­tu­ren schrump­fen). Ech­te, rea­le Buch­hand­lun­gen, Schall­plat­ten­lä­den, Le­der­schuh­ge­schäf­te für Eli­ten... Die Mas­se ist mit dem di­gi­ta­len Main­stream und dem Pla­stik aus dem In­ter­net voll­auf zu­frie­den.

Viel­leicht hat er ja Recht, der freie Jour­na­list. Viel­leicht füh­ren die täg­lich in ei­ne scha­le Un­end­lich­keit hoch­ge­trie­be­nen »Kon­tak­te«, die meist nicht viel mehr als ab­strak­te Schnitt­stel­len und Da­ten­punk­te sind, zu Kon­takt­lo­sig­keit; zu ei­nem Man­gel an ech­ter, d. h. mensch­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on, bei der man auf ein Ge­gen­über ein­geht, es be­fragt, ihm ant­wor­tet, es ver­steht und wert­schätzt oder auch kri­ti­siert. Ein­ge­rich­tet in der vir­tu­el­len Welt, müs­sen wir uns nicht mehr vom Fleck be­we­gen. Al­len­falls ge­hen wir ins Fit­neß­cen­ter, so­lan­ge un­se­re Kör­per noch nicht be­lie­big re­pa­rier­bar sind. Aber auch das Den­ken und Füh­len wird ja durch den Kör­per be­trie­ben. So wä­ren wir am En­de die­ser »Ent­wick­lung« voll­ends, in je­der Hin­sicht, aus­tausch­bar? Und in­so­fern dann ver­zicht­bar? Die kul­tur­pes­si­mi­sti­sche Per­spek­ti­ve sagt: Ja, so ist es, so wird es kom­men.
Ei­ne Zeit­lang, als die Re­de von Big Da­ta auf­kam und die Über­wa­chung der Bür­ger durch ei­ne US-ame­ri­ka­ni­sche Si­cher­heits­be­hör­de ans Ta­ges­licht kam, dach­te ich, daß ein Nor­mal­bür­ger wie ich sich da­vor nicht fürch­ten müs­se. Was soll­ten die mit mei­nen Da­ten schon groß an­stel­len? Das se­he ich nicht mehr ganz so. Er­stens möch­te ich auch vor dem »nor­ma­len« bü­ro­kra­ti­schen und kom­mer­zi­el­len Zu­griff der Da­ten­ver­wer­ter ge­schützt sein; zwei­tens le­gen die von mir ge­sam­mel­ten Da­ten mei­nen Hand­lungs­spiel­raum fest und en­gen ihn mög­li­cher­wei­se ein; und drit­tens bin ich mir nicht mehr si­cher, daß die De­mo­kra­tien, in de­nen wir le­ben, noch lan­ge hal­ten wer­den. Daß sich die Ge­schich­te der Zwi­schen­kriegs­zeit des 20. Jahr­hun­derts, al­so die to­ta­li­tä­re Ra­di­ka­li­sie­rung, zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts wie­der­ho­len könn­te, ha­be ich noch vor kur­zem für un­mög­lich ge­hal­ten. In­zwi­schen müs­sen wir mit die­ser Mög­lich­keit rech­nen, und es steht – in pes­si­mi­sti­scher Per­spek­ti­ve – zu be­fürch­ten, daß die Di­gi­ta­li­sie­rung und »Ver­net­zung« dem Rechts­extre­mis­mus in die Hän­de spielt.

Drit­tens, die Da­ten als sol­che. Mit Hil­fe von Al­go­rith­men kön­nen wir mehr Kor­re­la­tio­nen zwi­schen Da­ten­punk­ten her­stel­len denn je. Es hat sich aber ge­zeigt, daß vie­le die­ser Kor­re­la­tio­nen un­sin­nig oder ir­re­füh­rend sind. Des­halb ist im­mer wie­der zu fra­gen, ob das nu­me­ri­sche Den­ken der Ma­schi­nen, so ra­send schnell es sich auch voll­zie­hen mag, wirk­lich Er­kennt­nis­ge­win­ne bringt.

Ha­ben und Sein

Zwi­schen Ko­sten und Nut­zen wä­re al­so ei­ne Be­zie­hung her­zu­stel­len, im Sinn ei­ner Rech­nung, aber nicht nur. Ich ken­ne die Sta­ti­sti­ken nicht – und be­zweif­le, daß sich ei­ne ver­läß­li­che Ge­samt­sta­ti­stik über­haupt her­stel­len läßt –, ha­be aber den Ein­druck, daß al­les in al­lem mehr Ar­beits­plät­ze und Be­ru­fe (im Sinn ei­nes dau­er­haf­ten Tä­tig­keits­pro­fils) ver­nich­tet als neue ge­schaf­fen wer­den. Hier kann und soll man durch­aus zwi­schen Plus und Mi­nus ab­wä­gen. Lang­fri­stig ge­se­hen wer­den im­mer mehr Tä­tig­kei­ten, auch sol­che in­tel­lek­tu­el­ler Art, von Ma­schi­nen über­nom­men wer­den, so daß die Men­schen in ei­nem po­si­ti­ven Sinn frei von Ar­beit wer­den könn­ten: frei für schöp­fe­ri­sche Ak­ti­vi­tä­ten, dar­un­ter sol­che, die kei­ner­lei ma­te­ri­el­len Nut­zen ab­wer­fen. Man könn­te dem Ent­we­der-Oder ent­kom­men und könn­te, wie De­leu­ze und Guat­ta­ri es nann­ten, ei­ne Flucht­li­nie zie­hen und die Be­deu­tung von Ar­beit, das Ver­hält­nis von frei­er und zwangs­wei­ser Tä­tig­keit, von Men­schen und Ro­bo­tern neu de­fi­nie­ren. So kä­men wir zu ei­nem an­de­ren Feld, das ich hier nicht be­tre­ten will, das aber seit et­li­chen Jah­ren öf­fent­lich dis­ku­tiert und auch po­li­tisch be­ackert wird. Und was den di­gi­ta­len, »kon­takt­lo­sen« Geld­ver­kehr be­trifft, so könn­te im sel­ben Zu­sam­men­hang die Not­wen­dig­keit des Geld­ver­die­nens über­haupt ver­schwin­det. Auch aus die­ser Not­wen­dig­keit wür­de dann ei­ne Frei­heit: Wer will, soll ma­te­ri­el­le Reich­tü­mer schef­feln; zu ei­nem men­schen­wür­di­gen Le­ben hat man auch so ge­nug… Ich weiß, so ticken die mei­sten Men­schen nicht. Die mei­sten, al­so die Mas­se, reibt sich zwi­schen Ha­ben und Nicht-Ha­ben (von Ar­beit bzw. Geld) auf.

Hal­tung…

Den Lauf der Din­ge kann man, ganz all­ge­mein, auf zwei­er­lei Art be­trach­ten: mit Op­ti­mis­mus, al­so dem Glau­ben, daß al­les bes­ser wer­den wird; oder pes­si­mi­stisch, der Ver­schlech­te­rung, der En­tro­pie, dem (noch) fer­nen Tod ent­ge­gen­se­hend. Über die­sen Dua­lis­mus rümp­fen An­spruchs­vol­le gern die Na­se, und Wis­sen­schaft­ler hal­ten das Be­griffs­paar für »un­wis­sen­schaft­lich«. Den­noch läßt sich ein Gut­teil der eu­ro­päi­schen Gei­stes­ge­schich­te da­mit sinn­fäl­lig und sinn­voll ord­nen. Rous­se­au, Marx, Ha­ber­mas gin­gen von der Ver­bes­se­rungs­fä­hig­keit der mensch­li­chen Ge­sell­schaft aus, und in de­ren Schutz­raum sa­hen sie schö­ne Mög­lich­kei­ten für das In­di­vi­du­um, sich zu ent­fal­ten (wenn­gleich je­des ein­zel­ne sterb­lich war und ist). Nietz­sche, Freud, Cioran oder auch Bo­tho Strauß skiz­zier­ten pes­si­mi­sti­sche, tra­gi­sche Welt­bil­der, in de­ren Rah­men al­len­falls ei­ne klei­ne Eli­te et­was Blei­ben­des zu­we­ge brin­gen konn­te (auch wenn Nietz­sche ali­as Za­ra­thu­stra mit der Rol­le des Ret­ters lieb­äu­gel­te).

…und weg

Skep­sis ist ei­ne drit­te Hal­tung, aber kein Weg. Der Skep­ti­ker zö­gert, er ver­wei­gert die Ent­schei­dung, ver­schiebt sie ein ums an­de­re Mal. War­um nicht, er hat gu­te Grün­de da­für… Die­se Hal­tung läßt sich als Prag­ma­tis­mus in die wirk­li­chen Ver­hält­nis­se ein­brin­gen. Klei­ne Ent­schei­dun­gen statt gro­ßer; ka­ka­ni­sches Fort­wur­steln. Aber manch­mal sind eben doch gro­ße Ent­schei­dun­gen not­wen­dig; sie nicht zu tref­fen, kann le­bens­ge­fähr­lich wer­den, z. B. beim Um­welt­schutz. Manch­mal aber scheint es mir not­wen­dig, sich nach ei­nem Aus­weg um­zu­se­hen. Nach We­gen, die frucht­los ge­wor­de­ne Al­ter­na­ti­ven links und rechts lie­gen las­sen.

30 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Los­ge­löst von den bei­den ge­nann­ten Ar­ti­keln in der SZ wirft der Text in­ter­es­san­te Fra­gen auf. Ich ma­che mal den An­fang.

    Ei­ne The­se mei­ner­seits geht da­hin, dass »wir« (d. h. die­je­ni­gen, die sich als kri­ti­sche Öf­fent­lich­keit ver­ste­hen) die Di­gi­ta­li­sie­rung lan­ge Zeit als ei­ne neue Spiel­art von Kom­mu­ni­ka­ti­on ver­stan­den ha­ben. Da gab es ja die­se »Gu­rus«, die das re­gel­recht ab­ge­fei­ert ha­ben. Stich­wort: De­mo­kra­ti­sie­rung. Und es gab die Mah­ner und Be­den­ken­trä­ger, die die­se Ent­wick­lun­gen von An­fang an kri­tisch bis ab­leh­nend be­glei­te­ten.

    Heu­te weiss man, das bei­des falsch war. Es ist wert­vol­le Zeit ver­stri­chen, um die Di­gi­ta­li­sie­rung ein­zu­zäu­nen. Ich mei­ne da­mit nicht nur die so­ge­nann­ten »Hass­kom­men­ta­re«. Be­zie­hungs­wei­se: Ich mei­ne sie na­tür­lich auch.

    Man ma­che sich aber nichts vor: Die Un­flä­tig­kei­ten, die ei­nem in den Kom­men­tar­be­rei­chen in den so­ge­nann­ten so­zia­len Netz­wer­ken zu­wei­len ent­ge­gen­schla­gen (es gibt üb­ri­gens auch an­de­re Mög­lich­kei­ten des Um­gangs, auch auf Face­book und Twit­ter), wer­den in­zwi­schen von den Mas­sen­me­di­en als sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig ge­mel­det und kom­men­tiert. Das gröss­te Pro­blem be­steht dar­in, dass jeg­li­che Äu­sse­rung von »Freund und Feind« kom­men­tiert, be­wer­tet, skan­da­li­siert oder ap­plau­diert wird. Da­mit ent­steht erst der Re­so­nanz­raum, der dann aber­mals ei­ne rhe­to­ri­sche Es­ka­la­ti­ons­spi­ra­le er­zeugt. Es ist sehr schwie­rig, sich die­sem Sog zu ent­zie­hen, wenn man sel­ber dort erst ein­mal drin­steckt.

    Gra­vie­ren­der noch ist der Ein­fluss der Di­gi­ta­li­sie­rung auf das »nor­ma­le« Le­ben. Et­was non­cha­lant wird in dem Es­say dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich die Be­rufs­welt än­dern wird (sie tut es ja be­reits) und z. B. Hand­werks­be­ru­fe zu­rück­ge­hen. Ge­nau die­se sind al­ler­dings längst Man­gel­be­ru­fe. Wir war­ten auf den Ko­sten­vor­schlag ei­nes Dach­deckers be­reits ein Jahr; er nimmt zu­erst die Eil-Auf­trä­ge an, dann die­je­ni­gen, mit de­nen er gro­sse Ein­nah­men ge­ne­rie­ren kann. Fra­ge­stel­lun­gen nach den Ko­sten braucht er nicht mehr zu be­ant­wor­ten. Elek­tri­ker neh­men bis zu 120 Eu­ro für die An­fahrt. Ähn­lich de­sa­strös sieht es mit Dienst­lei­stun­gen aus, die – ver­meint­lich – durch die Di­gi­ta­li­sie­rung ent­behr­lich sind.

    Mei­ne Bank hat mir vor ei­ni­gen Wo­chen mit­ge­teilt, dass sie ei­ne EU-Richt­li­nie zur bes­se­ren Si­cher­heit der On­line-Bank­ver­fah­ren um­set­zen muss. Hier­zu ist es jetzt not­wen­dig ein Smart­phone zu be­sit­zen (bis­her reich­te ein Han­dy für den SMS-Emp­fang aus). Zu­sätz­lich muss ich mir dann ein Ge­rät kau­fen (bis zu 30 Eu­ro), wel­ches bei mir zu Hau­se ei­ne TAN ge­ne­riert (das ich als Kun­de die­se Ko­sten be­zah­len muss, stand si­cher­lich nicht in der EU-Richt­li­nie). Wir checken noch, was mei­ne Frau ma­chen soll, die kein Smart­phone hat und kei­nes möch­te. Frei­lich kann man auch Über­wei­sun­gen von Hand aus­fül­len und der Bank zu­schicken. Das ko­stet dann bis zu 4,90 Eu­ro.

    Wir be­fin­den uns m. E. im­mer noch in ei­ner Um­bruch­pha­se. Im Mo­ment spricht al­les da­für, dass die Di­gi­ta­li­sie­rung wei­ter vor­an­schrei­ten soll. Das Pro­blem ist in dem Es­say an­schau­lich be­schrie­ben: Wo bis­her Ma­schi­nen Ar­beits­er­leich­te­run­gen für Men­schen bo­ten, be­gin­nen sie, den Men­schen zu do­mi­nie­ren. In dem Ma­ße, wie Men­schen, d. h. Ar­beit­neh­mer, über­flüs­sig wer­den, wird die Di­gi­ta­li­sie­rung kei­ne neue Ar­beits­plät­ze ge­ne­rie­ren kön­nen. Ei­ne Zeit lang wer­den wir uns noch die Vor­tei­le ein­rah­men, bis es ir­gend­wann zu ei­nem häss­li­chen Bild kom­men wird. Aber der Geist kann nicht mehr zu­rück in die Fla­sche.

  2. Die Di­gi­ta­li­sie­rung ver­brei­tet sich ka­pil­lar, sie durch­dringt al­le Le­bens­be­rei­che, die SM sind nur ei­nes der be­son­ders sicht­ba­ren Phä­no­me­nen. Ei­ne Än­de­rung, wo­mög­lich Re­vo­lu­ti­on, die der­zeit in Gang ist, sind selbst­ler­nen­de Ma­schi­nen, künst­li­che In­tel­li­genz, die nicht nur in­tel­li­gent ist, son­dern auf­grund ei­ge­ner Ent­schei­dun­gen im­mer in­tel­li­gen­ter wird.

    Vor­hin hab ich ge­ra­de »Pa­ler­mo Shoo­ting« von Wim Wen­ders ge­se­hen, da be­klagt sich der Tod, die­se alt­be­kann­te Al­le­go­rie, über die Di­gi­ta­li­sie­rung, die be­wir­ke, daß Wirk­lich­keit in ih­rer Ge­samt­heit nur noch ge­stellt, ma­ni­pu­liert oder aus dem Nichts ge­schaf­fen sei oder sein wer­de – für man­che Leu­te gilt das be­stimmt schon heu­te. Ich wür­de dem hin­zu­fü­gen, daß es min­de­stens eben­so be­den­kens­wert ist, daß das täg­li­che Le­ben in di­gi­tal-me­dia­ler Um­welt Denk­for­men tief­grei­fend än­dert. Es ent­steht, ob wir das wol­len oder nicht und weit­ge­hend oh­ne daß es be­merkt wird, ein »neu­er Mensch«. Zum Bei­spiel durch Wis­sens­aus­la­ge­rung und stän­di­ge Zu­gäng­lich­keit von Wis­sen durch Spei­cher, Such­ma­schi­nen, Fil­ter, das gan­ze al­go­rith­mi­sche Brim­bo­ri­um. Was un­ter sol­chen Be­din­gun­gen al­lein noch nö­tig scheint, ist di­gi­ta­le, tech­ni­sche Kom­pe­tenz, An­wen­dungs­fä­hig­keit. Lehr­plä­ne der Schu­len ver­su­chen dem schon seit ge­rau­mer Zeit zu ent­spre­chen und glau­ben, auf Wis­sens­an­eig­nung, Er­kennt­nis­fä­hig­keit, Her­stel­len von Zu­sam­men­hän­gen, Wer­tun­gen und de­ren Be­grün­dung usw. ver­zich­ten zu kön­nen. Statt Zu­sam­men­hän­ge: Kor­re­la­tio­nen, die der Com­pu­ter viel bes­ser und um­fang­rei­cher – Big Da­ta – er­rech­nen kann als je­der Mensch. Statt Wer­tung ver­füg­ba­re Ran­kings, die Agen­tu­ren oder ir­gend­wer, irghend­was zu­sam­men­stellt (in­ter­es­siert tat­säch­lich nie­man­den, wo­her sie stam­men). Was mir als alt­ge­lern­tem Hu­ma­ni­sten in der ge­gen­wär­ti­gen Si­tua­ti­on nö­tig scheint, wä­re die Ver­bin­dung di­gi­ta­ler Kom­pe­tenz, oh­ne die man nicht aus­kommt, mit hu­ma­ni­sti­schen Kom­pe­ten­zen der Art, wie ich sie hier schon an­ge­deu­tet ha­be. Ich ha­be al­ler­dings das Ge­fühl, welt­weit der ein­zi­ge zu sein, der das »for­dert«.

    Letz­tes Wo­chen­en­de ha­be ich im Stan­dard, der Wie­ner Ta­ges­zei­tung, ei­nen Text von Do­ris Knecht ge­le­sen, eine(r) je­ner Jour­na­li­stIn­nen, die un­ter die Ro­man­schrei­ber ge­gan­gen sind. Sie be­rich­tet da von ih­ren Be­mü­hun­gen, di­gi­ta­le Pau­sen ein­zu­le­gen, was für sie of­fen­bar in er­ster Li­nie (und un­re­flek­tiert) heißt: SM-Pau­sen. Es gibt ein di­gi­ta­les Pro­gramm da­für, na­mens Free­dom, das man sich im PC in­stal­lie­ren kann. Was mich ver­blüfft, ist nicht ihr Be­richt, den ich pott­lang­wei­lig fin­de, son­dern die Tat­sa­che, wie selbst­ver­ständ­lich sie da­von schreibt, daß es ein täg­li­ches Ver­gnü­gen sei, sich in der SM zu tum­meln, so­gar Do­nald Trump hat sie in ih­rem Feed und scheint sich über des­sen Mes­sa­ges zu freu­en (wahr­schein­lich in der Ru­brik Hu­mor?). SM fin­det sie prak­tisch, denn man braucht sich nicht mit »ech­ten« Freun­den und Zeit­ge­nos­sen her­um­zu­schla­gen – kurz, sie ist froh, daß sie mit der prä­di­gi­ta­len Wirk­lich­keit (so wie sie nach wie vor exi­stiert) aus­ein­an­der­set­zen muß. Bei all­dem ver­steht sich die gu­te Frau of­fen­bar als »kri­tisch«, so wie Gre­gor K. sich und uns als kri­tisch ver­steht (mit mehr Recht?).f

  3. Di­gi­ta­les Hin­ein­glei­ten in den All­tag: der ein­sti­gen Er­werbs­ar­beit ge­schul­det war ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit der di­gi­ta­len Welt un­um­gäng­lich.
    Heu­te be­nut­ze ich das Smart Pho­ne in er­ster Li­nie um on­line Bank­über­wei­sun­gen zu tä­ti­gen, das on­line Kon­to ist gün­sti­ger als das ana­lo­ge Kon­to, spart Zeit. Face­book wur­de still­ge­legt, ge­löscht ha­be ich des­halb nicht, weil es für mich ein Adress­buch ge­wor­den ist. Ich schät­ze das Be­gleit­schrei­ben und an­de­re Sei­ten mit In­halt, es er­setzt weit­ge­hend das Le­sen von Ma­ga­zi­nen. Bei­spiels­wei­se Hand­ke on­line und an­de­re Dien­ste der Öster­rei­chi­schen Na­tio­nal­bi­blio­thek. Das ge­druck­te Buch bleibt, auch des­halb weil es ein Ge­o­blocking für di­gi­ta­le Bü­cher gibt.
    Wie beim Fo­to­gra­fie­ren, manch­mal neh­me ich die ana­lo­ge Ka­me­ra, laß den Schwarz-Weiß-Film ent­wickeln, dann gibt es Si­tu­ta­tio­nen, für die sich die di­gi­ta­le Ka­me­ra bes­ser eig­net. Ich schät­ze die On­line Ra­dio­sen­dun­gen in ver­schie­de­nen Spra­chen zu hö­ren. Auf you­tube Alan Watts (1915–1973) an­ge­hört: The Cos­mic Net­work (FULL LECTURE), hört sich im nach­hin­ein vor­aus­schau­end an.

  4. Ich be­tei­li­ge mich nicht an SM, aber ich bin in den neu­en Öf­fent­lich­kei­ten schon ein Stück weit an­ge­kom­men. Es sind ja die po­si­ti­ven Er­leb­nis­se, die dich an­zie­hen. Es war vor ca. 5 Jah­ren, als ich auf die Vor­le­sun­gen von Ro­bert Sa­pol­sky (Stan­ford) auf­merk­sam ge­macht wur­de. Ich ha­be den Kurs Hu­man­bio­lo­gie auf You­Tube kom­plett ab­sol­viert, es war ein Selbst­läu­fer. Der Typ war ein­fach Klas­se. In­zwi­schen hat Sa­pol­sky sein Opus Ma­gnum vor­ge­legt, ei­ne klas­si­sche Ver­bin­dung von An­thro­po­lo­gie und Ethik. Auf deutsch er­schie­nen mit dem Ti­tel »Ge­walt und Mit­ge­fühl«.
    Was soll ich sa­gen, das war frü­her mal der Job der Phi­lo­so­phen, die um­ständ­li­che Bü­cher schrie­ben?! Bei Sa­pol­sky wur­de mir klar, dass sich die »epi­ste­mo­lo­gi­schen Auf­ga­ben« neu ver­teilt hat­ten. In­tel­lek­tu­ell war das ei­ne Of­fen­ba­rung, eben­so nach­hal­tig wie man in jun­gen Jah­ren das »Buch der Bü­cher« für sich ent­decken konn­te, bei­spiels­wei­se Nietz­sches »Mor­gen­rö­the«.

  5. @Milena Find­eis
    Man kann sich der di­gi­ta­len Welt ent­zie­hen, das ist aber schwie­rig und oft an­stren­gend. Ich ver­mu­te, daß Sie viel mehr in di­gi­ta­le Sy­ste­me ein­ge­bun­den sind, als Sie selbst ah­nen. Al­lein da­durch, daß Sie ei­nen Com­pu­ter ver­wen­den und Such­ma­schi­nen, mit per­so­na­li­sie­ren­den Al­go­rith­men, die Ih­nen sa­gen und Sie dar­auf fest­le­gen, was Sie wol­len und brau­chen; und die für sie er­le­di­gen, was Sie nicht kön­nen, zum Bei­spiel ei­ne stets kor­rek­te Or­tho­gra­phie. Sie wer­den au­to­ma­tisch op­ti­miert. Sie wer­den in Bla­sen, al­so Ge­fäng­nis­zel­len, ge­setzt, und es ist müh­sam, sich dar­aus zu be­frei­en (falls über­haupt ge­wünscht und falls nö­tig). Wahr, wie üb­lich: Das gab es im­mer schon. Man braucht Fil­ter der Wahr­neh­mung. Aber sie sind jetzt mehr denn je fremd­ge­steu­ert, näm­lich durch Ma­schi­nen.

    On­line­über­wei­sun­gen und ge­ne­rell Com­pu­ter und in­tel­li­gen­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­rä­te spa­ren Zeit. Sie klau­en aber auch Zeit, und zwar mehr, als sie den »Nut­zern« ge­ben. In der di­gi­ta­len Welt wirkt das Par­kin­son­sche Ge­setz eben­so und mehr als in der rea­len. Ma­schi­nen er­mü­den nicht täg­lich. Ei­ner ih­rer Vor­tei­le ge­gen­über or­ga­ni­schen Le­be­we­sen (was kein Pleo­nas­mus ist).

  6. Die di­gi­ta­le Welt ist wie al­les Welt­li­che – »Ge­stell« (he­he) : – Fluch und Se­gen. Im post­re­li­giö­sen Dis­kurs bil­det sich an sol­chen Stel­len ger­ne ei­ne Dau­er­schlei­fe, weil man heut­zu­ta­ge we­ni­ger ge­übt ist im Um­gang mit exi­sten­ti­el­len Pa­ra­do­xa wie »Fluch & Se­gen« als auch schon. Mal wie­der die »Ma­xi­men und Re­fle­xio­nen« le­sen, sag’ ich dann gern – oder Mei­ster Eck­hart, oder den Kusaner!
    Im üb­ri­gen aber sa­ge ich euch: Der Man­gel an Dach­deckern in Nord­rhein-West­fa­len ist ekla­tant. Schaut da­her in das voll­di­gi­ta­li­sier­te Hoch­lohn­land Die Schweiz und staunt. Über­all wer­den Häu­ser ge­deckt, die Schwei­ze­ri­schen Hand­wer­ker sind mit den dor­ti­gen Haus­be­sit­zern zu­frie­den und vice ver­sa, nir­gends ein Dach­scha­den so­weit das Au­ge reicht, al­les wun­der­bar dicht! – Wie ist es nur mög­lich, dass au­ßer­halb der EU sol­che pa­ra­die­si­schen Zu­stän­de wäh­ren – ich hö­re über­dies von schwei­ze­ri­schen Hand­wer­kern, es soll in Lich­ten­stein ganz gleich sein?

  7. @Leopold Fe­der­mair
    Es ist die Neu­gier­de, die mich an­treibt, et­was ver­ste­hen zu wol­len. Im di­gi­ta­len wie im ana­lo­gen Le­ben. Das mit dem Wol­len, Sol­len, Müs­sen ha­be ich schon vor der Teil­nah­me ins Di­gi­ta­le hin­ter­fragt, das Hin­ter­fra­gen hat zu­ge­nom­men. Dan­ke für das Ant­wor­ten.

  8. Mit der in­du­stri­el­len Re­vo­lu­ti­on wur­den Ge­gen­stän­de mehr und mehr durch Ma­schi­nen her­ge­stellt; Hand­ar­beit wur­de auf ein Mi­ni­mum re­du­ziert. Der Grund lag zu­nächst dar­in, gün­sti­ger und vor al­lem schnel­ler und in hö­he­rer Quan­ti­tät pro­du­zie­ren zu kön­nen. Die Aus­wir­kun­gen sind bis heu­te spür­bar. Man ge­he nur ein­mal zu ei­nem Schrei­ner und las­se sich dort ei­nen Tisch oder Stüh­le von Hand fer­ti­gen.

    Die Di­gi­ta­li­sie­rung »in­du­stria­li­siert« Ent­schei­dungs­pro­zes­se. Wo frü­her der Bäcker mein Lieb­lings­teil­chen ver­pack­te, wenn ich den La­den be­trat, oder der Buch­händ­ler ziel­si­cher zwei Neu­erschei­nun­gen her­vor­zog, weil er mei­ne Vor­lie­ben kann­te, macht dies heu­te ein Al­go­rith­mus.

    Im An­ti­qui­tä­ten­han­del wird ger­ne un­ter­schie­den zwi­schen »Hand­ar­beit« und ma­schi­nel­ler Fer­ti­gung. Letz­te­re gilt als we­ni­ger wert­voll (nicht zu­letzt auf­grund der grö­sse­ren Ver­brei­tung). Zu­wei­len wird dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Ma­schi­nen am En­de von Men­schen ge­fer­tigt wur­den und das, was der Mensch ih­nen ein­pro­gram­miert hat, um­ge­setzt ha­ben.

    An ei­nem Al­go­rith­mus kann ich zu­nächst nichts Schlim­mes ent­decken. Er er­setzt mir bei­spiels­wei­se bei Ama­zon schlecht bis gar nicht aus­ge­bil­de­te Buch­händ­ler­an­ge­stell­te, die nicht zwi­schen Ro­bert und Mar­tin Wal­ser un­ter­schei­den kön­nen. Es ist we­nig be­kannt, dass man durch die re­gel­mä­ssi­ge Ent­fer­nung der Coo­kies von all­zu streng vor­ge­fer­tig­ten Such­ergeb­nis so­zu­sa­gen be­frei­en kann. In den so­zia­len Netz­wer­ken ist das schwie­ri­ger. Aber wenn sei­ne »Freun­de« bzw. den Per­so­nen, de­nen man folgt, et­was wei­ter fasst, er­hält man sehr wohl ein um­fas­sen­des Mei­nungs­bild.

    Im Jour­na­lis­mus be­stand so et­was wie der ana­lo­ge Al­go­rith­mus (vul­go: Fil­ter) jahr­zehn­te­lang in der so­ge­nann­ten Re­dak­ti­on. Hier wur­de das pu­bli­ziert, was ei­ni­ge we­ni­ge als re­le­vant ein­stuf­ten. Me­di­en hat­te – bei al­ler Über­par­tei­lich­keit, die zu­meist be­haup­tet wur­de – ei­ne Ten­denz. Das ist heu­te auch noch so, üb­ri­gens un­ab­hän­gig da­von, ob man sich zu­wei­len ein Pro und Con­tra gönnt. Die Welt­bil­der von FAZ- und SZ-Le­sern dürf­ten enorm un­ter­schied­lich sein, so­fern man sich nur auf das je­wei­li­ge Me­di­um be­schränkt hat.

  9. Noch mal zu You­Tube: nach­dem der Al­go­rith­mus mei­ne stark di­ver­si­fi­zier­ten In­ter­es­sen ver­stan­den hat­te, ha­be ich sehr gu­te Emp­feh­lun­gen be­kom­men. Das hät­te ich bei ei­ner pro­ak­ti­ven Su­che nicht so schnell oder ziel­ge­nau ge­fun­den.
    Bei­spiel, das lan­ge Ge­spräch zwi­schen Jor­dan Pe­ter­son und Ca­mil­le Pa­glia. Ein Klas­si­ker der zeit­ge­nös­si­chen in­tel­lek­tu­el­len Sze­ne. Mehr an Klug­heit, Bil­dung und Le­bens­er­fah­rung geht nicht. Auch die Pod­casts von Joe Ro­gan, oder die Ka­min­ge­sprä­che von John An­der­son (au­stra­li­scher Po­li­ti­ker, Na­tio­nal Par­ty) lie­gen ei­gent­lich au­ßer­halb mei­nes »ak­ti­ven In­ter­es­ses«. Die­se Emp­feh­lun­gen er­ach­te ich per­sön­lich im­mer noch als »Netz­fund­stücke«, ob­wohl ich sie streng ge­nom­men nicht ge­sucht ha­be. Sie wur­den für mich ge­sucht und ge­fun­den. Da­bei liegt auch kei­ne Ein­schrän­kung des Mei­nungs­kor­ri­dors vor. In Deutsch­land funk­tio­niert das auch, das An­ge­bot ist aber klein. Ein ernst­haf­ter Pod­cast-Un­ter­neh­mer wie Joe Ro­gan fehlt im deutsch­spra­chi­gen Raum lei­der völ­lig.
    Über­haupt, be­kom­men nicht durch das di­gi­ta­le Me­di­um das Ge­spräch und der Vor­trag wie­der ein neu­es Ge­wicht, in Kon­kur­renz zum Buch oder zum Leit­ar­ti­kel?!
    Dar­an hängt je­de Men­ge Psy­cho­lo­gie, denn beim Vor­trag und beim Ge­spräch herr­schen die Ge­set­ze der An­we­sen­heit. Es gibt kei­ne schnel­len Schreib­tisch-Sie­ge mehr, und die Ver­su­chung zum »Le­ser-Be­trug« wird klei­ner...

  10. Die­ter K. hat das von Gre­gor K. in die Dis­kus­si­on ge­wor­fe­ne Hand­wer­ker­bei­spiel auf­ge­nom­men: schön zu hö­ren, daß es in der Schweiz kei­ne Dach­schä­den gibt. Die Schwei­zer, al­so die Kon­su­men­ten, die Be­dürf­ti­gen, sie be­zah­len halt die ho­hen Prei­se, oder? Ich bin über­zeugt, daß ei­ne Art Ko­ha­bi­ta­ti­on zwi­schen prä­di­gi­ta­len und di­gi­ta­len Sphären/Tätigkeiten/Personen nö­tig ist, auch ein In­ein­an­der­wir­ken – die Dach­decker wer­den ver­mut­lich auch nicht ganz oh­ne Com­pu­ter agie­ren, oder? Ich glau­be al­ler­dings, daß die­se Not­wen­dig­keit zu we­nig ge­se­hen wird und, nicht zu­letzt in der Päd­ago­gik, das Prin­zip herrscht, man müs­se sich bzw. die Her­an­wach­sen­den so gut wie mög­lich an Di­gi­ta­li­sie­rungs­pro­zes­se an­pas­sen. Nein, ich den­ke, man muß in der La­ge sein, da­zu auf Di­stanz zu ge­hen, nicht nur, um die rea­le Welt re­spek­tie­ren und ver­ste­hen zu kön­nen, son­dern auch, zum zu be­grei­fen, wo­her das al­les – mein S‑Phone, kurz ge­sagt – wo­her das al­les kommt. Und wie es sich wei­ter ent­wickeln könn­te, soll­te, nicht soll­te.

    Wenn ich die bis­he­ri­gen Kom­men­ta­re hier le­se: Man geht spon­tan von den ei­ge­nen Er­fah­run­gen aus, und die sind vor al­lem die des Kon­su­men­ten, des Users. Aber die Di­gi­ta­li­sie­rung durch­dringt al­le Le­bens­be­rei­che, v. a. auch die Pro­duk­ti­on, die Ad­mi­ni­stra­ti­on, das Ver­si­che­rungs­we­sen, die Kran­ken­häu­ser, die gan­ze Ver­wal­tung der Ge­sell­schaft. Ein sehr schö­nes Bei­spiel für die Seg­nun­gen der Com­pu­te­ri­sie­rung und Ro­bo­ter­i­sie­rung sind die selbst­tä­ti­gen Last­wa­gen, die in Mi­nen Erz schef­feln und ans Ta­ges­licht be­för­dern. Ei­ne schwe­re, un­ge­sun­de, ge­fähr­li­che, teil­wei­se von Men­schen gar nicht zu be­wäl­ti­gen­de Ar­beit ist über­flüs­sig ge­wor­den, Gott sei Dank! Statt des­sen Ar­beits­plät­ze in der Steue­rung und vor al­lem Über­wa­chung der Ma­schi­nen, denn steu­ern tun sie sich auch mehr und mehr selbst. Im Grun­de ge­nom­men ist so ei­ne Trans­port­ma­schi­ne nicht an­ders als ein voll­au­to­ma­ti­sier­ter Mer­ce­des (in ei­nem sol­chen durf­te ich ein­mal ein paar Ki­lo­me­ter fah­ren – wun­der­bar!), denn auch der täg­li­che Au­to­ver­kehr ist ein schwie­ri­ges, ge­fähr­li­ches Ge­län­de, das Men­schen gar nicht so gut be­herr­schen, wie die Un­fall­sta­ti­sti­ken zei­gen.

    Ein an­de­res Bei­spiel, die Chir­ur­gie. Mei­ne Kar­dio­lo­gin lei­tet die Ope­ra­ti­on am Bild­schirm, die Ma­schi­ne kann die not­wen­di­gen Vor­gän­ge mit viel grö­ße­re Si­cher­heit und ge­rin­ge­rem Ri­si­ko be­wäl­ti­gen als sie es mit den Hän­den könn­te. Es gibt mil­lio­nen­fach mehr Da­ten über das Funk­tio­nie­ren un­se­rer Kör­per, die In­ter­pre­ta­tio­nen und Er­klä­run­gen für Dys­funk­tio­nen wer­den ra­send per­fek­tio­niert- »per­fek­tio­niert«, denn im­mer noch er­le­be ich bei Ärz­ten, daß sie mich und mei­ne Dys­funk­tio­nen gut ver­ste­hen, wenn sie mich ken­nen, sich ein­füh­len, Hu­mor ha­ben, plötz­li­che Ein­fäl­le, In­tui­tio­nen, Zu­sam­men­hän­ge her­stel­len (und eben nicht Kor­re­la­tio­nen), und vor al­lem: das al­les in­te­grie­ren kön­nen. Es ist mög­lich, daß in­tel­li­gen­te Ma­schi­nen in ab­seh­ba­rer Zeit das auch kön­nen. Bis jetzt nicht, zu­min­dest nicht aus­rei­chend. Man muß sich nur Ale­xa an­hö­ren (sagt der Kon­su­ment in mir): Ih­re Schlag­fer­tig­keit beim ein­fühl­sa­men ant­wor­ten, vor­pro­gram­mier­ten Ant­wor­ten nervt. Aber man hört und liest von Pfle­ge­com­pu­tern, von per­fek­ten, un­er­müd­li­chen Un­ter­hal­ten, von di­gi­ta­len Nach­hil­fe­leh­rern, die selbst­ver­ständ­lich auf die per­sön­li­chen Be­dürf­nis­se des SChü­lers ein­ge­hen (»Per­so­na­li­sie­rung«), und in den SF-Film­se­ri­en ver­lie­ben sich Com­pu­ter in Men­schen und um­ge­kehrt, usw.

    Hier bre­che ich ab, wie­der ein­mal, die Kom­men­ta­re sol­len nicht zu lang sein. Es läuft al­les auf das Über­flüs­sig­wer­den mensch­li­cher Müh­sal hin­aus. Schwarz­se­he­risch for­mu­liert: Auf das Ver­schwin­den des Men­schen. Tech­no­kra­ti­scher To­ta­li­ta­ris­mus, Gün­ther An­ders, kürz­lich war in die­sem Blog da­von die Re­de, nur daß Gün­ther an­ders die­se ka­pil­lar tech­no­lo­gi­sche Durch­drin­gung noch gar nicht ahn­te. Man braucht kei­ne Atom­bom­be, um den Men­schen an­ti­quiert zu ma­chen. Die­ser Be­fund führt auf der po­li­ti­schen Ebe­ne u. a. zu der Fra­ge des Grund­ein­kom­mens: Wir könn­ten ge­nü­gend Reich­tum lu­krie­ren, zu­min­dest in den hoch­ent­wickel­ten Län­dern, be­zahl­te Ar­beit wird lang­sam un­nö­tig. Be­ob­ach­tet man die­se Ge­sell­schaf­ten, stellt man aber fest, daß die mei­sten Leu­te mit die­ser neu­en Frei­heit nichts Rech­tes an­fan­gen kön­nen. Tat­säch­lich ent­ste­hen neue Sy­ste­me der Un­frei­heit, oft in Ver­bin­dung mit ei­nem sub­jek­ti­ven Ge­fühl von Frei­heit. Hier liegt dann ein zwei­ter Grund, wes­halb ich den­ke, daß Bil­dung im hu­ma­ni­sti­schen Sinn wie­der­auf­ge­nom­men und ge­ne­ra­li­siert wer­den soll­te. Hoch­schät­zung von Krea­ti­vi­tät, Schön­heit, Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Schwie­ri­gen, Den­ken (tout court), auch Vir­tuo­sen­tum, Ex­per­ten­tum, von all dem, was die Eli­ten so her­vor­brin­gen – und wo­mög­lich Er­wei­te­rung des Eli­tä­ren, des­sen Po­pu­la­ri­sie­rung. Aber: die kul­tu­rel­le Ent­wick­lung geht in die Ge­gen­rich­tung. Und das ver­stärkt wie­der die ne­ga­ti­ven Aus­wir­kun­gen der Di­gi­ta­li­sie­rung.

  11. Ich glau­be ja, dass die Sa­che vom En­de der be­zahl­ten Ar­beit nicht stimmt. Ei­nen Dach­decker muss es trotz­dem wei­ter ge­ben; das Dach deckt sich nicht von al­lein. Der Chir­urg bleibt im­mer noch not­wen­dig – und wenn es dar­um geht, die Ma­schi­ne zu kor­ri­gie­ren. Al­len Un­fall­sta­ti­sti­ken zum Trotz wird sich – ich le­ge mich da fest, oh­ne dass ich in Re­gress ge­nom­men wer­den könn­te – nicht durch­set­zen, weil das Ge­fühl hilf- und ta­ten­los in ei­nem Au­to zu sit­zen, und be­un­ru­hi­gen wird. Das wird sich in zwei, drei Ge­ne­ra­tio­nen viel­leicht än­dern, aber es ist schon ein Un­ter­schied ob ich Ama­zon ein Buch emp­feh­len las­se oder ei­ner Ma­schi­ne mei­ne Ge­fä­sse an­ver­traue. (Ich ent­sin­ne mich ge­ra­de dar­an, dass in D et­li­che Kran­ken­häu­ser noch »Win­dows XP« als Be­triebs­sy­stem ha­ben...)

    Wo­mög­lich führt ir­gend­wann kein Weg an ei­nem »be­din­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men« vor­bei. Be­zahlt wür­de es mit simp­lem Geld­drucken (al­le 20 Jah­re dann ei­ne Geld­ent­wer­tung mit um­fäng­li­chem Nul­len­strei­chen in­klu­si­ve) – oder so­fort der Ab­schaf­fung des Bar­gel­des, was ei­ne voll­kom­me­ne Ent­mün­di­gung des Bür­gers wä­re. Aber na­tür­lich al­les zu des­sen Be­sten. Da­hin­ter sind die heu­ti­gen Be­dro­hun­gen durch Ale­xa oder Goog­le ein Kin­der­ge­burts­tag,

    Hand­werk (ich blei­be beim Dach­decker) wä­re dann ein Lu­xus­gut. Ei­ne aka­de­mi­sche Aus­bil­dung un­nö­tig – ei­ne Hand­werks- und In­ge­nieurs­aus­bil­dung wür­de ei­ne neue Ober­schicht kre­ieren. Wer sich die frem­de Hand nicht lei­sten kann, wird de­ge­ne­rie­ren.

  12. Hand­wer­ker wird es ge­ben, wahr­schein­lich, und be­zahlt wer­den sie vom Geld des Grund­ein­kom­mens, war­um nicht? Oder Geld im heu­ti­gen Sinn wird gar nicht mehr ver­wen­det (wie im kom­mu­ni­sti­schen Traum), es wird ein­fach nur ge­schaf­fen und das Schaf­fen wert­ge­schätzt.

    So oder so, das sind Uto­pien, de­nen die der­zei­ti­ge Ent­wick­lung ganz und gar nicht zu­strebt. Das hat we­nig mit Di­gi­ta­li­sie­rung zu tun (die üb­ri­gens auch die Fi­nanz­märk­te durch­drun­gen hat), mehr mit der 99-per­cent-he­ge­mo­nia­len Ideo­lo­gie des Neo­li­be­ra­lis­mus (sor­ry für den Be­griff, wenn es ei­ner ist).

  13. Das Grundein­kom­men deckt nur Grund­be­dürf­nis­se ab. Be­reits heu­te sind Hand­wer­ker­stun­den zu­meist teu­rer als An­ge­stell­ten­stun­den­löh­ne. Ein­zig die Be­schäf­ti­gung mit dem Mensch (Al­ten­pfle­ger, Kran­ken­schwe­ster) ist chro­nisch un­ter­be­zahlt. Das wird sich auch än­dern.

    Die Di­gi­ta­li­sie­rung be­schleu­nigt die Me­cha­ni­sie­rung (al­ter­tüm­lich aus­ge­drückt) von Vor­gän­gen. In den 1970er Jah­ren be­kam ich der Schu­le »Au­to­ma­ti­on« ge­zeigt: Ma­schi­nen über­neh­men Auf­ga­ben von Men­schen. Das galt als im­menser Fort­schritt. Be­reits da­mals tauch­te ver­ein­zelt die Fra­ge auf, in­wie­weit die weg­fal­len­den Ar­beits­plät­ze kom­pen­siert wer­den kön­nen. Zum gro­ßen Teil ist das ge­lun­gen (au­ßer dort, wo die Po­li­tik ein­ge­grif­fen hat – bis 2005 konn­te man noch »Berg­mann« ler­nen, ob­wohl das Aus­stiegs­da­tum schon vor­lag). In den 2000er Jah­ren wur­de das Dienst­lei­stungs­zeit­al­ter aus­ge­ru­fen. Das ist gründ­lich schief­ge­gan­gen – nichts ist we­ni­ger vor­han­den als ei­ne (be­zahl­ba­re) Dienst­lei­stung. die Di­gi­ta­li­sie­rung frisst in­zwi­schen ih­re Kin­der. Und nicht nur Ban­ken und Ver­si­che­run­gen set­zen in gro­ßem Stil Ar­beits­plät­ze frei. Noch läuft das in D so­zi­al­ver­träg­lich. Aber die nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen wer­den kei­ne fe­sten Er­werbs­bio­gra­fien mehr ha­ben. Wich­tig ist nur, dass sie sich al­le zwei Jah­re ein neu­es Smart­phone kau­fen kön­nen.

  14. Gre­gor Keu­sch­nig – das ist die kor­ri­gier­te Fas­sung mei­nes Kom­men­tars von 23:00

    @ Leo­pold Fe­der­mair, Gre­gor Keu­sch­nig und die_kalte_sophie und Mi­le­na Find­eis

    Vor­her­sa­gen sind schwie­rig, weil sie die Zu­kunft be­tref­fen (fälsch­lich Mark Twa­in zu­ge­schrie­be­ner volks­tüm­li­cher sehr be­her­zi­gens­wer­ter Spruch, wie ich fin­de). Man kann sich lä­cher­lich ma­chen, wenn man Din­ge vor­her­sagt, die dann nicht ein­tref­fen.

    Das Ver­schwin­den der Ar­beit – ah ja: Es wird seit ei­nem Men­schen­al­ter pro­phe­zeit. Sie nimmt ab, das ist wahr, aber dar­aus ab­zu­lei­ten, dass sie ver­schwin­de, ist falsch. Der neue­ste ir­ren­de Pro­phet war im Ju­ni der ita­lie­ni­sche Phi­lo­soph Fer­ra­ris in der NZZ – haar­ge­nau im di­gi­ta­len Kon­text – und im Kon­text des Ver­schwin­dens der So­zi­al­de­mo­kra­tie.

    Tat­säch­lich ist die So­zi­al­de­mo­kra­tie in vie­len Län­dern ab­ge­rückt von der pro­duk­ti­ven Sphä­re. In Deutsch­land gibt es pro­mi­nen­te So­zi­al­de­mo­kra­ten, die es als ver­al­tet be­zeich­nen, die pro­duk­ti­ve phy­si­sche Sphä­re kör­per­li­cher Ar­beit über­haupt noch als Wäh­ler­spring­quell im Au­ge zu ha­ben. Der­lei ha­be sich oh­ne­hin bald er­le­digt, ne. Die al­ler­neu­ste Zeit zie­he bei den Dienst­lei­stern, Trans­fer­geld­emp­fän­gern und son­sti­gen ali­men­tier­ten Klas­sen ein, wie dem Gros mitt­ler­wei­le der Me­di­en- und Kul­tur­schaf­fen­den.

    In die­sem Den­ken wird das In­ein­an­der von phy­si­scher Ar­beit und z. B. ei­nem ho­hen Grad an Di­gi­ta­li­sie­rung, wie es die Schweiz in der Tat kennt und pflegt, ver­ab­schie­det. Das ist die Ra­che der im Sink­flug be­grif­fe­nen So­zi­al­de­mo­kra­tie an ih­rer sie ver­las­sen­den ur­ei­ge­nen Kli­en­tel. Die Idee, BMW zu ver­ge­sell­schaf­ten hat da ge­ra­de noch ge­fehlt und trieb die phy­sisch Ar­bei­ten­den er­neut weg von der SPD – als ob sie die im Na­men Gre­tas ein­fach auf­op­fern müs­se, denn im Grü­nen lie­ge so­wie­so das zu­künf­ti­ge Heil...

    Jor­dan B. Pe­ter­son hat ei­nen Groß­teil der mit die­sem Vor­gägn­gen ver­bund­nen Pro­ble­me durch­dacht. Er ver­weist im­mer wie­der auf die phy­si­sche Rea­li­tät als Prüf­stein (Goeh­te) jed­we­der (so­zia­len) Re­form­idee.

    In Joe Rogan’s 15 Mil­lio­nen mal auf­ge­ru­fe­nen Pod­cast #1208 (!) – den ich der Auf­merk­sam­keit des hie­si­gen Pu­bli­kums emp­feh­le, be­spre­chen Joe Ro­gan und Jor­dan Pe­ter­son ge­nau die­se Din­ge: a) Die So­zi­al­de­mo­kra­tie, wo sie wie in den skan­di­na­vi­schen Län­dern sehr er­freu­li­che Din­ge her­vor­ge­bracht hat b) die Funk­tio­na­li­tät der Di­gi­ta­li­sie­rung, de­ren not­wen­di­ge Über­prü­fung ein In­ein­an­der von phy­si­scher und di­gi­ta­ler Er­fah­rung ver­langt, so­wie c) ei­ne ent­spre­chen­de Kin­de­rer­er­zie­hung ( k e i n e Smart­phones für Kin­der! – was der ehe­ma­li­ge Preis­bo­xer Joe Ro­gan sei­ner Kin­der­schar ge­gen­über scheints tat­säch­lich – durch­boxt...) d) ei­nen lin­ken Uto­pis­mus, der zu­neh­mend via al­lein se­lig­ma­chen­der grün ge­färb­ter Gleich­heit den Kon­takt mit der pro­duk­ti­ven und funk­tio­na­len ge­sell­schaf­ti­chen Sphä­re ver­liert und sich in ei­ner ag­gres­si­ven lin­ken Selbst­ver­strickung ver­liert, d. h. de­struk­tiv wird.
    Die ent­schei­den­den Fak­to­ren, die Pe­ter­son aus­macht sind: a) Un­ver­hält­nis­mä­ssi­ge Be­vor­zu­gung von Marx ge­gen­über Pa­re­to (wird der­zeit auf sci­ence­files er­ör­tert) b) Ent­frem­dung des lin­ken nar­ziss­ti­schen grup­pen­iden­ti­tä­ren Be­wußt­seins vom durch die phy­si­sche Rea­li­tät ge­er­de­ten Dach­decker (z. B.), Far­mer usw..

    Die lin­ke Igno­ranz ge­gen­über kom­ple­xen funk­tio­nie­ren­den Sy­ste­men (das ist die Stel­le, wo En­zens­ber­ger die Her­ren Mar­quart und Luh­mann und Baecker ge­gen die post­mo­der­ne Öf­fent­lich­keit in Stel­lung bringt, ne­ben­bei ge­sagt. Es ist wie Ga­da­mer be­ob­ach­tet hat: Sein Her­me­neu­ti­scher Haupt­satz: Die gu­ten Au­toren kon­ver­gie­ren. Mein ak­tu­el­ler An­wen­dungs­fall: Jor­d­nan B. Pe­ter­son, Hans M. En­zens­ber­ger).

    Schließ­lich dis­ku­tie­ren Pe­ter­son und Ro­gan den So­zi­al­staat und die freie un­zen­sier­te ver­nünf­ti­ge Re­de als Le­bens­ele­xie­re de­mo­kra­ti­scher Ge­sell­schaf­ten im Kon­text des di­gi­ta­len Struk­tur­wan­dels der Öf­fent­lich­keit.

    Ins­be­son­de­re dis­ku­tie­ren sie den Nie­dergnag der eta­blier­ten Me­di­en und ei­nen bi­zar­ren Ef­fekt, den die di­gi­ta­le Welt-Öf­fent­lich­keit nach Pe­ter­son (und Pin­ker) her­vor­bringt: Näm­lich die me­dia­le Fi­xie­rung der un­ter enor­men Kon­kur­renz­druck ge­ra­te­nen eta­blier­ten Me­di­en auf die ge­sell­schaft­li­chen dys­funk­tio­na­len Ex­tre­me und die aus die­sem Quo­ten-Trick sich – schein­bar lo­gisch!! – – er­ge­ben­den Ru­fe aus den eta­blier­ten Me­di­en her­aus nach ei­ner Be­schrän­kung der frei­en De­bat­te – nicht zu­letzt im In­ter­net.

    Die­ser letz­te­re Punkt ist dop­pelt schäd­lich: Er ge­biert rie­si­ge Un­ge­heu­er, wo le­dig­lich Verwe­fun­gen statt­fin­den, und er ge­fähr­det auf­grund die­ser selbst-in­du­zier­ten gro­ßen Fehl­dia­gno­se das de­mo­kra­ti­sche Le­bens­ele­xier der frei­en Mei­nungs­äu­sse­rung und: Er nutzt die von den eta­blier­ten Me­di­en und Par­tei­en er­zeug­te (!) Pa­nik, um ei­ne sinn­vol­le Trans­for­ma­ti­on zu un­ter­bin­den, näm­lich – schon wie­der die­ses Wort: – Den ab­so­lut not­wen­di­gen Rück­bau nicht nur der Print­me­di­en, son­dern auch des ÖR – ei­nes an­de­ren »sanf­ten Mon­sters«.

    Joe Ro­gan macht als Ein-Mann-Un­ter­neh­mung et­was, das mehr Hirn­schmalz ent­hält als gan­ze Heer­scha­ren von Öf­fis her­vor­brin­gen, und sein Auf­wand, wie auch der des ver­gleich­ba­ren In­ter­net-Tal­kers Da­ve Ru­bin oder Jor­dan Pe­ter­sons mit sei­nen Vi­de­os ist ver­leichs­wei­se mi­kro­so­pisch. – Der gan­ze Stu­dio-Bu­den­zau­ber der Öf­fis er­weist sich, ge­hal­ten an sol­che Quli­tät (!) und an sol­chen Out­put, als über­lebt. Bleibt nur noch das Pro­blem der Aber­tau­sen­den von Öf­fi-Be­dien­ste­ten, die sich an ihr ganz per­sön­li­ches Le­hen in Form ei­nes ma­te­ri­ell weit über­durch­schnitt­lich be­zahl­ten Me­di­en­schaf­fen­den na­tür­lich ge­wöhnt ha­ben.

    Die He­ro­en des In­ter­net schla­gen die Öf­fi-An­ge­stell­ten in Sa­chen Ef­fi­zi­enz und in Sa­chen Ni­veau – und sen­den auch noch auf Spen­den­ba­sis – al­so auf der Ba­sis frei­wil­li­ger Zah­lun­gen. Für die Öf­fis und an­ge­stamm­te Prin­ters wie die FR, SZ usw. – ein Alp­traum, das kann ich sehr gut ver­ste­hen. Aber ich blei­be da­bei: Auch hier ist ein Rück­bau an­ge­sagt! (Mo­dell: Der ÖR in der Schweiz, neb­bich)

    PS

    Bit­te das Wort Mon­ster in der obi­gen Fü­gung vom sanf­ten Mon­ster nicht über­le­sen.

  15. @Gregor
    Grund­be­dürf­nis Dach überm Kopf...
    Das mit dem Smart­phone ist ver­mut­lich ein we­nig zy­nisch ge­meint, aber ich den­ke, die­se Ein­stel­lung ist in ei­ner voll­di­gi­ta­li­sier­ten Welt nur ver­nünf­tig. Das Smart­phone ist die All­zweck­ma­schi­ne, über die so gut wie al­le Le­bens­funk­tio­nen lau­fen. Die­se sind ja zu ei­nem Groß­teil geistig/kulturell/virtuell. Es­sen muß man im­mer noch, aber das S‑Phone schickt ei­nen schon mal zur passenden/billigsten/schönsten Es­sens­aus­ga­be, teilt die Öff­nungs­zei­ten mit usw.

  16. Off to­pic – @Dieter Kief
    Lie­ber Herr Kief,
    ich ha­be be­reits mehr­fach die Art und wei­se Ih­rer Dis­kus­si­ons­füh­rung, die zu­meist sehr schnell ins ar­gu­men­ta­ti­ve Ab­seits und Hin zu Ih­ren kru­den Be­ob­ach­tun­gen füh­ren, mo­niert. Ich ha­be da­her Ih­re Kom­men­ta­re auf »Mo­de­ra­ti­on« um­ge­stellt, um sol­che er­mü­den­den Vol­ten, die au­ßer ei­nen Blick in Ih­re Welt­an­schau­ung zu zei­gen ins the­ma­ti­sche Nichts füh­ren, zur Not ein­fach nicht ver­öf­fent­li­chen zu müs­sen. Mit Hin­blick dar­auf, dass es sich bei dem Bei­trag hier nicht um mei­nen Text han­delt, ha­be ich Ih­ren »kor­ri­gier­ten« Kom­men­tar dann doch so­eben frei­ge­schal­tet. (Der an­de­re ist ge­löscht.)
    Bit­te be­rück­sich­ti­gen Sie, dass dies das letz­te Mal ist, denn es geht hier nicht um das Re­fe­rat ir­gend­wel­cher Pod­casts ehe­ma­li­ger Bo­xer oder um Ihr Bas­hing der So­zi­al­de­mo­kra­tie.
    Schö­nen Som­mer noch.

  17. Der Traum von den gleich­wer­ti­gen Le­bens­ver­hält­nis­sen wird im­mer wie­der kom­men. Die Er­werbs­ar­beit muss na­tür­lich ge­stützt wer­den, aber das Grund­ein­kom­men ist ein fal­sches Kon­zept. Der Kon­flikt der Ar­beit be­steht zwi­schen An­ge­bot und Nach­fra­ge, al­so dem, was ge­fällt, und dem, was ge­braucht wird.
    Die­sen Kon­flikt ein­fach auf­zu­lö­sen ist ei­ne klar so­zia­li­sti­sche Idee: die Ar­beit als au­to­no­me Er­fah­rung. Wä­re schön, wenn die Fol­gen nicht so gra­vie­rend wä­ren. Im Ernst: wie vie­le Kin­der­gärt­ne­rin­nen und Dach­decker aus Lei­den­schaft blie­ben üb­rig?!
    Ich bin ein biss­chen un­glück­lich mit dem The­men-Ver­schnitt, weil die Au­to­ma­ti­on und die Di­gi­ta­li­sie­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hält­nis­se bei­de sehr stark un­se­re öko­no­mi­schen Vor­stel­lun­gen prä­gen. Es ist schwer fest­zu­stel­len, wel­cher St­res­sor über­wiegt. Gre­gor hat das an­ge­deu­tet: wer ver­dient mit der Di­gi­ta­li­sie­rung sein Geld, wo­mög­lich gu­tes Geld?! Nur die In­for­ma­tik.
    Ich ha­be auch im­mer die »Krän­kung der Au­to­ma­ti­on«, den Er­satz der Ar­beits­kraft, und das En­de der Henry-Ford’schen Öko­no­mie im Hin­ter­kopf. Da muss man auf­pas­sen, dass man nicht über die Di­gi­ta­li­sie­rung un­will­kür­lich wie­der den Sy­stem­wan­del her­bei­re­det. Al­le Öko­no­mie im Ka­pi­ta­lis­mus hat den An­ge­bots­über­hang. Es gibt mehr Brot und Fi­sche, als wir al­le es­sen kön­nen. Zum Nach­teil der Fi­sche, aber zum Vor­teil der Ver­brau­cher.
    Der Kon­sum spielt in der Ent­wick­lung der Netz­öko­no­mie ja ei­ne ei­gen­ar­ti­ge Rol­le: zu­erst woll­ten die Pio­nie­re ei­ne Schen­kungs­öko­no­mie auf­bau­en, dann wur­de aus dem Be­schen­ken ei­ne Gra­tis-Kul­tur mit Wer­be-Sug­ge­stio­nen und Da­ten­klau. Ir­gend­wo da­zwi­schen liegt die Welt der Bil­lig-Flie­ger und Ze­ro-Zins-Kre­di­te. Die gro­ße Ver­füh­rung liegt dar­in, dass an­satz­wei­se al­le teil­neh­men kön­nen. Aber die Ver­teue­rung der Le­bens­ver­hält­nis­se in den Bal­lungs­räu­men sprengt die­sen Kin­der­gar­ten.
    Ich will nur sa­gen: es gibt sehr vie­le öko­no­mi­sche Ab­sur­di­tä­ten im Mo­ment. Ganz zu schwei­gen von dem öko­lo­gisch mo­ti­vier­ten Hun­ger-Re­gime vor vol­len Schau­fen­stern, das sei­ne Mo­ti­va­ti­on aus spät­pu­ri­ta­ni­schen Quel­len be­zieht. Man will sich so­gar die Kin­der »spa­ren«...

  18. Die Di­gi­ta­li­sie­rung wird aber ei­nen Sy­stem­wan­del zur Fol­ge ha­ben. Un­ab­hän­gig da­von, ob man ihn her­bei­re­det oder nicht. Mei­ne The­se geht ja da­hin, dass man zu lan­ge die Fol­gen wenn nicht ge­leug­net, so min­de­stens aus­ge­ses­sen hat.

    Die Fra­ge ist, ob man den »Sy­stem­wan­del« ge­stal­tet oder ihn schlicht­weg ge­sche­hen lässt. Für das er­ste wä­re die Po­li­tik zu­stän­dig, die die Chan­cen und Ri­si­ken in den letz­ten Jahr­zehn­ten nicht aus­rei­chend ge­se­hen und be­wer­tet hat. (Teil­wei­se aus Nicht-Kennt­nis her­aus; man­che Ab­ge­ord­ne­ten lie­ßen sich Mails lan­ge Zeit aus­drucken.) Sol­che Pha­sen der Ver­än­de­rung wer­den aber fast im­mer von öko­no­mi­schen Un­ter­neh­men for­ciert. Es ist da­bei na­tür­lich leich­ter Goog­le oder sonst­wen mit ir­gend­wel­chen Stra­fen zu über­zie­hen und Geld zu ent­locken, statt sie dau­er­haft in neu zu schaf­fen­den Re­geln ein­zu­bin­den.

  19. @Sophie
    Geld mit Di­gi­ta­li­sie­rung ver­die­nen in dem Be­reich, der uns Usern sicht­bar ist, z.B. You­tuber, In­fluen­cer, Fi­sche, die in der Kul­tur­in­du­strie zu schwim­men. Wer­be­frit­ze, Wer­be­tus­sis. Der­zeit. Aber na­tür­lich auch die IT-Fir­men, Ama­zon und Goog­le und FB so­wie­so, Di­gi­tal­kon­zer­ne, her­kömm­li­che Kon­zer­ne, so­fern sie sich den Ent­wick­lun­gen an­ge­paßt ha­ben.

    Kin­der­gärt­ner wär ich üb­ri­gens gern. Zum Dach­decker eig­ne ich mich nicht. Kom­pe­ten­zen, Ta­len­te – das bleibt ja ge­ge­ben. Aber ob da­nach ge­fragt, nach­ge­fragt wird. Aus der sub­jek­ti­ven Per­spek­ti­ve: Kann man die Ta­len­te über­haupt noch nüt­zen? Von »mei­nen« Stu­den­ten, die all­jähr­lich von der Uni ab­ge­hen, ver­schwin­den an die 100 Pro­zent in »Fir­men«, als »An­ge­stell­te«, wo sie nach al­lem, was mir be­kannt wird (und das ist nicht viel, man spricht nicht dar­über), sinn­lo­se »Ar­beit« tun. Die Hälf­te von ih­nen könn­te man »ein­spa­ren«, nach mei­nem Ein­druck. (Gän­se­bein­chen über Gän­se­bein­chen.) Nach vier, fünf Jah­ren War­te­zeit ein­ge­spart. Das ist die Zu­kunft der ka­pi­ta­li­sti­schen Ar­beits­ge­sell­schaft. An­ders ge­sagt: Nach 23 Le­bens­jah­ren im Nichts ver­schwin­den. Ich re­de von der gro­ßen Mehr­heit. Den Über­flüs­si­gen.

  20. Gut, den Kern eu­rer Ar­gu­men­ta­ti­on ver­ste­he ich. Die Er­werbs­bio­gra­phien wer­den lö­che­rig, die be­ruf­li­che Iden­ti­tät fluk­tu­iert. Aber in der öko­no­mi­schen Theo­rie gibt es kei­ne über­flüs­si­gen Be­ru­fe. Al­len­falls Wan­del auf den Märk­ten und Aus­lauf­mo­del­le.
    Ich kom­me nicht da­hin­ter, ob der an­no­cier­te Sy­stem­wan­del (@Gregor) nur die be­ruf­li­che Iden­ti­tät oder auch die »Be­zahl­schran­ke« be­trifft. Wer be­zahlt wird, der schafft auch ei­nen Nut­zen; so frag­wür­dig der Nut­zen in manch an­de­rer Hin­sicht sein mag. Na­tür­lich gilt die so­zia­li­sti­sche Um­keh­rung nicht: nicht je­der, der be­zahlt wird, schafft »au­to­ma­tisch« ei­nen Nut­zen...
    Die Sa­che mit den Ta­len­ten las­se ich mal bei­sei­te. Je­de in­di­vi­du­el­le Ent­fal­tung geht ei­nen Kuh­han­del mit der Rea­li­tät ein; nicht mal Leu­te wie Goe­the und Gauss wa­ren da­von be­freit. Ich ken­ne na­tür­lich das skep­ti­sche Ar­gu­ment, dass Men­schen in pre­kä­ren Ver­hält­nis­sen nicht be­son­ders »po­li­tik-taug­lich« sind, weil sie die Frei­heit nur ne­ga­tiv er­le­ben, aber das ist in Zei­ten der Di­gi­ta­li­sie­rung kei­ne ei­gen­stän­dig neue Di­men­si­on. Dar­um geht’s jetzt seit 200 Jah­ren, ver­glei­che ge­ra­de ge­stern die Ein­las­sun­gen von Ma­gro in der SZ und von Bruck­ner in der NZZ.
    Bei der Re­gu­lie­rung von Kon­zer­nen kann ich bei­pflich­ten. Ich den­ke an Mi­cro­soft und die Da­ten­kra­ken. Face­book ist ei­ne Or­chi­dee, das kann auch mal wie­der ver­schwin­den. Aber Be­triebs­sy­ste­me und Such­ma­schi­nen sind sy­stem­re­le­vant. Da müss­te man ran­ge­hen.

  21. Und mal ei­ne ganz prak­ti­sche ba­na­le Er­fah­rung im All­tag, die ich aber wie ein Wet­ter­leuch­ten der ver­ge­wohl­tä­ti­gen­den Sei­ten der KI (künst­li­chen In­tel­li­genz) mit­samt sei­nen Al­go­rith­men er­leb­te:
    Ein Miet­au­to der ein­fach­sten Klas­se, da­mit ei­ne im ent­le­gen­den länd­li­chen lie­gen­de Stra­ße ent­lang­ge­fah­ren. Die­se Art von Stra­ßen ha­ben auf Grund der ge­rin­ge­ren Nut­zung, we­gen der Di­stan­zen zwi­schen Nut­zer, auch we­ni­ger War­tung, sind aber öf­fent­lich. Da­durch gibt es vie­le Schlag­lö­cher. Die­se ha­be ich dann im­mer wie­der mal um­fah­ren. Da­für wur­de ich je­des­mal per Klin­gel­ton von der IT-Au­to-ma­tik ge­rügt. Zu gu­ter Letzt wur­de mir dann ein Fahr­stopp zwecks »Re­ge­ne­rie­rung« drin­gend emp­foh­len. Das Um­fah­ren von Schlag­lö­chern hat die star­re künst­li­che In­tel­li­genz-sic!!!- nicht ein­ge­spei­chert, nicht er­kannt.
    Sol­che Bei­spiel ab­sur­der »in­tel­li­gen­ter« Ein­mi­schun­gen in den In­tel­li­gen­ten Le­bens­fluß die ei­nem frei­en In­di­vi­du­um die Haa­re sträu­ben läßt wird es in Zu­kunft im­mer mehr ge­ben, auch wenn die KI mit Da­ten wei­ter auf­ge­peppt wer­den wird.
    oh wie schön ist doch die Neue Welt........

  22. @I.W
    Es ist na­tür­lich denk­bar, daß in­tel­li­gen­te Sy­ste­me auch die von Ih­nen ge­schil­der­te Si­tua­ti­on spei­chern, d. h. ler­nen. Wir ste­hen bzw. die IT steht in die­ser Ent­wick­lung ja erst am An­fang.
    Trotz­dem tei­le ich Ih­re Skep­sis. Im Grun­de lä­che­le ich täg­lich und är­ge­re mich täg­lich über die Ein­mi­schun­gen die­ser Bes­ser­wis­ser. Ein­mi­schun­gen in mein Le­ben, und zwar hart­näckig. »Per­so­na­li­sie­rung« nennt sich das und wird uns vom Kon­zern (al­so vom Sy­stem) als Ser­vice ver­kauft. Und es ist in vie­len Fäl­len auch ein Ser­vice, ein Dienst. Bei­spiels­wei­se bei Emails kor­ri­giert mir das Sy­stem seit ei­ni­ger Zeit »Feh­ler«, z. B. wer­den mir vie­le eng­li­sche oder fran­zö­si­sche Wör­ter groß­ge­schrie­ben, wenn ich in die­sen Spra­chen schrei­be. Das Sy­stem geht da­von aus, daß ein dum­mer User nur ei­ne Spra­che be­herrscht. Manch­mal weiß ich auch in so ei­nem Mi­kro­be­reich nicht, ob der Zu­griff der Al­go­rith­men Fluch oder Se­gen ist (denn vie­le Feh­ler wer­den mir ja mit Recht kor­ri­giert).
    In die­sem Fo­rum dis­ku­tie­ren an­schei­nend nur äl­te­re Se­me­ster, und Päd­ago­gen dürf­ten kaum un­ter ih­nen sein. Viel­leicht hat auch nie­mand Kin­der. An­dern­falls wür­den sie sich mehr Ge­dan­ken ma­chen, was die Hy­per­tro­phie der Diens­lei­stun­gen, der Al­go­rith­men, Ro­bo­ter, au­to­ma­ti­sier­ten Sy­ste­me, Sprach­as­si­sten­ten bei den nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen be­wirkt, die gar nichts mehr »kön­nen« müs­sen, z. B. au­to­fah­ren, die Um­ge­bung er­for­schen oder die Wet­ter­ent­wick­lung be­ob­ach­ten, sich We­ge su­chen usw. usf. Wir Äl­te­ren ha­ben da noch viel eher die Frei­heit, Ver­fluch­tes ab­zu­leh­nen und vom Se­gen zu pro­fi­tie­ren.

  23. Gre­gor Keu­sch­nig #16 und die_kalte_Sophie #9 Leo­pold Fe­der­mair #19

    Ich ha­be mich mit mei­nen lei­der ein we­nig aus­führ­li­chen Be­mer­kun­gen zu Joe Ro­gan in mei­nem #14 auf #9 von die_kalte_Sophie be­zo­gen, die Ro­gan dort sehr ge­lobt hat.

    Ro­gans zum Teil drei­stün­di­ge (!) Pod­casts ha­ben der­zeit über 200 Mil­lio­nen Auf­ru­fe / Mo­nat (manch­mal drei­hun­dert Mil­lio­nen). – Voll­kom­men an den eta­blier­ten Me­di­en vor­bei. Das ist es, was ich den di­gi­ta­len Struk­tur­wan­del der Öf­fent­lich­keit nann­te.

    Da ich mich mit Gün­ther Nen­ning, Bru­no Krei­sky, Hel­mut Schmidt und Wil­ly Brandt auf die so­zia­de­mo­kra­ti­sche Tra­di­ti­on be­zog – auch auf Jo­han­nes Rau, auf Ih­re An­re­gung hin, Gre­gor Keu­sch­nig, – und nun auf die So­zail­de­mo­kra­ti­sche Re­gie­rungs­chefin Met­te Fre­de­rik­sen und de­ren be­deu­ten­den so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen in­tel­lek­tu­el­len Vor­den­ker Thi­lo Sar­ra­zin, bin ich nicht an­ti-so­zi­al­de­mo­kra­tisch. Auch das von Ih­nen bei der Ebert-Stif­tung ver­link­te Pa­pier über die Her­aus­for­de­run­gen des Po­pu­lis­mus ha­be ich zu­stim­mend auf­ge­grif­fen.

    Den Spe­ku­la­tio­nen über das Ver­schwin­den der Ar­beit im Kon­text der Di­gi­ta­li­sie­rungs­de­bat­te wie sie hier, zu­letzt von Ih­nen, Leo­pold Fe­der­mair mit Blick auf Ja­pan in #19, aber auch von Mau­ri­zio Fer­ra­ris in der NZZ im­mer wie­der ven­ti­liert wer­den, ste­he ich – be­lehrt durch die De­bat­ten über An­dré Gorz’ so­zu­sa­gen par­al­le­le Über­le­gun­gen, aber auch aus grund­sätz­li­chen Vor­be­hal­ten ge­gen­über un­ge­si­cher­ten Pro­gno­sen, skep­tisch bis ab­le­hend ge­gen­über.

    Mir lag sehr viel nä­her, was Pe­ter Glotz zu die­sen Din­gen in kon­kre­ten Kon­tex­ten der In­du­strie- und Bil­dungs­po­li­tik (nicht zu­letzt der uni­ver­si­tä­ren Eli­ten­för­de­rung) vor­ge­bracht hat – ob­wohl er da oft ei­nen pas-de-deux mit – - – hor­ri­blie dic­tu?! – - – Ed­mund Stoi­ber aufs Par­kett ge­legt hat.

    Wenn man sich voll­kom­men ei­nig wä­re, bräuch­te es kei­ne De­bat­te. Pe­ter Glotz hat das ge­wusst. Des­sen Gei­stes­gen­wart ver­mis­se ich.

    Doch noch ei­ne Be­mer­kung zu Ih­rer Fra­ge, die_kalte_Sophie, wo denn der Deut­sche Joe Ro­gan wä­re: Don Al­phon­so hat es pro­biert mit ei­nem Pod­cast, ist aber ge­schei­tert; die FAZ hat es pro­biert: di­to. Das ist of­fen­bar nicht so ein­fach.

  24. »In die­sem Fo­rum dis­ku­tie­ren an­schei­nend nur äl­te­re Se­me­ster, und Päd­ago­gen dürf­ten kaum un­ter ih­nen sein. Viel­leicht hat auch nie­mand Kin­der. An­dern­falls wür­den sie sich mehr Ge­dan­ken ma­chen, was die Hy­per­tro­phie der Diens­lei­stun­gen, der Al­go­rith­men, Ro­bo­ter, au­to­ma­ti­sier­ten Sy­ste­me, Sprach­as­si­sten­ten bei den nach­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen be­wirkt, die gar nichts mehr »kön­nen« müs­sen, z. B. au­to­fah­ren, die Um­ge­bung er­for­schen oder die Wet­ter­ent­wick­lung be­ob­ach­ten, sich We­ge su­chen usw. usf. Wir Äl­te­ren ha­ben da noch viel eher die Frei­heit, Ver­fluch­tes ab­zu­leh­nen und vom Se­gen zu pro­fi­tie­ren.«

    Ich ha­be ge­stern über­legt, da­zu ei­nen Kom­men­tar zu schrei­ben, es dann aber ge­las­sen. Mir schien (und scheint), dass die Dis­kus­si­on am ent­schei­den­den Punkt vor­bei­geht: Die hek­ti­sche Le­bens- und die di­gi­ta­le Bil­der­welt sind ein mas­si­ver An­griff auf die sym­bol­bil­den­den Fä­hig­kei­ten und die äs­the­ti­sche Wahr­neh­mung, nicht nur, aber vor al­lem der Her­an­wach­sen­den. Die tech­ni­sche Kul­tur wen­det sich ge­gen die Grund­la­ge der Kul­tur, das in­ne­re Bild, als das in der On­to­ge­ne­se zu­erst ent­wickel­te Sym­bol, auf dem die Spra­che und das sym­bo­li­sche Den­ken ruht. Das sym­bo­lisch un­ge­ord­ne­te, bes­ser wohl un­in­te­grier­te, In­ne­re so vie­ler Kin­der (mehr­heit­lich Bu­ben) kor­re­liert mit Auf­merk­sam­keits­schwä­che und Hy­per­ak­ti­vi­tät (»ADHS«). Der Mensch in der di­gi­ta­len Mo­der­ne ist ein ab­we­sen­der, nie dort wo er sein könn­te, nicht ver­bun­den mit dem­je­ni­gen, dem er be­geg­net. Aber nicht, weil er träum­te, sich in sei­nen Phan­ta­sie ver­lö­re, son­dern weil eben­die­se weit­ge­hend durch un­gleich bril­lan­te­re Bil­der ex­ter­na­li­siert wur­de. Die­ser Ex­ter­na­li­sie­rung, die­sem Ge­winn ei­ner phan­ta­sti­schen, an­zie­hen­den Rea­li­tät, folgt ei­ne In­ne­re Lee­re, ein un­ver­dich­te­tes Wirr­warr in dem sich im Wach­zu­stand die un­ver­ar­bei­te­te Welt der Bild­schir­me aufs Neue er­hebt...

  25. @mete Im Mo­ment sind die Er­fah­run­gen resp. die sym­bo­li­sche Ar­mut der jüng­sten Ge­ne­ra­ti­on noch red­un­dant. Wir ha­ben ja ei­ne 4‑­Ge­ne­ra­tio­nen-Py­ra­mi­de auf­ge­türmt. Rein sta­ti­stisch, wer­den die »Tech­no-Snow­flakes« erst in 50 Jah­ren zu Wort kom­men resp. ih­re Wort­füh­rer be­stim­men.
    Mei­nes Wis­sens ist das kul­tu­rell un­ge­form­te Un­be­wuss­te zu al­ler­lei Wild­wuchs in der La­ge, da sich die sym­bo­li­schen An­la­gen des Men­schen nicht ein­fach still le­gen las­sen. Des­halb sind Lee­re und Ober­fläch­lich­keit kein schlim­mes Schick­sal, auf der kol­lek­ti­ven Ebe­ne... Das könn­ten ja auch Un­ge­heu­er sein, die dar­aus her­vor ge­hen. Aus Kin­dern wer­den Mon­ster. Es könn­ten neue Mäch­te kom­men, die den Mon­stern raf­fi­nier­te Spiel­zeu­ge ver­kau­fen und die Ab­wehr von Ka­ta­stro­phen ver­spre­chen.
    Päd­ago­gen ma­chen sich be­rufs­be­dingt viel Sor­gen um den Nach­wuchs. Ich tei­le aber die Sor­ge um die ver­ord­ne­te De­ter­ri­to­ri­a­li­sie­rung, zu deutsch: Ver­trei­bung aus den Land­schaf­ten. Das schließt die The­men des Wis­sens und der Zu­ge­hö­rig­keit (Iden­ti­tät) ein. Die gän­gi­ge Welt-For­mel »In­di­vi­du­um ge­hört zur Mensch­heit, es sei denn, es han­delt sich um ein Min­der­hei­ten-Sub­jekt, dann müs­sen die Schul­di­gen ge­fun­den wer­den«, spricht ei­gent­lich nichts an von dem, was wir in den Bü­chern fin­den. Das ist schon ei­ne Pro­the­se.
    Vor­al­lem aber muss man Land­schaf­ten, eben auch gei­sti­ge Land­schaf­ten ak­tiv er­for­schen, und er­obern, das be­kommt man nicht zu­sam­men mit ei­nem Gra­tis-Me­nu. Es ist doch die­se fi­na­le Per­spek­ti­ve, die weg­bricht, oder?! Das Ziel, das letz­te Ziel wird in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten.

  26. Es gibt ei­nen in­ne­ren Sym­bol­raum ei­nes je­den In­di­vi­du­ums und ei­nen äu­ße­ren, die Er­schei­nungs­for­men des letz­te­ren sind das, was wir Kunst und Kul­tur nen­nen. Bei­de hän­gen selbst­re­dend zu­sam­men, ver­kürzt kann man sa­gen, dass die In­nen­welt ei­nes In­di­vi­du­ums in der Kul­tur ei­ne äu­ße­re Form fin­det. Es geht we­ni­ger dar­um, dass die sym­bo­li­schen Fä­hig­kei­ten still­ge­legt wer­den, son­dern ver­küm­mern, re­spek­ti­ve über­la­stet sind. Die Fol­gen sind nicht nur ei­ne in­ne­re Lee­re oder Ar­mut, son­dern auch ei­ne Un­fä­hig­keit mit den Wid­rig­kei­ten des Le­bens zu­recht kom­men zu kön­nen. Dass es Mon­ster­kin­der gibt, kommt ja auch da­her, dass die­se nicht mehr ver­ar­bei­ten kön­nen, was ih­nen gleich­sam zu­stößt. Ein Kind, das ei­nen Tob­suchts­an­fall be­kommt, weil es et­was im Mo­ment nicht er­hält, hat nicht ge­lernt sich im sym­bo­li­schen In­nen­raum über ei­ne Vor­stel­lung, ein Bild, dar­über zu trö­sten. Ihm bleibt nichts an­de­res, als die auf­ge­stau­ten En­er­gien in (auf­fäl­li­gen) Ver­hal­tens­wei­sen los­zu­wer­den. Es muss sei­nen Frust aus­le­ben, an­statt ihn auf­be­wah­ren zu kön­nen, in ei­nen Bild zu ver­schie­ben und sich da­durch da­von zu be­frei­en. Ich möch­te da wi­der­spre­chen, das ist auch auf der in­di­vi­du­el­len Ebe­ne ein Un­glück, das Mon­ster­sein ist Zwang, ist Un­frei­heit.

    Ei­ne An­eig­nung, ei­ne Er­schlie­ßung, ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung hat Vor­aus­set­zun­gen und ist nicht als Be­stel­lung zu ha­ben, ich ge­be Ih­nen un­ein­ge­schränkt recht. Dar­aus ent­steht Zu­ge­hö­rig­keit, die Kul­tur in die man ge­fal­len ist, wird be­wusst »ge­sich­tet«, er­le­sen, er­hört, usw. Man­che Men­schen ha­ben in zwei Kul­tu­ren ei­ne Hei­mat ge­fun­den oder Bin­dun­gen an die­se, aber man kann nicht al­len zu­gleich zu­ge­hö­ren, es sei denn sie wür­den auf ei­ne re­du­ziert. Die Gat­tungs­zu­ge­hö­rig­keit (»In­di­vi­du­um ge­hört zu Mensch­heit«) muss von da­her ab­strakt blei­ben, die tat­säch­li­che Zu­ge­hö­rig­keit ist im­mer kul­tu­rell grun­diert und trotz Durch­läs­sig­keit ein­schlie­ßend, ja zu­sam­men­fas­send.

  27. @mete Schö­ner Kom­men­tar. Ich lie­be die Be­schrei­bung vom Mon­ster-sein, als Zu­stand un­ge­bil­de­ter Un­frei­heit. Das ist das Ge­gen­stück zu Rous­se­au.
    Je­der sym­bo­li­sche Raum, gleich ob Li­te­ra­tur oder Re­li­gi­on, bie­tet die Mög­lich­keit, sich von sei­nen Er­leb­nis­sen zu di­stan­zie­ren, und die Un­mit­tel­bar­keit in der An­schau­ung (Ex­ter­na­li­tät) auf­zu­he­ben.
    Ich fra­ge mich aber, ob man den abend­län­di­schen Kul­tur­raum wirk­lich aus­schließ­lich mit Li­te­ra­tur und Kunst be­strei­ten könn­te. Ich fin­de da sehr vie­le He­ro­en und He­ro­in­nen, ja ei­ne gan­ze An­ge­be­rei der Stär­ke und In­di­vi­dua­ti­on. Es gibt aber kaum sinn­vol­les Schei­tern, au­ßer Don Qui­chot­te. Ver­drängt man dann noch die re­li­giö­se Sphä­re, dann steht die Kul­tur et­was (na­ja:) ver­we­gen aber ohn­mäch­tig da... D.h. der ei­gent­li­che He­ro­is­mus wird auf ei­ne merk­wür­di­ge Wei­se in die In­ner­lich­keit ver­legt, als je­ne schwer be­greif­li­che Kunst im Um­gang mit sich selbst (Fou­cault), und je­der fragt sich, wie ernst bzw. exi­sten­zi­ell not­wen­dig die­ser kul­tu­rel­le Auf­trag ei­gent­lich sein soll.
    Ich möch­te das nicht als sa­lop­pe Kri­tik am We­sten ver­stan­den wis­sen, bit­te nicht falsch ver­ste­hen. Die­ser Auf­trag ist na­tür­lich ernst ge­meint. Aber ich möch­te die Aus­räu­mung der Re­li­gi­on aus dem sym­bo­li­schen Raum deut­lich in Fra­ge stel­len. Na­tür­lich wird @Leopold wie­der sei­ne Ab­nei­gung do­ku­men­tie­ren, aber ich hal­te das für schlicht­weg il­lu­so­risch, ei­ne zu­künf­ti­ge Kul­tur oh­ne Re­li­gi­on zu ent­wer­fen. Ich bin nicht gläu­big, aber oh­ne die frü­hen kirch­li­chen Er­fah­run­gen wä­re ich weit­aus we­ni­ger be­sorgt um das gro­ße Gan­ze...
    Hier liegt wo­mög­lich der Dreh- und An­gel­punkt für den Kon­ser­va­tis­mus, der die Re­li­gi­on we­nig­stens in ih­rer sym­bo­li­schen Macht wür­digt, wäh­rend die li­ber­tä­ren Strö­mun­gen stark das he­roi­sche Ide­al be­to­nen.

  28. @die_kalte_Sophie
    ...ich hal­te das für schlicht­weg il­lu­so­risch, ei­ne zu­künf­ti­ge Kul­tur oh­ne Re­li­gi­on zu ent­wer­fen...
    Schö­ner Punkt, aber ich glau­be, der Zug ist – um eben­falls sa­lopp zu ant­wor­ten – ab­ge­fah­ren. Ich er­in­ne­re mich an ei­nen Text von Bo­tho Strauß, in dem er mus­li­mi­sche Mi­gran­ten­kin­der und ‑ju­gend­li­che be­schreibt, die ih­re Ver­ach­tung für die sä­ku­la­ren bzw, athe­isti­schen gleich­alt­ri­gen Deut­schen ar­ti­ku­lie­ren. Wo­bei die Ver­ach­tung sich nicht ge­gen die Per­so­nen rich­tet, son­dern ge­gen ih­re man­geln­de Fä­hig­keit, an ih­ren Wert­vor­stel­lun­gen fest­zu­hal­ten.

    Die Re­li­gi­on ist tot. Was bleibt, ist ein Be­dürf­nis an Tran­szen­denz – wo im­mer man es auch fin­det. In An­leh­nung an den Th­read hier könn­te man bei­spiels­wei­se die Di­gi­ta­li­sie­rung und die da­mit ver­bun­de­nen Frei­hei­ten se­hen (die dann ganz schnell wie­der kom­mer­zia­li­siert wur­den). Kon­sum ist ei­ne sol­che Er­satz­re­li­gi­on. Oder Na­tio­na­lis­mus. Oder Kom­mu­nis­mus. Al­lei­ne: Die­se Din­ge be­frie­di­gen nicht auf Dau­er. Das We­sen der re­li­giö­sen Tran­szen­denz liegt in ih­rer Ver­hei­ßung. Da­her ist al­ler Satz, muss al­les »Welt­li­che« frü­her oder spä­ter schei­tern. Der Tod der Re­li­gi­on in den west­eu­ro­päi­schen Ge­sell­schaf­ten hat die Welt ent­zau­bert.

  29. @Sophie
    Ich be­zweif­le auch, daß ei­ne Welt oh­ne Re­li­gi­on, wie sie sich im We­sten jetzt ab­zeich­net, ei­ne bes­se­re sein wird. Pro­blem: Daß man ei­ne Re­li­gi­on heut­zu­ta­ge nicht ein­fach so stif­ten kann. Hat Nietz­sche ver­sucht, mit mä­ßi­gem Er­geb­nis. (Von den di­ver­sen Gu­rus will ich nicht re­den; in Ja­pan hat­ten wir ei­nen, der wur­de kürz­lich ge­hängt.) Un­ser bei­der Er­fah­run­gen, Re­li­gi­on be­tref­fend, sind ver­mut­lich ähn­lich. Ein ver­nünf­tig den­ken­der Mensch kann nicht an Gott glau­ben. Und doch ei­ne nicht aus­zu­rot­ten­de Sehn­sucht...

  30. @die_kalte_Sophie
    Ge­gen­stück in­so­fern, als Rous­se­au den Men­schen ein­sei­tig be­stimm­te und die­se Ver­ken­nung in to­ta­li­tä­re Ge­fil­de führ­te (und füh­ren muss­te). Der Mensch ist im­mer bei­des, Na­tur und Kul­tur.

    Sie ha­ben auch mit Ih­rem Hin­weis auf die Re­li­gi­on recht. Viel­leicht war es das Wort »Ent­zau­be­rung«, das mich ge­stern Abend un­be­wusst auf den Aus­gangs­punkt hin­wies: Bei vie­len Ro­man­ti­kern wa­ren Kunst und Re­li­gi­on selbst­ver­ständ­lich und gleich­sam ne­ben­ein­an­der. Ich mei­ne nicht Kunst als Re­li­gi­on, das wä­re ei­ne Ver­ir­rung, aber sie zeh­ren viel­leicht von der­sel­ben Quel­le. Bei Kin­dern spricht man von ei­ner ma­gi­schen Pha­se, in der sie die Welt als le­ben­dig oder be­seelt emp­fin­den. Vie­le Er­wach­se­ne ha­ben die­se Art des Emp­fin­dens ver­lo­ren, es ist der Ge­gen­pol zur Ra­tio­na­li­tät (und dar­aus fol­gend In­stru­men­ta­li­tät), ei­ne sich auf­drän­gen­de, sinn­lich wahr­ge­nom­me­ne In­ten­si­tät, le­giert mit dem In­nen­le­ben des Sub­jekts (ist das im Keim schon Tran­szen­denz?). Nach­voll­zie­hen kann ich, dass ein Sub­jekt sich mit der Welt ver­bun­den fühlt, als han­deln­des in ihr an­we­send ist; eben­so ein Füh­len, dass da et­was an­de­res sein könn­te, aber die Per­so­na­li­tät und die Kon­kre­ti­on ei­ner Got­tes­vor­stel­lung nicht mehr (ob­wohl de­ren Ei­gen­schaf­ten in man­chem Bau­wer­ken, Kir­chen vor al­lem, wie­der­um deut­lich wer­den). Und un­wei­ger­lich hat Ge­mein­schaft auch da­mit zu tun.

    Kon­ser­va­tis­mus ist dort, wo er den Fort­schrei­ten­den das Un­ver­brüch­li­che ent­ge­gen­hält, be­deut­sam, weil es dann nicht nur um ei­ne (be­lie­bi­ge) Be­stands­wah­rung geht, son­dern zu­gleich um ei­ne Uto­pie.