Ines Pohl, Chefredakteurin der taz, betont in einem Interview um die Anzeige der »Bild«-Zeitung in der taz, dass diese – »wie in jedem ordentlichen Zeitungshaus« – Redaktion und Anzeigengeschäft getrennt habe. Pohl weiter: »Die Redaktion verfügt gar nicht über die Hoheit, zu entscheiden, ob eine Anzeige erscheint oder nicht, wenn die Anzeige – das ist im Redaktionsstatut der taz festgeschrieben – nicht rassistisch, sexistisch oder kriegsverherrlichend ist.«
Man mag das als Ausbund von Professionalität sehen. Obwohl es Journalisten gab, die Redaktion und Anzeigen nicht trennen wollten, wie beispielsweise Horst Stern, der 1984 seine Herausgeberschaft des von ihm mitgegründeten Magazins »Natur« aufkündigte, weil dort der Chemiekonzern Bayer eine Anzeige geschaltet hatte und er davon im Urlaub überrascht wurde. Das waren übrigens nicht die schlechtesten Journalisten; eher im Gegenteil.
Von dieser Art Konsequenz heute keine Rede mehr. Immer wieder kommt Frau Pohl auf diese Trennung von Redaktion und Anzeigengeschäft zu sprechen und suhlt sich eigenartigem Stolz: »Wir fordern das immer ein, wir bekritteln in ganz vielen anderen Verlagen, dass das nicht der Fall ist. Dass jemand sagen kann: Ein Atomkonzern schaltet in Ihrer Zeitung für eine Million über das Jahr verteilt Anzeigen, wenn Ihre Redaktion entsprechend berichtet. Das läuft in der taz so nicht.«
Frage: Was läuft in der taz nicht? Dass ein Atomkonzern eine Anzeige schalten kann? Dies widerspräche doch der so heiligen Trennung zwischen Redaktion und Anzeigen, zumal Anzeigen der Atomindustrie kaum »rassistisch, sexistisch oder kriegsverherrlichend« sein dürften. Demzufolge gibt es also doch einen politisch-moralischen Codex? Welche Grenzen gibt es? Werbung für »Bild« ist okay – für »RWE« aber nicht?
in der taz darf auch die atomindustrie werben
Anzeigen der Atomindustrie gab es in der taz schon:
http://blogs.taz.de/hausblog/2011/02/28/unsere-finanzielle-abhaengigkeit/
Das wußte ich nicht. Danke für die Aufklärung. Damit wird das Gerede von Frau Pohl ja noch lächerlicher.
Anmerkung zu Ihrer Frage
»Was läuft in der taz nicht? Dass ein Atomkonzern eine Anzeige schalten kann?«
Herr Keuschnig, ich habe Frau Pohl hier argumentativ anders verstanden. Sie weist mit dem Satz, aus dem Sie Ihre Frage ableiten, darauf hin, daß Atomkonzerne in der »taz« jederzeit Anzeigen schalten können, dadurch aber keine entsprechende Gegenleistung von der Redaktion erwarten dürfen. So wie das, laut Meinung von Frau Pohl, bei anderen Zeitungen durchaus der Fall ist.
Es geht Frau Pohl auch hier um die Abgrenzung zwischen Anzeigenabteilung und Redaktion – beide Abteilungen im Verlag sollten nach ihrer Meinung ihre jeweiligen Entscheidungen unabhängig voneinander treffen können (mit der Einschränkung von Inhalten, die »rassistisch, sexistisch oder kriegsverherrlichend« sind). Ich verstehe Frau Pohls Aussage dahingehend, daß ein Atomkonzern in der »taz« Anzeigen schalten darf, doch niemals auf redaktionelle Inhalte Einfluß nehmen kann – das (!) läuft nicht in der »taz«.
Ich bin nicht derselben Meinung wie Frau Pohl und würde der »taz« eine Änderung oder Ergänzung des Redaktionsstatuts nahelegen, etwa in die Richtung, persönlichkeitsverletzende Werbung abzulehnen. Aber das ist eine Frage, die im »taz«-blog diskutiert werden sollte.
Viele Grüße und besten Dank für Ihre zahlreichen Begleitschreiben,
janar
Ja, so kann man Frau Pohl interpretieren. Obwohl diese Aussage implizit bedeutet, dass sich andere Redaktionen von der Anzeigenkraft einzelner Unternehmen »kaufen« lassen. Ich finde dies als pauschale Unterstellung fragwürdig.
Es mag solche Infiltrationen geben. Aber es als pauschalen Zustand in den anderen Redaktionen darzustellen, ist kühn.
(Mich interessiert das Redaktionstatut der taz nicht, daher diskutiere ich darüber auch nicht auf dem taz-Blog. Mich interessiert nur diese Doppelzüngigkeit, die mit unbelegten Unterstellungen daherkommen muss, um sich selber einigermaßen reinzuwaschen. Das ist das Gegenteil von dem, was ich von einem Journalisten, einer Journalistin erwarte.)
Dieses Kaufen von Redaktionen ist in der Tat in einigen Fällen belegbar. Zum Beispiel funktioniert die Zeitschrift »Stiftung Ökotest« so. Der Name belegt eine Nähe zu »Stiftung Warentest«, die aber nicht gegeben ist. Man hat zum Beispiel vor einiger Zeit Kondome getestet. Zufällig zum selben Zeitpunkt, als von einem großen Kondomhersteller Anzeigen geschaltet worden sind, und zufällig, als der seine Produktion im Vergleich zu den Mitbewerbern geändert hatte. Und zufällig wurde da genau auf die (Schad)Stoffe Wert gelegt und getestet, die bei dieser Produktionsänderung entfallen sind. Weil es für Kondome überhaupt keine Testvorschriften bzgl. der Schadstoffe gibt, hat man die Vorschriften für Babyschnuller genommen. Darauf sind die Tester sicher nicht selbst gekommen, es sind einfach zu viele Zufälle.
Aber auch in anderen Fällen denke ich, dass es eher die Regel ist, dass Firmen in ihnen wohlgesonnenen Zeitschriften eher inserieren und auch Journalisten ihre Präferenzen haben und man sich gegenseitig mag oder nicht. Der eine schreibt positive Artikel, der andere schiebt Geld herüber. Es muss da gar kein direkter Zusammenhang sein, es ist einfach so.
Die Nagelprobe mit den Anzeigen der Atomwirtschaft ist bei der TAZ eh nicht zu erwarten, weil die Konzerne ja für ihr Geld einen (irgendwie gearteten) Mittelrückfluss erwarten. Der ist bei Atomstrom und TAZ-Lesern nun wirklich nicht zu vermuten.
Nach der Lektüre von Schwens-Herrant wollte ich mich mal so richtig enttäuschen, und hab mir mal zwei Samstag-FAZ und Süddeutsche geholt (Buchkritiken gab’s dann leider kaum). Da sie aber auch irgendwo von der gefährlichen Nähe zu Werbung sprach, wollt’ ich auch da mal gucken, und direkt ’nen Volltreffer? In der FAZ vorne auf dem Feuilleton ’ne Werbung von REM und dann ne Seite weiter ein Lobgesang auf Band und neues Album. Ein Schelm wer dabei Böses denkt? – Muss natürlich gar nichts heiß’n, will hier nix insinuiern, aber lustig fand ich’s schon.
PS. Bei den Kriterien von Öko-Test hab ich auch einmal ähnliche Erfahrung gemacht. Meine Kontaktlinsenreiniger waren da mit mangelhaft bewertet worden, da hab’ ich mal eines der Produkte genommen, das sehr gut weggekommen war. Und hab’ damit meine Kontaktlinsen nicht sauber bekommen; was nutzt es mir wenn da (selektiv?) Schadstoffe weniger drin sind, das Zeug aber unbrauchbar ist; ich die halbe Flasche brauch, wo eigentlich zwei Tropfen genügen?
@Köppnick & Phorkyas
Ich halte es für gefährlich pauschal zu behaupten, dass Inserate und Anzeigen Redaktionen beeinflussen. Im übrigen wäre dies ein Argument, Redaktion und Anzeigengeschäft eben nicht zu trennen, damit die Redaktion mindestens mitentscheiden kann, wer dort wie Anzeigen schaltet. Dass die taz auch für Energiekonzerne Werbung abdruckt, dürfte mindestens ein Beleg dafür sein, dass es redaktionelle Unabhängigkeit jenseits des Geldbeutels gibt. Dies bei den anderen in Zweifel zu ziehen und in eigenen Haus als gegeben darzustellen, ist schon arg frech.
Dass die FAZ das REM-Album bewirbt und dann positiv bespricht ist nicht unbedingt ein Beleg für Einflußnahme. Ich habe oft genug bemerkt, das Bücher, im redaktionellen Teil einer Zeitung schlecht besprochen und dennoch beworben wurden. Was soll die FAZ machen? Lobt sie das Produkt, welches auch durch eine Anzeige im Blatt präsent ist, kommt sie in den Hautgout, sich kaufen zu lassen. Verreisst sie es, wird es als schlechtes Gewissen gedeutet. Bespricht sie es gar nicht, wirft man der Redaktion Feigheit vor.
Ich habe oft genug bemerkt, das Bücher, im redaktionellen Teil einer Zeitung schlecht besprochen und dennoch beworben wurden.
Das ist mir mindestens einmal in der Zeit aufgefallen: Eine Art Verriss in der Woche davor und in der nächsten die Werbung dafür. Für den Leser aber auch irgendwie seltsam.
Ja, in der ZEIT insbesondere. Seltsam? Doch nur für den Leser, der nur die ZEIT liest, oder? Ich würde dies als Werbemann eines Verlages sogar explizit tun: Beim Verriss eine Anzeige in diesem Medium.
Die FAZ (oder auch Erik Pfeil?) scheinen, wenn man andere Artikel so überfliegt, REM doch sehr zu mögen – dann blieben die bei dieser Besprechung nur sich selbst treu. – Vielleicht ist es ja aber auch umgekehrt und das Bandmanagement schaltet dort, wo die Band auch wohlwollend besprochen wird? (Hmm.. Eigentlich auch nicht so sinnvoll, oder? – sollte die Werbung nicht dahin, wo man noch nicht vertreten ist)
Kurzum: nix genaues weiß man nicht...
Daher sollte man auch nichts vermuten? – Da finde ich umgekehrt interessant wie schnell man bei Politikern mit ähnlichen Urteilen ist: Ist ja eh alles korrupt im Parteiensumpf,.. wobei dieses Stück »gesunde Volksempfinden« (‘euch glauben wir eh nix’) bei der Menge an Skandalen, die dann doch mal an die Oberfläche blubbern, so falsch doch nicht zu liegen scheint?
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@Keuschnig: Sie scheinen sich mehr über die Art und Weise aufgeregt zu haben wie Frau Pohl da aufgetreten ist, oder? (nassforsch? – erscheint mir eigentlich nicht so schlimm... nur dass es jetzt wieder zu dieser ‘linken Selbstzerfleischung’ kommt, was ja abzusehen war – ob man dafür auf das Geld hätte verzichten sollen? Wär das am Ende auch feige gewesen? – Was man macht, es is verkehrt)
Problematischer, wie ein Kommentator ebenfalls anmerkt, erscheint mir da Frau Pohls Bemerkung Richtung Urheberrecht:
Es ist nicht so, dass da urheberrechtliche Grenzen meiner Meinung nach überschritten wurden. Sie hat den selber ins Internet gestellt, er wurde zehntausenfach geklickt, es ist ein Supertext.
Seltsam? Doch nur für den Leser, der nur die ZEIT liest, oder?
Nein. Seltsam, wenn ich als Leser über das (journalistische) Selbstverständnis nachdenke (als Werbemann täte ich vielleicht anderes). Ich kann mich an folgenden den Fall erinnern: Ein Journalist schrieb einen Artikel über den Klimawandel; und in der nächsten Ausgabe einen Testbericht über das Auto xy, das tolle Fahrgefühl, den Geschwindigkeitsrausch, usw. Beide Artikel passten nicht zu einander, der zweite setzte sich sozusagen über die Probleme des ersten hinweg. Hier frage ich mich wofür derjenige steht bzw. wie wichtig das ist worüber er schreibt und wie er sich damit identifiziert. Bei der Buchbesprechung war es ganz ähnlich: Wenn es tatsächlich so schlecht war, warum macht man Werbung dafür?
Ich weiß schon, dass man das durch unterschiedliche Motive rechtfertigen kann (Vielfalt, Einzelmeinung muss nicht die der Redaktion sein, wirtschaftliche, usw.). Aber wenn solche Vorfälle überhand nehmen, dann stellt sich die Frage wie ehrlich »man« es meint, wie sehr man den Autoren eigentlich vertrauen kann.
Ein Journalist schrieb einen Artikel über den Klimawandel; und in der nächsten Ausgabe einen Testbericht über das Auto xy, das tolle Fahrgefühl, den Geschwindigkeitsrausch, usw. Beide Artikel passten nicht zu einander, der zweite setzte sich sozusagen über die Probleme des ersten hinweg. Hier frage ich mich wofür derjenige steht bzw. wie wichtig das ist worüber er schreibt und wie er sich damit identifiziert.
Ein typischer Fall von kognitiver Dissonanz. Die Wikipedia macht auch Vorschläge, wie man diese auflösen kann.
Ich finde dieses Beispiel interessant und wehre mich ein bisschen, dass sofort zu verschlagworten oder gar die Person zu pathologisieren (oder Drogen- und Alkoholkonsum zu unterstellen). Natürlich kann man von einem Automobil und dessen erzeugter Geschwindigkeit fasziniert und sich gleichzeitig der Problematik des Klimawandels bewußt sein. Vielleicht trägt dies gerade zu einer besonderen Bewußtmachung bei: Den Geschwindigkeitsrausch mit Tempo 280 (für mich ein Greuel) wird man eben in Zukunft nicht mehr erleben können, wenn man Konsequenzen aus der ökologischen Entwicklung ziehen möchte. Oder man zeigt die Ambivalenzen, die sich aus den alltäglichen Phänomenen ergeben (ein Übergewichtiger weiss sehr wohl, dass ihn bestimmte Lebensmittel weiteres Übergewicht bringen – er verzichtet dennoch nicht darauf; ein Raucher bekommt die Gesundheitshinweise wirkungslos auf der Packung dargestellt; die »taz« macht Werbung für die »Bild«-Zeitung, weil sie Geld braucht). Hebt man jedoch den Götzen der Authentizität hervor, so gerinnt ein solches Verhalten natürlich schnell zur Paradoxie.
(Ich bin in der vermeintlich glücklichen Lage, dass mich beide Phänomene – der Klimawandel und ein schnittiges Auto – nicht interessieren. Das erste interessiert mich nicht, weil es die Leute, die es zuerst interessieren müsste, auch nicht interessiert und – um im Bild zu bleiben – fortlaufend in kognitiven Dissonanzen schwelgen, ohne sich dessen bewusst zu werden. Und das zweite ist mir egal, weil ich keine Fahrerlaubnis besitze.)
Werbung in Zeitungen: Ich vermute, die Werbung für ein Buch bspw. in der Zeit oder im Spiegel ist längst beschlossen, bevor die Redaktion das Buch besprochen hat. Manche warten noch auf einige griffige Rezensentenfloskeln, die sie dann noch zitieren können.
Das mit dem Alkoholkonsum ist nur ein Beispiel, wie eine auf der physiologischen Ebene zutage tretende Dissonanz bekämpft werden kann. In dem unter der Liste stehenden Absatz im Wikipediaartikel wird ja auf die verschiedenen Ebenen eingegangen, auf denen es Effekte gibt und welche Strategien zu ihrer Bewältigung beobachtet wurden.
Eine KD entsteht nur, wenn dem Betreffenden wenigstens unbewusst der Widerspruch auffällt. Im Fall des Journalisten wäre es jedoch auch möglich, dass ihm dieser überhaupt nicht aufgegangen ist. Psychologisch wäre er dann kerngesund, aber intellektuell... naja.
Der verbreitetste Fall einer Dissonanz ist, wenn man den Zusammenhang zwischen dem eigenen Handeln und den globalen Auswirkungen, wenn alle sich so verhalten, negiert. Also zum Beispiel: Warum sollte gerade ich weniger Auto fahren (weniger Fleisch essen, ...), die anderen machen es ja trotzdem und außerdem... Praktisch alle verhalten sich so, es ist der normale Mechanismus der Verdrängung, ohne den man nicht leben kann. Das trifft auch exakt das Verhalten des autobegeisterten Klimajournalisten.
Ich kann da keine Verdrängung erkennen – wenigstens würde ich sie nicht sofort unterstellen. Es kann sein, dass er (1.) ein Schreibknecht ist und Aufträge annehmen muss, (2.) mal was anderes als politisch korrekte Themen behandeln wollte oder (3.) einen entsprechenden Traum hatte. Im ZEIT-Magazin gab es vor einigen Jahre eine Serie, in der Redaktionsmitglieder einmal Autotester spielen durften. Also auch Feuilletonisten oder politische Journalisten. Entsprechend las sich das auch manchmal.
Grundsätzlich ist es nicht weiter tragisch, wenn so etwas »passiert«. Häuft es sich aber, stellt sich die Frage nach der Reflexionsfähigkeit der Schreibenden (wenn man Widersprüche sichtbar machen will, sollte der Leser die Möglichkeit haben diesen Akt zu erkennen) und der Ernsthaftigkeit des Mediums, bzw. seiner Haltung gegenüber den Lesern.