Drei Kulturereignisse aus den Jahren 2010, 2007 und 2003 über die in ausführlichen Artikeln berichtet wird. Recht schnell merkt der Leser, dass diese Begebenheiten ihre Geschichte haben. / Weltmüller flüchtet aus dem Schauspielhaus in einem Taxi und verursacht einen Unfall. / Die Texte der Kacheln des Kunstwerkes sind nicht nur kryptisch, sondern variieren sogar auf seltsame Weise irgendwann. Ausgerechnet auf der Kachel für Deutschland gibt es nicht zehn sondern nur neun Hinweise. Zudem distanziert sich der Künstler nicht nur von seinem Kunstwerk sondern bestreitet sogar seine Urheberschaft. / Und das Original der Rosenmadonna, welches in Dresden hängt, entpuppt sich als Kopie, während eine als Kopie deklarierte Rosenmadonna in Italien das Original zu sein scheint.
Fast genialisch der Einfall, Weltmüller als Godot auf die Besetzungsliste zu setzen und so mit den Erwartungen des Theaterpublikums auf diese neue Variante des Beckett-Stücks zu spielen. / Vollkommen überraschend, wenn ein Kunstwerk wie das der Kacheln zu Leipzig plötzlich ohne Schöpfer dasteht. Wie soll jetzt die Interpretationsmaschine gefüttert werden? / Und fast skandalös, die anhand des Rückens des Kunstwerkes einwandfrei feststellbare Authentizität des Gemäldes aus staats- und kulturpolitischen Erwägungen hinaus zu leugnen und stattdessen den Überbringer der schlechten Nachricht zu bestrafen.
Es soll Leute geben, die Frank Fischers »Zerstörung der Leipziger Stadtbibliothek im Jahr 2003« für einen Tatsachenbericht gehalten haben. Mit den neuen drei Reportagen ist das schwieriger. Jeder weiß, dass der aktuelle Iffland-Ring-Träger anders heißt. Schnell stellt sich heraus, dass es das Kunstwerk in Leipzig nicht gibt. Und über die Rosenmadonna ist kein Fälschungsskandal publik geworden. Frank Fischer erzählt diese Geschichten als Frank Fischer im Duktus der Reportage. Der Autor des Buches »Weltmüller« darf dabei nicht mit dem Zeitungsschreiber verwechselt werden. Der Autor Frank Fischer schreibt die Artikel eines gewissen Journalisten Frank Fischer. Dieser schreibt wie aus einer längst vergangenen Zeit – etwa als Helmut Dietl noch lustig und Harald Schmidt noch originell waren in einer seltsamen Melange aus Andreas Roßmann von der FAZ und dem Ich-Erzähler aus Thomas Bernhards Erregungsroman »Holzfällen«.
Aber irgendwie traut der Autor der feinsinnig-subtilen Ironie des Journalisten nicht so recht und streut stattdessen immer wieder einige Moleküle Umberto-Eco-Rätselbalsam in die Zeilen. Ich meine dabei nicht die zahlreichen Anspielungen auf diverse (Schein-)Heroen des Feuilletons bzw. der Kulturszene. Sie sind – bei entsprechender Kenntnis der jeweiligen Kampfzone – leicht zuzuordnen. Wenn nicht ist es schlimm und vor allem nicht relevant für die Lektüre. Natürlich werden en passant die Hausgötter des Autoren Frank Fischer (Christian Kracht, Julio Cortázar und Rainald Goetz) erwähnt. Aber warum nicht? Störend dagegen die Versuche zusätzlicher Bedeutungsaufladungen durch allerlei (Zahlen-)Mystizismen. Das geht schon im Hamsunschen Vorwort los (die ganze Geschichte steht hier). Schrödingers Katze taucht gefühlt inzwischen in fast jedem zweiten Buch auf (selten so elegant wie hier). Die Geheimnisse eines 65.537-Ecks erschließen sich mir einfach nicht, den Trip nach Buenos Aires und die Erkenntnisse für das Kachelkunstwerk fand ich nicht schlüssig und die Interpretation des Wortes »Lexicon« (insbesondere des »con«) etwas konstruiert. Aber so ist das bei Umberto Eco halt.
Gelitten hat dadurch zum einen die feinfühlige Kritik am »Hyperbolismus« des Feuilletons (das Wort fällt einmal) und – vor allem – des Bildungsbürgertums. Beide haben bei avantgardistisch anmutenden Projekten (die bei näherer Sicht vielleicht auch einfach nur gewisse Affekte bedienen sollten) enorm große Probleme, die unter Umständen in den Vandalismus bzw. zu feuilletonistischen Scherbengerichten führen. Wenn eine Figur »Godot« besetzt ist – und das mit derartiger Prominenz – dann baut sich eine Erwartungshaltung auf, die nicht beschädigt werden darf, sondern erfüllt werden muss. Ähnliches gilt für das Kachel-Kunstwerk, dem bald der Künstler abhanden kommt. Sofort bricht die institutionalisierte Deutungsindustrie zusammen und der »gemeine« Kulturkonsument balanciert über einen Abgrund an Unsicherheit. Vollends skurril wird es, als sich herausstellt, dass die Kopie der Rosenmadonna ein Original ist, aber es gleichzeitig nicht sein darf. Das ist sozusagen der Gegenentwurf zum Beltracci-Skandalon. Einzig der Journalismus hat immer ein Thema, weil er opportunistisch Sympathien und Antipathien ausrichten kann. Zuweilen zeigen die beiden Fischers dieses Taumeln im ungeliebten Ungewissen, dieses Verlassen der heimlichen Interdependenzen zwischen Kunst und Presse, mit spitzbübischem Lächeln.
Zum anderen wird viel zu selten das vorauseilende Jaulen der Kulturbranche thematisiert, welches sich bei jeder passenden Gelegenheit um sinkende Fördergelder echauffiert – dann jedoch beispielsweise aus einem veritablen Größenwahn heraus die Bestuhlung des Schauspielhauses dahingehend erweitert, damit die als extraordinär hochgejazzte Beckett-Inszenierung auch tatsächlich im größten deutschsprachigen (und nicht nur größten deutschen) Theater stattfinden kann. Über derlei Antinomien eines im Prinzip immer noch rundum satten Kulturbetriebes hätte man gerne mehr gelesen.
Die schönste Passage in diesem vergnüglichen Büchlein ist die der Schilderung der Hamlet-Inszenierung mit Hunden als Darstellern (»Hunde-Hamlet«). Wobei nicht Idee und Darstellung an sich so entzückend sind. Nein, es ist Fischers (wessen?) Glaube an das Publikum. Die Regisseurin hatte »die gesamte Textleistung sozusagen in die Köpfe der Zuschauer verlagert«. Undenkbar? Scheinbar nicht, denn das Publikum schien »das nicht im geringsten zu stören«. Es gab am Ende Ovationen. Wohl dem, der an ein solch textsicheres Publikum, welches sich deutlich jenseits des Abonnenten-Bildungsbürgers bewegen muss, glaubt!
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